Parker und die Agenten - Günter Dönges - E-Book

Parker und die Agenten E-Book

Günter Dönges

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Beschreibung

Butler Parker ist ein Detektiv mit Witz, Charme und Stil. Er wird von Verbrechern gerne unterschätzt und das hat meist unangenehme Folgen. Der Regenschirm ist sein Markenzeichen, mit dem auch seine Gegner öfters mal Bekanntschaft machen. Diese Krimis haben eine besondere Art ihre Leser zu unterhalten. Butler Parker ist seinen Gegnern, den übelsten Ganoven, auch geistig meilenweit überlegen. In seiner auffallend unscheinbaren Tarnung löst er jeden Fall. Bravourös, brillant, effektiv – spannendere und zugleich humorvollere Krimis gibt es nicht! Lady Agatha Simpson langweilte sich sichtlich. Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einer Loge der Festival Bowl und konnte dieser Musik keinerlei Geschmack abgewinnen. Es handelte sich um eine festliche Gala-Vorstellung, in der klassische Musik dargeboten wurde. Lady Agatha hatte es längst aufgegeben, auf einen Fehler des Pianisten zu warten. Dieser Mann dort im Frack, der ihrer Ansicht nach den Konzertflügel traktierte, war sich seiner Arbeit vollkommen sicher. Bisher hatte er noch nicht einmal danebengegriffen. Alles deutete darauf hin, daß dies auch bis zum Ende des Konzerts nicht anders werden würde. Lady Agatha hätte viel lieber etwas Flottes angehört. Sie war ein Fan der Beatles und liebte darüber hinaus den guten alten Swing aus der Zeit Benny Goodmans. Damit war hier jedoch nicht zu rechnen. Man spielte etwas von Tschaikowski, wie sie dem Programm entnommen hatte. Die Sache hatte gerade erst angefangen und dauerte sicher seine Zeit. Agatha Simpson war eine ältere Dame, die über ihr Alter nicht gern sprach. Seit ihrem 60. Geburtstag zählte sie ihre Lebensjahre nicht mehr, denn über solche Kleinigkeiten war sie erhaben. Ihrer Ansicht nach war man stets so alt, wie man sich fühlte. Nach dieser Rechnung hatte sie gerade erst fünfzig Jahre hinter sich gebracht. Sie war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und an eine Bühnenheroine erinnernd. Lady Agatha war sehr vermögend und konnte sich praktisch jede Extravaganz leisten. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel des Königreichs, betätigte sie sich seit dem Tod ihres Mannes als leidenschaftliche Amateurdetektivin. Darüber hinaus wollte sie eines Tages

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Butler Parker – 121 –

Parker und die Agenten

Günter Dönges

Lady Agatha Simpson langweilte sich sichtlich.

Sie saß zusammen mit ihrer Gesellschafterin und Sekretärin in einer Loge der Festival Bowl und konnte dieser Musik keinerlei Geschmack abgewinnen. Es handelte sich um eine festliche Gala-Vorstellung, in der klassische Musik dargeboten wurde.

Lady Agatha hatte es längst aufgegeben, auf einen Fehler des Pianisten zu warten. Dieser Mann dort im Frack, der ihrer Ansicht nach den Konzertflügel traktierte, war sich seiner Arbeit vollkommen sicher. Bisher hatte er noch nicht einmal danebengegriffen. Alles deutete darauf hin, daß dies auch bis zum Ende des Konzerts nicht anders werden würde.

Lady Agatha hätte viel lieber etwas Flottes angehört. Sie war ein Fan der Beatles und liebte darüber hinaus den guten alten Swing aus der Zeit Benny Goodmans. Damit war hier jedoch nicht zu rechnen. Man spielte etwas von Tschaikowski, wie sie dem Programm entnommen hatte. Die Sache hatte gerade erst angefangen und dauerte sicher seine Zeit.

Agatha Simpson war eine ältere Dame, die über ihr Alter nicht gern sprach. Seit ihrem 60. Geburtstag zählte sie ihre Lebensjahre nicht mehr, denn über solche Kleinigkeiten war sie erhaben. Ihrer Ansicht nach war man stets so alt, wie man sich fühlte. Nach dieser Rechnung hatte sie gerade erst fünfzig Jahre hinter sich gebracht.

Sie war eine majestätische Erscheinung, groß, füllig und an eine Bühnenheroine erinnernd. Lady Agatha war sehr vermögend und konnte sich praktisch jede Extravaganz leisten. Verwandt und verschwägert mit dem Blut- und Geldadel des Königreichs, betätigte sie sich seit dem Tod ihres Mannes als leidenschaftliche Amateurdetektivin. Darüber hinaus wollte sie eines Tages eine gewisse Agathe Christie in den Schatten stellen, denn sie träumte davon, eines Tages eine berühmte Kriminalromanautorin zu werden. Zur Zeit aber war sie noch damit beschäftigt, sich den passenden Stoff zu suchen.

Diese etwas skurrile Dame konnte ihre Gesellschafterin und Sekretärin nicht verstehen. Kathy Porter saß neben ihr und hatte verzückt die Augen geschlossen. Sie gab sich ganz der Musik hin und schien sie sichtlich zu genießen. Sie war es schließlich gewesen, die Lady Agatha in dieses verdammte Konzert gelockt hatte. Mit Kathy war im Moment überhaupt nichts anzufangen.

Lady Agatha beschäftigte sich inzwischen mit Entfernungsschätzen, um ihre Fähigkeiten zu konzentrieren. Ihr Blick wanderte hinüber zum Solisten am Flügel, dann zurück zu einem der Saaldiener und dann hinauf zur Galerie. Doch dieses Spiel langweilte sie bald. Sie wurde zudem auch abgelenkt vom Dirigenten, der endlich die ersehnte Abwechslung brachte.

Der Mann im Frack stach mit seinem Dirigentenstab in das Orchester hinein, war abwechselnd aggressiv und kampfbetont, dann wieder vorsichtig und beschwörend. Er schien mit seinem Stab eine Art Gefecht zu führen und wirkte auf Lady Agatha äußerst begabt. Der Mann wußte zu fintieren und dann plötzlich auszufallen und zuzustoßen.

Nachdem Lady Agathas Interesse an diesem Scheingefecht erlahmt war, nahm sie ihr Opernglas hoch und schaute sich die Zuhörer an. Sie schmunzelte erleichtert und unverhohlen, als sie einen Zuschauer entdeckte, der selig schlief. Dieser Mann hatte sich in sein Innenleben geflüchtet und nutzte die Zeit. Die Musik schien ihn überhaupt nicht zu stören.

Lady Simpson entdeckte ein neues Spiel, um sich die Langeweile zu vertreiben. Es war statistisch vielleicht interessant, wie viele Zuhörer dort unten im Parkett ein kleines Nickerchen machten. Sie machte sich daher augenblicklich daran, Material für diese Studie zu sammeln. Sie suchte mit ihrem recht leistungsfähigen Opernglas die Reihen im Parkett und dann später die Besucher in den Logen ab.

Sie war ehrlich überrascht, daß allein im Parkett sechs Besucher schliefen. Obwohl die Musik gerade schmetterte, wachten diese Herrschaften keineswegs auf. Es mußte sich um durchs trainierte und erfahrene Konzertbesucher handeln, die sich auch nicht mehr durch Lautstärke ablenken ließen.

Lady Agatha befaßte sich inzwischen mit den Logen auf der gegenüberliegenden Seite der Konzerthalle und hoffte auch hier auf reiche Beute. Plötzlich jedoch erhielt sie so etwas wie einen elektrischen Schlag und sie war sofort alarmiert. Dort in einer Loge spielte sich etwas ab, was man nicht mehr als regulär bezeichnen konnte. Die Ermordung eines Mannes war zumindest in dieser festlichen Umgebung mehr als unpassend und ungewöhnlich.

Zwei junge Männer, die sehr drahtig aussahen, standen hinter einem vor der Logenbrüstung sitzenden Herrn und strangulierten ihn. Einer der beiden Täter hatte einen Schal um den Hals des Opfers geschlungen und zog ihn zu. Der zweite Täter zerrte das Opfer vom Stuhl nach hinten in die Tiefe der Loge.

Agatha Simpson reagierte prompt, impulsiv und sehr gekonnt.

Sie schien direkt erleichtert zu sein, endlich etwas tun zu können. Sie war bereits aufgesprungen und ließ ihren Pompadour kreisen. Es handelte sich dabei um einen perlenbestickten Handbeutel, wie er um die Jahrhundertwende und davor in Mode gewesen war. In ihm befand sich Myladys ›Glücksbringer‹, wie sie das Pferdehufeisen untertreibend nannte. Dieses schwere Hufeisen war nur sehr oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt, um schwere Verletzungen zu vermeiden.

Lady Simpson war eine erstklassige Sportlerin. Nachdem sie den Pompadour in Fahrt gebracht hatte, ließ sie ihn los. Das Wurfgeschoß segelte quer über das Parkett und landete in der gegenüberliegenden Loge, in der das Opfer bereits sichtlich unter Luftnot litt. Eine Hammerwerferin hätte nicht kraftvoller und genauer zielen können.

Der Pompadour landete prompt im Gesicht eines der beiden Täter. Der Aufschrei, der unmittelbar danach ertönte, wirkte sich auf das Geschehen in der Konzerthalle erheblich störend aus. Er paßte einfach nicht zu Tschaikowski!

*

Der ältere Herr röchelte beachtlich und schnappte nach Luft. Er lag in einer Ecke der Loge und stierte Lady Simpson mit einer Mischung aus Dankbarkeit und noch nicht überwundenem Entsetzen an.

»Die Kette«, schnaufte er. »Nehmen Sie die Kette!«

»Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin ja bei Ihnen«, meinte Lady Agatha beruhigend. »Was für eine Kette meinen Sie?«

»Hier!« Der ältere Herr zerrte sich sein Frackhemd auf und wollte noch etwas sagen, doch da verließen ihn die Kräfte. Er rutschte haltlos zurück und schloß die Augen.

»Er wird doch nicht?« Lady Simpson sah ihre Gesellschafterin an, die sich jetzt um den Herrn kümmerte.

»Nur eine Ohnmacht, Mylady«, beruhigte Kathy Porter die Lady.

»Das möchte ich mir auch ausgebeten haben!« Lady Simpson hörte Schritte vor der geöffneten Logentür und griff blitzschnell nach der dünnen Kette, die unter dem Frackhemd des Ohnmächtigen hervorschimmerte. Die resolute Dame zögerte keinen Augenblick. Mit fester und sicherer Hand langte sie herzhaft zu und riß dem Herrn die dünne Kette vom Hals. Ohne sich lange mit ihr zu beschäftigen, ließ Lady Simpson sie dann geistesgegenwärtig in ihrem Ausschnitt verschwinden.

Sie schaute hoch und sah sich einem uniformierten Beamten gegenüber, der gerade die Loge betreten hatte. Der Sergeant, ein schlanker, energisch aussehender Mann, kümmerte sich sofort um das Opfer, ohne sich durch Kathys Nähe ablenken zu lassen. Demnach mußte der Sergeant sogar noch sehr pflichtbewußt sein. Kathy sah nämlich ungewöhnlich attraktiv aus.

Das Konzert war selbstverständlich abgebrochen worden. Unten im Parkett, auf den Rängen und in den Logen standen die festlich gekleideten Menschen herum und diskutierten mehr oder weniger erregt diesen Zwischenfall. Lady Simpson hätte sich liebend gern angeschaut, woraus der Anhänger am Kettchen bestand, doch dies verbot sich im Augenblick von selbst.

Es dauerte gar nicht lange, bis ein gewisser Superintendent McWarden auf der Bildfläche erschien. McWarden, ein alter Bekannter von Lady Simpson, schluckte nervös, als er die Dame in der Loge entdeckte. McWarden, ein untersetzter, bullig wirkender Mann von fünfzig Jahren, witterte natürlich sofort Komplikationen. Wo Lady Simpson ihre Hand im Spiel hatte, war es mit seiner üblichen Bombenruhe vorbei. Daran hatte er sich bereits gewöhnt.

Das Opfer war inzwischen wieder zu sich gekommen, schien aber nicht vernehmungsfähig zu sein. McWarden richtete einige Fragen an den älteren Herrn, doch der reagierte nicht. Ob er es absichtlich tat, vermochte selbst die stets mißtrauische Lady Simpson nicht eindeutig zu sagen. McWarden wartete bis die Männer des Krankenwagens erschienen und das Opfer auf eine Trage packten. Als der Mann dann aus der Loge gebracht war, konzentrierte der Superintendent sich auf Lady Simpson.

»Ich bin Ihnen für jede Geschichte dankbar«, sagte er mit einer gewissen Bitterkeit. »Sie darf sogar wahr sein.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, McWarden«, gab Lady Simpson grimmig zurück. »Als ob ich Sie schon jemals belogen hätte!«

»Oh, Lady Simpson«, seufzte McWarden auf, »eines Tages werde ich mich in die Provinz versetzen lassen, weit weg von Ihnen.«

»Wie wollen Sie dann noch Kriminalfälle lösen?« erkundigte sich die Lady ironisch. »Sie sollten dankbar sein, daß ich mich etwas um Sie kümmere.«

»Um was ging’s denn diesmal?« fragte McWarden, ohne dieses Thema zu vertiefen.

»Miß Porter wird Ihnen alles erzählen«, gab Lady Simpson zurück. »Und Sie werden nichts zu hören bekommen, als die Wahrheit, die reine Wahrheit.«

»Ich weiß!« McWarden verdrehte die Augen und nickte Kathy Porter zu. Lady Simpsons Gesellschafterin berichtete knapp und präzise von dem, was sich in der Loge abgespielt hätte. Sie vergaß allerdings das Kettchen zu erwähnen, doch das konnte möglicherweise mit ihrer Aufregung Zusammenhängen.

»Also reiner Zufall, daß Sie diesen versuchten Mord beobachteten?« McWarden drehte sich zu Lady Simpson um.

»Sie scheinen gut zugehört zu haben. Reiner Zufall, Superintendent. Wollen Sie mir nicht endlich sagen, wen ich da vor dem Tod gerettet habe? Darauf habe ich doch wohl einen Anspruch, nicht wahr?«

»Sie kennen den Mann wirklich nicht, Mylady?«

»Sie werden albern, junger Mann«, raunzte die ältere Dame den Superintendent an. »Ich spiele nicht mit gezinkten Karten. Ich bin ahnungslos.«

McWarden durchforschte bereits die Brieftasche des Opfers und fand eine Menge Hinweise auf dessen Identität. In der Brieftasche befanden sich Kreditkarten, ein internationaler Führerschein, Pfundnoten und dann auch ein Hotelausweis.

»Nun zieren Sie sich nicht länger«, brummte Lady Simpson. »Wie heißt der Mann?«

»James Findlay«, antwortete der Superintendent zögernd. »Er ist Amerikaner und scheint sich erst seit zwei Tagen hier in London aufzuhalten.«

»In welchem Hotel ist er abgestiegen?«

»Im ›Palace‹, Mylady, aber das darf ich Ihnen schon nicht mehr sagen.«

»,Ich habe auch nichts gehört«, antwortete Lady Simpson.

»Werden Sie sich mit dieser Sache befassen?« fragte McWarden vorsichtig an. Ihm war nur zu bekannt, welchem Hobby die resolute Dame hemmungslos frönte.

»Der Fall soll doch aufgeklärt werden, oder?« Sie sah ihn grimmig an. »Natürlich werde ich ein wenig neugierig sein, McWarden. Vielleicht wartet hier ein Stoff auf mich, der mir einen Bestseller garantiert.«

*

»Wann werden Sie sich endlich einen größeren Wagen zulegen, Kindchen?« grollte Lady Simpson und deutete auf den Mini-Cooper. »Dieser Schuhkarton ist doch eine Zumutung.«

»Man hat daher mit ihm keinerlei Parkprobleme, Mylady«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Ich komme mit ihm praktisch überall hin.«

Lady Simpson faltete sich zusammen und schob sich ächzend und stöhnend auf den Beifahrersitz. Kathy Porter wartete, bis die ältere Dame sich endlich zurechtgerückt hatte, dann ging sie um den Mini-Cooper herum und setzte sich vor das Steuer.

»Fahren Sie los«, sagte Lady Simpson. »Ich wette, McWarden beobachtet uns. Er traut mir mal wieder nicht über den Weg.«

»Gebranntes Kind scheut das Feuer, Mylady.« Kathy ließ den Motor an und fuhr langsam los. Als sie den Parkplatz verließ, tauchte der Superintendent auf, gestikulierte und schien den Mini-Cooper unbedingt anhalten zu wollen. Ja, er machte einen geradezu aufgeregten Eindruck.

»Ich hoffe, Sie wollen nicht reagieren«, meinte Lady Agatha. »Ich sehe nichts. Haben Sie mich verstanden?«

»Es scheint aber wichtig zu sein, Mylady.«

»Wir sehen nichts. Biegen Sie nach rechts ab, Kindchen. McWarden geht mir auf die Nerven.«

Kathy Porter hielt sich also an die strikte Anweisung der Lady Agatha, übersah den Superintendent und witschte mit ihrem Mini-Cooper in eine schmale Gasse, die von parkenden Wagen gebildet wurde. Wenig später waren sie auf der regulären Straße und fuhren in Richtung Hyde Park, in dessen Nähe sich das Palace-Hotel befand.

»Sie scheinen wieder mal mit einer Schnecke konkurrieren zu wollen«, mokierte sich die energische Lady. »Geht’s nicht etwas schneller, Kindchen?«

»Mylady, der Verkehr ist einfach zu dicht.«

»Sie sind überfordert, Kathy«, stellte die Lady fest. »Ich denke, ich sollte das Steuer übernehmen.«

Kathy Porter hätte am liebsten entsetzt aufgeschrien. Sie kannte den Fahrstil der resoluten Lady. Ein ehemaliger Kamikaze-Flieger wäre gegen Myladys Verwegenheit nur ein zaudernder Anfänger gewesen. Wenn Lady Agatha am Steuer eines Wagens saß, war das stets so etwas wie ein Happening. Sie hatte die Spielregeln des Verkehrs längst vergessen, zudem auch noch sämtliche Verkehrszeichen. Sie fuhr so, wie es ihr gerade in den Sinn kam.

»Sollten Sie sich nicht das Kettchen ansehen, Mylady?« lenkte Kathy Porter schnell ab. Sie konnte nur hoffen, daß Lady Agatha auf diesen Trick hereinfiel.

Sie tat es erfreulicherweise.

»Richtig, das Kettchen!« erinnerte sich die Lady und suchte in ihrem mächtigen und fülligen Ausschnitt nach besagtem Gegenstand. Nach einiger Anstrengung hatte sie endlich den Gegenstand gefunden und sicher geborgen. Sie betrachtete ihn neugierig.

Das Silberkettchen hatte einen Anhänger. Bei diesem Anhänger handelte es sich um eine längliche Kapsel, die aus zwei Hälften bestand. Sie war etwa vier bis fünf Zentimeter lang und hatte einen Durchmesser von ungefähr anderthalb Zentimeter. Die zwei Hälften waren genau in der Mitte gegeneinander geschraubt. Die obere Hälfte war mit eingelassenen roten Kreuzen versehen, mit denen Lady Simpson nichts anzufangen wußte.

»Das sieht aber reichlich medizinisch aus«, fand sie und zeigte ihrer Begleiterin die Kapsel. Sie zeigte sie ihr derart nachdrücklich, daß Kathy die Sicht auf die Fahrbahn versperrt wurde. Doch das bekam Lady Simpson in ihrem Eifer nicht mit.

Kathy mußte eine Notbremsung durchführen und entging nur mit knapper Not einem Auffahrunfall. Davon bekam Lady Agatha jedoch nichts mit.

»Moment, Kindchen«, sagte sie ahnungslos. »Sie können wahrscheinlich nicht genug sehen.«

Lady Simpson nahm die Kapsel noch höher und damit Kathy auch die letzte Sicht. Kathy Porter seufzte auf.

»Was ist denn, Kathy?« wunderte sich die ältere Dame. »Warum blockieren Sie plötzlich den gesamten Verkehr? Wir sind doch nicht allein auf der Straße? Sie sollten mal wieder Fahrunterricht nehmen.«

»Mylady, ich kann beim besten Willen nichts sehen«, gab Kathy ergeben zurück. Es hatte keinen Sinn, sich über die Lady zu wundern. Sie war ein Naturereignis, das man einfach hinnehmen mußte. Kathy steuerte den Wagen vorsichtig an den Straßenrand und hielt an.

»Der Straßenverkehr hat Sie geschafft, Kindchen, nicht wahr?« Mitgefühl schwang in Myladys Stimme mit.

»Darf ich die Kapsel sehen, Mylady?« fragte Kathy, ohne auf die Feststellung Lady Agathas einzugehen. Sie überhörte sie geflissentlich.

»Ein sehr eigenartiger Talisman«, fand Lady Agatha, als sie ihrer Gesellschafterin die Kapsel reichte.

»Das ist eine Rettungskapsel«, sagte Kathy nach einem kurzen und prüfenden Blick.

»Eine was?« Lady Simpson schüttelte irritiert den Kopf.

»Eine Rettungskapsel, Mylady«, wiederholte Kathy und schraubte die beiden Hälften auseinander. »Sie enthält Angaben zur Person des Besitzers. Blutgruppe, Rhesusfaktor, eine Liste der bereits verabreichten Impfungen und Hinweise auf Allergien, das alles ist hier verzeichnet.«

Während Kathy Porter noch redete, zog sie ein eng zusammengerolltes Stück Papier aus der unteren Kapselhälfte, rollte es auseinander und reichte es Lady Simpson.

»Tatsächlich«, sagte die Amateurdetektivin enttäuscht. »Der Name lautet James Findlay. Er ist identisch mit dem, den McWarden uns genannt hat. Das ist aber eine herbe Enttäuschung, Kindchen.«

»Sie hatten Mikrofilme erwartet, Mylady?« Kathy lächelte.

»Natürlich«, räumte Lady Simpson ehrlich ein, was an sich schon überraschend genug war. »Warum hat dieser Findlay mir sonst diese Kapsel aufgedrängt? Sein Rhesusfaktor interessiert mich doch überhaupt nicht.«

»Vielleicht birgt die Kapsel irgendein Geheimnis, Mylady?« Kathy wußte sehr genau, wie man Lady Simpson geschickt ablenken konnte. Sie hatte da so ihre Erfahrungen.

»Manchmal haben Sie sogar akzeptable Ideen, Kindchen«, gab Lady Simpson zurück und nickte beifällig. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Wir wollen uns diese Kapsel zu Hause mal in aller Ruhe ansehen.«

Kathy wollte anfahren, doch in diesem Augenblick tat sich etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Die Fahrertür wurde aufgerissen, und sie sah Bruchteile von Sekunden später in den Lauf einer Pistole, die mit einem Schalldämpfer modernster Bauart ausgerüstet war.

*

»Ganz ruhig, die Damen«, sagte der junge Mann, der die Pistole hielt. Er mochte vielleicht fünfunddreißig Jahre alt sein, schlank und mittelgroß. Er hatte ein glattes Gesicht und trug trotz der Dunkelheit eine Sonnenbrille.

»Was soll das?« grollte Lady Simpson gereizt. »Wenn Sie mit Bargeld rechnen, so haben Sie sich gründlich in den Finger geschnitten. Ich zahle nur per Scheck.«

»Wie wär’s denn mit der Kapsel?« fragte der junge Mann und lächelte dünn. Kathy Porter überdachte blitzschnell ihre Chancen, dem Mann die Waffe aus der Hand zu schlagen, doch sie kam zu dem Schluß, daß sie es mit einem Profi zu tun hatte, den man so leicht nicht hereinlegen konnte.