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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan, denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Rhodan begegnet in der kleinen Galaxis Cassiopeia den unterschiedlichsten Völkern und findet Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat. Und dieses Schiff stand unter dem Kommando von niemand anderem als Alaska Saedelaere. Perry Rhodan dringt weiter vor in die Randwelten des Chaoporters und findet sich alsbald AUF DER PHASENWELT ...
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Seitenzahl: 190
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Nr. 3132
Auf der Phasenwelt
Flug in die Kluft – ins Netz der Chaosfäden
Oliver Fröhlich
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Anzu kommt unter die Haube
2. Mekano und das ewige Ende
3. Anzu nimmt den Faden auf
4. Mekano und die wechselhafte Welt
5. Anzu verliert den Faden
6. Mekano und der Stolz der Ahnen
7. Anzu hört das Gras wachsen
8. Mekano und der lange Arm des Weltenlenkers
Leseprobe PR NEO 260 –Lucy Guth – Gestrandet in der Zeit
Vorwort
Gedankensplitter
1. Plasmakollisionen
2. Kurz zuvor im Beiboothangar
Gespannt darauf, wie es weitergeht?
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan, denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus.
Rhodan begegnet in der kleinen Galaxis Cassiopeia den unterschiedlichsten Völkern und findet Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat. Und dieses Schiff stand unter dem Kommando von niemand anderem als Alaska Saedelaere. Perry Rhodan dringt weiter vor in die Randwelten des Chaoporters und findet sich alsbald AUF DER PHASENWELT ...
Anzu Gotjian – Die Mutantin sieht vor lauter Fäden kein Gewebe.
Gucky – Der Mausbiber sucht nach Belamassu.
Perry Rhodan – Der Terraner besucht die Phasenwelt.
Belamassu
1.
Anzu kommt unter die Haube
Ein langer, rostiger Nagel bohrte sich durch Anzu Gotjians Kopf. Zumindest fühlte es sich so an. Oder besser gesagt fühlte es sich an, wie sie sich so etwas vorstellte. Nicht dass sie über viele Vergleichsmöglichkeiten verfügt hätte. Bisher hatte sich ihr noch nie ein ...
Reiß dich zusammen! Halt deine Gedanken im Zaum! Lass sie nicht zerfasern! Du hast etwas Wichtiges zu erledigen!
Tatsächlich? War das so?
Der Schmerz in ihrem Schädel war so umfassend, so raumfordernd, dass er sämtliche Erinnerungen verdrängte.
»Anzu! Was ist mit dir?«
»Geht es dir gut?«
»Sag doch was!«
»Kannst du mich hören?«
Die Stimmen, die sie umgaben, kamen ihr vage vertraut vor, aber sie konnte sie nicht zuordnen. Sie versuchte, sich an ihnen festzuklammern, an ihnen Halt zu finden wie an einem Anker. Es gelang ihr nicht. Die Worte verschwammen ineinander, verloren an Bedeutung, wurden leiser und verwehten.
Wer bist du?, erklang es stattdessen dröhnend in ihrem Bewusstsein. Die Stimme des Nagels sprach zu ihr. Die Stimme des Schmerzes.
Ergab das Sinn? Vielleicht täte es das, wenn sie sich erinnern könnte.
Bist du ein Eindringling? Nenne deine Befugnis!
Anzu begriff, dass nicht tatsächlich jemand oder etwas zu ihr sprach. Jedenfalls nicht mit Worten. Vielmehr durchwühlte dieser Jemand – oder dieses Etwas – ihren Verstand, ihr Bewusstsein und ihr gesamtes Wesen auf der Suche nach ...
Sie wusste es nicht.
Allmählich gewöhnte sie sich an den Schmerz. Erinnerungsfetzen trudelten durch ihr Gehirn.
Gucky, der sich an den Kopf fasste, aufschrie und steif wie ein Brett umkippte.
Ein Loch in der Realität, das Perry Rhodan verschluckte.
Der Krumme Gryllner, dessen Körper zuckte und sich wand.
Bedrohlich wirkende Bilder. Aber entsprach dieser Eindruck den Tatsachen?
Konzentrier dich!, ermahnte sie sich, wohl wissend, dass ihr der Nagel im Kopf das nicht gerade erleichtern würde. Wirf nicht alles durcheinander! Womit ging es los? Was kam zuerst?
Anzu ballte die Hände zu Fäusten – oder sie wollte es tun, als sie bemerkte, dass sie etwas festhielt.
Womit ging es los? Was kam zuerst?
*
»Ich will, dass du mir etwas versprichst«, sagte Anzu.
»Was denn?«, fragte Rhodan.
»Dass ihr euch bei meinem nächsten Koma hinsetzt, nichts tut und wartet, bis ich wieder aufwache. Sonst verpasse ich zu viel.«
»Einverstanden. Dafür musst du mir im Gegenzug etwas versprechen.«
»Nämlich?«
»Nicht noch mal ins Koma zu fallen.«
Anzu lächelte. »Also gut, dir zuliebe.«
Seite an Seite betraten sie den Hangar im Ringwulst der RAS TSCHUBAI. Drinnen lag ein gewaltiger Felsen, über 130 Meter lang, fast 45 Meter hoch – und walzenförmig. Das Äußere trog, denn in Wirklichkeit handelte es sich um die STATOR-FE, ein Beiboot der LEUCHTKRAFT. Dieses Raumschiff der Kosmokraten wiederum hatte sich dem Chaoporter FENERIK auf Geheiß in den Weg geworfen, um zu verhindern, dass das Chaotarchenfahrzeug etwas entdeckte, das es nicht entdecken durfte – worum auch immer es sich dabei handeln mochte.
So waren beide – LEUCHTKRAFT und FENERIK – havariert und in der Kluft gestrandet, wobei nicht einmal sicher war, ob die LEUCHTKRAFT die Kollision überstanden hatte.
Nur der STATOR-FE war es gelungen, zu entkommen und sich auf dem Planeten Ghuurdad zu verstecken. Dort hatte sie im Laufe mehrerer Jahre eine Metamorphose durchlaufen und war versteinert. Eine perfekte Tarnung, die nach der Reaktivierung des Schiffs zumindest äußerlich weiterhin bestand. Immerhin hatte der Raumer seine Technik größtenteils rückverwandelt.
Eine verrückte, verwirrende Geschichte – von der Anzu erst vor wenigen Tagen erfahren hatte.
»Mal im Ernst.« Sie deutete auf die Felswalze. »Es ist gerade lächerliche viereinhalb Wochen her, dass ich ins Koma gefallen bin. Doch trotz der kurzen Zeit habe ich so viel verpasst, dass es mir schwerfällt, den Anschluss nicht zu verlieren. Ich fühle mich, als hätte ich von einer Trivid-Serie einige Folgen übersprungen und anschließend nur eine Zusammenfassung der Handlung gelesen. Ich bin zwar auf dem Laufenden, aber es ist einfach nicht dasselbe.«
Noch immer schwirrte ihr der Kopf von den zum Teil erschütternden Neuigkeiten:
Hroch-Tar Kroko, mit dem sie gegen das Zyu gekämpft hatte, war im Einsatz schwer verwundet worden und womöglich auf Dauer kampfunfähig.
Das Trojanische Imperium der Menschen und Tefroder.
Die Gharsen, ihre Diktaturen und Galerien.
Die tefrodische Agentin Lyu-Lemolat – während Anzus Koma aus einer gharsischen Galerie befreit und später gefallen.
Ihre Lebensgefährtin Lousha Hatmoon, die sich nun stattdessen an Bord aufhielt und die vielleicht – vielleicht aber auch nicht – eine unsterbliche Meisterin der Insel war, was immer das sein mochte. Anzu hatte noch nicht die Zeit und das Interesse aufbringen können, sich mit jahrtausendealter Geschichte auseinanderzusetzen, um das zu begreifen.
Die Nano-Irritation, die Suche zunächst nach einem Passagier der STATOR-FE, dem Krummen Gryllner, dann nach dessen Commo'Dyr Vimuin Lichtschlag.
Die Auseinandersetzungen mit den Munuam.
Der Paddler Kemur, erst Gegner, dann Verbündeter, und seine Ambulanz KE-wohlfeil.
So viele Namen und Ereignisse, von denen sie sich hatte erzählen lassen. So viele Begriffe in so kurzer Zeit.
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Rhodan. »Dummerweise wartet das kosmische Theater mit dem Beginn einer Aufführung selten darauf, dass alle interessierten Zuschauer bequem in ihren Sesseln sitzen.«
»Das kosmische Theater kann mich mal.«
Im nächsten Augenblick fragte sie sich, ob sie all diese Entwicklungen tatsächlich selbst hätte miterleben wollen. Immerhin hatte sie Guckys Angebot, dem neuen Parakorps beizutreten, deshalb abgelehnt, weil sie eben gerade nicht in solche Ereignisse hineingezogen werden mochte. Nach dem Kampf gegen das Zyu, dem Koma und dem anschließenden unfreiwilligen Abstecher mit Bouner Haad in eine Saumwelt des Chaoporters musste sie sich allerdings eingestehen, dass sich diese Wunschvorstellung nicht verwirklichen ließ.
Das kosmische Theater nahm offenbar nicht nur auf seine Zuschauer keine Rücksicht, es rekrutierte auch seine Darsteller gegen deren Willen. Besser fand sie sich damit ab, als immer wieder erfolglos dagegen anzukämpfen.
Na schön, dann also auf zur nächsten Mission!
Vor der STATOR-FE stand ein deutlich kleineres, klobig wirkendes Schiff. Mit 24 Metern Höhe war es doppelt so hoch wie lang und breit. Es handelte sich um Kemurs KE-wohlfeil, seine Ambulanz, eine fliegende Werkstatt.
Neben den beiden Schiffen hatte sich bereits eine beträchtliche Anzahl von Personen versammelt.
Die Haluter Bouner Haad, Madru Bem und Kro Ganren standen am hinteren Ende der Steinwalze und unterhielten sich in einem Tonfall, den sie vermutlich für leise hielten, der aber den gesamten Hangar mit einem unterschwelligen Bassdröhnen erfüllte.
An einem eigens aufgestellten, kreisförmigen Konferenztisch saßen die Mutanten Damar Feyerlant, Shema Ghessow und Donn Yaradua sowie Gry O'Shannon und warteten augenscheinlich darauf, dass es endlich losging. Neben dem Tisch waren Karin Kafka und Anesti Mandanda in ein Gespräch vertieft, genauso wie Vetris-Molaud und Lousha Hatmoon, die sich am anderen Ende der STATOR-FE aufhielten.
In der Lücke zwischen den beiden so unterschiedlichen Schiffen standen zwei nicht weniger unterschiedliche Männer: Vimuin Lichtschlag, der zwei Meter große Pilot des Walzenschiffs, der mit seiner hellen, leicht bläulichen Haut und den schwarzen Haaren wie ein Gegenentwurf zu dem über einen halben Meter kleineren, dafür umso breiteren Glatzkopf Kemur mit der tiefschwarzen Haut und dem knallroten Bart wirkte. Während Kemur wild gestikulierte, von der KE-wohlfeil zur STATOR-FE und wieder zurück zeigte und den weitaus größten Teil eines unausgewogenen Dialogs für sich beanspruchte, ließ Lichtschlag den Wortschwall mit schmalen, zusammengepressten Lippen über sich ergehen.
»Was ist das denn?« Anzu deutete zur Wand der Hangarparzelle, wo der Krumme Gryllner ... ja, was tat er da? Tanzen? Schwer vorstellbar.
Er hielt sich in der Nähe eines Holoprojektors auf, der eine junge Frau mit großen, neugierigen Augen vor dem Krummen Gryllner erschuf. Einen Avatar von ANANSI, dem Schiffsrechner der RAS TSCHUBAI.
Der 2,22 Meter große, dürre und insgesamt etwas ungelenk wirkende Mann mit der blassblauen Haut, dem blauen Overall und dem blauen Gürtel hielt einen Arm ausgestreckt, genauso wie ANANSI. Ihre Fingerspitzen berührten sich beinahe. Oder sie hätten sich beinahe berührt, wenn ANANSI nicht nur eine Holoprojektion gewesen wäre – und wenn der Krumme Gryllner über mehr als nur angedeutete Finger verfügt hätte.
Die Augen hatte er geschlossen, das starke Kinn nach vorne gereckt. Den Oberkörper wiegte er hin und her wie im Takt einer unhörbaren Musik, gelegentlich zuckte er und wand sich, während ein überaus menschlich wirkendes, zufriedenes Lächeln auf ANANSIS Lippen lag.
Die Szenerie mutete für Anzu bizarr an, beinahe psychedelisch, als stünde das Pärchen unter Drogen.
Noch bizarrer wurde es dadurch, dass es sich bei beiden um keine Lebewesen handelte. Denn soweit Anzu es verstanden hatte, war der Krumme Gryllner eine Art biogen gesteuertes Archiv mit einem dem Zeitverlauf entzogenen Datenbestand, der hinter den Ereignishorizonten mikroskopisch kleiner Schwarzer Löcher in seinem Inneren verborgen lag.
Bei genauerem Nachdenken musste sie zugeben, dass sie es nicht verstanden hatte. Jedenfalls sah sie in dem Mann einen Informationsspeicher auf zwei Beinen, der dummerweise selbst nicht auf die Inhalte des Archivs zugreifen konnte, was seine Nützlichkeit ... nun, einschränkte.
Illustration: Swen Papenbrock
»Das konnte man in den letzten Tagen häufiger beobachten«, sagte Rhodan. »Die beiden scheinen miteinander zu kommunizieren, auf welche Art auch immer.«
Anzu wandte sich von dem sonderbaren Rendezvous ab. Es erschien ihr auf skurrile Weise intim und zerbrechlich. Nichts, dem man länger zusehen konnte, ohne dabei den Eindruck zu bekommen, man würde stören.
Sie und Rhodan gingen zum Konferenztisch.
»Nimmt Gucky nicht teil?«, fragte Anzu.
»Ich habe ihn ebenfalls zu uns gebeten. Offenbar verspätet er sich.«
»Gucky verspätet sich nie«, erklang die Stimme des Mausbibers. »Gucky kommt immer zur rechten Zeit.«
Er lümmelte auf einem vor Sekunden noch leeren Stuhl, die Arme vor der Brust verschränkt, die Füße auf der Tischplatte.
»Meinetwegen können wir anfangen«, sagte er.
*
Bist du ein Eindringling? Nenne deine Befugnis!, dröhnte es erneut durch Anzus Kopf und riss sie aus den Erinnerungen.
Mit einem Mal erkannte sie diese Nicht-Stimme. Es war ihre eigene. Ihr Verstand versuchte, das, was mit ihr geschah, in begreifbare Bilder zu übersetzen.
Sie durchlief eine Prüfung auf nonverbalem und nicht akustischem Weg. Eine mentale Durchleuchtung.
Bist du ein Eindringling? Nenne deine Befugnis!
Nur: Wer prüfte sie? Wie sollte sie bestehen, wenn sie nicht einmal das wusste? Wie sollte sie die richtigen Antworten geben, wenn sie die Fragen nicht kannte?
Jeden Moment mochte der oder das Fremde ihre Unsicherheit bemerken und sie ...
Du versuchst, dir unerlaubten Zugang zu verschaffen! Das kann ich nicht zulassen.
Da! Nun war es passiert.
Der Nagel in ihrem Kopf bewegte sich. Er bohrte tiefer. Trotzdem nahm der Schmerz nicht zu. Oder hatte sie sich nur daran gewöhnt?
Anzu mahnte sich zur Ruhe. Es brachte nichts, sich eventuelle schreckliche Konsequenzen einer nicht bestandenen Prüfung zusammenzuphantasieren. Ein neues Koma beispielsweise. Oder eine ewige Gefangenschaft mit dem mentalen Nagel im Verstand. Unendlich andauernder Schmerz.
Erinnere dich! Um welche Prüfung geht es?
Da war also diese Einsatzbesprechung gewesen. Die Zusammenstellung eines kleinen Teams.
Aber wieso nur eines kleinen?
Weil ...
Weil die STATOR-FE ...
Ja, was?
Erneut geisterte Anzu das Loch in der Realität durch die Erinnerung. Das Loch, das erst Perry Rhodan verschlungen hatte – und kurz danach ...
Danach sie.
*
Allmählich versammelten sich die Anwesenden um den Tisch. Sogar der Krumme Gryllner löste sich von seiner neuen Freundin.
»Wir sind unserem Vorhaben, in die Kluft einzufliegen, einen großen Schritt nähergekommen.« Rhodan zog eine fingerdicke, etwa 20 Zentimeter lange Röhre aus einer Tasche seines Anzugs und legte sie auf den Tisch: den desaktivierten Chaotreiber, den sie aus einem Lotsenschiff der Chaoporterflotte hatten stehlen können. »Der schwierigste Teil steht uns allerdings erst bevor. Wir müssen eine Möglichkeit finden, diese Technik für unsere Zwecke zu nutzen.«
Vielleicht hätten wir nicht nur den Treiber klauen sollen, dachte Anzu, sondern die Gebrauchsanweisung gleich mit.
Sie erinnerte sich, wie sie so eine Röhre zum ersten Mal gesehen hatte. Damals, als die Deserteure des Chaoporters sie an Bord der PINO GUNNYVEDA präsentiert hatten. Der Laichkange Hookadar hatte den Treiber geöffnet, indem er ihn an beiden Enden gepackt und Druck ausgeübt hatte. Daraufhin hatte sich die Röhre auf einen halben Meter verlängert und erst entrollen und schließlich auffalten lassen.
»Hoffentlich gelingt uns das überhaupt«, sagte sie. »Laut Hookadar reagiert der Treiber nur auf einen authentifizierten Befehl, der aus einer Berührung und einem mentalen Schaltwort besteht.«
»Wer ist Hookadar?«, wollte Lousha Hatmoon wissen.
»Eine unserer ersten Informationsquellen«, antwortete Rhodan. »Die Frage ist, ob er die Wahrheit gesagt hat – und falls ja, ob das für jeden Chaotreiber gilt.«
Berechtigter Einwand, dachte Anzu. Immerhin hatte der Laichkange damals befürchtet, die Besatzung der PINO GUNNYVEDA könne den Treiber stehlen wollen. Eine Unterstellung, die Anzu verwundert zurückgewiesen hatte.
Und nun, nicht einmal zwei Monate später, stand sie tatsächlich vor einem gestohlenen Chaotreiber. Verrückt, wie das Leben manchmal so spielte!
Oder das kosmische Theater.
»Neben der Aktivierung«, fuhr Rhodan fort, »gibt es ein weiteres Problem, für das wir allerdings bereits eine Lösung gefunden haben.«
Er sah zu Vimuin Lichtschlag, der den Faden aufnahm.
»Bei der Kluft handelt es sich um die Sextadimhalbraum-Exklave, die ein Chaoporter um sich herum erzeugt und die ihn zu Reisen zwischen den Universen befähigt. Logisch wäre daher, mit der STATOR-FE hineinzufliegen.«
»Was heißt wäre?«, fragte Gucky. »Nehmen wir etwa ein anderes Schiff?«
»Nein. Allerdings steht zu erwarten, dass der Chaotreiber als Chaotarchentechnik und die STATOR-FE als Kosmokratentechnik einander stören. Beide Technosphären sind nicht miteinander kompatibel. Deshalb wird die KE-wohlfeil als Zwischenstück dienen. Als Puffer, wenn ihr so wollt. Ich habe mit Kemur Möglichkeiten diskutiert, die Schiffe miteinander zu verbinden. Der Treiber wird also in der Ambulanz zum Einsatz kommen.«
»Warum überhaupt die STATOR-FE?«, fragte Karin Kafka. »Du hast zwar gesagt, es wäre logisch. Aber könnten wir nicht ein anderes Schiff benutzen, das sich mit Chaotarchentechnik weniger schlecht versteht? Die Deserteure von FENERIK sind schließlich mit einem beliebigen Raumer durch die Kluft auf uns zu gesteuert.«
»Allerdings hatten sie einen Chaogator an Bord, der dort navigieren konnte«, gab Anzu zu bedenken.
»Das ist richtig«, sagte Lichtschlag. »Deshalb gehe ich davon aus, dass mein Schiff am ehesten mit den Verhältnissen in der Kluft zurechtkommt. Mit mir als Piloten, jedenfalls.«
»Denkbar«, lenkte Kafka ein. »Letztlich ist es mir egal, an Bord welches Schiffs ich hineinfliege.«
»Sofern du uns begleitest.«
»Was soll das nun wieder heißen? Sollte bei einem Vorstoß zum Chaoporter nicht eine Xenotechnik-Analystin dabei sein? Bin ich nicht deshalb überhaupt hier? Willst du mir etwa die Möglichkeit verwehren, einen Blick auf derartige Technik zu werfen?«
Wobei die Technik so xeno sein dürfte, dass deine Analystenfähigkeiten an ihre Grenzen stoßen könnten, dachte Anzu, behielt es aber für sich.
»Davon kann keine Rede sein«, sagte Rhodan. »Allerdings werden wir nur ein verhältnismäßig kleines Team zusammenstellen.«
»Wieso?«, fragte Bouner Haad.
»Weil die STATOR-FE noch nicht wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte ist«, antwortete Vimuin Lichtschlag. »Die Flucht aus der LEUCHTKRAFT und die nicht legitimierte Passage der Kluft hat sie erheblich beschädigt. Die Expedition startet also mit einer reparierten STATOR-FE. In seinem jetzigen Zustand verträgt das Schiff nicht mehr als etwa zehn Passagiere. Vielleicht weniger. Bei dem Konglomerat aus kosmokratischer, chaotarchischer und Paddler-Technik würde jede zusätzliche Person zu einem unkalkulierbaren Risiko führen.«
»Sie verträgt nicht mehr?«, echote Kafka. »Das klingt, als wären wir keine Fluggäste, sondern ... ich weiß auch nicht, Fremdkörper. Ein Giftstoff, mit dem ein Organismus zurechtkommen muss und von dem er nur eine gewisse Dosis verkraftet. Das ist absurd.«
Lichtschlags Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Lächelns von kurzer Lebensdauer. »Was weißt du über die LEUCHTKRAFT?«
»Da sie deutlich vor meiner Zeit in den Weiten des Universums verschwunden ist, weiß ich das, was man aus Datenbanken über sie erfahren kann. Sie ist ein kobaltblauer Walzenraumer, zwei Kilometer lang, fünfhundert Meter Durchmesser. Früher das Schiff einer Beauftragten der Kosmokraten, deren Name mir gerade nicht einfällt.«
»Samburi Yura«, sagte Rhodan.
»Danke. Was weiß ich noch? Ach ja, die LEUCHTKRAFT ist irgendwie unserer Raum-Zeit ... entrückt. Sie existiert in einem eigenen Bezugssystem. Ihr Inneres ist angeblich aus mehreren Pararealitäten aufgebaut, sodass man sich dort außerhalb des bekannten raum-zeitlichen Bezugsrahmens aufhält. In einer Datenbank habe ich die hübsche, mir allerdings unverständliche Beschreibung von einem Kaleidoskop hinter einem eigenen Ereignishorizont gelesen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Lichtschlag. »Und die STATOR-FE ist ein Beiboot der LEUCHTKRAFT. Kein normales, gewiss. Aber es wurde von ihr gewissermaßen adoptiert. Wenn du all das über das Mutterschiff weißt, wenn du ihre Eigenheiten so treffend darstellst, wie kannst du dann an meinen Worten zweifeln, dass mein Schiff aktuell nicht mehr als zehn Passagiere verträgt?«
Karin Kafkas Ohrläppchen und Wangen färbten sich rot. »Das habe ich ... nie behauptet. Ich meinte nur, dass ...« Sie machte eine kurze Pause. »Also, wer soll mitfliegen?«
»Vimuin ist als Pilot der STATOR-FE selbstverständlich gesetzt«, sagte Rhodan. »Ebenso wie Kemur als Eigentümer der Ambulanz, die im Notfall hilfreich sein könnte. Ich werde auch dabei sein. Außerdem begleitet uns Lousha Hatmoon als Vertreterin der Tefroder. Darauf bestehen die Agentur und der Virth Maatvan-Vao.«
Anzu wunderte sich nicht, dass die Agentur für die Stabilität Karahol, der tefrodische Geheimdienst, jemanden aus ihren Reihen bei der Mission dabeihaben wollte. Schließlich lag die Kleingalaxis Cassiopeia nach galaktischen Maßstäben nicht allzu weit von Karahol, also Andromeda, entfernt. Ein Chaoporter in der Nachbarschaft durfte mit Fug und Recht als Gefahr für den Namensbestandteil betrachtet werden, für den die Agentur stand: die Stabilität. Da die Tefroder aktuell den Terranern, eigentlich der gesamten Milchstraße gegenüber, gewisse Vorbehalte hegten, war es verständlich, dass sie ihnen den Vorstoß in die Kluft nicht allein überlassen wollten.
»Damit bleiben maximal sechs Plätze zu besetzen«, fuhr Rhodan fort.
»Fünf«, widersprach Lousha Hatmoon.
»Weshalb?«, fragte Gry O'Shannon.
»Weil ich Lousha begleiten werde«, antwortete Vetris-Molaud an Hatmoons Stelle.
Keine Bitte, wie Anzu bemerkte, sondern die schlichte Feststellung einer Tatsache. Sie überlegte, ob sie ebenso vorgehen sollte: »Ich gehe auch mit!«, ohne Raum für eine Diskussion zu lassen. Wenn Vetris das konnte, dann sie schon lange. Oder? Sie wusste nur nicht, ob sie es überhaupt wollte. Egal, was sie vor einigen Minuten gedacht hatte.
»Ich mag mich ganz gewiss nicht darum reißen, ebenfalls mitzukommen«, sagte O'Shannon. »Aber ich wiederhole meine Frage: Weshalb?«
»Weil er ein Bindeglied zwischen Tefrodern und Terranern darstellt«, antwortete nun wieder Hatmoon. »Immerhin ist er ein Milchstraßen-Tefroder.«
»Einverstanden«, sagte Rhodan.
»Bleiben damit nicht eigentlich nur noch vier Plätze übrig?«, wollte Anzu mit Blick auf den Krummen Gryllner wissen. Oder zählte er womöglich gar nicht als Passagier?
Lichtschlag sah das personifizierte Archiv an, das reglos neben dem Tisch stand. »Ich schlage vor, du bleibst an Bord der RAS TSCHUBAI«, sprach er es an. »In Sicherheit.«
»Das will ich gerne tun«, sagte der Krumme Gryllner. »Ich verstehe mich gut mit ANANSI und möchte die Freundschaft weiter ausbauen. Das kostet Zeit, die zu investieren mir Freude machen würde.«
Nur mit Mühe konnte Anzu ihre Augenbraue abhalten, in die Höhe zu schnellen. Freundschaft? Mit der Semitronik eines Schiffs? Aber warum nicht? Als es sie mit Bouner Haad in eine der Saumwelten von FENERIK verschlagen hatte, hatten sie sich auch mit einem Klon-Schildkröten-Krieger-Cyborg angefreundet.
»Außerdem möchte ich«, sagte Rhodan, »dass uns Anzu begleitet.«
Aha, dachte sie.
»Erstens könnte uns ihre Gabe der Parasicht wertvolle Dienste leisten, zweitens konnte sie auf FENERIK bereits Erfahrungen in puncto Chaoporter sammeln.«
»In einem völlig unbedeutenden Randgebiet«, schränkte sie ein. »Ob das wirklich weiterhilft, kann ich nicht beurteilen. Zumal unser Ziel vermutlich nicht der Chaoporter selbst sein dürfte, sondern vorrangig die LEUCHTKRAFT. Oder sehe ich das falsch?«
»Nein, das siehst du keineswegs falsch. Wir ...«
»Wäre FENERIK nicht das sinnvollere Ziel?«, fragte Lousha Hatmoon.
»Ich lasse Anzu nicht allein noch mal in die Nähe des Chaoporters«, sagte im gleichen Augenblick Bouner Haad. »Also komme ich ebenfalls mit.«
Anzu überlegte, anzumerken, dass sie noch gar nicht zugestimmt hatte. Aber sie entschied sich, den Mund zu halten. Es hatte ohnehin keinen Sinn. Was das anging, waren die Würfel gefallen, solange sie sich nicht mit Händen und Füßen wehrte. Und das würde sie bestimmt nicht tun. Also fügte sie sich in ihr Schicksal. In das kosmische Theater, das sie trotz allem, das musste sie zugeben, ein wenig reizte.
Oder auch ein wenig sehr.
»Ihr könnt ja wohl kaum auf den Retter des Universums verzichten«, piepste Gucky.
Plötzlich redeten alle durcheinander, stellten klar, warum auch sie unbedingt dabei sein mussten, und debattierten über das Ziel der Mission.
Rhodan hörte dem Stimmengewirr etwa eine Minute zu, dann hob er die Arme. »Für jeden von euch gibt es gute Gründe, die Mission zu begleiten. Die Entscheidung liegt jedoch nicht nur bei uns. Deshalb habe ich euch in diesen Hangar gebeten – und nicht in einen Konferenzraum.«
»Wie meinst du das?«, fragte Vetris-Molaud.
»Wir fragen die STATOR-FE«, antwortete Vimuin Lichtschlag an Rhodans Stelle. »Sie muss uns sagen, wie viele Passagiere genau sie zu transportieren bereit ist. Und gegebenenfalls wen.«
»Und wie soll sie das tun?«
Lichtschlag löste ein flaches, graues Gerät von seinem Gürtel. Der Schlüssel, der ihn als Commo'Dyr auswies, ähnelte einem Dominostein.
Anzu sah nicht, wie der Beibootkommandant das Instrument aktivierte, aber plötzlich erschienen frei schwebende, in vielen Farben leuchtende Lichtbahnen zwischen dem Schlüssel und der STATOR-FE. Nur wenige Sekunden später erloschen sie wieder. Stattdessen stand ein schwarzer Fleck im Raum und drängte die Realität zur Seite.