Patricia Peacock und der verschwundene General - Tiffany Crockham - E-Book + Hörbuch

Patricia Peacock und der verschwundene General E-Book und Hörbuch

Tiffany Crockham

5,0

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Beschreibung

Eine misslungene Geisterbeschwörung und ein saftiger Skandal - Patricia Peacock und Dogge Sir Tiny stolpern in ihr zweites Abenteuer! Auf dem Silvesterball im Mena Hotel machen Patricia und John mit dem schrulligen Ehepaar Gräfin Walburga und General Huddelston Bekanntschaft. Wenig später bittet die Gräfin sie um Hilfe, denn ihr Gatte wurde entführt. Und das zwei Wochen vor der Goldenen Hochzeit der beiden! Als wäre das nicht schlimm genug, steht auch noch ein saftiger Skandal ins Haus, denn der General verschwand aus dem berühmt-berüchtigten Freudenhaus "Lotusgarten". Patricia muss noch einmal in ihre Rolle als Gesellschaftsdame schlüpfen, um im Umfeld des Generals Nachforschungen anzustellen. Dabei trifft sie ausgerechnet auf ihre alte Arbeitgeberin Lady Blanford. Außerdem macht Dogge Sir Tiny ihrem Ruf alle Ehre und richtet ein heilloses Chaos an, während John Maddock zum Sturm auf Patricias Schlafzimmer ansetzt ...

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Seitenzahl: 226

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Zeit:5 Std. 37 min

Sprecher:Juliane Hempel
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Tiffany Crockham

Patricia Peacock und der verschwundene General

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Titel und Impressum

1. Schlag ein Rad

2. Einfach nur ein großer Corgi

3. Geisterstunde

4. Blumige Grüße

5. Nymphenballett

6. Roaring Maybach

7. Ein Trampeltier kommt selten allein

8. Lawrence von Arabien

9. Die Büchse der Pandora

10. Doggy Bag

Danksagung und Nachwort

Über die Autorin

Weitere Bände der Serie:

Impressum neobooks

Titel und Impressum

T I F F A N Y

C R O C K H A M

Erstausgabe Dezember 2020

Copyright © 2020 Tiffany Crockham

[email protected]

Alexa Kim

Postfach 10 05 01

47005 Duisburg

Covergestaltung: A&K Buchcover

unter Verwendung von Motiven von

shutterstock.com: © tscreationz

depositphotos.com: © mcgphoto © lifeonwhite © mallivan

© PNGTree

Lektorat: „Taltexte“ Manuela Sanne

www.taltexte.de

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegen werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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1. Schlag ein Rad

Patricia betrachtete ratlos den durchsichtigen blauen Stoff. Er war mit glitzernden Pailletten bestickt und von silbernen Fäden durchwirkt. Was immer diese Geschmacklosigkeit auch darstellte – es war nicht das Kostüm, das sie in Auftrag gegeben hatte. „Was hältst du davon, Miss Kitty?“, fragte sie die rotgetigerte Katze, die es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht hatte und sie aus halb geschlossenen Augen beobachtete. Miss Kitty schien allerdings nicht sonderlich interessiert an ihren Kostümproblemen. Patricia hatte die Straßenkatze kurz vor Weihnachten aus Mitleid ins Haus geholt. Obwohl Miss Kitty sich ganz nach Katzenart aus Menschenproblemen herauszuhalten schien, weckte der glitzernde Hauch von Nichts, mit dem Patricia vor dem großen Spiegel stand, ihr Interesse. Miss Kittys Katzenaugen folgten jedem Aufblitzen der Pailletten in erwartungsvoller Anspannung.

Patricia bedachte die Katze mit einem mahnenden Blick. „Denk nicht einmal dran. Du hast diese Woche schon den Gürtel meines Kleides ruiniert. Ich werde diese Peinlichkeit zurückgeben. Offenbar hat mir der Schneider das falsche Kostüm gebracht.“

Während Patricia mit dem Kostüm das Schlafzimmer verließ, folgte ihr Miss Kittys enttäuschter Blick.

„Abdul?“

„Ja, Memsahib?“

Der indische Hausdiener erschien mit seiner Räucherschale. Offenbar war Abdul mal wieder hinter ein paar rachsüchtigen Geistern her, die, wie er glaubte, das Haus regelmäßig heimsuchten. Patricia hatte es mittlerweile aufgegeben, ihn davon zu überzeugen, dass es Geister oder Flüche nicht gab. Abdul, mir ist hier noch nie ein Geist begegnet, hatte Patricia erst letzte Woche versucht, seine Aktivitäten des Ausräucherns wenigstens auf ein Minimum zu beschränken. Natürlich nicht, Memsahib. Das liegt daran, dass ich das Haus regelmäßig mit Räucherungen gegen böse Geister schütze.

Nun – im Augenblick hatte Patricia andere Sorgen. Sie brauchte ein tragbares Kostüm für den Silvesterball heute Abend.

„Abdul, bitte holen Sie den Kostümschneider zurück. Er hat mir das falsche Kostüm gebracht.“ Wie zum Beweis hielt sie ihm den hauchdünnen Stoff entgegen.

„Das ist ein sehr hübsches Kostüm, Memsahib.“

Patricia hob eine Braue. „Ich könnte genauso gut unbekleidet zum Silvesterball im Mena Hotel gehen. Also bitte holen Sie den Schneider zurück.“

Abdul seufzte und sah sich misstrauisch um, als wolle er sichergehen, dass alle Geister vertrieben waren. „Ja, Memsahib, er ist noch nicht lange fort.“

Nervös tappte Patricia mit der Spitze ihres Fußes, während sie wartete. Da hatte sie schon einmal eine Einladung ins Mena Hotel, und alles lief schief. Was hatte sie dem Himmel nur getan, dass er sie derart bestrafte? Immerhin – keine fünf Minuten später betrat der Kostümschneider den Salon.

Vorwurfsvoll hielt Patricia ihm den blauen Stoff entgegen. „Es liegt eine Verwechslung vor. Das ist nicht das Kostüm Gouvernante.“

Der ägyptische Schneider sah sie verständnislos an. „Nein, Miss, das ist das Kostüm Salome.“

„Aber ich habe das Kostüm Gouvernante bei Ihnen bestellt.“

Er zuckte mit den Schultern. „Aber Ihr Gatte kam zu mir und änderte die Bestellung in das Kostüm Salome.“

„Mein Gatte?“

„Ja, Miss … so ein großer Amerikaner namens Maddock.“

Patricia zwang sich, tief durchzuatmen, während sich in ihr ein ungutes Gefühl regte, das immer dann auftrat, wenn John Maddock involviert war. Wie gut, dass sie ihr Korsett nicht mehr trug, denn sonst wäre sie das erste Mal in ihrem Leben vielleicht wirklich in Ohnmacht gefallen.

„Guter Mann … da mein Name Peacock ist und Sie mich mit Miss anreden, kann Mr. Maddock nicht mein Ehemann sein und damit auch nicht von mir beauftragt worden, die Bestellung meines Kostüms zu ändern.“

Hinter der Stirn des Schneiders arbeitete es. Offenbar erkannte er die Logik in ihren Worten. Er kratzte sich das Kinn, richtete den Ärmel seiner Dschallabija, obwohl sie makellos und ohne eine Falte war, und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Wollen Sie das Kostüm nicht?“

„Nein, ich möchte das Kostüm, das ich bestellt habe.“

„Aber ich habe es nicht angefertigt, da ich dachte, dass die Bestellung von Ihrem Ehemann geändert wurde.“

„Ich kann heute Abend unmöglich in so einem … Negligé zum Silvesterball erscheinen.“

„Dann gehen Sie eben nicht hin“, schlug der Schneider vor. „Ich muss noch weitere Kostüme ausliefern. Soll ich das Kostüm wieder mitnehmen?“

In einem Anflug von Trotz presste Patricia den Hauch von Stoff an ihre Brust. Um keinen Preis der Welt würde sie den Silvesterball verpassen, und ohne Kostüm gab es keinen Einlass. „Nein, ich behalte es“, stellte Patricia verärgert klar, während sie im Kopf ihre Garderobe durchging und überlegte, wie sie dem Kostüm ein wenig von seiner Skandalösität nehmen konnte.

„Dann gehe ich jetzt.“ Dem Schneider war klar, dass Patricia keine andere Möglichkeit blieb, als das Kostüm zu behalten, wenn sie auf den Silvesterball wollte.

Patricia sah ihm hinterher und richtete ihren Ärger auf den wahren Verursacher dieser Katastrophe. Sie würde das nicht so hinnehmen – dieses Mal nicht!

„Abdul … wenn Mr. Maddock zurückkommt ...“

Der Hausdiener steckte seinen Kopf in die Tür. „Ja, Memsahib?“

Natürlich hatte er gelauscht. Gute Hausdiener taten das, um immer informiert zu sein, das wusste Patricia von ihrer Anstellung bei Lady Blanford als Gesellschafterin.

„Es würde ja doch nichts bringen“, gestand Patricia sich selbst ein. John trieb sie in den Wahnsinn. Sie hätte ihn längst aus dem Haus werfen sollen, wie Fatima nicht müde wurde, anzumerken. Immerhin hatte er seine Detektei neu eröffnet, und genau wie auch Fatima argwöhnte Patricia, dass John sich gar nicht ernsthaft darum bemühte, eine Wohnung in Kairo zu finden.

Sie betrachtete das schreckliche Kostüm. Hiermit war allerdings der Höhepunkt dessen erreicht, was John sich herausnehmen durfte! Nach dem Silvesterball würde sie ihn auffordern, sich eine Wohnung zu suchen, und daran änderten auch die Momente der Schwäche nichts, die sie sich in der Gartenlaube mit ihm erlaubt hatte.

Bevor Patricia sich auf den Weg zurück in ihr Schlafzimmer machte, um die blau-silberne Peinlichkeit irgendwie in ein tragbares Kostüm zu verwandeln, gewann endgültig die Rachegöttin in ihr die Oberhand.

„Abdul, lassen Sie doch Miss Kitty in Mr. Maddocks Zimmer.“

„Aber Mr. Maddock mag doch keine Katzen.“

„Dann ist es an der Zeit, dass die beiden sich besser kennenlernen. Vertrauen Sie mir.“

Abdul zuckte die Schultern. „Wie Sie meinen, Memsahib. Außerdem kann ich bei der Gelegenheit auch gleich Mr. Maddocks Zimmer ausräuchern.“

Eine hervorragende Idee, wie Patricia fand. Gegen ihre innere Überzeugung verspürte sie tiefe Befriedigung bei der Vorstellung, dass John in sein Zimmer käme, und Miss Kitty dort vorfände. Sie hoffte außerdem inständig, dass irgendetwas von Johns persönlichen Dingen Miss Kittys Krallen zum Opfer fallen würde – vorzugsweise sein Kostüm. Das hatte sie noch gar nicht gesehen. Patricia war jedoch ziemlich sicher, dass es nicht durchsichtig war wie ihres.

John hätte nichts dagegen gehabt, sich unter dem Sofa zu verkriechen und erst wieder herauszukommen, wenn die Schlechtwetterfront vorbeigezogen war. Patricias Laune schien sich einfach nicht bessern zu wollen. Schon als er und Sir Tiny die Tür hereingekommen waren, hatte sie wie ein güldener oder besser blau-silberner Racheengel im Salon auf ihn gewartet. Patricia war ein atemberaubender Anblick in dem Kostüm, das er ausgesucht hatte. Wobei es schade war, dass sie eines ihrer seidenen Nachthemden unter dem Stoff trug. Soweit John wusste, trugen Wüstenprinzessinnen oder Fata Morganen keinen Stoff unter ihren Schleiern.

Entgegen seiner Erwartung hatte sich das Gewitter allerdings nicht sofort über ihm entladen – das wäre John weitaus lieber gewesen, als diese schwärende Gefahr eines Ausbruchs, der sich da zusammenbraute. Im Gegenteil hatte Patricia so getan, als wäre alles in bester Ordnung. Kein Wort darüber, dass er diese Scheußlichkeit, die sie sich als Kostüm ausgesucht hatte, heimlich ausgetauscht hatte. Allerdings wusste John, dass Blicke bei Patricia weitaus gefährlicher waren als Worte … und ihre Blicke schossen Blitze in seine Richtung.

„Ich bin gespannt auf Ihr Kostüm, John“, hatte sie gesagt und sich von Fatima einen Mokka servieren lassen, während sie darauf wartete, dass er sich für den Silvesterball umzog. Sir Tiny, der ein gutes Gespür für Stimmungen hatte, war lieber John hinterhergetrabt, anstatt bei Patricia im Salon zu bleiben.

Das wahre Ausmaß ihres Unmutes hatte sich John allerdings erst erschlossen, als er sein Zimmer betreten hatte, in dem der Geruch von Abduls Räucherung in der Luft lag. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, lag mitten auf seinem Bett das hinterhältige rote Katzenvieh, zwischen den Krallen seinen neuen Panamahut, den er sich von dem Verdienst aus seinem letzten Fall – einem entlaufenen Pekinesen – gegönnt hatte.

„Du hinterhältiges Vieh“, hatte John Miss Kitty angefahren, was die Katze mit einem Fauchen in seine Richtung quittierte. Dann war sie vom Bett gesprungen und aus seinem Zimmer geflohen. Sir Tiny war ihr gefolgt. John fand, dass die Katze einen schlechten Einfluss auf Sir Tiny ausübte, aber Patricia wollte davon nichts hören, geschweige denn davon, Miss Kitty wieder auf die Straße zu setzen. Dafür hätte sie aber ohnehin erst an Fatima vorbeigemusst. Seit Miss Kitty das verlorene Medaillon mit dem Bild ihrer Tochter im Garten gefunden hatte, waren Fatima und die Katze ein Herz und eine Seele. Und das, obwohl Fatima Katzen nicht ausstehen konnte. Wobei, je öfter John darüber nachdachte, ihm Fatimas Sinneswandel nicht mehr unlogisch erschien. Hatten Hexen und Katzen nicht schon immer eine unwiderstehliche Anziehung aufeinander ausgeübt? Vielleicht hätte Abdul seine Räucherungen lieber auf Fatimas Zimmer konzentrieren sollen.

Bedauernd hatte John seinen neuen und jetzt ruinierten Hut entsorgt. Die Krempe war von Miss Kittys Krallen zerfetzt. Außerdem hatte sie den Hut als Katzenklo benutzt.

Eines musste man Patricia lassen – mittlerweile wusste sie, wie sie ihm seine doch wirklich gut gemeinten Hilfestellungen heimzahlte.

Nur leider besserte sich Patricias Laune nicht. Selbst jetzt im Maybach, auf dem Weg zum Mena Hotel, herrschte eisiges Schweigen zwischen ihnen. Noch nicht einmal Abdul wagte es, seine seltsamen Lieder anzustimmen, die er sang, wenn er sie mit dem Maybach durch Kairo chauffierte. So konnte es nicht weitergehen. John hatte sich auf einen unterhaltsamen Abend an der Seite von Patricia eingestellt.

„Darling ...“

Sie funkelte ihn an. „Falls Sie daran denken – ich bin für keinerlei Entschuldigung zugänglich!“

Er sah Patricia an, als hätte sie einen schlechten Scherz gemacht. „Darling, warum sollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich Sie davor bewahrt habe, sich als verstaubte alte Schachtel zu verkleiden?“

„Stattdessen sehe ich aus wie eine der Damen im Lotusgarten!“

John widersprach vehement. „Nein, dafür müssten Sie Ihr Korsett anlegen und das Nachthemd ausziehen.“

Anstatt einer Antwort zog Patricia einen Fächer aus ihrem Handbeutel, klappte ihn auf und begann, hektisch damit zu fächeln. John überlegte, wie er seine aufgebrachte Salome besänftigen konnte, während Abdul eine Kurve nahm und dabei fast einen auf der Straße vergessenen Karren streifte. Immerhin war das hier ihr erster offizieller gemeinsamer Abend, und John hoffe nach dessen Beendigung endlich auf mehr als ein paar Küsse in der Gartenlaube.

„Sie wissen doch, Darling, die Kostüme von Paaren sollten eine Einheit bilden – so stand es in der Einladung.“

„Von verheirateten Paaren, John! Und außerdem hätten Sie ja das Model Butler nehmen können, das ich Ihnen vorgeschlagen habe. Dann hätten wir zusammengepasst.“

„Aber Darling“, er wies nicht ohne Stolz an seinem Lawrence-von-Arabien-Kostüm herunter und strich zufrieden über den aufwendig gearbeiteten Prachtgürtel samt Krummdolch. „Sehe ich etwa aus wie ein Butler?“

„Und sehe ich etwa aus wie Salome?“, konterte Patricia empört.

„Also, wenn Sie das Nachthemd weglassen und einen Schleiertanz aufführen ...“

„Fatima hat recht. Sie sind und bleiben ein Mann mit unanständigen Gedanken, John!“

Vielleicht hätten John ihre Worte früher ein wenig verunsichert, aber seit ihrer mehr oder weniger heimlichen Treffen in der Gartenlaube, in denen Patricia regelmäßig die Beherrschung verlor und sich seinen Küssen hingab, war er guter Hoffnung, sein Ziel – Patricias Schlafzimmer – bald zu erreichen. Und obwohl es vielleicht nicht angebracht war, sie in diesem Augenblick daran zu erinnern, konnte er nicht anders. „Darling, bedeuten Ihnen unsere Abende in der Laube denn gar nichts?“

„Wir sind da“, stellte sie fest, und entzog sich damit einer Antwort.

John beschloss, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen. Immerhin hatte er Patricia dazu überreden können, mit ihm den Silvesterball zu besuchen. Eine dankbare Kundin, deren Corgi er im Hafen von Kairo in einer Verladekiste auf dem Weg nach England aufgespürt hatte, war so freundlich gewesen, ihm Einladungen für den beliebten Silvesterball zu besorgen. Zuerst hatte Patricia nicht gewollt – zumindest hatte sie so getan – dann aber nachgegeben. Und hier standen sie nun … Salome von den tausend Schleiern und der verwegene Spion Lawrence von Arabien. Wenn das nicht vielversprechend klang.

Patricias Aufregung über ihr ungebührliches Kostüm legte sich ein wenig, als sie feststellte, dass die Kostüme der anderen Damen viel skandalöser waren als ihres. Während sie eine Champagnerschale von einem Tablett nahm, das ihr ein Page im Rokoko-Kostüm mit gepuderter Perücke reichte, ließ Patricia ihre Blicke durch den hell erleuchteten Tanzsaal des Mena Hotels streifen. Da gab es Damen in Pluderhosen und einem Hauch von Nichts über einem Oberteil, das so knapp ausfiel, dass man es kaum als solches bezeichnen konnte. Es gab Paare, die als Engel und Teufel verkleidet gingen oder Nixe und Wassermann mit Dreizack. Dazu spielte ein achtköpfiges Ensemble beschwingte Musik und überall waren Pappzahlen aufgestellt, die in Glitzerschrift ein Frohes neues Jahr 1924 wünschten. In Anbetracht der vielen schillernden Kostüme stellte Patricia fest, dass sie und John gar nicht so sehr auffielen.

„Miss Peacock“, rief eine vertraute Stimme. Im nächsten Augenblick stand Salima vor ihr – in einem hautengen Kleid mit goldener Schuppenoptik, das mehr offenbarte, als es verbarg. Auf ihrem Kopf ringelte sich eine Schlange mit aufgestelltem Nackenschild, die so täuschend echt aussah, dass John einen Schritt zurücktrat.

„Dieses Blau steht Ihnen ausgezeichnet, Miss Peacock.“ In Salimas Stimme lag Bewunderung. „Ich hatte schon befürchtet, Sie würden etwas Unspektakuläres tragen.“

Auf dieses Stichwort hin wagte John sich zurück an ihre Seite und zeigte sein typisch überlegenes Grinsen, das in Patricia jedes Mal unfeine Gedanken aufkommen ließ, für die sie sich später schämte. „Ist sie nicht eine wundervolle Salome?“

„Werden Sie am Kostümwettbewerb für das beste Paarkostüm teilnehmen?“, wollte Salima aufgeregt wissen.

„Nein!“, stellte Patricia klar, doch John rief: „Aber natürlich!“, und übertönte damit ihr Nein.

„Das alles ist so aufregend … mein erster Silvesterball.“ Salima ließ die Hüften kreisen und ähnelte damit einmal mehr einer Schlange – allerdings einer, die auf ganz andere Beute aus war, als Futter. Wenn Fatima sie so gesehen hätte, hätte sie ihre Tochter an den Haaren nach Hause gezerrt und für den Rest ihres Lebens eingesperrt.

„Wo ist denn die alte Nebelkrähe Blanford?“, wollte John zwischen einem Glas Champagner und einem Horsd’œuvre wissen.

„John …“, ermahnte Patricia ihn, denn obwohl sie keine Sympathie für ihre alte Arbeitgeberin hegte, verbot der Anstand es doch, sie mit derartigen Namen zu belegen.

Salima, die mittlerweile für Lady Blanford als Gesellschafterin arbeitete, schien ihr Gewissen jedoch ebenso wenig zu plagen wie John. „Lady Blanford kommt später.“

Patricia verwunderte das nicht. Aus Erfahrung wusste sie, dass Lady Blanford immer gerne als Letzte erschien, damit man ihr genügend Beachtung schenkte. Wahrscheinlich trug sie ein teures, aber lächerliches Kostüm und hatte ihren Königspudel Princess passend ausstaffiert. Patricia konnte gut darauf verzichten, ihrer alten Arbeitgeberin zu begegnen, und hoffte, dass es sich unter den vielen Menschen, die hier zusammen Silvester feierten, vermeiden ließ.

„Oh, dort drüben sind Gräfin Walburga und ihr Gatte General Huddelston. Ich muss Sie einander unbedingt vorstellen, Miss Peacock.“ Salima zwinkerte ihr zu, als erwarte sie einen großen Spaß und bedeutete Patricia und John, ihr zu folgen.

Patricia warf John einen fragenden Blick zu, der nur die Schultern zuckte. Wunderbar … sie hoffte inständig, dass John sie nicht beide in Verlegenheit brachte. Wenigstens ein Abend musste doch ohne größere Katastrophen zu bewältigen sein. Letztendlich beschloss Patricia, Salimas Einladung zu folgen. Da sie kaum jemanden hier kannte, mochte es vielleicht angenehm sein, wenn Salima sie der Gräfin und dem General vorstellte.

Gräfin Walburga von der Oberpfalz zu Mohnheim stellte sich als kräftige Frau heraus, die neben ihrem Mann recht resolut wirkte und ihn um einen halben Kopf überragte. Patricia schätzte die beiden auf Ende sechzig, wobei sowohl der General als auch die Gräfin sehr rüstig waren. Gräfin Walburga trug das Kostüm einer indischen Göttin, von dem Patricia annahm, dass es Abdul ein breites Strahlen ins Gesicht gezaubert hätte. Das Kostüm war aufwendig und detailreich gearbeitet. Es leuchtete in Blau und Grün, besaß durchsichtige Schleier und eine Menge goldenen Schmuck. Dazu passend trug die Gräfin einen Stirnschmuck aus filigranen Ketten, von der eine in einem angesteckten Nasenring endete. Außerdem waren die Augen der Gräfin dunkel geschminkt. Offenbar fühlte sie sich in ihrem Kostüm sehr wohl, im Gegensatz zu ihrem Gatten, der sich bei Patricias und Johns Eintreffen hinter einer Säule versteckte.

„Gräfin Walburga, darf ich Sie miteinander bekannt machen?“, fragte Salima frei heraus. „Das hier sind Miss Peacock und Mr. Maddock. Ich habe in Miss Peacocks Haushalt gearbeitet, bevor ich die Stelle bei Lady Blanford angenommen habe.“

Die Gräfin klatschte begeistert in die Hände und strahlte. „Meine Liebe, Ihr Name ist wirklich Peacock?“

Bevor Patricia dies bestätigen, konnte, gab die Gräfin dem General hinter der Säule ein Zeichen. „Mach schon, Huddi. Zeig Miss Peacock dein Kostüm.“

„Muss das denn sein? Schlimm genug, dass ich damit herumlaufen muss. Wenn mich meine alten Militärfreunde so sehen.“

„Papperlapapp“, wischte die Gräfin die Einwände des Generals fort. „Deine Militärfreunde kommen erst in zwei Wochen zu unserer Goldenen Hochzeit in Kairo an. Du bist also vollkommen frei, zu tun und zu lassen, was immer du willst!“

„Dann möchte ich dieses Kostüm ausziehen. Warum durfte ich nicht so etwas tragen?“ Der Finger des Generals lugte hinter der Säule hervor und wies auf John. „Lawrence von Arabien! Das war ein richtiger Teufelskerl!“ Noch immer wollte er nicht hinter der Säule hervorkommen.

„Ach, dieser Spion. Nun sei nicht so ein grantiges Mufflon und zeig dich endlich.“ Gräfin Walburga setzte der Weigerung ihres Gatten ein Ende, indem sie ihn am Arm packte und hinter der Säule hervorzog.

Im nächsten Augenblick erkannte Patricia, was den General so unglücklich machte. Er trug ein Pfauenkostüm, das farblich zum Kostüm seiner Frau abgestimmt war. Auf seinem Kopf saß ein lächerlicher Hut, der in einen langen Pfauenhals mit Kopf endete. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, steckte der gesamte Körper des Generals in einem einteiligen Anzug, der mit blau und grün gefärbten Federn bedeckt war. Patricia empfand augenblicklich Mitleid mit dem General, der sich offenbar nicht gegen seine Frau hatte durchsetzen können.

„Los, Huddi … zeig Miss Peacock und Mr. Maddock das besondere Extra deines Kostüms.“

„Ich würde lieber nicht“, gestand der General, gab aber nach einem strengen Blick seiner Gattin nach.

„Also gut …“, seufzte er. „Meine Damen, meine Herren. Bitte treten sie ein paar Schritte zurück, ich benötige Platz.“

Sowohl John als auch Salima und die Gräfin traten zwei Schritte zurück. Patricia tat es ihnen nach. Ihr Blick fiel auf die goldene Schnur mit der Troddel, die in Achselhöhe des Generals hing und dort nicht hinzugehören schien. Ehe sie allerdings fragen konnte, was es damit auf sich hatte, zog der General an der Troddel und hinter ihm öffnete sich ein Pfauenrad, das einen Durchmesser von fast zwei Metern hatte.

Die Gräfin jauchzte, John verschlug es die Sprache, und Patricia bekam noch mehr Mitleid mit dem General.

„Verstehen Sie jetzt?“, rief die Gräfin begeistert. „Sie und mein Mann teilen heute einiges, meine Liebe.“

„Ja, das sehe ich“, war alles, was Patricia entgegnen konnte.

„Warum konnte ich nicht wenigstens das Kostüm eines indischen Gottes tragen?“, beschwerte sich der General. „Das wäre weniger peinlich gewesen.“

Die Gräfin stemmte die Hände in die Hüften. „Wärest du lieber als Elefantengott Ganescha gegangen? Mit einem Rüssel?“ Bei dem entsetzten Blick ihres Gatten nickte die Gräfin zufrieden und sprach weiter. „Außerdem will ich diesen Kostümwettbewerb gewinnen! Und das geht nur, wenn wir diese Schrapnelle mit ihrem Pudel ausstechen!“

„Lady Blanford nimmt am Kostümwettbewerb teil?“ Patricia hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Ohne darüber nachzudenken, war sie davon ausgegangen, dass die Gräfin von Lady Blanford sprach.

Gräfin Walburga bedachte sie mit einem verstimmten Blick. „Sie kennen diese scheußliche Person?“

Salima kicherte. „Miss Peacock hat für sie als Gesellschafterin gearbeitet, bevor ich an ihre Stelle getreten bin.“

Der Blick der Gräfin wechselte von verstimmt zu mitfühlend. „Wie haben Sie das nur ausgehalten, meine Liebe? Diese Frau ist schrecklich.“ An Salima gewandt fuhr sie fort: „Und Sie erst, Kind … Sie sind so ein nettes junges Ding.“

„Walli“, jammerte der General, und alle sahen in seine Richtung, was ihm sichtlich unangenehm war.

„Was ist denn, Huddi?“

„Das Rad … es klemmt und lässt sich nicht mehr schließen.“ Er zog an der Troddel, aber nichts geschah.

Gräfin Walburga war sichtlich schockiert. „Das darf nicht sein. Nicht vor unserem Auftritt auf der Bühne!“

Spontan bot John seine Hilfe an. „Ich bin recht geschickt in mechanischen Dingen. Vielleicht kann ich behilflich sein.“

„Eine hervorragende Idee.“ Die Gräfin war erleichtert. „Am besten, Sie gehen in Huddis Suite.“

„Aber Walli, wie soll ich denn mit dem aufgeschlagenen Rad durch die Türen kommen?“

„Du musst eben seitlich durchlaufen.“

Der General brummte etwas von Schrecklicher Peinlichkeit, er als altgedienter, hoch ausgezeichneter Militär.

Patricia sah John hinterher, wie er dem General einen Weg durch die Menge der bereits anwesenden Gäste bahnte, damit das Pfauenrad nicht beschädigt wurde.

Die Gräfin entspannte sich erst, als der General samt Pfauenrad unbeschädigt den Tanzsaal verlassen hatten.

„Ein Glück, dass Ihr Gatte zur Stelle war, Miss Peacock.“

„Oh, Mr. Maddock und ich sind nicht verheiratet“, beeilte sich Patricia klarzustellen, und warf Salima einen strengen Blick zu, bevor sie etwas sagen konnte, was sie in Verlegenheit brachte. Überrascht zog die Gräfin die Brauen hoch. „Meine Liebe, Sie haben sich dieses Bild von einem Mann noch nicht geschnappt? Sie sollten es tun, Sie passen so wunderbar zusammen, genau wie Ihre Kostüme.“ Fragend hob sie eine Braue. „Ist das ein Nachthemd, das Sie da unter dem Kostüm tragen?“

Ehe Patricia antworten konnte, ging ein lautes Ahhh und Ohhh durch die Reihen der Anwesenden. Sie wandten sich gleichzeitig um, und Salima verabschiedete sich mit einem Seufzen. „Entschuldigen Sie mich bitte. Lady Blanford hat ihren Auftritt.“

Die Gräfin gab sich kämpferisch. „Soll sie ruhig. Den Kostümwettbewerb gewinnen Huddi und ich.“

Patricia war nicht daran gelegen, Lady Blanford über den Weg zu laufen, aber leider steuerten sie und Princess genau auf sie und die Gräfin zu. Wie erwartet, trug Lady Blanford ein schrecklich unpassendes Kostüm mit schwarzer Zöpfchenperücke und einem weißen in Plisseefalten gelegten Kleid mit jeder Menge Schmuck. Es schien, als hätte Lady Blanford sich die Wandmalereien von ägyptischen Königinnen zum Vorbild genommen. Ihre Augen waren dunkel umrandet, was ihren giftigen Blick noch furchteinflößender wirken ließ. Beinahe vergaß Patricia, Princess zu bedauern, die neben einem pharaonischen Kopftuch eine Art Körperpanzer trug, der sie vollständig bedeckte. Nur die Pfoten schauten heraus, damit Princess laufen konnte, was ihr allerdings schwerfiel, weil der Panzer wenig Beinfreiheit ließ. Er stellte einen liegenden Katzenkörper dar, und es war offensichtlich, dass Lady Blanford ihren Pudel als Sphinx von Gizeh verkleidet hatte.

„Gutes Kostüm, aber nicht gut genug, um mich und Huddi zu schlagen“, flüsterte die Gräfin.

„Guten Abend, Patricia, ich wusste nicht, dass Sie auch hier sind“, ließ sich Lady Blanford zu einer Begrüßung herab. „In der Regel besitzen die geladenen Gäste des Silvesterballs eine gewisse Noblesse.“ Sie rümpfte die Nase über Patricias Kostüm und wandte sich dann an die Gräfin.

„Werden Sie auch am Kostümwettbewerb teilnehmen?“ Sie schenkte Gräfin Walburga ein Lächeln, das so falsch war, wie ihre schwarzen Perückenhaare.

„Das würde ich mir doch nie im Leben entgehen lassen“, antwortete die Gräfin mit ebenso falschem Lächeln, während sich ihre Blicke ineinander bohrten.

„Nun denn, möge das beste Kostüm gewinnen.“ Es war nicht zu übersehen, dass Lady Blanford erwartete, als Siegerin aus dem Wettstreit hervorzugehen. „Ihr Kostüm ist recht annehmbar, muss ich zugeben. Anders als das von Patricia.“ Sie begutachtete Patricia von oben bis unten wie ein Pferd, das zum Verkauf stand. „Ist Ihr schrecklicher Hausgast eigentlich auch anwesend? Dieser mittellose Amerikaner?“

Während Patricia nach einer unverfänglichen Antwort suchte, kam die Gräfin ihr zuvor. „Mr. Maddock war so freundlich, dem General mit seinem Kostüm zu helfen.“

„Hm … so, so.“ Lady Blanford hatte bereits das Interesse an der Unterhaltung verloren und stolzierte mit Princess weiter, um die Huldigungen der Gäste für ihr Kostüm entgegenzunehmen.

„Die alte Tarantel scheint etwas gegen Sie zu haben.“ Patricia fühlte sich genötigt, eine Erklärung abzugeben. „Es gab einen Eklat im Mena Hotel, bei dem mein Hund und Princess eine Rolle spielten. Außerdem verzeiht sie mir nicht, dass ich meine Anstellung als ihre Gesellschafterin gekündigt habe.“

„Ach, machen Sie sich keine Gedanken über ihre giftigen Worte. Der alte Kaktus erzählt jedem, wie sehr mein Huddi zu bedauern wäre, weil er unter meinem Pantoffel steht und sich nicht wehren kann.“ Kopfschüttelnd fügte die Gräfin hinzu: „Können Sie sich das vorstellen? Und mich nennt sie hinter meinem Rücken den deutschen Germknödel und Walküre. Dass ich nicht lache! Lady Blanford weiß ja nicht einmal, was Walküren sind. Mag sein, dass ich mich zu wehren weiß, aber jungfräulich bin ich seit über fünfzig Jahren nicht mehr.“ Sie teilte dieses pikante Detail mit, ohne rot zu werden. „Noblesse, dass ich nicht lache. Ich stamme aus älterem Adel, als dieser alte Gänsegeier. Natürlich musste ich meinen Titel offiziell ablegen, nachdem ich Huddi geheiratet habe.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber ich habe das nie bereut! Und man bringt mir trotzdem Respekt entgegen und nennt mich Gräfin. Noblesse bekommt man eben nicht durch die Geburt, sondern dadurch, wie man sich anderen gegenüber verhält.“ Sie lächelte so offen und freundlich, dass Patricia über die Schimpfnamen und die Offenbarung von Wallis nicht vorhandener Jungfräulichkeit hinwegsah. „Und ich finde Ihr Kostüm übrigens reizend, meine Liebe.“

Ihr Kompliment trieb Patricia die Röte ins Gesicht. „Vielen Dank, Gräfin.“

Ohne Vorwarnung schlug Gräfin Walburga ihr auf die Schulter, sodass Patricia einen Satz nach vorn machte. „Außerdem sind Lady Blanfords Feinde meine Freunde. Nennen Sie mich Walli!“

„Dann müssen Sie mich Patricia nennen“, bat Patricia, während sie bemüht war, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.