Perry Rhodan 3180: Das Extemporale Gefecht - Oliver Fröhlich - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 3180: Das Extemporale Gefecht E-Book und Hörbuch

Oliver Fröhlich

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden, und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK – ebenfalls Anzu Gotjian, die ein neues Leben als Sextadim-Kanonierin beginnt. Ein erster Prüfstein ist DAS EXTEMPORALE GEFECHT ...

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Seitenzahl: 181

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Zeit:3 Std. 46 min

Sprecher:Jonas Baeck
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Nr. 3180

Das Extemporale Gefecht

Sie reisen durch den Zeitschacht – es geht in die tiefste Vergangenheit

Oliver Fröhlich

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ein schmerzhafter Abschied

2. Ein freundliches Angebot

3. Von der Gosse zu den Sternen

4. Ein vielversprechendes erstes Mal

5. Offenbarungen

6. Training und die Folgen

7. Das Extemporale Gefecht

8. Ein Teil kehrt heim

9. Nachwehen

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.

Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.

Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden, und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK – ebenfalls Anzu Gotjian, die ein neues Leben als Sextadim-Kanonierin beginnt. Ein erster Prüfstein ist DAS EXTEMPORALE GEFECHT ...

Die Hauptpersonen des Romans

Anzu Gotjian – Die Meisterschülerin gerät auf die Überholspur.

Farbaud – Der Quintarch verlässt sich nicht nur auf Bewährtes.

Osh'gemta – Die Ausbilderin wagt ein Experiment.

Bidrise

Den Sohn der Ewigen

Schöpfer zu finden,

ihn durchs Leben zu begleiten

und ihm schließlich den Weg zurück

in die Hohen Gefilde

zu seinen Schöpfervätern zu bereiten,

ist unsere Aufgabe.

Erfüllen wir sie mit Freude,

mit Ehrfurcht

und in dem Bewusstsein,

dass auch wir uns irren können.

(aus: »Der Orden der Wegbereiterinnen, Teil 1 – Fundament«)

1.

Ein schmerzhafter Abschied

Irgendwo im Universum, nach einer dort unbekannten Zeitrechnung, etwa 27.000 NGZ

Ein letztes Mal badete Tháan Vhyrgo im Jubel der Menge, und er verabscheute es.

Die vier Arme streckte er seitlich von sich, die Handflächen nach oben gedreht. Den Kopf hielt er erhoben, den Blick in unauslotbare Ferne über die Dächer der Metropole hinweg bis zu den Bergen am Horizont gerichtet. Die Zähne wiesen mit den Spitzen ins Mundinnere, sodass er nicht einmal versehentlich Aggressivität zeigen konnte. Seine Pose täuschte Zufriedenheit vor. Zufriedenheit, Güte, Würde und erhabene Gelassenheit.

Die ihn umsirrenden Kameras sollten in jeden Haushalt und zu jedem öffentlichen Holoempfänger Bilder eines Tháans senden, der die Liebe seines Volkes freudvoll über sich hinwegbranden ließ. Ein kleines Lächeln, deutlich sichtbar, aber nicht zu übertrieben, signalisierte den Untertanen, dass auch er sie liebte.

In Wirklichkeit konnte Vhyrgo nichts gleichgültiger sein. Er tat all das nur, weil er sonst sterben würde. Sofort und vor aller Augen. Weil ihn die Wegbereiterin, die schräg hinter ihm stand, andernfalls als das erkennen würde, was er war: ein Irrtum, ein Betrüger.

Also lauschte er dem Jubel des Volkes, das sich 888 Beghda-Maße unter ihm vor dem Palast drängte. Akustikfelder übertrugen die Huldigung bis zu Vhyrgo auf dem Tributbalkon, weil den Erfordernissen an die Abschiedszeremonie sonst nicht hätte genügt werden können.

Unablässige Lobpreisung vom Augenblick des höchsten Stands der Sonne Rhyl, bis dass ihr Licht den Tháan nicht länger umhülle und er keinen Schatten mehr werfe. So verlangte es die Tradition. Vorgetragen in aufrichtiger und ehrfürchtiger Inbrunst, damit sie den Scheidenden in der Höhe erreiche.

Vor Tausenden Umläufen mochte das ohne Schallverstärkung möglich gewesen sein. In einer Zeit vor Tháan Beghda, als der Palast auf der anderen Seite der Metropole gelegen und nicht seine protzigen Ausmaße aufgewiesen hatte.

Beghda!, dachte Vhyrgos. Was für ein oberflächlicher Nichtsnutz. Was für ein von Äußerlichkeiten besessener Geck. Was für ein eitler, überheblicher Narr, der ein Längenmaß nach der eigenen Körpergröße definierte.

So etwas wäre Vhyrgo während seines Tháanats nie in den Sinn gekommen. Nach ihm waren lediglich einige Kriege benannt – 247, um genau zu sein.

Beghda jedenfalls hatte einen neuen, prunkvolleren und vor allem höheren Palast errichten lassen. Ausgerechnet neben dem Auffangbecken eines gewaltigen Wasserfalls. Angeblich hatte ihn der Anblick des Regenbogens fasziniert, den die stetig durch die Luft wirbelnden Tropfen über den Palast zauberten. Was für eine Idiotie.

Zugegeben, der Regenbogen wirkte imposant. Aber war das den Preis dieser schrecklichen allgegenwärtigen Feuchtigkeit wert? Während Vhyrgo den Jubel des Volkes über sich ergehen ließ, fühlte er, wie sie unter seine Robe kroch, wie sie sich in Körperfalten nistete, wie sie ihm sogar über das Gesicht perlte.

Und dann dieses ohrenbetäubende Tosen der Wassermassen, das jegliches Gespräch außerhalb der schallgeschützten Palasträumlichkeiten unmöglich machte. Kein Wunder, dass die Lobpreisung der Untertanen seit Beghdas architektonischer Dummheit mittels Akustikfeldern auf den Tributbalkon übertragen werden musste, um die Tradition zu wahren.

Vhyrgo scherte sich nicht um die Tradition. Oder um Regenbögen, den Abstand des Tributbalkons vom Untergrund und die Liebe seines Volkes. Er wollte nur so weiterleben wie bisher. Bloß ein bisschen länger noch. Vielleicht einen Krieg oder zwei. Womöglich gelänge es ihm, die 250 zu erreichen. Sicher und geborgen in seinem Palast, versorgt mit den erlesensten, mehrfach vorgekosteten und pantotronisch auf Gift untersuchten Speisen. Gehüllt in edle Stoffe und prunkvolle Roben aus goldenem Brolyt oder der anschmiegsamen Hull-Seide aus den äußeren Kolonien. Gebettet auf weiche Matratzen, umgeben von Schlafwächtern und Traumwebern, während seine wackeren Soldaten weit entfernt für ihn das Reich vergrößerten.

Mehr wollte er gar nicht. War das zu viel verlangt?

Stattdessen schickte ihn die Wegbereiterin Lyolia in sein letztes Gefecht und zugleich in das erste, an dem er persönlich teilnahm. Und er, der Tháan, dessen Wort schwerer wog als ein Berg, er, der Herrscher über ein Sternenreich von beispielloser Größe, er, von dessen Gnade das Schicksal von Aberbillionen Untertanen abhing, er konnte nichts dagegen tun.

Weil die Tradition es verlangte. Weil die Liebe des Volkes, der Gehorsam der Garde und des Militärs und vor allem die Unterstützung der Wegbereiterin ins Gegenteil umschlagen würden, wenn er sich verweigerte.

Und so stand er nun auf dem Tributbalkon, während ihm Hunderttausende weit, weit unter ihm zujubelten. Die seit über zwei Stunden ohne technische Hilfsmittel erhobenen Arme schmerzten allmählich, und er fragte sich, wie er die verbleibende Zeit überstehen sollte, ohne das Lächeln und das Leben zu verlieren.

Er schielte zur Sonne Rhyl.

... bis dass ihr Licht den Tháan nicht länger umhülle und er keinen Schatten mehr werfe, forderte die Tradition. Im schlimmsten Fall hieß das: bis Rhyl hinter den Bergen verschwand, also noch weitere zwei Stunden. Mit etwas Glück schoben sich hingegen bald einige Wolken vor die Sonne, was Vhyrgo die Sache erheblich erleichtern würde.

Manche Wegbereiterinnen sahen es als schlechtes Omen, wenn ein Tháanat nicht durch den natürlichen Lauf der Sonne endete. Andere wiederum behaupteten, Rhyl trauerte um einen besonders würdigen Tháan, indem sie sich weigerte, seinen Abschied mit anzusehen, und ihr Antlitz stattdessen hinter Wolken versteckte.

Vhyrgo hielt das alles für ausgemachten Unsinn. Wie ein Volk wie die Rhyl-vaet einerseits technisch hoch entwickelt sein und zwischen den Sternen reisen konnte, gleichzeitig aber solchem Aberglauben anhing, hatte sich ihm in all den Umläufen seiner Herrschaft nicht erschlossen. Sei's drum: Er musste seine Untertanen schließlich nicht verstehen. Es reichte, wenn er sie regierte.

Lyolia sah es pragmatischer, wenngleich nicht plausibler. Die Sonne Rhyl, behauptete sie, wisse genau, was sie einem Tháan zumuten könne, sofern er denn würdig sei. Verhülle sie ihr Gesicht beizeiten, tat sie es nur, um den scheidenden Herrscher zu schützen. Zeige sie sich während des gesamten Wegs zu den Bergen am Himmel, tat sie es, um dem Tháan seine Kraft zu beweisen – oder um einen Unwürdigen zu entlarven.

»Es ist alles eine Frage des Willens«, hatte sie ihm am Vortag noch einmal eingeschärft. »Wenn du bei der Abschiedszeremonie versagst, werden wir beide sterben. Du mit dem Trost, ein längeres Leben in größerem Luxus geführt zu haben als jeder deiner Untertanen. Ich mit der traurigen Gewissheit, mich geirrt und keinen Sohn der Ewigen Schöpfer auf den Thron gebracht zu haben. Wenn du aber erfolgreich bist und die Arme nicht sinken lässt, egal, wie lange es dauert, eröffnet sich dir und deinem Gefolge die Chance auf Unsterblichkeit in den Hohen Gefilden.«

Also musste es Vhyrgo hinter sich bringen, wie so viele Tháans vor ihm. Oder daran scheitern, ebenfalls wie viele Tháans vor ihm.

Er glaubte nicht an die Hohen Gefilde und die Unsterblichkeit. Er glaubte, nach seiner Zeit als Herrscher würde er sterben, während der Abschiedszeremonie oder während der letzten Schlacht. Aber er wusste es nicht sicher. Und solange die kleinste Chance bestand, dass nicht die Wegbereiterinnen sich irrten, sondern er, solange nur die kleinste Chance bestand, dass er nicht sterben würde, war er bereit, alles dafür zu tun.

Er erinnerte sich an die Geschichte über Thomran, die ihm Lyolia am Tag zuvor während der letzten Instruktionen erzählt hatte.

»Er war der Tháan vor deinem unmittelbaren Vorgänger«, hatte sie ihn mit knarziger Stimme in belehrendem Tonfall unterrichtet. »Ich weiß, dass du dich für die Historie des Reiches kaum interessierst ...«

»Wieso sollte ich? Was könnten mich die längst vergessenen Taten längst vergessener Männer lehren?«

»Beispielsweise Demut gegenüber der Tradition. Thomran glaubte, er könne mit ihr brechen und sich den Weg in die Hohen Gefilde und in die Unsterblichkeit erschleichen.«

»Was hat er getan?«

»Er trug bei der Huldigung während der Abschiedszeremonie Antigravgeneratoren in der Robe, die ihm die Dankespose erleichtern sollten. Er fürchtete, die Arme könnten ihm zu schwer werden. Und so hat er nicht nur sich selbst, sein Volk, das gesamte Reich und die Ewigen Schöpfer verraten, sondern auch meine Vorvorgängerin, die ihm den Weg dorthin hätte bereiten sollen. Die Arbeit eines ganzen Tháanats vergebens. Doch niemand, Vhyrgo, niemand kehrt heim zu den Ewigen Schöpfern, der nicht würdig ist. Es ist die Aufgabe der Wegbereiterinnen, dafür zu sorgen.«

»Sie hat es herausgefunden?«

»Selbstverständlich.«

»Wie reagierte sie? Zwang sie ihn zum unehrenhaften Rücktritt?«

»Im Gegenteil. Sie brachte ihn dazu, vorzutreten. Einen Schritt über den Rand des Tributbalkons hinweg. Immerhin dauerte sein Sturz lange genug, dass die Lobpreisenden unten zur Seite ausweichen konnten und der aufprallende Körper sie nicht allzu sehr besudelte.«

»Hat Thomran die Antigravgeneratoren nicht aktiviert, um den Fall zu bremsen?«

Illustration: Swen Papenbrock

»Das hätte er in einem letzten Versuch des Betrugs vielleicht getan, wenn ihm die Wegbereiterin nicht vorher in den Rücken geschossen hätte. Sie überlebte seinen Sturz gerade lange genug, um sich von seinem Tod zu überzeugen. Danach richtete sie sich selbst.«

Vhyrgo wusste nicht, ob die Geschichte stimmte. Aber sie hatte ihn davon abgehalten, zu einer ähnlichen Schummelei zu greifen. Er hatte sogar den Schneider rausgeworfen, der die Ärmel der Robe hätte verstärken sollen.

Ja, gewiss, er war der Herrscher über zahllose Untertanen, doch an diesem Tag und den wenigen, die ihm in den Vergänglichen Niederungen noch folgen würden, stand Lyolia über ihm. Sie war seine Wegbereiterin in die Hohen Gefilde – oder in den Tod. Und gleichgültig, wohin – sie würde mit ihm gehen. Wie die Tradition es verlangte. Sein Erfolg war ihr Erfolg. Sein Scheitern war ihr Scheitern.

Im Augenblick, so ehrlich war er sich selbst gegenüber, sprach alles für Letzteres. Sein linker unterer Arm bekam einen Krampf. Er zitterte.

Niemals würde er durchhalten, bis die Sonne hinter den Bergen versank. Wieder sah er unauffällig nach oben. Die Zahl und Größe der Wolken hatte zugenommen, doch keine schob sich erkennbar auf Rhyl zu.

»Ich schaffe es nicht«, presste er hervor, ohne dass das Lächeln für einen Atemzug ins Wanken oder seine Zähne in Unordnung gerieten.

»Dann bereite dich aufs Sterben vor«, flüsterte Lyolia zurück. Sie stand einen Schritt schräg hinter ihm. Ob sie wie ihre Vorvorgängerin ebenfalls einen Strahler unter dem wallenden, tiefroten Umhang trug? Wahrscheinlich.

»Aber ...«

»Kein Aber. Es geht nicht darum, ob du es schaffst oder nicht. Es geht darum, ob du ein wahrer Sohn der Ewigen Schöpfer bist.«

Lass mich in Ruhe mit diesem Unfug!, hätte er am liebsten geschrien. Wie kann ich der Sohn von Wesen sein, die nicht existieren?

Er schwieg, wollte sein Leben nicht leichtfertig wegwerfen. Stattdessen bewegte er die Finger des verkrampfenden Arms. Einen nach dem anderen. Eins, zwei, drei, vier. Und dann noch einmal. Eins, zwei, drei, vier.

Lockerten sich die Muskeln? Er war sich nicht sicher.

»Du konzentrierst dich zu sehr auf die Schmerzen und empfindest sie dadurch nur umso stärker«, rügte ihn Lyolia. Er konnte ihren Atem am Schläfenlappen fühlen. »Tu das nicht! Lenk dich ab! Betrachte dein Volk! Sieh in ihre Gesichter! Danke jedem Einzelnen deiner Untertanen für seine Gefolgschaft! Und denk daran: Es ist alles eine Frage des Willens.«

In den Himmel projizierte Holos zeigten die jubelnde Menge. Sie blickte zum Tributbalkon hoch, ohne den Tháan dort sehen zu können. Zumindest nicht, solange er ihnen nicht entgegenstürzte. Und obwohl seine Untertanen 888 Beghda-Maße unter ihm standen, musste auch Vhyrgo den Blick in die Höhe zu den Holos richten, wenn er sie betrachten wollte. Er musste zu ihnen aufschauen, wie sie zu ihm. Wohnte dem eine Symbolik inne, die er nicht verstand?

Ein Stechen fuhr ihm in den Nacken. Das hatte ihm noch gefehlt. Reichten nicht die Schmerzen in den Armen?

Vhyrgo senkte den Kopf ein wenig. Er achtete nicht auf Lyolias Rat. Der Anblick seiner Untertanen gab ihm nichts. Lieber schaute er noch einmal über die 1000 Schwärmer hinweg, die kleinen Enter-Einheiten eines Kampfschiffs, die auf Höhe des Tributbalkons über der Stadt schwebten. In symbolischer Angriffsformation standen sie zu Ehren ihres Oberbefehlshabers in der Luft.

Ihren Piloten und allen Gefechtsstandleitern, Kommandanten, Offensivtaktikern, ja, jedem einzelnen Soldaten galt sein Dank. Sie waren für ihn in den Krieg gezogen. Sie hatten das Reich vergrößert wie unter keinem Tháan zuvor. Sie hatten dabei zusehen müssen, wie ihre Kameraden starben, wenn der Feind übermächtig schien.

Und sie hatten dennoch den Sieg davongetragen.

Sie würde er vermissen.

Genauso wie die Berge am Horizont, die von Schwefelschnee bedeckten Gipfel, das Blaugrün des Himmels, den herben Geruch der Balmrokwälder. Ja, vielleicht, aber nur vielleicht, würde er sogar das Tosen des Wasserfalls vermissen.

Seine Untertanen hingegen, sein Volk ... Einst war er einer von ihnen gewesen, doch das war lange her. Nun lebten sie, um ihm zu dienen, um ihm den Wohlstand zu sichern. Ironischerweise taten sie das, weil sie einem Glauben anhingen, den er, der von ihnen Verehrte, nicht teilte.

Nein, ihnen konnte er nicht dankbar sein. Das hätte ihn gezwungen, die eigene Rolle genauer zu beleuchten. Er hätte sich als Schmarotzer gefühlt, und das wollte er nicht. Ja, er hatte sein Volk ausgenutzt und die Zeit der Regentschaft genossen, ohne wirklich etwas zu leisten.

Den ersten Krieg hatte er nur angeordnet, weil er zu prüfen gedachte, wie weit der Gehorsam des Militärs ging. Sehr weit, wie sich herausstellte. Seine Kampfschiffe und Soldaten verlangten keinen offiziellen Kriegsgrund, der über seinen Befehl hinausging. Aus der Sicherheit des Palastes erteilte er weitere Befehle, verschob Einheiten von A nach B, ließ unvermittelt C angreifen, ignorierte gegen jede Vernunft D, eroberte E und schickte die Schiffe dann zurück nach A. Ohne jede taktische Begründung, ohne Sinn und Zweck, einfach nur aus der Lust am Befehlen.

Es geschah, was ihn nicht mehr hätte überraschen können: Die Rhyl-vaet gewannen den Krieg. Nein, er, der Tháan, der glorreiche Befehlshaber gewann den Krieg. Der Sieg bescherte ihm reiche Rohstoffquellen, zusätzlichen Lebensraum für sein Volk und eine cremige Köstlichkeit namens Strysh, eine Nachspeise auf einem der unterworfenen Planeten.

Also machte er weiter und fiel in einen Kriegsrausch. Dabei beging er nicht den Fehler, das Glück des ersten Mals erneut herauszufordern. Das Volk sprach zwar von Vorsehung, von der Gnade der Ewigen Schöpfer, die diesmal einen Feldherrn geschickt hatten, der den Ruhm und das Reich der Rhyl-vaet vergrößerte, doch davon ließ sich Vhyrgo nicht beirren.

Es gab keine Schöpfer. Und er war nicht ihr Sohn. Er hatte einfach nur unverschämtes Glück gehabt.

Also gab er nur den neuen Kriegsgegner vor, hielt sich aus der Planung jedoch heraus. Stattdessen überließ er alles Taktische und Strategische seinen hochrangigen Militärs. Sie schlugen ein Vorgehen vor, und er segnete es ab.

Die Rhyl-vaet gewannen.

Und gewannen.

Und gewannen.

Vhyrgo ließ sich für etwas feiern, für das er nichts konnte, und genoss die Früchte des Siegs. Fühlte er ein schlechtes Gewissen deswegen? Oder weil er für anlasslose Kriege Soldaten in den Tod schickte? Weil er Untertanen, die das kritisierten, festnehmen und in die Minen von Kr'apil schicken ließ?

Keineswegs. Zumindest solange er nicht genauer darüber nachdachte. Schließlich hatte er sich nicht um das Tháanat gerissen. Lyolia hatte es ihm aufgedrängt. War es da verwerflich, dass er das Beste daraus zu machen versuchte? Nun ja, jedenfalls das Beste für ihn.

Doch nun neigte sich diese Zeit dem Ende zu. Weil er alt geworden war, älter als so mancher Tháan vor ihm.

Er hätte dankbar sein müssen, dass es so lange gedauert hatte, bis der Orden der Wegbereiterinnen einen Nachfolger gefunden hatte. Wofür nicht zuletzt seine Agenten mitverantwortlich waren, die er ausgeschickt hatte, um die Wegbereiterinnen zu beobachten und jeden zu töten, für den sie übermäßiges Interesse zeigten. Dass das nicht bis in alle Ewigkeit gut gehen konnte, war Vhyrgo klar gewesen.

Und nun stand ein neuer Tháan bereit. Ein halber Umlauf war ihm, Vhyrgo, geblieben, um sich mit der Situation zu arrangieren und um alle Vorbereitungen für die Amtsübergabe zu treffen. Einen weiteren Aufschub gab es nicht. Er musste weichen. In den Tod – oder in eine ominöse letzte Schlacht, die ihn nach seiner Überzeugung ebenfalls in den Tod führen würde.

So, wie die Ewigen Schöpfer es seit Tausenden von Umläufen wünschten. So, wie es seit Tausenden von Umläufen geschah.

Verdammte Tradition!

»Du hast es geschafft«, flüsterte ihm Lyolia endlich zu und riss ihn aus den Gedanken. »Du kannst die Arme herunternehmen.«

Sieh mal einer an! War es ihm tatsächlich gelungen, sich lange genug von den Schmerzen abzulenken. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass eine Wolke vor die Sonne gezogen war.

Vhyrgo ließ die Arme herabsacken. Sie dankten es ihm mit wütendem Kribbeln und Stechen. Gleichzeitig ebbten der Jubel und die Lobpreisung der Massen ab. Das Volk erwartete, dass er zum letzten Mal zu ihm sprach.

»Meine geliebten Untertanen«, begann er seine Ansprache und wunderte sich selbst, wie kraftvoll und glaubwürdig seine Stimme klang. Und das trotz der Schmerzen und trotz der Tatsache, dass er kaum ein Wort davon aufrichtig meinte. »Es war mir eine Freude und Ehre zugleich, zu eurem Wohle die Geschicke der Rhyl-vaet zu lenken. Wir sind ein stolzes und kriegerisches Volk, zielstrebig und unbeugsam dem Feind und dem Schicksal gegenüber. Doch wir wissen auch um die Bedeutung der Tradition.

Vierundachtzig Umläufe ist es her, dass mich die Wegbereiterin auf diesen Balkon geführt hat, um das Tháanat von meinem Vorgänger zu übernehmen. Wie es die Tradition gebietet, begann bereits am Tag darauf die Suche nach einem würdigen Nachfolger. Vor einem halben Umlauf nahm sie nun ein Ende. Aus den Reihen aller Kandidaten erhob sich der kommende Tháan, von den Ewigen Schöpfern gesandt und dazu berufen, die Rhyl-vaet zu neuen Höhen zu führen.

Mein Tháanat jedoch ist vorüber. Ich stelle mich dem letzten Gefecht, um mir die Heimkehr in die Hohen Gefilde zu verdienen.

Und so ist es meine freudvolle Pflicht, euch den neuen Tháan zu präsentieren.«

Vhyrgo drehte sich um.

Lyolia trat einen Schritt zur Seite. Auch sie hatte die Zahnspitzen zu einem Lächeln nach innen gewandt, dennoch wirkte sie aufmerksam, fast alarmiert.

Sie traut mir nicht, erkannte er. Sie hat mir vor langer, langer Zeit den Weg zum Tháanat bereitet, um mit mir die Unsterblichkeit zu erlangen, und nun traut sie mir nicht!

Vhyrgo sah es ihr nach. Er traute sich selbst nicht.

16 Gardesoldaten – acht auf jeder Seite – säumten den Pfad aus schwarzen Fliesen bis zum Portal des Palastes. Wie auf ein unhörbares Kommando ruckten ihre Gesichter dorthin.

Die schweren, mit goldenen Ranken verzierten Türflügel öffneten sich und gaben den Blick auf ein Büblein frei, 15, höchstens 16 Umläufe alt. Die Schläfenlappen noch straff und füllig, die Augen tiefschwarz und glänzend und nicht wie bei Vhyrgo von matten Schleiern überzogen. Das Hauptgeflecht, das bei Vhyrgo aus einigen kraftlosen, ausgeblassten und brüchigen Adern bestand, pulsierte deutlich sichtbar.

Er ist so jung. Gerade mal halb so alt, wie ich damals war. Wie kann so ein Bürschchen ein würdiger Tháan werden?

Manchmal verstand Vhyrgo die Kriterien nicht, nach denen der Orden der Wegbereiterinnen die Kandidaten auswählte. Was sie denken ließ, es mit einem Sohn der Ewigen Schöpfer zu tun zu haben. Ehrlich gesagt wusste er nicht einmal, was ihn selbst vor vielen Umläufen ausgezeichnet hatte. Zu Beginn seines Tháanats hatte er Lyolia oft danach gefragt, doch stets nur als Antwort erhalten: »Wenn die Zeit reif ist, wirst du es erfahren.«

Bisher war die Zeit offenbar niemals reif gewesen. Und inzwischen war es ihm gleichgültig.

Die Aufnahmeoptiken der Kamerasonden wandten sich von ihm ab und richteten sich auf das Büblein. Weder sah, noch hörte Vhyrgo das, aber er fühlte ihn, den abrupten und kompletten Verlust der Aufmerksamkeit.

Oh, er könnte sie zurückerlangen. Indem er sich auf den designierten Tháan stürzte, ihn an seinem dürren Hals packte, zur Balkonkante zerrte und hinunterstieß. So wie Thomran es einst vorgemacht hatte, zumindest was den fallenden Teil betraf.

Gewiss, dieser kurze Moment der neuerlichen Aufmerksamkeit würde eher mit seinem Tod enden als dem des Bürschleins. Aber vielleicht wäre es das ja wert. Zu gehen mit einem Knall. Lyolia ein für alle Mal zu beweisen, dass sie sich in ihm irrte.