Perry Rhodan 2617: Der dunkelste aller Tage - Hubert Haensel - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2617: Der dunkelste aller Tage E-Book und Hörbuch

Hubert Haensel

4,0

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Beschreibung

Gefangene eines sterbenden Sterns - der Fimbul-Winter im Solsystem In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) - das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Für die Menschen auf der Erde hat sich schlagartig das Leben verändert: Das Solsystem wurde von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Miniaturuniversum verbannt. Seltsame Außerirdische, die sogenannten Auguren, beeinflussen die Kinder und Jugendlichen, um die Menschheit "neu zu formatieren". Tausende werden unter den Augen von Regierung und Öffentlichkeit von den Sayporanern spurlos entführt. Gleichzeitig wird offensichtlich die Sonne manipuliert: Nagelraumschiffe der geheimnisvollen Spenta sind in das Solsystem eingedrungen. Sie selbst bezeichnen sich als "Sonnenhäusler" und betrachten Sol als ungeheuren Frevel. Sie stört der Umstand, dass in die Sonnenmaterie der Leichnam einer Superintelligenz eingebettet wurde. Um diesen Körper von der Sonne zu trennen, versuchen sie den Stern zu löschen. Gelingt ihr Plan, droht der Erde und den benachbarten Welten ein Winter, in dem alles Leben gefriert. Aber was kann man gegen Wesen ausrichten, die in einer Sonne leben? Und so bricht er an: DER DUNKELSTE ALLER TAGE ...

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Zeit:3 Std. 39 min

Sprecher:Oliver Krietsch-Matzura
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Nr. 2617

Der dunkelste aller Tage

Gefangene eines sterbenden Sterns – der Fimbul-Winter im Solsystem

Hubert Haensel

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Für die Menschen auf der Erde hat sich schlagartig das Leben verändert: Das Solsystem wurde von unbekannten Kräften in ein abgeschottetes Miniaturuniversum verbannt.

Seltsame Außerirdische, die sogenannten Auguren, beeinflussen die Kinder und Jugendlichen, um die Menschheit »neu zu formatieren«. Tausende werden unter den Augen von Regierung und Öffentlichkeit von den Sayporanern spurlos entführt.

Gleichzeitig wird offensichtlich die Sonne manipuliert: Nagelraumschiffe der geheimnisvollen Spenta sind in das Solsystem eingedrungen. Sie selbst bezeichnen sich als »Sonnenhäusler« und betrachten Sol als ungeheuren Frevel. Sie stört der Umstand, dass in die Sonnenmaterie der Leichnam einer Superintelligenz eingebettet wurde. Um diesen Körper von der Sonne zu trennen, versuchen sie den Stern zu löschen.

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Der Terranische Resident wartet im Innern der Sonne auf den Tod des Sterns.

Shanda Sarmotte – Die Mutantin setzt ihre einzigartige Gabe ein.

Homer G. Adams – Der uralte Finanzexperte plant für den Fall der Fälle.

Korbinian Boko – Das ehemalige Funkenkind schafft einen inverten Raum.

Prak-Parlong

1.

Terrania, Solare Residenz

13. September 1469 NGZ, 21.50 Uhr

»Die Katastrophe ist perfekt!«

Der Satz klang noch in Homer G. Adams nach, als er endlich den Raum Eins-Eins in der Solaren Residenz betrat. Henrike Ybarri hatte ihn gerufen, und nie war sie ihm derart aufgelöst erschienen.

Einsam saß die Erste Terranerin an dem ovalen Konferenztisch. Sie sah Adams zwar entgegen, aber sie schaute durch ihn hindurch. Ihr Blick verlor sich in weiter Ferne.

In der Tiefe der Sonne ..., dachte der Unsterbliche. Er hatte ein sehr schlechtes Gefühl dabei.

Die zweite Anwesende war Vashari Ollaron. Die Verteidigungsministerin stützte sich an einem der Sessel ab, doch wirkte das eher, als müsse sie sich daran festklammern. Adams' forschenden Blick ignorierte sie.

»Setz dich!«, forderte Ollaron ihn auf.

Er schüttelte den Kopf. »Ich vertrage sogar im Stehen eine ganze Menge. Also ...?«

»Die Funkbrücke zur Sonnenforschungsstation ist abgebrochen und kann nicht wiederhergestellt werden«, sagte Ybarri. »Die AMATERASU war unsere Leitstelle für den Einsatz gegen die Nagelraumer.«

Adams bedachte erst die Residenz-Ministerin und danach die Erste Terranerin mit einem nachdenklichen Blick. An beiden waren die letzten Tage keineswegs spurlos vorübergegangen, allerdings kam es ihm vor, als ob besonders Henrike Ybarri schlecht aussähe. Von ihren jugendlichen achtundfünfzig Jahren war nicht mehr viel zu erkennen.

Kein Wunder. Ihre Tochter Anicee war spurlos verschwunden und mit ihr mindestens fünfzigtausend andere junge Terraner, im schlimmsten Fall sogar zweihunderttausend. Die sogenannten Auguren hatten sie alle auf dem Transmitterweg entführt.

Angesichts der existenzbedrohenden Manipulationen an der Sonne waren das aber noch vergleichsweise geringe Sorgen.

»Vor rund siebzehn Minuten wurde eine Schockfront unbekannter Natur festgestellt«, sagte die Erste Terranerin. »Sie entstand in der Strahlungszone der Sonne – ein mehrdimensionaler Vorgang, der von den meisten Messstationen im System weitergemeldet wurde.«

»Unmittelbar danach erreichte uns eine kodierte Nachricht von der LEIF ERIKSSON IV.« Ollarons Stimme ließ nur mühsam beherrschtes Entsetzen erkennen. »Oberst Baeting meldete, die Spenta hätten das Fimbul-Netz wohl fertiggestellt, und ...« Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht.

»... der Fimbul-Impuls wurde ausgelöst?«, vermutete Adams.

»So ist es«, bestätigte Ybarri. »Wir müssen davon ausgehen, dass die Spenta unserer Sonne den Todesstoß versetzt haben!«

»... aber bestimmt nicht der AMATERASU.«

»Die Überwachung hat kurzlebige energetische Flares registriert – kurzlebig im Bereich von Zehntelsekunden. Ersten Auswertungen zufolge gab es diese Erscheinungen nur am Standort der Station. Wir müssen davon ausgehen, dass sie explodiert ist.«

Das verglühende Aufflackern einiger Staubkörner in der Glut eines Hochofens, ging es Adams durch den Sinn. Was sind wir Menschen gegen solche Gewalten? Ein Nichts, sosehr wir uns auch sträuben.

Er wandte sich dem holografischen Erscheinungsbild der Biopositronik zu. Das Gesicht mit den altterranisch asiatischen Zügen blickte ihm in die Augen. Es blickte jedem in die Augen, egal wo derjenige in Eins-Eins saß oder stand, sobald er nur in Richtung der Holosäule sah. »Liegen belastbare Daten vor, LAOTSE?«

»Die Suche nach dem Verbleib der Sonnenforschungsstation AMATERASU wird weiterhin vorangetrieben. Die Ortungskomplexe auf den inneren Planeten sind ebenso eingeschaltet wie die Einheiten der Mobilen Kampfflotten. Zwei Dutzend LFT-BOXEN wurden angewiesen, tief in die Sonnenatmosphäre vorzustoßen.«

»Ergebnisse?«

»Die AMATERASU ist verschwunden. Die Forschungsstation kann weder über Ortung erfasst noch funktechnisch angesprochen werden.«

»Reginald Bull befand sich an Bord«, erinnerte die Erste Terranerin mit Leichenbittermiene. »Bei einer Explosion ...« Sie redete nicht weiter.

»Um Bully müssen wir uns keine Sorgen machen!«, behauptete Adams.

»Ich denke, doch!« Ybarri reagierte gereizt. »Der Kontakt ging urplötzlich verloren. Die AMATERASU hat innerhalb eines Sekundenbruchteils aufgehört zu existieren.«

»Wir müssen tatsächlich mit dem Schlimmsten rechnen«, pflichtete Vashari Ollaron bei. »Vor allem stellt sich die Frage, ob wir die Flotte im Sonnenorbit lassen oder sie zu den Planeten zurückbeordern.«

»Ein Abzug käme einer Kapitulation gleich.« Ybarri zögerte. Sie schaute Adams an. »Bully wollte nicht kapitulieren, also werden wir es auch nicht.«

Adams hob die Hände. »Verliert nicht den Kopf! Wir wissen doch, was geschieht, wenn ein Aktivatorträger sein Leben verliert: Der Chip löst sich aus seinem Körper, und dabei entsteht das Symbol der Spiralgalaxis. Es breitet sich gedankenschnell über eine große Distanz hinweg aus. Ich habe nichts davon wahrgenommen.«

»Wir dürfen unsere neue Umgebung nicht vergessen, ein eigenes Universum mit anderen als den gewohnten Bedingungen«, sagte die Erste Terranerin.

»So anders können die Voraussetzungen nicht sein«, widersprach Adams. »Aus uns sind jedenfalls bisher keine amorphen Zellhaufen geworden ...«

»Es genügt, wenn ein einziger Parameter leicht verschoben ist. Falls der Aktivatorchip seinen Träger nicht verlassen kann, wird die Spiralgalaxis, die seinen Tod verkündet, nie sichtbar werden.«

»Reginald Bull ist nicht tot!«, beharrte Adams. »Sein Schweigen muss andere Gründe haben.«

»Welche?«

»Der Sonnentod wurde eingeleitet«, erinnerte Vashari Ollaron. »Nur: Wer kann vorhersagen, wann Sol tatsächlich erlischt? Heute, morgen, vielleicht erst nächste Woche?« Die Ministerin warf einen Blick auf die Zeitanzeige. »Mehr als fünfzehn Minuten seit dem Fimbul-Impuls. Über Terrania liegt ohnehin die Nacht. LAOTSE, wie sieht es auf der anderen Seite des Globus aus?«

»Anzeichen für ein Erlöschen der Sonne oder auch nur ein Nachlassen ihrer Tätigkeit sind bislang nicht nachweisbar. Lediglich eine verstärkte Granulation sowie eine hohe Anzahl entstehender Bogenprotuberanzen werden erfasst.«

»Sobald Sonnennägel der Spenta aus der Fotosphäre auftauchen, müssen wir sie mit allen Mitteln angreifen und vernichten!«, forderte Ollaron.

Adams schüttelte den Kopf. »Falls die Spenta tatsächlich die Löschung der Sonnenaktivität eingeleitet haben, änderte ein Waffengang nichts daran. Wir brauchen die Schiffskapazitäten zu unserer Absicherung ...«

»Haben diese Wesen auch nur einen Kontaktversuch unternommen?«, fragte Ollaron. »Nein. Sie ignorieren uns und nehmen den Tod von Milliarden Terranern billigend in Kauf ... Ich will unsere Schiffe dort haben, wo die Sonnennägel möglicherweise wieder zum Vorschein kommen werden. Die Liga-Flotte ist dem Residenten und der Ministerin für Liga-Verteidigung unterstellt. Sollte Bulls Tod nachweisbar sein, erteile ich uneingeschränkten Feuerbefehl.«

»Auge um Auge, Zahn um Zahn. Obwohl es so seit Jahrtausenden in der Bibel geschrieben steht, halte ich das für eine unzulängliche Motivation.«

»Wurden wir gefragt, welche Auswirkung der Sonnentod für unsere Zivilisation haben wird? Nein!«, sagte Ollaron düster. »Und selbst wenn uns das nicht mehr hilft – vielleicht bewahren wir ein anderes Volk vor einem ähnlichen Schicksal.«

Homer G. Adams' verkrümmte Körperhaltung ließ ihn kleiner erscheinen als die Verteidigungsministerin. Er machte einen humpelnden Schritt auf sie zu. Vashari wirkte verbittert.

Erging es ihm anders?

Er ließ die Frage nicht an sich heran, erlaubte ihr nicht, dass sie sich in seinem Denken einnistete. »In der Bibel steht ebenso: Jedem, der dich auf die rechte Wange schlägt, halte auch die andere hin«, sagte er.

»Kein gutes Zitat«, widersprach Ollaron heftig. »Wir werden uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Das war geplant, und ich führe das weiter! Keine Diskussion.«

Sie ging. Adams schaute ihr nach, bis sich das Türschott schloss. Vashari Ollaron war die Verteidigungsministerin, sie musste konsequent und hart in der Sache sein.

*

»Natürlich brauchen wir Leute wie Vashari, mit Verstand und Durchsetzungsvermögen«, sagte Homer G. Adams. »Daran wird es bestimmt nicht scheitern.«

Er sah, dass Ybarri ihn irritiert musterte. »Es ist noch nicht vorbei«, kommentierte er. »Alles, was wir kennen- und schätzen gelernt haben, befindet sich im Umbruch. Dabei stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung, deren Tragweite wir kaum abwägen können.«

Die Erste Terranerin nickte zögernd. »Wahrscheinlich hast du recht, Homer. Wir müssen das Heft des Handelns in die Hand bekommen. Toleranz ist erstrebenswert und hat uns stets weitergebracht, nur darf sie unser Überleben nicht gefährden. Bedrohlich wird es vor allem, wenn falsch verstandene Rücksicht dazukommt. Ich denke, Reginald Bull wusste das sehr gut. Die Spenta hätten mit ihren Nagelraumern niemals in die Sonne einfliegen dürfen.«

»Du glaubst, dass es ein Fehler war, ihnen nicht sofort entschlossen entgegenzutreten?«

»Sol stirbt!«, erinnerte Henrike Ybarri heftig. »Das ist womöglich die Konsequenz unseres Zögerns.«

»Hätten wir den Sonnenhäuslern tatsächlich Einhalt gebieten können? Wir wissen herzlich wenig über dieses winzige Stück Weltraum, in das wir verschlagen wurden. Nicht einmal, ob und gegebenenfalls welche Machtstrukturen existieren. Geschweige denn wer Freund oder Feind ist.«

»Die Spenta ...« Ybarri verstummte sofort wieder. Nachdenklich musterte sie den Aktivatorträger, der sich in einen der leeren Sessel sinken ließ.

»Vashari wird keinen einzigen der Sonnennägel kapern können«, sagte Adams nachdenklich. »Wahrscheinlich nicht einmal abschießen. Diese Schiffe operieren extrem tief in der Sonne, ihr Schutz muss entsprechend sein. Trotzdem halte ich es für gut, dass die Flotte weiterhin Präsenz zeigt. Nach außen demonstrieren wir Wachsamkeit, nach innen ergibt sich ein unglaublich wichtiges Signal: Es zeigt, dass wir nicht aufgeben werden.«

Adams' verkrümmte Körperhaltung entging der Ersten Terranerin keineswegs. Er saß noch ein wenig buckliger da als gewöhnlich. Die Frage, was sich im Innern Sols abspielte, setzte ihm weit schwerer zu, als er sich selbst und anderen eingestanden hätte.

»Alles wird sich ändern«, stellte er fest. »Die Entführung unseres Heimatsystems in dieses Miniaturuniversum war keineswegs schon die riesige Katastrophe, die viele darin sehen. Auch das bevorstehende Erlöschen der Sonne – dem der Fimbul-Winter folgen wird – wird längst nicht der Höhepunkt sein. Wir werden uns bewähren müssen; ich sehe in alldem eine Herausforderung für uns Terraner wie lange nicht mehr.«

»Und das Ziel?«, fragte Ybarri. »Was erwartet uns?«

Ihr Blick pendelte zwischen Adams und dem Laotse-Gesicht. Die Holoprojektion schwieg. Vielleicht sammelte die Biopositronik der Solaren Residenz Impressionen: Eindrücke und Emotionen aller in dem gewaltigen Regierungsbauwerk, um daraus Verhaltensschemata zu abstrahieren. LAOTSE lernte, sich auf die neue Situation einzustellen. Das war nichts anderes, als es Menschen und Galaktiker im Solsystem ebenfalls tun mussten.

»Niemand weiß, was uns erwartet«, gestand Adams zögernd. »Vielleicht ist das sogar gut, weil uns sonst der Mut verloren ginge. Die Ärmel hochkrempeln und zupacken ist immer noch die beste Lösung.«

»Du sprichst von Ganymed?«

Adams hob überrascht den Kopf. Ein zurückhaltend schüchternes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Vorübergehend war da ein Hauch von Zufriedenheit, der Ausdruck eines Menschen, der sich einen lang ersehnten Traum erfüllte. Aber dieses kleine bisschen Sehnsucht wich sehr schnell wieder dem Druck der Gegenwart.

»Ja, vielleicht ist das sogar ein guter Vergleich«, bemerkte er zögernd. Er redete leise und bedacht. Gefühlsausbrüche erwartete man von Homer Gershwin Adams ohnehin vergeblich. »Dass wir den Jupitermond Ganymed nach seiner Zerstörung rekonstruieren, ist das Beste, was wir tun konnten. Wir finden uns nicht mit ungeliebten Situationen ab – das macht uns stark.«

»Wie weit reicht diese Stärke tatsächlich?«, wollte Ybarri wissen. »Was geschieht, wenn das Solsystem evakuiert werden muss? Ich kann dieses Horrorszenario keineswegs ausschließen. Fast zwölf Milliarden Bewohner, Terraner, Umweltangepasste, Fremdwesen ...«

Der Ersten Terranerin war die Bürde anzusehen. Die Bedrohung durch die Sonnenhäusler, wie die Spenta mit ihren Nagelraumschiffen auch genannt wurden, hatte etwas Unheimliches, Endgültiges. Und das war nicht das einzige dringende Problem, wenngleich das bedrohlichste.

Sie, die sich den Menschen auf der Straße verpflichtet fühlte und wahrscheinlich gerade dadurch großes politisches Talent bewies, durfte in Adams' Gegenwart erkennen lassen, dass sie erschöpft war. Dass ihr die letzten Tage zwar keineswegs die Hoffnung geraubt, aber immerhin ihre Grenzen aufgezeigt hatten.

Sie war blass, als sie Adams unruhig forschend ansah. Sie blinzelte hastig, und in ihren Augenwinkeln stand ein Hauch von Feuchtigkeit.

»Ich mache mir Sorgen, Homer«, gestand sie leise. »Inzwischen frage ich mich, wohin das alles führen soll. Welchen Weg geht die Menschheit?«

Adams setzte zu einer schnellen Antwort an, schüttelte aber nur den Kopf.

*

Es war still im Raum Eins-Eins. Eine eigenartige Atmosphäre hatte sich breitgemacht, beklemmend und voll verhaltener Hoffnung zugleich.

Zwei Menschen, so unterschiedlich, wie Menschen sein konnten, bereiteten sich auf das Schlimmste vor. Sie brauchten nicht auszusprechen, was sie bewegte, denn einer wusste vom anderen, dass sie beide in ihrer Aufgabe aufgehen würden. Sie würden kämpfen, jeder auf seine Weise und mit den ihm eigenen Mitteln.

Henrike Ybarri war eine zierliche und mit achtundfünfzig Jahren junge Frau. Sie verstand sich als Sachwalterin der Menschheit, genau wie Adams. Nur zählte für sie das Jetzt, das Hier und Heute in wesentlich stärkerem Maß.

Jahrhundertplanungen wirkten auf Ybarri befremdlich, in solchen Zeiträumen zu denken widerstrebte ihr und weckte ihren Widerstand. Was nicht bedeutet hätte, dass Henrike Ybarri keine Visionen hatte. Kluge und vorausschauende Politik lebte in hohem Maß von Visionen und Leitbildern. Aber Ybarri wusste, wie unberechenbar launisch das Schicksal sein konnte, schon deshalb überließ sie die großen und weit vorausdenkenden Planungen lieber den potenziell unsterblichen Aktivatorträgern.

Sie selbst gehörte zu den Sterblichen, den »normalen« Menschen, wie sie es Adams einmal aufgeregt entgegengeschleudert hatte. Was half es ihr und allen Terranern, die ihr vertrauten, wenn sie abgehoben an Projekten arbeitete, deren Realisierung keiner von ihnen erleben würde?

Nein, sie hatte Adams damals nicht angegriffen. Sie beneidete ohnehin keinen der Aktivatorträger um sein vermeintliches Privileg. Henrike Ybarri hätte nicht einmal zu sagen vermocht, ob sie die Unsterblichkeit als erstrebenswert empfand. Das war schlicht und einfach kein Thema für sie.

»Welchen Weg die Menschheit geht ...?«

Leise und sinnend, als müsse er sich erst der Bedeutung ihrer Frage bewusst werden, wiederholte Adams die Worte der Ersten Terranerin. Sein Blick wanderte durch den Raum, als wolle er ausweichen oder suche etwas Bestimmtes. Als er die Holosäule in der Mitte des Konferenztischs als Bezugspunkt entdeckte, war das holografische Laotse-Gesicht erloschen. Die Hyperinpotronik hatte sich dezent zurückgezogen. Nur ein undefinierbares Flimmern war zu sehen.

War das eine Antwort des Großrechners auf Ybarris Frage?

Tief atmete Adams ein. Er war in seinem Sessel nach vorn gerutscht, hatte die Ellenbogen auf der Tischplatte aufgestützt und die Handflächen aneinandergelegt. Nun vergrub er das Gesicht in den Händen und massierte mit den Fingerspitzen die Stirn.

»Ich habe meine Lektion zur Zeit der Monos-Herrschaft gelernt«, sagte er leise. Es klang, als rede er nur mit sich selbst und nicht für fremde Ohren bestimmt. »Manchmal ist es klüger, einer Konfrontation auszuweichen und in den Untergrund zu gehen. In der Hinsicht kann nie genug getan werden.«

»Du sprichst von deiner Rolle in der Widerstandsorganisation WIDDER?«, wollte Ybarri wissen.

»Mein Deckname war Romulus«, murmelte Adams gedankenverloren.

»Das ist lange her ...«

»Keine tausend Jahre.«

Adams nannte die Zahl so selbstverständlich, ohne darüber nachzudenken, was sie für Menschen bedeutete, unter deren Schlüsselbein eben kein Aktivatorchip steckte, dass Ybarri ihn unwillig anstarrte.

»Aber die Zeit heute ist eine andere«, sagte sie heftig. »Und die Umstände halten keinem Vergleich stand.«

»Wir Menschen lernen aus unseren Fehlern«, sagte Adams mit Nachdruck.

»Wirklich?« Nur dieses eine Wort erwiderte die Erste Terranerin. Doch darin drückte sich weit mehr aus als in vielen Sätzen.

»Keiner von uns weiß, was die Zukunft bereithält.« Adams stemmte die Hände auf die Armlehnen und erhob sich langsam. »Aber die Vergangenheit kennen wir und können daraus lernen.«

»Demnach weißt du längst, ob wir evakuieren müssen?«

Adams reagierte mit einer vagen Geste. »Es kann so kommen«, antwortete er zögernd, und seine nachdenkliche Miene wich einem zuversichtlichen Lächeln. »Es kann aber ebenso viel schlimmer werden.«

Sein Lächeln passte nicht.

Es war ein Ausdruck, als stehe er über den Dingen. Die Mimik eines Schachspielers, dessen Hauptfiguren in der dreidimensionalen Falle seines Gegners standen und nur unter schweren Verlusten versetzt werden konnten. Dessen Lächeln den vermeintlichen Sieger verunsichern und zu einem Fehler verleiten sollte.

»Aber Reginald Bull ist nicht tot?«, fragte die Erste Terranerin unvermittelt. Durchdringend schaute sie Adams dabei an.

Er schüttelte den Kopf.

2.

AMATERASU

13. September, 21.22 Uhr

Schrill gellte der Alarm. Niemand dachte daran, das sinnlos gewordene Heulen und die durchdringenden Vibrationen abzustellen. Dabei war alles schon vorbei. Ein unglaublich schneller Angriff auf die Station und ...

Der Resident schaute zu den Schirmen hoch. Die Holos waren leer; es gab keine optische Erfassung und nicht einmal den Hauch einer Ortung. »Wo bei allen verdammten hochnäsigen Arkonimperatoren sind wir? Haben wir wenigstens Funkempfang?«

»Nicht einmal Störgeräusche werden aufgefangen«, antwortete ARINNA. »Es tut mir leid.«

Ihr ...? Der Zentralpositronik der Kommandozelle tat es leid? Was wusste ARINNA schon davon, wie es tief in Reginald Bull aussah?

Mir tut es leid, dass unsere Schiffe ziellos feuern müssen. Dass sie nicht einem dieser verdammten Sonnennägel die Rechnung präsentieren können.

Der Resident erschrak über sein heftiges Aufbrausen. Die Koordinaten waren gesendet, aber nicht alle. Mit den lückenhaften Daten war es der LEIF ERIKSSON IV und den anderen Schiffen keinesfalls möglich, auch nur einen der »Sargnägel« abzuschießen, die sich in der Sonne herumtrieben.

»Wo sind wir?«

»Nirgendwo!«, antwortete ARINNA.

»In der Hölle – denke ich.« Die Bemerkung kam von Konnie Giverny.

Bull wollte der Zweiten Pilotin antworten, doch in dem Moment verstummte der Alarm. Als würde die Stille manches ungeschehen machen. Aber das konnte sie nicht.

Immerhin reagierte Shanda darauf. Bull sah es am leichten Zucken ihrer Lider. Ihre blutleeren Lippen öffneten sich kaum merklich zu einem unhörbaren Stöhnen.

War die junge Frau schon wieder unterwegs? Der Resident hoffte es – wider besseres Wissen. Ihre Gabe machte Shanda Sarmotte für ihn unentbehrlich. Sie hatte so viele Informationen über die Spenta herausgefunden, über ihren Versuch, den psimateriellen Korpus ARCHETIMS aus der Sonne herauszulösen. Für diese Wesen war der in Sol liegende Leichnam wie ein Sakrileg.

Es ist nicht eure Sonne, schert euch um euren eigenen Kram, verdammt!

Bull kniete neben Sarmotte. Sie war bewusstlos zusammengesackt. Er hatte sie in die Seitenlage gebracht, und nun strich er ihr die letzten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Es war ein schmales Gesicht, wie aus kaltem, bleichem Wachs geformt. Dennoch perlte Schweiß auf ihrer Haut.

Er spürte Shandas Atem kaum.

Vergeblich rüttelte er die junge Frau an den Schultern. Sie fand den Weg zurück nicht.