Perry Rhodan 3302: Das Geschenk der Leun - Oliver Fröhlich - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan 3302: Das Geschenk der Leun Hörbuch

Oliver Fröhlich

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Beschreibung

4000 Jahre in der Zukunft ... Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst. Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX. Doch ausgerechnet bei seinem geplanten Jungfernflug greift eine bisher unbekannte Machtgruppe ein: Shrell, eine Leun, zündet das Brennende Nichts, das die Erde und den Mond verschlingen wird, wenn Perry Rhodan nicht mit dem PHOENIX in die Sternregion Agolei fliegt. Dort soll er seinen alten Freund Reginald Bull töten, der angeblich ihr Volk unterdrückt hat, und ihr den Sternwürfel bringen. Um die Erfolgsaussichten zu erhöhen, erhält Perry Rhodan DAS GESCHENK DER LEUN ...

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Zeit:3 Std. 57 min

Veröffentlichungsjahr: 2024

Sprecher:Renier Baaken

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Nr. 3302

Das Geschenk der Leun

Eine Ingenieurin fürchtet um ihre Schöpfung – ist der PHOENIX in Gefahr?

Oliver Fröhlich

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Kann ein Stein Gefühle lehren?

2. Mutterinstinkt

3. Eine überraschende Lücke (1)

4. Iteration

5. Lückenflimmern

6. Eine überraschende Lücke (2)

7. Das Geschenk des Terraners

8. Konsequenzen

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

4000 Jahre in der Zukunft ...

Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst.

Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX.

Doch ausgerechnet bei seinem geplanten Jungfernflug greift eine bisher unbekannte Machtgruppe ein: Shrell, eine Leun, zündet das Brennende Nichts, das die Erde und den Mond verschlingen wird, wenn Perry Rhodan nicht mit dem PHOENIX in die Sternregion Agolei fliegt. Dort soll er seinen alten Freund Reginald Bull töten, der angeblich ihr Volk unterdrückt hat, und ihr den Sternwürfel bringen. Um die Erfolgsaussichten zu erhöhen, erhält Perry Rhodan DAS GESCHENK DER LEUN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Perry Rhodan – Der Terraner stemmt sich gegen eine Erpresserin.

Zhobotter – Der Ara muss beweisen, wer er ist und was er kann.

Liam Barstow – Die Ingenieurin verweigert sich mütterlichen Gefühlen.

Phoenix

1.

Kann ein Stein Gefühle lehren?

Ein Distelfink in einem Taubenschlag konnte sich nicht unwohler fühlen. Obwohl er derselben Tierklasse angehörte, verstand er nur wenig von dem Gurren, das ihn umgab. Er wusste, er konnte besser singen als seine grauen Verwandten und trug das schönere Gefieder, dennoch stolzierten die Tauben um ihn herum, benahmen sich wie die Krone der Schöpfung und beäugten den Eindringling misstrauisch aus kalten Augen.

Die Tauben in diesem – wie sie zugeben musste – recht schrägen Bild waren Positroniker, Kybernetiker, Robot-Psychologen und dergleichen mehr. Der Distelfink war sie, Liam Barstow.

»Welch unerwarteter Glanz in unserer Hütte«, hallte das durchdringende Organ eines Ferronen über das Stimmengewirr hinweg.

Oh nein!, dachte sie. Von all den Tauben im Schlag muss ich ausgerechnet der begegnen, die am lautesten gurrt und den größten Dreck hinterlässt.

Der Ferrone schob sich an drei Terranern vorbei, die die Pause zwischen den Vorträgen für einen kleinen Imbiss nutzten. Sofern man das tiefrote, perlende, vermutlich alkoholhaltige Getränk in den langstieligen Gläsern und die bis zum Tellerrand aufgetürmten Leckereien so nennen wollte.

Offenbar machte ein Positronik-Symposium sehr hungrig. Vielleicht waren die Teilnehmer auch nur wegen der Verpflegung gekommen.

Nein, das war ungerecht. Aber manchmal neigte Barstow zu solchen boshaften Gedanken, vor allem, wenn sie sich unwohl fühlte. Und der Anblick des Ferronen, der sich ihr unaufhaltsam näherte, verstärkte diese Empfindung zusätzlich.

Einmal hatte einer ihrer sechs Brüder zu ihr gesagt: »Du bist gelegentlich ganz schön sarkastisch, Li.«

Sie erinnerte sich nicht, welcher es gewesen war. Lloyd jedenfalls nicht, der hatte da bereits nicht mehr gelebt. An ihre Antwort hingegen erinnerte sie sich genau: »Das hast du ganz toll herausgefunden.«

Danach hatte er vier oder fünf Tage nicht mit ihr gesprochen – und sie hatte sich vorgenommen, künftig besser auf ihre Worte zu achten.

Trotzdem kam dieser alte Wesenszug hin und wieder durch. Solang sie solche Dinge aber nur dachte und nicht aussprach, war es verkraftbar. Schließlich verletzte sie damit niemanden.

Und so gelang es ihr auch an diesem 14. Dezember des Jahres 2215 NGZ, dem Ferronen ein knappes Lächeln zu schenken, während er auf sie zusteuerte. Natürlich war ihr die wahre Bedeutung seiner Begrüßung bewusst. Von wegen »unerwarteter Glanz«.

Was er eigentlich damit meinte, war: »Was, bitte sehr, tust du hier?«

Eine gerechtfertigte Frage mit einer durchaus konkreten Antwort, die ihn allerdings nichts anging.

»Páro! Schön, dich zu sehen«, behauptete sie, nachdem er sich vor ihr aufgebaut hatte.

»Oh, bitte, Li. Für eine werte Kollegin wie dich bin ich Pá. Ich darf dich doch Li nennen?«

»Nein.« Die Koseform ihres Namens war und blieb ihren Geschwistern vorbehalten.

Páro Tráamant zuckte nicht einmal zusammen. Er war eine Handbreit kleiner als sie, obwohl auch sie es nur auf 1,64 Meter schaffte, und musste aus seinen tief liegenden Augen zu ihr aufschauen. Dennoch brachte er das Kunststück fertig, es wirken zu lassen, als musterte er sie von oben herab.

Um sie drängten sich die Symposiumsbesucher in der Lobby des Terrania Institute of Technology, erkämpften sich ihren Weg zum Büfett und wieder zurück, erspähten Bekannte, mit denen sie dringend ein Schwätzchen halten mussten, diskutierten über die bisherigen Vorträge und technischen Demonstrationen. Es war ein ständiges Kommen, Gehen, Rempeln und Schieben.

Barstow wunderte sich, dass sich noch niemand versehentlich das tiefrote Erfrischungsgetränk auf die Garderobe geschüttet hatte. Von allen Seiten prasselten Stimmen auf sie ein.

Ihre von Eindrücken überreizten Sinne flehten sie an, die Veranstaltung endlich zu verlassen und insbesondere Tráamants Gesellschaft zu entkommen, aber das wollte und konnte sie sich nicht erlauben. Schließlich hatte sie sich nicht grundlos in die Untiefen eines Symposiums in einem ihr fremden Fachgebiet begeben.

»Wie lange ist es her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben?«, fragte Tráamant, der ihre Abfuhr offenbar schnell weggesteckt hatte, falls sie ihm überhaupt aufgefallen war. Dass sie sich nicht mit ihm unterhalten wollte, schien er nicht zu bemerken. Oder er ignorierte es und zwang ihr mit Absicht ein Gespräch auf, um sie zu ärgern.

So war er schon damals gewesen: so prall gefüllt von sich selbst, einem scharfen Verstand und einem Übermaß an Arroganz, dass für Einfühlungsvermögen kein Raum blieb.

»Das kann ich gar nicht so genau sagen«, log Barstow. Tatsächlich wusste sie es exakt.

Nach dem Abschluss des Ingenieurstudiums und den Jahren bei Whistler sowie anschließend bei zwei Triebwerksentwicklern und später dann einem privaten Raumschiffshersteller hatte sie im Dienst der Flotte an der Weiterentwicklung einer Klasse von Kampfraumern mitgearbeitet.

Tráamant war damals für die Implementierung der Schiffspositroniken zuständig gewesen. Es hatte kaum einen Tag gegeben, an dem sie nicht aneinandergeraten wären, weil sich der werte Herr Kollege ständig in Bereiche eingemischt hatte, die ihn nichts angingen. Der Tag, an dem er überraschend seine Aufgaben niedergelegt hatte, da er einem lukrativeren Angebot folgen wollte, war der Tag, an dem sie einander zuletzt gesehen hatten. Wenn es nach ihr ginge, hätte es dabei bleiben können.

»Ist auf jeden Fall lange her«, sagte sie.

»Gut siehst du aus. Hast dich extra für uns in Schale geworfen, wie?«

Das hatte sie wirklich. Sie trug ein rotes Kostüm mit goldenen Holoapplikationen, eine irisierende Perlenkette und dazu passende, aber unbequeme Designerschuhe. Was tat man nicht alles, wenn man jemanden beeindrucken wollte ... Doch auch das ging Tráamant nichts an.

»Ach was«, sagte sie deshalb. »Ich habe nur rasch übergeworfen, was mir in die Hände gefallen ist. Das Kompliment kann ich übrigens zurückgeben.«

Rein optisch stimmte das. Obwohl der Positroniker nicht der einzige Ferrone war, der das Symposium besuchte, stach er trotz seiner geringen Größe unter den Terranern, Ertrusern, Oxtornern, Cheborparnern und Vertretern anderer Völker hervor. Das mochte daran liegen, dass er die typische blaue Ferronenhaut mit Holopigmenten einen Hauch strahlender und die kupferroten Haare mehr als einen Hauch glitzernder erscheinen ließ. Kein Zweifel, dieser Mann wollte auffallen. Es war Teil seines Selbstbildes.

»Nett von dir, das zu sagen«, entgegnete er mit einem zu freundlichen, künstlichen Lächeln. »Also, was führt dich zu einem Positronik-Symposium? Hast du genug vom Schiffsbau und willst dich umorientieren? Oder sehnst du dich nach der Gesellschaft echter Wissenschaftler?«

Barstow musste gegen den Drang ankämpfen, ihm ihren alkoholfreien Drink ins Gesicht zu kippen. »Nichts dergleichen, mein lieber Páro. Und was wärt ihr Positroniker ohne unsere Ingenieurskunst? Immerhin erschaffen wir die Gefäße für eure zweifellos phantastischen Kreationen. Wir liefern die Körper, ihr den Geist.«

Er öffnete den Mund, vermutlich um auf die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Positroniken außerhalb von Raumschiffen hinzuweisen.

Barstow ließ ihn nicht dazu kommen und sprach schnell weiter. »Aber in der Tat bin ich hier, um mir einen Vortrag anzuhören.«

»Wie schade«, sagte er. »Ich fürchte, meinen hast du verpasst. Er behandelte die faszinierenden Möglichkeiten, die eine Neuinterpretation des Kantor-Paradoxons bieten könnte, wenn die Alpha-Befehle unter Berücksichtigung einer hyperverzahnten ...«

Barstow hatte keine Ahnung, wovon der Mann sprach, und es interessierte sie auch nicht. »Verpasst? Eher nicht. Ich möchte Zhobotters Vortrag hören«, fiel sie ihm ins Wort.

Erwartungsgemäß verstummte Tráamant. Seine Augen weiteten sich. Und nahm nicht sogar der Glanz der Haare ein wenig ab? Nein, das musste sie sich einbilden.

»Das ist nicht dein Ernst«, brach es aus dem Positroniker hervor.

Sie sah ihn durchdringend an, ohne etwas zu sagen. Selbst ihm sollte nun klar werden, dass es sehr wohl ihr Ernst war.

»Du interessierst dich für ... Wie lautet der sperrige Titel seiner Darbietung? Die Nicht-Eliminierbarkeit des Zufallselements in der Bewusstseinsschaffung? Oder so ähnlich. Was reizt dich ausgerechnet an diesem Thema?«

»Mich interessiert nicht das Thema. Mich interessiert der Mann.«

Ein boshaftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Dann seufzte er theatralisch. »Was man eben so Mann nennen kann. Eine fürchterliche Geschichte mit Zhobotter. Du kennst ihn?«

»Nicht persönlich. Aber das möchte ich ändern.«

Er senkte die Stimme. »Wenn ich dir einen Rat geben darf: Nimm dich vor ihm in Acht!«

Barstow kaufte ihm die Besorgnis, die er sorgfältig in seinen Worten mitschwingen ließ, keine Sekunde lang ab. Sie wusste, dass Páro Tráamant den Ara Zhobotter als seinen Erzfeind betrachtete. Vor etwas mehr als fünf Jahren hatte dieser nämlich eine von Tráamants wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit wenigen Sätzen als den haltlosen Blödsinn entlarvt, der er wohl tatsächlich gewesen war. Nicht dass sie sich anmaßen würde, das beurteilen zu können.

»Wieso?«, gab sie sich arglos. »Ich habe viel Gutes über ihn gehört. Gilt er etwa nicht galaxisweit als Wunderkind seines Fachs?«

»Galt, Li«, sagte Tráamant. »Galt! Vergangenheitsform. Seit seinem Unfall ... Du weißt von dem Unfall? Tragische Geschichte. Ganz tragisch.«

Sie sah ihm nach, dass er sie bei dem ihm verbotenen Kosenamen genannt hatte. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass sie ausgerechnet Tráamant über den Weg gelaufen war. Manchmal erfuhr man von neidischen Personen mehr über jemanden als von Bewunderern. Vorausgesetzt, es gelang einem, das übertrieben Negative herauszufiltern.

Illustration: Swen Papenbrock

»Ich weiß, dass er einen Unfall hatte«, antwortete sie. »Details kenne ich nicht.«

Tráamant nahm einen Schluck aus seinem Glas, als müsste er nachdenken, welche schrecklichen Einzelheiten er ihr offenbaren durfte. Heuchler.

»Er ist erst vor ein paar Tagen nach Terra übergesiedelt«, sagte der Positroniker schließlich. »Man munkelt, er habe sich dort, wo er vorher war, mit allen überworfen.«

»Wer ist man? Wo war er denn zuvor?«

»Man eben. Die Leute. Natürlich handelt es sich nur um Gerüchte, aber von irgendwoher müssen die schließlich kommen, nicht wahr?«

Barstow fiel auf, dass Tráamant die Frage nach dem Vorher unbeantwortet ließ. Vermutlich wusste er es selbst nicht. Es hätte sie nicht gewundert, wenn die Quelle der angeblichen Gerüchte direkt vor ihr stand. Womöglich hatte Tráamant sie gerade erst erfunden.

»Bei diesem Unfall«, fuhr er fort, »nun, Zhobotter hat die Hälfte seines Körpers verloren. Die linke Seite, einfach weg. Das hätte er niemals überleben dürfen.«

»Aber ein Kontingent aus Nanorobotern ...«

Tráamant winkte ab. »Ja, ja, es ersetzt die fehlende Seite. Und wenn man es nicht weiß, fällt es nicht einmal sonderlich auf. Trotzdem: Wie kann er noch derselbe sein? Schließlich formen diese Roboterchen auch die Hälfte seines Gehirns nach.«

»Ich habe keine Ahnung. Wie kann er denn derselbe sein?«

»Das will ich dir sagen: gar nicht. Seine Persönlichkeit hat sich drastisch verändert. Er ist sozial völlig inkompatibel. Mehr noch, er hat den Respekt und das Vertrauen der Fachwelt verloren.«

Das war ihr neu. Allerdings konnte sie nicht sicher sein, wie nah an der Wahrheit sich Tráamants Behauptung bewegte. »Wieso das?«

»Man merkt, dass du eben nur eine Ingenieurin bist«, sagte er, ohne dass ihm die Beleidigung aufzufallen schien. »Versetz dich in unsere Lage: Manche Kollegen behaupten, seine Ideen seien immer noch genial, wenngleich ich dem widersprechen würde. Aber von wem stammen diese Ideen? Ist es Zhobotter, der aus diesen Gedanken spricht? Oder gibt sie ihm das Nanokontingent ein? Sind seine Theorien demzufolge das Resultat einer Gedankensimulation des echten Zhobotter, so wie er auch seine fehlenden Emotionen emuliert? Dass ihm aus der Fachwelt Skepsis und Misstrauen entgegenschlagen, ist nicht verwunderlich. Würdest du mir da nicht zustimmen?«

»Ehrlich gesagt, nicht. Ist es nicht gleichgültig, von welcher Seite seines Gehirns die guten Ideen stammen? Und sollten Positroniker den Umgang mit intelligenten Maschinen nicht gewohnt sein?«

Ein melodischer Gong hallte durch die Lobby. Das Signal, dass die Pause vorüber war und die nächsten Vorträge anstanden. Die Besuchermenge geriet in Bewegung und verteilte sich auf die einzelnen Säle.

Tráamant schloss sich dem allgemeinen Aufbruch nicht an. Er war noch nicht fertig mit seiner Erklärung, warum sich Barstow vor Zhobotter in Acht nehmen solle.

»Sieh es aus einem anderen Blickwinkel: Dieses ehemalige Wunderkind ist nicht mehr zu Emotionen fähig. Es spielt sie nur. Innerlich ist Zhobotter kalt wie ein Stein. Wie kann so jemand einem künstlichen Bewusstsein Gefühle vermitteln? Das wäre, als würde ein Blinder malen oder ein Gehörloser komponieren.«

Nicht, dass es solche Fälle in der Geschichte der Menschheit nicht bereits gegeben hätte, dachte sie.

»Nein, Li. Ich weiß nicht, was du von ihm willst, nimm bitte dennoch diesen gut gemeinten Rat an: Vertrau ihm nicht. Ihm nicht, und schon gar nicht seiner Expertise.« Er klang so gönnerhaft wie früher.

Sie presste sich ein schmales Lächeln ab. »Ich werde es in meine Überlegungen einbeziehen. Vielen Dank, das war ein sehr aufschlussreiches Gespräch. Ach, und Páro?«

»Ja?«

»Nenn mich bitte nie wieder Li.«

*

Eine Stunde später setzte sich Liam Barstow auf einen Zuhörersessel in der obersten Reihe des Vortragssaals. Er glich einem Amphitheater, dessen Ränge lediglich ein schmaler Gang durchbrach. Unten auf der Bühne stand eine Frau schwer schätzbaren Alters und schwärmte gestenreich von den Vorzügen eines Kontra-Computers, zeigte jedoch zugleich die Gefahren auf, die eine vorschnelle Interpretation der Ergebnisse dieser speziellen Positroniken mit sich brachte. Schließlich gingen sie immer von den gegenteiligen Annahmen herkömmlicher Rechner und von unwahrscheinlichen Ereignissen aus.

In leuchtenden Holobuchstaben schwebte der Name der Frau so groß über ihrem Kopf, dass selbst Barstow ihn von der letzten Reihe aus lesen konnte. Tamara Mullingham, Koko-Interpretin.

Aha. Nie von ihr gehört.

Barstow verstand nicht einmal zehn Prozent von dem, was die Frau erzählte. Das Thema kannte sie nur deshalb, weil es über dem Namen der Vortragenden – sogar mit noch größeren Buchstaben – im Holo zu lesen war.

Sie blendete Mullinghams Stimme aus und sah sich im Auditorium um. Es bot schätzungsweise tausend Zuhörern Platz. Beinahe sämtliche Sessel waren belegt.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass die Rednerin bereits fünf Minuten überzogen hatte. Eigentlich sollte in diesem Augenblick Zhobotters Vortrag beginnen.

Weitere zehn Minuten vergingen, ehe Mullingham zum Ende kam. Tosender Applaus brandete auf. Die meisten Zuhörer erhoben sich, um ihre Begeisterung kundzutun.

Barstow blieb sitzen. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass ihre Füße in diesen verdammten Schuhen inzwischen mörderisch wehtaten.

Endlich winkte Mullingham ein letztes Mal ins Publikum und verließ die Bühne. Kurz bevor sie den Gang zwischen den Rängen erreichte, trat Zhobotter daraus hervor. Er nickte der Kollegin zu, die an ihm vorbeiging, ohne den Gruß zu erwidern oder ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Die unter der Decke schwebenden Holomonitoren übertrugen jedes Detail, sodass Barstow sogar mitbekam, wie Kinn und Nase der Koko-Spezialistin ein Stück in die Höhe gingen.

Unruhe kam in die Reihen der Zuhörer, aber nicht etwa wegen Mullinghams Verhalten, sondern weil zahlreiche Besucher aufstanden und sich an den wenigen Sitzengebliebenen vorbei Richtung Ausgang schoben.

Zhobotter betrat die Bühne. Die Holomonitoren unter der Decke hatten Tamara Mullingham in Ganzkörperansicht dargestellt, von dem neuen Redner zeigten sie lediglich den Kopf in Großaufnahme. Einen haarlosen Kegelkopf, wie er für Aras typisch war, wenngleich der von Zhobotter zur Schädelkuppe hin weniger spitz und hoch wirkte als bei vielen anderen Aras.

Páro Tráamant hatte recht gehabt: Dass eine Körperhälfte aus Nanorobotern bestand, war kaum zu erkennen. Lediglich ein hauchdünner Strich verlief von der Spitze des Schädels zwischen den Augen entlang über die Nase bis zum Kinn und verschwand unter dem Hemd wie eine blasse, fast nicht sichtbare Narbe. Wesentlich markanter fiel Zhobotters Kleidung aus: pinkes Hemd, pinke Jacke, pinke Hose und – Überraschung! – weiße Schuhe.

Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, wie von einem untalentierten Bildhauer ins Gesicht gemeißelt.

Wieder kein guter Vergleich, dachte Barstow, erinnerte er doch zu sehr an Tráamants Aussage, der Ara sei innerlich kalt wie ein Stein. Aber tatsächlich wirkte das Lächeln künstlich und erzwungen, als hätte Zhobotter es vor dem Spiegel einstudiert.

Zhobotter wartete mehrere Minuten reglos und ohne das geringste Zucken im Gesicht, bis die Desinteressierten den Hörsaal verlassen und die Türen geschlossen hatten. Maximal fünfzig Gäste waren geblieben. Sie verloren sich beinahe im weiten Rund.

Wie bei Tamara Mullingham flammten auch über Zhobotter in Holoschrift sein Name und das Thema seines Vortrags auf. Die Unkalkulierbarkeit des Zufallselements bei der Erschaffung künstlicher Bewusstseine – und wie es sich mittels Iteration minimieren lässt.

Das klang sogar noch sperriger, als es Páro Tráamant angekündigt hatte.

Ihr fiel ein fingernagelgroßer Pigmentfleck neben Zhobotters linkem Auge auf, den sie zuerst nicht bemerkt hatte – und der, kaum dass sie ihn gesehen hatte, zum Mundwinkel wanderte und verschwand. Ein Fehler in der Bildübertragung des Holos? Oder einer in der Gesichtsnachbildung durch die Nanoroboter?

»Herzlich willkommen«, tönte Zhobotters von Akustikfeldern verstärkte Stimme durch das Auditorium. »Ich freue mich, dass ihr so zahlreich erschienen seid, obwohl im Saal nebenan ein werter Kollege über die faszinierende Entwicklung der Rechtsprechung in Haftungsfragen bei von Positroniken verursachten Schäden spricht.«

Sein Lächeln wurde weder breiter noch schmaler und schon gar nicht lebhafter. Die Augen blieben stumpf und ausdruckslos.

Die Eröffnung klang auswendig gelernt und emotionslos heruntergerattert, sodass keiner der Zuhörer beurteilen konnte, ob sie als Scherz gemeint war.

Niemand lachte. Stattdessen wechselten einige Besucher verständnislose Blicke. Einer stand auf und ging.

Endlich begann Zhobotter mit seinem Vortrag. Zehn Minuten sprach er über die Frage, welche Maßstäbe an ein Bewusstsein gelegt werden mussten und ob ein künstliches ein menschliches je erreichen oder gar übertreffen konnte. Barstow war überrascht, wie gut sie ihm folgen konnte.

»Betrachten wir unser eigenes Bewusstsein. Wir Lebewesen sind zu Liebe fähig, zu Freude und Zuneigung, zu Trauer und Wut.« Nach einer kurzen, offenbar wohlkalkulierten Pause fügte er hinzu: »Zumindest einige von uns.«

Barstow staunte. War das der Versuch eines offensiven Umgangs mit der eigenen Unzulänglichkeit? Auch bei dieser Gelegenheit hätte Zhobotter ein offenes, aufrichtiges Lächeln geholfen – und nicht die aufgesetzte, fast schon hysterische Heiterkeit in der Stimme. Barstow erschienen die Zuhörer eher verstört als amüsiert.

»Da wir all das von uns kennen und wir ohne Zweifel ein Bewusstsein haben, erwarten wir die Fähigkeit zu fühlen auch von einem künstlichen Bewusstsein, wenn wir es als menschenähnlich oder gar menschenidentisch klassifizieren wollen. Was wäre, wenn ich euch sagte, dass ich diese Fähigkeit zum größten Teil verloren habe? Würdet ihr mir das Bewusstsein aberkennen? Gewiss nicht.«

So sicher wie Zhobotter war sich Barstow da keinesfalls. Gemurmel wurde unter den Zuhörern laut. Sie vermutete, dass sie sich von dem Ara angegriffen fühlten. Erst der alberne Dank für das zahlreiche Erscheinen bei einem fast leeren Hörsaal, dann die als Neid interpretierbare Äußerung, dass nur einige zu Liebe und anderen Gefühlen fähig seien, und nun dies.

Andererseits: Mit der richtigen Körpersprache und Mimik vorgetragen und ohne das Wissen um Zhobotters künstlichen Halbkörper hätten seine Sätze durchaus witzig wirken können. Zum ersten Mal wurde Barstow deutlich, wie viel davon abhing, dass man nicht nur die richtigen Worte präsentierte, sondern dass man die Worte auch richtig präsentierte.

Falls der Ara die aufkommende Unruhe bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken.

»Oder treiben wir es auf die Spitze: Ihr alle kennt die uralten Gedankenexperimente des chinesischen Zimmers oder des Gehirns im Tank, andernfalls wärt ihr nicht hier.«

Wieder lachte niemand. Immerhin legte sich das Gemurmel. Barstow beschloss, die genannten Gedankenexperimente bei Gelegenheit nachzuschlagen. Ihr sagten sie nämlich nichts.

»Stellen wir uns also für einen Augenblick vor, niemand von uns befände sich tatsächlich in diesem Raum. Er wäre nur eine Illusion, eine virtuelle Realität, die unseren Gehirnen im Tank vorgegaukelt würde.

Vielleicht sind ja aber auch manche der Anwesenden ein Teil dieser Scheinwirklichkeit und besitzen nicht einmal ein Gehirn im Tank. Womöglich sind sogar wir alle nur virtuelle Geschöpfe. Wie sollten wir das jemals beurteilen können? Ihr kennt die Antwort: Wir können es nicht.

Wäre es nicht denkbar, dass irgendwo dort draußen ein echtes, ein bewusstes Lebewesen sitzt, das auf uns herabschaut, mitleidig lächelt und das, was wir als unsere Bewusstseine betrachten, nicht als solche anerkennt? Hätte dieser Beobachter recht damit? – Selbstverständlich nicht! Sein Maßstab mag ein anderer sein als unserer. Wir wissen es nicht, und es kümmert uns nicht. Warum also sollte sich ein von uns erschaffenes Wesen, das über ein Bewusstsein zu verfügen glaubt, um unsere Maßstäbe kümmern?