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Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum und auf eine verödete Welt. Dort steht ein STERNWEISER ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3269
Sternweiser
Sie suchen die TEZEMDIA – und finden Relikte aus der Vergangenheit
Oliver Fröhlich
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Das hinausgeschobene Sterben
2. Wellen im Teich
3. Von tiefen Höhlen und fernen Höhen
4. Die Kunst, ignoriert zu werden
5. Zu alter Größe
6. Die Unverhofften im Labyrinth
7. Der Kontrakt
8. Hinein und hinab
9. Ende und Neubeginn
10. Die Schlafschweren Riesen
Fanszene
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Wie es aussieht, könnte Perry Rhodan, der als erster Mensch von der Erde auf Außerirdische gestoßen ist, sich endlich seinem großen Ziel nähern: der alte Traum von Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmung ein, man arbeitet intensiv und gleichberechtigt zusammen.
Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.
Die Superintelligenz ist in Fragmente zerfallen, die sich in sogenannten Refugien verbergen. Manche dieser Rückzugsorte befinden sich in weit entfernten Galaxien. Eines dieser Refugien befand sich in der Kondor-Galaxis, wurde offenbar aber bereits geborgen – oder entführt. Die Fährte führt Perry Rhodan in ein fremdes Universum und auf eine verödete Welt. Dort steht ein STERNWEISER ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche begegnet den Louwhanen.
Antanas Lato – Der Terraner durchquert eine Wüste.
Poquandar – Der Onquore vermisst seinen Truimou.
Bantradim-Gralunvir, Lynu-Vaga und Lisinu-Telum
1.
Das hinausgeschobene Sterben
Man konnte den Tod nicht überlisten – und entkommen konnte man ihm schon gar nicht. Das wusste auch Bantradim-Gralunvir. Dennoch war er in das letzte Exodusschiff gestiegen, allein, ohne seine Familie, im Gepäck nur Angst und eine kleine Portion Hoffnung.
Doch Hoffnung worauf? Darauf, dass alles gut werden würde? Dass sich die Wissenschaftler geirrt, dass sie sich um einige Tausend oder gar Millionen Jahre verrechnet hatten?
Der Gedanke war absurd. Seine Heimat war dem Untergang geweiht. Auf etwas anderes zu spekulieren, hieße, die Wahrheit zu leugnen.
Nein, Bantradims Hoffnung galt allein dem Überleben.
Er sah aus dem Fenster des Schiffs und wusste nicht, ob er den Bordinstruktoren dankbar sein oder sie dafür hassen sollte, dass sie ihm eine Transportschale mit Aussicht zugewiesen hatten.
Dort draußen lag Duglivan, das wunderschöne Duglivan mit den ausgedehnten grünen Flächen des Meeres, den braun-roten Schattierungen, wo sich die gewaltigen Aglesienwälder erhoben, und mit einigen breiten, strahlend weißen Wolkenbändern, die träge darüber hinwegzogen. Eine farben- und lebensfrohe Kugel in der Schwärze des Alls. Und eine dem Tode geweihte Welt. Mit ihr würden über fünf Milliarden Sihila sterben: all jene, die nicht wie Bantradim-Gralunvir das Glück gehabt hatten, einen Platz auf einem Exodusschiff zu ergattern, oder die sich geweigert hatten, es auch nur zu versuchen.
So wie Marila-Sir, seine Brutgefährtin, die wundervollste Frau auf Duglivan und die Mutter seiner Larven. Dabei wäre sie als eine der anerkanntesten Städteplanerinnen des Planeten prädestiniert gewesen, am Exodus teilzunehmen.
»Ich will das nicht«, hatte sie stattdessen an ihrem letzten gemeinsamen Tag im Brutbau gesagt.
Alles hatte so normal gewirkt: die Schlafschalen, aus denen gerade das Ruhegel zur Reinigung und Aufbereitung abfloss, die Wabenwand aus rötlichem Synthotall mit den vier gelegentlich zuckenden Larven, der Duft nach frischer Erde, mit der sie sich eben noch gegenseitig die Chitinrücken abgerieben hatten. Und die Sonne, die durch das Fenster hereinschien und sie zu einem neuen Morgen einlud: diese elende, verräterische Sonne.
»Also willst du lieber sterben?«, hatte er sie gefragt, ohne eine Antwort zu erwarten. Der hilflose Versuch einer Provokation, um sie zum Umdenken zu bewegen.
»Ich habe meinen Frieden damit gemacht. Ihn möchte ich mir bewahren.«
»Aber ...«
»Was wäre die Alternative, Bant? Ich könnte mich um einen Platz bewerben. Bis die Entscheidung fällt, wäre ich gefangen, ja gelähmt, zwischen Hoffnung und Angst. Ich müsste medizinische und psychologische Untersuchungen ertragen, Auswahlverfahren durchstehen, Befragungen erdulden, mich von Sihila beurteilen lassen, die mich überhaupt nicht kennen. Wieder und wieder und wieder. Und dazwischen hieße es Warten – auf die Nachricht, dass ich es in den nächsten Testzyklus geschafft hätte, oder auf die Enttäuschung, ausgemustert worden zu sein. Diese dauernde Unsicherheit, das ständige Gefühl, der Boden könnte sich unter mir auftun und mich verschlingen, würde ich nicht ertragen.«
»Aber ...«
»Doch selbst, wenn ich es ertragen würde, was wäre das Beste, was geschehen könnte?«
»Dass du den Exodus mitmachen darfst.«
»Richtig. Aber was wäre mit unseren Schlüpflingen? Was mit den Larven, die nicht einmal verpuppt sind? Glaubst du, wir dürften sie mitnehmen?«
Bantradim senkte den Kopf, wich ihrem Blick aus und hasste sich dafür, dass sein Saugrüssel verräterisch zuckte. Und natürlich wusste Marila-Sir diese Zeichen zu deuten.
»Eben. Du kennst die Prognosen.«
»Aber ...«
Sie richtete sich auf, sodass sie nur noch auf den beiden hinteren Beinarmpaaren stand. Die restlichen vier vibrierten so stark, dass Bantradim den niederfrequenten Schall, den sie erzeugten, in den Eingeweiden spürte. Marila-Sir war zweifellos wütend. »Sprich es aus! Mit welcher Sterbequote rechnen die Wissenschaftler während der Reise?«
Bantradim murmelte eine Antwort.
»Lauter!«
»Sechzig von hundert.«
»So ist es, Bant. Sechzig von hundert! Und das betrifft die Auserwählten, die körperlich Aussichtsreichsten. Niemals würden sie auch nur einen unserer Schlüpflinge für den Exodus zulassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind die Reise überlebt, liegt bei knapp unter einem Prozent. Für diese geringe Chance würden sie niemals Ladekapazität opfern, und das weißt du.«
Ja, das wusste er. Sie würden ihren Nachwuchs zurücklassen müssen, ihn dem sicheren Tod überantworten. Die Vorstellung, auf einem anderen Planeten eine neue Existenz, ohne seine geschlüpften und ungeschlüpften Kleinen anzufangen, raubte ihm die Luft. Dennoch: Er wollte leben! Am liebsten mit Marila-Sir, zur Not aber auch ohne sie.
Und ihre Kinder würden sterben, ob er sie nun zurückließ oder nicht. Welchen Unterschied machte es also?
Er wollte gerade seine Argumente vorbringen und versuchen, irgendwie aus der Defensive zu kommen, da sprach sie weiter: »Wie groß ist die Chance, dass wir beide ausgewählt würden? Und selbst wenn: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir beide den Flug überleben? Vierzig Prozent von vierzig Prozent, also sechzehn Prozent? Falls wir erst einmal dort wären, wer sagt uns, dass wir auch nur einen Tag durchstehen? Wer garantiert uns, dass wir in der neuen Heimat nicht qualvoll zugrunde gehen? Wer sagt uns, dass wir uns nicht nach dem schnellen Tod sehnen, der uns auf Duglivan ereilt hätte?«
»Egal wie gering, es ist eine Chance zum Überleben – und zwar die einzige.«
»Dafür würdest du unsere Kinder aufgeben? Sie mit ihrer Angst allein lassen, sie nicht trösten können für lange Tage, weil wir ohne sie in einem Rettungsschiff liegen? Nein, Bant. An dieser Schuld und an der dauernden Ungewissheit würde ich zerbrechen. Sich ständig Sorgen zu machen, löst nicht die Probleme von morgen, sondern zerstört den Frieden von heute. Aber ich will ihn nicht zerstören.«
»Du ziehst den sicheren Tod einem möglichen Überleben vor?«
»Lass uns die Zeit genießen, die uns bleibt! Ich möchte, dass wir alle zusammen sind, wenn es so weit ist. Dass wir uns ein letztes Mal umarmen, dankbar für das sind, was wir hatten, und uns dann in Fanau-Mahs ewige Ruhe fügen.«
»Ich habe dich nie für gläubig gehalten.«
Marila-Sir sank wieder auf alle zwölfe. »Das bevorstehende Ende kann einen verändern«, sagte sie mit leiser Stimme. »Findest du den Gedanken nicht tröstlich, dass es nach dem Tod weitergehen könnte? Wir beide und die Kinder, zusammen in Fanau-Mahs Schoß für immer vereint?«
»Es wird nicht weitergehen, Marila. Fanau-Mah ist kein gütiger Gott, der uns zu sich nimmt. Fanau-Mah ist eine Sonne, die unsere Welt verbrennen wird! Dass es eine Chance zum Überleben auf einem anderen Planeten gibt, wie gering sie auch sein mag, ist das einzig Tröstliche, das ich sehe.«
Marila-Sir wandte sich von ihm ab, trippelte durch den Brutbau, richtete sich vor der Wabenwand auf und regulierte an der Rechnerkonsole den Zufluss für das Nährstoffgel, in dem die Larven lagen: eine Spur Eisen, ein bisschen Gold und ein Hauch Titan.
»Warum fütterst du sie überhaupt noch?«, fragte Bantradim-Gralunvir. »In dreißig Tagen werden sie sich verpuppen, in sechzig schlüpfen und in nicht ganz zweihundert wird die Sonne sie verbrennen. Gönn ihnen einen sanfteren, angstfreien Tod.«
Sie wirbelte herum und ließ sich auf die Beinarme fallen. »Ich soll unsere Kinder verhungern lassen?«
»Du legst doch so großen Wert auf Frieden. Erscheint dir dieser Tod nicht wesentlich friedlicher?«
»Du würdest zusehen, wie unsere Larven verenden? Und was, wenn sich die Wissenschaftler geirrt haben? Wenn nichts von dem passiert, was sie prognostizieren? Wenn wir alle normal weiterleben können, nur ohne unsere neuen Kinder, die du hast verhungern lassen?«
»Die Wissenschaftler irren sich nicht. Außerdem würde ich nicht dabei zusehen.«
In Marila-Sirs Facettenaugen trat ein schwarzer, lauernder Glanz. »Was soll das heißen?«
»Ich habe mich um einen Exodusplatz beworben. Und ich wurde ausgewählt. Ich verlasse Duglivan mit dem letzten Schiff.«
Marila-Sir, seine geliebte Marila-Sir, starrte ihn wortlos an. Der schwarze Glanz in den Facetten verschwand und machte einem Rotschimmer Platz. Die Farbe der Abscheu.
»Es sind noch wenige Transportschalen frei. Wenn du dich heute bewirbst, bin ich sicher, dass du in einem Schnellverfahren ...«
»Raus!«
»Wie bitte?«
»Du hast mich ganz gewiss verstanden. Raus aus meinem Brutbau!«
»Das ist unser Brutbau.«
»Nicht mehr. Dir gehört eine Transportschale in dem Schiff. Mir dieser Brutbau.«
»Aber ich ... du ...«
»Verschwinde! Und spiegle dich nie wieder in meinen Facetten!«
Also hatte er seine Sachen gepackt und war gegangen. Die dreißig Tage bis zum Abflug hatte er in billigen Absteigen und im Rausch von zu viel Silbersud verbracht. Glücklicherweise hatte es keine abschließende medizinische Untersuchung gegeben, die ihn seinen Platz hätte kosten können.
Und während er nun durch das Fenster des Exodusschiffs auf den immer kleiner werdenden Planeten schaute, stellte er sich vor, wie Marila-Sir mit ihren frisch verpuppten Kindern in den Armen zum Himmel starrte, ihrem Gefährten nachsah und ihr Saugrüssel aus Gram darüber pulsierte, dass sie sich ihm nicht angeschlossen hatte.
Die billige Rachevorstellung war geschlüpft aus der tiefen Verletzung, die ihm Marila-Sir zugefügt hatte. Das wusste er, und er schämte sich dafür. Unterdrücken konnte er sie dennoch nicht.
Er wandte den Blick vom Fenster, von Duglivan und von seinem alten Leben ab. Vor ihm lag ein neues. Vielleicht. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent.
Immerhin. 40 gegen null. Er hatte die richtige Wahl getroffen.
Die richtige Wahl!
*
In der Transportwanne vor Bantradim-Gralunvir befand sich ein männlicher Sihila. Sie standen sich gegenüber, sodass die nackten Unterseiten ihrer Körper einander zugewandt waren. Unter normalen Umständen hätte das als peinlich und gesellschaftlich unschicklich gegolten, denn der intime Anblick der unbekleideten Organsäcke, Verdauungsstränge und Geschlechtsöffnungen war den Brutgefährten oder engsten Vertrauten vorbehalten. Doch die Umstände waren nicht normal. Bei dem Flug kam es darauf an, jedes überflüssige Gewicht zu vermeiden, um das Schwerkraftfeld von Duglivan verlassen zu können. Hätten alle zehntausend Passagiere aus Anstandsgründen eine Brust- und Unterleibsplatte getragen, hätte die Zahl der Reisenden um mindestens tausend verringert werden müssen.
Illustration: Swen Papenbrock
Fünf Gurte fixierten ihre Leiber in den Wannen, jedenfalls solange sie noch aufrecht standen. Einerseits bedeckten sie schmale Bereiche der eigentlich privaten Regionen und gewährten so zumindest die Illusion eines Hauchs von Kleidung, andererseits hingen alle zwölf Beinarme ohne Bodenkontakt in der Luft, was einem Sihila stets das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins vermittelte.
Hinter und neben seinem Gegenüber sah Bantradim die kaum überblickbare Menge weiterer Transportwannen. Durch die eng an eng stehenden Reihen schritten auf ihren vier Beinen gelegentlich Roboter mit einem kugelförmigen Körper aus Synthotall und kontrollierten die Gurte, die Wannenanschlüsse und die Hormonschläuche, die am unteren Drüsenbeutel jedes Passagiers befestigt waren. Warum die Erbauer die Bordinstruktoren nicht käferartig und den Reisenden somit wenigstens ähnlich konzipiert hatten, erschloss sich Bantradim nicht. Womöglich aus ethischen Gründen. Oder aus gar keinen.
»Willkommen auf der EXODUS EINHUNDERT«, hallte eine mechanische Stimme durch den Passagierraum. Nun ja, um ehrlich zu sein, handelte es sich eher um einen Frachtraum, denn nichts anderes waren die Reisenden: lebende Fracht. »Ich möchte euch kurz mit den wichtigsten Punkten dieses Flugs vertraut machen.«
Musste das sein? Hatten nicht alle eine Vereinbarung unterzeichnet, in der Ablauf und Risiken geschildert waren? Allerdings mochte es Reisende geben, die das lange Dokument nicht sorgfältig gelesen hatten und unter alles ihre Signatur gesetzt hätten, nur um dem Untergang zu entgehen.
»In wenigen Augenblicken werden Hormone in eure Körper geleitet, die eine Rückverpuppung bewirken. Es ist eine ungeheure Reise zum nächsten Planeten unserer Sonne. Sie dauert hundertvierundzwanzig Tage. Ohne den Schutz einer Planetenatmosphäre, die die gefährliche Strahlung des Sterns ausfiltert, könnt ihr nur verpuppt überleben.«
Abgesehen davon verhinderte es, bewusst mitzuerleben, dass man über ein halbes Jahr in einer Wanne lag, aus der es kein Entkommen gab. Und es ersparte, Unmengen an Eisen-, Gold- und Titanmengen mitzuführen, um die Passagiere zu ernähren.
»Die rechnerische Wahrscheinlichkeit, euch aus der Verpuppung wecken zu können, liegt bei vierzig Prozent. Die Erfahrungen aus den Flügen der neunundneunzig Schiffe vorher zeigt allerdings, dass mit einer geringeren Überlebensquote gerechnet werden muss. Aktuell liegt sie bei etwa neunundzwanzig Prozent.«
Was? Hätte man ihnen das nicht eher mitteilen können? Doch womöglich wären einige Auswanderer abgesprungen und hätten ihre letzten Tage lieber mit der Familie verbracht. Aber dann erinnerte sich Bantradim an das, was er zu Marila-Sir gesagt hatte.
Dass es eine Chance zum Überleben auf einem anderen Planeten gibt, wie gering sie auch sein mag, ist das einzig Tröstliche, das ich sehe.
»Sollten sich Gläubige unter euch befinden, wäre nun der geeignete Augenblick, ein letztes Gebet zu sprechen. Während des Flugs wird es keinen wachen lebenden Organismus an Bord geben. Die Landung auf Glivfanau erfolgt maschinell. Wenn die Transportwannen in die Horizontale fahren und mit Nährgel gefüllt werden, versucht bitte, Bewegungen zu vermeiden, weil sich sonst der Hormonschlauch lösen könnte. Und nun wünsche ich eine gute Reise. Mögen viele von euch in der neuen Welt erwachen.«
Ein Ruck ging durch Bantradims Wanne, als sie nach hinten wegkippte. Er sah gerade noch, wie auch in die weiteren Reihen Bewegung kam und sich die Behälter gegeneinander verschoben, manche absanken, anderen in die Höhe fuhren, da packte ihn eine instinktive Panik.
Sihila lagen nicht auf dem Rücken. Niemals! Nicht nur, dass sie es bloß unter langen, kraftraubenden Mühen schafften, sich in eine normale Position zurückzubugsieren, sie waren einem potenziellen Feind auch hilflos ausgeliefert. Auf dem Rücken zu liegen, konnte tödlich enden, wenn ein Steinschnäbler am Himmel kreisend nach Beute suchte oder sich ein Piru auf leisen Tatzen aus dem Aglesienwald pirschte, um seine Krallen und Zähne in ihren weichen Bauch zu schlagen, sie aufzureißen und ...
Bantradim musste sich umdrehen. Sofort!
Er bekam keine Luft mehr. Hitze stieg in ihm auf. Er versuchte, sich hin und her zu werfen, doch die Gurte hielten ihn fest. Sie drückten sich in die Verdauungsstränge, quetschten die Organsäcke schmerzhaft ab. Dann fühlte er ein leichtes Reißen zwischen dem untersten Beinarmpaar und wie etwas aus dem Drüsenbeutel rutschte.
Der Hormonschlauch. Nein! Das durfte nicht geschehen.
Er mahnte sich zur Ruhe. Im Exodusschiff gab es keine Steinschnäbler und Pirus, keine Raubtiere, die ihn ausweiden, keine Brutkonkurrenten, die sich in den Facetten seiner Gefährtin spiegeln wollten.
Du! Bist! Sicher!
So banal – und bei einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 29 Prozent falsch – dieser Gedanke auch war, legte sich der Drang, um sich zu schlagen. Bantradims Tracheen weiteten sich, und er konnte wieder atmen.
Hatte sich der Hormonschlauch gelöst? Er wollte den Kopf heben und an sich hinabsehen, doch direkt über ihm lagerte eine weitere Wanne. Mit dem Schädel stieß er gegen das harte, durchsichtige Material. Außer dem Rückenpanzer des nächsthöheren Passagiers konnte er nichts sehen.
Ein Gluckern erklang, als das Nährgel in Bantradims Wanne floss. So bald schon? Noch vor der Rückverpuppung? Oder war die Hormonlösung wirkungslos aus dem Schlauch über seinen Unterleib getröpfelt und er nun dazu verdammt, innerhalb der nächsten 124 Tage zu verhungern? Denn das Gel mochte zwar einen verpuppten Körper ausreichend versorgen können, aber gewiss nicht einen wachen Sihila.
Er fühlte, wie die Angst erneut nach ihm griff, doch ehe sie sich zur nächsten Panikattacke auswachsen konnte, versteiften seine Beinarme. Der Saugrüssel verlor an Flexibilität. Das Pumpen in den Organsäcken kam zum Erliegen.
Dann kroch die Dunkelheit über ihn hinweg, erlaubte ihm einen letzten Gedanken – Was, wenn sich die Wissenschaftler doch geirrt haben? – und hüllte ihn ein.
*
Die Wissenschaftler irrten sich, aber anders als erhofft.
*
Bantradim-Gralunvir stand auf dem Hügel außerhalb der verlassenen Eisenstadt, ließ den Blick stetig zwischen den Gebäuden im Tal und der Projektionswand hin und her wandern und dachte darüber nach, wie sich in den vergangenen Tagen alles so furchtbar hatte entwickeln können. Den wenigen Sihila, die sich mit ihm auf dem Hügel eingefunden hatten, ging es wahrscheinlich genauso. Tausende waren erwartet worden. Knapp über hundert waren gekommen. Der Rest versteckte sich in den Höhlensystemen vor dem, was kommen mochte und von dem niemand wusste, welches Ausmaß es annehmen würde.
Dabei hatte alles so verheißungsvoll angefangen.
Von den zehntausend Passagieren des Exodusschiffs waren 816 während des Flugs verhungert oder von der Sonnenstrahlung verbrannt worden, weil sie sich mit panischen Bewegungen die Hormonschläuche herausgerissen und eine Verpuppung so verhindert hatten. Bei weiteren 6229 hatte sich die Verpuppung nicht rückgängig machen lassen, und man hatte ihnen nach der Landung die Nährstoffzufuhr abgedreht. Sie waren auf dieselbe Weise gestorben, wie es Bantradim seiner Gefährtin hinsichtlich der Larven vorgeschlagen hatte. Mittlerweile schämte er sich dafür.
Es hatten also beinahe dreitausend Passagiere den letzten Exodusflug überlebt. Nach ihrer Ankunft zählte die Gesamtbevölkerung auf Glivfanau somit knapp über 290.000 Sihila, verteilt auf etwa vierzig Städte rund um den Planeten, die eigentlich für 400.000 Einwohner zuzüglich eines Sicherheitsaufschlags konzipiert waren. Beinahe jeder zweite der noch vor dem ersten Exodus von Robotern errichteten Brutbauten stand leer.
Dennoch reichten die Einwanderer als Grundstock für eine neue Zivilisation aus. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen den Geschlechtern war weitgehend ausgeglichen, ebenso das von Arbeitern, Wissenschaftlern, Lehrern, Metallschürfern, Obstbauern, Landschaftsgestaltern und zahlreichen anderen Professionen. Und gab es einen geeigneteren Ort dafür als Glivfanau? Die Zusammensetzung der Atmosphäre wich nur unwesentlich von der Duglivans ab, es gab ausgedehnte Wälder und fruchtbare Erde – nicht zuletzt für die tägliche Pflege des Chitinrückens. Vor allem sichteten die Sihila weder Steinschnäbel noch Pirus oder sonstige Raubtiere, die ihnen gefährlich werden konnten, zumindest nicht oberirdisch. In den ausgedehnten Höhlensystemen sah das wohl anders aus, aber es hätte niemand jemals vermutet, dass ein Sihila freiwillig seine zwölf Beinarme dort hineinsetzte.