Ostfriesland für die Hosentasche - Katharina Jakob - E-Book

Ostfriesland für die Hosentasche E-Book

Katharina Jakob

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Beschreibung

***Wer will schon nach Hawaii, wenn er Norderney vor der Tür hat?*** Was macht ein Ostfriese, wenn der Strom ausfällt?* Sind Ostfriesenwitze lustiger, wenn man Bohntjesopp intus hat? Sind Börjes, Feuke und Wobke Frauen- oder Männernamen? Wie kompliziert sind Boßeln, Klootschießen und Schöfeln? Die Journalistinnen und Autorinnen Insa Lienemann und Katharina Jakob verraten Wissenswertes, Unbekanntes und Kurioses über Ostfriesland. Sie räumen mit Vorurteilen auf, geben Tipps zum Umgang mit feierwütigen Ostfriesen und sprachlichen Barrieren. ***Das kleinste Buch über Deutschlands windigste Gegend*** *Er geht ins Watt und holt sich ein paar Kilo.

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Seitenzahl: 253

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Katharina Jakob | Insa Lienemann

Ostfriesland für die Hosentasche

Was Reiseführer verschweigen - Mit einem Vorwort von Klaus-Peter Wolf

FISCHER E-Books

Inhalt

Vorwort von Klaus-Peter WolfMunter!GesellschaftFrüher war alles besser?Wo sind Sie gerade? In Ostfriesland oder in Ost-Friesland?Warum muss man das wissen?Ostfriesland in KürzeOstfriesische Mentalität für EinsteigerNiemandem untertanWie gewinnt man nun das ostfriesische Herz?Ostfriesen lieben ihr LandEin Land, zwei WappenFlaggeHymneHumor in Ostfriesland: Wer Spaß hat und wer nichtHumor für FortgeschritteneBöskupp van OostfreeslandSelbst Ostfriese werdenDie Sache mit dem WitzNicht alle sind platt: fünf etwas bessere OstfriesenwitzeSchluss mit lustigSpracheOstfriesische Vornamen – von Anfang an andersWas für ein Geschlecht hat denn nun ein Baby, das einem stolz gezeigt wird und Hientje heißt?Ostfriesische Familiennamen: Warum einfach, wenns auch querbeet geht?Zwischennamen – eine ostfriesische SonderregelungWieso heißt einer Affe?Statt einer Namensliste: zwei NamensgedichteFrauennamenMännernamenPlatt: Uncool? Weit gefehlt!Platt unter KulturschutzAckersnacker?Der Ostfriesen-OscarEcht ostfriesisch: das Saterfriesische, das auch dank eines Afroamerikaners nicht sterben mussteVon Boston nach VechtaPsalmen auf SaterfriesischWoher kommt das Saterfriesische?Und wie hört sich das an?KulturRituale, Feste und Brauchtum: feiern, was das Jahr hergibtKarbidschießen: Ostfrieslands dicke BertaSpeckendicken und Neujahrslaufen: keine halben SachenPlattdüütsk – Hochdeutsch zum JahreswechselFastnachtslaufen der Handwerker: Teufelsgeiger an der TürOstern: Wettkampf der bunten EierOstfriesenspiele im FreienDer Maibaum: Kampf um die EhreBrautpfadlegen in AurichSommerfeste und Galli-MarktMartiniDer Klaasohm: der böse Bruder vom NikolausBräuche fürs Leben und SterbenSargtragenTotenheckDrinkeldodenkarkhoffHochzeit, Geburt und Taufe – Ostfriesland ist BogenlandOll’ Mai: Wie man Ostfriese werden kannWie also wird man Ostfriese?Indigenatsträger seit 2004Ubbo-Emmius-Medaillenträger seit 2000Bemerkenswerte OstfriesenKarl Heinrich Ulrichs, Vorkämpfer für die Rechte HomosexuellerMiene Schönberg, Mutter der US-Komiker Marx BrothersJan van Koningsveld, Weltmeister im KopfrechnenBernd Flessner (»Flessi«), bester deutscher WindsurferMax Windmüller, jüdischer Widerstandskämpfer und FluchthelferOstfrieslands Gesundheit: Von Knochenbrechern, weltberühmten Ärzten und PionierinnenDer Arzt mit den RadarfingernHermine Heusler-Edenhuizen: die erste Frauenärztin DeutschlandsOrgelland Ostfriesland: Reich hinterm DeichDer GroßmeisterDie KonkurrentenFeilschen um eine OrgelOrgeln im DornröschenschlafWer ist die Schönste im Land? Die prächtigsten Orgeln OstfrieslandsKlangverwöhntes OstfrieslandMusikwochen sattDie Emder Kunsthalle: ein leuchtender SternFranz-Radziwill-Haus in Varel: Wenn Ostfriesland selbst zur Kunst wirdIst das Kunst, oder kann das weg? Ostfrieslands kulturelle ExperimenteScience-Fiction-LiteraturtageOstfriesische KrimitageOstfriesischer KleinkunstpreisWas macht Jens Pauw noch?Plattdeutsches Theater: ganz oder gar nichtGeschichteLand der Entdeckungen: archäologische Funde aus OstfrieslandZehn spannende Funde aus der KüstenregionDeichbau: Die See muss draußen bleibenDer goldene Ring»Well neeit will dieken, mutt wieken!«Eine Tropenkrankheit an der NordseeDeichbau in ZahlenPest und Flut: Ostfrieslands apokalyptische ReiterDer Schwarze TodDie Grote MandränkeTrutz, Blanke HansHistorische schwere Sturmfluten an der deutschen NordseeküsteDie Friesische Freiheit: ein Sonderfall der GeschichteWas hat es damit auf sich?Das königsfernste GebietWie kam es zu diesem Unikum der Geschichte?Stimmrecht der VermögendenUnd das Ende?GlossarMehr als hundert wilde Jahre: die Zeit der HäuptlingeHauen und StechenFreiheitsbund der Sieben OstfriesenlandeFrauensleut’ am Steuer: Herrscherinnen an der norddeutschen KüsteFalsche Freunde: Häuptlinge und PiratenEntern auf eigene RechnungEhemalige Häfen der ostfriesischen HalbinselCarolinensielJeverHooksielVarelGreetsielAltharlingersielDie dunkelste Zeit: Nationalsozialismus und KriegFolgen des NS-Regimes und des Zweiten WeltkriegesWirtschaftEine Region im AufwindDie blaue Fabrik am Meer: wie mit Volkswagen bescheidener Wohlstand kamFakten: 50 Jahre Volkswagen in EmdenIm Kreis der Familie: Ostfrieslands Hidden ChampionsVernunft contra Maschendrahtzaun: der Zusammenschluss in der Ems-AchseEiner allein kann nichts bewegen? Da kennen Sie Tullum nicht! Über Ostfrieslands Mister A31Eine Bombe platztAchtzehnstundenarbeitstage für ein KindInfrastruktur: ein LebensthemaUnd wieso jetzt Tullum?Wenn man nur Bahnhof versteht: Aurichs Sehnsucht nach dem SchienenverkehrOstfriesland geschenktUrkräfte am Werk: Wirtschaften mit Meer und WindWerften und Reeder in kabbeliger SeeWerften der Region Ems-Achse in ZahlenZu viele SchiffeDer Jade-Weser-Port: Flaute am KaiWindmacherDaten und Fakten zu EnerconVom Wind zum StromÖkonomie zum Anfassen: Wo man ostfriesischer Wirtschaft ins Herz schauen kannMilchwirtschaft: von Kuhkämpfen und MisswahlenKuhle StallvideosMiss Ostfriesland10 Kühe aus Ostfriesland, auf die der VOSt besonders stolz istDie zehn ertragreichsten Bullen aus Ostfriesland (rund 350000 verkaufte Spermaportionen pro Tier)Landwirtschaft zum AnfassenTourismus: Gast-Wirtschaft am »Ostfriesenspieß«Wo tummeln sich die Gäste? Vor allem auf den Inseln:Aber auch abseits der Küsten im Binnenland:Wo man am liebsten Ja sagtFriesische UnfreiheitDurch Ostfriesland mit einem EuroHandel mit Haus und Hof: die ImmobilienwirtschaftUrlaub für immer? Ferienimmobilien in OstfrieslandInselbonusDas Glück des Ostfriesen: Wohnen im eigenen HausStadt, Land, Fluss: Wo wohnen wie viel kostetDie Branche des größtmöglichen Optimismus: ostfriesische MaklerEin Haus im Ostfriesenstil? Rotklinker!Gebäude mit Wittmunder TorfbrandklinkerGebäude mit Wittmunder KlinkerDie Zeitungslandschaft: Ausdruck ostfriesischer FreiheitZu guter Letzt: eigenes Ostfriesengeld?NaturVorne hui und hinten? Noch mehr hui! Das ostfriesische BinnenlandOstfriesland, ein ParkMeer ohne KüsteSchaurig ist’s, übers Moor zu geh’nTorf für das DorfWenig Bäume? Mag sein, aber was für welche!Garden Route in Südafrika? Nein, in Ostfriesland!Burgfräulein und Schlossgespenst?Vermutlich spukfreie SchlösserMühlenlandDas Watt: Weltnaturerbe und gefährliches PflasterEmpfehlenswerte Wattwanderstrecken (einfache Strecken, zurück mit dem Schiff)Tod im WattWatt für Vögel waten im Watt?GlossarOstfrieslands natürliche Perlenkette: die Inseln – und zwar alle!Welcher Seemann liegt bei Nanni im Bett?Die bewohnten EilandeInseln in ZahlenVogelreich: die unbewohnten InselnIst eine künstliche Insel überhaupt eine?Unbewohnte UtwärtigeEs war einmal: die versunkenen InselnStrandfunde: Was man mitnehmen darfSportHauptsache, unter freiem Himmel: FriesensportBoßeln für KennerKlootschießenDer heimliche Nationalsport: SchöfelnSchöfeln is dat Moiste, wat et gift up de wereld*PultstockspringenKreierrennenGrober Unfug? »Ostfriesische« OlympiadeDisziplinenEchte MeisterAuf heißen Socken durch Ostfriesland: der legendäre Ossiloop[Kapitel]Yes, we can: Trendsport in OstfrieslandUnd was ist mit dem Spitzensport?Was sagt man dazu?KulinarischesZu Tisch! Wie Ostfriesland tafeltWas ist ein typisch ostfriesisches Gericht?Tatort Teestube?Was sagt man dazu?Nordsee, delikatEssbare Diplomaten aus OstfrieslandOstfrieslands härteste Droge: die BohntjesoppDamit Sie wissen, womit Sie es zu tun habenDie Teetied: Wie man sich in Ostfriesland bis auf die Knochen blamiertWas haben Sie falsch gemacht?Das ist ungewöhnlich – selbst für Ostfriesland»Feucht und fest ist allerbest!« Urkunde für den schönsten MisthaufenMaulwurfsfund HäuptlingsburgWir haben alles – auch einen ÄquatorFriesen-TequilaQuellen und LinksWichtige LinksDanke!Bittje scheef hett Gott [...]

Vorwort von Klaus-Peter Wolf

Ostfriesland ist Krimiland. Fast nirgendwo sonst auf der Welt gibt es prozentual zur Bevölkerung so viele Kriminalschriftsteller wie in Ostfriesland. Und einige von ihnen sind wirklich gut. Um wenigstens ein paar zu nennen: Christiane Franke, Regine Kölpin, Manfred C. Schmidt und Peter Gerdes.

Der Krimi made in Deutschland trat von hier aus seinen Siegeszug an. Hansjörg Martin schrieb 1965 auf Norderney seinen Krimi ›Gefährliche Neugier‹, der vom »Stern« vorabgedruckt wurde und ihn auf Anhieb berühmt machte. Sein zweiter Kriminalroman ›Kein Schnaps für Tamara‹ wurde in Norden verfilmt, und noch heute gibt es legendäre Aufführungen im Kino.

Alle zwei Jahre im November finden die Ostfriesischen Krimitage statt. Kriminalschriftsteller kommen aus dem ganzen Land an die Küste und lesen an ungewöhnlichen Orten, z.B. in der Museumseisenbahn auf der Fahrt von Norden über Hage nach Dornum. Nie sah ich einen Schaffner mit mehr Leidenschaft Fahrkarten abknipsen als dort.

Krimilesungen gibt es auch in der Polizeiinspektion, im Gericht und natürlich auf Schiffen. Aber hier heißt es früh buchen! Veranstaltungen während der Ostfriesischen Krimitage sind rasch ausverkauft.

In den Ferien – wenn die Touristen die Insel mit dem Fahrrad entdecken – gibt es auf Langeoog immer wieder Lesungen von beliebten Kriminalschriftstellern.

In Norden und Norddeich gibt es regelmäßige Stadtführungen zu den Schauplätzen meiner literarischen Verbrechen. Die kostenlose App Ostfriesenkrimi-Guide führt Leser zu den Kultstätten ostfriesischer Mordserien. In Leer darf man auf keinen Fall versäumen, die Krimibuchhandlung »Tatort Taraxacum« zu besuchen. Hier gibt es regelmäßig Lesungen, und der Koch im Restaurant ist kriminell gut.

Warum ist ausgerechnet Ostfriesland Schauplatz vieler literarischer Verbrechen? Warum zieht die Region Krimiautoren an?

Vielleicht hat das alles etwas mit der Geschichte Ostfrieslands zu tun. Hier gibt es den Wechsel der Gezeiten, und die Küste ist für viele ein mystischer Ort. Der Deich zieht eine klare Trennungslinie. Hier bist du in Sicherheit. Dahinter wartet das Abenteuer, möglicherweise aber auch der Tod auf dich.

Viele Ostfriesen waren früher Strandräuber. Nicht, dass sie kriminell waren, nein, das nicht. Es waren arme Fischer und Kleinbauern, die sich herrenlose Dinge aneigneten, die die Wellen an den Strand spülten. Dieses Strandgut sicherte vielen die Existenz. Wenn irgendwo ein Schiff unterging, kam bei einigen Freude auf, und wo die Männer selbst zur See fuhren, wussten sie, dass bald herrenlose Kisten angespült werden.

Das Strandrecht sah vor, dass, wenn die Besatzung umgekommen war, alles, was die Wellen anspülten, dem Strandgänger gehörte. Das führte in einigen Regionen leider dazu, dass falsche Leuchtfeuer gelegt wurden, um Schiffe in Seenot zu bringen. Die Mannschaft wurde dann nicht gerettet, sondern musste ersaufen, damit die Aneignung der Waren rechtens wurde.

1860, nach schweren Schiffsunglücken an der Nordseeküste, wurde in Emden ein Verein zur Rettung Schiffbrüchiger gegründet, aus dem die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) hervorging. Heute sind sechzig Rettungseinheiten im Einsatz. Die Rettungsflotte zählt zu den leistungsfähigsten der Welt. Der Verein feiert gerade sein hundertfünfzigstes Jubiläum.

Die Nachfahren der Strandräuber sind ehrenamtliche Helfer geworden. Doch noch immer lieben sie Geschichten, die von Recht und Unrecht handeln – eben Kriminalromane.

Geradezu ein Mekka für Ostfriesenkrimi-Fans auf literarischer Spurensuche ist das Café ten Cate, wo der (fiktive) Chef der ostfriesischen Polizei, Ubbo Heide, seine berühmten Marzipan-Seehunde kauft, die ihm helfen, wenn bei komplizierten Fällen seine Magensäure zu blubbern beginnt. Und hier steht tatsächlich Monika Tapper, die Freundin der Kommissarin Ann Kathrin Klaasen, hinter der Ladentheke. Und auch den Konditor Jörg Tapper gibt es wirklich. Hier im Café sitzen manchmal Autoren und schreiben (ich selbst auch sehr gerne). Und natürlich spielt das Café ten Cate in meinen Krimis eine wichtige Rolle.

Juist nennt sich Krimi-Insel, und Norden-Norddeich hat sich zur Krimi-Küste erklärt.

Direkt um die Ecke, knapp hundert Schritte weiter, liegt das Stadthotel Smutje.

Welcher Krimifan will nicht mal dort Deichlamm gegessen haben, wo Ann Kathrin Klaasen, die Galionsfigur der ostfriesischen Polizei, und ihr Mann, Kommissar Frank Weller, ein- und ausgehen? Am besten genießt man hier einen Ostfriesentee, der natürlich in einer edlen Porzellantasse auf einem Unterteller mit Kluntje und Sahne serviert wird. Dazu Krintstuut, Weißbrot mit Rosinen und Butter darauf.

Warum man den Tee ausschließlich in edlem Geschirr bekommt? Nun, alles andere würde gegen die Religion der Ostfriesen verstoßen. Tee ohne feines Porzellan? Das wäre nun wirklich ein Verbrechen.

 

Klaus-Peter Wolf

Munter![1]

Das Land der Ostfriesen ist flach und karg. Glaubt man. Und der ostfriesische Menschenschlag ist wortkarg, verschroben und einfältig. Das gehört zum Grundwissen jedes Utwärtigen (Fremden) – und ist ein echter Ostfriesenwitz.

Denn abseits der bekannten Pfade ist das Küstenland enorm vielfältig und manchmal geradezu verwunschen. Und was seine wortkargen Bewohner betrifft: Sie befinden sich überaus oft in Feierlaune, fallen gern bei ihren Nachbarn ein und nötigen sie zu einer Party. Verschroben? Nein, bloß unbeugsam in ihrem Freigeist, an dem sich die Obrigkeit stets die Zähne ausgebissen hat. Einfältig? Ist nur der Besucher, der nicht mitbekommt, wie erbarmungslos ihn ein Ostfriese verschaukelt.

Wenn Sie das Land der Ostfriesen besuchen, machen Sie es seinen Bewohnern nach: Verlieren Sie keine unnötigen Worte. Nehmen Sie sich Zeit, und schauen Sie genau hin. Sie werden mehr entdecken, als Sie ahnen.

Katharina Jakob und Insa Lienemann

Gesellschaft

Früher war alles besser?

Nicht in Ostfriesland. Derzeit erlebt die Region einen Aufschwung, im einstigen Armenhaus der Republik sind Arbeitsplätze keine Mangelware mehr. Man muss also nicht auswandern wie anno 1847, um anderswo sein Glück zu machen. Trotzdem bleibt der Ostfriese bei diesen Aussichten gelassen, denn er kennt so ein Auf und Ab gut. In seiner Heimat war das nie anders. Einst bitterarme Warftenbewohner mauserten sich zu wohlhabenden Bauern, die ihren Reichtum im Lauf der Jahrhunderte wieder einbüßten. Frisch eingedeichtes Land holte sich die See zurück, und alles begann wieder von vorn. Ostfriesen haben es gelernt, mit den Elementen und dem einzig Stetigen zu leben, das es auf der Welt gibt: der Veränderung.

Wer hierherkommt, kann sich also jede Menge Seelenruhe abschauen. Und dabei lernen, dass man manchmal nur ein Wort braucht, um einen ganzen Satz zu sagen. »Moin« etwa. Anderswo hieße das vielleicht: »Guten Morgen, ist das Wetter nicht toll heute? Haben Sie noch einen schönen Tag.« »Moin« bedeutet all dies. Es ist ein Gruß und verwandt mit »mooi«, dem Begriff für »gut« und »schön«. Deshalb sagt man »Moin« morgens, mittags, abends und nachts. Mehr braucht es nicht. Dennoch achtet der Ostfriese auf Nuancen. Wie Sie gleich noch sehen werden.

Wo sind Sie gerade? In Ostfriesland oder in Ost-Friesland?

Die Sache mit dem Bindestrich ist wichtig. Zumindest wichtig zu wissen, denn Ostfriesland und Ost-Friesland sind nicht identisch. Ostfriesland selbst ist das mehr als 3000 quadratkilometergroße Gebiet, das sich auf die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden beschränkt, hinzu kommen noch die Ostfriesischen Inseln. Das ist Ostfriesland. Ost-Friesland hingegen ist eine Erweiterung dieser Region um die Stadt Wilhelmshaven und den Landkreis Friesland. Manchmal zählen Touristiker bei der »Ferienregion Ostfriesland« auch noch Teile des Ammerlandes und des Emslandes hinzu. Die netteste Umschreibung des gesamten ost-friesischen Gebiets lautet »ostfriesische Halbinsel«. Diesen Begriff haben wir immer dann benutzt, wenn wir über Ostfrieslands Grenzen hinaus geschrieben haben.

Selbst sprachlich gibt es einen Unterschied: Ostfriesland hat seine Betonung auf der zweiten Silbe – Ostfriesland –, während man Ost-Friesland auf der ersten Silbe betont.

Warum muss man das wissen?

Weil sowohl der Landkreis Friesland als auch die Stadt Wilhelmshaven zum Oldenburger Land gehören. Oldenburger und Ostfriesen verband eine über die Jahrhunderte gepflegte innige Abneigung. Auch die Emsländer und die Ostfriesen waren einander nicht eben grün. Und dass die Ammerländer den Ostfriesenwitz in die Welt gesetzt haben, ist ebenfalls eine Sache, die der Ostfriese im Sündenregister notiert hat. Kurz, mit den Nachbarn hüben und drüben machte man sich nicht so gern gemein.

In heutigen Tagen wird mit den Ressentiments von einst meist humorvoll umgegangen, es gibt längst Kooperationen zwischen den Regionen. Doch die sportlichen Wettkämpfe, etwa beim Boßeln, haben bis heute Derby-Charakter. Als Ostfriese gegen einen Oldenburger zu gewinnen, ist noch immer das Salz in der Suppe jedes Teilnehmers.

Wenn sich ein Gast nicht blamieren will, kennt er also die Sache mit dem Bindestrich und verkündet nicht lauthals, dass er »auch schon öfter im Urlaub in Ostfriesland war«, wenn er die Stadt Jever besucht hat. Denn die liegt – genau – im Oldenburgischen. (Übrigens: Jever wird mit Vogel-Vau ausgesprochen, also wie »Je-fer«.)

Ostfriesland in Kürze

Geographisches Gebiet: Ostfriesland liegt in Deutschlands äußerstem Nordwesten. Im Norden grenzt es an die Nordsee, im Westen an den Dollart und an die Niederlande. Zu Ostfriesland gehören die Landkreise Aurich, Leer und Wittmund sowie die kreisfreie Stadt Emden und die Ostfriesischen Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog. Wangerooge wird zwar auch zu den Ostfriesischen Inseln gezählt, gehört aber zum Oldenburger Land.

 

Fläche: rund 3000 Quadratkilometer (exakt: 3144,26 km2)

 

Einwohner: rund 460000. Ostfriesland ist eine dünn besiedelte Region (zum Vergleich: In Berlin leben etwa 3,4 Millionen Menschen auf knapp 892 Quadratkilometer Fläche).

 

Größte Stadt: Emden (Einwohnerzahl: 49551, Stand 2013, Statistisches Bundesamt). Aurich wird dagegen als heimliche Hauptstadt Ostfrieslands bezeichnet, da es lange Zeit Verwaltungssitz der jeweiligen Obrigkeit war (Einwohnerzahl: 40559). Leer ist einer der wichtigsten Reederei-Standorte Deutschlands (Einwohnerzahl: 33892).

 

Wichtigste Branchen: Tourismus, Landwirtschaft (vor allem Milchwirtschaft), maritime Wirtschaft (Reedereien, Werften), Automobilbau und erneuerbare Energien (Windkraft)

 

Parteienlandschaft: Ostfriesland ist traditionelles SPD-Land (während das katholisch geprägte Emsland der CDU zugeneigt ist).

 

Landessprache: Ostfriesisches Platt (Variante des Niederdeutschen)

 

Religionszugehörigkeit: mehrheitlich protestantisch, in einigen Gemeinden evangelisch-reformiert. Die römisch-katholische Kirche befindet sich stark in der Minderheit (etwa sieben Prozent der Ostfriesen); in Emden steht die erste ostfriesische Moschee, die Eyüp-Sultan-Moschee; Juden gibt es nur noch wenige in Ostfriesland, sie gehören zur jüdischen Gemeinde in Oldenburg (derzeit 314 Mitglieder).

 

Fremde Herren: Die Ostfriesen waren jahrhundertelang ihre eigenen Herren. Doch irgendwann ging diese Ära zu Ende, und die Zeit der Fremdherrschaft begann:

1744: Carl Edzard, der letzte ostfriesische Cirksena-Fürst, stirbt kinderlos. Preußenkönig Friedrich der Große übernimmt die Herrschaft über Ostfriesland.

1807–13: Preußen unterliegt Napoleon, Ostfriesland fällt erst unter niederländische, dann unter französische Herrschaft, geht 1813 wieder an Preußen zurück.

1815: Preußen tritt Ostfriesland an das Königreich Hannover ab.

1866: Ostfriesland wird erneut preußisch.

1946: Nach dem Zweiten Weltkrieg gehört Ostfriesland zum Bundesland Niedersachsen.

 

Unverzichtbare ostfriesische Lektüre: der Ostfreesland-Kalender, auch »Kalender für Jedermann« genannt. Ihn gibt es seit 1914. Er ist ein Lese- und Nachschlagewerk zugleich. Außer Geschichten, Gedichten und historischen Beiträgen finden sich darin auch die Hochwasserzeiten, ein Trächtigkeitskalender und etwa 2000 Adressen aller möglichen Vereine und Behörden.

Ostfriesische Mentalität für Einsteiger

Das Wichtigste ist schnell gesagt: In Ostfriesland ist alles anders als im Rest der Republik, denn die Bewohner kochen in fast jeder Hinsicht ihr eigenes Süppchen. Sie trinken zehnmal mehr Tee als im übrigen Land. Sie geben ihren Kindern Namen, die man sonst nirgends hört, sie pflegen besondere Sportarten, haben einen eigenen Äquator und lassen sich von ihren persönlichen Heilkundigen behandeln – den legendären Knochenbrechern –, die sie oft lieber aufsuchen als Ärzte. Sie hatten früher eine ganz eigene Sprache, die inzwischen ausgestorben ist: das osterlauwerssche Friesisch. Nicht zu verwechseln mit dem Platt, das heute in der Region gesprochen wird und das ein Auswärtiger genauso wenig versteht. Ja, sie hatten bis 2013 sogar ein eigenes ostfriesisches Facebook namens Morphex, das aber inzwischen seinen Dienst eingestellt hat. Kurz: Die Ostfriesen sind ein sehr eigenes Volk.

Das hat historische Gründe, und die wiederum haben viel mit der abgelegenen Position der ostfriesischen Halbinsel zu tun. Sie drängt sich an den äußersten nordwestlichen Rand Deutschlands. In früheren Zeiten waren die Bewohner vollauf damit beschäftigt, ihren Platz auf dieser Scholle zu behaupten: Von der einen Seite rollte das Meer heran, das ihnen immer wieder das Land wegspülte, zur anderen Seite, zum Binnenland hin, lagen die Moore. Und die mussten erst mal trockengelegt werden, wollte man überhaupt Grund unter die Füße bekommen. Die Region war also alles andere als lieblich. Hier kam auch kein Fremder vorbei, um sich mal die Gegend anzusehen. All das formte den ostfriesischen Menschenschlag, wie Wasser Kieselsteine poliert. Nur dass der Ostfriese sich seine Kanten bewahrt hat.

Niemandem untertan

Weil er hart dafür gekämpft hat, dass sein Land auch Land bleibt, hat er wenig Sinn für Smalltalk. Dabei ist er durchaus gesellig: Zum Feiern muss ihn keiner überreden. Gern taucht er bei seinen Nachbarn auf, um sie zu einem Umtrunk zu bewegen. Mit Wind und Wetter kommt er bestens klar, Windmacher auf zwei Beinen sind ihm allerdings ein Gräuel. Wer sich vor einem Ostfriesen dicke machen will, wird alle Facetten ostfriesischer Geringschätzung zu spüren bekommen. Im besten Fall wird er zur Zielscheibe gnadenloser Hänseleien. Ein Gast ist also gut beraten, sich zurückhaltend und höflich zu benehmen.

Apropos: Es ist nicht höflich, einem Ostfriesen einen Ostfriesenwitz zu erzählen und zu erwarten, dass er herzlich mitlacht. Diese Menschen sind stolz. Sie haben zwar gelernt, gelassen mit der Plage der Landeswitze umzugehen, aber man sollte ihren Langmut nicht überstrapazieren. Mit freundlichem Understatement kann man es dagegen in Ostfriesland weit bringen. Und zwar ziemlich ungestört. Das ist ein großes Plus: Ostfriesen sind recht tolerante Leute. Wer anders leben will, wird in Ruhe gelassen, selbst auf den Dörfern. Soziale Kontrolle wie anderswo gibt es hier wenig. Das liegt vor allem an der tiefen, historischen und allumfassenden Liebe des Ostfriesen zur Freiheit.

Jahrhundertelang hat er allem getrotzt, was ihn regieren wollte, und seine eigenen Oberhäupter durchgesetzt. Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, Ex-Landesvater von Niedersachsen und bekennender Ostfriesland-Fan, sprach immer wieder von der 800-jährigen Freiheitsgeschichte der Ostfriesen. Es war ihm während seiner Amtszeiten nicht entgangen, dass der politische Einfluss von Brüssel, Berlin oder Hannover auf das Küstenvolk auffallend gering ist. Doch diese Liebe zur Freiheit kann manchmal auch paradox sein: Ostfriesen wohnen nicht gern zur Miete, da wäre man ja abhängig von einem Vermieter. Sie haben lieber ein eigenes Haus, auch wenn das bedeutet, ein Leben lang im Joch des Kreditzahlers zu stecken.

Wie gewinnt man nun das ostfriesische Herz?

Indem man zum einen offen ist für die raue Schönheit des Landes, denn die Ostfriesen sind zutiefst heimatverbunden. Sie freuen sich, wenn der Gast nicht gleich zur Küste durchfährt, sondern auch Augen hat für den Rest der Region. Zum anderen, indem man sich niemandem aufdrängt oder zum Plaudern bewegen will, sondern diskret und gelassen bleibt. Und wer es dann noch hinkriegt, über Witze auf seine Kosten zu lachen, hat den Respekt seines ostfriesischen Gegenübers gewonnen. Wenn nicht sogar einen Freund.

Ostfriesen lieben ihr Land

Und sie haben alles, was ein freier Staat braucht: eine eigene Flagge, Wappen und eine Hymne. Folgerichtig spricht auch die Ostfriesische Botschaft (ja, die gibt es tatsächlich) vom Freistaat Ostfriesland.

Ein Land, zwei Wappen

Ostfriesland hat nicht nur ein Wappen, sondern gleich zwei. Das eine, das man häufiger sieht, wurde um 1625 von einem Abkömmling der ostfriesischen Grafenfamilie Cirksena geschaffen. Es stellt so etwas wie eine Collage aus den Wappen der wichtigsten ostfriesischen Häuptlingsfamilien dar. Ostfriesland war viele Jahrhunderte lang das Land freier Bauern, die sich ihre Vertreter selbst wählten. Aus den Familien dieser Volksvertreter entstanden später ostfriesische Häuptlingsdynastien, noch später Grafengeschlechter.

Neben den Symbolen trägt dieses Wappen die ostfriesischen Landesfarben Schwarz, Rot und Blau. Über all dem steht ein seltsamer Spruch: Eala Frya Fresena.

Das bedeutet so viel wie: Seid gegrüßt, freie Friesen! Oder auch: Erhebt euch, freie Friesen! Diese Worte stehen für die historische »Friesische Freiheit«, das verbriefte Recht des Küstenvolks früherer Zeiten, sein eigener Herr zu sein. Ostfrieslandgäste werden Eala Frya Fresena überall in der Region entdecken können, in Souvenirshops, auf Autoaufklebern, ja sogar auf Schildern an den beiden Autobahnen A28 und A31.

Warum aber zwei Wappen? Dem liegt kein Streit rivalisierender Herrscherhäuser zugrunde, sondern eine ostfriesische Besonderheit: die »Ostfriesische Landschaft«. Mit Geographie hat sie rein gar nichts zu tun. Die Ostfriesische Landschaft war eine Ständevertretung im Mittelalter und verfocht die Belange der ostfriesischen Bevölkerung (in Gestalt der Stände Ritter, Bürger und Bauern) gegenüber dem jeweiligen Landesherrn. Im Jahr 1678 wurde ihr ein eigenes Wappen vom römisch-deutschen Kaiser verliehen. Sie besaß neben den regierenden Fürsten umfangreiche politische Rechte, wurde quasi wie ein Souverän betrachtet. Das war in Deutschland einmalig: Hier stand eine Volksvertretung auf Augenhöhe mit dem regierenden Herrscherhaus.

Heute ist die Ostfriesische Landschaft ein Kulturparlament (in der Form einer Körperschaft des öffentlichen Rechts) und nimmt kulturelle, wissenschaftliche und bildungsbezogene Aufgaben wahr. Ihre Mitglieder werden von den Kommunalparlamenten der drei Landkreise Aurich, Wittmund und Leer sowie der Stadt Emden gewählt.

Das Wappen der Ostfriesischen Landschaft zeigt in seiner Mitte einen Baum auf rotem Grund, daneben einen Mann in Rüstung: ein Hinweis auf den Upstalsboom, den einstigen Treffpunkt der ostfriesischen Volksvertreter.

Flagge

Sie besteht aus drei Querbalken in den Landesfarben Schwarz, Rot und Blau. Auch diese gehen auf die wichtigsten Häuptlingsfamilien zurück: Schwarz für die Familie der Cirksena, Rot für die tom Brok und Blau für die Wappen der Harlingerländer.

Hymne

Die ostfriesische Hymne oder schlicht »das Ostfriesenlied« entstand aus Heimweh. Der Landesdichter Enno Wilhelm Hektor musste 1849 auswandern, weil er zu Hause kein Auskommen mehr fand. 1850 dichtete er in der Fremde ein Lied der Wehmut und nannte es »Sehnsucht nach der Heimat«. Die Melodie kennt jedes Kind, sie ist dieselbe wie die des Volkslieds »Weißt du, wie viel Sternlein stehen?«.

Insgesamt hat das Lied fünf Strophen. Aber schon nach der zweiten weiß man, dass der Dichter ein Paradies auf Erden verlassen hat.

In Oostfreesland is’t am besten

In Oostfreesland is’t am besten

over Freesland geit der nix!

War sünd woll de Wichter mojer,

war de Jungse woll so fix?

In Oostfreesland mag ik wesen,

anners nargens lever wesen,

over Freesland geit der nix.

 

Nargens bleiht de Saat so moje,

nargens is de Buur so riek,

nargens sünd de Kojen fetter,

nargens geiht de Ploog so liek,

nargens gifft’t so feste Knaken,

weet man leckerder to maken

Botter, Kees’ un Karmelkbree.

(Enno Hektor, 1850)

Für alle Nichtostfriesen die Übersetzung:

In Ostfriesland ist’s am besten

In Ostfriesland ist’s am besten

über Friesland, da geht nichts!

Wo sind wohl die Mädchen schöner,

wo die Jungen wohl so tüchtig?

In Ostfriesland mag ich sein,

nirgendwo anders lieber sein,

über Friesland, da geht nichts.

 

Nirgendwo blüht die Saat so schön,

nirgendwo ist der Bauer so reich,

nirgendwo sind die Kühe fetter,

nirgendwo geht der Pflug so gerade,

nirgendwo gibt’s so feste Knochen,

weiß man leckerer zu machen

Butter, Käse und Buttermilchbrei.

Humor in Ostfriesland: Wer Spaß hat und wer nicht

Ostfriesen haben tatsächlich einen ganz speziellen Humor, der vor allem darin besteht, sich und andere auf den Arm zu nehmen. Recht anschaulich symbolisiert das die Brunnenfigur des Jan Schüpp in der Stadt Wittmund. Der kleine Arbeiter aus Bronze hält eine Schaufel (»Schüpp«) am Griff und steht zugleich mit einem Fuß auf dem Schaufelblatt, nimmt sich also buchstäblich selbst auf die Schippe. Jan Schüpp steht für eine typisch ostfriesische Lebenshaltung, und die heißt: Nimm dich nicht so wichtig.

Diese Einstellung hat wie der Eigensinn der Ostfriesen ebenfalls historische Gründe. Die Küstenregion war und ist ein stets von Stürmen heimgesuchtes Land, und oft genug ging es ums nackte Überleben. Brach der Deich, wurden ganze Dörfer überspült und Existenzen vernichtet. Da brauchte man rasch zupackende Nachbarn, die sich wortlos gegenseitig halfen. Was man nicht brauchte, waren Wichtigtuer und Maulhelden.

Das Wissen, wie schnell die Natur von Menschenhand Errichtetes zerstören kann, trägt jeder Ostfriese in seinen Genen, auch wenn es dem Nachwuchs heute kaum mehr bewusst ist. Dass gemeinsam der Deich gesichert werden musste, ist ja schon lange her. Doch ob bewusst oder nicht, aufgrund seiner turbulenten Vergangenheit neigt der Ostfriese zum Understatement – und zur Frotzelei, und beides zusammen ergibt einen sehr eigenen Sinn für Humor. Auswärtigen vergeht dabei manchmal das Lachen. Denn besonders die Insulaner lieben Scherze auf Kosten ihrer Touristen. Es ist ziemlich schwer, nicht auf die Sprüche eines Ostfriesen hereinzufallen, werden die in der Regel doch knochentrocken vorgetragen.

Einen Vorteil hat die Sache allerdings: Wer über sich selbst lachen kann, wird sich in Ostfriesland gut amüsieren.

Humor für Fortgeschrittene

Halten wir fest: Der Ostfriese mag keine Aufschneider. Trifft er welche, wird er kaum davon abzubringen sein, sie gründlich zu verladen. Denn darin hat er Routine, wird das Sprücheklopfen doch von früher Jugend an geübt. Ein Nichtostfriese kann hier unmöglich mithalten. Daher sind Gäste gut beraten, einfach nur mitzulachen und sich ansonsten diskret zu verhalten, wenn sie nicht zur Zielscheibe derber oder subtiler Zoten werden wollen. Dies gilt besonders in den klassischen Touristengebieten.

Etwa in Suurhusen, wo die Kirche mit dem allerschiefsten Turm der Welt steht (nein, eben nicht in Pisa). Dort haben es die beiden Kirchenführer Eilt Dirks und Tjabbo van Lessen zur Meisterschaft im landestypischen Humor gebracht. Sie versprechen, bei ihren Führungen »immer bei der Wahrheit zu bleiben«, und das ist sicherlich der Fall, solange es um die historischen Fakten geht. Alles andere ist definitiv ohne Gewähr. So wollte eine ältere Dame aus Bayern wissen, wo sich in diesem schlichten sakralen Bau denn der Beichtstuhl befände. Den brauche man hier nicht, sagte ihr Tjabbo van Lessen. Das konnte die Urlauberin aus Süddeutschland kaum fassen. Vollends aus dem Takt brachte sie allerdings die Begründung: »Weil wir im Norden ohne Sünde sind.«

Böskupp van Oostfreesland

Weitere Beispiele für ostfriesischen Humor finden sich auf der Internetseite der Ostfriesischen Botschaft (www.botschaft-ostfriesland.de). Sie nennt sich »Böskupp van Oostfreesland«, wobei Böskupp einfach Nachricht heißt. Eigentlich ist das eine Plattform für Landsleute, die es ins Ausland verschlagen hat, aber auch Ostfriesland-Fans sind hier gern gesehen. Interessierte können im umfangreichen Wörterbuch der plattdeutschen Sprache stöbern und sich mit ersten Informationen über »die friesischen Gebiete« versorgen. Dabei erfahren sie, dass viele Deutsche Schwierigkeiten haben, die Region überhaupt zu orten. Das müsse an der Bezeichnung des Landstrichs liegen, sinnieren die Betreiber der Seite. Denn schließlich heiße es »Ostfriesland«, liege aber im äußersten Westen der Republik. Da könne man schon mal ins Schleudern kommen.

Außerdem klärt die Botschaft über die Einreisebestimmungen nach Ostfriesland auf und beruhigt den besorgten Urlauber: Eine Visumspflicht besteht derzeit nicht.

Selbst Ostfriese werden

Wer sein Herz an das Küstenland verloren hat, kann sich hier auch einem Einbürgerungstest unterziehen und einen Ostfriesenausweis beantragen. Allerdings muss zuerst ein Fragebogen ausgefüllt werden, und der hat es in sich. Wer etwa nicht weiß, wo der Ostfriesentee wächst (Tipp: nicht bei Bünting*