Paulines Stalker - Kirsten Bey - E-Book

Paulines Stalker E-Book

Kirsten Bey

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Beschreibung

Die lebenslustige Pauline erhält anonyme Anrufe. Zunächst ignoriert sie dieses Problem. Doch dann findet sie in ihrem Briefkasten beunruhigende Fotos. Bei dem Versuch, den Stalker zu finden, taucht Pauline tief in ihr privates Umfeld ein. Sie droht in einem Strudel der Ereignisse zu versinken und begibt sich in große Gefahr.

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Paulines Stalker

Kirsten Bey

Das Buch:

Die lebenslustige Pauline erhält anonyme Anrufe. Zunächst ignoriert sie das Problem. Doch dann tauchen in ihrem Briefkasten beunruhigende Fotos auf. Pauline versucht, den Unbekannten zu finden, der hinter diesen Taten steckt und gerät dabei in große Gefahr.

Die Autorin

Kirsten Bey, geboren 1968 in Elmshorn hat schon immer gern geschrieben. Eine erste Veröffentlichung erfolgte während der Schulzeit. Darauf folgten Kurzgeschichten in Zeitschriften und Anthologien sowie die Romane "Eine Handvoll Lebenslügen" (2009), "An der Steilküste" (2009) und "Im Schneetreiben" (2012).

Kirsten Bey

Paulines Stalker

Roman

© 2020 Kirsten Bey

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-347-00431-3

ISBN e-Book: 978-3-347-00432-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen

Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erster Teil - Pauline

Samstagnacht

Die Luft war stickig und viel zu warm, die Musik laut und genau nach meinem Geschmack. Der Holzfußboden bebte unter unseren tanzenden Füßen und vom Bartresen leuchtete der Wein hinüber, der rot und glänzend darauf wartete, von uns getrunken zu werden. Das Black Cat barst geradezu vor Lebensfreude und ich hüpfte inmitten der feiernden Menge im Takt der Musik auf und ab.

„Wir werden immer zusammen tanzen gehen“, rief ich Marlene zu. „Auch wenn wir uralt sind. Fünfunddreißig oder so.“

„Ich bin gar nicht so weit davon entfernt“, gab Marlene zu bedenken, doch sie lachte dabei. Ihre dunklen Haaren türmten sich zu einer verwegenen Frisur und selbst in der schummerigen Barbeleuchtung ließ sich die für den Herbst untypische Sonnenbräune auf ihrer Haut erkennen. Im Zusammenspiel mit dem schwarzen Kleid und ihren katzenhaften Bewegungen sah sie beinahe selbst aus wie die schwarze Katze, der die Bar ihren Namen verdankte.

Die letzten Takte des Liedes wummerten aus den Boxen. Marlene ließ sich lachend in meine Arme fallen. Sie war meine beste Freundin. Mit ihr konnte ich über alles reden. Nun ja – über fast alles. Ein Thema gab es, das ich stets ganz bewusst aus unseren ansonsten endlos dahinfließenden Gesprächen ausklammerte.

„Komm Pauline, wir gönnen uns eine Pause. Lass uns was trinken.“

Gutgelaunt drängten wir uns zur Bar hinüber und stießen mit unseren fröhlich klirrenden Gläsern an. Die Eingangstür öffnete sich und ein paar späte Gäste trugen einen Hauch der laubfeuchten Oktoberluft von draußen hinein.

„Und jetzt erzähl mal“, rief ich, nachdem ich einen großen Schluck Wein getrunken hatte. „Wie war dein Urlaub? Ist Ägypten immer noch so traumhaft schön wie im letzten Jahr? Am Telefon hast du dich ja ziemlich bedeckt gehalten.“

„Was vielleicht daran liegt, dass ich praktisch nicht zu Wort gekommen bin.“

„Es tut mir leid. Ich habe das Gespräch offenbar an mich gerissen. Sorry. Aber…“

„Schon gut, Pauline. Ein neuer Freund ist ja auch wirklich ein ganz besonderes Thema.“ Marlene warf einen suchenden Blick in die Menge. „Ist er hier?“

„Du meinst Tim? Nein. Ich habe ihm gesagt, dass wir beide heute allein ausgehen, um deine Rückkehr aus dem Urlaub zu feiern.“

„Du hättest ihn ruhig mitbringen können.“

„Ich weiß. Aber irgendwie fand ich es unpassend. Es ist unser Abend. Ich will nicht sagen, dass Tim stört, aber…“

„… irgendwie passt es dann doch nicht, wenn er dabei wäre.“

„Genau. Und jetzt erzähl. Wie war Ägypten? Hast du Ali getroffen?“

„Ali? Pauline, ich reise doch nicht tausende von Kilometern, nur um einen Hotelkellner zu treffen.“

„Ich weiß noch, wie sehr du mir im letzten Jahr von ihm vorgeschwärmt hast, als wir zusammen dort Urlaub gemacht haben. Damals warst du ganz hingerissen von ihm.“

„Ja, aber das war letztes Jahr. Das liegt doch alles lange zurück. Ich bitte dich.“

„Nun, ich dachte… “

„Wie du bereits richtig bemerkt hast, ist er Kellner. Ganz ehrlich, mit so jemandem kann ich zuhause nicht ankommen. Mein Vater würde das nicht verstehen.“ „Aber das ist doch albern, Marlene. Nur weil dein Vater ein paar Häuser sein eigen nennt, brauchst du dir von ihm nicht vorschreiben zu lassen, mit wem du dich treffen darfst und mit wem nicht.“

„Ein paar Häuser? Pauline, ich darf dich daran erinnern, dass der Boden, auf dem du gerade stehst, meinem Vater gehört. Hast du das vergessen?“

Natürlich hatte ich es nicht vergessen und falls es doch einmal passieren sollte, war ich mir sicher, dass Marlene mich unverzüglich daran erinnern würde. Jeder Mensch hat seine Fehler. Zu meinen gehörte, dass ich zu viel Geld für Klamotten ausgab, zu einer gewissen Unordnung neigte und es mit dem Putzen nicht allzu genau nahm, zumindest dann nicht, wenn man die Maßstäbe einer kritischen deutschen Hausfrau ansetzte. Bei Marlene war es das ewige Zitieren des Grundbesitzes und der Firmenanteile ihres Vaters. Doch ich fand Marlenes Fehler verzeihlich. Sie war eine gute Freundin, tolerant, gebildet und großzügig. Ohne ihre finanzielle Hilfe hätte ich mir den Ägypten-Urlaub im letzten Jahr nicht leisten können. Was machte ein leichter Vaterkomplex angesichts dieser positiven Eigenschaften schon aus?

Und so gelang es mir auch problemlos, ein entspanntes Lächeln aufzusetzen, während Marlene sich weiter über den Grundbesitz ihres Vaters ausließ.

„Man glaubt es kaum, aber das Haus, in dem sich das Black Cat befindet, ist allein aufgrund seiner Lage eine wirklich gute Immobilie, obwohl das Objekt insgesamt nicht sonderlich gepflegt wirkt.“ Ihr Blick schweifte weiter, nachdem ihre Augen kurz, aber kritisch, an ein paar Rissen an den Wänden verweilt hatten. „Sieh an, Ralph ist auch da.“

„Ralph? Er ist hier?“

„Dort vorne.“

Marlene deutete mit ihrem Weinglas eher unbestimmt in eine Richtung, doch ich entdeckte ihn sofort. Er lehnte an der Wand, ganz offensichtlich vertieft in ein Gespräch mit einer Blondine. Ralph. Als er meinen suchenden Blick bemerkte, nickte er mir kurz zu und ich erwiderte seinen Gruß ebenso unauffällig. Doch mein Herz pochte auf einmal heftiger.

„Ich wusste nicht, dass er heute hier ist.“

„Sei nicht albern, Pauline. Er betreibt diese Bar. Warum sollte er sich die heutige Party entgehen lassen?“

„Nun, er ist doch sonst auch nicht immer dabei.“ „Aber fast immer.“

„Ja, das stimmt natürlich.“

Versonnen musterte ich ihn. Die dunklen Haare. Die anbetungswürdigen, perfekten Augenbrauen. Das meist ein wenig spöttische, ironische Lächeln.

„Meinst du, man könnte auch etwas anderes in diesen Räumen unterbringen?“ Nur undeutlich drangen Marlenes Worte an meine Ohren. Offenbar war sie in Gedanken noch immer mit dem Grundbesitz ihres Vaters beschäftigt. „Ein Geschäft etwa. Oder ein Café?“

„Aber das Black Cat ist doch perfekt. Wohin sollten wir sonst tanzen gehen?“

„Vermutlich hast du recht.“ Marlene prostete Ralph ziemlich offensichtlich zu. Er erwiderte ihren Gruß ebenso unbefangen. Und doch schien sein Blick für einen winzigen Moment abzuschweifen und an mir hängenzubleiben. Und tatsächlich glaubte ich eine winzige Andeutung in seinem Blick zu erkennen. Eine Botschaft. Hastig wandte ich mich ab und zog Marlene quer durch das Getümmel zur Tanzfläche.

Der Abend ging in die Nacht über und irgendwann begann alles um mich herum zu verschwimmen. Das mochte am Wein liegen, an der lauten Musik, an der mitreißenden Stimmung, an unseren wilden Tänzen.

Ein Mann rempelte mich auf der Tanzfläche an.

„Hallo Pauline. Wie schön, dich zu sehen.“

Ich fuhr herum. Er kam mir vage bekannt vor. Tatsächlich brauchte ich einen Moment, bis der Groschen fiel und ich wusste, wen ich vor mir hatte.

„Danny! Wie geht es dir? Ist das nicht eine herrliche Party?“

„Tolle Stimmung“, bestätigte Danny, der offenbar genauso wenig davon hielt, sich in geheimnisvoller Zurückhaltung zu üben wie ich.

„Ich wollte dich anrufen“, rief ich durch den Lärm der immer lauter werdenden Musik. „Wegen des Umzugs.“

„Hast du denn endlich eine neue Wohnung gefunden?“

„Nein, leider immer noch nicht. Deshalb wollte ich mich ja bei dir melden. Wir haben noch ein wenig Zeit und müssen nichts übereilen. Zum Glück hat die Hausverwaltung Martin und mir noch einen Aufschub bis nach Weihnachten gewährt.“

„Martin? Ich wusste gar nicht, dass du mit jemandem zusammen wohnst.“

„Das tue ich auch nicht. Martin ist mein Nachbar. Tut mir leid, ich dachte, ich hätte ihn schon erwähnt. Natürlich ist er genauso schockiert wie ich darüber, dass er sich eine neue Bleibe suchen muss.“

„Aber so zügig wie du zunächst gedacht hast, wird die Sache nicht vonstatten gehen?“

„Richtig. Offenbar ist es zu Verzögerungen wegen irgendeiner behördlichen Formalität gekommen. Eine fehlende Abrissgenehmigung oder so etwas. Aber ich fürchte sobald das Ding vorliegt, geht es los. Bis dann muss ich endgültig eine neue Bleibe gefunden haben. Und Martin natürlich auch.“

„Hat die Hausverwaltung euch denn andere Wohnungen vorgeschlagen? Lass dir nur nicht das Fell über die Ohren ziehen, Pauline. Mit Sicherheit will der Eigentümer das Haus abreißen, um danach luxuriös ausgestattete Eigentumswohnungen hochzuziehen. Die Wohnungspreise in diesem Viertel schießen ja praktisch gerade durch die Decke.“

„Ich weiß.“ Ich seufzte, was Danny angesichts der lauten Musik vermutlich nicht bemerkte. Warum landete nach Marlene auch Danny beim Thema Immobilien? „Und genau darin liegt auch das Problem. Denn natürlich möchte ich hier in der Nähe wohnen bleiben. Martin hat sich neulich eine der Wohnungen, die die Hausverwaltung uns angeboten hat, angesehen. Sie liegt am Stadtrand, zwischen einer familienfreundlichen Siedlung mit lauter Doppelhäusern und einem Industriegebiet. Aber ich möchte gern hier in der Nähe bleiben.

Mein Arbeitsplatz ist gut zu erreichen. Und viel wichtiger ist natürlich, dass der Weg ins Black Cat kurz ist. Unter keinen Umständen möchte ich außerhalb wohnen. Ich bin ein Stadtmensch.“

„Ich kann dich verstehen. Und wenn du Näheres hinsichtlich des Umzugs weißt, dann melde dich bei mir. Ich helfe dir gern. Und falls du keine andere Bleibe findest, ruf mich an. Vielleicht wird in meiner WG ja bis dahin ein Zimmer frei.“

Ich lachte, während Danny einem Bekannten zuwinkte und in den Massen des feierwütigen Partyvolks untertauchte. Marlene stieß mich an.

„War er das?“

„Wer?“

„Nun sei doch nicht so begriffsstutzig. Ich meine natürlich deinen neuen Freund.“

„Tim? Nein, das war Danny. Ich habe ihn im Baumarkt kennengelernt.“

„Im Baumarkt?“

„Ja. Damals wollte ich renovieren. Wie gut, dass ich mich nicht dazu entschlossen habe. Jetzt, wo das Haus abgerissen wird, wäre eine Renovierung vollkommen sinnlos gewesen.“

„Und was hat Danny damit zu tun?“

„Er hat angeboten, mir zu helfen. Handwerklich kann er alles. Er hat neulich die Griffe an meiner Kommode befestigt, nachdem sie abgegangen waren. Und er hat mir angeboten, beim Umzug zu helfen. Ist das nicht nett?“

„Ach ja, der Umzug. Es ist natürlich ärgerlich, dass mein Vater ausschließlich Gewerbeimmobilien vertreibt, sonst könnte er dir sicher helfen. Aber ich werde ihn noch einmal fragen. Er kennt so viele Kollegen, vielleicht hat jemand eine Wohnung für dich. Und falls du nichts anderes findest, ziehst du einfach zu mir. Dann machen wir eine Mädels-WG auf.“

„Warum nicht?“ Der Gedanke erschien spontan gar nicht so abwegig, doch ich verspürte keine wirkliche Lust, weiter über mein Wohnungsproblem nachzudenken. Nicht an diesem Abend. Nicht auf dieser Party.

Noch mehrfach fing ich in dieser Nacht Blicke aus Ralphs dunklen Augen auf. Und genauso oft erwiderte ich sie. Mit beinahe erschreckender Intensität erwachten Erinnerungen in mir, von denen ich geglaubt hatte, sie längst verdrängt zu haben. Die weichen Haarspitzen in seinem Nacken, als ich mit meiner Hand hindurchstreifte. Sein Körper, der sich an meinen schmiegte. Seine Schultern. Seine Küsse. Seine Zunge. Sein… Naja. Schnell schweifte mein Blick durch die Menge, auf der Suche nach Ablenkung. Denn natürlich war es eine denkbar schlechte Idee, den Erinnerungen an eine längst abgeschlossene Affäre nachzuhängen.

Also winkte ich Danny zu, dessen tanzende Gestalt immer wieder in der feiernden Menge auftauchte, genau wie Martin, mein Nachbar. Dass er hier war, überraschte mich. Für gewöhnlich mied er laute, überfüllte Veranstaltungen. Sein bevorzugter Zeitpunkt für einen Besuch im Black Cat war ein Abend mitten in der Woche, wenn es dort weit ruhiger zuging. Dann genoss er entspannt ein Bier und stöberte in einer der herumliegenden Zeitungen.

Doch heute schien ihm der Sinn nach etwas anderem zu stehen. Vielleicht wollte er sich auch nur ablenken. Schon seit längerem hatte ich den Eindruck, dass der bevorstehende Umzug ihn weit härter traf als mich. Auch wenn ich vorhin Danny gegenüber noch so vehement das Stadtviertel, in dem ich lebte, verteidigt hatte, so wusste ich tief in meinem Inneren, dass ich auch anderswo zurechtkommen würde. Vielleicht wäre es umständlicher, vielleicht würden mich längere Wege, öde Nachbarn und eine langweilige, sterile Gegend erwarten. Doch irgendwie würde es klappen. Bei Martin war ich mir da nicht so sicher.

Er war älter als ich und ging schon auf die fünfzig zu. Seitdem ich ihn kannte, schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch oder war arbeitslos. Nie hatte er mir gegenüber erwähnt, wie lange er bereits in seiner Wohnung lebte, wie er überhaupt kaum etwas aus seiner Vergangenheit verlauten ließ. Doch die Art, wie er den Obsthändler oder die Frau aus dem Blumengeschäft begrüßte, ließ darauf schließen, dass er schon lange hier lebte. Einmal hatte er mir sogar von dem Vorgänger des Black Cat erzählt.

„Es liegt bereits Jahre zurück. Es war etwas ganz anderes, eine Art Cabaret, in Anlehnung an das berühmte Le Chat Noir im Paris der Jahrhundertwende. Aber für derlei Etablissements ist die Zeit natürlich längst abgelaufen. Es musste daher sehr schnell wieder seine Pforten schließen. Danach war alles anders. Der Name blieb, wenn auch in Englisch, doch die Betreiber wechselten und gaben sich die Klinke in die Hand. Und das, was sich heute dahinter verbirgt ist etwas ganz anderes.“

Damals strebte meine Affäre mit Ralph gerade ihrem Höhepunkt entgegen und so hatte ich nichts weiter dazu gesagt. Immerhin verbrachte ich beinahe jede freie Stunde mit dem derzeitigen Betreiber des Black Cat, von dem es mir schien, dass er mit französischen Cabarets genauso wenig im Sinn hatte wie mit traurigen Chansons längst vergangener Zeiten. Er schmückte das Black Cat nicht mit fantasievollen Bezeichnungen aus, sondern betitelte es meistens schlicht als den Laden. Statt Absinth gab es Getränke, die gerade angesagt waren. Die Musik bestand aus zeitlosen Partykrachern, die jeder kannte und zu denen jeder seine ganz eigene Geschichte auf Lager hatte.

Und das Konzept funktionierte. Wochentags war das Black Cat gut gefüllt, mit einer Mischung aus Anwohnern, die in Ruhe ihr Feierabendbier trinken wollten, kleinen Vereinen aus der Nachbarschaft, die sich hier zu Sitzungen trafen, kichernden Mädchen, die die übersichtliche Speisekarte studierten und schweigsamen Männern, die über ihre Teller gebeugt aßen und dabei wahlweise mit ihrem Smartphone oder einer der herumliegenden Zeitungen beschäftigt waren.

Die Wochenenden teilten sich auf in Veranstaltungen, für die das gesamte Black Cat vermietet wurde oder in Partys, die Ralph in unregelmäßiger Reihenfolge steigen ließ. Wenn es soweit war, explodierte das Black Cat förmlich, fast als hätten alle auf diesen Zeitpunkt gewartet. Die Karten waren meist sofort vergriffen und die letzten Gäste wankten regelmäßig erst im Morgengrauen nach Hause.

Und auch die heutige Nacht schien keinesfalls einem frühen Ende entgegenzustreben. Begleitet von Ralphs Blicken, Dannys Lachen und Martins Winken tanzte ich mich mit Marlene durch die Nacht. Und als dann auch noch Dieter auftauchte, konnte ich es kaum glauben.

Dieter war mein früherer Freund. Eine Zeitlang hatten wir sogar zusammen gewohnt. Doch so sehr ich Ralphs, Dannys und Martins Gegenwart genoss, so sehr ging mir Dieter auf die Nerven. Seine niedergedrückte Haltung, der abgewandte Blick, die bettelnde Stimme. Was hatte ich nur jemals an ihm finden können?

„Nur dieses eine Mal noch. Bitte Pauline.“

„Dieter, du weißt, dass es sinnlos ist. Ich warte noch immer auf die Rückzahlung des Geldes, das ich dir geliehen habe.“

„Das bekommst du zurück. Keine Sorge. Du weißt doch, dass meine Projekte eine langfristige Vorlaufzeit haben. Das Geld muss sich erst amortisieren. Ich habe es dir doch erklärt. Darum brauche ich auch jetzt noch einen kleinen Nachschlag. Es muss nicht viel sein. Wie gesagt, es ist nur ein kurzfristiger Engpass, den ich überbrücken muss. Bitte.“

„Es geht nicht. Im Übrigen würde ich es sehr begrüßen, wenn du mich einfach in Ruhe lässt.“

„Was soll das denn heißen? Es wird ja wohl noch erlaubt sein, das Wort an dich zu richten, wenn ich dich treffe.“

„Das meine ich nicht.“

„Aber was meinst du dann?“ Unschlüssig schaute er mich an.

„Das weißt du genau.“

„Nein. Sag es mir.“

„Dieter, sei nicht albern.“

„Pauline, bitte. Ich…“

„Du sollst mich nicht immer anrufen.“ Die Worte platzten geradezu aus mir heraus

„Aber das mache ich doch gar nicht.“

„Und dann auch noch mit unterdrückter Nummer. Zu den absonderlichsten Uhrzeiten. Was soll das? Und falls du es heute Nacht probieren möchtest, nur zu. Ich habe mein Handy nämlich zu Hause gelassen. Ich habe einfach keine Lust, ständig von dir gestört zu werden, nur weil du mit deinem Leben nicht zurechtkommst.“

„Aber das stimmt nicht. Wie kannst du nur glauben, dass… “

„Ach, lass mich einfach in Ruhe.“ Ich stieß ihn beiseite. „Im Übrigen würde ich jetzt gerne tanzen.“

„Ja. Natürlich, ich verstehe dich. Aber kannst du nicht auch mich verstehen? Es ist doch nur noch dieses eine Mal. Ich brauche wirklich nicht viel. Ein paar Scheine. Und du hast mir schon einmal geholfen. Und da dachte ich… “

„Nein.“ Ich hatte genug, stieß ihn beiseite und gesellte mich zurück zu Marlene auf die Tanzfläche.

Die Nacht ging bereits in den frühen Morgen über, als Marlene und ich vor die Tür traten. Im Sommer wäre es schon hell, doch jetzt, im Herbst, erwartete uns draußen Dunkelheit und feuchter Nebel, der nach vermoderndem Laub roch. Ich fröstelte.

„Wollen wir uns ein Taxi teilen?“, fragte Marlene und zückte bereits ihr Handy, als hinter uns die Tür des Black Cat noch einmal aufklappte und Martin heraustrat.

„Wir können zusammen nach Hause gehen, Pauline. Ich begleite dich“, bot er an. Offenbar hatte er Marlenes Frage mitbekommen. Gemeinsam warteten wir noch, bis Marlenes Taxi ankam. Dann brachen Martin und ich in Richtung unseres Zuhauses auf.

Es hatte einen ganz eigenen Reiz, zu dieser Stunde das Stadtviertel zu durchqueren. In einigen Häusern brannte bereits Licht und als wir in die Nähe des Hauses kamen, in dem wir wohnten, schlug uns der Duft von Kaffee und frisch gebackenen Brötchen aus einer gerade geöffneten Bäckerei entgegen.

„Wie wärs?“, fragte ich Martin. „Ein gemeinsames Frühstück?“

„Gute Idee. Aber wir können auch zu mir gehen, wenn du möchtest.“

„Ach, lass uns doch gleich hier etwas essen. Es sieht so gemütlich aus.“

„Ja, schon. Aber um ehrlich zu sein, bin ich gerade etwas klamm. Ich warte noch auf meinen letzten Lohn und ich habe noch keinen neuen Job gefunden. Es ist mir ziemlich peinlich das einzugestehen.“

„Keine Ursache. Ich lade dich ein.“

Wir bestellten Kaffee und aßen dazu belegte Brötchen. In meinem Kopf summte noch ein Wirrwarr der Songs, zu denen wir getanzt hatten. Die Bässe schienen sich in meinen Herzschlägen in einem ganz eigenen Rhythmus zu wiederholen.

Und auch Martin war von der durchfeierten Nacht offenbar angetan.

„So lange wie heute bin ich ewig nicht mehr unterwegs gewesen. Es tat richtig gut, endlich einmal wieder etwas zu unternehmen. Wer war eigentlich der Mann, mit dem du dich unterhalten hast?“

„Du meinst Danny?“ Er hat mir angeboten, beim Umzug zu helfen. Der Satz lag mir bereits auf der Zunge, doch im letzten Moment verschluckte ich ihn. Dieses Thema passte nicht zu unserer momentan so entspannten Stimmung. „Ein Bekannter“, schloss ich daher ziemlich nichtssagend.

„Aha. Und ich habe gesehen, dass Dieter auch da war.“

„Leider. Manchmal denke ich, er macht das mit Absicht. Dort auftauchen, wo ich gerade bin, meine ich.“ „Vielleicht ist es ja auch so. Er hängt eben noch an dir. Eine Beziehung zu beenden, kostet Kraft. Vor allem für den Teil, der nicht damit einverstanden ist.“

„Natürlich, das sehe ich auch ein. Aber ich kann doch nicht nur mit ihm zusammenbleiben, weil es mir leid tut, dass es ihm im Falle einer Trennung schlecht gehen könnte.“

Die seltsamen Anrufe, die mich in letzter Zeit dauernd auf meinem Handy erreicht hatten, fielen mir wieder ein. Anfangs hatte ich die Gespräche angenommen. Gesagt wurde nie etwas. Und obwohl Dieter so ahnungslos getan hatte, war ich mir sicher, dass er hinter der ganzen Sache stecken musste. Denn wer sollte es sonst sein?

Kurz überlegte ich, Martin von den Anrufen zu berichten. An sich sprach nichts dagegen. Er war ein guter Zuhörer und durchaus in der Lage, Themen vertraulich zu behandeln. Zudem wirkten seine Ratschläge und Tipps stets wohl durchdacht. Doch ich entschied mich spontan dagegen. Es tat gut, Martin nach den langen Monaten, in denen seine Stimmung durch den bevorstehenden Umzug getrübt und depressiv war, endlich einmal aufgeräumt und ungezwungen zu erleben. Ich wollte ihn jetzt nicht mit meinen Problemen belästigen.

Und so tranken wir in entspannter Atmosphäre unseren Kaffee. Als wir unseren Heimweg fortsetzten, dämmerte es und die ersten Vogelstimmen begrüßten den neuen Tag. Ich fühlte mich entspannt und trotz des Kaffees auf eine wohltuende Art müde.

Wir näherten uns dem Haus, in dem wir wohnten. Es war alt und wirkte auf den ersten Blick nicht gerade vorzeigbar. Die Ladenlokale im Erdgeschoss wurden schon lange nicht mehr genutzt und standen bereits seit einer gefühlten Ewigkeit leer. Das Schloss der Hauseingangstür war kaputt und einige Glasscheiben, die zu früheren Zeiten die Haustür geziert hatten, waren zerbrochen. Eine steile, schmutzige Treppe führte hinauf in den ersten Stock, in dem unsere Wohnungen lagen. Martin und ich waren die letzten Bewohner. Die anderen Mieter, die einst im Haus gelebt hatten, waren schon ausgezogen.

Doch trotz aller nicht zu übersehenden Mängel gab es auch eine Menge Vorteile. Die Lage gefiel mir und die Miete war günstig. Meine Wohnung war zudem recht gut geschnitten und die hinteren Räume, die nicht auf die Straße hinausgingen, strahlten eine gewisse Ruhe aus. Von dort aus blickte man auf einen Hinterhof, der im Sommer einen Flecken Grün inmitten der Stadt bot.

Vorsichtig tappten Martin und ich im schwachen Schein der mickerigen Treppenhausbeleuchtung die baufälligen Stufen hinauf.

„Möchtest du noch auf einen Sprung mit zu mir hinüberkommen?“, fragte Martin. „Wir haben so lange nicht mehr einfach mal so miteinander geredet. Und so häufig werden wir vielleicht gar keine Gelegenheit mehr dazu haben.“

Er hatte Recht. Früher hatte er oft Nudeln gekocht und mich in seine Wohnung gelotst, wenn ich müde und erschöpft von der Arbeit gekommen war. Er hatte teilnahmsvoll meinen Berichten über Ärger im Büro oder banalen Meinungsverschiedenheiten mit Marlene gelauscht. Ihm hatte ich sogar von Ralph erzählt, ein Thema, das ich aus Gründen, die mir selber nicht ganz klar waren, Marlene gegenüber niemals angeschnitten hatte. Allerdings wäre meine Affäre mit Ralph vor Martin auch kaum zu verheimlichen gewesen. Schließlich hatte er Ralph oft genug im Black Cat gesehen. Und wenn Ralph sich mit schöner Regelmäßigkeit vor meiner Wohnungstür einfand, dann war es für Martin sicher nicht schwer, sich auszumalen, was vor sich ging, sobald genau diese Tür ins Schloss gefallen war.

Die Gestalt, die jetzt vor meiner Wohnungstür kauerte, hätte ich im schwachen Licht der Flurbeleuchtung nicht bemerkt, wäre sie nicht urplötzlich aufgesprungen und hätte mich rüde angerempelt.

„Was soll das?“ Eine aufgebrachte Stimme schallte mir entgegen, eine Hand rüttelte an meiner Schulter. „Wo bist du gewesen? Verdammt, sag es mir auf der Stelle.“

Der Stalker

Eine Schlampe. Ja, zweifelsohne war sie eine Schlampe, die sich förmlich an jeden Mann heranwarf, der ihren Weg kreuzte. Die Mittelpunkt jeder Party war und es noch nicht einmal merkte. Die lachte und flirtete, als gäbe es kein morgen, die jeden Mann in ihren Bann zog und dann auch noch so tat, als hätte sie es nicht genau darauf angelegt. Es war widerlich.

Ein Würgereiz verschloss seine Kehle, doch schnell wurde dieses Gefühl überlagert von Erregung und Wärme. Denn sie war schön. Lebendig. Echt. Er konnte jeden Mann verstehen, der ihr hinterherschaute. Schließlich tat er selbst nichts anderes. Er bewunderte sie, er schaute zu ihr auf und doch widerte sie ihn gleichzeitig an, wie sie ununterbrochen lachte und flirtete und sich damit selbst förmlich zu Freiwild degradierte.

Und doch wollte er sie, ein Widerspruch, der ihn förmlich zerriss. Ein unterdrücktes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Und er wusste genau, dass sie Schuld an seinem verzweifelten Zustand trug. Nur sie ganz allein.

Sonntagnachmittag

Die mittlerweile tief stehenden Strahlen der Oktobersonne ließen mich blinzeln, als ich die Augen langsam öffnete. Verschlafen schaute ich mich um. Ich lag in meinem Bett, die Bettdecke war zerknüllt und es duftete nach Kaffee.

„Hey, Süße.“ Tim lehnte in der Tür meines Schlafzimmers. Er trug Boxershorts, ein zerknittertes T-Shirt und hielt zwei dampfende Kaffeebecher in der Hand. „Ich dachte mir schon, dass ein Kaffee dich wecken würde.“

„Warum glaubtest du, mich wecken zu müssen?“ „Nun ja.“ Umständlich reichte er mir einen Kaffeebecher und ließ sich neben mich auf das Bett fallen. „Es ist Sonntagnachmittag. Sogar ein recht später Sonntagnachmittag, um genau zu sein. Morgen früh musst du zur Arbeit. Und wenn du jetzt nicht aufstehst, dann wirst du heute Abend nicht schlafen können und demzufolge morgen früh sehr müde sein.“

„Na und? Ich bin sowieso morgen früh müde.“

„Aber ich mache mir Gedanken. Verstehst du nicht? Ich möchte einfach nur, dass es dir gut geht.“

„Mir geht es gut.“ Ich klang aggressiver, als ich es wollte. Steckte mir noch unsere nächtliche Auseinandersetzung in den Knochen? Denn natürlich war es Tim gewesen, der mich vor meiner Wohnung abgefangen hatte. Einen Moment hatte ich sogar befürchtet, er könne sich auf Martin stürzen, doch irgendwie war es mir gelungen, Tim in meine Wohnung zu lotsen und ihm mit wenigen Worten klarzumachen, dass ich keine Lust hätte, mir sein pubertäres Geschreie noch länger anzuhören. Tim hatte für einen Moment zerknirscht ausgesehen, doch als es an der Tür läutete und ein besorgter Martin sich erkundigte, ob ich klarkäme, hatte es beinahe so ausgesehen, als würde Tim erneut ausrasten.

„Martin wollte lediglich wissen, wie es mir geht“, erklärte ich, nachdem ich Martin versichert hatte, dass alles in Ordnung sei und ich die Tür wieder geschlossen hatte. „Es ist doch nett von ihm, dass er sich Sorgen um mich macht.“

„Aber nicht um Viertel nach sieben an einem Sonntagmorgen.“ Tims schrille Stimme hallte noch immer in meinen Ohren wieder. „Er will bestimmt etwas von dir.“ „Ja, bestimmt. Vor allem, wo er genau weiß, dass du hier bist.“ Entnervt hatte ich mit den Augen gerollt. Hinzu kam, dass ich trotz des mit Martin getrunkenen Kaffees nach der durchfeierten Nacht eine Welle der Müdigkeit heranrollen fühlte.

„Warum bist du mit ihm zusammen nach Hause gekommen?“

„Es geht dich zwar nichts an, aber ich will es dir trotzdem verraten, wenn du dann aufhörst herumzuschreien. Er war ebenfalls auf der Party. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, wohnen wir Tür an Tür. Er war so nett mich nach Hause zu begleiten.“

„Ihr seid zur gleichen Zeit gegangen?“

„So etwas soll vorkommen.“

„Aber…“, für den Moment schienen ihm die Worte zu fehlen. Ich hatte die Chance genutzt und war ihm dazwischen gefahren.

„Er hat dafür gesorgt, dass ich sicher nach Hause gekommen bin. Das ist doch ausgesprochen fürsorglich von ihm.“

„Aber das hätte ich doch auch gern für dich getan, Pauline. Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich wusste, dass du mit Marlene ausgehen wolltest. Aber als du nicht nach Hause kamst, da habe ich Angst bekommen. Ich dachte, dir sei etwas passiert.“

„Und darum hast du vor meiner Wohnungstür auf mich gewartet? Wie lange?“

„Schon länger. Ich hatte einfach Angst um dich.“ Unbestimmt hatte er mit den Schultern gezuckt. Immerhin war es ihm gelungen, seine Stimme auf Zimmerlautstärke zu senken und als er jetzt weitersprach, flüsterte er beinahe. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Du weißt, dass ich von vornherein nicht so begeistert davon war, dass du alleine ausgehen wolltest.“

„Nicht alleine. Ich war mit Marlene unterwegs.“

„Von mir aus mit Marlene. Aber ich war besorgt. Ich hatte Angst, dass dir etwas zustoßen könnte. Wahrscheinlich habe ich einfach überreagiert, als du endlich aufgetaucht bist. Es tut mir leid.“

„Es tut dir leid?“

„Sehr.“ Verstohlen war er näher an mich herangetreten und hatte sanft über meine Wange gestrichen. „Ich würde gerne hierbleiben, wenn du nichts dagegen hast. Ich liebe dich, Pauline.“

Ich hatte gelächelt. Es war eine Mischung aus Müdigkeit, Rührung und Eitelkeit. Ich liebe dich, Pauline. Es klang verlockend. Und als ich mich in meinem Bett in seine Arme schmiegte, schien sich alles richtig anzufühlen. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, als ich einschlief. Das Leben war einfach und entspannt.

Doch war es das heute Nachmittag immer noch? Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher. Verstohlen musterte ich Tim, der noch immer neben mir im Bett saß und an seinem Kaffeebecher nippte. Passte es überhaupt mit uns? Und was bedeutete es, dass mir dieser Gedanke durchaus nicht zum ersten Mal durch den Kopf ging, obwohl wir noch nicht lange zusammen waren?

Dabei hatte unser Kennenlernen mich wirklich gerührt. Ich hatte im Black Cat auf Marlene gewartet. Es war mitten in der Woche gewesen, das Black Cat präsentierte sich somit als gemütliche Eckkneipe ohne Partyattitüden.

Genau wie ich hatte auch Tim allein an einem Tisch gesessen. Aus den Augenwinkeln hatte ich ihn ebenso automatisch wie auch beiläufig registriert: Etwa in meinem Alter, dunkelhaarig, schlank, die Klamotten eher altmodisch als stylisch, genau wie der Haarschnitt. Und obwohl sein Blick förmlich auf seinem Handy klebte hatte ich den Eindruck, als würde er gelegentlich verstohlen zu mir herüberschauen. Irgendwann stand er auf und kam an meinen Tisch.

„Entschuldigung, darf ich etwas fragen?“

„Ja?“

„Wartest du auf jemanden?“

„Ja, auf meine Freundin.“

„Entschuldigung.“ Auf einmal wirkte er noch verklemmter als eben noch. „Ich dachte… nun vielleicht…“

„Was denn?“

„Nun, für einen Moment glaubte ich, wir wären miteinander verabredet. Du bist nicht zufällig Pauline?“

„Ja, die bin ich.“

„Nun, ich habe mit einer jungen Frau namens Pauline gechattet. In einem Onlineportal im Internet.“

„Oh, es gibt hier bestimmt noch andere Paulines. Ich bin jedenfalls nicht diejenige, auf die du wartest.“

„Schade.“ Er lächelte. Vor Eifer hatte er ganz rote Ohren. „Ich wäre gern mit dir verabredet. Darf ich dir zumindest etwas zu trinken ausgeben? Als kleine Entschuldigung für das aufgezwungene Gespräch.“

„Natürlich, gern. Aber was wird deine Verabredung sagen, wenn sie sieht, dass ich ihren Platz eingenommen habe?“

„Ach, das werde ich schon regeln. Wenn sie überhaupt noch kommt.“

Kurz darauf hatte ich eine Nachricht von Marlene erhalten, die unsere Verabredung wegen Kopfschmerzen absagte. Dann tauchte Ralph im Black Cat auf und ich bemerkte mit diebischer Freude, dass sein Blick sich überrascht weitete, als er mich neben Tim sitzen sah. Dabei hatte ich ihn nur ein paar Tage davor erwischt, wie er eine Blondine anhimmelte. Bevor ich mich wieder Tim zuwandte, gönnte ich Ralph ein kurzes, triumphierendes Lächeln. Das hatte er nun davon.

Tims schmachtenden Blicke und Ralphs abwertender Gesichtsausdruck waren Balsam für meine Seele. Vermutlich hätte ich ohne dieses ganze Drumherum aus Eifersucht und schwärmerischer Anbetung, vermischt mit zu viel Alkohol, Tim gar nicht mit in meine Wohnung genommen.

Später konnte ich mich nicht wirklich und in allen Einzelheiten an den weiteren Verlauf des Abends erinnern. Aber dass es gut gewesen war, wusste ich noch.

„Pauline?“ Tims Stimme katapultierte mich zurück in die Gegenwart.

„Ja?“

„Es tut mir leid wegen heute Nacht. Ehrlich. Ich hätte nicht derart idiotisch reagieren sollen. Ich war übermüdet und habe mir Sorgen gemacht.“

„Schon gut.“