Ours. Die Stadt - Phillip B. Williams - E-Book

Ours. Die Stadt E-Book

Phillip B. Williams

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Beschreibung

Ein bildgewaltiges Epos über die Freiheit - »Ein kühnes, wildes, oft betörendes Buch.« Guardian Nördlich von St. Louis liegt in den 1830er Jahren eine Stadt, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist: Ours. Gegründet und beschützt von der mächtigen Saint, einer geheimnisvollen Frau mit noch geheimnisvolleren Kräften, ist sie Zufluchtsort für die Verlorenen, ehemals Versklavten, die Geretteten. Hier schlagen sie Wurzeln, werden zu Nachbarn und Familien, zu Liebenden. Jahrzehntelang gelingt es Saint und ihrem stummen Begleiter, die Gemeinschaft vor den brutalen Übeln der Welt zu bewahren. Doch als ihre eigenen Verwundungen immer dunklere Schatten werfen und eine neue Macht in die Stadt eindringt, beginnt die Gemeinschaft sich zu fragen, ob Sicherheit sich nicht unweigerlich auf Unfreiheit gründen muss, sogar an einem Ort wie dem ihren. Phillip B. Williams' »Ours« ist ein visionärer Roman, der in der radikalen Neuschöpfung der Vergangenheit eine Stimme für unsere Gegenwart findet, und eine so intime wie elementare Geschichte darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.  »Dieser Roman erhebt sich in den höchsten Himmel.« Los Angeles Times »Fans von The Underground Railroad und Der Wassertänzer werden diese lyrische und surreale Saga verschlingen… Absolut befreiend.« Oprah Daily

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Phillip B. Williams

Ours. Die Stadt

Roman

 

Aus dem amerikanischen Englisch von Milena Adam

 

Über dieses Buch

 

 

Nördlich von St. Louis liegt in den 1830er Jahren eine Stadt, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist: Ours. Gegründet und beschützt von der mächtigen Saint, einer geheimnisvollen Frau mit noch geheimnisvolleren Kräften, ist sie Zufluchtsort für die Verlorenen, ehemals Versklavten, die Geretteten. Hier schlagen sie Wurzeln, werden zu Nachbarn und Familien, zu Liebenden. Jahrzehntelang gelingt es Saint und ihrem stummen Begleiter, die Gemeinschaft vor den brutalen Übeln der Welt zu bewahren. Doch als ihre eigenen Verwundungen immer dunklere Schatten werfen und eine neue Macht in die Stadt eindringt, beginnt die Gemeinschaft sich zu fragen, ob Sicherheit sich nicht unweigerlich auf Unfreiheit gründen muss, sogar an einem Ort wie dem ihren. Phillip B. Williams' »Ours« ist ein visionärer Roman, der in der radikalen Neuschöpfung der Vergangenheit eine Stimme für unsere Gegenwart findet, und eine so intime wie elementare Geschichte darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Phillip B. Williams, geboren in Chicago, Illinois, ist Autor von zwei Gedichtbänden, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem mit dem American Book Award, außerdem stand er in der Endauswahl für den PEN/Voelcker Award for Poetry Collection. Derzeit unterrichtet er Kreatives Schreiben an der New York University. »Ours. Die Stadt« ist sein erster Roman.

Inhalt

[Widmung]

Erster Teil

1. Kapitel Blut und Licht

[1]

2. Kapitel Go Down, Moses

[1]

[2]

[3]

[4]

[5]

3. Kapitel Die Plage der Anmaßung

[1]

[2]

[3]

[4]

[5]

4. Kapitel Im Geäst

[1]

[2]

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[4]

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[6]

5. Kapitel Gift

[1]

[2]

[3]

6. Kapitel Entblößung

[1]

[2]

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[4]

[5]

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[7]

[8]

7. Kapitel Im Inneren

[1]

[2]

[3]

[4]

8. Kapitel Anweisungen

[1]

[2]

[3]

Zweiter Teil

9. Kapitel Monster

[1]

[2]

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[6]

[7]

10. Kapitel Frances und Joy

[1]

11. Kapitel Entwirren

[1]

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12. Kapitel Totzeit

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13. Kapitel Hölle

[1]

[2]

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[6]

[7]

[8]

14. Kapitel Immergrün/Tauwetter

[1]

[2]

[3]

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[5]

[6]

[7]

15. Kapitel Einsicht

[1]

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16. Kapitel Die Außenseiter

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[8]

17. Kapitel Kwames Krone

[1]

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[10]

[11]

[12]

[13]

[14]

Dritter Teil

18. Kapitel Weiße Laken

[1]

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[5]

[6]

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19. Kapitel Sintflut

[1]

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20. Kapitel Eine Machtdemonstration

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[3]

[4]

21. Kapitel Als Gemeinschaft

[1]

[2]

[3]

[4]

22. Kapitel Wieder vereint

[1]

[2]

[3]

[4]

23. Kapitel Das Nichtsehen

[1]

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24. Kapitel Krieg

[1]

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[4]

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[6]

25. Kapitel Gottesstuhl

[1]

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26. Kapitel Trauer

[1]

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27. Kapitel Überzeugung

[1]

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28. Kapitel Unwiederbringlich

[1]

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[4]

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[8]

[9]

29. Kapitel Nach Hause

[1]

[2]

Schlusssatz

Danksagung

Anmerkungen des Autors

Für meine Großeltern auf der anderen Seite

Für meine Mutter im Hier und Jetzt

Erster Teil

1. KapitelBlut und Licht

[1]

Knapp zweihundert Jahre, bevor der Junge, der an der Kreuzung zwischen First Street und Bank Street erschossen wurde, sich aus der Blutlache erhob und seinen Namen sprach, als wäre er ihm soeben gegeben worden, befand sich genau dort, wo der Junge erschossen worden war, eine Stadt namens Ours, gegründet von einer rätselhaften und furchteinflößenden Frau. Doch vielleicht beginnt diese Geschichte schon hunderte Jahre zuvor an den Ufern des trüben Apalachicola River, oder noch früher, auf einem Schiff namens Divider, das jene, die man irrigerweise für die Zukunft der Sklaverei hielt, in die westliche Welt holte.

An welchem dieser drei Orte man auch beginnt, man landet in jedem Fall wieder hier bei diesem siebzehnjährigen Jungen, der gerade die elfte Klasse der High School abgeschlossen hat, eine Flasche Fanta Orange rollt über die Straße und ergießt ihren Inhalt auf den Asphalt, nur ein Stück weit entfernt vom Körper des Jungen, aus dem das Blut rinnt, bis es versiegt, bis der Junge, von neuem Geist und Atem beseelt, von neuer Einsicht erschüttert, die bis eben fest verschlossenen Augen aufschlägt. Drei Stunden lang hatte er mitten auf der Straße gelegen, das Absperrband trennte ihn von Nachbarinnen, Freunden und Familie. Das ganze Viertel war beim Krachen der Schüsse aufgeschreckt. Dann war er zu Boden gegangen, und alle versammelten sich, wettergegerbt und ohne Gesang, um mitanzusehen, wie ein weiterer ihrer Jüngsten seinen letzten Atemzug tat.

Doch nun war er aufgestanden, und seine Wunden waren bloß noch Erinnerungen, als er die Stellen berührte, an denen er getroffen worden war, ein Nachhall von Schmerz war noch darin, bis auch dieser sich verflüchtigte, in der Luft lag der Geruch von verbranntem Maisbrot, weil jemand alles stehen und liegen gelassen hatte, damit er nicht stundenlang allein hier liegen musste. Sie alle hatten etwas zurückgelassen, um gemeinsam auf dieser Straße zu stehen, berühren konnten sie ihn nicht, wegen der Absperrung und der Anweisung »zurück!« zu treten, die man ihnen entgegenbrüllte, als hätten sie so wenig für den Jungen übrig wie jene, die ihn erschossen hatten.

Er klopfte seine Kleidung ab und sah in die Gesichter der Umstehenden, die Worte »Was zur Hölle, Nigga …?« schälten sich aus einem Mund, der vor Erstaunen ein makelloses Rund formte. Das ganze Viertel verstummte, und nur diese Frage hing in der Luft, und auf einmal kochte der Lärm in der Menge hoch, obwohl die Bullen dabeistanden, aber wen scherte das noch, nun, da die Toten auferstanden waren?

Und er hörte jemanden in der Menge seinen Namen rufen, eine klare und vertraute Stimme, doch ein Teil von ihm erinnerte sich nicht mehr, zu wem sie gehörte. Er war nun zweigeteilt: Ein Teil lag in der Zukunft, der andere in der Vergangenheit.

Um diese Reise anzutreten, musst du dich rückwärts bewegen. Der Körper des Jungen fällt zurück auf den heißen Asphalt, die Orangenlimonade strömt zurück in die Flasche und das Blut zurück in den sich aufheizenden Körper; dann erhebt sich der Körper, und die Kugeln schrauben sich aus seiner rechten Lunge, dem Hals und dem Hinterkopf, aus dem hinteren Oberschenkelmuskel, der rechten Pobacke, dem rechten Trizeps, dem linken Schulterblatt, dem –; seine Leiche wird zu einem lebendigen Ich, während Knochenteile sich wieder zusammenfügen und zurück in die rot-schwarze Wunde drängen, während die nassen Risse wieder zusammenwachsen, das weiße Fleisch von unversehrten Muskeln und ungekochtem Fett eingesaugt wird und sich hinter dem austretenden, rückwärts fliegenden Projektil verschließt; die Luft, die einst von den Kugeln verdrängt worden war, kehrt aus der Krümmung dieser Verdrängung zurück; die silbernen Kugeln kriechen in die schwarze Pistole, wie ein scheußliches Organ sich in sein finsteres Element zurückzieht, jetzt krachen Schüsse und pfeift der Wind, dann grollt es, dann wird es still; und das Schwarze Fingerglied löst sich vom Abzug; der Junge steht mit dem Rücken zur Polizei, als die Fantaflasche zurück in seine Tasche schwebt; und weiter zurück, Wochen, der Junge liegt schlafend im Bett, und ein kleiner Lichtkreis steigt aus seinem Körper. Die Legende nimmt ihren Anfang an dem Ort, zu dem das Licht den Weg weist. Am Ende lehrt dich der Junge womöglich seinen Namen.

2. KapitelGo Down, Moses

[1]

Die Gründung von Ours geht auf ein einziges Ereignis zurück. Mehrere weiße Familien siedelten auf einem Stück Land, das daraufhin Graysville genannt wurde. Dreh- und Angelpunkt der Gemeinde war die Graysville-Flint-Bank unter der Leitung von Mr. George Flint, der Gerüchten zufolge irgendwo in Maine Hunderttausende Dollar mit Immobilien verdient hatte. Er gründete Graysville aus einer Laune heraus. Von einer jähen Abenteuerlust ergriffen, packte er seine Besitztümer zusammen und ließ den Rest nachschicken, sobald er es über den Mississippi geschafft hatte und sich in St. Louis, Missouri, wiederfand.

Dort bereitete ihm das Bankgeschäft nur Ärger, die etablierten Filialen hatten wenig oder gar keinen Spielraum für eine neue Führungskraft und zeigten keinerlei Interesse an seiner Halsabschneidertaktik, Kredite an die Bedürftigsten zu verteilen, die dann mit größter Wahrscheinlichkeit ihre Schulden nicht bezahlen würden, und ihnen noch die Betten aus den Häusern zu pfänden, wenn die Zahlungen nicht rechtzeitig eintrafen.

Die Kunde von seiner Ankunft eilte ihm voraus wie eine Landplage, und das gesamte Bankwesen verweigerte ihm jeglichen Kontakt. Mr. Flint blieb nichts anderes übrig, als weiterzuziehen. Ein paar Meilen nördlich von St. Louis entdeckte er ein mit Wäldern und Stärlingen überfrachtetes Nichts. Er verwendete sein Vermögen, um jedes bisschen Natur auszureißen, das seiner Finanzvision im Wege stand. Er kaufte das Land und teilte es in Grundstücke auf, die er an jeden verkaufte, der zwischen 130 und 200 Dollar aufbringen konnte.

Im Jahr 1834 ging die Nachricht um, dass nördlich von St. Louis ein Entwicklungsprojekt angelaufen sei und man dort große Grundstücke günstig erwerben könne. Mr. Flint machte sich einen Namen und ebenso seiner Firma, die er Oriole Street Realty Corporation nannte. Zwischen 1833 und 1834 zogen über 120 Menschen nach Graysville und brachten mehr als drei Dutzend Unternehmen mit.

Im Sommer 1834 erschienen eine Frau und ein Mann, beide schwarz, am Ortseingang. Vom Moment ihres Auftauchens bis zu ihrer Ankunft vor der neu errichteten Filiale der Graysville-Flint-Bank standen sie unter Beobachtung. Die Filiale war noch keine zwei Jahre in Betrieb, als die beiden eintraten und die Frau »den Vorsteher dieser Bank« zu sprechen forderte. Alle Angestellten starrten sie an, ein Mann sogar derart fieberhaft, dass der Stift hinter seinem Ohr von dem ausbrechenden Schweiß hervorgeschwemmt wurde und klappernd auf den Holzboden fiel, woraufhin der Mann zusammenfuhr. Die Frau räusperte sich und wiederholte die Forderung. Irgendjemand stand auf und eilte nach hinten.

Wenige Augenblicke später erschien Mr. Flint, einen Revolver im Holster. Die Angestellten duckten sich unter ihre Schreibtische. Manche der Bänker verließen das Gebäude und warteten darauf, dass Schüsse knallten und zwei Leichen auf die Straße geschleift wurden. Mr. Flint starrte die Frau an und wandte sich dann an den hochgewachsenen, kräftigen Mann, der sie begleitete.

»Was suchen Sie hier?«

»Ich habe gehört, dass Sie ein paar Grundstücke zu verkaufen haben. Ich möchte eines erwerben. Mir ein Haus bauen«, sagte die Frau. Der Mann, mit dem sie gekommen war, stand seitlich versetzt hinter ihr, so dass Mr. Flint sich umdrehen musste, um die Frau zu betrachten, an der er eben nur hastig vorbeigegangen war.

Es gefiel ihm nicht, dass ein solcher Größenunterschied zwischen dem Mann und der Frau bestand, dass ihr Scheitel, obwohl sie durchschnittlich groß war, ihm gerade einmal bis zum Kinn reichte. Mr. Flint war annähernd zehn Zentimeter kleiner als der Mann, und das Schweigen desselben gepaart mit seiner gewaltigen Körpergröße und dem ungerührten, ins Leere gehenden Blick strahlten unverblümte Feindseligkeit aus.

»Ist dieser Mann Ihr Gatte?«, fragte Mr. Flint. »Wenn dem so ist, hätte er Ihnen sagen müssen, dass wir hier nicht an Farbige verkaufen. Das ist illegal. Draußen hängt ein Schild. Wenn er nicht Ihr Gatte ist, hätte er es Ihnen trotzdem sagen müssen. Es hätte Ihnen beiden viel Zeit gespart, hätten Sie das Schild« – er hielt inne – »lesen können.«

»Aber Sir, ich habe Geld, um –«

»Da ist nichts zu machen«, sagte Mr. Flint und ging zurück in Richtung seines Büros. »Bitte gehen Sie.«

»Und was ist damit?« Die Frau griff in eine große Tasche, die offenbar in ihr Kleid eingenäht worden war, und holte 1500 Dollar in bar heraus, die mit Jasminzweigen zu einem festen Bündel geschnürt waren. Mr. Flint brach in hemmungsloses Gelächter aus, er schien nun ganz außer sich vor Begeisterung und lächelte ein breites Hundeschnauzenlächeln. Mit einem »Folgen Sie mir!« führte er sie in sein Büro.

Es war durchaus korrekt, dass ihm rechtliche Konsequenzen drohten, wenn er ihr gegenüber als Makler agierte, doch jemanden, der solche Summen in bar mit sich herumtrug, konnte er nicht einfach stehen lassen. Er war munter, fühlte sich beinahe dafür verantwortlich, für die Frau und ihren schweigsamen Begleiter eine Lösung zu finden. Er beschloss, dass sie ihr Grundstück von einem unabhängigen Verkäufer erwerben würde, jemandem, der das Land in seinem eigenen Namen kaufte und es legal an sie weiterverkaufte, ohne dass offiziell ein Makler involviert war. Mr. Flint sagte, er müsse, weil schon ein Haus darauf stehe, einen höheren Preis verlangen, obwohl das nicht stimmte. Sie war einverstanden mit der Summe, 1500 Dollar für 250 Quadratmeter, und zog sofort ein. In nicht einmal drei Monaten war der gesamte Ort verlassen, die weißen Bewohner zogen in den Süden nach St. Louis, einige wenige auch in den Norden nach Delacroix. Die flüchtenden weißen Bewohner verkauften ihre Grundstücke samt Häusern und Möbeln für das Dreifache des ursprünglichen Kaufpreises an Negroes. Ein Drittel des Profits traten diese an Mr. Flint ab und verwendeten den Rest ihrer Einkünfte anderswo. Graysville wurde zu Ours, und die neue Bewohnerschaft nannte man fortan die Ouhmey.

Nachdem die Frau und der Mann sich dort niedergelassen hatten, folgten ihnen immer mehr Negroes, die durch Hörensagen von Ours erfahren hatten, sowohl Freigelassene als auch Freigelassene in spe, insgesamt um die vierzig Frauen und Männer. Viele flohen vor einer unguten Vergangenheit, zu der oftmals Sklavenarbeit gehörte, die alle Menschen, die sie liebten, umgebracht hatte und auch sie, wären sie geblieben, das Leben gekostet hätte.

Negroes übernahmen die von den ehemaligen Bewohnern verlassenen Häuser. Obgleich er kein Teil der Gemeinde mehr war, schaute Mr. Flint hin und wieder vorbei, um festzuhalten, welche Häuser neue Bewohner hatten. Er notierte Gesichtszüge und Namen, den genannten Ankunftstag sowie den Herkunftsort. Einmal in der Woche trieb er in Ours die Schulden ein. Diejenigen, die in seiner Abwesenheit eingezogen waren, hatte man vor die Wahl gestellt, entweder auf der Stelle 250 Dollar an Mr. Flint zu zahlen oder zwei Monate lang 35 Dollar die Woche. Wenn jemand den geforderten Betrag nicht innerhalb von vier Wochen aufbrachte, sollten ihn bewaffnete Beamte aus St. Louis aus dem Haus jagen, aber natürlich kam es dazu nie.

Mr. Flint starb einen Monat, nachdem Ours seinen Namen erhalten hatte, an einem Schlaganfall. Niemand machte sich die Mühe, daraufhin noch irgendwelches Geld einzutreiben, nicht einmal die Regierung, die sämtliche Mr. Flint gehörenden Grundstücke geerbt hatte, weil dieser weder Kinder noch Testament hinterlassen hatte. Rätselhafterweise existieren keinerlei Dokumente, die Graysville oder Ours mit Mr. Flint in Verbindung brachten. Es heißt, das Zimmer, in dem er starb, habe noch Monate nach dem Entfernen der Leiche nach Jasmin gerochen.

[2]

Die Pionierin der Migrationsbewegung hatte sich Mr. Flint als Eleanor vorgestellt, kein Nachname, doch tatsächlich hieß sie überhaupt nicht so. Im Kreise der ehemaligen Sklavinnen und Sklaven nannte sie sich Saint. Der Mann, mit dem sie angereist war, war namenlos und stumm.

Den Neuankömmlingen sagte Saint: »Wartet irgendwo in der Wildnis auf meine Nachricht. Wenn ihr kommt, bringt das Geld mit, das ich euch vor der Abreise gegeben habe. Ihr müsst immer Jasmin am Körper tragen. Steckt ihn euch in die Taschen, und reibt euch damit ab. Wir fordern das Glück heraus und brauchen alle Hilfe, die wir kriegen können.«

Die frisch Freigelassenen, die sich ihr angeschlossen hatten, stammten von Plantagen in ganz Arkansas, Plantagen, die Saint ohne Blutvergießen, aber mit vielen Todesfällen im Alleingang zugrunde gerichtet hatte. Nachdem sie also das Wirken der Kräfte gesehen hatten, mit denen sie ihre Befreiung erzwang, hatten die meisten von ihnen großes Vertrauen in Saint und stellten keine Fragen.

Auf der Ross-Plantage in Hinton, Arkansas, hatte alles seinen Anfang genommen. Eines Nachts schien Saint sich aus ihrem gesammelten Leid heraus zu materialisieren, in Gestalt einer Frau, die genauso angezogen war wie sie selbst. In einer der Sklavenbaracken flüsterte sie etwas, das alle gleichzeitig aus dem Schlaf schrecken ließ. Man hielt sie für einen Geist. Manche verbargen ihre Gesichter vor ihr, während andere staunend dasaßen und zuhörten: »In drei Tagen wird euer selbst ernannter Herr tot sein, und ihr werdet mir in die Freiheit folgen.« Dann ging sie zur Tür hinaus, um der Reihe nach in jeder Unterkunft zu erscheinen, in der versklavte Menschen schliefen.

In der zweiten Nacht auf der Plantage rissen Saint und ihr Begleiter eine weiße Handvoll Baumwolle nach der anderen aus und zerstörten einen Garten, der dem sogenannten Herrn und seiner Familie vorbehalten war. Sie trampelten ein Muster auf den Boden, das man aus der Luft betrachtet als Mistgabel hätte erkennen können. Bei Sonnenaufgang wurde die Hausherrin von heftigem Fieber gepackt. Keiner der herbeieilenden Ärzte – es waren drei innerhalb von neun Stunden – vermochte, es zu lindern, und alle Versuche schienen ihre Krankheit zu verschlimmern. Erst als die Herrin damit drohte, sich und alle anderen im Haus umzubringen, wenn nur noch ein weiterer Arzt sie behandelte, wurde nicht mehr nach ihnen geschickt.

In der dritten Nacht ritzte Saint Symbole in flache Steine. Als sie mit der Arbeit fertig war, versteckte ihr Begleiter die Steine an vier Ecken der Plantage im Gebüsch. Am darauffolgenden Morgen musste der sogenannte Herr feststellen, dass alle Pflanzen verwelkt waren oder dunkel und schlaff am Boden lagen.

Ross, der sogenannte Herr, nahm sein Gewehr und schoss vor Wut auf das erstbeste schwarze Gesicht, das ihm begegnete. Als er es verfehlte, wandelte sich sein Gesichtsausdruck von Wut zu Trauer. Niedergeschlagen murmelte er Verwünschungen und kehrte zu seiner kranken Frau zurück.

In der vierten und letzten Nacht versetzten Saint und ihr Begleiter die Steine jeweils im Uhrzeigersinn, so dass der südliche Stein zum westlichen Stein wurde, der westliche zum nördlichen und so weiter. An jenem Morgen starben Ross, der sogenannte Herr, und seine Frau im Schlaf und wurden von Ren, einer versklavten Köchin, in ihren Betten gefunden, da sie nicht zum Frühstück erschienen waren. Auch die drei Aufseher waren tot, mit offenstehenden Mündern starrten sie leer an die Decke ihrer Hütte. Geifer rann ihnen über die Wangen wie durchsichtige Würmer.

Ren stolperte rückwärts, als sträubte sie sich dagegen, von ihren klaffenden Mündern angesaugt zu werden. Sie ließ die starren Leichen zurück und rannte zu ihrer Baracke, um den einunddreißig versklavten, nun herrenlos gewordenen Afrikanern die Nachricht zu überbringen. Doch jede Freude, die in Ren aufkam, fiel in sich zusammen, als sie den Sohn des sogenannten Herrn mit seiner Frau die Auffahrt hinaufkommen sah, ihr Wagen wurde immer größer vor dem Horizont.

Saint stand auf der Treppe vorm Haus und beobachtete, wie das Paar sich näherte, die zwei Kutschpferde wurden von einem jungen Negro geführt. Der Sohn des sogenannten Herrn war erzürnt, sie in dem smaragdgrünen Kleid, das er erst vor wenigen Monaten für seine Mutter gekauft hatte, auf den Stufen vor dem Anwesen zu sehen, sprang aus dem Wagen und fiel tot um, sobald seine Füße den Boden berührten. Über den Sturz und das Liegenbleiben ihres Gatten in Panik geraten, befahl die Frau dem Negrokutscher, ihr aus dem Wagen zu helfen.

»Paton, mach sofort die Tür auf, wenn du schon nicht die Geistesgegenwart besitzt, deinem Herrn zu helfen.« Paton öffnete die Tür, und die Frau verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige, um dann nach seiner Hand zu greifen. Ihre behandschuhten Finger in seiner Hand, trat sie auf den Boden und fiel tot um. Paton beugte sich hinab, um sie genauer zu betrachten.

»Wenn du sie berührst, bist du tot«, sagte Saint ohne Zorn. Das gestohlene elegante Kleid strömte hinter ihr über die Stufen wie eine ablaufende Brandungswelle, als sie auf Paton zukam. So ein wunderschöner Tag: Wolken, prall wie aufgedunsene Leichen, glitten zwischen den alten Bäumen hindurch – der Anblick trieb Saint Tränen in die Augen, all das ungestalte Weiß, das wahllos dahinzog. Als sie dicht genug an ihn herangekommen war, berührte sie mit einer Sanftheit, die er noch nie zuvor erfahren hatte, Patons Gesicht und sagte: »Hier entlang.« Sie wandte sich ab und ging zum Feld, sprach dabei mit dem Jungen, der ihr folgte: »Leg nie wieder Hand an deine Ketten. Sonst färbt der Rost auf deine unschätzbar wertvolle Haut ab.«

Dasselbe tat sie auf fünf weiteren Plantagen und nahm alles von Wert mit, das sie finden konnte, darunter Geld und Nahrungsmittel, Kleidung und Werkzeug, Bücher und Dokumente, Tiere, Kassenbücher, Urkunden. Alles nahm sie mit, nur nicht die Zahlungsbelege für die erworbenen Sklavinnen und Sklaven. Diese wurden sofort verbrannt, was nur insofern schade war, als dass darauf die Geburtsdaten vermerkt waren und die Befreiten in spe oft wissen wollten, ob man sie über ihr Alter und ihre Herkunft belogen hatte, denn sie waren gezwungen gewesen, jeden Mythos über ihre Person zu glauben, der ihnen auferlegt worden war. Saint wusste allerdings, dass auch diese Angaben meist unzutreffend waren und das Ich eines soeben durchs Feuer Befreiten ohnehin neu geboren war.

Sie versammelte einen Zug von Ex-Sklaven um sich und führte sie gen Norden, nach Missouri. Dass sie während der gesamten Reise von keinem Lebewesen angegriffen oder auch nur gesehen wurden – nicht einmal von Vögeln –, war ihnen Beweis, dass Saint ihre Retterin war. Manche allerdings fassten nie wirklich Vertrauen und begegneten ihr mit Argwohn, denn sie fürchteten sie und auch den Mann, der nicht sprach und nach Erde roch.

[3]

Eines frühen Morgens, wenige Tage nach dem Tod von Mr. Flint, trat Saint in einem weiten blauen Kleid mit langer Schleppe in Ours aus ihrer Haustür. In der Hand hielt sie einen hölzernen Stab, dessen oberes Ende zu einem Knäuel aus dreizehn Schlangenmäulern geschnitzt war, die Köpfe zeigten allesamt gen Himmel, die langgestreckten Körper der Schlangen reichten bis zum Boden. Sie stieg die Stufen des Hauses am westlichen Ende der Tanager Street hinab, und die Passanten blieben stehen und lächelten ihr zu. Sie verbarg ihr Haar unter einem Tuch, das derart um ihren Kopf geschlungen war, dass es einen Ring formte, wie ein dicker Heiligenschein, und keine Haarsträhne lugte daraus hervor. Ihr Begleiter ging neben ihr und starrte geradeaus, sein Haar war kurz geschnitten und sein Gesicht glatt rasiert. Seine schwarzen Schuhe waren poliert und glänzten wie seine Augen, die im knöchernen Bett ihrer Höhlen schwammen.

Saint forderte alle Menschen in Ours auf, sich zum Sonnenuntergang an der Bachbrücke zu versammeln und eine Mahlzeit für die Gemeinschaft beizusteuern. »Alles, was ihr entbehren, und sogar, was ihr nicht entbehren könnt«, sagte sie. Die Musiker sollten ihre Instrumente mitbringen. Sie wies alle an, sich fürs Tanzen geeignet zu kleiden. Sobald sie ihre Ansprache beendet hatte, wanderten die ersten Walderdbeerkuchen in den Ofen, und jemand machte sich daran, ein Ferkel zu rösten, Rüben und Kohlgemüse wurden gekocht, eine ganze Großstadt wäre davon satt geworden. Die Kinder suchten nach geeigneter Kleidung und schwangen Gewänder über ihren Köpfen wie Fahnen.

Als die Zeit gekommen war, fanden sie sich bei der Bachbrücke ein. Laternen hingen an im Kreis aufgestellten Pflöcken, das große Feuer in der Mitte brannte so hell, dass sie alles vor ihnen und ringsherum sehen konnten. Ein Stück abseits vom Bach standen mit Speisen beladene Tische, die Geiger spielten auf. Saint hatte sich umgezogen und trug nun ein kurzes weißes Kleid mit einer breiten gelben Schleife auf dem Rücken. Sie war barfuß und ermutigte auch alle anderen, die Schuhe auszuziehen. Sie stellte sich ans Feuer und begann zu klatschen. Bald schlossen sich die anderen ihr an, klatsch klatsch klatsch, und sie begann zu tanzen, wirbelte umher und lachte. Die Kinder gesellten sich als Erste dazu, dann die Frauen, sie hüpften auf und ab und drehten sich um die eigene Achse. Die Sommernacht war nicht viel kühler als der Tag, sie bewegten sich in der Hitze, das Feuer sog Schweiß aus den Körpern, nackte Füße glitten übers Gras, Arme drehten sich über den Köpfen. Sie berührten ihre Gesichter, steckten sich die Finger in den Mund, zogen an ihren Ohren und stampften auf, ihre Körper bewegten sich und erschufen einen neuen Rhythmus, dem sich das Klatschen der Männer anpassen musste, das Klatschen wurde nun von den Bewegungen der Tänzerinnen bestimmt, während die Männer aufstampften, johlende Rufe ausstießen und ihre Handflächen zu den Frauen synkopierten, und als die Männer aus dem Takt gerieten, konzentrierten sie sich auf den Wirbel der schwingenden und stampfenden Füße am Feuer, also legten sie ihre Instrumente nieder und spielten ein Lied mit ihren Körpern und ihre Köpfe begannen zu nicken und die Hüften zu schwingen zu dem pulsierenden Klatschen ringsum zu kreisen immer wieder wieder wieder neu und ihre Münder offen und der Muff der Körper löste sich der Schweiß der Mief alles was im Haar festhing bis jemand einen Ruf jenseits von Worten erschallen ließ und auch die anderen riefen immer wieder und der Klang führte zum nächsten Klang und zum nächsten Klang laut aus dem Mund wie ein Geist der den Körpern Antwort geben will oder Körper die dem Geist Antwort geben dem kein Einhalt zu gebieten war während die Beine schwangen und die Köpfe wogten bis ihre Bewegungen in Zungen sprachen und der Schlund hier ein Stöhnen und dort ein Klagen lassen durfte und der Klang von Schmerz ihr Fleisch verließ und die muskulösen Körper und die dürren Körper und die fetten Körper und die kranken Körper im Feuer glänzten und jedes Kind rief und sprang und sich drehte und jeder Mann klatschte und klagte und seine Füße bezeugten was wohl so weh tat so weh getan haben muss als es aus dem Körper aus dem brennenden Schacht der Kehle aus ihrer sprühenden Spucke brach klagend sich erhebend von den Körpern die in Verrenkungen gebückt auf dem Boden krampften die Augen flackerten in den Köpfen der Körper schuf ein neues Sein ein neues Denken schuf ein neues Wissen das ihres war – dann hörte Saint auf, sich zu bewegen, und stand auf, ein Schaudern und Schimmern auf ihrem Körper. Ihr Begleiter brachte ihr einen Hahn und ein Messer. Es fiel ihr schwer, still zu bleiben, und sie hob die Arme, den Hahn in der einen Hand und das Messer in der anderen, und schrie, als sie mit einem sauberen Hieb den Kopf des Hahns vom Körper trennte. In diesem Moment spürte Saint Die Pforte, die Bresche zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Geister, über dem Bach aufschwingen. Alle verharrten in ihrer Bewegung. Ihre Körper hoben und senkten sich im flammenverzerrten Licht, in den Furchen, die ihre Füße in die Erde gegraben hatten.

Reflexartig gingen sie alle zum Bach und ließen das Wasser erst über ihre Füße strömen, dann über die Knie, als sie darauf niedersanken, über die Gesichter, alle Körper wusch das fließende Wasser rein, das Wasser trug alles davon, was nicht ihre Bürde war: ihre Blutergüsse, ihre seelischen Wunden, ihre verhärtete Melancholie. Sie kehrten ans Feuer zurück, um sich zu trocknen und die Gesichter der anderen im warmen Licht zu bewundern. Atemlos setzten sie sich und lehnten sich zurück, sie waren nackt, und niemand wollte sich hastig bedecken, während der Boden unter ihnen, die Erde, die sie einst verfolgt hatte, ihnen schon viel weicher vorkam.

[4]

Wie die Dinge in Ours lagen: vier Straßen, die sich horizontal von West nach Ost erstreckten, die nördlichste war die Tanager, dahinter die Oriole, die Freedom und am südlichen Ortsrand die Bank Street. Diese Straßen wurden von namenlosen Straßen gekreuzt, die dann von Westen nach Osten gesehen zur First, Second und Third wurden.

Alle entschieden für sich, ob sie ihre Namen ändern oder die vorhandenen behalten wollten. Jemand sagte: »Sind unsre Herrn uns keine Herrn mehr, sind die Namen nun eh in unserm Besitz.« Für manche schien die Sache damit geklärt. Diese Namen hatten zu ihnen gehört, so lange sie denken konnten, und genauso lang hatten sie sie mit ihren Liebsten geteilt. Doch eine Frau wollte ihren Namen ändern. Sie sagte: »Von jetzt an heiße ich Miss. Nicht Ren. Miss. Und mein zweiter Vorname lautet Love.« Von da an wurde sie Miss Love genannt.

Das sorgte für einen gewissen Aufruhr, denn nicht allen war das Wort »Miss« als höfliche Anrede geläufig. Zwar hatten sie jede weiße Frau mit »Mistress« oder »Master« angesprochen, doch hatten einige der Ouhmey in ihrem Leben noch mit keiner weißen Frau zu tun gehabt und deshalb auch keine Anrede für sie gebraucht. Einige von ihnen verwendeten »Miss« nicht einmal untereinander und benutzten stattdessen »Ma’am« oder Synonyme für Mutter, Schwester oder ältere Dame wie »Maman«, »Gammy«, »Nene«. Als Miss Love nun also ihren neuen Namen verkündete, wunderten sie sich, warum sie sich einen Namen gab, in dem die Liebe abwesend, der vielleicht sogar vereinsamt war.

»Wieso will sie die Liebe missen?«

»Vielleicht hat sie vor Jahren ihren Mann verloren. Oder Kinder. Armes Ding.«

»Warum nennt sie sich dann nicht ›Have‹, damit sie neue Liebe kriegt?«

»Sie darf sie doch wohl missen, wenn die Liebe, die sie will, hier nicht zu kriegen ist. Vielleicht nenn ich mich selber Miss. Miss Wife, weil ich meine Frau vermisse. Verkauft hat man sie, ein Jahr nach unserer Hochzeit.«

Und so kam es, dass Paton zu Miss Wife wurde.

*

Die nächste größere Stadt war Delacroix. Dort wurden Negroes nicht ermutigt, eine Arbeit aufzunehmen, doch man hielt sie auch nicht davon ab, wenn sie pünktlich erschienen, sich anständig benahmen und wieder gingen, wenn es an der Zeit war. Es gab viel zu tun, und die weiße Bevölkerung war bereit zu zahlen; sie zahlten meist schlecht, aber sie zahlten.

Den Weg von Ours nach Delacroix konnte man zu Fuß zurücklegen, das hatte Franklin Chisholm bestätigt, ein drahtiger Mann, der gern für sich war und Thylias Chisholm großzog, eine stämmige, schweigsame Fünfzehnjährige, die von sich selbst und dem Rest von Ours für älter gehalten wurde. Franklin machte sich auf nach Norden, um Arbeit zu suchen, zu schauen, ob er nicht irgendwo unterkommen könnte. »Was kannst du gut?«, fragte er sich selbst und gab sich zur Antwort, dass er gut mit Tieren umgehen konnte und es ihm genauso leichtfiel, sie zu schlachten. Und so fand er eine Anstellung in Yorks Fleischerei. Nach seiner Rückkehr nach Ours erzählte er, er habe eine Stunde nach Delacroix gebraucht. »Ist doch kein Weg, und mit Pferd geht’s noch schneller.«

Jedes Mal, bevor jemand nach Norden ging, legte Saint einen Stein mit einer daran festgebundenen Dollarmünze unter einen Strauch hinter ihrem Haus. Eine Woche vor jeder geplanten Reise bedeckte sie den Stein mit Zitronengras und Spiritus. In kleinen Grüppchen zogen die Ouhmey los, und viele fanden eine Aufgabe: die Kleinen hüten, putzen, Schuhe flicken und polieren, backen und Ackerbau. Saint lächelte, als sie nacheinander mit ihren Erfolgen heimkehrten.

Für Miss Wife gestaltete sich die Arbeitssuche am schwierigsten. Als er den interessierten Arbeitgebern seinen Namen nannte, glaubten diese, er wolle sie hochnehmen.

»Vorname«, wollten sie wissen.

»Miss, Sir«, antwortete Miss dann.

»Wie bitte?«

»Miss.«

»Buchstabieren Sie das.«

»M-i-s-s.«

»Ist das eine Kurzform von irgendwas?«

»Miss ist mein Name.«

»Und den Nachnamen.«

»Wife.«

Und dann wurde er nach Hause geschickt. Er unternahm mehrere Versuche im Verlauf mehrerer Tage und kehrte mit jedem Mal noch niedergeschlagener zurück. Er musste also in Ours arbeiten, und da war er nicht der Einzige. Auch Miss Love arbeitete in Ours, als Bäckerin, und tauschte ihre Dienste gegen Schreiner- und Näharbeiten oder eine Woche Fußmassagen.

»Was ihr auch wollt, ich werd’s euch richten!«, verkündete sie und hielt Wort.

Für ihre Aufrichtigkeit wurde sie geschätzt. »Ich werd’s richten!«, pflegte sie zu sagen, und immer fühlte es sich so an, als wüsste sie genau, welche Last ihrer Kundschaft abgenommen werden musste, als glaubte sie aufrichtig, ihre Backkunst bringe genau das Richtige hervor. Maisküchlein, Rührkuchen, kleine süße Brote mit Trockenfrüchten und Schokolade. Jedes einzelne Stück schien eine spezielle Arznei für den Kummer des Käufers zu sein.

Miss Wife konnte keinerlei Fähigkeiten sein Eigen nennen. Er war ein junger Mann, dessen Alter im verbrannten Sklavenbuch seines sogenannten Herrn mit zwanzig Jahren angegeben war, damit er sich bei Bedarf besser verkaufen ließ, tatsächlich war er aber siebenundzwanzig. Er sah nicht besonders gut aus und sprach mit dröhnender Stimme, also gab es keine oberflächlichen Gründe, die jemanden dazu hatten bewegen können, seine Nähe zu suchen, und das wusste er auch. Er schlug mit der Faust auf den Boden und weinte die Straße nass, nachdem man ihm in Delacroix zu verstehen gegeben hatte, es sei unerwünscht, dass er innerhalb der Stadtgrenzen arbeite. Niemand in Ours musste arbeiten, weil es in Ours alles gab, doch der Stolz stand auf dem Spiel, und zur arbeitenden Bevölkerung zu gehören war den Ouhmey wichtig.

Miss Love hatte Mitleid mit dem Mann. In den dreiunddreißig Jahren ihres Lebens hatte sie noch nie jemand derart Nutzlosen kennengelernt. Sie verstand nun noch besser, warum er seine Frau so sehr vermisste. »Womöglich findet er nie wieder eine«, dachte sie und bot ihm an, ihn den Gebrauch seiner Hände zu lehren.

Der Mann, den Miss Love in einer Hütte mit zwei Fenstern offiziell geheiratet hatte, bezeugt von ihrem damaligen sogenannten Herrn, ein paar versklavten Afrikanern und einer aufgekratzten Menagerie von Hoftieren, war nicht der Mann, den sie liebte, und sie war dankbar, dass er nicht bei ihr geblieben war. Sie hatte keine Ahnung, was aus ihm geworden war, und ging davon aus, dass er sich davongemacht oder dass man ihn verkauft hatte. Letztere Vorstellung machte sie furchtbar traurig, weshalb sie beschloss, einfach anzunehmen, er wäre mitten in der Nacht in die umliegenden Wälder geflohen, und zwar weil ihm die Freiheit mehr wert war als eine Frau, die ihn nicht wollte.

Diese Ambivalenz prägte die Art, mit der sie sich der Welt zuwandte. Sie tat Dinge aus Liebe zu den Menschen, ohne dabei das geringste Interesse daran zu haben, einen bestimmten Mann zu lieben. Allerdings störte es sie auch nicht, wenn ein bestimmter Mann viel Liebe über ihr ausschüttete, und ließ sich davon überzeugen, ihn fürs Erste bleiben zu lassen. Das Bestimmte langweilte sie, so dass sie nach dem Verschwinden ihres Mannes wieder Gefühle für ihn entwickelt hatte, als würde seine Abwesenheit ihn irgendwie größer machen. Miss Wife, der seinen Namen in einen Ausdruck der reinen Sehnsucht geändert hatte, verwirrte Miss Love mit seinem unbedingten Willen, mit einer Frau zusammen zu sein, und zwar für immer, einer Frau, die einfach nur da sein sollte, nur da sein und sonst nichts.

Es dauerte nicht lange, bis Miss Wife Miss Love einen Antrag machte, und noch schneller lehnte sie ihn ab. Im Jahr 1840 versuchte er es noch einmal. Zu diesem Zeitpunkt hatte er fünf Jahre mit ihr gebacken und heimlich sein eigenes Rezept entwickelt. An den Tagen, wenn Miss Love Stunden auf dem Markt in Delacroix zubrachte, übernahm Miss Wife die Bäckerei, kochte Milch mit Zucker und Butter ein. Er entdeckte also ganz allein das Karamell, nannte es aber braune Creme. Als Miss Love zurückkehrte, hatte Miss Wife seinen Arm mit heißer brauner Creme bekleckert, die eine Verbrennung in Form eines Lächelns hinterließ. Vor allem aber hatte er eine dreistöckige, mit brauner Creme überzogene Torte gebacken.

»Du hast Karamell gemacht«, sagte sie. »Du hast eine ganze Karamelltorte gebacken. Wer hat dir das beigebracht?«

»Eine was? Das ist braune Creme«, sagte Miss Wife.

»Was du da gemacht hast, ist Karamell, und« – Miss Love fuhr mit dem kleinen Finger über die Torte, sammelte einen ordentlichen Batzen und probierte – »Oh, Miss«.

»Hab ich für dich gemacht«, sagte er.

Miss Love begann zu weinen. Das letzte Mal, als ihr jemand etwas gab, hatte sie es nicht gewollt. Ihr rechtmäßiger Ehemann hatte es ihr gegeben, ihr rechtmäßiger Ehemann, mit dem sie noch verheiratet war, den sie aber seit Jahren nicht gesehen hatte, so viel verstrichene Zeit, dass sie sich nicht an sein Gesicht erinnern konnte. Er hatte ihr ein bedeutungsvolles, aber unausgereiftes Geschenk gemacht. »Für dich«, hatte er gesagt, und ihr seine Handfläche hingestreckt, auf der ein heller Kiesel lag. Wieder und wieder rieb sie den Kiesel, um ihre Nerven zu beruhigen, seine Glattheit das beste Geschenk, das man ihr hätte machen können. Sie legte ihn unter ihr Kopfkissen und rieb ihn jeden Abend, bevor sie einschlief. Doch dann verschwand ihr Mann und der Kiesel mit ihm, was sie wissen ließ, dass er vorhatte, den Kiesel auf ewig zu behalten, und er bloß eine Leihgabe gewesen war. Er hatte seine Frau verlassen und den Stein behalten.

»Miss Love«, sagte Miss Wife, doch sie hatte sich schon abgewandt, trat kopfschüttelnd durch die Haustür und hastete die Straße entlang.

Daraufhin ging Miss Wife morgens aus dem Haus und kam, um im Angesicht von Miss Loves Schweigen zu arbeiten. Niemand sagte ein Wort, und das Klatschen von Teig auf dem Tisch und das Klappern der Bleche im Ofen wurden von diesem Schweigen zur Folter erhoben. Miss Wife warf Miss Love verstohlene Blicke zu und hoffte, sie dabei zu ertappen, wie sie das Gleiche tat, doch sie blickte den ganzen Tag an ihm vorbei, als wäre er ein Baum – unergründlich, zudringlich und doch unter den Erwartungen –, als hätte er nicht erst am Vortag braune Creme für sie gemacht.

Nach drei Tagen Schweigen fragte Miss Wife seinen Freund Aba um Rat und bekam eine Rasur. Aba, der einen Großteil der Früchte in Ours verkaufte, saß auf seiner Veranda, halbierte kleine Äpfel und aß sie mit Gehäuse. Die Leute fanden ihn sonderbar, aber weise, für Saint war er, was einem Vertrauten am nächsten kam, und neben dem Tauschhandel und dem Verkauf sorgfältig gepflückter, bereits in einem Eimer unter dem Stand gewaschener Früchte erteilte er Ratschläge, mit denen ihre Empfänger oftmals nicht viel anzufangen wussten.

Während Aba Miss Wifes Gesicht mit Eichenascheseife einschäumte, beklagte sich Miss Wife über das Schweigen, mit dem ihm Miss Love begegnete. Aba strich mit der schwarzen Seife Miss Wifes Wange hinab, und schwarze Lockenbüschel folgten. Die glänzenden Locken landeten auf Abas Veranda und Miss Wifes nackten Schultern, die dunkelbraune Wange war nun glatt und glänzend.

»Du hast ja tierisch ausgesehen«, sagte Aba und drehte Miss Wifes Gesicht am Kinn, um sein Werk zu betrachten. »Jetzt siehst du bloß männisch aus.«

Aba holte einen Eimer Wasser herbei, damit Miss Wife sein Spiegelbild betrachtete. »Sieh dich als du selbst und sag dir etwas Schönes.«

»Das bin ich?«, fragte Miss Wife. Er hatte schon seit Jahren keine richtige Rasur aus fähiger Hand mehr erhalten. Daran, dass er sich seinetwegen so schön fühlte, erkannte er, dass Aba ihm ein Freund war. Ein guter Freund zeigt einem das Gute, das er in einem sieht.

»Warte ab, was sie morgen zu dem Du von heute meint«, sagte Aba. »Wenn sie bloß ein Erbschen Verstand hat, verliert sie die Besinnung und kommt zu dir.«

Am vierten Tag Schweigen zwischen den beiden überließ Miss Love Miss Wife die Verantwortung für die letzte Stunde in der Bäckerei und machte einen Abendspaziergang, da sie aufgrund Miss Wifes neuer Erscheinung ganz durcheinandergebracht war. Sie war ins Schwitzen geraten, als sie, während sie mit der einen Hand Mehl vom Tisch in die andere Hand wischte und sie verfehlte, verstohlen zu ihm hinübersah. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kehrte sie zurück, ihre Beine und der Saum ihres Kleides waren nass vom Wasser aus dem Bach. »Nur kurz«, hatte sie gedacht, als sie die Brücke am Bach erreichte. »Nur mit dem Zeh.«

Der Spaziergang war ermüdend, aber notwendig gewesen. Es war ein warmer Märztag, wärmer als gewöhnlich, doch das Wasser war noch winterkalt. Als sie zu ihrem Haus zurückkehrte, war die Sonne schon in einem Bogen in ihren Korb aus Bäumen gewandert, aus dem ein besonders großer Baum herausstach. Sie würde den Tag nicht mehr erleben, an dem die Kinder diesen Baum »Gottesstuhl« tauften.

Der Bach befand sich gleich hinter dem östlichen Stadtrand und verlief in nord-südlicher Richtung wie ein kleiner Mississippi. Ein paar Jahrzehnte zuvor hatte irgendwer eine kleine, aber hübsche Brücke gebaut. Keine verschnörkelten Geländer und kein kunstvoller Bodenbelag. Nur ein flink über den flachen Graben strömenden Wassers gespannter Pflastersteinbogen. In dieser Gegend, wo man alles, sogar Zähne, aus Holz fertigte, war das Mauerwerk ein ungewöhnlicher Anblick, als wäre die Brücke eine Pforte zu einer anderen Welt. Sie fragte sich, ob sie während ihres kurzen Aufenthalts in dieser anderen Welt Miss Wife nackt zwischen ihren Nachbarn gesehen hatte. Es schien ihr, als hätte sie mit allen anderen gerade eben erst nackt wie ein Opossum da unten im Nassen gesessen. Ob sie sich an den Anblick eines Mannes erinnern könnte, auf den sie damals gar nicht geachtet hatte?

Viele Leute in Ours trugen noch immer ein Ich aus dem zersprungenen Spiegel mit sich herum, das sie wieder zusammenzusetzen versuchten. Sie sahen vor sich die Scherben ihrer selbst und konnten sich nicht vorstellen, wie sie je wieder ganz werden sollten. »Such dir eine aus«, dachte Miss Love, »such dir einfach eine Scherbe aus und begreife, dass du das bist, die dich da anschaut.« Als ihr dieser Gedanke zum ersten Mal gekommen war, schien er ihr einleuchtend, doch als sie nun all die Steine im Bach sah, so viele glatte Steine, keiner davon jedoch ihr ursprüngliches Geschenk, ging ihr auf, dass sie einst Teil eines größeren Steins gewesen waren. Der ganze Spiegel musste neu zusammengesetzt werden, jede Scherbe an ihren Platz, um ein Ganzes zu erschaffen. In diesem Augenblick verstand sie ihren Schmerz. Nicht dass ihr rechtmäßiger Ehemann den Stein davongetragen hatte, setzte ihr so zu, vielmehr haftete dem Davongetragenen ein Teil von ihr an, der hohl war, und nun war sogar die Aushöhlung verschwunden.

*

Ein Sonnenuntergang wie eine halbierte Blutorange, und Miss Wife saß auf einem Stuhl vor dem Haus von Miss Love. Sie musste ihn wissen lassen, dass er während der Geschäftszeiten herumsitzen konnte, wie und wo es ihm gefiel, das Haus aber, sobald die Dunkelheit die Straße entlanggetanzt kam, wie im Märchen wieder zu ihrem Haus wurde, und dass dann auch er die Straße entlangzutanzen hatte, zurück zu seinem eigenen privaten Raum in der Welt.

»Jetzt haben wir geschlossen«, sagte sie, und es waren die ersten Worte, die seit Tagen zwischen ihnen fielen. »Wir haben geschlossen«, wiederholte sie. Und er saß da, als hätte er sie nicht gehört, blickte gen Westen, wo die Sonne versank, und es kam ihm vor, als würde die Sonne wegen Miss Loves Ablehnung in den Himmel hineinbluten.

Miss Wife musterte Miss Loves Gesicht, um zu prüfen, ob seine Gefühle Sinn ergaben. Er hatte immer gedacht, dass er nicht mehr wollte, als seine Frau von damals aus einem Eigentumsbuch zu befreien, in dem ihr Name von einer Spalte in die andere geschoben und sie damit von einer Plantage auf eine andere versetzt worden war, etwa hundert Meilen weit weg. Clotho. »Ihr Name war Clotho«, dachte er und beschwor sie herauf, um sich ihr Bild neben Miss Love vorzustellen, nicht um zu vergleichen, sondern um sicherzugehen, dass sie einander nicht ähnelten und er nicht Gefahr lief, etwas Totes zum Leben erwecken zu wollen.

Die Blutung im Himmel ließ nach und färbte sich hinter Miss Love violett. »Sie kann sogar Gott ein Veilchen verpassen«, dachte Miss Wife und sagte dann zu Miss Love: »Ich habe nur gewartet, um sicher zu sein, dass du gut nach Hause gekommen bist. Ich gehe dann mal«, stand auf und ging heim. Miss Love blieb draußen stehen, bis er in der Ferne zu einem Nichts geschrumpft war.

Es war schon dunkel, als sie sich zufällig mitten auf der Oriole Street, Höhe Second Street, trafen. Beide sahen ein schwankendes Licht aus der Ferne kommen, und als sie einander erkannten, waren sie überrascht, dass ihnen jeweils dieselbe Idee gekommen war. Miss Wife hatte beschlossen, Miss Love einen Besuch abzustatten, und Miss Love hatte mit Miss Wife dasselbe vor. In ihrer Schockstarre begnügten sie sich damit, eine Weile wortlos beieinanderzustehen und einander sanften Blicks zu betrachten, um dann in ihre jeweiligen Häuser zurückzukehren.

Als Miss Wife das nächste Mal einen Antrag machte, nahm Miss Love ihn an. Ihre Ehe brachte den kleinen Luther-Philip Wife hervor, geboren am 2. April 1841.

[5]

Die meiste Zeit verbrachte Saint damit, allein durch Ours zu streifen, während ihr Begleiter irgendwo im dunkelsten Zimmer ihres Hauses wartete. Sie grüßte jeden und kannte alle beim Namen. Thylias sagte einmal über Saint, dass sie das Schauen aller erschaute, und darin lag etwas Wahres, wenn man bedenkt, dass Saint es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, für die ganze Ortschaft zu zaubern, selbst wenn ein Zauber dem anderen widersprach. In vielerlei Hinsicht war sie ihnen eine Ressource geworden, um die Welt, von der sie ausgeschlossen gewesen waren, besser zu verstehen, vor allem aber half sie ihnen, Teile ihrer selbst wiederzufinden, von denen sie vergessen hatten, dass sie zu ihnen gehörten, allen voran die Entschlossenheit. Wollte man etwas erledigt haben, ging man es an. Brauchte man Hilfe, bat man darum. Saint war für solche Bitten offen, und je besser die Ouhmey verstanden, dass sie nach allem fragen konnten, umso schneller lernten sie, etwas anzunehmen. Selbst wenn Saint eine Bitte zurückwies, gehörte ihnen die Zurückweisung. Dafür waren sie Saint dankbar.

Um ihrer eigenen geistigen Gesundheit willen weigerte Saint sich, darüber hinaus noch mehr zu tun. Sie zauberte, doch sie lenkte nicht, erteilte Rat, war aber niemandes Patin. Niemand stand Ours vor. Es stand gar nicht zur Debatte, jemanden dafür abzustellen. Saint hätte den Ouhmey wohl laut ins Gesicht gelacht, hätten sie sie danach gefragt. Sie wollten mehr Zeit mit ihr, wollten sie dabeihaben, wünschten sich einen Anreiz, sich in sie zu verlieben. Saint wusste alles über die Liebe, und sie glaubte, mit ihrer Weigerung zu lieben, sowohl sich selbst als auch Ours zu schützen.

3. KapitelDie Plage der Anmaßung

[1]

Irgendwann tauchten einige Meilen außerhalb von Ours die Leichen von ein paar weißen Männern auf, ergaben einen sonderbaren und unerklärlichen Bannkreis des Todes. Streifenpolizisten markierten die Fundorte mit roten Flaggen. Die mögliche Todesursache ließ kaum jemanden ungerührt, obwohl es nur um eine geringe Opferzahl ging. Von da an achteten die Weißen die Grenze der roten Flaggen, sie wollten es nicht darauf ankommen lassen. Wer sie auch nur eine Handbreit übertrat, verspürte eine starke Übelkeit. Manchen fiel auf, dass diese Übelkeit bei Negroes nicht auftrat, wohl aber bei Teilen der indigenen Bevölkerung, was erstmals bemerkt wurde, als ein Weißer, der in dem tödlichen Bannkreis auf Streife war, eine Leiche fand. Es handelte sich, wie er selbst berichtete, um einen »Indianer, aus dem alles Leben und alle Farbe gewichen war«.

Nachdem die Flaggen aufgestellt worden waren, bemerkte ein Lehrer aus St. Louis, dass nur eine einzige Siedlung innerhalb der rechteckigen Umrandung lag, die zudem erst vor kurzem »farbig« geworden war, wie er sich ausdrückte, und dass die Ursache dieses weißen Todes also sehr wahrscheinlich von dort, aus Ours kam. Flugblätter gingen um, die über die »Weißenplage« aufklärten, und in St. Louis wurden das ganze Jahr 1841 keine neuen Negroes aufgenommen, ob gekauft oder nicht. So lange dauerte es, bis Saint begriff, dass die Steine, die sie rund um Ours ausgelegt hatte, mit dem falschen Symbol markiert waren, denn eigentlich sollten sie nur jene abhalten, die den Bewohnern von Ours potenziell Probleme bereiten konnten, darunter Sheriffs, Politiker, Streifen und alle, die mit dem Gesetz und der Sklaverei zu tun hatten, außerdem sollten sie jene töten, die irgendwann einmal andere versklavt hatten. Stattdessen waren die Steine derart gepolt, dass sie jeden vernichteten, dem jemals der Gedanke gekommen war, Negroes wären geringere Menschen, nicht dass sie mit solchen Leuten besonders viel Mitleid gehabt hätte, sie war bloß beschämt, dass ihr ein Fehler unterlaufen war, obwohl sie schon so lange mit Steinen arbeitete. Schließlich fielen etwa einen Tag, bevor sie sich zum Austauschen der Steine entschloss, auch die ersten Negroes tot um, was zuvor nie passiert war.

»Ach so«, sagte sie bei sich, als einige ihrer Leute ihr berichteten, sie hätten auf einem Pfad wenige Meilen nördlich tote Negroes gefunden. Den Ouhmey fehlten die Mittel für ein Begräbnis, doch Saint meinte, dass es so schon in Ordnung sei. Die Erde hatte mehr Ressourcen als sie.

Nachdem ein Sheriff nur eine Meile vor Ours einen weißen entlaufenen Gefangenen aufgriff, nah genug, dass noch im Jahr zuvor der Tod die Folge gewesen wäre, begriffen die Menschen in St. Louis, dass die Plage von allein vorübergegangen war. Sie hoben das Negroverbot auf, doch die Ängstlichkeit ihnen gegenüber wie auch ihr Nichtvorhandensein in gewissen Gegenden von St. Louis blieb bestehen.

Irgendwann kam Saint zu dem Schluss, dass es einen besseren Schutz brauchte, der zudem weniger Aufmerksamkeit von außen auf sich zog. Sie erdachte ein neues Steinmuster, das Ours verbergen sollte. Sie zog los, die Steine im Osten und im Süden auszutauschen, während ihr Begleiter dasselbe mit den Steinen im Westen und Norden tat. Von nun an war Ours zwar auf den Karten verzeichnet, jedoch unmöglich zu finden. Wer sich dorthin aufmachte, um die Bewohner zur Plage zu befragen oder zu randalieren, fand dort, wo Ours sein sollte, nur ein offenes Feld vor.

Alle Ouhmey mussten irgendwo auf ihrem Körper eine kleine Narbe als Markierung tragen, damit sie nach Ours zurückkehren konnten, sollten sie es aus welchen Gründen auch immer verlassen.

»Aber sieht’s dann auf dem Weg nach draußen nicht aus, als kämen wir aus dem Nichts?«, fragte jemand.

Saint schüttelte den Kopf und sagte: »Es wird immer so aussehen, als würdet ihr euch vom sichtbaren Horizont nähern. Keiner läuft über Ours hinweg oder gar mittendurch. Man geht außenrum und weiß nichts davon.«

Das verwirrte die meisten Bewohner, doch ein paar verstanden es, und das schien dem Rest zu genügen. Manche gaben das Verstehen auch vor, und auch das spendete Trost.

[2]

Im Sommer 1846 unternahm ein Reporter aus Delacroix den Versuch, einem Wagen der Ouhmey zu folgen, weil er herausfinden wollte, wo Ours verborgen lag. Er verfolgte ihn zu Pferd und merkte sich Auffälligkeiten in der Landschaft. Im Westen tauchte nach fünfzehn Minuten ein riesiger, von flammenden Taglilien übersäter Hügel auf. Nach dreißig Minuten zerschnitten mit einem Mal gezackte Platanenblätter den Himmel über einer Hügelschulter, und mehr und mehr Grün füllte den fahlblauen Horizont. Der Reporter, der sich dabei ertappt hatte, wie er selbstvergessen in den grellweißen Himmel starrte, bemerkte, dass er den Wagen aus den Augen verloren hatte. Da er glaubte, versehentlich langsamer geworden zu sein, trieb er sein Pferd zum Jagdgalopp an. Ihm entfuhr ein Fluch, als er nach dem Durchqueren einer Nebelbank ein klappriges Schild bemerkte. Es klärte ihn darüber auf, dass er nun in St. Louis und somit irgendwie an Ours vorbeigeritten war.

Er unternahm mehrere Versuche, und jedes Mal verlor er den Weg aus dem Blick, abgelenkt von einem Vogelschwarm oder dem Mäandern seiner eigenen Gedanken, das mit dem doppelten Rhythmus der Pferdeschritte und quietschenden Reifen einherging. Bis das Quietschen aufhörte. Und dann überwältigte die hypnotische Atmosphäre den Reporter und ließ ihn wegdösen. Die Lethargie überfiel ihn jedes Mal an derselben Stelle: Da war der Nebel, der beinahe unablässige Galopp, und am Ende der Hohn des klapprigen Schilds.

Schnaubend beschloss er, neben dem Wagen aus Ours herzureiten und die entsetzten Blicke der Passagiere zu ignorieren, während er versuchte, sich mit dem Kutscher zu unterhalten. Als ihm aufging, dass er mehr als ein gelangweiltes »Nein, Suh« oder »kann ich nicht sagen, Suh« nicht aus ihm herauskriegen würde, ritt er schweigend und machte sich ein paar knappe Notizen, ohne auf sein Büchlein hinabzusehen. Sie passierten den Hügel, auf dem die roten Zungen der Taglilien noch heller zu lodern schienen, und drangen in das zunehmend dichter werdende Gehölz vor, wo Schatten von Geäst auf sie fiel und im Halbdunkel die Pfeilspitzen der Platanenblätter dem Reporter zuwinkten. Er bemerkte, dass er eingeschlafen sein musste, als er von seinem eigenen Schnarchen geweckt hochfuhr, und fiel vor Schreck vom Pferd ins hohe, schneidende Gras. Der Wagen war längst verschwunden, und das klapprige Schild mit »Willkommen in St. Louis« verhöhnte ihn zum letzten Mal.

In Delacroix wollte niemand seiner Geistergeschichte Glauben schenken oder der Sache selbst auf den Grund gehen. Er holte seine Notizen hervor, um die Landschaftsbeschreibungen noch einmal durchzulesen. Ein Großteil seiner Aufzeichnungen bestand aus unleserlichen Linien, die längs über die Seite verliefen und festhielten, wann er eingedöst war. Einzelne Worte schwammen vage übers Papier. Es folgte seitenweise frenetisches Gekritzel, bis er auf ein kunstvoll mit dem Füllhalter gezeichnetes Porträt stieß. Es zeigte eine Frau, eine Negrofrau, und war unheimlich gekonnt gezeichnet, als wäre er zeitlebens ein professioneller Porträtkünstler gewesen. Er strich mit dem Finger über die Seite, um zu spüren, wie sich der Füllhalter mit jeder Linie ins Papier eingegraben hatte, weil sie so noch echter erschien. »Vielleicht war diese Frau auf dem Wagen«, dachte er und verwandte den Rest des Tages darauf, etwas über sie herauszufinden, wobei er keinen Gedanken daran verschwendete, dass ihm jede künstlerische Fähigkeit abging und er niemals eine solche Skizze hätte anfertigen können.

Barsch und unvermittelt fragte der Reporter jeden Negro, der ihm über den Weg lief, ob er die Frau auf der Zeichnung schon einmal gesehen habe. Alle verneinten.

»Wie lautet der Name dieser Frau?«, fragte er und hielt dem Passanten die Seite vors Gesicht. Doch auch bei höflicherem Nachfragen wurde Unwissenheit vorgeschützt. Er versuchte es mit Drohungen, doch obwohl er weiß war, zeigte seine Autorität hier weniger Wirkung als irgendwo sonst im Land, da es den Negroes in Delacroix nicht von Gesetzes wegen verboten war, die Ansuchen von Weißen auszuschlagen.

Er zog auch Einschüchterungsmaßnahmen in Betracht, doch sein zierlicher Wuchs und der blasse Teint, der sich selbst von dem anderer Leute mit derselben Hautfarbe noch deutlich abhob, ließen seine Phantasien in sich zusammenfallen, so dass er nicht den Mut aufbrachte, die Stimme zu erheben oder die Rippen herauszustrecken, wo eine geschwellte Brust hätte sein sollen.

Der Reporter suchte die belebten Straßen ab und rempelte vollgepackte Verkaufsstände sowie deren Kundschaft an. Am hinteren Ende der geschäftigen Straße, hinter der Fleischerei, in der er den Verkäufer bereits um Informationen angegangen war, fand er den Sohn des besagten Verkäufers, der sich als Schuhputzer verdingte. Der Junge war höchstens fünf, ein dem Anschein nach leicht zu ängstigendes Kind mit großen braunen Augen und dem tränenfeuchten Blick ewigen Unbehagens. Als der Reporter den Jungen aufforderte, ihm den Namen der Frau auf der Zeichnung zu nennen, sah der Junge sich hilfesuchend nach seinem Vater um, der jedoch gerade mit dem Vierteilen von Hähnchen beschäftigt war. Der Junge warf einen weiteren Blick auf die Zeichnung und brach in Tränen aus.

»Deine Tränen sind jetzt fehl am Platz«, sagte der Reporter, der vor dem Jungen kniete und ihm viel zu nahe kam. »Sag mir, wer diese Frau ist.«

Der Junge bewegte die Lippen, um zu sprechen, doch irgendetwas im Rücken des Reporters schien ihn abzulenken. Er zeigte mit dem Finger auf eine Stelle hinter dem Reporter, der sich umdrehte, woraufhin der Junge losrannte und in der Menge verschwand.

Saints blaues Kleid und schließlich auch ihr strenges, steinglattes Gesicht zogen den Blick des Reporters auf sich. Er stieß einen überraschten Laut aus, und der helle Klang seiner Stimme ließ ihn erröten. Saint stützte sich auf ihren Schlangenkopfstab und lächelte. Das Lächeln meißelte ihr boshafte Mulden in die hohen Wangen.

»Kleiner Hund«, sagte sie.

»Sie!«, war alles, was der Reporter herausbekam, seine Stimme war träge vor Angst. Da stand er und zupfte an seinem schlaffen Hemdkragen herum, und in einem Anflug von Selbstbewusstsein zeigte er ihr die Skizze. Geringschätzig ließ er das Buch mit einer Hand zuschnappen, so dass der Lufthauch sie blinzeln ließ. Der Reporter fuhr fort: »Ich muss nach Ours.«

Saint lächelte und richtete ihren Blick auf das Treiben ringsum. Verkäufer schoben Karren mit verschiedenen Feldfrüchten vor sich her, und Zimmerleute sägten Planken zurecht, während jedes Ouhmey-Gesicht in der Menge beobachtend erstarrte.

»Was wollen Sie da?«, fragte sie.

»Es heißt, dass Ihr Städtchen im Zentrum eines Skandals steht. Tod. Es ist unabdingbar, dass ich …«

»Ich erlaube es Ihnen nicht.«

»Der Tod von Dutzenden weißen Männern erlaubt es mir.«

»Das ist lange her«, sagte Saint. »Außerdem hatte das nichts mit Ours zu tun, vielmehr war es ein ortsbedingter Zufall.«

»Sie werden mich nach Ours bringen.« Er wurde lauter und spuckte beim Sprechen. Saint schüttelte ihr Handgelenk, und ein elfenbeinweißer Spitzenfächer erblühte in ihrer Hand. Sie bedeckte ihren Mund und gähnte. Der Reporter fuhr zusammen, als sie den Fächer zuschnappen ließ. »Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen …« Sie neigte den Kopf.

»Marcellus Addington«, sagte der Reporter. »Wir sprechen uns noch.«

»Mr. Addington«, sagte Saint. »Durchaus, sehr angenehm.« Sie wandte sich ab, doch Marcellus packte sie bei der Schulter und riss sie herum. Der Wind frischte auf, und ein Donnerschlag ließ die Erde erbeben. Beim Anblick ihrer Augen – die Pupillen und auch die Iris milchig weiß und blau geädert – ließ er von ihr ab und stolperte rückwärts. »Die Skizze war eine Warnung. Das hier, Mr. Addington, ist ein Versprechen.« Sie blinzelte, und als sie die Lider aufschlug, waren ihre Augen wieder braun. Saint rieb ihren Stab mit dem Daumen, massierte einen der geschnitzten Schlangenkiefer, aus dem Marcellus eine gespaltene Zunge hervorschießen sah.

Während Marcellus noch um Fassung rang, war Saint schon verschwunden. Ebenso rasch, wie sie aufgetaucht war, hatte die Menge sie samt der jähen Windstöße verschluckt. Marcellus durchblätterte sein Notizbuch, um ihr Gesicht noch einmal mit dem Porträt abzugleichen, doch die Zeichnung war nicht mehr da.

*

Marcellus’ nächster Versuch, nach Ours zu gelangen, war erfolgreich. Eines Abends sprang er auf den Wagen nach Ours. Alles lief nach Plan, denn er hatte keinen, er saß schlicht inmitten der verdutzten Arbeiter, denen scheinbar die Kraft oder das Interesse fehlte, ihn abzuweisen.

Wie immer wurde er benommen, als sie den bewaldeten Bereich erreichten, doch als er diesmal wieder zu sich kam, fand er sich auf einem Stuhl sitzend in einem hübschen Zimmer wieder. Bunte Stoffe flossen über Boden und Wände. Vorhänge verbargen den Rest Sonnenlicht, das der nahende Abend noch übrig ließ, und Dutzende brennende Kerzen verwandelten den Stoff in ein wogendes Meer. Als wäre er unter Wasser und stünde doch in Flammen. Er versuchte aufzustehen, doch es ging nicht. Er wollte sich im Gesicht kratzen, doch seine Arme gehorchten ihm nicht. Nur sein Kopf war frei, und er sah sich im restlichen Zimmer um. Sein Blick fiel auf den mattweißen Stuhl vor der Bücherwand, und zunächst dachte er sich nicht viel dabei, dass er in einem so eigenartigen Stil gearbeitet war, viel filigraner als alles, was er je gesehen hatte, doch je länger er ihn betrachtete, desto unheimlicher wurde er. Der Stuhl, eigentlich ein Thron, war ganz aus Knochen gemacht.

Es dauerte ein paar Tage, bis Marcellus’ Verschwinden in Delacroix auffiel. Man ging davon aus, dass er auf der Suche nach seiner Geisterstadt verrückt geworden war und sich in Schwierigkeiten gebracht oder ihn womöglich eine Horde Kojoten gefressen hatte. Mit der Zeit tat ganz Delacroix so, als wäre Marcellus nie Teil der Gemeinde gewesen. Das fiel ihnen leichter als wilde Spekulationen darüber, dass es allen anderen genauso hätte ergehen können wie ihm. Als er schließlich wieder auftauchte, war sein Haar an den Seiten weiß geworden, und oben auf dem Kopf fehlte es ganz. Seine Augen waren sowohl bleiern als auch wachsam geweitet. Als er sprach, troff Kauderwelsch von seiner Zunge.

[3]

Im Herbst 1846 plagten Saint heftige nachmittägliche Kopfschmerzen. Nichts konnte sie lindern, kein Sud aus Kräutern und Blüten, keine auf den Körper gelegten Steine. Sie lag auf dem Rücken, während das Sonnenlicht ringsum schrumpfte und sich wieder ausweitete und dabei pfiff. Mit einem Pochen dehnte es sich aus, und das Pfeifen wurde hoch und schrill. Das nächste Pochen ließ das Licht zur Größe einer Münze zusammenschrumpfen, und das Pfeifen verebbte zu einem leisen, tiefen Brummen.

Als das Licht am hellsten strahlte und das Pfeifen einem durchdringenden Kreischen glich, erkannte sie durch den Schleier ihres Schmerzes eine Schattengestalt am Fußende ihres Betts. Sie wirkte nicht bedrohlich, also fürchtete sie sich nicht. Sie kam ihr vertraut vor, und obwohl sie das Gesicht nicht erkennen konnte, wusste sie, dass die Gestalt sie mit beharrlicher Eindringlichkeit betrachtete. Eine Stunde verging, bevor sie sich ohne Hilfe ihres Begleiters bewegen konnte, und als der Kopfschmerz sich auflöste, war sie furchtbar hungrig und ansonsten in guter Verfassung. Die Schattengestalt war nach ihrem ersten Auftauchen für immer verschwunden.