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Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, schafft ein neues Bewusstsein. Mit der Gründung der Terranischen Union beendet Rhodan die Zeit der Nationen, ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine beispiellose Ära des Friedens und des Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch sie kommt zu einem jähen Ende, als das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle bringt. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während die globale Untergrundorganisation Free Earth den Kampf gegen die Besatzer aufnimmt. Perry Rhodan wird zum Symbol für den Freiheitswillen der Menschheit, fieberhaft gesucht von den Besatzern. Doch der Mann, der die Erde einte, entkommt ins All - und gerät unverhofft in einen Konflikt, der seit Jahrzehntausenden im Verborgenen tobt ...
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Seitenzahl: 225
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Band 88
Schläfer der Ewigkeit
von Oliver Fröhlich
Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte.
Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, schafft ein neues Bewusstsein. Mit der Gründung der Terranischen Union beendet Rhodan die Zeit der Nationen, ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine beispiellose Ära des Friedens und des Wohlstands scheint bevorzustehen.
Doch sie kommt zu einem jähen Ende, als das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle bringt. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während die globale Untergrundorganisation Free Earth den Kampf gegen die Besatzer aufnimmt.
Perry Rhodan wird zum Symbol für den Freiheitswillen der Menschheit, fieberhaft gesucht von den Besatzern. Doch der Mann, der die Erde einte, entkommt ins All – und gerät unverhofft in einen Konflikt, der seit Jahrzehntausenden im Verborgenen tobt ...
INNESAY – Perry Rhodan
23. Dezember 2037
Eine Sardine, die man in ihrer Dose ins Weltall schießt, kann sich nicht beengter fühlen.
Natürlich war Rhodan bewusst, dass dieser Gedanke übertrieben war. Die STARDUST, mit der sie vor anderthalb Jahren zum Mond geflogen waren, hatte ebenfalls alles andere als ein Geräumigkeitswunder dargestellt. Aber seitdem hatte er sich an Bord so vieler großer Raumschiffe aufgehalten, dass ihm die INNESAY im Vergleich dazu winzig vorkam.
Du solltest keine Ansprüche stellen, erklang eine Stimme in seinem Kopf. Rhodanos' Stimme. Das Enteron benutzte sie selbst dann, wenn es auf geistigem Weg Kontakt mit ihm aufnahm. Sannasu hat dich und Reginald mithilfe des Essat-Aufklärers gerettet. Hätte sie euch nicht mit dem Traktorstrahl an Bord gezogen, ihr wärt in Terrania zurückgeblieben ...
... und immer noch in der Gewalt von Fürsorger Satrak, der längst die Geduld mit seinen verstockten Gefangenen verloren hätte, unterbrach Rhodan. Ich weiß. Er sah zu Boden, wo zu seinen Füßen unter der ungepolsterten Kunststoffschale, die ihm als Sitzgelegenheit diente, das Enteron kauerte. Oder lag. Oder schwebte. Schwer zu sagen bei einem amorphen Wesen, das ihn in den letzten Stunden zwar manchmal an einen gedrungenen schwarzen Hund erinnert hatte, aber eben nicht immer. Gelegentlich hatte es sich trotz Schwerelosigkeit wie eine Pfütze über den Boden der Zentrale ausgebreitet, sich in eine kopfgroße Kugel verwandelt oder gar die Form von Rhodanos' Stock angenommen, mit dem es einen Tag zuvor verschmolzen war.
Was das Enteron mit dem Gestaltwechsel bezweckte, war Rhodan nicht klar. Vielleicht wollte es in Übung bleiben. Oder es testete seine Fähigkeiten aus. Fähigkeiten, von denen Rhodan nicht wusste, wie weit sie reichten. Ich stelle keine Ansprüche. Wie kommst du darauf? Kannst du Gedanken lesen?
Nur, wenn du willentlich mit mir kommunizierst. Aber ich spüre deine Unruhe. Du fühlst dich unwohl.
Rhodan ließ den Blick über den Rest der Besatzung gleiten.
Die junge Ara Leyle, eine Vertraute des Fürsorgers Satrak, die sie aus Gründen begleitete, die sich Rhodan auch jetzt noch, einen Tag nach ihrer Flucht von der Erde, nicht erschließen wollten.
Die Puppe Sannasu in Jenny Whitmans Leib, die als eine von Callibsos Geschöpfen versucht hatte, Rhodan am Mondflug zu hindern.
Ehemalige Handlanger von Hintermännern mit undurchsichtigen oder gar feindlichen Absichten. Eine nicht gerade Vertrauen erweckende Crew. Glücklicherweise war mit Reginald Bull wenigstens ein Mensch an Bord, dem er blind vertrauen konnte.
Von einem Beckengurt gehalten saßen seine Begleiter mit vorgestreckten, in der Schwerelosigkeit schwebenden Armen in ähnlich unbequemen Kunststoffschalen wie Rhodan, starrten geradeaus und hingen ihren Gedanken nach. Was blieb ihnen anderes übrig in einem etwa elf Meter langen Schiff, das von außen wie ein vage keilförmiger Felsbrocken anmutete und dessen Inneres diesen Eindruck unterstrich? Der Raum, den Rhodan für sich gerade noch euphemistisch Zentrale genannt hatte, erinnerte eher an eine winzige Höhle, deren Felswände rote Adern aus unbekanntem Material durchzogen. Eingelassen in den Stein ragten Aggregate ins Rauminnere und beanspruchten den größten Teil des ohnehin knappen Platzes für sich. Ein Ort, an dem der Besatzung nur drei Möglichkeiten blieben.
Herumsitzen und abwarten. Herumschweben und abwarten. Oder sich in eine der sechs Kojen legen und abwarten.
Du hast recht, bestätigte Rhodan dem Enteron. Ich fühle mich unwohl. Aber nicht wegen meiner hohen Ansprüche, sondern weil es mir zuwider ist, zur Untätigkeit verdammt zu sein.
Du denkst an Thora.
Rhodan zuckte zusammen. Sagtest du nicht, dass du meine Gedanken nicht lesen kannst?
Das ist bei etwas so Offensichtlichem nicht nötig.
Das Enteron legte eine Pause ein, und in Rhodan stiegen die Erinnerungen an ihre Flucht hoch.
Ihm, Reg und Thora war es gelungen, heimlich aus dem Palast des Fürsorgers in Terrania zu entschlüpfen. Doch am Ufer des Goshun-Sees war ihr Glück erschöpft gewesen. Die Wachen hatten sie bemerkt, das Feuer eröffnet. Ihre Flucht war zu Ende gewesen. Eigentlich. Doch dann war Sannasu mit der INNESAY aufgetaucht und hatte ihn und Reg an Bord genommen. Aber Thora ... das Energiefeuer hatte die Arkonidin von ihnen getrennt. Sie hatten nichts für sie tun können.
Doch vielleicht hatten es andere vermocht. Das Letzte, was Rhodan gesehen hatte, bevor die INNESAY mit Vollschub beschleunigt hatte, waren zwei Männer gewesen, die aus dem Nichts heraus an Thoras Seite erschienen waren und sie gepackt hatten.
Dieses Bild gab Rhodan Hoffnung. Bei den Männern musste es sich um Mutanten gehandelt haben. Thora musste von Free Earth gerettet worden sein. Wenn nicht ... für die Arkoniden war sie eine Verräterin. Und für Verräter gab es im Imperium keine Gnade ...
Sei nicht betrübt, sagte das Enteron. Thora ist zäh. Sie wird sich durchschlagen.
Rhodan stutzte. Zeigte das sonst so zielgerichtete Wesen plötzlich Mitgefühl, versuchte es, ihn aufzumuntern?
Und selbst wenn nicht, fuhr es fort, wirst du andere Frauen finden. Es gibt immer andere.
Natürlich gibt es die. Aber keine wie Thora. Sie ist zu etwas Besonderem für mich geworden, verstehst du? Und zu einer treuen Freundin der Menschheit.
Freunde kommen und gehen. Du kannst dir die Frauen aussuchen.
Das bezweifle ich. Außerdem will ich es nicht.
Es ist deine Entscheidung. Hauptsache, du weißt die Prioritäten richtig zu setzen und vernachlässigst in deiner Sorge um Tho...
Ich vernachlässige gar nichts! Obwohl das Gespräch auf geistigem Weg stattfand, kam es Rhodan vor, als habe er das Enteron angebrüllt. Er löste die Schnalle des Beckengurts und versuchte aufzustehen. Die Riemen schnellten zur Seite, schlugen gegen die Sitzschale, prallten zurück und trudelten in der Schwerelosigkeit aus. Rhodan hätte sich mit der energischen Bewegung an die Decke der Zentrale katapultiert, wenn Innesay, die Schiffspositronik, nicht sofort die Vakuhaftung aktiviert hätte. Für das bloße Auge unsichtbare Poren im Boden saugten blitzschnell die Luft aus den Wölbungen des Schuhprofils und sorgten für ein Vakuum, das den Träger des Essat-Anzugs am Boden hielt.
Bei einer zehnminütigen Expedition durch die INNESAY kurz nach Beginn ihrer Reise hatte Rhodan sechs der Schutzanzüge gefunden. Genauso viele wie Ruhekojen, wenn man dieses Wort für die engen, in den Fels führenden Röhren bemühen wollte.
Zuerst war er nur froh gewesen, sich aus der alten Kleidung herauszuschälen. Nach seiner Gefangenschaft in den Schlafbäumen hatte sie zahlreiche Risse, Löcher und Flecken aufgewiesen. Sie hatte erbärmlich gestunken und war so klebrig gewesen, dass sich Rhodan wie ein wandelnder Fliegenleimstreifen vorgekommen war.
Zu seiner Überraschung verfügten die Ruhekojen sogar über eine Hygienefunktion. Bei geschlossener Röhre legten sich feuchte Tücher um den Körper, rubbelten einem den Schmutz von der Haut, während man sich an Schlaufen festhielt. Rhodan war sich vorgekommen wie in einer Autowaschanlage, aber danach hatte er sich wenigstens wieder sauber gefühlt.
»Eine der Sonderausstattungen in Callibsos Schiff«, hatte Innesay gesagt. Obwohl sie als Positronik nicht zu Gefühlen fähig war, hatte es geklungen, als läge ein Lächeln in ihrer mädchenhaften Stimme.
Das nächste Extra hatte Rhodan kennengelernt, als er erst in einen weißen, elastischen Bodysuit geschlüpft war, der sich trotz geringer Größe seinen Proportionen perfekt angepasst hatte, und anschließend den Schutzanzug angelegt hatte.
»Die Vakuhaftung verhindert unbeabsichtigtes Umherschweben. Zum Laufen taugt sie aber nicht.«
Rhodan hatte es als gewöhnungsbedürftig empfunden, von der Stimme eines acht- oder zehnjährigen Mädchens ein Raumschiff erklärt zu bekommen. Nun, fast einen Tag später, musste er feststellen, dass Innesay mit ihrer Einschätzung recht hatte.
Der Schwung des ruckartigen Aufstehens trieb Rhodan in die Höhe. Nur die am Boden haftenden Schuhe verhinderten, dass er vollständig abhob und gegen die Decke prallte. Stattdessen lenkten sie die Bewegungsenergie in seinem Körper um, und plötzlich drohte er nach vorne wegzukippen. Innesay interpretierte die Situation richtig. Sie sah das Verkrampfen der Fuß- und Beinmuskeln nicht als einen beabsichtigten Schritt an und hielt das Vakuum aufrecht.
Rhodan ruderte mit den Armen. Dank seiner Ausbildung verfügte er über reichlich Erfahrung mit der Schwerelosigkeit, trotzdem vergingen einige Sekunden, bis er sich wieder unter Kontrolle bekam.
»Willst du uns auf dem Flug nach Derogwanien mit akrobatischen Slapstick-Einlagen die Zeit vertreiben?«, fragte Reginald Bull mit breitem Grinsen.
»Das würde dir so passen. Ich brauche nur ein bisschen Auslauf.« Rhodan setzte zu einem Schritt in Richtung des Ausgangs an – ein weiterer Euphemismus für das kleine Lamellenschott. Die Positronik gab den Fuß sofort frei. Anders als beim normalen Gehen zog die Schwerkraft das Bein allerdings nicht nach unten, und so musste er es in einer bewussten Bewegung wieder aufsetzen. Er löste den zweiten Fuß. Es fühlte sich an, als müsse er einen sonst automatisierten Bewegungsablauf neu lernen. Nein, zum Laufen taugte die Vakuhaftung wirklich nicht.
»Bitte entschuldigt die Unannehmlichkeiten«, sagte Innesay, als Rhodan gerade zu einem weiteren Schritt ansetzte. Ihre Stimme klang aufrichtig betrübt.
»Welche Unannehm...«
Schlagartig erlosch das schummrige Licht in der Zentrale. Sogar das rötliche Holo, das Steuerinterface des Schiffs, wich einer tiefen Dunkelheit. Gleichzeitig versagte die Vakuhaftung. Rhodan, noch immer in der Bewegung, stieß sich ungewollt ab und schoss in die Höhe. Oder zur Seite weg? Er konnte es in der Finsternis nicht beurteilen.
»Perry!«, rief Reg.
Rhodans Fußspitze prallte gegen ein Hindernis, und Reginald Bull ließ einen unterdrückten Schmerzensschrei hören.
»Halt dich fest!«
Kein allzu hilfreicher Tipp, wenn man nicht sah, wohin einen der eigene Schwung schleuderte. Instinktiv zog Rhodan den Kopf ein. Irgendwann musste der Aufprall kommen. Gegen die Felswand oder eines der Aggregate. Vielleicht mit den Beinen zuerst. Oder wenigstens mit der Schulter.
Er streckte die Arme aus, griff in die Finsternis, wollte etwas zu packen kriegen, sich daran festklammern.
Da traf ihn der Schlag gegen den Kopf. Ein metallischer Laut erklang. Schmerz flammte in seinem Schädel auf.
Und dann wurde die Dunkelheit noch dunkler.
Du treibst in einem Meer aus Nichts.
Du weißt nicht, wer du bist.
Du weißt nicht, wo du bist.
Aber du weißt, dass unter dir etwas lauert, das dich in die Tiefe ziehen will.
Da! Eine Berührung am Fußknöchel. Es – was auch immer dieses Es sein mag – schlingt sich um deine Wade, kriecht am Bein entlang.
Nein! Das darf nicht geschehen. Du musst widerstehen, musst dich wehren.
Lass los!, sagt eine Stimme in deinem Kopf. Ergib dich mir!
Du kennst die Stimme. Es ist deine – und zugleich auch nicht. Sie gehört einer anderen Version deiner selbst. Einer älteren, erfahreneren und härteren Version. Einer, zu der du nie werden willst.
Aber es kann geschehen, nein: es wird geschehen, wenn du dich hinabziehen lässt.
Überlass mir die Kontrolle!
Du versuchst, dich festzuhalten, aber wohin du greifst, du fasst ins Leere. Das Wesen aus der Tiefe hat leichtes Spiel.
Du schlägst um dich, strampelst mit den Beinen und kommst trotzdem nicht frei.
Du hast verloren, und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst.
Rhodan erwachte aus der Bewusstlosigkeit.
Zuerst spürte er das Hämmern im Kopf, dann eine Hand, die seinen Fußknöchel umklammerte. Nein, keine Hand, sondern ...
Keine Angst, sagte das Enteron. Ich ziehe dich zur Sitzfläche zurück.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jenny Whitman. Eine Stimme aus der Dunkelheit.
»Geht schon. Ich habe mir nur den Kopf ein bisschen angeschlagen.« Plötzlich fühlte Rhodan wieder Boden unter den Füßen. Die Vakuhaftung blieb desaktiviert. Er griff hinter sich, bekam die Sitzschale zu fassen, zog sich hinein, fummelte nach dem Beckengurt und schnallte sich an. Erst dann löste das Enteron den Strang, den es ausgebildet hatte, von Rhodans Knöchel. »Was ist passiert?«
Du blutest.
Rhodan fasste sich an den Hinterkopf. Dorthin, wo er mit der Zentralewandung kollidiert war. Er fühlte Feuchtigkeit. Das fehlte noch, dass seine Blutstropfen durch die INNESAY schwebten.
Das Enteron schlängelte sich an ihm hoch, kroch ihm über den Nacken und legte sich um den Hinterkopf.
Nur eine Platzwunde. Ich diene dir als Verband, bis die Blutung aufhört.
Danke, antwortete Rhodan in Gedanken.
»Wir wissen es nicht«, sagte Reg.
Für einen Augenblick wusste Rhodan nicht, was sein Freund damit meinte, dann erinnerte er sich, eine Frage gestellt zu haben.
»Plötzlich wurde es dunkel«, fuhr Bull fort. »Aber das hast du ja selbst mitbekommen.«
»Wie lange war ich ohnmächtig?«
»Du warst bewusstlos? Haben wir gar nicht bemerkt. Kann also nicht lange gewesen sein. Eine oder zwei Sekunden.«
»Ich sitze wieder auf meinem Platz. Das Enteron hat mich von der Decke weggeklaubt. Du musst dich also nicht sorgen, dass ich dir noch einen Tritt verpasse.«
»Freut mich zu hören.«
»Innesay, was ist geschehen?«
Die Positronik schwieg.
»Ich habe einen Verdacht«, sagte Whitman. »Ich glaube, das Schiff stellt sich tot. Es hat alle Systeme gestoppt, um die Energieemission so gering wie möglich zu halten.«
»Warum?«
Wie zur Antwort flammte beim Steuerungsinterface ein Holo auf. Es zeigte einen arkonidischen Schweren Kreuzer. Kurz darauf erlosch es. Erneut umfasste Finsternis die Zentrale.
»Verdammt«, flüsterte Bull, als fürchte er, die Kreuzerbesatzung könne hören, wenn er lauter sprach. »Haben sie uns gefunden?«
»Unwahrscheinlich«, entgegnete Jenny Whitman ebenso leise. »Das hätten wir bereits zu spüren bekommen.«
»Warum spricht das Schiff nicht mit uns?«, fragte Leyle. »Wieso erklärt es uns nicht die Situation?«
»Ihr habt die roten Adern in den Schiffswänden gesehen?«
»Natürlich«, bestätigte Rhodan. »Weißt du ... Wissen Sie, woraus sie bestehen?«
»Wir können gerne bei der vertraulichen Anrede bleiben. Die Adern bestehen aus Halaton. Sie sorgen für den Ortungsschutz des Schiffs.«
Rhodan fragte sich, woher Whitman so viel über die INNESAY wusste. Dann rief er sich ins Gedächtnis, dass er es eben nicht mit Jenny Whitman zu tun hatte, sondern mit Sannasu, einer von Callibsos Puppen. Natürlich wusste sie über das Raumschiff ihres Herrn Bescheid.
»Allerdings«, fügte sie hinzu, »sorgen sie für den einzigen Ortungsschutz. Essat verfügen weder über Schutzschirme noch Bewaffnung noch Überlichttriebwerke. Wenn der arkonidische Kreuzer uns findet und als das erkennt, was wir sind, haben wir keine Chance. Vielleicht wäre es nicht nötig, sich energetisch tot zu stellen. Aber ich schätze, Innesay geht lieber auf Nummer sicher. Dass sie uns das Holo des Kreuzers gezeigt hat, war ein Service von ihr, damit wir wissen, woran wir sind.«
Die nächsten Minuten – oder waren es Stunden? – vergingen in beklommenem Schweigen. Rhodan konzentrierte sich auf die Laute des eigenen Atems und den der anderen. Gelegentlich hörte er das Schaben eines Schutzanzugs, wenn sich jemand bewegte. Ansonsten herrschte Totenstille.
Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam ihn. Wie gefangen in seinem Körper, abgeschnitten von den wichtigsten Sinneswahrnehmungen. Er kam sich blind und annähernd taub vor. Selbst das unbewusste Erspüren der Schwerkraft fehlte.
Er hatte Geschichten von Kriegsverletzten gelesen, die blind, taub und vom Hals abwärts gelähmt ans Bett gefesselt waren, unfähig zu fühlen oder sich mitzuteilen, den Erinnerungen an die Gräuel des Kriegs hilflos ausgeliefert. Und den eigenen Gedanken, die darum kreisen mochten, wie lange man diesen Zustand noch ertragen musste, ohne ihn selbst beenden zu können. Tage? Monate? Jahre?
Obgleich Rhodans Situation bestenfalls den Hauch einer Ähnlichkeit mit der der Kriegsverletzten aufwies, glaubte er doch, die Hoffnungslosigkeit der armen Kerle erahnen zu können.
Auch ihm gingen Gedanken durch den Kopf, die er nicht zum Schweigen brachte.
Wie nah war der Kreuzer? Hatte er die INNESAY entdeckt? Beobachtete er noch oder bereitete er schon einen Angriff vor? Würden sie etwas hören, sehen, riechen, wenn ein Energiestrahl den Essat-Aufklärer zerfetzte? Oder würde ihre Existenz einfach enden?
Doch selbst wenn der Kreuzer sie nicht behelligte, konnte sich die Schiffspositronik aus dem eigenverordneten Schlaf wecken? Bestand die Gefahr, dass die Arkoniden längst abgezogen waren, Rhodan und seine Begleiter trotzdem für Tage, Monate oder Jahre blind, taub und gefühllos an das winzige Felsschiff gefesselt waren wie die Kriegsverletzten aus den Geschichten an ihr Bett? Kannte sich Jenny Whitman gut genug aus, um Innesay zu aktivieren oder Callibsos Schiff – dessen einzige Steuereinheit das erloschene rote Holo darstellte – per Hand nach Derogwanien zu bringen?
Derogwanien ist nicht wichtig, meldete sich plötzlich das Enteron zu Wort.
Wieder erklang die Stimme nur in Rhodans Kopf, dennoch ließ das Durchbrechen der Stille ihn zusammenschrecken.
Für mich ist es das. Er ging nicht darauf ein, dass das Wesen offenbar erneut seine Gedanken gelesen hatte – trotz der Behauptung, es nicht zu können. Eine Lüge? Ich muss wissen, wieso Callibso mich am Mondflug hindern wollte und welche Rolle die Menschheit im Ringen spielt. Welche Rolle ich darin spiele.
Es ist ihm nicht gelungen, dich daran zu hindern, erinnerte ihn das Enteron. Warum ist es für dich so wichtig, zu erfahren, weshalb er es versucht hat? Das Ringen dauert bereits so lange an, dass die Antworten auf deine Fragen warten können.
Woher willst du das wissen?
Rhodanos ging nicht darauf ein. Du vernachlässigst die wirklich bedeutsamen Aufgaben: den Vorstoß zur Elysischen Welt, die Vernichtung der Schablonen. Denk an das unendliche Leid, dass du deinen Brüdern ersparen kannst! Wie ich befürchtet habe, setzt du deine Prioritäten falsch.
Nicht falsch. Nur anders als du.
Das Enteron schwieg wie ein trotziges Kind. Mit einem Mal fielen Rhodan die Gedankenfetzen während seiner kurzen Bewusstlosigkeit ein. Zunächst sinnlos erscheinende Bilder von einem Etwas, das unter ihm lauerte und drohte, ihn in die Tiefe zu ziehen. Bestand diese Gefahr tatsächlich? Er wusste, dass das amorphe Wesen sich von ihm ernährte, ihm Kraft, Energie, ja: Leben entzog. Vielleicht trank es im Augenblick sogar das Blut aus der Kopfwunde. Eine bizarre Idee, aber war sie deshalb von der Hand zu weisen?
Er musste an Rhodanos' Stock denken, der nach dem Tod seines Besitzers zurückgeblieben, aber dank Leyle doch zu ihm gefunden hatte. Ein schier unglaublicher Zufall? Oder hatte die so harmlos wirkende Gehhilfe Rhodan und mit ihm das Enteron mit Bedacht gesucht und gefunden? Oder andersherum: Hatte das Enteron nach dem Stock gerufen, um mit ihm verschmelzen und zu voller Stärke gelangen zu können?
Die Vorstellung ließ Rhodan erschaudern. Er nahm sich vor, vorsichtiger im Umgang mit dem Wesen zu sein. Er würde nicht zulassen, dass es ihn in die Tiefe zog.
KOLLRAN – Kittur
Die Herausforderungen des Lebens sind unvorhersehbar; wir geloben, uns ihnen zu stellen und alles zu tun, um sie zu meistern.
Der Satz gehörte nicht zu den sechs Gelübden, die die Ersten den Errkarem hinterlassen hatten. Kittur bedauerte das. Er hatte sich den Schwur selbst auferlegt und handelte danach, gleichgültig, welchen Preis er dafür bezahlen musste. Kein Preis war zu hoch, wenn man das Richtige tat. Er hätte sich gewünscht, dass mehr Sonnenkinder so dachten wie er.
Er betrachtete den Stumpf seines linken Arms, der knapp oberhalb des Ellenbogens endete.
Nein, kein Preis war zu hoch. Nicht einmal die eigene Unversehrtheit.
Kittur schwebte in der Krankenstation der KOLLRAN über dem transparenten Behälter, dessen Inhalt sie den Orristan gestohlen hatten.
Einige Shedarrtai haben ihr Leben gegeben, um dich hierherzubringen, sagte er in Gedanken zu dem Mann mit der schwarzen Sternenhaut, anstatt zu gestikulieren. Der Asskor Tavirr, wie der Schläfer der Ewigkeit bei den Orristan hieß, hätte es ohnehin nicht gesehen. Der Holoschirm neben der Stasisliege zeigte zwar eine geringfügige Hirnaktivität an, aber der Schläfer stand bestenfalls am Rande des Erwachens. Lass es nicht umsonst gewesen sein! Erweise dich des Risikos wert, das wir eingegangen sind. Gib den Errkarem eine Perspektive. Enttäusch mich nicht.
Über zwei Drittel der Heimreise nach Ettves hatten sie inzwischen zurückgelegt. Das entsprach ungefähr fünf Tagen auf der Warmen Welt. Seit Langem hatte er sich angewöhnt, Zeitangaben zumindest für den Eigengebrauch nach den Verhältnissen der Warmen Welt zu bestimmen. Unnötig für einen Errkarem, aber es schadete nie, auf alle nur denkbaren Möglichkeiten vorbereitet zu sein, sollte er diesen Planeten jemals betreten.
Kittur berührte eines der Steuerplättchen im Rücken. Ein leises Zischen erklang, als eine geringe Menge Gas ausströmte und ihn auf den Stasisbehälter zugleiten ließ. Mit Gegenschub aus einem Bauchplättchen stoppte er eine halbe Armlänge neben der Ruhestatt.
Der Entführte hätte Gerrmal Rohekk, dem Schläfer der Errkarem, geähnelt, wenn nicht ...
Das Geräusch des sich öffnenden Lamellenschotts riss Kittur aus den Gedanken. Eine junge Frau schwebte herein.
Voritta, gestikulierte er. Flamme meines Lebensfeuers. Ich freue mich, dich zu sehen. Hast du dich von dem Einsatz bei den Orristan erholt?
Sie passierte den bis zur Decke reichenden Container mit medizinischen Vorräten, kam zu Kittur, bremste ab, ergriff mit der Rechten sein Handgelenk, tippte sich mit einem Finger in die Herzgegend und strich ihm anschließend mit dem gleichen Finger über die Stirn. Ein Gruß, wie er vertrauter nicht sein konnte.
Wie so oft fragte er sich, warum Voritta ausgerechnet ihn als Wachzeitgefährten und potenziellen Zeugungspartner auserkoren hatte. Der erhabene Schwung ihrer ausgeprägten Schädelknochen verlieh ihr eine Schönheit, der jeder Mann verfallen wäre. Er hingegen entsprach gewiss nicht dem Bild eines typischen Errkarem. Immerhin fehlte ihm ein halber Arm, was die gestische Kommunikation mit ihm schwierig und zuweilen missverständlich machte. Häufiger als andere griff er deshalb auf die verpönte Lautsprache zurück, was manchmal als Zeichen minderer Intelligenz galt. Außerdem zeichneten sich wegen seiner täglichen Kraftübungen unter der Sternenhaut flache Muskelfasern ab, was in den Augen der Sonnenkinder unästhetisch aufgedunsen wirkte. Kittur war kein Mann, dem eine Frau ihre Herzen und ihr inneres Feuer schenken würde. Voritta hatte es trotzdem – oder gerade deshalb? – getan.
Sie ließ ihn los und führte die Handfläche vor der Brust von oben nach unten. Die Kälte der Orristan-Welten will überhaupt nicht mehr aus meinen Gliedern weichen.
Was tust du dann hier? Leg dich in eine ... »Wärmekammer«, beendete er den Satz in der Lautsprache mit einem Wort, für das er gestisch beide Hände benötigt hätte. Wie die restlichen Shedarrtai.
Das werde ich. Aber erst wollte ich sehen, wie es dir geht. Alles in Ordnung? Du wirkst nachdenklich.
Kittur überkreuzte das rechte Handgelenk mit dem vorderen Stumpfende des linken Arms. Seine Version der Zustimmung. Er deutete auf den Schläfer. Sieh ihn dir an. Er ähnelt Gerrmal Rohekk.
Als Zeichen der Belustigung legte Voritta die Zeigefinger an die Mundwinkel. Aber auch nur, wenn man von der Farbe der Sternenhaut absieht.
Sie ist es, die mir Sorgen bereitet. Unter anderem.
Ich verstehe nicht.
Kittur zögerte mit einer Antwort. Gerrmal Rohekk ist ... Mit einer wegwischenden Handbewegung zeigte er, dass er sich korrigieren wollte. Gerrmal Rohekk war das Oberhaupt der Errkarem. Seine Weisheit, sein Ratschluss, seine Entscheidungen hielten unsere Kultur am Leben. Obwohl die Leakkum ihn nicht oft erweckte, gab seine bloße Existenz uns Halt und Sicherheit.
Das ist mir bewusst. Deshalb haben wir ... In die Gesten hinein huschte eine kleine Bewegung mit den Zeigefingern in Richtung des geraubten Asskor Tavirr. ... ihn hier von den Orristan entführt. Wir brauchen einen Schläfer.
Vielleicht hast du recht. Vielleicht brauchen wir aber nicht nur irgendeinen Schläfer, sondern Gerrmal Rohekk.
Das ist unmöglich! Er ist tot! Vorittas Gebärden fielen weitschweifiger aus, als es nötig gewesen wäre. Als zusätzliches Zeichen der Bekräftigung führte sie die Fäuste vor der Brust gegeneinander.
Dennoch ist er der Garant unserer Existenz. Du kennst das Gelübde, Voritta. Die Orristan sind Frevler; ihre Schuld werden wir ihnen nicht verzeihen. Bislang wissen nicht viele Errkarem vom Tod unseres Herrschers. Aber wenn sie es herausfinden, meinst du, sie werden den Schläfer des Feindes als Ersatz akzeptieren? Ihn, den sie für einen Betrüger halten? Und sie werden es herausfinden! Bei unserer Abreise kursierten bereits Gerüchte. Du hast die Unruhe auf Ettves selbst gespürt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Errkarem einen Beweis fordern, dass unser Schläfer lebt. Erneut deutete Kittur auf den Stasisbehälter. Deshalb hatte ich gehofft, seine Sternenhaut sei heller, sodass die Leakkum ihn als Gerrmal Rohekk ausgeben kann.
Überrascht sah Voritta ihn an. Das wäre eine Täuschung, zu der sich Darrake nicht bereit erklärt hätte. Wie du weißt, hat meine Mutter ihr vorgeschlagen, Gerrmal Rohekks Tod zu verschweigen und stattdessen das als die Weisheit des Schläfers zu verkünden, was ihr und Darrake als das Richtige erscheint. Sie ist anfangs darauf eingegangen, bis sie sich plötzlich umentschied.
»Darrake!«, sagte Kittur in Lautsprache und zeigte so, was er von der Leakkum hielt. Mit Gesten fuhr er fort: Sonst hört sie doch auch immer auf die Einflüsterungen deiner Mutter. »Ja, Amakka. Das ist ein guter Gedanke, Amakka. So soll es geschehen, Amakka.« Und ausgerechnet gegen Amakkas beste Idee sperrt sie sich und vergisst dabei ihre wichtigste Aufgabe oder legt sie zu eng aus.
Wie meinst du das?
Die rituelle Salbung und Reinigung des Schläfers, ihn in schwierigen Situationen zu erwecken und seine Worte zu verkünden – all das sind unbestritten Bestandteile ihrer Verpflichtung. Doch sie dienen lediglich dem eigentlichen Zweck, die Errkarem anzuleiten und zu führen. Wenn die Leakkum das nicht mehr im Namen des Schläfers tun kann, weil er gestorben ist, muss sie entscheiden, was ihr wichtiger ist: das Wohl der Schutzbefohlenen aufrechtzuerhalten, falls nötig unterstützt durch eine Lüge, oder stur die Tradition zu befolgen, ohne deren Sinn zu hinterfragen. Sie hat sich falsch entschieden. Weil sie eine schwache, wankelmütige Herrscherin ist, bedacht nur auf den eigenen Vorteil und nicht auf das Wohl ihres Volkes. Und weil sie Angst hat.
Sekundenlang starrte Voritta ihn an, und er wusste, warum. Noch nie hatte er sich so deutlich gegen Darrake ausgesprochen. Angst?, fragte sie schließlich. Wovor?
Davor, dass man sie dabei erwischt, im Interesse der Errkarem den Tod des Schläfers verschwiegen zu haben. Davor, dass man sie für diese Unaufrichtigkeit zur Rechenschaft zieht. Lieber versetzt sie ihr Volk in Unruhe. Den Ersten sei Dank, dass ich Amakka von meinem Plan überzeugen konnte, den Schläfer der Orristan zu stehlen, und dass wiederum sie Darrake überredet hat, mit der Nachricht von Gerrmal Rohekks Tod bis zu unserer Rückkehr zu warten.
Was erwartest du, was geschehen wird?
Ich weiß es nicht. Den falschen Schläfer als den echten auszugeben, scheidet aus. Also müssen wir auf Darrakes Einsicht hoffen, dass er die einzige Möglichkeit ist, die Ruhe unter den Errkarem zu bewahren und in eine bessere Zukunft aufzubrechen. Aber es gibt so viele Unwägbarkeiten. Kann sie ihn, falls er nicht von selbst erwacht, wecken oder unterscheidet sich das Ritual der Orristan zu stark von unserem? Ist er bereit, auch uns mit seiner Weisheit zu bereichern? Wird Darrake ihn als neuen Schläfer akzeptieren? Wird sie in ihrer Rolle als Leakkum die beunruhigten Errkarem überzeugen können, ihn ebenfalls zu akzeptieren?
Voritta sah ihn besorgt an. Du wirkst, als glaubtest du selbst nicht mehr an deinen Plan.
O doch, Flamme meines Lebensfeuers, das tu ich. Für lange Sekunden schaute er in den transparenten Behälter und betrachtete den Leib des Schläfers.