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Zwei pensionierte Studienräte suchen die Privatermittler Schreer und Vartan auf. Der brutale Mord an den ebenfalls aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Kollegen Sturm und Kling führt zu der Annahme, dass jemand es auf die Lehrerschaft eines Gymnasiums abgesehen hat. Alwin Schreer hat allerdings einen anderen Verdacht, da die Ermordeten Mitglieder einer rechtsextremen Partei waren. Dass der 26-jährige Sohn Michael des getöteten Ewald Kling ebenfalls ermordet wird, festigt den Verdacht, denn er galt vor allem in Aachen und Umgebung als politischer Brandstifter. Der Mordversuch an einem weiteren Lehrer wirft allerdings alle Annahmen um, dass Rechtsextreme das Ziel sind, denn der Überlebende namens Carsten Strauch gilt als das krasse Gegenteil - er steht politisch "links außen". Es werden Waffen im Keller von Michael Kling nach dessen gewaltsamen Tod entdeckt, und auf einem beschlagnahmten Computer kann ein Chatverlauf wieder hergestellt werden, der ein geplantes Attentat auf Flüchtlingswohnheime verrät. Klings Tod hatte also auf makabre Weise etwas "Gutes", und dennoch gilt: ein Mord ist und bleibt ein Mord, auch dann, wenn auf diese Weise ein von Rechtsextremisten groß angelegtes Attentat verhindert wurde. Ein zweiter Versuch erfolgt, den "Linksaußen" Carsten Strauch zu töten. Die Lehrermorde scheinen also doch weniger politisch motiviert zu sein. Dass jemand es auf die Lehrer einer bestimmten Schule abgesehen hat und es überhaupt nicht um Politik geht, erhält somit neue Nahrung. Als der Täter auffliegt, herrscht allgemeine Fassungslosigkeit...
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Seitenzahl: 152
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Der neue Fall von Schreer und Vartan
Dieser Roman ist eine Fortsetzung des 2005 entstandenen Krimis „Todesangst in der Nordeifel“, 2006 zunächst als Hörbuch bei Radioropa Hörbuch Division Of Technisat Digital veröffentlicht. Das eBook und das Taschenbuch folgten.
Alle Personen und die Handlung sind frei erfunden. Die Personen stellen fiktive Charaktere dar. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind zufällig.
Jean-Louis Glineur
"Vergeltung ist eine Art wilder Gerechtigkeit."
Sir Francis von Verulam Bacon (1561-1626)
Der Roman führt seine Leser in den Monat August des Jahres 2016
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Der Mann am Steuer des alten Honda Civic bog nach Dedenborn ab. Kaum ein Haus war erleuchtet. Er sah bereits das Ortschild, und er und seine Beifahrerin ahnten ihren düsteren Verfolger nicht. Der Unbekannte musste ohne Licht gefahren sein.
Aufgeblendetes Fernlicht, das in den Rückspiegeln reflektierte, irritierte den Honda-Fahrer, und zwei Schüsse schallten durch die Nacht. Gleichzeitig schrie die Frau auf dem Beifahrersitz auf. Es waren Sekundenbruchteile, und die massive Limousine rammte den kleinen Civic, der Honda raste die Böschung ungebremst hinab.
Es ging alles zu schnell, um einen klaren Gedanken fassen zu können, das Fahrzeug überschlug sich mehrfach, Blech knarzte, Glas splitterte. Als der Honda auf dem Dach liegen blieb, sah der nur leicht verletzte Fahrer, wie seine Begleiterin schlaff und ohne Regung in den Sicherheitsgurten hing. Sie war leblos, und die Stille war unheimlich. Der Geruch von Benzin ließ ihn panisch werden. Flammen schossen hoch, und die ohnmächtige Frau bewegte sich immer noch nicht. Er löste den Gurt und zerrte an ihr. Sie konnte an der Wirbelsäule verletzt sein, aber ob Feuertod oder ein Leben im Rollstuhl, er hatte keine Wahl. Der Civic brannte mehr und mehr, und die Flammen züngelten jetzt in den Innenraum.
Wie aus einem Hut gezaubert, standen plötzlich drei vermummte Männer vor dem brennenden Wrack und brüllten „Tod allen Ungläubigen!“
Der verletzte Fahrer des Civic streckte ihnen hilflos die Hand entgegen, als seine Beifahrerin aus der Ohnmacht erwachte, und sie brüllte die drei Gestalten an „Je suis Charlie!!!“
Ich wachte schweißgebadet auf, und wieder war er da, dieser Albtraum, der mich seit mehr als zehn Jahren immer und immer wieder heimsuchte und an meinen schlimmsten Fall als privater Ermittler erinnerte, der Anne-Catherine und mich fast das Leben gekostet hatte. Unsere gemeinsame Detektei wäre dann ‘Geschichte‘ gewesen.
Neu in diesem unfreiwillig im Zwei-Wochen-Takt abonnierten Albtraum waren aber die drei schwarz vermummten Gestalten, die uns als Ungläubige beschimpften, während wir auf kleiner Flamme geröstet wurden. Neu in diesem quasi modifizierten Horrortraum war allerdings auch, dass die ohnmächtige Anne-Catherine erwachte und sich mit dem seit Januar 2015 weltweit bekannten ‘Charlie‘ kurz vor dem Feuertod lautstark solidarisierte.
Doch wen wunderte schon, wenn Traum und Realität sich unerwartet vermengten. Im westlichen Europa terrorisierte und tötete der sogenannte Islamische Staat in erschreckend brutaler Weise fröhliche, weltoffene und harmlose Menschen. Attentate in Paris, Brüssel, Nizza und selbst dem kleinen deutschen Städtchen Ansbach vor nur wenigen Tagen waren steter Wegbegleiter durch die immer mit mulmigem Gefühl im Magen erwarteten aktuellen Nachrichtensendungen.
Dass der Anschlag auf die Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo weltweit für Entsetzen sorgte und mit dem Slogan ‘Je suis Charlie!‘ trotzig und solidarisch gekontert wurde, ging auch an mir nicht vorbei. Der passende Aufkleber zierte das Heck meines SUV, und Anne-Catherine trug nach diesem Attentat oft ein schwarzes T-Shirt mit den drei markanten Worten, dass auch sie Charlie ist.
Als Belgierin, deren vor einigen Monaten verstorbene Mutter als Journalistin viele Jahre in Paris und in Brüssel lebte, fühlte sich Anne in beiden Metropolen heimisch. Umso impulsiver reagierte Anne auf die Attentate in der französischen als auch der belgischen Hauptstadt. Nur so konnte ich mir meinen aktuell in absurder Art und Weise modifizierten Albtraum erklären. Aber – ob mit oder ohne durchgeknallte Terroristen, Islamisten oder Salafisten – dieser Traum feierte kürzlich sein zehnjähriges Bestehen.
Ich hoffte, die Vermummten blieben die einzigen Verzerrungen in meiner Traumwelt der nächsten Tage und Wochen … ein sonderbarer Türke, der sich über die Satire eines Herrn Böhmermann echauffierte und der Wiedereinführung der Todesstrafe hinterherhechelte, oder auch ein Herr Trump mit Hang zur Vogelnestfrisur und dem Glauben, Belgien sei eine kleine Stadt in Europa, wirkten eher beklemmend und absolut nicht witzig, wenn das Staatsmänner sein sollten, die ihr Land regieren und über dessen Grenze hinaus unter Umständen noch mehr Schaden anrichten konnten. Dumm nur, dass die Medien durch die starke Präsenz dieser sonderbaren Menschen schlicht gezwungen waren, Otto Normalverbraucher zu jeder vollen Stunde in Funk und Fernsehen intensiv mit Neuigkeiten aus Absurdistan zu berieseln.
Das einzig Gute an meinen häufigen Alpträumen ist, dass ich halbwegs zeitig – meist zwischen neun und zehn Uhr – dem Bettchen entstieg. Zumindest galt diese Regel dann, wenn kein Auftrag mich für einen nächtlichen oder frühmorgendlichen Einsatz als privater Ermittler in den Schichtdienstmodus versetzte. Das Schild DETEKTEI ALWIN SCHREER & ANNE-CATHERINE VARTAN an der Haustür war unübersehbar, aber nicht wirklich ein Garant für regelmäßige Aufträge. Aber dramatische finanzielle Abstürze blieben die vergangenen Jahre zum Glück aus, denn wir verdankten es auch der Genialität von Anne-Catherine, die bei Auftragsflauten immer wieder Geniestreiche ausheckte.
Und die Idee war so simpel: Detektive stehen auch für Kontrolle und Sicherheit, Sicherheit ist ein Grundbedürfnis eines jeden, der keine Einbrecher in seinen vier Wänden wissen will, und eben diese Sicherheitsbedürfnisse wurden die Grundidee für unseren Web-Shop.
Zunächst wehrte ich mich mit Händen und Füßen gegen diese Idee, aber Anne-Catherine konterte nur mit einem ‘Antesten kostet ja nix‘ und bemühte zuerst Internetanbieter wie Ebay und Delcampe. Sie, mit belgischen Wurzeln, setzte vor allem auf die letztere Adresse. Der Probelauf überzeugte mich bereits nach vier Wochen, und wir gründeten unser Internetkaufhaus.
„Alwin! Vergiss das blöde Wort Internetkaufhaus!“ reklamierte Anne-Catherine. „Das ist ein Web-Shop!“
Im Grunde lief alles richtig gut, seit der Web-Shop zum Rettungsanker für unsere Detektei wurde. Besser noch, wir hatten mit Reiner Welsch seit fünf Jahren zusätzlich einen gelegentlichen Mitstreiter an unserer Seite! Welsch und mich verband eine Freundschaft seit den ersten kindlichen Streitereien im Sandkasten, späteren gemeinsamen Streichen in der Gemünder Grundschule und dann auf dem Gymnasium in Schleiden, als wir beide dem Abiturjahrgang 1985 angehörten. Mich zog es in einen kaufmännischen Beruf, nachdem mich die Polizei bei den Einstellungstests ausmusterte, da meine Wirbelsäule krumm und schief war. Auch die Bundeswehr wollte mich nicht, und ich erhielt das Prädikat ‘ausgemustert‘ - und ausgerechnet mein bester Freund Reiner, der die meiste Zeit seines Lebens als behäbig galt und leicht pummelig war, bestand alle Einstellungstests der Polizei. Später war Welsch als Kommissar mit cleverer Spürnase viele Jahre bei seinen Kollegen geschätzt und bei den Ganoven gefürchtet.
Der erste Herzinfarkt Ende 2007, und eine weitere Herzattacke knapp zwei Jahre später, warfen ihn beruflich aus der Bahn. Frühzeitig pensioniert, fiel Welsch zunächst in ein tiefes Loch, bis Anne-Catherine die nächste Knalleridee hatte und mich mit dem Vorschlag überraschte, dass wir den guten Reiner gleich mit in den Web-Shop für Sicherheitsfragen einbinden sollten.
Sinnvolle Technik zur Sicherung von Häusern, Grundstücken oder Fahrzeugen zu prüfen und für den Web-Shop zu testen führte zur nächsten Idee, die schlicht Dienstleistung lautete: der pensionierte Commissario beriet in der kompletten Städteregion Aachen und im Kreis Euskirchen Privatpersonen und kleine Betriebe, wie sie sich am besten vor Einbruch und Diebstahl schützten. In den vergangenen Jahren entwickelten sich also erfolgreich Alles-aus-einer-Hand-Lösungen zum Unmut des Verbrechertums.
Schließlich gab es auch noch den Handel mit allem, was Sicherheit versprach und legal verkauft werden durfte. Da war meine kaufmännische Ausbildung aus der Mitte der 1980er Jahre nützlich, wenngleich ich lieber Ermittler, Schnüffler und Spürnase war, der gemeinsam mit Anne-Catherine ermittelte.
Unser sogenanntes Back-Office war mit Reiner Welsch gut aufgestellt, und als 'Mädchen für alles' hatten wir noch Arno Wergen aus Mützenich, nahe der belgischen Grenze, seines Zeichens für unsere Detektei seit über zehn Jahren tätig. Besonders dann, wenn wir einen Auftrag hatten, jemanden zu beschatten, kam Arno stets dann zum Einsatz, wenn ein Verfolgen mit einem Auto zu auffällig wäre.
Arno wurde mit seiner Enduro zum fast unsichtbaren Schatten. Allerdings mussten wir darauf achten, dass unser Minijobber nicht zu viel verdiente, denn nach 10 Jahren Arbeitslosigkeit und späterem Hartz 4, hatte das Jobcenter ein kritisches Auge auf Arno, denn er war als angeblich arbeitsscheu verschrien. Anne-Catherine und ich sahen das deutlich anders, allerdings warf unsere Detektei auch nicht genug ab, um Arno fest anzustellen.
Seit dem Tod seines Sohnes Anfang 2005 und dem Krebstod seiner Frau drei Jahre später, war Arno oft nur ein Schatten seiner selbst gewesen. Dass sein 15-jähriger Sohn Marcel seinem eigenen Leben ein Ende setzte, ohne dass das häufige 'Warum' jemals beantwortet wurde, nagte damals sehr an Arno. Seine Frau und er zogen von Schleiden nach Mützenich, denn Arno hatte ein kleines Haus geerbt.
Als seine Jugendliebe Monika im Sommer des Jahres 2008 einem Krebsleiden erlag, verlor Arno den Boden endgültig unter den Füßen und fand im Alkohol einen teuflischen Ratgeber. Psychiatrie, Entzugsklinik und Psychotherapie retteten ihn letztlich doch vor dem endgültigen Absturz, und nach einer Auszeit von knapp zwei weiteren Jahren arbeitete Arno wieder für uns als das erwähnte 'Mädchen für alles' und fand sogar eine neue Liebe, die in den kommenden Wochen zu ihm ziehen wollte.
Als er mir das erste Mal von einer Anja aus Konzen erzählte, dachte ich nur, die einzige Konzener Anja, die ich kenne, ist eine linke Bazille und kaum geeignet, Arnos verletzte Seele zu pflegen. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass seine Neueroberung eine aus dem belgischen Büllingen Richtung Konzen aus beruflichen Gründen zugezogene nette Anja war.
Diese neue Liebe war der Anlass, dass Arno nach mehr als zehn Jahren endlich die Kraft hatte, das Jugendzimmer von Marcel auszuräumen. Viele Erinnerungen, so hatte er erzählt, bewahrte er nun in Kartons auf, die er auf dem Dachboden seines winzigen Fachwerkhauses lagerte. Das Mobiliar hatte er entsorgt, um sich von den Erinnerungen zu befreien, die der Anblick all die Jahre immer wieder auslöste. Beim Tapezieren und Streichen des Zimmers hatte ich Arno geholfen, damit er nicht einsam und allein in diesem Zimmer alten Erinnerungen zu viel Raum gab.
Es war auch die Angst, dass der ehemalige Alkoholiker Arno wieder rückfällig werden könnte, wenn der Kummer an ihm nagte. Bier und Wein hatte er immer im Haus, aber er rührte Alkohol nie mehr an und nannte es einen ‘Bestandteil einer Eigentherapie‘, dass er für seine Gäste eine Flasche Bier oder einen guten Wein im Haus hatte und jeder Versuchung widerstand.
Ich quälte mich noch leicht verschlafen und von meinem Alptraum gerädert aus dem Bett und suchte den kürzesten Weg zur Küche Richtung Kaffeemaschine. Diesen Weg kannte ich trotz meiner Kurzsichtigkeit auch ohne meine Brille, quasi im Blindflug. Hauptsache, ein großer Kaffee zum Wachwerden.
Als mein Handy sich musikalisch meldete, entdeckte ich auch meine Brille, die neben dem Sony lag, das mit Far Far Away von Slade lautstark einen Anrufer ankündigte. Es war Arno, auf den ich gestern Nachmittag eingehende Anrufe umgeleitet hatte und er einmal mehr seine vielseitige Einsatzmöglichkeit als ‘Allrounder‘ bewies.
„Guten Morgen, Alwin!“ tönte er eine Spur zu laut in mein rechtes Ohr. „Alles fit in Dedenborn?“
„Deine gute Laune vor 12 Uhr ist einfach unerträglich“, brummte ich und nahm einen Schluck Kaffee. „Was kam denn gestern an Anrufen herein, du Gute-Laune-Bär?“
„Drei Anrufe, Alwin. Zwei Anrufer baten um einen persönlichen Besuch, dass einer von euch sie zum Schutz ihrer Häuser gegen Einbrecher berät. Ich habe Welsch direkt angerufen, und er hat bereits Termine vereinbart. Im Moment…“, Arno hielt einen Augenblick inne und blätterte raschelnd in einem Notizheft, „…müsste er bei einer Familie Walber in Gemünd zur Beratung sein. Und dann hat Reiner gegen 13 Uhr gleich die nächste Beratung, und zwar in Huppenbroich. Den zweiten Termin nimmt er gemeinsam mit Anne-Catherine wahr.“
Das klang erfreulich. Die Beratungen und die Vermittlung an Firmen, die später die Sicherheitsvorrichtungen - ob einbruchssichere Fenster oder Alarmanlagen - montierten, ließen die Kasse der Detektei jubeln.
„Und Anruf Numero drei?“ fragte ich, mittlerweile von der nächsten Tasse Kaffee endlich zum Leben erweckt.
„Hah! Das klang nach einem richtig brisanten Auftrag“, jubelte mein telefonisches Gegenüber und legte eine Pause ein.
„Nun gib Gas, Arno, und mach’s nicht so spannend!“
„Du hast gegen vierzehn Uhr drei Besucher, und du wirst nicht raten, was für Figuren das sind…“
„Wieso? Kommt der Papst mit Gefolge?“ Arno hatte nun den Rückwärtsgang eingelegt, um meine Neugier weiter zu forcieren.
„Nein … nicht ganz, mein Lieber. Du hast nachher drei Pauker an der Backe.“ Arno gluckste vergnügt.
„Pauker?“
„Na klar, Pauker!“ bestätigte er. „Besser unter der Beschreibung Lehrer bekannt. Und zwar Lehrer des Gymnasiums in Schleiden. Und denen geht der Arsch auf Grundeis, sag‘ ich dir!“
Mich beschlich eine Ahnung, und ich ließ vor meinem geistigen Auge sämtliche ePaper, Internetbeiträge und Zeitungsberichte der letzten Monate, die ich gelesen hatte, durchlaufen…
„Nein!“ war mein einziger Kommentar.
„Doch, Alwin!“ widersprach Arno. „Die zwei toten Lehrer, die man im Hohen Venn und in Gemünd gefunden hat, waren ja der große Aufmacher in den Zeitungen. Aber es kommt noch besser…“
Wieder eine Pause. Ich tat ihm den Gefallen und drängte: „Nu‘ red‘ weiter!“
„Es gibt noch ein drittes Opfer, auch ein Lehrer des Schleidener Gymnasiums, aber der hat überlebt. Mehr weiß ich auch nicht, weil das noch so frisch ist, dass noch nichts in der Zeitung gestanden hat. Ich weiß nur, dass die werten Herren jetzt Panik haben, dass noch mehr Lehrer dieser Schule angegriffen werden. Nachher tauchen irgendwelche Studienräte bei Dir auf…“ Arnos Notizblock raschelte wieder. „Es sind die Herren Strauch, Pesch und Vogel.“
Er kicherte etwas albern.
„Habe ich irgendetwas nicht verstanden?“ fragte ich.
„Na, Alwin! Du bist wirklich erst nach einer ganzen Kanne Kaffee zu gebrauchen. Pesch und Vogel … Pechvogel“, belehrte er mich. „Ist doch ein klasse Wortspiel, du trübe Tasse.“
Ich verabschiedete mich. Arnos gute Laune war nichts für einen Morgenmuffel. Anne-Catherine schickte ich eine SMS mit den Worten Kunde winkt mit Auftrag, legte mich eine halbe Stunde in die Badewanne und begab mich danach ins Büro, um die beiden Morde an den zwei Lehrern zu googeln.
Ich schaute aus dem Arbeitszimmer auf die Straße und entdeckte auf die Minute genau einen herannahenden älteren Mazda 626 in silbergrau mit Schleidener Kennzeichen. Das konnten die angekündigten Lehrer sein, und ein SLE auf dem Autokennzeichen war bezeichnend für den „Run“ Richtung Straßenverkehrsamt, seit das verhasste EU wie Euskirchen gegen das Wunschkennzeichen SLE getauscht werden konnte. In der Städteregion Aachen war es nicht viel anders, denn die eingefleischten Monschauer besannen sich auf den Altkreis Monschau, und das typische AC auf den Autokennzeichen musste für ein MON weichen.
Der Mazda hielt, und ein kleiner Glatzkopf mit witziger Nickelbrille auf dem Beifahrersitz studierte die Hausnummern und nickte eifrig, als müsse er sich selbst bestätigen, dass er und sein Chauffeur ihr Ziel erreicht haben. Ich las auf seinen Lippen ein vermutliches ‘da ist es‘, und der Mann hinter dem Lenkrad nickte schweigend.
Ich ging bereits zur Haustür und sah beiden Männern zu, wie sie schnell einige ungeordnete Papiere vom Rücksitz nahmen. Der Kleine mit der Glatze entdeckte mich und nickte freundlich. Ich biß auf meine Unterlippe, um ein Schmunzeln zu vermeiden, denn er erinnerte mich an die Zeichentrickfigur Schweinchen Dick, denn er war nicht nur klein und kompakt, sondern von einer unglaublich rosigen Gesichtsfarbe geprägt. Er war mir spontan sympathisch. Sein Begleiter folgte ihm mit eiligen Schritten und stellte einen absoluten Kontrast dar, denn er war sehr groß – locker einsfünfundneunzig – und sehr hager. Diese knappen zwei Meter auf langen Stelzen wogen vermutlich weniger als 75 Kilo, und Anne-Catherine würde ihn mit ihrem gewohnt kessen Mundwerk mit ‘der klappert beim Sex‘ umschreiben.
Der Kleine streckte mir die Hand entgegen und sagte freundlich: „Roland Vogel, mein Name. Sie müssen Herr Schreer sein.“
Ich nickte nicht minder freundlich, schüttelte die angebotene Hand und reichte sie auch seinem dürren Begleiter, der sich mit „Hallo Herr Schreer, ich bin Helmut Pesch“ vorstellte.
Ich bat beide Besucher mit einer Geste, einzutreten.
„Ich gehe vor, meine Herren. Das Wetter ist so angenehm, dass wir uns einfach auf die Terrasse setzen. Kommt Herr Strauch gleich nach?“
Wir setzten uns, und ich deutete auf das Mineralwasser und die Kanne Kaffee, die ich bereits vorbereitet hatte. Die Herren Pesch und Vogel – verdammter Arno … jetzt hatte ich dauernd dieses Pechvogel im Schädel – entschieden sich für das Mineralwasser, während ich mein Lieblingsgetränk Kaffee bevorzugte.
„Nein“, begann Helmut Pesch. „Nachdem er vor knapp vierzehn Tagen niedergeschlagen und danach entführt wurde, hat er sich gestern ganz spontan entschieden, mit seiner Frau und seinen Kindern die nächsten vier Wochen bei seinen Schwiegereltern im Hunsrück zu verbringen. Arbeiten kann er nach dem Ende der Schulferien eh noch nicht, da sein Angreifer ihm den rechten Arm gebrochen hat und der Bruch recht kompliziert ist.“
„Aber Sie beide sind noch berufstätig?“ fragte ich. „Ich kann nicht so recht einschätzen, wie alt oder jung Sie sind.“
Nun schmunzelte Roland Vogel: „Nein, Herr Schreer, wir sind beide mittlerweile pensioniert. Der Kollege Pesch ist siebenundsechzig Jahre jung, und bei mir kommt noch ein Jährchen hinzu.“
Sein Lächeln verschwand einen kurzen Moment, und er ergänzte: „Und wir möchten noch ein paar Jahre sorgenfrei genießen.“
Ich schwieg und schaute beide erwartungsvoll an. Es war nun Helmut Pesch, der das Wort ergriff: „Sehen Sie, Herr Schreer, Roland und ich haben beide fast das ganze Berufsleben an der Schule in Schleiden verbracht. Als Referendare waren wir zuvor in Aachen, beziehungsweise Roland war zunächst Referendar in Bonn.“ Er nippte an seinem Glas Wasser, bevor er fortfuhr: „Wir sind auch jetzt noch der Schule eng verbunden, denn sie ist ein erheblicher Teil unseres Lebens. Wir haben Jahrzehnte dort mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet.“
Roland Vogel nutzte eine kurze Denkpause von Pesch, um an dessen Worten anzuknüpfen: „Sie sind ja durch Ihren Mitarbeiter, mit dem ich gestern telefonierte, im Bilde. Wahrscheinlich haben Sie auch die Berichterstattung der letzten Monate verfolgt.“