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Die Wahrheit hinter der glamourösen Fassade: In Paris: Mein Leben erzählt Paris Hilton von ihrem ADHS, überholten Erziehungsmethoden, Gewalt und Emanzipation. Bekannt wurde Paris als Erbin des Hilton-Hotelimperiums, aber sie veredelte ihren Ruhm und ihr Vermögen, indem sie DAS It-Girl der Nullerjahre wurde. In einer Zeit, die vom Aufkommen der 24-stündigen Nachrichtenbeschallung und erster früher Promi-Blogs geprägt war, lernte sie ihre Personenmarke einzusetzen, um geschäftlich Erfolg zu haben. Während ihr als permanentem Gegenstand der Boulevardkultur vorgeworfen wurde, sie sei "berühmt dafür, berühmt zu sein", zog sie mit Beharrlichkeit, Unternehmergeist und Entschlossenheit ihr eigenes kleines Medienimperium hoch und mauserte sich zu einer wahrhaft modernen und weltweit beliebten Ikone. Jetzt endlich zieht Paris Hilton mit Mut, Ehrlichkeit und jeder Menge Humor Bilanz, ergänzt die fehlenden Puzzlestücke und teilt ihre Geschichte mit der Welt. Indem sie die Rolle von ihrer Urheberin, die Marke von ihrer Botschafterin trennt, räumt sie auf mit allem, was wir über sie zu wissen dachten. Sie nimmt uns mit in eine privilegierte Kindheit, die sie durch das Brennglas eines undiagnostizierten ADHS erlebte. Ihre Rebellion als Teenagerin führte zu einer panischen und gefährlichen Reaktion ihrer Eltern: Weil man sie glauben machte, dass sie nur so das Leben ihrer Tochter retten könnten, ließen Paris' Mutter und Vater sie kidnappen und in mehrere 'Internate für emotionales Wachstum' sperren, in denen sie fast zwei Jahre lang verbalen, körperlichen und sexuellen Missbrauch erlitt. Inmitten jener Hölle, die wir heute unter dem Namen 'Problemkind-Industrie' kennen, erschuf Paris eine schöne innere Welt, in der die Hässlichkeit ihrer Umgebung sie nicht erreichte. Als sie endlich wieder freikam, vertraute sie niemandem mehr außer sich selbst und verwandelte ihre Fantasiewelt in eine milliardenschwere Realität. Indem das Buch auch von ihrer riskanten Reise durch die männliche Tyrannei der Ära vor #MeToo mit genau dem richtigen Quäntchen Frechheit berichtet, spürt Paris: Mein Leben der Entwicklung der Promi-Kultur bis in die Gegenwart nach. Wir erleben Momente wieder, die uns allen in Erinnerung geblieben sind, und begegnen vielen bekannten Namen. Doch am allerwichtigsten: Paris zeigt uns ihren Weg zum Frieden, während sie uns herausfordert, unsere eigene Rolle in ihrer (und unserer) Geschichte zu hinterfragen. Erbin, Partyluder, Problemkind, Selfie-Produzentin, Model, Reality-Star, Eigenkreation: So lauten die Labels, die andere Paris Hilton angeheftet haben. Gründerin, Unternehmerin, Popkultur-Schaffende, Innovatorin, Überlebende, Aktivistin, Tochter, Schwester, Ehefrau, Mutter: Das sind die Rollen, die Paris als vollends erwachsene Frau für sich annimmt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 501
Paris Hilton
Mein Leben
Aus dem amerikanischen Englisch von Viola Krauß und Maria Mill
Knaur eBooks
Bekannt wurde Paris als Erbin des Hilton-Hotelimperiums, aber sie veredelte ihren Ruhm und ihr Vermögen, indem sie DAS It-Girl der Nullerjahre wurde. In einer Zeit, die vom Aufkommen der 24-stündigen Nachrichtenbeschallung und erster früher Promi-Blogs geprägt war, lernte sie ihre Personenmarke einzusetzen, um geschäftlich Erfolg zu haben. Während ihr als permanentem Gegenstand der Boulevardkultur vorgeworfen wurde, sie sei »berühmt dafür, berühmt zu sein«, zog sie mit Beharrlichkeit, Unternehmergeist und Entschlossenheit ihr eigenes kleines Medienimperium hoch und mauserte sich zu einer wahrhaft modernen und weltweit beliebten Ikone.
Jetzt endlich zieht Paris Hilton mit Mut, Ehrlichkeit und jeder Menge Humor Bilanz, ergänzt die fehlenden Puzzlestücke und teilt ihre Geschichte mit der Welt. Indem sie die Rolle von ihrer Urheberin, die Marke von ihrer Botschafterin trennt, räumt sie auf mit allem, was wir über sie zu wissen dachten. Sie nimmt uns mit in eine privilegierte Kindheit, die sie durch das Brennglas eines undiagnostizierten ADHS erlebte. Ihre Rebellion als Teenagerin führte zu einer panischen und gefährlichen Reaktion ihrer Eltern: Weil man sie glauben machte, dass sie nur so das Leben ihrer Tochter retten könnten, ließen Paris’ Mutter und Vater sie kidnappen und in mehrere ›Internate für emotionales Wachstum‹ sperren, in denen sie fast zwei Jahre lang verbalen, körperlichen und sexuellen Missbrauch erlitt. Inmitten jener Hölle, die wir heute unter dem Namen ›Problemkind-Industrie‹ kennen, erschuf Paris eine schöne innere Welt, in der die Hässlichkeit ihrer Umgebung sie nicht erreichte. Als sie endlich wieder freikam, vertraute sie niemandem mehr außer sich selbst und verwandelte ihre Fantasiewelt in eine milliardenschwere Realität.
Indem das Buch auch von ihrer riskanten Reise durch die männliche Tyrannei der Ära vor #MeToo mit genau dem richtigen Quäntchen Frechheit berichtet, spürt Paris: Mein Leben der Entwicklung der Promi-Kultur bis in die Gegenwart nach. Wir erleben Momente wieder, die uns allen in Erinnerung geblieben sind, und begegnen vielen bekannten Namen. Doch am allerwichtigsten: Paris zeigt uns ihren Weg zum Frieden, während sie uns herausfordert, unsere eigene Rolle in ihrer (und unserer) Geschichte zu hinterfragen.
Widmung
Prolog
Teil 1
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
Teil 2
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
Teil 3
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
Teil 4
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Nachwort
Danksagung
Für die Familie, in die ich hineingeboren wurde,
für die, die ich gegründet habe,
und die, die mir unterwegs zugefallen ist.
Ich liebe euch alle.
Das ADHS-Gehirn, schreibt Dr. Edward Hallowell, Autor von Zwanghaft zerstreut, ist wie ein Ferrari mit Fahrradbremsen: leistungsstark, doch nur schwer unter Kontrolle zu halten. Meine ADHS bewirkt, dass ich ständig mein Handy verliere, sie macht mich andererseits jedoch auch zu der, die ich bin: Will ich also mein Leben lieben, muss diese Liebe auch meine ADHS mit einschließen.
Und ich liebe mein Leben.
Es ist Juni 2022, und ich erlebe eine der schönsten Wochen meines Lebens. Meine Freundin und Nachbarin Christina Aguilera hat mich als einen ihrer Top Secret Special Guests auf die LA Pride eingeladen, und als meine Crew die DJ-Ausrüstung zur Tür rausbugsierte, war ich derart nervös und aufgekratzt, dass ich das Haus ohne Schuhe verließ und mich in Tanktop, Samtjogginghose und Socken vor einem Backstage-Trailer wiederfand – was nur noch peinlicher wurde, als ich versehentlich in der falschen Garderobe landete. Drinnen kleideten sich gerade ein paar Back-up-Tänzer und -Tänzerinnen um und kreischten vor Begeisterung, als sie mich sahen.
Selfies also. Was sonst.
Ich versuche, das immer selbst zu machen – etwa die Kamera der Betreffenden so zu halten, dass sie nach unten zeigt, was wichtig ist, wenn du groß bist, weil es so unsäglich unvorteilhaft wirkt, wenn man dir von unten in die Nasenlöcher fotografiert oder die Hände der Fotografierenden zittern, weil sie nervös oder ein bisschen schüchtern ist, was ich absolut nachvollziehen kann, sodass ich gleichzeitig »Super! Mega! Gigantisch!« schrie, und dann machte ich mich auf den Socken wieder davon, in einer Gangart, die mein Mann Carter als »Einhorntrab« bezeichnet: kein richtiges Laufen, anmutiger als Galoppieren und eher Hüpfen als Tanzen. Dinge langsam anzugehen, fällt mir schwer.
Und dann bin ich mit Christina und etwa dreißigtausend anderen in Regenbogenfarben und Glitzer, tanzend, lachend, Leute umarmend, auf der Pride und genieße meinen Auftritt in vollen Zügen, der übrigens gleich nach dem von Kim Petras kam, die bei unserer Hochzeit letztes Jahr diese herrliche Balladenversion von »Stars are blind« gesungen hat, und dann – während Carter und ich den Mittelgang entlangschritten – »Can’t help falling in love«. Weshalb mich dieser Song letzte Woche auf Britney Spears’ Hochzeit zu Tränen gerührt hat, als unsere umwerfende engelsgleiche Prinzessinnenbraut nach all den albtraumhaften Jahren wieder aus der Versenkung auftauchte und in Versace (natürlich, worin sonst?) zu den Klängen jenes kultigen Elvis-Presley-Songs den Mittelgang entlangschwebte, eines Songs, gesungen auf Millionen von Trauungen in Vegas, wo mein Großvater, Barron Hilton, den ganzen Trend mit Resident-Gaststars in Vegas überhaupt erst losgetreten hat, als er Elvis 1969 ins Las Vegas Hilton International holte und damit Britney und so vielen anderen innovativen Künstlern den Weg bereitete, die dann in diesem Format große Erfolge feierten – ein perfektes Beispiel dafür, wie die schöpferische Vision eines einzigen Menschen geradezu eine Kaskade der Genialität auslösen kann, die sich unablässig fortsetzt, bis weit in die Zukunft.
Ein weiteres wunderbares Beispiel ist mein Urgroßvater, Conrad Hilton.
Halt. Wo war ich gerade?
Diese Menschenmenge. O mein Gott. Diese Energie. Liebe. Licht. Dieser unkaputtbare Spirit.
Ich stehe hinter meinem Pult. Es ist, als würde ich ein Raumschiff steuern mit den coolsten Leuten der Galaxie darauf. Mein Auftritt ist um Kulttitel wie »Toxic« herum aufgebaut, wenn man von dem krassen BeatBreaker-Remix von »Genie in a Bottle« von Christina Aguilera, unserer Xtina, der Queen of the Night, plus einer Menge anderer cooler Originale und Remixes absieht, die ich mal in einem Podcast oder auf YouTube bringen sollte, weil diese Musik so irre viel Spaß macht. (Nicht vergessen: Playlist erstellen.) Ich war so total auf meine Musik fokussiert (Nicht vergessen: Ultra Naté in Playlist aufnehmen), dass mir erst, als ich schon halb mit dem Set durch war, dämmerte: Ich hatte das Handy auf dem Küchentresen im Trailer liegen lassen, wo ich die Selfies mit den knapp bekleideten Background-Tänzern und -Tänzerinnen gemacht hatte.
Fuck.
Ich bemüh mich ja schon, nicht die ganze Zeit Fuck zu sagen. Will das Wort schließlich nicht überstrapazieren, weil es ein so vielseitiger, praktisch anwendbarer, einfach toller Ausdruck ist. Nomen. Verb. Stellenbeschreibung. Lückenfüller. Fuck rettet den Tag. Drum: Fuuuuuuuuuuck! Weil ich mich ohne mein Handy nackt fühle, völlig paranoid bin, dass es jemand in die Finger kriegen und den Inhalt durchs gesamte Internet posaunen könnte, was mir mehr als nur einmal passiert ist, drum danke ich Gott für Cade – bester Freund, Schutzengel – der, nachdem ich einen super Auftritt hingelegt hatte, das herrenlose Handy suchen ging. Dann gingen wir alle zu der After-Show-Party von Christina und mir downtown im Soho House.
Inzwischen bin ich daheim bei meinen Liebsten: Diamond Baby, Slivington, Crypto, Ether und Harajuku Bitch, der legendären Chihuahua-Dame.
Ein Hoch auf Harajuku Bitch!
Sie ist jetzt zweiundzwanzig Jahre alt. Mit sieben Hundejahren multipliziert, wäre sie also buchstäblich einhundertvierundfünfzig Jahre alt! Sie schläft dreiundzwanzig Stunden am Tag und sieht aus wie Gizmo von den Gremlins, aber sie ist immer noch da und macht das Beste draus. Ich weiß, eines Abends werde ich heimkommen und sie wird für immer eingeschlafen sein. Ich habe solche Angst vor dem Tag und hasse diesen düsteren Gedanken. Düstere Gedanken sind meine Nemesis, sie verderben mir den Spaß sogar dann, wenn ich auf einem geilen Event mit Leuten war, die mich total beflügeln, und mein Mann noch wach im Bett liegt und geduldig drauf wartet, dass ich mein Bad nehme und meine Hautpflegeroutine erledige, die ich, wie er weiß, nie abkürze.
Meine Schwester und ich waren noch klein, als uns unsere Mom den Wert guter Hautpflege vermittelt hat; bei dem beruhigenden Ritual spüre ich, dass sie bei mir ist.
Hautpflege bedeutet – wenn man es richtig macht –, sich in einer aggressiven Welt einen Moment der Zärtlichkeit zu gönnen. Du nimmst die Maske ab – dein trotziges, lustiges oder auch strenges Gesicht, deine betonharte Zuckerglasur, siehst dich gereinigt und genährt und sagst dir: »Okay. Jetzt ist alles gut.« Man fühlt alles so intensiv, wenn man sich gerade das Gesicht gewaschen hat. Wie ein Neugeborenes beim ersten Atemzug.
Kim Kardashian und ich waren mal dabei, uns eine Frittata und French Toast mit Frosties-Panade zum Frühstück zu machen, da meinte sie aus heiterem Himmel: »Ich kenne keine, die ein derartiges Feierbiest ist wie du und dabei so gut aussieht.«
Hautpflege. Im Ernst. Wenn du nichts anderes aus meiner Geschichte mitnimmst, dann wenigstens dies: Hautpflege ist heilig. Die meisten Frauen, die in den 1990ern gekokst haben, sahen Mitte der Nullerjahre nur noch fertig aus. Das hat mich überzeugt und abgeschreckt. Ich will gar nicht behaupten, dass ich es nie probiert habe, aber ich war nicht bereit, meinen Teint zu opfern. Das Gleiche bei Zigaretten. Da kann man sich ja gleich ’ne Schaufel in die Visage zimmern.
Mein einziges Laster ist mittlerweile die Sprühbräune. Meine Schwester Nicky kann sie nicht ausstehen, aber ich bin regelrecht süchtig danach. Ansonsten stehen Carter und ich ja total auf Wellness und Hautpflege. Unser Motto: »Ein Leben lang ist nicht lang genug.« Uns zu pflegen ist etwas, das wir für einander aus Liebe tun. Wir wollen, dass unser gutes Leben noch lange währt.
Nachdem ich die Frittata in den Ofen geschoben und einen süßen kleinen Pinguin-Timer gestellt hatte, meinte Kim: »Jetzt bleiben uns noch zwölf Minuten zum Saubermachen. Immer gleich aufräumen, lautet die Regel.«
Meine einzige Regel heißt: Hautpflege. Sonnenschutz ist mein elftes Gebot.
Vielleicht fragst du dich ja: Und was hat das alles mit ADHS zu tun?
Nichts. Und auch alles. Beides.
ADHS ist anstrengend und spannend, und Gott hat mich nun mal so geschaffen, also wird es schon seine Richtigkeit haben.
Carter begreift nicht so recht, was es heißt, ADHS zu haben, aber er ist der erste und einzige Mann in meinem Leben, der es zumindest versucht hat. In der Anfangsphase unserer Beziehung hat er viel Zeit und Energie darauf verwendet, ADHS zu recherchieren, was wirklich das Liebevollste war, was je ein Mann für mich getan hat. Die meisten seufzen bloß, trommeln mit den Fingern und geben mir zu verstehen, wie wahnsinnig frustrierend es ist, in diesen endlosen Schleudergang hineingesogen zu werden, der mein Leben nun einmal ist. Carter lässt sich darauf ein. Wo die meisten Leute nur eine brennende Mülltonne sehen, sieht Carter Burning Man. Klar ist auch er hin und wieder frustriert, aber er versucht nicht, mich umzuprogrammieren.
Carter ist Wagniskapitalgeber. M13, die Firma, die er gemeinsam mit seinem Bruder Courtney gegründet hat, ist dafür bekannt, dass sie sich bei Einhörnern (Start-ups, die mit mindestens einer Milliarde Dollars bewertet sind) wie Rothy’s, Ring und Daily Harvest engagiert. Carter ist ein Einhornflüsterer. Er ist gefühlvoll, denkt weit voraus und ist gern der Boss, aber er kämpft nicht mit harten Bandagen. Wenn wir etwa in einer 11:11-Media-Vorstandssitzung sind und uns über einen Vertrag unterhalten und ich immer wieder abschweife zu einem besseren Tool für spontane Instagram-Videos und wie dieses Tool gestylt, produziert und auf wirklich witzige und verständliche Weise vermarktet werden sollte und ich es via Cross-Promotion bewerben könnte und wie es wäre, wenn der Knopf wie ein kleiner Otter oder ein winziges Faultier oder ein Känguru –
– dann beugt Carter sich zu mir herüber und flüstert: »Babe.«
Nicht irgendwie fies. Sondern nur so, dass ich mich wieder einkriege.
Vor einiger Zeit war ich in The Disruptors zu sehen, einem Dokumentarfilm über außergewöhnliche Menschen mit ADHS, darunter will.i.am, Jillian Michaels und Justin Timberlake, die Gründer von JetBlue und Ikea, Steve Madden, Simone Biles, Adam Levine und Terry Bradshaw, der Astronaut Scott Delly, Channing Tatum – die Liste ließe sich endlos fortsetzen.In The Disruptors werden auch Dr. Hallowell und andere Psychologen und Neurologen vorgestellt, die die wissenschaftliche Erforschung von ADHS vorangetrieben haben. Tatsächlich widerspricht die Botschaft des Films sämtlichen Vorurteilen und Stigmata.
Struktur und Funktion des ADHS-Gehirns stellen eine Art Rückfall in Zeiten dar, in denen man – falls man überleben, etwas zu essen finden, sich fortpflanzen wollte – knallhart sein musste. (Kleiner visueller Hinweis: Raquel Welch als Höhlenmädchen und Steinzeit-Königin in Eine Million Jahre vor unserer Zeit.) Der Frontallappen – Sitz unserer Impulskontrolle, von Konzentration und Hemmung – war damals (und ist bei ADHS-Betroffenen noch heute) kleiner, weil der taffe Steinzeitprimitivling instinktiv und ohne Angst handeln musste. Nervenbahnen verbanden sich und reiften nicht im gleichen Tempo, weil es für die primitive Höhlenkönigin wichtiger war, gut im Beerenpflücken und beim Töten von Säbelzahntigern zu sein als beim Lesen von Romanen. Dopamin und Noradrenalin, zwei mächtige Botenstoffe, die unseren Schlaf regulieren und die Kommunikation zwischen Gehirnzellen ermöglichen, wurden quasi tröpfchenweise intravenös zugeführt, weil das Höhlenmädchen bereits beim Knacken eines Zweigs hochschrecken musste.
Ich bin also (wie übrigens 5 Prozent aller Kinder und 2,5 Prozent aller Erwachsenen) ein Primitivling aus der Steinzeit in einer Welt zeitgenössischer Denker, einer Welt, die Gehorsam und Konformität von uns fordert. Selbst wenn wir die ordentlichen Menschen sein wollten, die unsere Lieben sich wünschen, haben wir schlicht nicht das Zeug dazu. Wir müssen akzeptieren, wer wir sind, oder wir gehen beim Versuch, uns umzumodeln, zugrunde.
Zu den Vorzügen von ADHS zählen Kreativität, Intuition und Resilienz sowie ein besonderes Talent zum Brainstormen. Auch in Sachen Schadensbegrenzung bin ich gut, da ich permanent Dinge verliere, zu spät komme, Leute nerve. Begabt bin ich darüber hinaus fürs Multitasking, weil ich einfach nicht dazu geschaffen bin, mich über längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren. Da meine Aufmerksamkeitsspanne begrenzt ist, erlebe ich Zeit nicht als linear; das ADHS-Gehirn verarbeitet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wie ein mit dem Spirographen gezeichnetes Knäuel miteinander vernetzter Ereignisse, wodurch ich über ein gewisses Spiderwoman-mäßiges Gespür für Modetrends und Technologie verfüge.
Meinem Glück zu folgen fällt mir leicht, denn was immer mich im jeweiligen Augenblick interessiert, macht mich glücklich. Meine Gehirnchemie lechzt nach sensorischem Input. Nach Klängen, Bildern, Puzzles, Kunst, Bewegung, Erfahrungen, kurz: nach allem, was Adrenalin und Endorphine freisetzt – all das benötigt mein ADHS-Gehirn so dringend wie Sauerstoff.
Ich hab nicht nur gern Spaß. Ich brauche ihn. Spaß ist mein Kerosin.
Der Hauptnachteil bei ADHS ist, dass sich die Leute um dich herum oft durch dein Verhalten gestört, irritiert oder verletzt fühlen, sodass du ständig verurteilt und bestraft wirst und dich dann richtig scheiße fühlst. Auch Suizidgedanken sind bei ADHS-Betroffenen häufiger. Selbsthass und Selbstmedikation sind weit verbreitet. Wenn daher der Rest der Welt dich für unausstehlich, dumm oder nicht ganz richtig im Kopf hält, ist sich selbst zu lieben ein Akt der Rebellion – was schön, aber auch anstrengend ist, vor allem als Kind. Mit diesem ewig bedürftigen Kind in dir wird dein Leben zu einer unaufhörlichen Suche nach Liebe – oder was immer sich gerade so anfühlt.
Soweit ich weiß, hat man mir als Kind nie Medikamente verschrieben – und ich wurde nie auf ADHS getestet. Auch wenn du die wunderbarsten, liebevollsten Eltern der Welt hast (und die habe ich), erfolgt die Diagnose nicht immer früh, vor allem bei Mädchen nicht, die die Symptome geschickt zu verbergen wissen. Die Behandlung von ADHS konzentrierte sich traditionell auf die Unterdrückung unerwünschter Verhaltensweisen. In den 1980er-Jahren hatten die Leute gerade erst angefangen, darüber zu reden, dass sie hyper oder »auf dem Spektrum« waren.
Kein Mensch sagte damals zu mir: »Entspann dich mal, Mädchen. Es gibt viele Arten von Intelligenz.«
Stattdessen erzählten mir alle, ich sei dumm, verzogen, rücksichtslos und undankbar oder strenge mich nicht genug an. Und nichts davon war wahr. Ich musste kreaktiv sein und gab mir enorme Mühe, um dazuzugehören, doch ich bin ja von Haus aus kreativ und fleißig, sodass ich mich jeden Tag ungemein reinhängte, abrackerte, anpasste, bis ich irgendwann stark genug war und sagen konnte: »Scheiß auf die Anpasserei« – was ich meinen Kindern von Anfang an beibringen werde, egal, wie es um ihr neurologisches Entwicklungsprofil bestellt ist.
Als Erwachsene nahm ich mal was, mal nicht. Mit Anfang zwanzig erklärte mir ein Arzt, was mir »fehlte«, und verschrieb mir gleichzeitig Adderall®. Daraus entwickelte sich eine Hassliebe zwischen mir und dem Adderall®, die sich über zwanzig Jahre hinzog, bis Carter und ich Dr. Hallowell begegneten.
Dr. Hallowell aber meinte: »Seit 1981 versuche ich den Leuten klarzumachen, dass dieser Zustand – sofern man nur den richtigen Gebrauch davon macht – ein echtes Kapital darstellt, sprich mit Qualitäten einhergeht, die man weder kaufen noch lehren kann. Was dich hemmt und zurückhält, ist das damit einhergehende Stigma. Das Stigma und die Ignoranz. Eine tödliche Kombination.«
Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen, wie es zuweilen geschieht, wenn jemand eine Wahrheit ausspricht, die man zwar immer schon geahnt hat, aber noch nie jemanden hat laut sagen hören.
»Unser Kryptonit ist die Langeweile«, fuhr Dr. Hallowell fort. »Wenn es uns an Anregungen fehlt, schaffen wir uns selbst welche. Wir behandeln uns selber mit Adrenalin.«
ADHS kann eine Quelle schöpferischer Energie sein, doch der böse Zwilling der schöpferischen Energie ist der Zwang, Unruhe zu stiften. Du brauchst ein bisschen Adrenalin? Dann besorg es dir doch auf die harte Tour. Verstrick dich in katastrophale Beziehungen. Es gibt eine Million verschiedene Arten, sich – um dieses Adrenalins willen – selbst ein Bein zu stellen. Meine Vorstellungskraft ist unendlich, aber sie führt mich ebenso leicht an finstere Orte wie zum Licht. Dr. Hallowell spricht vom Dämon, jener Schlange, die sich in alles hineinschlängelt und dir, sobald etwas schlecht läuft, einredet, dass du es nicht besser verdient hast, und wenn es gut läuft, dass es nicht lange halten wird. Natürlich ist der Dämon ein Lügner, aber versuch mal, das meinem Gehirn zu verklickern, wenn es sich die Finger leckt nach einem Riesenkübel fettig herausgebackener Angst.
»Dein größtes Kapital ist gleichzeitig dein schlimmster Feind«, erklärte Dr. Hallowell.
Und mein Hirn sagte: Fuck.
»Erzählen Sie doch mal, Paris, wie steht es um Ihr Selbstwertgefühl?«
»Ich bin eine gute Schauspielerin«, erwiderte ich.
Darauf er: »Das gilt für viele Menschen, die mit ADHS leben.«
Wohlgemerkt, er sagte nicht: »für Leute, die an ADHS erkrankt sind«. Oder: »für Leute, die an ADHS leiden«. Sondern: »für Menschen, die mit ADHS leben«.
Manche von uns haben sogar entdeckt, dass ADHS unsere Superkraft ist. Und ich wünschte, das A stünde für arschgeil. Wünschte, das D stünde für Drive. Und das H und S würden für so was wie höllisch und super stehen.
Ich will weder angeben noch mich beklagen, ich sag es einfach: Das ist mein Gehirn. Und wie sich dieses ganze Buch-Ding letztendlich entwickeln wird, hat viel mit diesem Hirn zu tun, denn ich liebe ewig dahinmäandernde Sätze – und Gedankenstriche. Und Satzfragmente. Wahrscheinlich werde ich beim Erzählen ziemlich viel hin- und herspringen. Wie ein Spirograph-Gemälde der Zeit. Alles hängt mit allem zusammen.
Über einige dieser Probleme habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesprochen. Ich bin eine Problem-Vermeidungs-Maschine. Und ich habe von den Besten gelernt: meinen Eltern. Nicky behauptet, Mom und Dad seien »König und Königin in der Disziplin, Dinge unter den Teppich zu kehren«.
Es gibt dabei eine Hierarchie, und dies sind die Regeln in unserer Familie:
Wird nicht darüber gesprochen, gibt es auch kein Problem.
Verbirgt man, wie sehr einen etwas verletzt hat, ist es nicht passiert.
Tut man, als hätte man nicht bemerkt, wie tief man einen anderen verletzt hat, muss man auch kein schlechtes Gewissen haben.
Natürlich ist das völliger Blödsinn, und was es noch verrückter macht: Es ist auch nicht gut fürs Geschäft. Ich stamme aus einer Familie genialer Unternehmer. Wie kann es sein, dass wir in Sachen Gefühlshaushalt so unfähige Wirtschafter sind? Beziehungen, ob professioneller oder persönlicher Natur, sind transaktional. Ein Geben und Nehmen. Auf Gedeih und Verderb. Du investierst und hoffst auf eine starke Rendite. Aber es bleibt immer ein Risiko.
Ich liebe meine Mom, und ich weiß, sie liebt mich auch. Trotzdem haben wir uns gegenseitig in den Wahnsinn getrieben und können uns bei gewissen Themen nicht mehr als ein paar dürre Worte abringen. Dieses Buch zu lesen wird schwer für sie werden. Und es würde mich nicht überraschen, wenn sie es erst mal für eine Weile beiseitelegt. Oder auch für immer. Und das ist okay.
Ich versuche hier, für einige sehr heftige private Dinge, über die ich nie sprechen konnte, Verantwortung zu übernehmen. Dinge, die ich gesagt und getan habe. Dinge, die man mir gesagt und angetan hat. Es fällt mir schwer zu vertrauen, und ich finde es nicht leicht, meine persönlichen Gedanken mitzuteilen. Wenn es um meine Familie und meine Marke geht, bin ich die Super-Glucke (ich, die Geschäftsfrau, die sich aus einem Partygirl entwickelt hat, das nach wie vor in der Haut dieser Geschäftsfrau steckt), sodass mir graust, wenn ich daran denke, was viele Leute vermutlich sagen werden.
Aber es wird Zeit.
Es gibt so viele junge Frauen, die diese Geschichte hören sollten. Ich will aber nicht, dass sie aus meinen Fehlern lernen; sondern dass sie aufhören, sich für ihre eigenen Fehler zu hassen. Ich will, dass sie lachen und kapieren, dass sie eine eigene Stimme haben und ihre ganz eigene Art von Intelligenz. Und Girls, scheißt auf die Anpasserei!
Bereue nichts, denn irgendwann einmal war es genau das, was du wolltest.
MARILYN MONROE
Viele haben mich für bekloppt erklärt, am Morgen nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag in Las Vegas Fallschirmspringen zu gehen, doch damals war mir das einerlei, und heute weiß ich, dass sie unrecht hatten. Wenn du am Morgen nach einem Besäufnis der Stufe neun Fallschirm springen willst, dann tu das. Und dein einundzwanzigster Geburtstag ist der ideale Zeitpunkt für solchen Blödsinn, denn viele Dummheiten, die man in seinen Zwanzigern macht, legen den Grundstein für die spätere Weisheit. Wenn du allmählich klüger wirst, erkennst du: Was du bedauerst, sind all die Dummheiten, die du nicht gemacht hast. Meine Zwanziger aber, boah, die liefen eher nach dem Motto: Bloß keine Dummheit auslassen. Die falschen Männer lieben. Die falschen Frauen hassen. Mit Von Dutchs rumlaufen.
Ich bereue nichts.
Na ja, einiges schon.
Fallschirmspringen gehört allerdings nicht dazu.
Als ich mich dazu entschied, dachte ich, es wäre die perfekte krönende Kirsche auf meiner hochkarätigen, bombastischen Multistop-Geburtstagsfeier, die wirklich der Wahnsinn war – und wahrscheinlich die größte Fete zum Einundzwanzigsten seit Marie Antoinette –, was ich mit gewisser Autorität behaupten kann, denn Feiern ist eine der Disziplinen, in denen ich Erfahrung habe, eine quasi geldwerte Qualifikation, erworben in lebenslanger hingebungsvoller Praxis.
(Ausführlichere Erläuterungen dazu später in diesem Buch)
Die Partys, die ich als kleines Mädchen besuchte, waren meist Familientreffen auf Brooklawn, dem Anwesen der Eltern meines Vaters, Barron und Marilyn Hilton, die ich Papa und Nanu nannte. Vielleicht hast du das Haus in meiner Doku-Serie Paris in Love gesehen; es handelt sich um das georgianische Herrenhaus, in dem ich 2021 geheiratet habe. Entworfen vom legendären Architekten Paul R. Williams – der auch Villen für Frank Sinatra, Lucille Ball, Barbara Stanwyck und andere Hollywoodgrößen schuf – wurde das Haus 1935 für Jay Paley, einen der Gründer von CBS, erbaut.
Damals war Papa acht Jahre alt und lebte mit seinem großen Bruder Nicky, seinem kleinen Bruder Eric und meinem Urgroßvater Conrad Hilton in einem Hotel. Meine Urgroßmutter hatte sie verlassen, weil sie (der Familienmythologie zufolge) das anstrengende Hotelleben nicht mochte und keine Hoffnung mehr hatte, dass Conrad je richtig Geld verdienen würde. (Im Geiste rufe ich ihr »Und tschüs« nach.)
Später war Conrad noch kurzzeitig mit der ungarischen Salonlöwin Zsa Zsa Gabor verheiratet, die pleite, aber schön war und es genoss, jeden Abend tanzen zu gehen. Zsa Zsa war eine schillernde Persönlichkeit, die eine frühe Version des Geschäftsmodells entwickelte, das sich heute Influencing nennt, sprich: die sich dafür bezahlen ließ, bestimmte Klamotten zu tragen, auf Partys aufzukreuzen und Beautyprodukte anzupreisen, damit die jeweiligen Markennamen in der Hollywood-Presse erschienen. Die Ehe nahm ein bitteres Ende, und Conrad gelangte zu dem Schluss, es sei besser, die Jungen allein großzuziehen. Er erzog sie mit althergebrachten christlichen Werten, ließ sie als Pagen arbeiten und lehrte sie, dass Arbeit und Familie eifersüchtige Götter wären, die stets miteinander auf Kriegsfuß stünden. Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratete Papa Nanu und bekam acht Kinder mit ihr. Dad ist die Nummer sechs. Er war noch klein, als sie ins Jay-Paley-Haus zogen und es in Brooklawn umbenannten.
Das alles scheint unendlich lange her zu sein, doch um meine Geschichte zu verstehen, müsst ihr den Hilton kennen, mit dem alles begonnen hat. Leute, die Conrad Hilton kannten, erzählen mir, ich sei genau wie er, was ich meistens als Kompliment verbuche. Meistens. Er ist zwei Jahre vor meiner Geburt gestorben, und anders, als die meisten denken, hat er den größten Teil seines Vermögens wohltätigen Stiftungen vermacht. Papa hat gearbeitet. Meine Eltern arbeiten. Ich selbst bin ein Arbeitstier. 2022 unterschrieb ich einen Riesendeal, um in Werbekampagnen und Cross-Promotions auf meinen Social-Media-Kanälen das Gesicht der Hilton Hotels zu werden, und ich liebe diese Zusammenarbeit, aber ich denke, das ist auch der fetteste Profit, den mir die Tatsache, dass ich eine Hilton bin, je einbringen wird.
Aber ich bin eine, und das ist mega. Hier bin ich und gestehe, wie gesegnet und glücklich ich bin, okay? Man hat meine Familie als »amerikanischen Hochadel« bezeichnet. Ich will das außerordentliche Privileg und die sich mir dadurch eröffnenden Möglichkeiten nicht runterspielen. Erfahrungen. Reisen. Gelegenheiten. Ich bin dankbar für alles.
Die Barron-Hilton-Familie ist riesig, und wir sind gern beieinander, mögen uns und kümmern uns auch um den Kram der anderen, obwohl wir uns seit Nanus Tod nicht mehr so oft sehen. Als wir noch klein waren, erlebten Nicky und ich mit unseren Millionen Cousins und Cousinen auf Brooklawn unzählige Abenteuer, wir kletterten auf Zäune und spielten Kickball auf dem saftig grünen Rasen. Partys auf Brooklawn hatten etwas von Straßenfesten: Es gab Ponyreiten und Streichelzoos, Hüpfburgen, Tennisturniere und Marco-Polo-Death-Matches im gigantischen Pool, den ein kunstvolles Mosaik aus importierten italienischen Kacheln schmückte, das die Tierkreiszeichen wiedergab. Ich bin Wassermann, sodass ich dachte, ich müsse diejenige sein, die irgendwie einer Nixe ähnelt, doch das war dann, wie sich rausstellte, die Jungfrau. Der Wassermann war ein bullig wirkender Dödel mit einem Wasserkrug auf der Schulter. Wahrscheinlich habe ich geheult, als es mir klar wurde. Genau genommen aber habe ich wohl nur drei Sekunden geheult und dann beschlossen, dass ich doch die Meerjungfrau war, egal, was die Sterne oder so ein paar alte italienische Kachelfiguren behaupteten.
In den 1970ern feierten meine Eltern, Rick und Kathy Hilton, mit Andy Warhol und der denkbar hippsten Szene von Studio City bis Studio 54. Mein Dad ist im Immobilien- und Finanzgeschäft, Mitbegründer von Hilton & Hyland, einem großen Unternehmen, das auf erstklassige Wohn- und Gewerbeimmobilien spezialisiert ist. Im Zusammenhang mit Dads Geschäft luden meine Eltern oft Leute ein, und wenn Mom eine Party gibt, dann ist die durchgeplant bis zum letzten Rosenblatt – bis zu all den winzigen Details, die ihren Gästen das Gefühl geben, Teil von etwas Besonderem zu sein. Alles ist perfekt, einschließlich der Gastgeberin. Meine Mom stylt sich und ihre Umgebung mit unfehlbarem Geschmack. Sie hat ihren Auftritt und bespielt den Raum wie eine Königin – klug, liebenswürdig und einfach wunderbar. Die Leute lieben sie, weil sie sich wirklich für sie interessiert, ihnen zuhört und ihnen das Gefühl gibt, ebenfalls klug, liebenswürdig und wunderbar zu sein.
Wahre Kultur heißt, dass man sich überall zurechtfindet, weil man großes Einfühlungsvermögen besitzt und jeden Menschen respektiert, egal, wer er ist. Meine Mom ist kultiviert in diesem Sinne. Sie ist witzig, smart und stylish, doch ihre wahre Superpower ist ihre Intelligenz. Ich hatte keine Ahnung, wie viel alberne Energie in ihr steckte, bis sie 2021 bei The Real Housewives of Beverly Hills unterschrieb. Es war, als ließe man den Korken aus einer Flasche rosa Champagner knallen.
Als Nicky und ich noch klein und die Jungen noch nicht auf der Welt waren, brachte Mom uns Tischmanieren bei. Welche Gabel man benutzt. Wie man die Füße setzt, wenn man auf dem roten Teppich für die Kameras posiert. Wir begriffen, dass unser Familienname Gewicht hatte und Aufmerksamkeit auf sich zog. Wir verfügten über eine gesellschaftliche Stellung, die mit gewissen Erwartungen einherging. Als kleine Mädchen besuchten Nicky und ich superschicke gesellschaftliche Anlässe, Spendengalas und elegante Empfänge im Waldorf oder der Met, wo meine Eltern sich mit Anwälten, Agenten und Politikern trafen, allen möglichen außergewöhnlichen Leuten, die Großes taten.
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, wie ich bei einer Aftershow-Party im Waldorf-Astoria auf Andy Warhols Schoß sitze und Bilder male. Er mochte mich und meinte immer zu meiner Mom: »Dieses Kind wird mal ein ganz großer Star.«
Ich finde es toll, dass unsere Eltern uns überallhin mitschleppten. Man denkt ja vielleicht, Geschäft und gesellschaftliche Anlässe seien langweilig für ein kleines Kind, aber ich habe für diese Partys gelebt. Ich lernte, die Architektur einer guten Ballrobe zu schätzen. Ich erlebte die Musik großartiger Jazz-Combos, Streichquartette, Privatvorstellungen berühmter Künstler. Ich saß wie ein Schmetterling auf einem Zaun und lauschte den Erwachsenengesprächen über Geschäftstransaktionen, Immobilien-Deals, Vermögen, die gemacht oder verloren wurden, unbedachte Liebesaffären und hässliche Scheidungen. Alles drehte sich um Liebe oder Geld, zwei Dinge, die mich faszinierten, weil alle im Bann der einen oder des anderen zu stehen schienen.
Eine Art Clubumgebung erlebte ich zum ersten Mal, als ich zwölf war. Nicky und ich waren mit Pia Zadoras Tochter Kady befreundet und Pia mit unserer Mom, sodass sich die Möglichkeit bot, mit Pia ein New-Kids-on-the-Block-Konzert in LA zu besuchen. Weil Pia berühmt war, durften wir hinter die Bühne – und wären vor Aufregung fast gestorben.
»Die After-Show-Party steigt in der Bar One«, meinten die Jungs zu Pia. »Kommt doch auch!«
Nicky und Kady und ich drängten: »Wir müssen da hin! Bitte! Biiiiitte!« Wir waren alle völlig besessen von den New Kids. Und Pia hatte nichts dagegen, sodass wir zur Bar One fuhren, wo die Türsteher sie wegen ihres Promi-Status sofort reinließen.
Die Atmosphäre in der Bar war zu viel für mein kleines Hirn. Meine spontane Bauchreaktion aber war Jaaaaaa, weil ich gleichzeitig mit all diesen glitzernden Sinneseindrücken bombadiert wurde –LICHTERN MUSIK GELÄCHTER MODE FREUDE LICHTERN WEISSEN ZÄHNEN DIAMANTEN MUSIK –, nach denen mein ADHS-Gehirn permanent gierte. Ich wusste nicht, dass eine tatsächliche Veränderung meiner Körperchemie stattfand, aber ich spürte etwas, das real war, und ich liebte es. Alles in mir erwachte zum Leben – Körper und Geist, Haut, Hirn – und es fühlte sich fantastisch an. Leider kam uns, gerade als ich das alles auf mich wirken ließ, die Schwester meiner Mom über den Weg gelaufen. Tante Kyle schrie: »What the fuck!« Sie zerrte Pia zu einem kurzen, gezischelten Wortwechsel beiseite und verfrachtete uns dann nach Hause, doch ich wusste, ich musste da wieder hin.
Während meiner ersten Teenagerjahre nutzte ich jede sich bietende Gelegenheit, mich rauszuschleichen. Ich wurde eines dieser Desperately Seeking Susan-Club-Kids, die in den frühen Neunzigern das Nachtleben beherrschten. Die Vogue-Tänzer und Dragqueens und Harajuku-Girls nahmen mich unter ihre Fittiche, passten auf mich auf, und so lernte ich, worauf es ankommt, wenn man feiern will wie ein Rockstar:
Immer genug Wasser trinken.
Stets charmant bleiben (beschwipst kann ja ganz drollig sein, aber besoffen ist ordinär).
Boots anziehen – zum Beispiel gute feste Plateau-Stiefeletten – und bequeme Kleidung, damit du die Nächte durchtanzen und, wenn nötig, leicht zu einem Fenster rein und wieder raus bzw. über Zäune klettern kannst.
Damals trank ich weder noch nahm ich Drogen. In meinen Teenagerjahren war Spaß die einzige Partydroge, die ich brauchte. Ich war ja nicht da, um mir die Kante zu geben. Ich war da, um zu tanzen. Alkohol und Drogen nimmt man, um der Realität zu entkommen, aber ich wollte doch alle Realität, die ich kriegen konnte. Die Flucht in den Alkohol kam erst später.
Eines Abends, irgendwann nach dem Pia-Zadora-Clubabenteuer, versuchte ich, Nicky, unsere Cousine Farah und unsere Freundin Khloé Kardashian in die Bar One einzuschmuggeln. Khloé und Farah waren noch kleine Mittelschulmädchen, sodass ich Khloé die volle Kriegsbemalung, eine lange rote Perücke und einen schwarzen Schlapphut verpasste.
»Falls dich wer fragt«, schärfte ich ihr ein, »du heißt Betsey Johnson.«
Farah hatte ich in einem langen Trenchcoat auf jemandes Schultern gesetzt. Wir hatten so viel Mühe in unsere Verkleidung investiert, dass wir es kaum fassen konnten, als man uns nicht am Absperrseil vorbeilassen wollte.
»Hier kommt man wohl nur mit Promis rein«, stichelte ich.
Das Gefühl, vor aller Augen abgewiesen zu werden, ging mir gegen den Strich. Das würde mir nicht noch einmal passieren! Als ich sechzehn war, organisierte ich falsche Ausweise für Nicky und mich. Damit machten wir keinem was vor, aber allmählich waren wir so was wie berühmt, sodass es eh kein Problem mehr war, in die Bar One (heute das Bootsy Bellows), ins Roxbury (heute Pink Taco) oder andere angesagte Läden reinzukommen.
Zwischen sechzehn und achtzehn waren meine Feiermöglichkeiten begrenzt, weil ich in einer ganzen Reihe sektenartiger Bootcamps und »Internaten zur Förderung des emotionalen Wachstums« eingesperrt war. Sobald ich dem aber mal für ein paar herrliche Wochen der Freiheit entkam, ging ich auf Nummer sicher – mit kleinen Strandpartys und Wohnzimmertreffen, bei denen die Kids nur chillten und quatschten, bis ich endlich alle aufscheuchte und zum Tanzen animierte. Vor allem Kids, die zu schüchtern waren oder die sich in ihrem Körper nicht wohlfühlten. Das sind die, die das Tanzen am nötigsten haben. Und das gilt bis heute für jeden Gig, bei dem ich – sei’s in meiner virtuellen Welt oder im wirklichen Leben – auflege: Wenn du mit Paris Party machst, dann tanzt du.
Mit achtzehn unterschrieb ich bei einer Modelagentur, und was glaubst du, was sich Leute nach einer Fashionshow wünschen? Mit Models Party machen. Ach nee, denken jetzt wohl die meisten, aber vergiss doch mal, was man so leicht unterstellt, nämlich dass Männer Schweine und Models doof seien. Denn das ist weder fair noch zutreffend noch hilfreich. Die meisten Männer, denke ich, sind grundsätzlich anständig, und erfolgreiche Models kommen auf der ganzen Welt herum. Durch die Welt zu reisen ist die beste Schule, die es gibt. Die meisten Models sind Teenager oder in ihren Zwanzigern, und zuweilen macht sich dieser Mangel an Reife bemerkbar, aber sie entwickeln sich. Gönn ihnen ein bisschen Zeit.
Netzwerken – zu wissen, wie man eine Party feiert und organisiert – ist ein ganz entscheidender Aspekt, wenn man sich ein Geschäft aufbaut. In meinen Zwanzigern war ich so feierwütig und gleichzeitig geschäftstüchtig, dass die Leute anfingen, mir Geld zu geben, damit ich auf ihre Partys kam. Zwar habe ich das Feiern gegen Bezahlung nicht erfunden, aber ich habe es neu erfunden. Und ich bin stolz darauf, dass man mich »OG influencer« nennt, sprich: die Mutter aller Influencerinnen. Junge Frauen müssen begreifen, welchen Mehrwert sie für eine Party darstellen. Nämlich einen weit größeren, als bloß herumzustehen und hübsch auszusehen. Das kann auch irgendein Mannequin. Ein versiertes Partygirl aber ist Moderatorin, Unterhändlerin, Diplomatin – sie ist die Wunderkerze und das Streichholz. Seid euch eures Wertes bewusst, Girls. Ihr müsst nicht froh sein, dass man euch überhaupt eingeladen hat; nein, die Party kann froh sein, euch zu haben. Was, je nach Bedarf, auch auf Beziehungen, Jobs und Familie anwendbar ist.
Wie meine Hochzeit 2021 erstreckte sich auch mein einundzwanzigster Geburtstag über mehrere Tage und Zeitzonen. Bereits seit Jahren feierte ich in Clubs, hatte es aber allmählich satt, Türstehern irgendeinen Scheiß zu erzählen und falsche Ausweise vorzuzeigen – als ob sie nicht Bescheid gewusst hätten. Es machte uns alle zu Heuchlern, was mir als enorme Energieverschwendung vorkam. Ich freute mich, einundzwanzig zu werden und den ganzen Quatsch endlich hinter mir zu lassen. Es sollte das erste Mal sein, dass ich ganz korrekt und legal ausgehen würde, also ging ich in die Vollen, plante Partys auf der ganzen Welt und organisierte mir Sponsoren, die das alles bezahlen würden. Die Geburtstagssause, mit der ich meine Volljährigkeit feierte, war ein tanzendes, trinkendes Multiversum der Geselligkeit; und danach waren alle völlig am Ende.
Selbstverständlich organisierte ich mir eine unglaubliche Garderobe. Es war ein Event mit multiplen Looks, einem ganzen Line-up von Designerklamotten, Plateauabsätzen, Accessoires und Diamantdiademen. Es war die Geburtsstunde meines legendären silbernen Chainmail-Kleids von Julien Macdonald – einer Kreation, die sich Kendall Jenner zu ihrem eigenen einundzwanzigsten Geburtstag 2016 nachbauen ließ. Was zeigt, wie zeitlos dieses Kleidungsstück ist. Ich trug meines ein zweites Mal (ich hab’s natürlich behalten) an meinem letzten Abend in Marbella, als ich 2017 dort Platten auflegte.
Julien entwarf mir das Kettenhemdkleid für meine Londoner Party zum Ende der London Fashion Week, bei der ich für ihn gelaufen war. Ich war die Braut, und das Brautkleid war mega, aber als ich dieses kultverdächtige Chainmail-Geburtstagskleid das erste Mal zu Gesicht bekam, hat es mich umgehauen.
»Dieses Kleid ist der Hammer«, sagte ich. »Dieses Kleid wird mal im Museum hängen.«
Gewicht und Design sind aufs Raffinierteste aufeinander abgestimmt, wobei Tausende von Swarovski-Kristallen zum Einsatz kamen. Es fällt und bewegt sich wie ein fließender Slinky-Stoff. Das Dekolleté geht bis runter zum Südpol, sodass man Doppelklebeband benötigt, wenn einem das Ding nicht vom Nippel rutschen soll. Das klappt auch meist recht gut, bis man dann beim Tanzen ins Schwitzen gerät; Tanzen aber ist in diesem Kleid schöner als ein Bad in Eselsmilch.
Als ich losstürzte, um jemanden zu umarmen, landete ich prompt auf der Nase, sodass ich es für gescheiter hielt, meine 6-Zoll-Stilettos rasch loszuwerden. Ich glaube, an dem Punkt wechselte ich dann in das luftige blaue Meerjungfrauenkleid. Rückenfrei, aber super geschnitten. In der GO Lounge in LA trug ich ein hauchzartes pinkes mit Millionen von Strasssteinchen übersätes Minikleid, die alle von Hand aufgenäht waren. Aber nichts war mit dem Gefühl vergleichbar, das ich hatte, als ich mir in jener Nacht in der Londoner Stork Lounge in diesem silbernen Julien-Macdonald-Kleid förmlich den Arsch abtanzte.
Ich will, dass sich jedes Mädchen an seinem einunzwanzigsten Geburtstag so fühlt: frei, glücklich, schön – und geliebt.
Unbesiegbar.
Die Designer von Heatherette entwarfen mir ein mit Swarovski-Kristallen besticktes türkises Meerjungfrauenkleid fürs Studio 54 in New York. Le Cirque spendierte dieses extrem aufwendige Gourmetbuffet, und sie backten mir eine wunderschöne einundzwanzigstöckige Geburtstagstorte. Anschließend folgte eine Fete in Paris, weil Paris, und dann noch eine in Tokio, wo ich für Tausende von Fans eine riesige Party sponserte, ich werde doch meine kleinen Fangemeinden nicht vernachlässigen! Dann fuhr ich zurück nach LA und veranstaltete dort einen Festkorso, der sich – mit vertrauten Sandkastenfreunden und geliebten Jugendfreundinnen und Verwandten – vom Flughafen LAX bis zu meinem Haus in der Kings Road bewegte.
In meinem Haus stapelten sich die Präsente. Freunde und Fans aus aller Welt hatten Rosen, Ringe, Armbänder und Stofftiere geschickt. So viele tolle und aufmerksame Geschenke. Ich war so gerührt von den liebevollen Worten auf Karten, in Briefen und E-Mails. Ich schrieb Dankesbriefe, bis mir fast der Arm abfiel.
Eine Partycrowd zu kuratieren ist eine Kunst. Andy Warhol war der unangefochtene Meister in dieser Disziplin. Prince erbte den Titel und hob die Kunst mithilfe der Geheimzutat Musik auf die nächste Ebene. Und das ist, was mir von all diesen Partys in Erinnerung geblieben ist: die Musik und die Menschen. Meine Schwester, meine Cousins und Cousinen. Jede Menge Kindheitsfreunde wie Nicole Richie. Die heißen Matriarchinnen: Mom, Kris Jenner, Faye Resnick, Tante Kyle und Tante Kim. Legenden wie P. Diddy oder der Gastronom Sirio Maccioni. All die Verwandten und Freunde, die Konstanten in meinem Leben bilden, aber auch eine Menge cooler Leute, die kamen und gingen, weil manche Freundschaften eben nicht ewig halten, was okay ist.
Diese faszinierende Mischung von Leuten tanzte zu meiner handverlesenen Playlist. Jede/r. Einzelne. Tanzte. Das war noch vor meiner Profizeit als DJ, aber ich hatte schon immer ein Gespür für den Vibe, für Ebbe und Flut. Und die Clubmusik der frühen Nullerjahre war ja wie geschaffen zum Ausflippen:
Chemical Brothers, »Star Guitar«
Depeche Mode, »Freelove«
DJ Disciple, »Caught Up« mit Mia Cox
Funky Green Dogs, »You Got Me (Burnin’ Up)«
Aber ich brauchte auch meinen Soul Song: Ultra Naté, »Free«.
Im Bellagio in Las Vegas legte DJ AM auf, sodass ich mir sicher sein konnte, dass die Musik der Hammer war. Diese Nacht durfte nie zu Ende gehen.
Während der längsten Zeit meines Erwachsenenlebens – wenn ich ohne meine Hunde schlief und oft auch, wenn sie bei mir waren – drängten sich albtraumhafte Vorstellungen in meine Gedanken, drückten mir auf den Magen, sodass ich Angst vorm Einschlafen hatte. Ich zögerte es möglichst lange hinaus, indem ich einfach weiterfeierte – tanzte, Champagner trank, tanzte und tanzte, trank, lachte und tanzte – bis es wieder Morgen war und mein Körper mir sagte: Hör auf, blöde Ziege. Es ist vorbeiiiii …
Und ehe ich michs versah, vibrierte das Handy unter meiner Achsel.
Irgendwer hämmerte an die Tür meines Hotelzimmers.
»Paris? Paris, wach auf! Wir müssen zum Flugplatz.«
Ich schlug die Augen auf. Das Zimmer drehte sich wie eine Diskokugel.
»Was? Wie … wo müssen wir hin?«
Und dann erinnerte ich mich, dass ich allen gesagt hatte, ich wolle Fallschirmspringen gehen.
Nein! Uah.
Das konnte ja nur in die Hose gehen, aber ich wollte mich auch nicht blamieren und einen Rückzieher machen. Ich quälte mich in einen Tracksuit. Auch nachdem ich eine Flasche Wasser runtergestürzt hatte, blieb dieses Gefühl, als hätte ich Sand im Mund. Vom Wasser war mir irgendwie übel, so als müsste ich gleich kotzen, aber ich hatte nichts weiter im Magen. Höchstens ein bisschen Kuchen. Ich war so mit Tanzen beschäftigt gewesen, dass ich es nie zum Buffet geschafft hatte. Normalerweise ist Champagner eine gute Versicherung gegen Kater, aber ich hatte auch ein paar Kurze getrunken oder Martinis oder was immer sich Leute auf ihrer einundzwanzigsten Geburtstagsparty so hinter die Binde kippen. In meinem rechten Auge drehte sich eine Supernova. Meine Haarwurzeln schrien.
Auf dem Weg zu dem winzigen Flugplatz außerhalb der Stadtgrenze von Las Vegas sagte ich mir immer wieder: Jetzt sei nicht so lahm, reiß dich zusammen, ich bitte dich. Ich wusste, wenn ich mich übergab oder heulte oder mich drückte, würden einige von den Leuten, mit denen ich zusammen war, das nicht für sich behalten. Irgendwer würde Fotos schießen und sie verkloppen. Ein paar von ihnen waren Freunde und zuverlässig, andere aber kannte ich weder besonders noch vertraute ich ihnen, und der Kater beeinträchtigte mein Urteilsvermögen, sodass ich in meinen Vertrau keinem-Modus zurückfiel und tat, als sei ich total aufgeregt.
»Ich bin zwar echt müde«, murmelte ich. »Aber ich werd einfach … yeah.«
Ich zog mir die Jacke über den Kopf und zitterte wie ein kleiner nasser Pudel.
Wir erreichten die private Landebahn auf der weiten trockenen Pampa irgendwo außerhalb der Stadt. Ich war so dehydriert und ausgewrungen, ich verstand nicht mal all die Infos, die der Typ mir gab. Irgendwas wie: »Bla bla Tandemlehrer – bla bla Absprung bei dreizehntausend Fuß – bla bla erste Meile nach unten im freien Fall.« Und ich sitze daneben und denke: Auf was zum Henker hab ich mich da eingelassen? Und dann schnallten sie diesen ganzen Apparat an mir fest, und es wurde ernst. Ich war stocknüchtern, hatte eine Scheißangst.
Während das winzige klapprige Flugzeug langsam abhob, lachten und redeten, ja brüllten alle, weil der Motor so laut war. Das fröhliche Geplapper tat mir in den Ohren weh. Ich hockte nur da. Ganz still. Wenn ich Angst habe, werde ich immer ganz ruhig. Wie ein Häschen, das nur noch instinktiv reagiert, sich zu einer stummen Kugel zusammenrollt, sich auf jedes Ausweichmanöver gefasst macht. Es ist demütigend, daran erinnert zu werden, dass egal, wie großartig dein Leben auch ist, du trotzdem nur ein Staubkörnchen bist, das im Bruchteil einer Sekunde vom Erdboden gefegt werden kann.
Die Schutzbrille klebte fest auf meinem Gesicht. Das würde einen Abdruck geben, soviel war sicher. Puh. Ich saß praktisch auf dem Schoß von diesem Kerl, einem Fremden, dessen Körper buchstäblich an meinem festgeschnallt war, während wir in Löffelchenstellung verharrten – das war schon bizarr, und mein Leben lag in den Händen dieses Mannes, und das Ganze war so scheißbeängstigend, dass ich am liebsten gekotzt hätte.
Dann öffneten sie die Tür. Ein Schwall eiskalter Luft drückte herein.
Nun, über dieser Tür steht der gleiche Hinweis wie über jeder Tür in jedem Flugzeug. Rote Lettern. Ausnahmslos Großbuchstaben.
DIESE TÜR BITTE STETS GESCHLOSSEN HALTEN
Das hat einen Grund. Wenn diese Tür aufgeht, ist das Ende der Welt da. Dein Kopf stülpt sich im Sog nach außen. Dein Herz schrumpelt wie ein übrig gebliebener Champignon.
DIESE TÜR BITTE STETS GESCHLOSSEN HALTEN
Aber jetzt steht die Tür offen.
Ich sitze auf dieser Bank hinter ein paar anderen Leuten, und jedes Mal, wenn einer springt, rutschen die anderen nach. Einer springt, alle rutschen nach.
Springen. Rutschen.
Springen. Rutschen.
Mein Kuschelpartner schiebt mich immer näher an diese Tür heran, brüllt: »Machst du super, Paris. Das wird so geil, Paris. Fast geschafft, Paris. Ganz toll.«
Und dann sind wir bei der Tür. Ich spüre die Kante unter meinen Füßen. Der Wind ist so heftig und laut, er reißt meinen Schrei mit sich fort wie einen losen Faden.
»Auf drei!«, sagt der Typ, doch falls er je »drei« gesagt hat, habe ich es nicht gehört. Es war wie »Eins«, und dann –
Nichts.
Alles.
Luft.
Licht.
Unerträgliche Helligkeit.
Ein herrlicher Adrenalinstoß.
Ich hatte erwartet, dass es sich wie Fallen anfühlen würde. So als käme einem der Boden entgegen. Aber so ist es nicht. Du beginnst bei dreizehntausend Fuß – buchstäblich meilenweit über dem Erdboden –, und obwohl du mit fast 200 Stundenkilometern fällst, ist der Raum um dich herum so weit, die Entfernung so groß, dass du alles aus der Perspektive einer langsam dahinziehenden Wolke siehst.
Es gab nichts, woran man sich festhalten konnte. Nichts, was man loslassen konnte.
Ich öffnete die Arme und fühlte reine, unvermischte Freude.
Freiheit.
Ekstase.
Alles, was du dir wünschst und was Drogen, Geld oder auch Liebe dir niemals geben können.
Dieses unaufhörliche Verlangen meines adrenalinsüchtigen Gehirns.
Conrad Hilton war ein frommer Mann. Er schrieb oft über Gott. Fürchtete ihn. Wollte Gott begreifen. Sehnte sich nach ihm. Er hätte Fallschirmspringen gehen sollen.
Der Tandeminstruktor löste den Bremsschirm aus, und in einem langsamen ruhigen Schwebeflug wurde ich aufgefangen und hing über der Wüste wie ein Diamant an einem zarten Silberkettchen. Es gab keinen Gedanken mehr, keinen Wunsch, keine Frage.
Der Himmel war von kristallblauer Vollkommenheit. Die fernen Gebirgsketten erhoben sich in gelben und ockerfarbenen Falten, winterlich verschneit. In Tausenden von Grautönen präsentierte sich, von Straßen durchschnitten und kleinen kastenförmigen Bauten übersät, die endlose Weite der Wüste. Wie unbedeutend all die Menschen waren, die mich je geliebt oder verletzt hatten. Wie unbedeutend ich selbst.
Da war kein Publikum, dem ich etwas vorspielen musste.
Nur tiefer Frieden.
Ein Zustand der Gnade.
Den Luftstrom reitend und getragen von Aufwinden sanken wir der Erde entgegen.
Dankbarkeit.
Euphorie.
Triumph.
Ich bin da.
Ich habe überlebt.
Ich habe keine Angst.
Ich liebe mein Leben.
Marilyn Monroe hat einmal gesagt: »Angst ist dumm. Genau wie Reue.« Meist habe ich das als zutreffend empfunden. Die beängstigendsten Momente in meinem Leben gingen oft den erfüllendsten voraus. Der Freifall über der Wüste von Nevada ist nur ein Beispiel dafür. Ich will euch von ein paar anderen erzählen, obwohl ich weiß, dass nicht jedem gefallen wird, was ich zu sagen habe.
Wir alle haben diese Sprungtür in uns, und lange Zeit habe ich meine mit roten Lettern markiert. Ausschließlich Großbuchstaben.
DIESE TÜR BITTE STETS GESCHLOSSEN HALTEN
Macht euch auf was gefasst, Bitches. Wir brechen sie jetzt auf.
Am 17. Februar 1981, drei Tage nach dem Valentinstag, wurde ich in New York geboren: Sternzeichen Wassermann, Mondzeichen Löwe, Aszendent Schütze. Sechs Monate später feierte MTV mit Buggles’ »Video Killed the Radio Star« sein offizielles Debüt.
Da passt alles zusammen.
Im Kontext einer technologischen Renaissance ergibt die Geschichte meines Lebens absolut Sinn.
Alle erzählen, ich sei ein süßes Kind gewesen. Meine Eltern haben Hunderte von Stunden Heimvideos, die es belegen. Wenn es um neue Technik-Trends ging, war mein Dad immer einer der Ersten, und sobald diese unhandlichen Oldschool-Camcorder auf den Markt kamen, kaufte er sich einen und war überzeugt, dass man alles dokumentieren sollte, weil es im Hier und Jetzt Spaß machte und später mal was fürs Archiv wäre. Mein gesamtes Leben hielt er auf Band fest, angefangen beim Tag meiner Geburt. Und ich liebte es, seinen konzentrierten Blick auf mir zu spüren. In diesen Augenblicken war seine volle Aufmerksamkeit auf die kleine runde Linse fokussiert, und da, in der Mitte der Linse, war ich.
Dad nannte mich immer »Star« – in Sinne von »Filmstar«, doch es schwang auch immer ein how I wonder what you are mit, diese Zeile aus meinem Lieblings-Schlaflied.
Als ich zwei war, schlug Cyndi Laupers erste Single –»Girls Just Want to Have Fun« – wie eine Bombe ein, und meine kleine Schwester Nicholai Olivia kam auf die Welt. Tante Kyle behauptet, ich sei völlig aus dem Häuschen und ab der Sekunde, als Nicky nach Hause kam, verrückt nach ihr gewesen. Ich habe keine Erinnerungen an ein Leben vor ihr. Unsere gesamte Kleinmädchenzeit über war sie meine beste Freundin und Komplizin. Mom steckte uns in Zwillings-Outfits. Wir verkleideten uns in Moms Ankleidezimmer, stylten uns gegenseitig mit Schals und Schmuck und stolzierten einen imaginären Laufsteg entlang.
Seit damals habe ich Nicky in alle möglichen gelungenen und weniger gelungenen Abenteuer mit reingezogen. Habe mich auf Nickys Unterstützung verlassen, wenn ich was Verbotenes tat, etwa ein Frettchen in einer Schachtel unter meinem Bett versteckte oder (wenn ich Hausarrest hatte) aus dem Fenster meines Zimmers kletterte und mich am Spalier nach unten hangelte. Seit Nicky alt genug war, um das Wort Konsequenzen zu begreifen, hat sie immer wieder versucht, mich zu bremsen. In der Junior High mutierte sie sogar zu einer richtigen kleinen Petze, wenn ich auch im tiefsten Herzen überzeugt bin, dass sie wirklich glaubte, auf mich aufpassen zu müssen.
Seit ich krabbeln kann, bewirkt das chemische Ungleichgewicht durch ADHS ein ständiges Flimmern und Flackern in meinem Gehirn. Manchmal wurde es mir zu viel. Dann musste ich aufstehen und im Schein meines Disney-Prinzessinnen-Nachtlichts tanzen. »Pausen«, wie auch alles andere, das Stillsitzen erforderte, waren eine Qual für mich. Ich war sicherlich ein anstrengendes Kind, aber lügen oder gemein sein lag mir eher fern. Nicky und ich besuchten Knigge-Kurse, sodass ich genau wusste, wie man sich als braves Mädchen zu entschuldigen hatte, und ich bekam ziemlich viel Übung darin. Um ein »braves Mädchen« zu sein, musste man den Mund halten.
Gehorchen.
Stillsitzen.
Dazu aber war ich nicht in der Lage, sodass ich stattdessen bezaubernd sein musste. Ich musste süß, frühreif und schüchtern sein. Musste herumkaspern und mit Kleinmädchenstimme sprechen, was, wenn ich nervös war, sowieso geschah, weil dann die Spannung in Hals und Schultern eine Verengung des Stimmapparats bewirkt, sodass unsere Stimme höher klingt. (Das hab ich beim Stimmtraining für Repo! The Genetic Opera gelernt.) Mit Nicky und unseren Haustieren sang und tanzte ich in Nanus Wohnzimmer, führte richtiggehende Shows auf, doch ein öffentlicher Auftritt wäre mir nie in den Sinn gekommen. Denn im Grunde war ich immer schüchtern – eine extrovertierte Introvertierte, die das mit der künstlichen Ungezwungenheit eines sozialen Schmetterlings überspielte.
Als Nicky und ich zur Vorschule gingen, zog unsere Familie nach Bel Air in ein Haus, das meine Eltern Jaclyn Smith aus Charlie’s Angels abgekauft hatten. Jaclyn hatte für ihre kleine Tochter ein aufwendiges Spielhaus errichtet, in dem quasi Barbies Traumhaus zum Leben erwachte und das Nicky und ich zu einem Haustier-Hotel umfunktionierten. Ich sparte immer Geld, damit ich in einer dumpfig müffelnden Zoohandlung mit tropischen Fischen, Schlangen und anderen fantastischen Geschöpfen Tiere shoppen gehen konnte. Damals wollte ich einfach jede Kreatur, die mir über den Weg lief, liebhaben und verhätscheln.
Nicky und ich dachten uns komplizierte Spiele aus, in denen wir uns verkleideten und in Rollen schlüpften, während Tante Kyle Fotos knipste und uns mit ihrer Videokamera filmte. Mom hat nur einen winzigen Bruchteil dieser Aufnahmen an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Auf einem alten Heimvideo entdecke ich einen verräterischen Augenblick, in dem mein achtjähriges Gesicht fast nur noch aus schiefem Grinsen und verschmiertem Lippenstift besteht – mein Pony, fransig zurechttoupiert und mit dem passenden Hut, scheint direkt vom Cover von »Forever Your Girl« zu stammen und auf dem ich Boy-George-blauen Lidschatten und schichtenweise farbenprächtige weite Klamotten trage, wie sie für die späten 1980er so typisch waren.
»Hey«, sagte Tante Kyle. »Sind Sie nicht dieser berühmte Filmstar?«
»Doch!«
»Wie heißen Sie?«
»Paula Abdul.« Und ich laufe davon – einem kleinen schwarz-weißen Kaninchen hinterher.
»Du bist mir vielleicht ein Schätzchen, was?«, meint Kyle.
»Nein.« Ich halte das Kaninchen hoch. »Er ist ein Schätzchen.«
»Guck doch mal ganz böse«, bittet sie mich. »Und jetzt fröhlich. Und jetzt gleichgültig, ohne jedes Gefühl.«
Und ich liefere ihr alles wie auf Stichwort, den Spielregeln entsprechend, doch nur kurz. Das Kaninchen war für mich viel interessanter.
Mein Dad bemerkte und förderte meine Tierliebe. Er nahm mich mit in Zoogeschäfte, damit ich mir die Welpen angucken konnte, oder zur exotischen Katzenschau, um die Bengalkatzen zu sehen. Wir verbrachten einen wunderbaren Tag im Zoo von San Diego, wo Dad ein Backstage-VIP-Ticket kaufte, damit ich alle Tiere aus der Nähe betrachten und den Wärtern bei ihrer Arbeit helfen konnte. Meine Großeltern hatten eine Ranch, wo ich reiten konnte. Und Dad nahm mich mit zum Angeln und Motorradfahren und zeigte mir, wie man mit den frischgeschlüpften Küken im Hühnerstall umging. Dabei fühlte ich mich ihm am nächsten. Er und Mom blieben erstaunlich cool angesichts meines privaten Streichelzoos aus Frettchen, Kaninchen und Rennmäusen, Katzen, Hunden und Vögeln, aus Schlangen, Meerschweinchen, Chinchillas und sogar einem kleinen Affen und einem Ziegenbaby, das ich bei Papa und Nanu neben dem Tennisplatz hielt.
Auch eine ganze Rattentruppe nannte ich mein Eigen, die ich auf die Namen der Figuren aus Beverly Hills, 90210 getauft hatte: Luke, Tori, Jason und Shannen, Brian, Ian, Jennie, Tiffani und Gabrielle. Ja, ich weiß schon, was ihr denkt – Ratten? –, aber zahme Ratten sind im Grunde sehr sauber, gutmütig und intelligent. Ich hatte mal eine Riesenratte namens Max mit enormen Eiern. Eines Tages, als ich ihn draußen im Hof streichelte, kam ein Frettchen angerannt, und Max stieß mit weit aufgerissenem Rattenschnäuzchen diesen seltsam schrillen Laut aus, und dann biss er mich. Ich ließ ihn fallen, und er haute ab, sprich: Er watschelte, so schnell er mit seinen unnatürlich großen hüpfenden Eiern konnte, die Auffahrt entlang. Ich begann zu heulen, nicht weil ich verletzt war, sondern weil ich fürchtete, ihn nie wiederzusehen.
»Max! Max!« Schluchzend hockte ich in der Auffahrt.
Und Max blickte über die Schulter und kam zurückgewatschelt. Ich nahm ihn auf den Arm, küsste ihn und versicherte ihm, dass ich ihm nicht böse sei. Die ganze Sache schien ihm ungeheuer peinlich zu sein.
Ratten sind so goldig. Ich sollte mir wieder eine anschaffen.
(Carter erinnern: Geburtstagsratte.)
Manchmal durften Nicky und ich Dads Büro in Century City besuchen. (Später zogen er und sein Partner Jeff Hyland an den Canon Drive in Beverly Hills.) Die ununterbrochen klingelnden Telefone und ratternden Faxgeräte gaben einem das Gefühl, als sei hier Großes im Gange, und Dads Sekretärin, Wendy White, sorgte dafür, dass alles reibungslos und ohne Störungen dahinschnurrte.
Ihr kennt doch diesen genialen alten Burschen in Batman, mit diesem hinreißenden Akzent, der sich um Batman kümmert und dafür sorgt, dass sich Batmans Höhle stets in einwandfreiem Zustand befindet? So lang ich zurückdenken kann, ist Wendy White diese Person im Leben meines Vater gewesen, eine überaus korrekte Südafrikanerin, der so schnell keiner etwas vormacht. Woran sie die Leute auch gerne erinnert. Moment. Vielleicht macht es ihr auch nur Spaß, mich daran zu erinnern.
»Ich bin streng, Paris, sehr sogar. Ich lass mich nicht verscheißern.«
Wie auch immer, wenn sie es mit diesem fremdartigen südafrikanischen Akzent zu mir sagt, kommt die Botschaft garantiert bei mir an. Wendy freute sich immer, Nicky und mich zu sehen. Sie versorgte uns mit Papier und Kugelschreibern, Filzstiften und Scheren, sodass wir Collagen oder Weihnachtskarten oder was auch immer basteln konnten. Ich liebte jede Art künstlerischer Betätigung, vor allem dann, wenn es über das langweilige »Ausmalen« hinausging. Ich hatte einen Riesenvorrat an Bastelutensilien, mit denen ich 3-D-Familienfoto-Displays und BeDazzled-Bilderrahmen kreierte. Nichts war sicher vor meinem BeDazzler, einem Gerät, das man auf einem Teleshoppingkanal bestellte und benutzte, um Strasssteinchen und falsche Edelsteine auf praktisch alles zu tackern, was sich nicht bewegte. Heute kann man den BeDazzler auch online bekommen (Beifall für den – wer auch immer es war –, der das Ding erfunden hat!).
Ich liebte es, umgeben von Zeitschriften, Schere und Uhu auf dem Boden von Dads Büro zu sitzen und Collagen zu kleben. Die Unerschöpflichkeit und Vielfalt der Werbekampagnen in Vogue und Vanity Fair erfüllten mich mit dem gleichen Entzücken wie gute Musik. Stundenlang konnte ich mich in diesen Bilderfluten verlieren. So arbeitet mein Verstand am besten – wenn er alle möglichen Teile und Fragmente frei assoziiert. Meistens richteten wir ein Riesenchaos an, das völlig außer Kontrolle geriet, bis Wendy streng wurde und uns aufzuräumen befahl.
Später, als Nicky und ich älter wurden, sprang Wendy regelmäßig ein, um uns alles Mögliche abzunehmen. Sie stritt sich mit unzufriedenen Vermietern herum, trieb, falls nötig, Klempner und Gartenarchitekten auf, komplimentierte unerwünschte Hausgäste zur Tür hinaus und schuf Klarheit, wann immer eine von uns mit der Aufgabe des Erwachsenwerdens überfordert war. Wendy ist überaus pragmatisch, doch sie glaubt an die Liebe.
Als Carter und ich getraut wurden, sagte Wendy: »Denkt dran, das Leben ist wie eine Reise, mit all ihren Höhen und Tiefen. Bleibt euch treu.«
Wieder mit diesem Akzent. Ich werde Wendy immer liebhaben, auch wenn sie eines Tages in den Ruhestand geht, also nicht mehr arbeiten wird.
1989 war ich acht Jahre alt und Nicky sechs. In Berlin fiel die Mauer, auf Fox TV wurde die erste Folge der Simpsons ausgestrahlt, und mein niedlicher kleiner Bruder Barron Nicholas Hilton II wurde geboren. Wir waren total vernarrt in ihn. Er war fast so gut wie ein Welpe. (Scherz! Hab dich lieb, Barron!) Mom war eine für die 1990er typische Powermommy, sie schmiss den Haushalt, führte ihr eigenes Geschäft und sorgte dafür, dass alle gut genährt und gepflegt waren. Sie besaß eine Boutique an der Sunset Plaza, in der sie Geschenke, Accessoires und Antiquitäten verkaufte, die ausnahmslos von ihrem unfehlbaren Geschmack zeugten. Der Laden hieß Staircase, was ich wunderbar finde, da er den Beginn ihres Aufstiegs markierte.
Bethenny Frankel, eine Freundin von Tante Kyle, war unser Kindermädchen. Ich glaube, sie waren damals beide etwa neunzehn oder zwanzig. Mom arbeitete im Laden, sodass es zu Bethennys Aufgaben gehörte, Nicky und mich vom Lycée abzuholen, der zweisprachigen Schule, in der wir auf Französisch und Englisch unterrichtet wurden. Nicky ging gern zu Rampage, einem Laden ähnlich wie Hot-Topic oder Forever 21 im Einkaufszentrum, ich aber bettelte Bethenny immer an, mit uns nach Westwood in die Zoohandlung zu fahren, um die tropischen Fische, Mäuse und Sittiche zu besuchen. Manchmal trafen wir uns auch mit Kyle und gingen eislaufen oder holten uns Süßigkeiten aus dem Mobile Mart.
Meine Mom und ihre Schwestern hatten seit frühester Kindheit bis in ihre Teenagerjahre als Models und Schauspielerinnen gearbeitet. Grandma buchte Fotoshootings für sie sowie kleine Rollen in unzähligen TV-Serien. Gemessen an den Standards der 1960er war Mom so hübsch, wie man nur sein konnte: halb irisch, halb italienisch, braune Augen, blondes Haar, Porzellanteint. Mom war ein Model für Gerber-Babynahrung gewesen und machte schon früh Werbespots für Barbiepuppen. Sie ergatterte kleine Rollen in Verliebt in eine Hexe, Nanny und der Professor, Lieber Onkel Bill und Detektiv Rockford – Anruf genügt. Mit achtzehn spielte sie eine Backup-Sängerin für Leather Tuscadero (gespielt von Suzi Quatro) in Happy Days, und zwar in einer Folge mit dem Titel: »Fonzie: Rock Entrepreneur Teil 1«. Sie und ein anderes Mädchen tanzten die Choreografie in ihren Ballerinas, einen Schritt vor, einen zurück, und sangen »Uuuuuu« und »Da da da«, während Richie (Ron Howard) auf einem Altsaxofon röhrte und Fonzie (Henry Winkler) hungrig aus einer Sitznische in Arnold’s Diner zusah.
Mom besuchte die Montclair College Preparatory School in Los Angeles, wo Michael Jackson, eines der vielen hart arbeitenden Showbranchenkids ihrer Klasse, einer ihrer besten Freunde war. Mittlerweile spielten sowohl Tante Kim als auch Tante Kyle in Disneys Die Flucht zum Hexenberg, und Kyle hatte eine wiederkehrende Rolle in Unsere kleine Farm. Alle drei Schwestern arbeiteten ihre gesamten Teenagerjahre hindurch.