Parker harpuniert den Killerhai - Günter Dönges - E-Book

Parker harpuniert den Killerhai E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! »Sie haben sich natürlich wieder mal verfahren«, räsonierte Lady Simpson grollend und deutete auf das Schloß jenseits des schmalen Flußarms. »Die letzte Trauerfeier dürfte dort vor ein paar hundert Jahren stattgefunden haben.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit konsterniert«, räumte Butler Parker ein. »Das ist kein besonderes Schloß, Mister Parker, das ist eine Ruine.« »Wenn Mylady gestatten, möchte ich mir erlauben, mich Myladys Eindruck und Feststellung anzuschließen.« »Und was jetzt?« Agatha Simpson, groß, stattlich, leicht reizbar und sehr unternehmungslustig, erinnerte rein äußerlich an die Walküre einer antiquierten Wagner-inszenierung. Sie trug eines ihrer ausgebeulten, ungemein bequemen Tweed-Kostüme und einen Hut, der eine abenteuerliche Kreuzung aus Südwester und Topfhut darstellte. »Mit Myladys Erlaubnis möchte ich noch mal die Einladung zur Trauerfeier studieren«, antwortete Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, mit ausdruckslosem Pokergesicht, stoppte sein hochbeiniges Monstrum und griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers. Josuah Parker war ein Butler, wie man ihn eigentlich nur noch in Filmen oder auf dem Bildschirm erlebte. Er schien das Relikt längst vergangener Zeiten zu sein. Seine Höflichkeit war irritierend und verleitete dazu, ihn zu unterschätzen. Zu seiner schwarzen Melone trug er einen rabenschwarzen Anzug, einen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Sein altväterlich gebundener Regenschirm, von dem er sich so gut wie nie trennte, befand sich in einer speziellen Halterung neben seinem Sitz. Den Wagen, den er steuerte, konnte man wirklich nur noch als Monstrum bezeichnen. Es handelte sich um ein uraltes Londoner Taxi mit betont rechteckigem Aufbau und harten Kanten. Dieses Taxi war allerdings nach Parkers eigenwilligen

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Butler Parker – 137 –

Parker harpuniert den Killerhai

Günter Dönges

»Sie haben sich natürlich wieder mal verfahren«, räsonierte Lady Simpson grollend und deutete auf das Schloß jenseits des schmalen Flußarms. »Die letzte Trauerfeier dürfte dort vor ein paar hundert Jahren stattgefunden haben.«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit konsterniert«, räumte Butler Parker ein.

»Das ist kein besonderes Schloß, Mister Parker, das ist eine Ruine.«

»Wenn Mylady gestatten, möchte ich mir erlauben, mich Myladys Eindruck und Feststellung anzuschließen.«

»Und was jetzt?« Agatha Simpson, groß, stattlich, leicht reizbar und sehr unternehmungslustig, erinnerte rein äußerlich an die Walküre einer antiquierten Wagner-inszenierung. Sie trug eines ihrer ausgebeulten, ungemein bequemen Tweed-Kostüme und einen Hut, der eine abenteuerliche Kreuzung aus Südwester und Topfhut darstellte.

»Mit Myladys Erlaubnis möchte ich noch mal die Einladung zur Trauerfeier studieren«, antwortete Parker, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen.

Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, mit ausdruckslosem Pokergesicht, stoppte sein hochbeiniges Monstrum und griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers.

Josuah Parker war ein Butler, wie man ihn eigentlich nur noch in Filmen oder auf dem Bildschirm erlebte. Er schien das Relikt längst vergangener Zeiten zu sein. Seine Höflichkeit war irritierend und verleitete dazu, ihn zu unterschätzen. Zu seiner schwarzen Melone trug er einen rabenschwarzen Anzug, einen Eckkragen und einen schwarzen Binder. Sein altväterlich gebundener Regenschirm, von dem er sich so gut wie nie trennte, befand sich in einer speziellen Halterung neben seinem Sitz.

Den Wagen, den er steuerte, konnte man wirklich nur noch als Monstrum bezeichnen. Es handelte sich um ein uraltes Londoner Taxi mit betont rechteckigem Aufbau und harten Kanten. Dieses Taxi war allerdings nach Parkers eigenwilligen Vorstellungen und Plänen umgestaltet worden, was das Innenleben des Gefährts betraf. Rein technisch gesehen bot es Überraschungen am laufenden Band und war als Trickkiste auf Rädern zu bezeichnen. Parkers Monstrum nahm es spielend mit jedem Tourenwagen modernster Bauart auf, doch darüber redete er nicht.

Er hatte inzwischen die Einladung zur Trauerfeier in seinen schwarzbehandschuhten Händen und studierte noch mal die Orts- und Zeitangaben.

»Ein Irrtum scheint ausgeschlossen, Mylady«, meldete er dann. »Dies dort drüben müßte Chapelle-sur-Loire sein.«

»Das ist ein Trümmerhaufen«, stellte Mylady grimmig fest. »Die Türme sind halb eingestürzt, die Dächer halb abgedeckt.«

»Der Wassergraben scheint allerdings noch intakt zu sein, Mylady.«

»Ich will nicht baden, ich will an einer Trauerfeier teilnehmen«, erinnerte die ältere Dame gereizt. »Fahren Sie weiter! Vielleicht sind diese Leute verarmt.«

Diese »Leute« waren sehr entfernte Verwandte der Lady Agatha Simpson, die mit dem Blut- und Geldadel der Britischen Inseln verwandt und verschwistert war. Darüber hinaus gab es natürlich auch weitverzweigte Seitenlinien, die zum Teil hier in Frankreich existierten. Dazu gehörten auch diese »Leute«, die Lady Simpson jetzt aufzusuchen gedachte.

Das Schloß Chapelle-sur-Loire war für Lady Agathas Geschmack viel zu elegant, selbst im augenblicklich desolaten Zustand. Es handelte sich um ein Wasserschloß, das nur über eine morsch wirkende Zugbrücke zu erreichen war. Wie Parker bereits diskret angedeutet hatte, war der Wassergraben wohlgefüllt, wenngleich er auch einen leicht verschlammten Eindruck machte.

Chapelle-sur-Loire bestand aus vier stämmig und untersetzt wirkenden Rundtürmen, die die elegante Linienführung der Wohntrakte zusammenhielt. Es gab eine Vielzahl von spitzen Dächern, Giebeln und Erkern. Der Vorgänger eines gewissen Walt Disney schien hier bereits architektonisch gewirkt zu haben. Das märchenhaft Verspielte war noch deutlich zu spüren, wenngleich der Außenputz auch in großen Fladen abgeblättert war.

Parker hatte die morsche Zugbrücke erreicht und hielt erneut.

»Ich möchte meiner Befürchtung Ausdruck verleihen, daß Mylady hinsichtlich der Adresse getäuscht worden sind«, sagte er dann. »Nach Lage der Dinge dürfte es sich um das handeln, was man gemeinhin eine Falle nennt.«

»Dann unternehmen Sie gefälligst etwas dagegen«, grollte die resolute Dame, ohne in Panik oder Angst zu geraten. »Ich glaube, daß ich ziemlich verärgert bin, Mister Parker.«

*

Die beiden Gangster lagen auf der Lauer.

Sie stammten aus Paris, hatten ihre speziellen Fähigkeiten gegen Bargeld vermietet und verfügten über einschlägige Erfahrungen, über Gerissenheit und mörderische Energie. Darüber hinaus verfügten sie über je ein Gewehr mit Zielfernrohr. Sie hießen Paul und Jean, waren durchschnittlich aussehende Männer, etwa dreißig Jahre alt. Bisher war es ihnen gelungen, ihre Identität zu verschleiern. Sie nannten sich Paul und Jean, das reichte. Wer in der Vergangenheit versuchte, mehr über sie zu erfahren, lebte längst nicht mehr.

»Gleich werden sie aussteigen«, sagte Paul fast beiläufig. Er und sein Partner standen im rechten Brückenturm und besaßen erstklassiges Schußfeld.

»Schneller kann man die Miete nicht verdienen«, antwortete Jean und lächelte zufrieden. »Teilen wir sie auf, Paul.«

»Ich nehme die Lady«, sagte Paul.

»Einverstanden.« Jean nickte. »Paßt mir durchaus. Einen Butler hatte ich noch nie.«

Sie kontrollierten noch mal ihre Schießgeräte, denn sie waren ordentlich und nahmen ihren »Beruf« ernst. Dann warteten sie entspannt darauf, daß ihre Opfer diesen verrückt aussehenden, antiquierten Wagen verließen. Sie gingen von der Voraussetzung aus, daß ihre Opfer sich die Zugbrücke ansehen würden. Sie rechneten mit der menschlichen Neugier.

»Anschließend lassen wir sie im Graben verschwinden«, erinnerte Paul und vergewisserte sich, daß der Schalldämpfer auch wirklich fest saß.

»Samt Wagen.« Jean nickte und überprüfte ebenfalls den Schalldämpfer seines Gewehrs. Dann lachte er leise und spöttisch. »Etwas Abkühlung scheint er zu brauchen. Sieh dir das an!«

Paul sah bereits.

Aus dem Bereich des Kühlers stiegen weißliche Wasserdampfwolken empor, die sich schnell verstärkten und ausbreiteten. Der Motor schien überhitzt zu sein, das Kühlwasser zu kochen.

Die beiden Todesschützen beobachteten kopfschüttelnd das verrückte Schauspiel. Die Wasserdampfwolken aus dem Kühler wurden in Sekundenschnelle zu einer wahren Nebelbank, in der die bereits nur noch schwach erkennbaren Konturen des hochbeinigen Wagens untergingen. Diese Nebelbank breitete sich aus und hüllte bereits einen Teil der morschen Zugbrücke ein.

»Da stimmt doch was nicht«, vermutete Paul, der plötzlich von einer seltsamen Unruhe erfaßt wurde.

»So viel Kühlwasser gibt’s doch gar nicht.« Jean spürte leichten Schweiß auf seiner Stirn. »Was machen wir jetzt, Paul?«

Paul war das kühle Hirn dieser beiden Gangster. Und Jean erwartete in dieser Situation eine klare Stellungnahme.

Paul wollte antworten, doch er hüstelte leicht, bellte dann heftig und faßte an seinen Hals. Er hatte das Gefühl, als würde ihm die Kehle zugeschnürt. Er ließ das Gewehr los, lehnte sich zurück und hustete erneut.

Jean reagierte entsprechend.

Er tat es wirklich nicht aus Sympathie. Auch seine Kehle wurde zugeschnürt. Er schnappte verzweifelt nach Luft, registrierte, daß der Raum sich bereits ebenfalls mit weißen Schwaden füllte, und kniete erst mal nieder. Die Beine kündigten ihm den Dienst.

Paul schleppte sich mit letzter Kraft zur Wendeltreppe und wollte ins Freie. Als er die beiden ersten Stufen geschafft hatte, verlor er das Gleichgewicht und kollerte haltlos nach unten. Er blieb auf dem ersten Zwischenabsatz dieser Wendeltreppe liegen und bekam schon nicht mehr mit, daß sein Partner Jean sich ihm zugesellte.

Paul träumte, aber es war ein böser Alptraum.

Er trieb im grenzenlos weiten Meer und wurde von schäumenden Wogen überrollt, die ihn bis auf die Haut näßten. Er hatte Luftschwierigkeiten und ging plötzlich unter. Er schlug mit Händen und Füßen um sich, erreichte wieder die Wasseroberfläche und sog gierig die notwendige Luft in die Lungen.

Sekunden später wußte er, daß er keineswegs schlecht geträumt hatte, wenngleich er sich auch nicht im offenen Meer befand. Er saß bis zur Brust in einer trüben Brühe, die dazu noch jämmerlich roch. Er brauchte zusätzlich noch ein paar Sekunden, bis er begriff, in welch peinlicher Situation er sich befand, nämlich in einem hohen Gewölbe, das sein spärliches Licht aus einigen Maueröffnungen bezog, die früher mal Lichtschächte gewesen sein mußten.

Neben ihm saß sein Partner Jean im Wasser. Er träumte noch, sackte dann aber zur Seite und tauchte unter. Hustend und prustend brachte Jean sich hoch, schlug um sich und war dann geistig wieder da.

Er schaute um sich, sagte ein ausgesprochen häßliches Wort und fand die Zustimmung seines Partners Paul, der dieses Wort mit Nachdruck wiederholte.

»Nichts wie raus«, sagte Paul dann und stand auf. Er watete durch das anrüchige Wasser hinüber zu einer Steintreppe, an deren Ende eine schwere Bohlentür zu erkennen war. Jean watete seinem Freund nach, der die Stufen hinaufkroch und die Bohlentür öffnen wollte.

Sie erwies sich als sehr solide und schien darüber hinaus noch von außen erkeilt worden zu sein.

Die beiden Gangster stemmten sich mit ihren Schultern gegen die schmale Tür, die keinen Millimeter nachgab. Keuchend und erschöpft ließ sie sich auf die Stufen nieder und starrten trübselig in die dunkle Brühe.

»Ich ... Ich verstehe das nicht«, sagte Paul.

»Wir sind reingelegt worden«, antwortete Jean. »Wir haben uns leimen lassen wie Anfänger.«

»Weil unser Auftraggeber uns nicht gewarnt hat.« Paul suchte einen Schuldigen. »Der hätte uns einen Tip geben müssen, wie gefährlich die Alte und ihr Butler sind.«

»Das war unfair.« Jean nickte. »Wie kommen wir hier raus? Allein schaffen wir die Tür niemals.«

»Wir müssen rufen.«

»Nach wem?« Jean schüttelte den Kopf. »Hier hört uns kein Mensch, Paul.«

»Ist das da nicht ein Seil?« Pauls Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse im Gewölbe gewöhnt. Er deutete auf ein recht dick scheinendes Stück Tau, das aus einer der Mauerdurchbrüche oben vom Gewölbe nach unten baumelte.

»Unsere Rettung!« Jean hatte verstanden.. Ohne jeden Vorbehalt stieg er ins Wasser und watete durch die Brühe auf das herabhängende Tau zu. Er wollte sich Hand über Hand nach oben hangeln. So etwas traute er sich zu.

Paul folgte seinem Partner durch das übelriechende Wasser und weichte sich noch mal freiwillig ein. Er wollte so schnell wie möglich das scheußliche Gefängnis verlassen.

*

»Was versprechen Sie sich von dieser Zeitverschwendung?« fragte Agatha Simpson unwirsch.

»Die beiden Herren unten im Gewölbe dürften inzwischen das Stück Seil entdeckt haben«, antwortete Josuah Parker höflich und deutete auf das Seilende, das er um einen Mauervorsprung geschlungen hatte. »Die beiden Herren werden sich nun bemühen, herauf ans Tageslicht zu steigen.«

»Natürlich werden sie das.«

»Mit Myladys Erlaubnis werde ich das Seil zum geeigneten Zeitpunkt mittels eines Messers durchtrennen.«

»Das hört sich schon besser an«, anerkannte die Detektivin, deren Augen erfreut glänzten.

»Ein an sich ungefährliches Zurückfallen in das Wasser wird die Aussagefreudigkeit der beiden Herren erheblich steigern«, fuhr Butler Parker fort.

»Ich wüßte andere Mittel, um diese beiden Subjekte zum Reden zu bringen«, antwortete Lady Agatha und betrachtete angelegentlich ihre Hände.

»Darf ich mir erlauben, mich für einen Moment zu entschuldigen?« Parker deutete auf das Seilende, das in heftige Bewegung geraten war, ein sicheres Zeichen dafür, daß zumindest einer der beiden Gangster nach oben stieg. Parker hatte plötzlich ein Messer in seiner schwarzbehandschuhten Hand, trat an das Seilende und... durchtrennte es dann.

Fast synchron dazu ertönte ein Aufschrei aus dem Gewölbe, der in einem mächtigen Aufklatschen unterging. Dann erfolgte ein Husten und Gurgeln, dann waren Flüche zu hören und anschließend wilde Drohungen.

»Die beiden Herren dürften jetzt eine Phase der Depression durchleben«, stellte der Butler fest. »Falls Mylady einverstanden sind, sollte man sich nun den beiden kleinen, eckigen Gebäuden hinter dem Wassergraben widmen.«

»Sie wollen natürlich wieder mal Ihren Kopf durchsetzen, wie?«

»Die beiden Gebäude scheinen bewohnt zu sein, Mylady.«

»Natürlich sind sie bewohnt, ich bin ja nicht blind.« Sie spielte ihrem Butler etwas vor, denn sie hatte noch gar nichts gesehen. »Worauf warten Sie noch? Muß denn immer ich die Initiative ergreifen?«

Sie setzte sich in Bewegung, energisch, dynamisch und an einen Panzer erinnernd. Agatha Simpson war Detektivin aus Leidenschaft und stolperte von einem Fall in den anderen. Ohne Butler Parker wäre sie natürlich verloren gewesen, da sie stets viel zu spontan reagierte. Angst kannte die ältere Dame überhaupt nicht. Sie ging von der festen Annahme aus, daß ihr nichts passieren konnte.

Agatha Simpson konnte sich materiell so ziemlich alles erlauben, denn sie war immens reich. Es war ihr Ehrgeiz, eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. Lady Simpson schrieb schon seit geraumer Zeit an einem Krimi-Bestseller, war über das Einspannen eines Bogens Manuskriptpapier in die Schreibmaschine jedoch nicht hinausgekommen. Sie ließ sich nur zu gern ablenken und war stets auf der Suche nach einem noch explosiveren Thema.

Josuah Parker fühlte sich als der Schutzengel seiner Herrin. Er hatte alle Hände voll zu tun, um sie vor Schaden zu bewahren. Er war gut für jede Art von Überraschung und setzte gern List gegen Gewalt. Er wurde stets unterschätzt, wogegen er überhaupt nichts einzuwenden hatte. Sein Aussehen verleitete Ganoven und Gangster dazu, ihn für einen ausgemachten, in gewissen Formen erstarrten Trottel zu halten. Wenn sie dann das Gegenteil feststellten, war es für sie immer schon zu spät.

Steif und würdevoll folgte er Lady Agatha über die morsche Zugbrücke und betrachtete dabei die total verwilderten Parkanlagen, die in früheren Zeiten mal eine gartenarchitektonische Kostbarkeit gewesen sein mußten.

Hinter einer übermannshohen Taxushecke, die ungepflegt war, ragten die Spitzen und steilen Dächer der beiden kleinen Gartenhäuser hervor. Aus einer Esse kräuselte Rauch.

Agatha Simpson, die einen Steinbogen durchschritt, blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und brachte ihren perlenbestickten Pompadour in leicht kreisende Bewegung, was auf innere Spannung deuten ließ.

»Was soll dieser Unsinn?« fragte sie dann grollend. »Wollen Sie Flegel etwa auf mich schießen? Verärgern Sie mich nicht unnötig!«

*

Butler Parker reagierte sofort.

Er wich nach links aus und verschwand praktisch in der Taxushecke. Er zwängte sich durch das Gesträuch und war bemüht, sowenig Geräusch wie möglich zu verursachen. Er erreichte die andere Seite und blickte auf den kleinen, gnomenhaft aussehenden Mann, der eine alte Schrotflinte in den Händen hielt, deren Doppelmündung auf die Detektivin gerichtet war.

Dieser Mann war etwa sechzig Jahre alt und trug einen schäbigen Jagdanzug, der an vielen Stellen geflickt war. Auf seinem Kopf saß ein hutähnliches Gebilde, auf das einige Hahnenfedern aufgesteckt waren.

»Verschwinden Sie«, sagte der Gnom krächzend und offensichtlich gereizt. »Das hier ist Privatbesitz. Pöbel hat hier nichts zu suchen. Verschwinden Sie!«

»Sie Lümmel!« Lady Simpson wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert.

Die Doppelflinte ignorierte sie. »Sie reden mit einer Dame!«

»So sehen Sie auch gerade aus«, höhnte der Gnom. »Gehen Sie endlich! Oder soll ich Ihnen Beine machen?«

Parker näherte sich auf leisen Sohlen dem unfreundlichen Schrotflintenbesitzer. Wie er es schaffte, auf dem Gartenkies unhörbar zu bleiben, war ein Rätsel. Parker hatte seinen altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm vom angewinkelten linken Unterarm genommen und brachte den Bambusgriff in die Nähe des rechten Oberarms des Gnomen. Agatha Simpson hatte ihren Butler zwar schon entdeckt, doch sie ließ sich nichts anmerken. Zudem hatte sie bereits wieder mal die Initiative ergriffen.

Der nervös kreisende Pompadour löste sich aus ihrer Hand und sauste wie ein Geschoß in Richtung Gnom. Der Mann wurde völlig überrascht und »empfing« den Handbeutel in Höhe seiner Nasenwurzel.

Das Resultat war beeindruckend.

Im Pompadour befand sich nämlich Lady Simpsons »Glücksbringer«, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. Der Gnom ächzte, wurde zurückgeworfen und feuerte – gewollt oder nicht – dennoch einen Schuß ab, der jedoch erfreulicherweise in die Luft gerichtet war.

Parker hatte für diese mißlungene Kanonade gesorgt. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hatte er den rechten Oberarm des Mannes nach oben gerissen. Er kümmerte sich jetzt bereits um den Gnomen, der auf dem Kies saß und mit einer mehr als nur leichten Benommenheit kämpfte.

»Darf ich mir erlauben, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen?« fragte Parker. »Darf ich ferner davon ausgehen, daß Sie mit dem Baron de Ponelle identisch sind?«

Der Gnom war noch nicht in der Lage, auf Parkers Fragen einzugehen. Er murmelte Unverständliches, sah Agatha Simpson aus trüben, verschleierten Augen an und überlegte wahrscheinlich, von welchem Pferd er wohl getreten sein mochte. Diesen Eindruck hatte er nämlich. Der »Glücksbringer« im Pompadour hatte voll getroffen.