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4000 Jahre in der Zukunft … in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Beziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst. Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – will mit einer neuen Klasse von Kurierschiffen dafür sorgen, dass die Sterneninseln der Lokalen Gruppe zusammenwachsen. Mit dem Projekt von San zielt er auf ein Bündnis von Galaxien ab. Doch ehe der PHOENIX zu seinem Jungfernflug starten kann, wird die Erde attackiert: Shrell zündet das Brennende Nichts, das binnen vier Jahren Erde und Mond verschlingen wird. Ihr Ultimatum: Perry Rhodan muss in ihre Heimat fliegen, um den dortigen Tyrannen zu töten. Doch dieser Tyrann sei Reginald Bull, Rhodans ältester Freund. Rhodan bleibt nichts anderes übrig, als eine weite Reise anzutreten. Mit einer kleinen Besatzung und dem PHOENIX bricht er in die Agolei auf, ein gigantisches Band aus Sternen. Schon bald heißt es: WILLKOMMEN IN DER AGOLEI …
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Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2025
Nr. 3312
Willkommen in der Agolei
Der PHOENIX erreicht sein Ziel – es droht die Konfrontation
Oliver Fröhlich
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog: Einsamkeit
BUCH I
1. Enttäuschte Erwartungen
2. Treibgut
3. Theorien
4. Lähmungserscheinungen
5. Die Freundin eines Freundes
6. Neue Befehle
7. Ein unterkühlter Empfang
BUCH II
1. Schicksal, nicht Glück
2. Ins Eis
3. Bergung
4. Patientenpflege
5. Kunstvolles Scheitern
6. Das Spiel beginnt
Leseprobe PR NEO 350 – Rüdiger Schäfer – Kosmische Kontore
Vorwort
1. Perry Rhodan
2. Perry Rhodan
Gespannt darauf, wie es weitergeht?
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
4000 Jahre in der Zukunft ... in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung.
Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Beziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst.
Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – will mit einer neuen Klasse von Kurierschiffen dafür sorgen, dass die Sterneninseln der Lokalen Gruppe zusammenwachsen. Mit dem Projekt von San zielt er auf ein Bündnis von Galaxien ab.
Doch ehe der PHOENIX zu seinem Jungfernflug starten kann, wird die Erde attackiert: Shrell zündet das Brennende Nichts, das binnen vier Jahren Erde und Mond verschlingen wird. Ihr Ultimatum: Perry Rhodan muss in ihre Heimat fliegen, um den dortigen Tyrannen zu töten. Doch dieser Tyrann sei Reginald Bull, Rhodans ältester Freund.
Rhodan bleibt nichts anderes übrig, als eine weite Reise anzutreten. Mit einer kleinen Besatzung und dem PHOENIX bricht er in die Agolei auf, ein gigantisches Band aus Sternen. Schon bald heißt es: WILLKOMMEN IN DER AGOLEI ...
Perry Rhodan – Der Terraner ist in einer fremden Region des Kosmos unterwegs.
Wuranok – Ein Leun befindet sich in Nöten.
Phoenix – Das Bordbewusstsein muss einen Schlag hinnehmen.
Gucky
Prolog
Einsamkeit
Wenn man auf einem verlassenen Planeten in einer vermutlich jahrtausendealten Ruine festsaß und sich von Konserven ernähren musste, die die letzten Bewohner zurückgelassen hatten, lief im Leben einiges schief. Zumindest empfand Gucky es so.
Klar, er hätte sich auf die positiven Seiten konzentrieren können, denn immerhin hatte er etwas zu essen und zu trinken. Grund genug für Dankbarkeit, selbst wenn alles, was er von den Vorräten bisher probiert hatte, wie Leim schmeckte.
Nur fiel es ihm zunehmend schwerer, sich die aktuelle Situation schönzureden.
Lustlos öffnete er eine weitere Konserve, die er mit einem alten Thermostrahler erhitzt hatte. Diese beiden Grundpfeiler seines Überlebens stammten aus einem Lager, das Gucky auf Canephor gefunden hatte – dem Planeten, auf dem er festsaß, nun schon seit ... ja, seit wann eigentlich? Viel zu lange jedenfalls.
Ein Geruch nach feuchtem Gras und Dung schlug ihm entgegen, als er den Deckel des quaderförmigen Behälters aufzog. Der Anblick der klebrigen Masse im Inneren ließ ihn angewidert die Augen verdrehen.
»Sehr schön«, sagte er. »Es gibt grünliche Pampe. Eine wundervolle Abwechslung zu der rötlich braunen Pampe vor ein paar Stunden, findest du nicht? Es ist einfach wichtig, sich vielseitig zu ernähren, weißt du? Wer würde ständig das Gleiche essen wollen? Karotten beispielsweise.«
Er erhielt keine Antwort. Was sollte der grob humanoide Roboter mit der schwarzen Metallhaut auch sagen? Und vor allem: wie? Er stand reglos am Eingang des so reichhaltig bestückten Lagers. Die roten Augenlinsen blickten unbewegt in die Ferne – mit anderen Worten: nirgendwohin. Weder wandte er sich Gucky zu noch zuckte er mit den breiten Schultern.
Dass er nicht funktionierte, hinderte den Mausbiber aber keineswegs daran, sich mit ihm zu unterhalten. Na ja, wohl eher auf ihn einzureden. Wieder gelang es ihm nicht, sich auf die positiven Aspekte zu konzentrieren. Denn der Einzige zu sein, der sprach, sparte zwar Zeit und verhinderte Streitereien, doch mittlerweile sehnte er sich nach einer Antwort – und bestünde sie nur aus Widerworten.
»Ist ja schon gut. Du hast mich erwischt. Ich gebe es zu: Ich würde ständig nur Karotten essen, wenn es welche gäbe.«
Mit einem zum Löffel umfunktionierten Metallstreifen schaufelte er sich ein wenig in den Mund.
»Ich stelle fest, dass sich diese Delikatesse von der rötlich braunen Pampe nur in der Farbe unterscheidet. Willst du mal kosten? Nein? Prima, dann bleibt mehr für mich.«
Er nahm den nächsten Happen und schleuderte den Behälter in die Ecke.
»Widerlich. Wie soll man mit diesem Fraß zu Kräften kommen?«
Gucky erhob sich von der umgestürzten Steinsäule, auf der er gesessen hatte, und tappte die wenigen Schritte bis zum Ausgang des verfallenen Gebäudes. Seiner Heimat der vergangenen Tage. Seinem Nest, dem jegliche Wärme fehlte.
Es war kalt auf Canephor. Nicht unerträglich oder gar lebensbedrohlich – und für einen Pelzträger wie ihn schon gar nicht –, dennoch zehrte die Temperatur an der Substanz und an den Nerven. Selten hatte er sich so müde gefühlt.
Und schuld an allem war Shrell, diese durchgeknallte, unausstehliche Leun. Sie hatte Gucky gezwungen, nicht nur aus der ELDA-RON und nach Canephor zu teleportieren, sondern damit auch Sichu Dorksteiger in ihren Fängen zurückzulassen. In einem Anflug von Aufmüpfigkeit hatte er Sichu zwar versprochen, zurückzukehren und sie zu retten, aber wie konnte er das einhalten, wenn er nicht einmal wusste, wie er sich selbst retten sollte?
Andererseits war es ja nicht so, dass er es nicht versucht hätte.
Ehe er die Reste des Türstocks erreichte, hinter denen die Ruinenstadt lag, drehte er sich noch einmal zu dem starren Roboter um.
»Was denkst du? Wird meine Nachricht Perry erreichen? Ist er überhaupt in die Agolei gereist? Oder stehe ich mir hier völlig umsonst die ohnehin viel zu kurzen Beine in den Bauch?«
Keine Antwort. Diesmal tat Gucky nicht einmal so, als hätte er eine bekommen.
Er trat ins Freie und sah in die Richtung, in der das Stadtzentrum lag. Dorthin, wo er die Statuen der Völker entdeckt hatte, die zu der Leunkultur gehörten. Ob es unter ihnen eines gab, dem der Leimbrei tatsächlich geschmeckt hatte?
Er würde sie nicht fragen können, denn von den lebenden Originalen hielt sich längst keiner mehr auf dem Planeten auf. Sogar Shrell war verblüfft gewesen, dass Canephor noch existierte.
Guckys Ohren zuckten, als ihm bewusst wurde, was das bedeutete: Ihr Wissensstand war veraltet. Sie kannte diesen von Kunstsonnen beschienenen Brocken im All nur unwesentlich besser als er inzwischen. Vermutlich wusste sie nicht einmal etwas von dem Lager mit den Konserven und was er sonst noch gefunden hatte. Andernfalls hätte sie ihn nicht auf diesem öden Nichts ausgesetzt.
Gab es irgendwo auf dem Planeten also womöglich doch etwas, das er zur Flucht benutzen konnte? Einen Wunschbrunnen? Ein Taxiunternehmen? Oder nur ein gestrandetes Raumschiff oder einen Gleiter?
Unwahrscheinlich, gewiss. Aber deshalb auch unmöglich?
BUCH I
Eine überraschende Nachricht
Es geschieht zu jeder Zeit etwas
Unerwartetes; unter anderem ist auch
deshalb das Leben so interessant.
(Marie von Ebner-Eschenbach)
1.
Enttäuschte Erwartungen
6. August 2250 NGZ
Die Agolei. Das Ziel einer 238 Millionen Lichtjahre überspannenden Reise. Ein nach astronomischen Verhältnissen hauchdünnes, kerzengerades Band aus Sonnen, vierzehn Mal länger als der Durchmesser der Milchstraße. Das Licht des äußersten Sterns brauchte ungefähr 1,4 Millionen Jahre, um am anderen Ende des Sternenstroms anzukommen.
Riesige Zahlen, die Meg Ontares zwar fehlerfrei aussprechen und mit denen sie notfalls auch rechnen konnte, deren wahre Bedeutung für sie jedoch immer ungreifbar bleiben würde.
Noch hatten sie das Ziel nicht ganz erreicht, aber in wenigen Minuten würde der PHOENIX aus dem Hyperraum in den Einstein-Raum zurückkehren – falls man diesen Begriff überhaupt verwenden konnte in einer Gegend, in der niemand je von einem Herrn Einstein gehört hatte.
Wie so oft auf ihrer langen Reise hatte sich die Mannschaft in der Lounge versammelt. Die wie Irisblenden verschließbaren Lamellen der Zwischenböden auf Höhe des B- und C-Decks waren eingefaltet. So standen der Crew die vollen zwölf Meter Durchmesser des kugelförmigen Freizeit- und Aufenthaltsbereichs zur Verfügung.
Meg saß in einem der Schwebesessel, die Hände entspannt auf den Lehnen, und starrte auf die gewölbte Innenwand der Lounge, die im Augenblick nichts anderes zeigte als einen dichten holografischen Dschungel. Bromelien, von Würgefeigen überwucherte Elefantenbäume, Rhododendren, Lianen und vieles mehr. Das künstliche Zwitschern exotischer Singvögel und ein stetes Insektenbrummen und -zirpen vervollständigten die Illusion ebenso wie das gelegentliche Affengeschrei und das Knarzen von Bäumen. Phoenix hatte sogar einige Aromastoffe in die Lounge geleitet. Der Duft nach feuchter Erde, Holz, Blättern und Blüten vermittelte Meg zwar nicht das Gefühl, sich tatsächlich in einem Urwald aufzuhalten, aber immerhin in einem Sensoriumskino, wie sie sie in Terrania so gerne besucht hatte.
»Vier Minuten bis zum Wiedereintritt in den Normalraum«, hallte die markante Männerstimme des Bordbewusstseins durch den Dschungel.
»Erhöhte Alarmbereitschaft«, sagte Perry Rhodan, dessen Sessel links von Meg schwebte. Neben ihm saßen Liam Barstow und Atlan. Lediglich der Ara Zhobotter war in seiner Kabine geblieben.
Zwei Worte des Terraners, gesprochen mit völlig unaufgeregter Stimme, und dennoch reichten sie aus, dass sich Megs Hände in die Sessellehnen krallten. Plötzlich kam ihr die Geräuschkulisse in der Lounge, das Zirpen und Brummen und Kreischen, wie die Untermalung zu einem Grusel-Trivid vor. »Glaubst du, sie erwarten uns?«
Meg musste nicht erklären, wen sie meinte: die Schiffe der Leun, die in der Agolei beheimatet waren.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Rhodan. »Aber erinnere dich an die vergangenen Tage.«
»Das tu ich. Ständig.«
Wie sollte sie auch nicht? Der von den Wycondern erzwungene Zwischenstopp im Wycosystem, die zeitweilige Gefangennahme, das Auftauchen des Leunschiffs MONA-DIN, dessen Kommandant Wuranok behauptet hatte, Rhodan im Auftrag von Reginald Bull töten zu sollen – all das steckte ihr immer noch in den Knochen. Sie war Psychologin und Ärztin, keine Soldatin. Auf Gefechte, Scharmützel oder sonstige Kampfsituationen konnte sie dankend verzichten – und in einem Schiff wie dem PHOENIX, das nicht darauf ausgelegt war, erst recht.
Natürlich, sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ, als sie sich vor etwas mehr als einem Jahr der Besatzung angeschlossen hatte. Ihr war klar gewesen, dass ihre Reise nicht risikolos ablaufen und dass die Gefahr erst so richtig beginnen würde, sobald sie ihr Ziel erreicht hatten. Das bedeutete aber nicht, dass sie sich danach sehnte. Im Gegenteil.
»Wir haben keinerlei Anhaltspunkte«, sagte Rhodan, »wie uns die MONA-DIN bei den Wycondern gefunden hat und woher Wuranok wusste, in welchem Schiff wir uns aufhalten. Immerhin ist der PHOENIX nicht gerade eine Blaupause der üblichen terranischen Kugelschiffe. Eines aber wissen wir: Die Leunflotte, deren Vorhut die MONA-DIN war, hat nach unserer Flucht die Verfolgung aufgenommen.
Also ist es besser, auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Schon gegen dieses eine Schiff hätten wir keine Chance gehabt, wenn uns die Einheiten der Wyconder nicht beschützt hätten. Der Abschuss der MONA-DIN hat unsere Sympathiewerte bei den Leun vermutlich nicht gerade gesteigert.«
»Drei Minuten bis zum Wiedereintritt«, meldete die angenehme Stimme von Phoenix.
Illustration: Swen Papenbrock
»Ich hätte eine Theorie anzubieten«, sagte Dr. Barstow.
»Raus damit!«, kam es von Atlan.
»Tatsache ist, dass uns die Wyconder keineswegs freundlich gesinnt waren. Ohne die Fürsprache ihrer Obersten Architektin säßen wir vermutlich immer noch bei ihnen fest.«
»Das kannst du ihnen aber kaum vorwerfen!«, wandte Meg ein. »Immerhin hielten sie uns für Sendboten von Shrell. Wie würden wir reagieren, wenn jemand unsere Heimatwelt vernichtet hätte, um unsere Hochtechnologie zu klauen, und ein halbes Jahrhundert später tauchten Fremde auf, die ebenjene Technologie in ihrem Schiff verbaut hätten? Ich glaube nicht, dass wir ihnen eine ausgelassene Willkommensfeier ausrichten würden.«
Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass dieser dahingesagte Satz den tatsächlichen Ereignissen erschreckend nahe kam. Shrell hatte ein Brennendes Nichts auf Terra gezündet – zwei, um genau zu sein, und ein weiteres auf Luna. Und wenn es ihnen nicht gelang, dieses dreifache Nichts vor Ablauf von vier Jahren zu löschen, stand ihrer Heimatwelt das gleiche Schicksal bevor wie der der Wyconder: völlige Vernichtung.
»Eben darauf will ich hinaus«, sagte Dr. Barstow. »Shrell behauptet, Reginald Bull hätte ihr Volk versklavt. Das mag stimmen oder nicht, jedenfalls ist er ihr Feind und sie seiner. Sonst hätte sie dich, Perry, wohl kaum ... nun, ersucht, ihn umzubringen. Und da sind wir! Ein gedungenes Mordkommando im Auftrag von Shrell.«
»Aber wir sind nicht hier, um uns Shrells Erpressung zu beugen«, widersprach Rhodan.
»Das weißt du, und das wissen wir. Doch weiß es Bull? Wenn uns schon die Wyconder für Shrells Sendboten oder Handlanger oder was immer gehalten haben, muss dann nicht erst recht der angebliche Usurpator das Gleiche denken?«
»Nein!«, kam Rhodans Antwort überraschend vehement. »Bully kennt mich. Er ist mein Freund. Er weiß, dass ich mich niemals auf so etwas einlassen würde.«
»Er war dein Freund«, konkretisierte Atlan. »Bevor er mit seinem chaotarchisch geprägten Zellaktivator als Quintarch in den – zugegeben: neutralisierten – Chaoporter FENERIK gestiegen und damit abgezogen ist. Wie es inzwischen um ihn bestellt ist, lässt sich nicht beurteilen. Es kann viel geschehen sein in den hundertachtzig Jahren, die seitdem vergangen sind.«
»Es ist viel geschehen. Sonst hätte es uns nicht in die Agolei verschlagen. Aber nicht das! Niemals!«
»Ich hoffe, du hast recht.«
»Früher oder später wirst du erkennen, dass ich recht habe. Wir werden herausfinden, woher die Leunflotte von uns wusste. Und dann werden wir auch die Antworten auf alles andere bekommen.«
Meg fand es rührend, wie inbrünstig Rhodan seinen alten Gefährten verteidigte, obwohl er sich seiner Sache unmöglich hundertprozentig sicher sein konnte. Mit ihren vierzig Jahren kannte sie Reginald Bull lediglich aus Doku-Trivids oder Geschichtsholos. Das hieß, sie konnte sich keine fundierte Meinung über ihn bilden. Wenn sie Rhodan aber so zuhörte, wünschte sie sich von ganzem Herzen, dass er richtiglag.
»Eine Minute bis zum Wiedereintritt«, sagte das Bordbewusstsein. »Bitte entschuldigt, dass ich euch die Zwei-Minuten-Marke unterschlagen habe, aber ich wollte euer Gespräch nicht unterbrechen.«
»Das war sehr rücksichtsvoll von dir«, behauptete Meg.
»Der Segen einer guten Erziehung. Sofern ihr das Pausenambiente nicht noch ein paar Sekunden länger genießen wollt, würde ich den Dschungel abschalten. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte Rhodan.
Die Wildnis aus Pflanzen verschwand, die Geräuschkulisse verstummte. Lediglich der Urwaldgeruch blieb in der Luft hängen.
Schweigen kehrte ein. Alle sahen zur Innenwand der Lounge, wo sich ein Umgebungsholo zeigen würde, sobald der PHOENIX in den Normalraum zurückgekehrt war. Was würde sie erwarten? Wie sehr unterschied sich der Blick in einen Sternenstrom von dem in eine Spiralgalaxis wie die Milchstraße? Kämen sie in der Nähe einer Raumstation oder eines Planeten heraus? Bei Bulls Hauptquartier, das so stark gesichert war, dass sich die sie verfolgende Flotte dagegen eher lächerlich ausnahm?
Die letzten Sekunden tropften dahin, jede für sich eine kleine Ewigkeit.
Meg verdrängte die Furcht, inmitten eines Pulks von Leunschiffen herauszukommen. Stattdessen erinnerte sie sich, wie problemlos die Wyconder mittels eines Fernimpulses das Zusatzaggregat des PHOENIX desaktiviert hatten, das dem Raumschiff die Reise erst ermöglicht hatte.
238 Millionen Lichtjahre.
Hätten sich die Wyconder schließlich entgegen allen ihren Gepflogenheiten nicht doch noch bereit erklärt, ihnen das Aggregat zu überlassen, wäre die kleine Mannschaft in unvorstellbarer Ferne von der Heimat gestrandet gewesen. Ohne Chance auf Rückkehr.
Zum ersten Mal begriff Meg wirklich, wie weit vom Solsystem entfernt sie sich aufhielten. Vielleicht sollte man Strecken künftig nicht mehr in nichtssagenden Kilometern oder Lichtjahren messen, sondern in der Zeit, die man je nach Transportmittel brauchte, sie zu überbrücken.
»Zehn Sekunden.«
Sie musste sich zwingen, den Griff um die Sessellehne zu lockern. Falls dort draußen Kriegsschiffe lauerten, brachte es nichts, sich irgendwo festzuklammern.
»Acht Sekunden.«
Tief durchatmen! Entspann dich!
»Sechs Sekunden.«
Ihr Bruder kam ihr in den Sinn. Merrin, von dem sie so viel über die Sicht aufs Leben gelernt hatte.
Egal, was passiert, hatte er immer gesagt, ich suche stets das Positive darin.
»Vier Sekunden.«
Obwohl er seit mehr als einem Jahr tot war, meinte sie seine Stimme zu hören. Ihr kommt in eine Region des Alls, die mit Ausnahme von Reginald Bull noch kein Terraner besucht hat. Wie phantastisch ist das denn?
»Drei.«
»Ist das Leben nicht spannend?«, sagte sie und versuchte, gut gelaunt zu klingen.
»Zwei ... eins ... Wir sind da.«
Auf der Loungewand erschienen die winzigen Lichtpunkte von Sternen, wie Meg sie am Nachthimmel von Terrania ebenfalls gesehen hätte. Sie ließ ihren Sessel rotieren, um den Blick einmal über das gesamte Holo wandern lassen zu können.
»So also sieht ein Sternenstrom aus«, sagte sie. »Eigentlich nicht anders als die Milchstraße.«
»Zumindest auf den ersten Blick«, bestätigte Rhodan. »Was mich aber nicht wundert, schließlich beträgt sein Durchmesser über zweitausend Lichtjahre. Seine Sonnen sind nicht wie Perlen an einer Kette aufgereiht. Sie bilden Konstellationen oder kleine Sternhaufen. Nur vertraute Sternbilder wirst du vergeblich suchen.«
Und Leunschiffe, wie Meg erleichtert feststellte. In Richtung des Bugs und vor allem links und rechts schienen mehr Sonnen zu stehen als jenseits des Hecks, aber beschwören hätte sie das nicht wollen. Eines jedoch hatten sämtliche Sterne gemein: Sie waren weit entfernt. Keiner wirkte größer als ein Stecknadelkopf.
Noch ehe sie den Gedanken aussprechen konnte, tönte ein Alarm durch die Lounge.
*
Unvermittelt erschien der Avatar des Bordbewusstseins vor den Schwebesesseln, passend zum Schiffsnamen ein goldener Vogel mit gekrümmtem Schnabel und brennendem Gefieder. Die Flammen loderten in kräftigem Rot. Ein zusätzliches Alarmsignal. Nicht gut.
»Was ist passiert?«, fragte Rhodan.
»Die Leunflotte?«, wollte Atlan gleichzeitig wissen.
»Ich habe Sonden geortet«, antwortete Phoenix. »Nur einige Hunderttausend Kilometer entfernt. Sonst wären sie mir womöglich nicht aufgefallen.«
»Von den Leun?«, hakte Rhodan nach.
»Kann ich nicht beantworten. Denkbar. Wenige Sekunden nach unserer Ankunft haben sie ein codiertes Hyperfunksignal abgestrahlt.«
»Entschlüsselbar?«
»Bisher ist es mir nicht gelungen, aber ich bleibe dran. Vorsichtshalber sollten wir davon ausgehen, dass wir entdeckt sind.«
»HÜ-Schirm aktivieren!«
»Bereits geschehen.«
»Gut. Bitte, zeig uns die zwanzig nächstgelegenen Sterne und blende alle anderen aus.«
Für Meg sah es aus, als verschwänden sämtliche Lichtpunkte aus dem Holo. Ein Irrtum, das war ihr klar. Während des Flugs hatte sie aus Langeweile ausgerechnet, welche Fläche die Innenwand der Lounge einnahm. Selbstverständlich hätte sie Phoenix fragen können, aber sie hatte es lieber selbst herausfinden wollen, um sich geistig fit zu halten. Vorbehaltlich eventueller Rechenfehler war sie auf etwa 450 Quadratmeter gekommen. Man musste vermutlich lange hinschauen, um alle zwanzig Stecknadelkopfsonnen zu finden.
Beinahe glich es – haha! – der Suche nach der Stecknadel im Sternhaufen. Oder, wie es ihr Bruder aus Witz immer genannt hatte: Die Suche nach dem Weizen im Spreuhaufen.
»Vergrößern!«, befahl Rhodan, dem es offenbar genauso ging.
Von allen Seiten rasten Sonnen heran, so schnell, dass Meg kurz versucht war, sich in ihrem Sessel wegzuducken.
»Und nun blende bitte die fünf nächstgelegenen Sterne aus. – Danke. Wähle nach dem Zufallsprinzip zehn Sonnen und berechne eine ebenso zufällige Route zwischen ihnen. Sobald auch nur ein einziges Leunschiff in unserer Nähe auftaucht, springst du ohne weiteren Befehl in den Hyperraum und bringst uns in den Ortungsschutz des ersten Sterns auf der Route.«
»Verstanden.«
»Was glaubst du«, fragte Meg, »wie lange es dauert, bis die ersten Schiffe ankommen? Oder gleich die gesamte Flotte?«
»Um das seriös einzuschätzen, fehlen mir die nötigen Informationen«, gab die Bordintelligenz zu. »Es hängt davon ab, ob die Sonden unseretwegen hier platziert wurden oder ob sie nach etwas anderem suchen. Und davon, an wen die Hyperfunksignale gingen, wie weit dieser jemand entfernt ist, wie schnell er sich auf den Weg machen kann und von vielen zusätzlichen Aspekten.«
»Und wir sind an exakt jenen Koordinaten herausgekommen, die Perry von Shrell erhalten hat? Bist du dir sicher, dass sie stimmen? Um uns herum befindet sich absolut nichts.«
»Ist mir auch aufgefallen. Aber gib nicht mir die Schuld. Ich bin nur der Fahrer.«
»War das ein Versuch, witzig zu sein?«, fragte Atlan.
»In der Tat. Ich nehme an, ihr habt mehr erwartet als nur interstellaren Leerraum und ein paar Sonden. Ich dachte, ein Scherz könnte euch etwas aufheitern.«
»An deinem Humor musst du noch arbeiten.«
Dem stimmte Meg innerlich zu. Allerdings sah sie die Schuld daran nicht bei Phoenix, sondern bei Zhobotter, dem geistigen Vater der Schiffsintelligenz. Er war für ihre Erziehung verantwortlich und bemühte sich, Phoenix das Fühlen beizubringen. Etwas, das er selbst nur sehr eingeschränkt konnte. Und deshalb fehlte zumindest nach Megs Ansicht eine entscheidende Zutat bei seinen Bemühungen. Die Würze, wenn man so wollte: Humor. Dass der Spruch mit dem Fahrer von ihr stammte, behielt sie allerdings vorsichtshalber für sich.
»Warum hat uns Shrell ausgerechnet an diesen Ort geschickt?«, fragte Dr. Barstow. »Schließlich sollen wir Reginald Bull und den Sternwürfel suchen.«
»Sie – beziehungsweise Bonnifer – hat bereits zugegeben«, sagte Rhodan, »die exakte Position nicht zu kennen, weil ihre Flucht zu lange zurückliegt.«
»Na und?«, entfuhr es Meg. »Wenn wir erst nach über fünfzig Jahren in die Milchstraße zurückkehren würden, befände sich das Solsystem immer noch praktisch an der gleichen Stelle. Die Rotation der Milchstraße und ihre Eigenbewegung ließe sich da gewiss einberechnen. Wieso hat Shrell das für ihre Koordinaten nicht getan? Ich meine: Hallo? Sie zündet auf der Erde und dem Mond das Brennende Nichts, um dich dazu zu bringen, dass du in die Agolei fliegst und in beliebiger Reihenfolge Bull ermordest und ihm den Sternwürfel entreißt. Anschließend erwähnt sie nebenbei, dass dir dafür nur vier Jahre bleiben, weil sich die Anomalie danach nicht mehr löschen lässt – eine Zeitspanne, von der wir übrigens über ein Viertel allein für die Reise verwendet haben – und dann sitzt das X auf ihrer Schatzkarte an der falschen Stelle, weil sie die richtige Position angeblich nicht kennt? Kann mir das jemand erklären?«
Normalerweise neigte Meg nicht zu solchen Ausbrüchen oder langen Reden, aber noch immer drehte ihr die Erinnerung an Wengir, die Heimatwelt der Wyconder, den Magen um. Oder besser gesagt: die Erinnerung an das Brennende Nichts, das sich an dessen Stelle nun dort befand. Da mussten die Emotionen einfach mal raus. Sie brachte viel Verständnis für alles und jeden auf – manchmal zu viel, wie ihr Merrin gelegentlich vorgehalten hatte –, aber warum sich Shrell für ein derart kompliziertes Vorgehen entschieden hatte, erschloss sich ihr nicht. Wieso musste jemand, der über eine Waffe wie das Brennende Nichts verfügte, überhaupt einen Mörder für die Drecksarbeit engagieren? Für Drecksarbeit war sie selbst sich bisher schließlich nicht zu schade gewesen.
Nicht, dass die Mannschaft des PHOENIX darüber nicht bereits ausgiebig und ergebnislos diskutiert hätte.
»Ich glaube, ich kann es erklären«, sagte Atlan.
2.
Treibgut
Zuvor: 30. Juli 2250 NGZ
Hinter Wuranok raste ein scharfkantiges Trümmerstück her, das alles beenden konnte: seine Karriere in der Sternspitze, sein Streben nach Höherem – vielleicht sein Leben.