Perry Rhodan 2830: In der Synchronie gestrandet - Hubert Haensel - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 2830: In der Synchronie gestrandet E-Book und Hörbuch

Hubert Haensel

3,0

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Beschreibung

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen. Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang - den Weltenbrand - der gesamten Galaxis. Atlan, der unsterbliche Arkonide, will dem Tribunal in dessen Machtzentrum gegenübertreten, in den Jenzeitigen Landen, um die Wahrheit zu erfahren. Bis zur Passagewelt Andrabasch ist er bereits vorgestoßen, doch ohne besondere Berechtigung endet sein Weg dort. Seine einzige Chance ist die Hilfe des geheimnisvollen Pensors. Bis er diese Unterstützung erlangt, bleibt er IN DER SYNCHRONIE GESTRANDET ...

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Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Zeit:3 Std. 40 min

Veröffentlichungsjahr: 2015

Sprecher:Tom Jacobs

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Nr. 2830

In der Synchronie gestrandet

Vorstoß in die WEYD'SHAN – Atlans Odyssee durch eine bizarre Welt

Hubert Haensel

Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.

Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Dessen Vertreter behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang – den Weltenbrand – der gesamten Galaxis.

Atlan, der unsterbliche Arkonide, will dem Tribunal in dessen Machtzentrum gegenübertreten, in den Jenzeitigen Landen, um die Wahrheit zu erfahren. Bis zur Passagewelt Andrabasch ist er bereits vorgestoßen, doch ohne besondere Berechtigung endet sein Weg dort.

Seine einzige Chance ist die Hilfe des geheimnisvollen Pensors. Bis er diese Unterstützung erlangt, bleibt er IN DER SYNCHRONIE GESTRANDET ...

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan – Der Unsterbliche sucht Kontakt zum Piloten des gestrandeten Richterschiffes WEYD'SHAN.

Shukard Ziellos – Der Genifer versucht, einen Kontakt herzustellen.

Veyqen – Der Tesqire muss sich entscheiden.

Gosgad Hehrer von Trynn und Amtum Hehre von Orbagosd

1.

Wir waren kurz vor dem Ziel.

Jedenfalls kommen wir dem Richterschiff kontinuierlich näher, schränkte mein Extrasinn ein, der sich offensichtlich allmählich besser mit den Rahmenbedingungen arrangierte, die auch ihm bisher so zugesetzt hatten. In der letzten Zeit hatte ich ihn nur noch selten gehört.

Ich ignorierte die Bemerkung. Rund fünf Kilometer unter uns, in der Kruste des Planeten Andrabasch, lag die gestrandete WEYD'SHAN. Der archaisch anmutende Aufzug würde uns hinbringen. Ich blickte auf die beiden Türhälften, die sich nicht richtig geschlossen hatten. Sie klapperten und knirschten, obwohl die Kabine langsam und keineswegs ruckartig absank.

Tief atmete ich ein. Meine Zweifel und die Zuversicht hielten sich die Waage. Fünftausend Meter abwärts – und dann?

Die Tür des leidlich geräumigen Fahrstuhls war verzogen, jedenfalls schlugen beide Flügel im oberen Bereich leise gegeneinander. Es klang wie ein Pulsschlag des uns umgebenden üppigen Technoverbands: dumpf, monoton und konstant.

Wie viel Zeit mochte die Kabine benötigen, bis wir das abgestürzte Richterschiff erreichten?

Siebenhundert Jahre Flug durch die Synchronie liegen hinter dir, aber plötzlich wirst du ungeduldig ... Der Spott des Extrasinns war deutlich – und vor allem: Er hatte recht. Was spielte Zeit überhaupt für eine Rolle? Ihren Wert als Maßstab hatte sie für mich verloren. Jede Zeitmessung war zum Anachronismus geworden, an dem ich nur festhielt, weil ich die lieb gewordene Gewohnheit keinesfalls aufgeben wollte. Dabei trennten mich ein undefinierbarer räumlicher Abgrund und eine noch weniger bestimmbare temporale Kluft von meiner Welt. Vielleicht existierten Terra und das Solsystem, Arkon und die Milchstraße längst nicht mehr, oder ihre Sonnen würden erst in Jahrmillionen zünden und ihr Licht in den vergleichsweise jungen Raum schicken. Alles war denkbar und möglich: autokausale Ereignisse, wie die vier Legenden der Cüünen über das Schicksal der WEYD'SHAN sie beschrieben. Jede dieser Erzählungen berichtete etwas anderes, aber jede war wahr.

Welche ist real? Ich flüchtete mich in diese Frage, weil ich mich wie ein zweidimensionales Geschöpf fühlte, das über Raum und Zeit reflektierte, ohne jemals mehr als seine zweidimensionale Welt erkennen zu können.

Alle vier sind real!, behauptete der Logiksektor.

Mit einem knappen Kopfschütteln schob ich diese Überlegungen beiseite.

Im unteren Bereich klafften die Türflügel des Fahrstuhls leicht auseinander. Glitzernde Helligkeit war dahinter. Das rasche Absinken der Kabine ließ keine Einzelheiten erkennen, doch vermutlich stammte das Licht von dem feinmaschigen Technogeflecht, das den Schacht bis in die Tiefe frei hielt. Dahinter wucherte das Narbengewebe; es hatte die von der abstürzenden WEYD'SHAN in die Planetenoberfläche geschlagene Wunde verschlossen.

Shukard Ziellos räusperte sich. Ich spürte seine kräftige Hand am rechten Oberarm. Er grub die Finger in mein Fleisch, ließ aber sofort wieder los.

Der junge Transterraner blickte die Hand an, als könnte er selbst nicht verstehen, dass er so hart nach mir gegriffen hatte. Gleich darauf schaute er ruckartig in die Höhe. Ich folgte seinem Blick zur Decke, die mehr als drei Meter über uns lag. Lücken in der Konstruktion ließen die auf der Kabine montierte Seiltrommel erkennen. Erst als ich angestrengt die Lauffläche musterte, sah ich deutlich, dass sich das Halteseil abwickelte. Straff gespannt verschwand es über uns im Nichts.

»Fünf Kilometer, Kommandant Atlan!« Ich las Shukard die Worte von den Lippen ab. Er flüsterte lediglich – trotzdem war mir klar, was er meinte. Ich hatte ebenfalls den Eindruck, dass das Stahlseil kaum länger sein konnte als zwei- bis dreitausend Meter. Die Dicke des Strangs, dazu das sichtbare Aufnahmevolumen der Trommel ...

»Wir werden weit über dem Wrack des Richterschiffes hängen bleiben«, befürchtete der Genifer.

Würden wir unseren Weg also auf andere Weise fortsetzen müssen? Ich hob leicht die Schultern. »Denk erst darüber nach, falls es wirklich so weit kommt, Shukard. Ich bin überzeugt, dass Gosgad uns nicht zu diesem altertümlichen Fahrstuhl geführt hätte ...«

Ein harter Ruck durchlief die Kabine. Sekundenlang hatte ich Mühe, ihr Schwanken auszugleichen und nicht in die Knie zu gehen. Shukard Ziellos wurde blass und suchte nach einem Halt, den es nicht gab, ebenso schnell ergriff diesmal ich ihn am Arm. Ein unheimliches Knistern und Knacken kam von allen Seiten, die Kabine schrammte über das Technogeflecht hinweg.

Es gibt keine reale Störung, behauptete der Extrasinn. Wir sinken gleichmäßig abwärts.

Ich schloss kurz die Augen. Das vermeintliche Pendeln ebbte sofort ab.

»Der Technoverband beeinflusst einmal mehr unsere Wahrnehmungen«, raunte ich Shukard zu. »Wie weit bist du mit der Interaktion?«

Er blickte auf sein Armband, das er am linken Handgelenk trug. Mit der rechten Hand fuhr er sich durchs Haar – eine Geste, die Unzufriedenheit verriet. Vor wenigen Minuten hatte Shukard seinen nahen Erfolg verkündet, dass die ausgeschwärmten Mikro-Einheiten deutlicher als zuvor Rückmeldung gaben. Sobald er über sein Multikom-Armband Zugriff auf den Technoverband erhielt, eröffneten sich für uns neue Perspektiven. Der Verband insgesamt verfügte über so etwas wie ein maschinelles Unterbewusstsein, das wohl durch die Verbindung des Technogeflechts mit dem havarierten Richterschiff entstanden war.

»Seit wir dem Schiff entgegensinken, kommen die Rückmeldungen eher zögerlich.« Shukard biss sich auf die Unterlippe. »Trotzdem bekomm ich's hin! Schon weil ich wissen will, wie schnell wir uns bewegen.«

Ich nickte ihm aufmunternd zu. Es war kalt in dem Fahrstuhl, gefühlt einige Celsiusgrade weniger als bisher im Reich der Cüünen und Technophagen. Shukard Ziellos legte beide Hände aneinander und blies hinein. Der Atem hing wie feiner Nebelhauch vor seinem Gesicht. Immerhin grinste er schon wieder breit.

Ein schrilles Quietschen kam von der Tür. Beide Flügel zitterten, als wollten sie sich weiter öffnen ...

... und die Kabine zum Anhalten zwingen. Ich schaute mich um. Feine Ausläufer des Technogeflechts rankten quer über die Innenwände des Fahrstuhls. Sie waren von Anfang an da gewesen, doch in dem Moment schien es mir, als hätte sich einer der Stränge der Tür genähert.

Da war wieder dieses Zittern und Klappern, als wollte wenigstens einer der Flügel zur Seite gleiten. Schleifende Geräusche erklangen. Wenn ich versuchte, mit dem Messer das Technogeflecht abzuschaben ... War ich eigentlich sicher, dass ich den Sachverhalt richtig interpretierte und Shukards Bemühungen nicht konterkarierte?

Mittlerweile bebte die gesamte Fahrstuhlkonstruktion. Die Tür glitt an die zehn Zentimeter weit auf, und schon hatte ich das Gefühl, dass Beharrungskräfte wirksam wurden.

Shukard Ziellos seufzte. Er stand rechts vor mir. Ohne aufzusehen, hantierte er mit seinem Armband. Zwischen ihm und den Cüünen hindurch blickte ich zur Tür. Beide Technoscouts wandten mir den Rücken zu. Ihre Knochenschnäbel knackten laut. Gosgad Hehrer von Trynn hatte die Stielaugen ausgefahren und auf die Tür gerichtet, die sich ruckartig zentimeterweise weiter öffnete und wieder schloss. Öffnete und wieder schloss ... Sich etwas weiter öffnete ...

Links von uns, fast schon in die Ecke der Kabine gedrückt, stand der Tesqire Veyqen, den der Atope Matan hinter uns hergeschickt hatte, um unseren Plan zu vereiteln. Er beachtete weder mich noch die Cüünen. Vielmehr zerrte er sich den Rucksack mit seiner Ausrüstung vom Rücken und ließ alles zu Boden fallen. Dabei drehte er die Knie und die Unterschenkel so bizarr weit auseinander, dass ich schon fürchtete, seine Knochen würden splittern.

Eng schmiegte sich der Balg um den Tesqiren – eine Kreatur, die mich eher an eine glänzende Metallfolie denken ließ als an den Ableger eines Atopen. Ich misstraute dem Balg zutiefst, denn Richter Matan Addaru Jabarim manifestierte sich darin. Irgendwie jedenfalls.

Aber Veyqen und ich hatten uns auf eine Art Waffenstillstand geeinigt. Mit seiner schweren Verwundung war der Tesqire auf die Haut angewiesen, die ihn stärkte und die Heilung vorantrieb. Was war ihm deshalb anderes übrig geblieben, als zu versprechen, dass er mit dem Balg nicht angreifen werde? Mein Vertrauen in der Hinsicht mochte sich als sinnvoll erweisen, eine gehörige Portion Vorsicht schadete indes keineswegs.

Der Fahrstuhl ruckte wieder. Knirschend öffnete sich die rechte Türhälfte gut zwei Handbreit.

Hektisches Schnabelklappern der Cüünen begleitete den Vorgang. Ihre Halsansätze waren ungefähr auf meiner Augenhöhe. Schon um zu verfolgen, wie sich ihre gut einen Meter langen Hälse gegeneinander krümmten, musste ich aufblicken. Gosgad Hehrer von Trynn, nahe dessen Kiefergelenk seitlich zwei hauerartige Zähne hervorstanden, schüttelte heftig den Kopf. »Ihre Bedenken in Ehren, Amtum Hehre von Orbagosd!«, rief er. »Wir werden nicht auf halber Strecke resignieren. Ich habe versprochen, dass wir zur WEYD'SHAN vorstoßen, daran halte ich mich, und das sage ich als Ihr Kontraktir und guter Freund.«

Amtums Kopf ruckte herum. Sekundenlang blickte sie mich durchdringend an, ihre Augen quollen dabei unaufhaltsam aus den Höhlen. Zugleich schabte sie mit der unteren Schnabelhälfte über die Innenseite des vorstehenden oberen Knochens. Es hörte sich an, als wetzte jemand ein Messer.

Shukard schaute erschrocken auf. Wie ich hatte er einen solchen Gefühlsausbruch der Cüüne bislang nicht erlebt. Amtum reagierte misstrauisch. Mir war klar, dass sie, weshalb auch immer, vor dem Pensor der WEYD'SHAN zurückschreckte – meine Neugierde spornte das eher an.

Ihre starre Mimik hielt nur kurz, dann betrachtete sie mich mit schwer zu definierendem Blick. Ich glaubte, Trauer in ihrem Gesicht zu lesen. Sie lastete mir die Angriffe der Technophagen an.

Gosgad Hehrer von Trynn stieß einen grollenden Laut aus. Mit dem Schnabel hackte er gegen die Kabinenwand, traf zielgenau den Strang des Technogeflechts, der bereits den rechten Türflügel erreicht hatte. Kaum Daumenbreite maß das gelblich grüne, kristallin funkelnde Geflecht, das überwiegend aus tt-Progenitoren bestand.

Der Strang leuchtete unter Gosgads Biss, zugleich bildete er eine Fülle feinster seitlicher Ausläufer, als wollte er sich mit Dutzenden winziger Haken in der Wand verankern. Das anhaltende Grollen aus dem Schlund des Cüünen drückte wohl Verärgerung aus, doch dieser Rückschluss vermenschlichte den Technoscout zu sehr.

Gosgad erinnerte an einen hungrigen Vogel, der gierig an einem fetten Regenwurm zerrte. Es blieb eine lautlose Auseinandersetzung. Hartnäckig versuchte der Cüüne, den dünnen Strang des Technoverbands von der Wand zu lösen, schaffte es aber nicht. Dann färbte sich die Ader grünlich silbrig. Ich musste schon genau hinsehen, um den Vorgang überhaupt zu erkennen.

Die Türflügel schlugen zu. Sie klapperten wie zuvor. Nur in den ersten Sekunden spürte ich die schneller werdende Abwärtsbewegung, danach nahm ich sie nicht mehr wahr.

Gosgad Hehrer von Trynn streckte sich zu voller Größe. »Ein winziger Bruchteil des Technoverbands, der Andrabaschs Wunde verschließt, sträubte sich gegen den Zugang.« Seine Stimme war voller Zweifel und hatte trotzdem einen zufriedenen Klang. »Das Hindernis ist beseitigt.«

»Wie lange wird die Abwärtsfahrt dauern?«, fragte Shukard Ziellos.

Der Cüüne bog den Hals zur Seite und legte den Kopf schräg. Eine bedauernde Geste. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Sicher nicht allzu lange. Weder Amtum Hehre von Orbagosd noch ich selbst waren je in der Nähe des Richterschiffes.«

*

»Zwanzig Minuten!« Shukard Ziellos straffte sich. Vorübergehend hatte er halb verdeckt mit seinem Armband hantiert.

In den 754 Jahren des Fluges in der Synchronie waren unsere Multikoms mehrfach durch den Einsatz von tt-Progenitoren aufgewertet worden. Auf der Ringwelt Andrabasch, im Bereich der vom Technoverband ausgehenden Störstrahlung, die hoch entwickelte Technik lähmte, erwiesen sich allein diese Armbänder als funktionsfähig. Antigravs, Schutzschirmprojektoren, Strahlwaffen, auf nichts davon konnten wir zurückgreifen. Improvisation war angesagt, deshalb zählten zu unserer Ausrüstung ein Schwert ebenso wie die mechanische Hightech-Armbrust und einfache Pistolen. Solche Widrigkeiten kannte ich zur Genüge. Für Shukard, der nie zuvor die schützende Geborgenheit der ATLANC verlassen hatte, war all das fremd. Trotzdem kam er durchaus damit zurecht.

»Ich habe neue Rückmeldungen der abgesetzten Mikro-Einheiten.« Der Genifer – erst vor siebzehn Jahren an Bord der ATLANC geboren, die längst zum Generationenschiff geworden war – lächelte zufrieden. »Der Informationszugriff auf den Technoverband klappt endlich besser. Wir sinken mit zwei bis drei Metern in der Sekunde.«

Ich wollte einhaken und fragen, was er über die WEYD'SHAN und den Pensor herausfinden konnte, aber der Extrasinn stoppte mich. Für ihn sind diese Daten schon ein erster Erfolg. Mach es ihm nicht kaputt!

Mein Drängen nach mehr hätte Shukard keineswegs als Kritik aufgefasst, dessen war ich sicher. Trotzdem verzichtete ich darauf. Und ich ignorierte das spöttische Lachen in meinen Gedanken, während ich überschlägig rechnete. Zwei Meter pro Sekunde, das waren 7200 in der Stunde. Nahm ich zweieinhalb als Mittelwert, wurden neun Stundenkilometer daraus.

»Wir stehen seit rund fünfzehn Minuten in der Kabine.« Shukard tippte mit dem Zeigefinger auf sein Armband. »Die kurze Verzögerung ist eingerechnet.«

»Plus oder minus fünf Minuten, je nach Abweichung – egal«, konnte ich mir als Kommentar nicht verkneifen.

»Günstigstenfalls also eine Viertelstunde, bis wir die WEYD'SHAN vor uns haben.« Shukard Ziellos zog die Mundwinkel bis fast zu den Ohren. Es war dieses spitzbübische Lachen, das ihn so sympathisch machte – und mich zugleich an die Barbaren von Terra erinnerte. Rhodan, Bully und all die anderen, die mir ans Herz gewachsen waren ... Vermisste ich sie? Vielleicht sollte ich eher fragen, was aus ihnen geworden war. Mehr als 750 Jahre waren selbst für Aktivatorträger keine kurze Zeitspanne. Gemessen am Maßstab des Universums bedeuteten sie allerdings nicht einmal einen Wimpernschlag.

Wie viel Zeit mochte der Flug in die Jenzeitigen Lande insgesamt verschlingen? Vorausgesetzt, mein Weg endete nicht auf Andrabasch. Ohne Lizenz war ich auf dem Ringplaneten gestrandet. Ich brauchte den Pensor, den Piloten der WEYD'SHAN, und seine Erlaubnis für den Weiterflug durch die Synchronie.

Mit jeder Sekunde kam ich der Entscheidung näher.

Das Knistern und Knacken ringsum verstummte nicht. Ich ertappte mich dabei, dass ich starr auf die beiden Türflügel blickte. Dicht über dem Boden klafften sie weiterhin leicht auseinander, nahe der Decke rieben und schabten sie.

Die Cüünen standen starr wie Statuen. Soweit ich es schräg von der Seite sehen konnte, hatten Gosgad und Amtum die Stielaugen ausgefahren und auf die Tür gerichtet.

Und Veyqen? Der grazile Tesqire wirkte ebenfalls wie versteinert. Das Weiß seiner Haut, gemustert mit tiefblauen Tätowierungen, verschmolz geradezu mit dem Balg und dessen metallischem Foliencharakter. Veyqen dämmerte seiner Heilung entgegen. Womöglich hatte er sich auch nur den beiden Cüünen angeglichen. Wollte er auf diese Weise mehr über sie erfahren?

Ich schaute zu Shukard. Der Genifer wandte sich ebenfalls der Tür zu. Er hatte sich den wärmenden Poncho höher über die Schulter gezogen und hielt ihn mit beiden Händen seitlich am Hals fest, die angewinkelten Arme an den Oberkörper gepresst.

Déjà-vu, raunte der Extrasinn.

Wie oft hatte ich auf Terra in historischen Fahrstühlen ähnlich diesem gestanden und stets dieses Bild vor mir gehabt. Wer immer eine Aufzugskabine betrat, vermied tunlichst Blickkontakt mit den anderen Personen. Jeder wandte sich der Tür zu, stumm darauf wartend, dass sie endlich wieder aufschwang.

Egal, wo und wann der Ringplanet Andrabasch im Kosmos zu finden war: Reagierte das Leben hier keineswegs anders als anderswo?

Was unterschied den Tesqiren von einem Terraner? Und waren die biokybernetischen Cüünen, die mit dem Atopischen Tribunal einen Kontrakt über 11.771 Generationen geschlossen hatten, auch nur einen Deut anders als wir Arkoniden? Falls ja, warum gab es keinen Unterschied?

Verrückte Überlegungen. Ich wartete auf den Hinweis des Extrasinns, dass mich die Ausstrahlung des Technoverbands verwirrte, aber mein Logiksektor blieb stumm.

Ich schaute zur Tür.

Wenige Minuten noch ...

*

»Wo endet der Fahrstuhlschacht?«

Shukard Ziellos stellte die Frage den ausgeschwärmten totipotenten technischen Progenitorzellen über sein Multikom-Armband. Rückmeldungen auf dem Display zeigten, dass die Infiltration der mobilen Mikro-Einheiten in den oberen Schichten des Technoverbands gelungen war. Die nicht einmal millimetergroßen Konglomerate schienen allerdings weit davon entfernt, das havarierte Richterschiff zu erreichen.

»Ich erwarte zumindest eine Silhouettendarstellung der WEYD'SHAN!«, verlangte Ziellos.

Ein Schwarm seiner winzigen Spione drang konstant in die Tiefe vor. Die Farbmarkierung im Display sprang auf Grünwert um, demnach agierten einige Tausend tt-Progenitoren endlich weit genug unter der Planetenoberfläche. Shukard reagierte mit wachsender Anspannung. Er war sicher, in Kürze eine Rückkopplung zu erhalten, die ihm erste Informationen über das gestrandete Richterschiff lieferte.

Shukard Ziellos fragte sich, wie die WEYD'SHAN beschaffen sein mochte. Handelte es sich um ein Schiff ähnlich der ATLANC, die im Orbit über Andrabasch wartete, oder würde eine gänzlich andere Konstruktion erkennbar werden? Womöglich war die WEYD'SHAN auseinandergebrochen und barg allen Erwartungen zum Trotz kein Leben mehr. Zwei der vier Legenden berichteten unmissverständlich von einem Absturz.

Welche Bereiche des Schiffs und wie viele Besatzungsmitglieder mochten die Katastrophe überstanden haben? Die Vorstellung eines gigantischen Raumers, der kilometertief in gewachsene Gesteinsschichten eingedrungen war, ließ Shukard frösteln. Unglaubliche Energien mussten bei diesem Absturz freigesetzt worden sein. Zumindest eine der Legenden kündete davon, dass der einstige Planet Andrabasch vollständig zerstört worden war.

Shukard Ziellos fror bei dem Gedanken an diese Gewalt. Rein mechanisch griff er mit einer Hand hinter sich und zog den Poncho höher, der ihm halb über den Rücken gerutscht war. Eigentlich war es für ihn unvorstellbar, dass Atlan einem Phantom nachjagte; der Kommandant der ATLANC wusste stets, was er tat.

Wie mit Nadeln stach die eisige Kälte durch die einteilige rote Kombination aus Vielschichtgewebe, dessen isolierende Wirkung spürbar nachließ. Shukard blickte auf sein Armband. Vor wenigen Minuten knapp über dem Gefrierpunkt für Wasser, zeigte die Skala nun schon fünfzehn Celsiusgrad minus. Und die Temperatur sank weiter.

Er bemühte sich, flacher zu atmen, presste die Arme an den Leib und schob sich die klammen Fingerspitzen in den Mund. Hastig griff er wieder nach dem Poncho und zerrte sich den Stoff um den Hals. Sein Atem kondensierte als Raureif.

Eis wuchs an den Fahrstuhlwänden. Shukard konnte zusehen, wie alles weiß wurde. Schon platzten die ersten Eisplatten knisternd ab und zersprangen beim Aufprall auf dem Boden.

Aus der Höhe erklang ein unheilvolles Krachen. Die bis eben geschmeidige Fahrt des Aufzugs stockte, begleitet von einem schleifenden Geräusch. Ein heftiger Ruck stoppte die Kabine und ließ sie gegen die Gitterwand schwingen.

Shukard wurde zu Boden gerissen. Der Aufprall war schmerzhaft, ein greller Stich raste ihm durch den Kopf und raubte ihm fast die Besinnung. Warmer, metallischer Blutgeschmack ließ ihn würgen. Es rann ihm warm über Lippen und Kinn. Vergeblich krallte er die Finger in den Boden, die nächste Erschütterung warf ihn auf den Rücken.

Die Kabinendecke wölbte sich nach innen und brach auf. In der dicken Eisschicht, die mittlerweile alles überzog, klaffte ein breiter Riss. Shukard sah die massige Seiltrommel verdreht und halb aus der Verankerung gerissen. Panisch blickte er in die Höhe, sah das Führungsseil unter Schnee und Eis verschwinden und mächtige Eiszapfen an der Trommel wachsen. Das lauter werdende Knacken ließ nichts Gutes erwarten.

Eine Umlenkrolle brach, die Kabine sackte durch. Es konnten höchstens einige wenige Meter Fallhöhe gewesen sein, ehe die nächste Sicherung griff und den Sturz abfing, doch der heftige Ruck löste einen der großen Eiszapfen.

Shukard Ziellos sah das Geschoss kommen. Es würde ihn aufspießen und auf der Stelle töten. Gurgelnd wich er zur Seite aus, da neigte sich der Fahrstuhl leicht und rammte dröhnend gegen die Gitterwand. Der Eisblock verfehlte ihn um Haaresbreite und zersprang in einem Hagel von Splittern. Shukard schrie vor Schmerz – in der nächsten Sekunde voll neuer Todesangst, weil ein scharfes metallisches Peitschen den Bruch des Halteseils verriet.

Die Kabine stürzte ab. Dröhnend schrammte sie über die Schachtwand, prallte davon ab und schlug zurück zur gegenüberliegenden Seite. Das schrille Kreischen reißenden Metalls wurde ohrenbetäubend. Die Kabine platzte auf, ein Schwall von Schnee und Eis wirbelte herein. Shukard fühlte sich hochgehoben und gegen die Rückwand geworfen. Die Kälte brandete über ihn hinweg und begrub ihn unter sich. Schnee war plötzlich überall und drang ihm in Mund und Nase ein.

Die Kabine schlug auf, sprang wieder in die Höhe und überschlug sich. Shukard Ziellos wurde herumgewirbelt, aber er hatte nicht mehr die Kraft, den Aufprall abzufangen.