Paardiologie - Charlotte Roche - E-Book

Paardiologie E-Book

Charlotte Roche

0,0
15,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie schafft man es, glücklich eine lange Beziehung zu führen? Charlotte Roche und Martin Keß-Roche sagen: Indem man redet. Wie das geht, zeigen sie in ihrem Podcast – und jetzt auch in diesem Buch. Es geht um die zentralen Themen, die jedes Paar umtreiben: Liebe nach der Verliebtheit, Sex, Eifersucht, Geld, Zuhören, Kinderkriegen und -haben, Erziehung, Lust, Fremdgehen. Die unbedingte Ehrlichkeit der Roches führt einen bald zu der entlastenden Erkenntnis: (Fast) alle Paare haben die gleichen Probleme. Und man kann sie lösen. Für ihr Buch haben die beiden die Themen des Podcasts geordnet und neu aufbereitet, die Paartherapeutin Dr. Amalfi kommentiert und gibt weitergehende Informationen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover & Impressum

Vorwort

Verliebtsein und Kennenlernen

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Hochzeit

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Liebe

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Leidenschaft und Sex

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Offene Beziehungen, Affären, Fremdgehen

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Autonomie und Abhängigkeit

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Gesehenwerden und Anerkennung

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Kinder

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Nähe und Distanz

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Eifersucht

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Kränkungen und enttäuschte Erwartungen

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Streiten

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Krisen

Dr. Amalfi

Dr. Amalfi

Nachwort

Folgenverzeichnis

Verliebtsein und Kennenlernen

»Die Utopie einer vollkommenen Harmonie.«

Dr. Amalfi

»Das erste Mal, als wir uns trafen, habe ich dich gehasst.« »Du hast mich nicht gehasst. Ich habe dich gehasst.« »Bei unserer zweiten Begegnung hast du mich vergessen.« »Bei unserer dritten Begegnung sind wir Freunde geworden.« »Wir waren sehr lange Freunde.« »Und dann waren wir es nicht mehr.« »Dann haben wir uns verliebt.« Wie Harry und Sally, deren Filmliebesgeschichte wohl jeder kennt, erinnern sich Paare gerne an ihre Anfänge. Und zwar unabhängig davon, wie glücklich oder unglücklich sie momentan miteinander sind. Die Frage »Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?« bringt sie schnell ins Erzählen. Weißt du noch, als wir uns zum ersten Mal trafen? Es war Liebe auf den ersten Blick! Du hast mich sofort fasziniert! Und war es nicht seltsam, dass wir beide das Gefühl hatten, einander schon sehr lange zu kennen? Auch Jahrzehnte nach dem schicksalhaften Ereignis kann sich ein Paar noch an kleinste Details erinnern und vergisst darüber sogar aktuelle Konflikte.

Kein Wunder, dass die Erinnerungen so positiv sind, denn Verliebtsein ist ein wunderbarer, verrückter Zustand. Dieses »Ich kann nur noch an dich denken«-Stadium lässt alles andere in den Hintergrund rücken. Nichts ist mehr wichtig, die Arbeit nicht, die Freunde nicht. Der Appetit verschwindet, man kann tatsächlich nur von Luft und Liebe leben. Ständig möchte man den anderen berühren, ihr oder ihm nahe sein. Jede Trennung ist schmerzhaft und wird so schnell wie möglich aufgehoben. Die Grenzen verschwimmen – eins plus eins ergibt nun tatsächlich eins. Und: Verliebte reden und reden. Sie erzählen sich ihr Leben, gestehen einander ihre Sehnsüchte und Hoffnungen. Endlich fühlt man sich verstanden, endlich gibt es jemanden, der immer für einen da sein wird. Endlich fühlt man sich »ganz«. Diese Erfahrung macht Verliebte regelrecht verrückt vor Glück.

Nun begegnet man im Laufe des Lebens vielen Menschen, die sympathisch sind, mit denen man sich gut unterhalten kann, mit denen man auf einer Wellenlänge ist. Trotzdem verliebt man sich nicht. Warum nicht? Was braucht es, damit der Funke überspringt? Es ist das Gefühl der Vertrautheit. Man verliebt sich, wenn man den Eindruck hat, den anderen bereits zu kennen. Die Art, wie sie lacht, die Ruhe, die er ausstrahlt, die Farbe der Augen, die Stimme … Merkmale wie diese und noch sehr viel mehr sind auf einer inneren »Liebeslandkarte« verzeichnet, die jeder Mensch besitzt und die von frühester Kindheit an gestaltet wird. Alle Erfahrungen, die wir von klein auf machen, sind in dieser Karte eingezeichnet: die Strenge des Vaters, die Regeln und Vorlieben der Familie, das Temperament der Eltern. Sehr viele solcher Details wirken zusammen, wenn man einen Menschen anziehend findet. Stimmt die eigene Liebeslandkarte weitgehend mit der des anderen überein, fühlt man sich zu ihm in besonderer Weise hingezogen.

Allerdings springt der zündende Funke erst über, wenn sich neben der Vertrautheit noch ein anderes Gefühl einstellt: die Hoffnung, dass mit diesem Menschen eine Entwicklung, ja vielleicht sogar eine Heilung alter Wunden möglich ist. Es ist ein unbewusster Prozess, der die Sehnsucht weckt, dass der geliebte Mensch zum Beispiel wichtige Bedürfnisse, die in der Kindheit und im bisherigen Leben nicht erfüllt wurden, ernst nimmt und befriedigen kann. Vielleicht sehnt man sich nach bedingungsloser Liebe, vielleicht fehlen bislang Anerkennung und Wertschätzung, vielleicht hofft man auf Sicherheit, vielleicht gibt es im Leben zu wenig Leichtigkeit.

Verliebtsein setzt ungeahnte Kräfte in Gang. Kräfte, die alles Trennende aus dem Weg schaffen. Gerät die Liebe später in Turbulenzen, ist es fast immer hilfreich, sich gemeinsam an ihren Beginn zu erinnern.

Podcast 1

MARTIN: Also, wenn wir uns heute kennenlernen würden. Also, wenn du mich heute kennenlernen würdest. Glaubst du, wir würden uns ineinander verlieben? Du kannst ruhig sagen: »Nein, ich glaube nicht.«

CHARLOTTE: Was, wieso? Ich habe doch noch gar nichts gesagt.

MARTIN: Aber du hast so getan. Sag mal.

CHARLOTTE: Ich möchte nachdenken. Weil man schießt manchmal auf Fragen einfach raus aus Angst vor der Lücke. Vor der Stille. Ich horche erst in mein Herz rein. Und das ist sehr klein, darum muss man gut horchen. Ich habe nämlich gedacht: Ich kenne dich schon, ich würde mich noch mal in dich verlieben. Und dann habe ich gedacht: Du dich in mich nicht. Und weißt du auch, warum? Weil das am Anfang so krass war, weil ich so traumatisiert war. Und dadurch so durch den Wind und so kaputt und so zerstört. Wie so ein Vogel ohne Federn, der aus dem Nest geklatscht ist aus viereinhalb Metern und schwere innere Verletzungen davongetragen hat. Psychisch auf jeden Fall, wo wir zusammengekommen sind. Wo man auch fragen könnte: Was ist eigentlich mit dir los, dass du dich in so einen Haufen Elend verliebst? Und du hast mich über die Jahre quasi emotional mit der Flasche aufgepäppelt.

MARTIN: Aber ich kann dich beruhigen, das war überhaupt nicht so. Du hast dich vielleicht so gefühlt. Oder denkst vielleicht im Nachhinein so darüber. Aber ich habe dich überhaupt nicht so gesehen. Also, ich habe dich total stark gesehen. Ich habe gedacht: Boah, das ist die stärkste Frau der Welt. Und da wusste ich noch nicht, dass du schwere Tische hochstemmen kannst.

CHARLOTTE: Ich habe immer Angst. Ich glaube, ein Grund, warum du dich in mich verliebt hast, ist dein Helferkomplex. Und es ist für dich blöd bis heute, dass ich immer weniger Hilfe brauche.

MARTIN: Aber ich gehe ja nicht weg. Sie geht ja nicht auf, diese Rechnung. Dass nur bestimmte Lebensumstände dafür sorgen … Ich finde, das ist so ein romantisches Bild. Weißt du, natürlich will man sagen: Egal wo, wie, wann, ich hätte mich immer in dich verliebt und so. Ich glaube aber, das ist nicht so. Ich glaube, das hat was mit Lebensphasen zutun. Ob man offen ist, ob plötzlich was aufeinanderknallt, was bei beiden offen ist.

CHARLOTTE: Willst du die Hängebrückentheorie erklären?

MARTIN: Das machen wir in einer der nächsten Folgen. Wenn wir darüber reden, wie wir uns … Wie du denkst, wie wir uns kennengelernt haben. Und wie ich denke, dass wir uns kennengelernt haben.

Podcast 7

CHARLOTTE: Ich möchte heute erzählen, wie wir uns kennengelernt haben.

MARTIN: Gut, das finde ich super. Also du möchtest mir erzählen, wie wir uns kennengelernt haben?

CHARLOTTE: Ich möchte, dass du mir in deinen eigenen Worten erzählst, woran du dich erinnern kannst. Der Anfang ging von dir aus.

MARTIN: Total unromantisch. Also, meistens lernt man sich doch so kennen, dass man sich einfach irgendwie sieht, trifft, begegnet in irgendeiner Gruppe.

CHARLOTTE: In einem Club.

MARTIN: Du in einem Club, ich in der Kirche oder bei der Arbeit. Und dann merkt man: Okay, es gibt irgendeine Form von Attraktion, Spannung, was auch immer. Und dann ist man aufmerksamer miteinander, fängt plötzlich an, über etwas zu reden, oder setzt sich dahin, wo die andere auch sitzt. So geht das doch häufig, oder? Also, wenn es nicht über Tinder geht.

CHARLOTTE: Das gab es damals nicht.

MARTIN: Und das stimmt, der Ursprung liegt bei mir, aber eben total bei der Arbeit. Du warst Fast Forward-Ikone, also VIVA Zwei-Moderatorin. Ich war bei Brainpool und habe TV total gemacht. Und deine Firma VIVA und unsere Firma Brainpool hatten ein gemeinsames Meeting von Producern, wo man sich darüber ausgetauscht hat, wie man sich gegenseitig unterstützt. Zauberwort Synergie.

CHARLOTTE: Das ist gut, das ist der Anfang unserer Beziehung. Wie bei VIVA und Brainpool. Gibt es da ein Verb dafür? Synergieren?

MARTIN: Jedenfalls sitzen wir da in diesem Meeting, und plötzlich sagt mein lieber Kollege Markus: »Hört mal, die Charlotte von VIVA Zwei, mit der müsste man doch mal was machen.« Und dann habe ich da spontan – ungefähr so spontan wie jetzt, als du mich gefragt hast, ob wir beide das hier machen wollen – aufgezeigt.

CHARLOTTE: Ah, das hier, den Podcast.

MARTIN: Also habe ich meinen Arm hochgehoben und gesagt: »Ich mache das.« Und danach habe ich erst überlegt: Warum eigentlich? Ich kannte dich überhaupt nicht. Ich habe deine Sendung nicht geguckt. Ich kannte im Prinzip nur dieses Image von dir, das alle hatten. Ich glaube, das war so ein Romeo-und-Julia-Moment, weil das, was du gemacht hast, am weitesten weg von dem war, was ich zu der Zeit gemacht habe. Also, wenn man sich das als Schulhof vorstellt, dann standest du in der coolen Raucherecke, und ich stand bei den Bullys. Das war einfach so ein Gefühl: Ich will auch mal in die Raucherecke. Verstehst du das?

CHARLOTTE: Ja, klar verstehe ich das.

MARTIN: Wir waren megabig und erfolgreich und präsent – und du warst mit deinem Programm … Also, wenn wir männlich waren, dann warst du zu der Zeit schon divers, obwohl es das vielleicht noch gar nicht gab. Also ihr wart einfach unglaublich cool und korrekt.

CHARLOTTE: Ich heul jetzt, tut mir leid.

MARTIN: Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Willst du übernehmen?

CHARLOTTE: Dass du den Arm hochgemacht hast, wusste ich ja nicht. Ich wusste nichts von diesem Treffen und davon, dass ihr da so die Moderatoren verschachert. Wir waren ja in Nachbargebäuden, ne? Da kam von meinem damaligen Chef Markus die Assistentin. Früher war das noch so, dass Männer Chefs waren, und die hatten dann weibliche Assistentinnen. Das hat sich ja jetzt geändert. Und die kam an und hat gesagt, dass ein Produzent von Brainpool gerne mit mir sprechen will, und ich solle in sein Büro gehen, es ginge um Ideen für neue Sendungen oder so. Und als ich gehört habe, TV total und Brainpool, habe ich gesagt: »Da gehe ich auf gar keinen Fall hin. Fertig, ab.« Und dann hat die Assistentin von meinem Chef gesagt: »Ey, Charlotte, die Firmen sind jetzt zusammen, du musst jetzt da hingehen, du kannst da nicht nicht hingehen.« Und dann habe ich einfach gesagt: »Ich gehe aber nicht da hin. Ich finde das, was die machen, scheiße.« Damals haben wir bei VIVAZwei in ganz flachen Hierarchien gearbeitet. Pro Sendung waren, wenn überhaupt, drei Mitarbeiter oder was im Raum. Man war immer richtig eng befreundet, die besten Freunde waren alle Mitarbeiter der Sendung, Redakteur und Producer. Und ich bin dann in die Redaktion von Fast Forward gegangen und habe gesagt: »Die Leute von Brainpool und TV total wollen, dass ich da hingehe.« Und die alle: »Auf gar keinen Fall, da gehen wir nicht hin.« Aber die Assistentin hat alle paar Tage gesagt: »Der fragt schon wieder nach, dieser Typ, Martin heißt der.«

MARTIN: Der ist hartnäckig, ne?

CHARLOTTE: »Geh bitte jetzt da hin. Charlotte, es ist nicht im Bereich des Möglichen, dass du da nicht hingehst. Nur weil dir die Sendung nicht gefällt. Dein Chef verlangt von dir, dass du da hingehst.« Und dann habe ich gedacht: »Okay, dann gehe ich halt da hin.« Ich war richtig genervt und sauer und fremdbestimmt. Und bin da hingeschlappt.

MARTIN: Und ich wusste dann ja, dass du kommst: Montag um elf, Tischkalender, Charlotte Roche. Ich wusste zwar nicht, wie sehr du dich gesträubt hast, aber ich hatte eine Ahnung davon, dass du das nicht gerade cool findest. Mir war klar, ich will dich in irgendeiner Form für mich einnehmen, beeindrucken. Eigentlich ist das genauso, als würde man ein privates Date vorbereiten, komischerweise. Also, ich habe das ja nicht benutzt als Vorwand, um dich kennenzulernen, sondern es ging wirklich nur um die Arbeit. Und trotzdem habe ich gedacht: Okay, oh, was mache ich? Also, die kommt jetzt gleich hier rein, wie kann ich der zeigen, dass ich auch cool bin oder auch zu den Guten gehöre. Ich hatte so einen Mini-Konferenztisch. Da wusste ich, da setze ich dich hin. Und dann habe ich gedacht, ich lege da was hin, wo die denkt: Oh, das ist aber cool. Also so, wie wenn du sonst überlegst, welche Musik du anmachst oder so. Zu der Zeit habe ich eine Helge-Schneider-Show gemacht, und da habe ich gedacht: Okay, das ist cool, ich lege diese VHS-Kassette – das war zu der Zeit noch so – auf den Tisch. Also, ganz zufällig liegt die da. Dann, habe ich mir vorgestellt, kommt die Charlotte rein und sagt: »Oh, der Helge, was ist das denn?« Und dann würde ich so sagen: »Ja, ich habe mit dem …« Dazu ist es aber gar nicht gekommen, sondern du bist reingeschlappt bei uns in deiner ausgewetzten pinken Cordhose mit einem blauen verwaschenen T-Shirt drüber und so Schläppchen …

CHARLOTTE: Ja, genau, wir sagen immer »reingeschlappt«, weil ich wirklich Schlappen anhatte. Und ich hatte so eine tief sitzende Hose, die fast runterfällt. Und ich war noch richtig gut dabei, weil ich gerade entbunden hatte. Polly war drei Monate. Und saß dann da und dachte: Ja, was willst du? An das Gespräch genau kann ich mich nicht erinnern. Was ich aber weiß, ist, dass das viel zu lange gedauert hat. Das klingt jetzt schon so wie Liebe auf den ersten Blick. Ich würde sogar sagen, das war so, aber dass ich das nicht gemerkt habe und du erst recht nicht, weil du hattest eine Frau mit einem Kind unterwegs, und ich hatte einen Mann mit einem Kind gerade auf der Welt. Meine Erklärung ist, dass das nicht sein durfte, und deswegen konnte das nicht sein. Aber ich würde trotzdem sagen, unterbewusst ist das schon der Moment gewesen. Ich weiß noch, dass ich dachte: Ist der nett, der ist so nett. »Nett« ist natürlich ein Scheißwort, aber das habe ich gedacht. Wieso ist denn der so nett? Und ich war so überrascht und dachte: Boah, der ist cool. Was du gesagt hast, das war der Grund, dass ich nicht wegwollte. Ich wollte für immer bei dir in diesem Büro sitzen und mit dir reden. Wir haben uns extrem gut verstanden. Man könnte sagen wie Seelenverwandte. Das ist so ein scheiß ausgelullertes Wort, aber wie soll man es denn sonst nennen?

MARTIN: Ich weiß es nicht.

CHARLOTTE: Ich will ja nicht sagen, dass geil auf jemanden sein dreckig oder schuldbehaftet ist, aber das war so weit weg von allem, was man so denkt, was mit Liebe auf den ersten Blick, Sexualität … Es hatte nichts damit zu tun. Das war auf einer extrem hohen Ebene, irgendwas total Geistiges. Es hat so extrem Klick gemacht, dass ich dachte: Oh Gott, wir werden beste Freunde, wir sind best friends forever, so richtig doll. Das war eine total schockierende Erkenntnis, dass ich gerne mit dem Produzenten von TV total befreundet sein wollte. Aber niemals in hundert Jahren – doch, in hundert schon – hätte ich gesagt, das ist Verliebtsein oder Liebe auf den ersten Blick. Gar nicht, ich habe nichts gecheckt, das war nur auf der Schiene: Oh, ein netter Mensch. Oh, der ist aber cool. Oh, der ist lustig. Und: Boah, kann ich gut mit dem reden. Das war schon so, dass das niemals hätte zu Ende gehen sollen.

MARTIN: Dann war das ja irgendwann zu Ende, und du hättest einfach zurückgehen können, und ich habe gesagt: »Ich bring dich.« Was total absurd ist, als ob du den Weg nicht findest. Also, ich habe dich dann durch die Flure gebracht, dann sind wir Aufzug gefahren und bis zum feindlichen Flügel habe ich dich gebracht. Wir haben das hinausgezögert, solange es geht, jeden Moment genutzt, noch stehen zu bleiben, noch weiterzureden. Und dann haben wir uns direkt am nächsten Tag unter dem Vorwand, dass …

CHARLOTTE: Warte, ich muss noch eine Sache einschieben. Als ich zurückkam in meine Redaktion, haben die alle gesagt: »Wo warst du so lange?« Die wussten ja, wo ich war, und die wussten, dass ich vorher abgekotzt habe. Ich weiß noch ganz genau, dass ich unbedingt Werbung für dich machen und denen allen klarmachen wollte … Mir fehlten die Worte, ich konnte nicht richtig erklären, warum du so ein toller Mensch bist und dass die auch mit dir befreundet sein müssen. In der Redaktion waren ja auch mein damaliger Mann und meine besten Freunde und engsten Mitarbeiter, und ich habe zu denen gesagt: »Ich weiß, ihr findet das scheiße, was der arbeitet, und wir fanden das blöd, dass ich da hinmuss, aber der will mit mir zusammenarbeiten, und ich habe mit dem geredet, der ist so nett. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, der ist so cool. Der ist ganz anders, als ihr denkt. Ihr vertut euch voll.« Und die alle so wie ich vorher: »Nein, Quatsch, wir sind gegen den.« Ich war richtig verzweifelt, dass ich denen nicht erklären kann, wie toll du bist und wie schön das ist, mit dir zu reden. Im Prinzip hätten da schon alle wissen müssen, wie das endet. Ich war wie gehirngewaschen. Ich war vollkommen auf einem Martin-Trip, und das ab dem ersten »Hallo«.

MARTIN: Aber auf so einer total heiligen, ungeilen, unsexuellen, unkörperlichen Ebene, ne? Das war bei mir auch so. Das klingt jetzt fast beleidigend, weil das so klingt, als fände ich dich gar nicht geil.

CHARLOTTE: Nein, das wäre anders gewesen, wenn wir nicht in Beziehungen gewesen wären oder Kinder gehabt hätten. Ich glaube, weil das nicht sein durfte, war das auch nicht so. Und deswegen kam das Gefühl praktisch von hinten durch die Brust ins Auge, über etwas, was erlaubt ist, nämlich Freundschaft.

MARTIN: Ja, ich habe dann auch gedacht, das ist meine neue Freundin fürs Leben. In meiner Erinnerung haben wir uns natürlich direkt am nächsten Tag wiedergesehen und haben über dieses Konzept weitergesprochen, was wir machen wollten, oder? So war das doch?

CHARLOTTE: Ja, und dann kam uns das vor wie das Wichtigste im ganzen Leben, dass wir zusammen eine Sendung machen. Das war dann unsere Erlaubnis. Wir haben gedacht: Wir müssen uns treffen, wir müssen über die Sendung reden, wir verbringen gerne Zeit miteinander, wir können gut zusammenarbeiten, wir unterhalten uns gut, und das matcht irgendwie auf einer kreativen Ebene. Und dann haben wir uns zum beruflichen Mittagessen verabredet – jeden Tag. Meine Erinnerung daran ist, dass jedes Mittagessen etwa viereinhalb Stunden gedauert hat. Wir saßen auf der Keupstraße im Doy Doy und haben uns nicht verliebt angeguckt, sondern haben uns unser ganzes Leben erzählt. Wir haben ganz viel gelacht und uns auch ganz viele traurige Sachen erzählt aus unserem Leben. Das war ein bisschen wie Therapie oder Speeddating, dass man ganz, ganz schnell alles erzählen muss, damit der andere einen so schnell wie möglich kennenlernt.

MARTIN: Ja, aber wir haben uns total vertan, ne? Natürlich waren wir vom ersten Augenblick an total verloren füreinander.

CHARLOTTE: Aber wir haben es nicht gemerkt.

MARTIN: Na ja, wir haben es nicht nicht gemerkt, sondern ich glaube, wir haben es weggeschoben, weggedrängt, weil das ging ja nicht, das war unmöglich. Also für mich in meiner Welt, in meiner Ehe, wenige Wochen vor der Geburt meines ersten Kindes. Das war absolut undenkbar. Aber als mein Sohn geboren wurde, habe ich gedacht: Wen rufe ich jetzt an, um das zu sagen? In welcher Reihenfolge? Da warst du die Erste, und ich kannte dich ja erst ein paar Wochen. Dann war das alles okay und schön und gut, weil wir waren ja befreundet. Wir haben uns nur bei der Arbeit getroffen. Irgendwann kam dann dieser Punkt, dass du das beendet hast …

CHARLOTTE: Indem ich das ausgesprochen habe. Ich bin da stolz drauf, und alle paar Jahre sage ich zu dir: »Wer hat es zuerst gesagt? Wer hat es zuerst gesagt, Martin?«

MARTIN: Du hast es zuerst gesagt.

CHARLOTTE: Ich habe in einem der türkischen Restaurants, wo wir immer essen waren, gesagt: »Martin, ich weiß ja nicht, wie das für dich ist, aber ich möchte dir sagen, dass ich in dich verliebt bin.« Und dann hast du mich angeguckt wie ein Auto und hast gesagt: »Dann dürfen wir uns nicht mehr sehen.«

MARTIN: Das war nicht, was du hören wolltest. Das war auch nicht, was ich sagen wollte. Das war einfach das, was da rauskam. Weil ich dachte, wir müssen das verhindern.

CHARLOTTE: Ja, und dann haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich habe da erst gemerkt, dass wir uns total selbst verarschen, so aus Selbstschutz oder als Schutz für die Familie oder so. Ich hatte richtig körperliche Schmerzen, dass du mich nicht mehr treffen willst. Ich lag immer in Embryonalstellung bei uns zu Hause auf dem Boden rum und habe geweint. Das hat so im ganzen Körper richtig wehgetan, richtig schlimm. Ich dachte: Oh, ich hätte das nicht sagen dürfen, dann hätte ich den weiter treffen können und weiter mit dem reden, aber es stimmt doch. Und ich war mir so sicher, dass du mich auch liebst, aber dass es das jetzt war. Weil ich es ausgesprochen habe, ist alles im Arsch.

MARTIN: Ich habe dann immer deine Sendung heimlich geguckt, um die Verbindung aufrechtzuerhalten, wenigstens so.

CHARLOTTE: Das wusste ich aber nicht. Ich hatte nichts davon. Bei mir war einfach nichts, gar nichts mehr. Kein Treffen, keine SMS. Früher gab es ja nur SMS.

MARTIN: Ich war so überzeugt davon, dass du nur eine Freundin für mich bist, dass ich auch meiner Frau davon erzählt habe, dass wir zusammenarbeiten wollen, dass du nett bist, bla, bla, bla, so was alles. Du hast uns sogar besucht, und danach hat meine Frau gesagt: »Aber du hast nichts mit der, oder?« Zu dem Zeitpunkt – wenn man die klassische Definition nimmt – hatten wir wirklich nichts miteinander.

CHARLOTTE: Gar nichts.

MARTIN: Und dann haben wir uns nicht gesehen, viele Wochen. Aber dann ging das nicht mehr.

CHARLOTTE: Da gab es definitiv viele Wochen keinen Kontakt. Weil du dich komplett zurückgezogen hast und richtig so ein Alles-auf-Stopp und Alles-auf-Null, in der Hoffnung vermutlich, dass das abstirbt.

MARTIN: Ja, ich wollte meine Ehe und meine Familie retten. Wir haben auch Gespräche geführt, und ich habe gesagt: »Okay, ich sehe die nicht mehr.« So war der Stand, aber ich war sehr unglücklich damit.

CHARLOTTE: Ich habe natürlich weitergearbeitet, was man halt als VIVAZwei-Moderatorin macht im Sommer: Man hängt auf Festivals rum, beruflich. Dann war ich auf, was weiß ich, wie die alle heißen, South-by-south, West, Hurricane …

MARTIN:Southside und Hurricane.

CHARLOTTE: Ja, Southside oder Hurricane oder irgendein Rock am Ring oder was. Und dann war ich im Publikum, um Interviews zu drehen mit den ganzen Leuten vor der Bühne, und Coldplay hat gespielt, und dann hat mein Telefon vibriert, und ich habe da draufgeguckt, und du rufst an. Nach wochenlangem Leiden wie ein Schwein war das der erste Kontakt …

MARTIN: Das ist aber peinlich, dass das bei Coldplay passiert ist. Kannst du nicht eine coolere Band da reintun?

CHARLOTTE: Amy Winehouse war da noch am Leben. Nein, es war Coldplay. Es war unfassbar laut. Und dann habe ich nur abgehoben und in das Telefon reingeschrien: »Ich kann dich nicht hören, warte, ich kann dich nicht hören.« Und dann war es wie im Film, dass ich alles in Zeitlupe sehe. Das hat sich richtig in mein Gehirn eingebrannt, dass ich durch diese Hunderte, Tausende Leute durchrennen musste, weil ich hinter die Boxen musste. Ich hatte meinen Backstage-Pass, weil wir ja auch hinten gedreht haben, und ich musste einfach hinter die Bühne, weil ich wissen wollte, was du sagst. Und dann bin ich wie ein Irre durch die ganze Menschenmenge bis zur Bühne gelaufen, und du warst die ganze Zeit am Telefon, und ich habe mir ein Ohr zugehalten und geschrien: »Was denn, was denn, was denn?« Und du hast gesagt, du bist richtig betrunken.

MARTIN: Das stimmt. Ich war verzweifelt und betrunken. Ich habe mich so betrunken, dass ich mir einbilden konnte, dass nicht ich das Telefon bediene und dich jetzt anrufe, weil ich das ja nicht durfte. Ich konnte mir einbilden, dass eine fremde Macht mit meinen Fingern auf dieses Telefon tappt und dich anruft, um dir zu sagen … Was habe ich dir gesagt?

CHARLOTTE: Du hast mir erst gesagt, dass du so betrunken bist, dass du gerade in den Glastisch gefallen bist bei dir im Wohnzimmer und alles kaputt gemacht und dich verletzt hast. Als du das gesagt hast, habe ich gedacht: Oh, okay, und weiter? Weil man wollte ja die Erlösung. Dass das, was man die ganze Zeit so gefühlt und die ganze Zeit gehofft und gebetet hat, obwohl man nicht an Gott glaubt … Dass du ähnliche Gefühle für mich hast wie ich für dich. Und dass das nicht klappt, dass man das abtöten kann, durch Nichttreffen und Nichtreden. Und dann hast du zu mir gesagt, dass du mich liebst und dass du nicht ohne mich leben kannst.

MARTIN: Das war jetzt die schöne Seite. Das damit Zusammenhängende, dich zu lieben und mit dir zusammen zu sein, hieß auch, was anderes beenden zu müssen. Das war sehr blöd. Ich will ja nicht für mich Mitleid, das wäre ja Quatsch. Das war kaum zu schaffen und natürlich für meine Frau auch eine absolute Katastrophe.

CHARLOTTE: Also, für alle eigentlich.

MARTIN: Bei dir ja genauso.

CHARLOTTE: Für alle drum herum, vor allem unsere Partner. Die Kinder waren zu klein, das haben die nicht so richtig mitbekommen. Aber alle Leute um uns herum, alle haben gedacht, wir sind verrückt geworden. Es war ein massiver Gegenwind gegen alle Moves von uns, ne? Dass du mich angerufen und das gesagt hast, hieß auch: We act on it. Dass wir jetzt alles einleiten, dass wir unsere Partner verlassen, um zusammen sein zu können. Und dann ging natürlich die Luzie ab. Alle hatten Angst, dass denen die Kinder weggenommen werden, was natürlich nie die Absicht war. Es ist wahnsinnig schwer, jemandem, den man verlässt, zu erklären, dass man zwar die Person nicht mehr liebt oder dass man jemand anderen mehr liebt, aber nicht das Kind wegnehmen will.

MARTIN: Oder, dass man das Kind nicht im Stich lassen will. Bei mir ging es ja mehr darum, dass das nichts mit dem Kind zu tun hat und dass das Kind weiter mein Kind ist und dass ich das Kind nicht verlasse. Das war total schwer auseinanderzuhalten. Meine komplette Erziehung, mein gesamtes Wertesystem, alles hat natürlich gesagt, das darfst du nicht, das darfst du nicht machen.

CHARLOTTE: War das die erste Scheidung in eurer Familie?

MARTIN: Ja.

CHARLOTTE: Überhaupt?

Ende der Leseprobe