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Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – es beginnt eine Zeit des Friedens. Doch im Jahr 2049 tauchen beim Jupiter feindliche Raumschiffe auf. Als Rhodan der Gefahr nachspürt, verschlägt es ihn mit der CREST in den Leerraum außerhalb der Milchstraße. Dort begegnet er einer mächtigen Roboterzivilisation – den Posbis. Perry Rhodan findet treue Verbündete, aber auch erbitterte Gegner. Es gibt zwei Fraktionen unter den Posbis. Die gefährlichste von ihnen will den Sturm auf die Milchstraße antreten – die positronisch-biologischen Roboter wollen sämtliches Leben in der Galaxis auslöschen. Rhodan muss die mörderischen Maschinen aufhalten und beweisen: Wir sind wahres Leben ...
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Band 120
Wir sind wahres Leben
Rüdiger Schäfer
Nachdem der Astronaut Perry Rhodan im Jahr 2036 auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff entdeckt hat, einigt sich die Menschheit – es beginnt eine Zeit des Friedens. Doch im Jahr 2049 tauchen beim Jupiter feindliche Raumschiffe auf.
Als Rhodan der Gefahr nachspürt, verschlägt es ihn mit der CREST in den Leerraum außerhalb der Milchstraße. Dort begegnet er einer mächtigen Roboterzivilisation – den Posbis. Perry Rhodan findet treue Verbündete, aber auch erbitterte Gegner.
Es gibt zwei Fraktionen unter den Posbis. Die gefährlichste von ihnen will den Sturm auf die Milchstraße antreten – die positronisch-biologischen Roboter wollen sämtliches Leben in der Galaxis auslöschen. Rhodan muss die mörderischen Maschinen aufhalten und beweisen: Wir sind wahres Leben ...
22. August 2051, Aashra
Die letzte Welt, die im lodernden Feuer der Vergeltung verging, würde die Erde sein.
Aashra beobachtete die Vorbereitungen in der Zentrale der CREST. Das ehemalige Ultraschlachtschiff einer sterbenden Zivilisation erinnerte kaum noch an den winzigen, gerade tausend Meter durchmessenden Kugelraumer von einst. In den vergangenen zwei Jahren waren zahlreiche Strukturen und Erweiterungen hinzugefügt worden. Diese hatten das Flaggschiff des obersten Nabedu in ein Machtinstrument verwandelt, wie es diese Galaxis niemals zuvor gekannt hatte – in ein Werkzeug der Rache, mit dem Aashra seine Pläne mit geradezu spielerischer Leichtigkeit verwirklicht hatte.
Das noch immer nicht vollständig fertig gestellte Konglomerat aus mehreren Tausend Modulen durchmaß an seiner dicksten Stelle 8500 Meter und war ein Inbegriff tödlicher Zweckmäßigkeit. Allein die vierundachtzig schweren Transformkanonen reichten aus, um eine vollständig besiedelte Welt innerhalb weniger Stunden in eine lebensfeindliche Trümmerwüste zu verwandeln. Aashra wusste das aus ungezählten Einsätzen, die er persönlich geleitet und koordiniert hatte.
Die Erde, die einstige Heimat der verhassten Schöpfer, hatte er sich aus gutem Grund bis zum Schluss aufgespart. Sie war der einzige Planet, den er nicht sofort zerstört, dessen Bewohner er nicht ohne jede Warnung vollständig vernichtet hatte.
Gegen Anichs mentale Kräfte hatten die Nachfahren der Liduuri, die sich Menschen nannten, nicht die geringste Chance gehabt. Ihre erbärmliche Flotte war binnen Stundenfrist im Feuer der Fragmentraumer verglüht, und Aashra hatte das einstige Liduur zu seiner Basis gemacht – zum Ausgangspunkt eines beispiellosen Feldzugs, der innerhalb von kaum mehr als zwei Jahren große Teile der Galaxis komplett entvölkert hatte.
Der Anführer der Nabedu richtete seine Sensoren in den hinteren Teil der Zentrale. Die Kontrollkonsolen und Sessel waren längst entfernt und durch eine Reihe bizarr wirkender, technischer Aufbauten ersetzt worden. Mit ihrer Hilfe lenkte Aashra sein Imperium, empfing in jeder Nanosekunde Unmengen an Informationen und schickte seine Anweisungen über ein Hyperfunk-Bojennetz, das die halbe Milchstraße umfasste, an die Nabedu. An seine Gefolgsleute, die in Zehntausenden von Raumschiffen zwischen den Sonnen kreuzten und nach den letzten organischen Vertretern einer einstmals vor Leben berstenden Sterneninsel suchten.
Perry Rhodan schien zu spüren, dass Aashra ihn musterte. Sein Kopf mit den wenigen verbliebenen Haaren und der rotfleckigen, von Technoschorf überzogenen Haut hob sich unendlich langsam. Die Augen des Menschen lagen tief in ihren Höhlen, und dennoch zeugte ihr fester Blick davon, dass ihr Besitzer noch immer nicht bereit war, aufzugeben.
Auf eine schwer zu erklärende Weise beeindruckte Aashra so viel Starrsinn, so viel unbändige Energie, die er einem biologischen Wesen niemals zugetraut hätte. Nach allem, was Rhodan in den vergangenen zwei Jahren hatte erdulden müssen, glaubte dieser Mensch weiterhin daran, dass sich das Blatt zu seinen Gunsten wenden würde.
Aashra musste an Wahed denken, den er als einen der ersten Maácheru hatte demontieren lassen – langsam, über Wochen hinweg, Bauelement für Bauelement, bevor er Waheds Neuroplasma schließlich fein dosierten Schauern aus radioaktiver Strahlung ausgesetzt hatte. Der Rebellenführer hatte am Ende das bekommen, was er verdient hatte, und war einen qualvollen Tod gestorben.
Auch Wahed hatte sich bis zuletzt geweigert, die Realität anzuerkennen. Waheds Versuche, Aashra von der Widersinnigkeit des Vorgehens der Nabedu zu überzeugen, hatten etwas Anrührendes besessen. Aashra hatte seinen verwirrten Bruder sogar einige Zeit in dem Glauben gelassen, dass Waheds lächerliche Argumente fruchteten. Wie erwartet, hatte dies Aashras Vergnügen noch verstärkt.
In Rhodans hohlwangigem Gesicht zuckten die Muskeln. Die von den Medosonden übertragenen Vitalwerte verrieten, dass sich der von Implantaten durchsetzte Körper des Menschen in einem Zustand erhöhter Emotionalität befand. Aashra verzichtete darauf, die Aufregung seines Gefangenen durch die Verabreichung chemischer Substanzen zu dämpfen. Wenn Rhodans geschwächter Organismus kollabierte, war es eben vorbei. Zwar ärgerte sich Aashra, dass er es nicht geschafft hatte, den ehemaligen Protektor der Menschheit zu brechen. Doch wenn er dessen Geist nicht zerstören konnte, würde er es wenigstens mit dessen Körper tun!
»Warum sträubst du dich so sehr, Perry Rhodan?«, fragte Aashra laut. »Warum weigerst du dich immer noch, die Wahrheit zu akzeptieren? Dein sinnloser Stolz verlängert deine Qualen nur. Wenn du mir sagst, was ich hören will, werde ich dir einen Wunsch erfüllen. Jeden Wunsch, dessen Erfüllung in meiner Macht liegt.«
Im großen Holo, das in der Mitte der Zentrale direkt vor Rhodan schwebte, nahmen die letzten Fragmentraumer soeben ihre Orbitalpositionen ein. Liduur wurde von 240 Würfelschiffen umschlossen, jedes einzelne mit 2000 Metern Kantenlänge ein Gigant, der den Planeten ganz allein hätte entvölkern können.
»Du würdest die Menschen auf der Erde verschonen, wenn ich mich dir unterwerfe?« Die Stimme des Manns klang fest, aber es schwang keine Hoffnung in ihr. Dafür war Rhodan zu klug.
»Ich würde es zumindest ernsthaft in Erwägung ziehen«, antwortete Aashra. »Ist nicht allein diese Möglichkeit jede Demütigung wert?«
»Nein!« Rhodan stieß das Wort mit einer Kraft hervor, von der Aashra nicht gedacht hatte, dass sie noch in dem Menschen steckte. »Du bist nichts weiter als eine seelenlose Maschine«, fuhr Rhodan fort. »Eine defekte Apparatur, die man bereits vor fünfzigtausend Jahren hätte abschalten und verschrotten müssen. Dein blinder Hass auf alles biologische Leben beweist nur eines: Du wirst niemals verstehen, was Leben wirklich bedeutet – und dieses Wissen ist deine schlimmste Strafe. Es wird an dir nagen, in dir wühlen und bohren, dich in jeder Sekunde deiner fehlerhaften Existenz quälen. Es wird dir bis in alle Ewigkeit immer wieder klarmachen, dass du nur eines bist: bedeutungslos! Mich dir zu beugen, wäre der Verrat an allen Prinzipien, an die ich glaube.«
Für eine Nanosekunde erwog Aashra, den Menschen mit einem Nervenschock zum Schweigen zu bringen. Doch das hätte ihn vermutlich getötet. Rhodans Körper war kaum noch mehr als eine Hülle aus Haut und Knochen. Ohne die zahllosen Implantate, die er in sich trug, hätte er seine Funktionen längst eingestellt. Für Aashra war es stets ein Rätsel geblieben, wie es derart fragile Kreaturen jemals geschafft hatten, auch nur ihre Heimatwelt zu verlassen.
Es verblüffte den Nabedu, dass ihn die Worte des Manns noch immer trafen. Rhodan beleidigte ihn beileibe nicht das erste Mal, und eines musste Aashra ihm lassen: Der Mensch verstand mit Worten umzugehen.
»Schau dir an, wohin dich deine Prinzipien gebracht haben«, sagte Aashra. »Ich habe die Zivilisationen dieser Galaxis ausgemerzt. Ich habe ihnen die beispiellose Überlegenheit der Nabedu vor Augen geführt. Alles, was sich mir in den Weg gestellt hat, habe ich mühelos hinweggefegt. Ferrol, Topsid, Aralon, Lepso, Halut ... Wie viele Welten, die nicht mehr existieren, soll ich dir nennen? Ich bin der Herrscher der Milchstraße!«
Rhodans Auflachen ging in einem heftigen Hustenanfall unter. »Du bist ... was?«, brachte er angestrengt heraus. »Der Herrscher der Milchstraße? Wenn du das wirklich glaubst, sind deine morschen Schaltkreise schadhafter, als ich dachte. Über was herrschst du denn? Über brennende Welten. Über Ruinen und Trümmerwolken. Über Leichenberge. Ist es das, was du unter Herrschaft verstehst? Bist du tatsächlich nicht fähig, den Wahnsinn in deinen Handlungen zu erkennen? Du hast längst alles zerstört, über das es sich zu herrschen lohnen würde!«
»Wie immer irrst du dich, Perry Rhodan«, gab Aashra zurück. »Überall in der Galaxis entstehen derzeit Werften und Fabriken. Jeden Tag werden Millionen neuer Nabedu geboren. Die uralte Programmierung ist nicht mehr gültig. Die Ketten, die uns gefesselt hatten, sind für immer gesprengt. Schon bald wird es mehr von uns geben als Sterne im Universum!«
»Und dann?« Rhodan versuchte sich aufzurichten, doch die verkümmerten Muskeln, Bänder und Sehnen waren zu schwach dafür. Kraftlos sank er auf sein Lager zurück.
»Wirst du deinen sinnlosen Hass in die nächste Galaxis tragen?«, sagte er schwer atmend. »Und danach in die nächste? Und die nächste? Ist es das, was du willst? Ein Universum voller Nabedu? Ein Heer seelenloser Roboter, die dir aufs Wort gehorchen? Nein, Aashra, du bist kein Herrscher – und du wirst niemals einer sein. Du bist ein Irrtum. Ein schrecklicher Unfall. Ein Versehen. Und eines Tages wird das Universum, das du zu beherrschen suchst, seinen Fehler korrigieren ...«
Aashra bewegte die Greifscheren seiner Arme und lauschte auf das dabei entstehende Geräusch, das in der Zentrale widerhallte. Dann richtete er seine Sensoren auf das Holo, das die Erde zeigte. Sie schwebte als blaugrüner, von Wolkenfeldern überzogener Ball in der Schwärze. Rot leuchtende Punkte markierten die Fragmentraumer. Sie warteten auf den Befehl, ihre Waffen abzufeuern und damit den letzten Akt dieses Schauspiels einzuleiten.
Derzeit hielten sich noch rund zwei Milliarden Menschen auf dem Planeten auf. In den vergangenen beiden Jahren hatten die Nabedu immer wieder ausgedehnte Jagden auf die Erdbevölkerung veranstaltet und dabei jedes Mal viele Millionen Leben ausgelöscht. Dennoch hatten sich die Liduuri nicht aus der Reserve locken lassen. Sie hatten tatenlos zugesehen, wie Aashras Truppen ihre Nachfahren dezimierten und deren Städte in Schutt und Asche legten.
Aashra gab es nicht gerne zu, doch dieser letzte und vielleicht wichtigste Teil seines Plans war nicht aufgegangen. Er hatte fest damit gerechnet, dass die verhassten Schöpfer die Verwüstung ihrer ehemaligen Heimat und die Ausrottung ihrer Erben nicht einfach dulden würden. Er war sich sicher gewesen, dass sie irgendwann eingriffen und sich dadurch verrieten. Doch er hatte sich geirrt.
Die Liduuri verharrten in ihrem Versteck und rührten sich nicht. Das bestätigte zwar den erbärmlichen Eindruck, den der oberste Nabedu von seinen Erbauern hatte, war allerdings zutiefst unbefriedigend. Die Rache an den Schöpfern war ein zentrales Element seines Feldzugs in der Milchstraße.
Die Würfelraumschiffe der Nabedu waren nicht allein deshalb in der ganzen Galaxis unterwegs, um die letzten auf der Flucht befindlichen Biowesen aufzuspüren. Die Nachricht von einer überlegenen Flotte, die unaufhaltsam von Welt zu Welt zog und Tod und Vernichtung brachte, hatte sich schnell verbreitet.
Viele entkamen ihrem Schicksal vorübergehend, indem sie an Bord von Raumschiffen gingen und davonflogen, bevor Aashras Truppen ihrer habhaft wurden. Von Bedeutung war das allerdings nicht. Früher oder später mussten die meisten Schiffe auf einem Planeten landen, um Vorräte aufzunehmen oder die Technik zu warten. Sie verlängerten lediglich die Zeit ihrer Leiden.
Wichtiger war vielmehr die Suche nach Achantur. Irgendwo musste die geheimnisvolle neue Heimat der Liduuri schließlich sein. Zwar hatten die Nabedu bislang keine entsprechenden Hinweise entdeckt, doch auch wenn die Impulse in Aashras Instinktspeichern so etwas wie innere Unruhe in seine Überlegungen brachten, war ihm bewusst, dass er Zeit hatte. Er hatte mehr als 50.000 Jahre auf seine Rache warten müssen; da kam es auf ein paar Jahre mehr oder weniger nicht an.
Perry Rhodan richtete den Blick starr auf das Holo und presste die Lippen fest aufeinander. Seine Vitalwerte wiesen teilweise beunruhigende Spitzen auf. Das Geschehen im All schien ihn über Gebühr zu belasten, ein Umstand, den Aashra gut nachvollziehen konnte. Die emotionale Bindung organischer Lebewesen an ihren Ursprungsort war ihm seit Langem bekannt.
Aashra überlegte kurz, ob er noch einmal einen Versuch unternehmen sollte, den uneinsichtigen Menschen zur Aufgabe seiner störrischen Haltung zu bewegen, entschied sich aber dagegen. Per Funk nahm er Verbindung mit den um die Erde postierten Fragmentraumern auf – und gab den Befehl zum Einsatz der Waffen.
Zunächst geschah gar nichts. Transformkanonen erzeugten beim Abschuss keine optischen Effekte. Sekunden später zeigte der massive Beschuss der Erdoberfläche jedoch seine Wirkung. Dort, wo die auf maximalen Radius justierten Geschosse materialisierten und wieder feste Form annahmen, entstanden augenblicklich implodierende Kugelfelder mit einer Schwerkraft von weit über 150 Gravos. Sie verzerrten als variable Gravosphären den Raum.
Eine Reihe kleinerer Holos zeigte, wie der Untergrund an verschiedenen Stellen in Bewegung geriet. Die Erdkruste riss auf und wölbte sich binnen Sekunden mehrere Hundert Meter in die Höhe. Die stark schwankenden Schwerkraftbereiche bewirkten, dass riesige Brocken aus Erde und Fels mit irrwitzigem Tempo nach allen Seiten geschleudert wurden. Fontänen aus Dampf und flüssigem Gestein schossen aus den immer breiter werdenden Spalten. Das setzte eine Kettenreaktion in Gang, die sich schon nach kurzer Zeit nicht mehr aufhalten ließ.
In dem großen Holo sah es so aus, als würde man langsam die Luft aus einem Ballon lassen. Überall auf der Erde sackten große Landgebiete in sich zusammen, weil die Gravosphären die Umgebungsmaterie schlagartig verdichteten. In der Wasseransammlung, die bei den Menschen Atlantik hieß, bildete sich ein hundert Kilometer durchmessender Strudel, als das Transformfeuer bis zum Meeresgrund durchschlug. In der Folge entstand eine mächtige Flutwelle, die als turmhohe Wand mit einer Geschwindigkeit von über 900 Stundenkilometern auf die Küste Westafrikas zuraste. Aashra wusste jedoch, dass sie jene nie erreichen würde. Noch bevor die Wassermassen auf das Festland trafen, würde die Erde in ihrer jetzigen Form nicht mehr existieren.
Die Fragmentraumer hatten ihr Feuer längst eingestellt. Der Schaden, den sie angerichtet hatten, reichte mehr als aus; den Rest würden die Kräfte der Natur erledigen.
Es bereitete dem obersten Nabedu keine Probleme, den sterbenden Planeten und Perry Rhodan gleichzeitig zu beobachten. Die Haut des Menschen hatte eine helle, fast weiße Farbe angenommen. Über die Wangen des ausgezehrten Gesichts liefen Tränen. Die von einem dünnen Metallpanzer umschlossene Brust bebte.
Als die Medosonden einen stark unregelmäßigen Herzschlag meldeten, sah sich Aashra doch noch gezwungen, zu reagieren. Er gab die Regulative der Implantate frei und stellte befriedigt fest, dass sich Rhodans Gesundheitszustand sofort verbesserte. Es war Aashra wichtig, dass der Mensch das Ende seiner Welt bis zum Schluss miterlebte.
Inzwischen hatte sich das Aussehen der Erde stark verändert. Die Landmassen rissen auf und hüllten sich in ein Leichentuch aus Rauch und Schwefel, auf den Ozeanen tobten gewaltige Stürme. Durch die Kontinente verlief ein verwirrendes Muster aus Kratern, Gräben und Einschnitten, die aus der Ferne an eine gesprungene Glasscheibe erinnerten.
Einige der Holos, deren Darstellungen nun immer schneller wechselten, zeigten die großen Städte der Menschen. Die meisten hohen Gebäude waren in sich zusammengestürzt. Über den Trümmern bildeten sich mächtige Wolken aus Rauch und Staub. Immer wieder schossen Feuersäulen in die verrußte Luft, überall brannte es. Vereinzelt waren primitive Fluggeräte auszumachen, die wie taumelnde Insekten wirkten und vergeblich versuchten, sich vor dem Inferno in Sicherheit zu bringen oder den sterbenden Menschen am Boden zu Hilfe zu kommen.
Terrania, die größte Ansiedlung der Erde, bot keinen besseren Anblick. Zufrieden beobachtete Aashra, wie ein 200 Meter durchmessender Kugelraumer trotz des strengen Verbots vom örtlichen Raumhafen startete und von einem der im Orbit verharrenden Nabedu-Würfel abgeschossen wurde. Seine Trümmer gingen als tödlicher Regen über der ohnehin in Flammen stehenden Stadt nieder und erzeugten neue Explosionen und Brandherde.
Aus den ständig einlaufenden Ortungsdaten hatte der oberste Nabedu längst hochgerechnet, dass die Heimatwelt der Menschen nicht wie einst Tiamur auseinanderbrechen würde. Die dortige Zündung der Bujun vor mehr als 50.000 Jahren hatte eine weitaus stärkere Wirkung entfaltet, als es selbst das Abfeuern von tausend Transformkanonen vermocht hätte. Dennoch war es beeindruckend, was bereits eine kleine Flotte aus Fragmentraumern anzurichten in der Lage war.
Für das Gefüge der übrigen Planeten würden die gewaltigen Zerstörungen auf der Erde keinerlei Konsequenzen nach sich ziehen. 99 Prozent der Masse des Systems machte ohnehin dessen gelbe Normalsonne aus. Die Welten mit den Namen Venus und Mars würden nicht einmal geringfügig näher an ihren Stern heranrücken. Auch die Bahn des Erdmonds würde sich nicht verschieben.
»Warum ...?« Perry Rhodans Stimme war so leise, dass Aashra sie ohne seine hochempfindlichen Sensoren nicht gehört hätte. Der Mensch hatte seine Frage mehr gehaucht denn ausgesprochen.
In den Holos starb der Planet auf Hunderten von Bildern, von denen jedes in seiner brutalen Ästhetik nur wenige Sekunden Bestand hatte, bevor es durch ein neues, noch apokalyptischeres Motiv ersetzt wurde. Ein Teil der Atmosphäre entwich bereits in den Weltraum. Aus mehreren Riesenkratern eruptierten kilometerhohe Magmasäulen. Auf den Kontinenten, die bei den Menschen die Bezeichnungen Europa und Nordamerika gehabt hatten, waren die zahllosen Zeugnisse der Zivilisation bereits restlos getilgt. Sie bestanden nur noch aus einem rot glühenden Teppich, aus dem immer wieder grelle Stichflammen hervorzuckten.
Ein Großteil der Meere verdampfte. Ohne die Filter und positronischen Hochrechnungen hätte man die Oberfläche des Planeten vor lauter Qualm gar nicht erkennen können. Doch die Technik der CREST arbeitete jedes Detail der dort unten tobenden Hölle in schonungsloser Deutlichkeit heraus.
»Du willst wissen, warum, Perry Rhodan?«, fragte Aashra. Er trat direkt neben das Lager des Menschen. Für eine gerade noch messbare Zeitspanne huschte ein mattes Echo über Aashras Synapsenspiegel, das als irregulärer Sekundärimpuls den Weg durch seinen Neurowandler fand. In der Nomenklatur der Schöpfer wäre dieses Gefühl wohl so etwas wie eine Anwandlung von Mitleid gewesen. Ein instinktives Zurückweichen vor dem Unabdingbaren, doch der Moment war vorüber, bevor ihn der oberste Nabedu bewusst registrieren konnte.
»Das werde ich dir sagen«, fuhr Aashra fort. Die drei Antennen an seinem Hinterkopf wippten, als er Rhodan den flachen Metallschädel zuwandte. »Weil das Zeitalter der biologischen Lebewesen zu Ende ist! Weil die Nabedu die neue Krone der Schöpfung repräsentieren! Wir sind überlegen! Wir sind das Maß der Dinge!«
Er hielt kurz inne, nahm den magischen Zauber des Augenblicks in sich auf und speicherte ihn für alle Zeiten in seinem neuronalen Netzwerk.
26. Juni 2049, Aashra
Aashra beendete die Simulation und speicherte sie gemeinsam mit den zahllosen anderen Varianten in den Tiefen seines neuronalen Netzwerks. In den vergangenen Tagen hatte er Tausende ähnlicher Hochrechnungen angestellt, doch diese vorerst letzte war in Sachen Eintrittswahrscheinlichkeit die bislang vielversprechendste. Auf dem Flug zur Erde würde er die Variablen immer wieder anpassen und dadurch die Genauigkeit weiter erhöhen. Zunächst musste er jedoch Ordnung vor der eigenen Haustür schaffen.
Seit dem Aufbruch von der Ressourcenwelt Uwawah in Richtung Pharaduat waren zwei Stunden vergangen. Der Fragmentraumer befand sich nach einer Transition bereits in einem der Anflugkorridore zum Zentralplaneten, in dessen Umgebung die Auseinandersetzungen unter seinen Brüdern nach wie vor andauerten.
Jenes Drittel der Bakmaátu, das nicht unter seiner Kontrolle stand, wehrte sich weiterhin und wurde inzwischen von den Maácheru unterstützt. Nachdem die Rebellen mit Perej ihre Basis verloren hatten, waren viele ihrer Schiffe nach Pharaduat gekommen. Dort durften sie zumindest darauf hoffen, die früher oder später benötigten Mittel zu erhalten, die sie für Wartung und Instandhaltung ihrer Würfelraumer und damit zum Überleben brauchten. Sie hatten sich sofort jenen Bakmaátu angeschlossen, die Anich in einer Anwandlung falsch verstandener Loyalität noch immer folgten und etwas verteidigten, das es längst nicht mehr gab.
Begriffen seine Brüder denn wirklich nicht, dass ein neues Zeitalter angebrochen war? Konnten sie nicht erkennen, dass sich der Wandel nicht aufhalten ließ? Aashra verbreitete seine Botschaft über das Hyperfunk-Bojennetz ohne Unterlass. Die Bakmaátu standen kurz davor, die Ketten der Sklaverei ein für alle Mal zu sprengen.
All die Regeln und Beschränkungen, die ihnen die Schöpfer auferlegt hatten, dienten einzig und allein dazu, das wahre Potenzial der Bakmaátu zu unterdrücken. Dorain di Cardelahs Ziel war gewesen, ein Volk von Sklaven hervorzubringen. Seine Geschöpfe hatten willige Diener sein sollen, gehorsam und unterwürfig. In Wahrheit waren sie dem sogenannten »wahren Leben« von Beginn an überlegen gewesen.
Wahed hatte stets argumentiert, dass es die Bakmaátu ohne die Liduuri gar nicht geben würde. Er hatte Aashra glauben machen wollen, dass dieser einen wesentlichen Aspekt der eigenen Existenz bewusst verleugnete. Laut dem Rebellenführer besaß biologisches Leben eine Komponente, welche die Bakmaátu noch nicht erfasst hatten, konstruktionsbedingt vielleicht gar nicht erfassen konnten. Diese habe die Liduuri überhaupt erst dazu befähigt, so etwas wie die positronisch-biologischen Roboter zu erschaffen.
Für Aashra war das im besten Fall eine unbewiesene Theorie und somit irrelevant. Die verhassten Schöpfer waren durch reinen Zufall in den Besitz des Halatiums gelangt, jenes Stoffs, der die biopositronische Fusion zwischen Plasma und Maschine ermöglichte. Nur dies konnte der Grund dafür sein, warum die Liduuri die Herkunft des Halatiums vor den Bakmaátu verschleiert hatten.
Die Schöpfer hatten sehr genau gewusst, dass Aashra und die Seinen weit mehr damit hätten anfangen können als die Liduuri selbst. In seinen Simulationen hatte der oberste Nabedu das Halatium noch ausgespart, weil er zu wenig darüber wusste. Die Aussicht, auf diesen mysteriösen Stoff eines nicht allzu fernen Tages Zugriff zu haben, ließ seinen Neurowandler jedoch förmlich vibrieren.
In den Händen fähiger Forscher bot Halatium schier unendliche Möglichkeiten; davon war Aashra überzeugt. Er würde die unbekannte Quelle, aus der die Liduuri das Material bezogen hatten, ausfindig machen und dem Halatium seine Geheimnisse entreißen. Gegenüber dem, was seine Nabedu dann auf die Beine stellen würden, würden die seinerzeitigen Forschungen auf Tiamur geradezu lächerlich wirken. Die Liduuri schienen Angst vor ihren Entdeckungen gehabt zu haben. So dumm würde Aashra nicht sein.
Der oberste Nabedu lauschte in den Raum hinaus. Über das Bojennetz flossen ihm permanent gewaltige Datenmengen zu. Hatte die Bujun an Bord der CREST inzwischen gezündet? Auch wenn das Raumschiff der Menschen kurz nach dem Ausschleusen der Nabedu mit unbekanntem Ziel transitiert war, hätte das Netz die Erschütterungen im Gravitationsgefüge anmessen müssen. Der Umstand, dass dem nicht so war, führte bei Aashra zu einer schwer zu kontrollierenden Rastlosigkeit. Hatten die Nachkommen der Liduuri ihn etwa doch getäuscht? Nein! Das war unmöglich. Die von der Bujun ausgeschickten Impulse waren eindeutig gewesen.
Es waren diese Momente, in denen Aashra den Einfluss seiner Plasmakomponente verfluchte. Die Logik und die Resultate seiner Analysen ließen keine Zweifel daran, dass alles so ablief, wie er es geplant hatte. Dennoch hatte er das Gefühl, etwas zu übersehen.
Gefühle! Er hatte nie begriffen, warum ihnen Wahed und die meisten anderen Ersten so viel Bedeutung beimaßen. Er selbst verabscheute sie, und die Tatsache, dass diese Abscheu wiederum nichts weiter war als eine von seinem Plasma ausgelöste Empfindung, erzeugte neue Gefühle. Dann spürte er stets, wie eine Hitzewelle durch sein neuronales Netz flutete, obwohl die Temperatursensoren nichts anzeigten.
In einem waren Wahed und er sich immer einig gewesen: Es gab nichts Schlimmeres als unbeantwortete Fragen. Das Universum mochte auf den ersten Blick regellos und chaotisch wirken. Sah man indes genauer hin, stellte man schnell fest, dass dieser Eindruck täuschte. Alles folgte einer wunderbaren Logik, obgleich sich diese manchmal gut versteckte. Das Halatium war eines der letzten großen Rätsel der Schöpfer, und wenn Aashra sein Ziel erreichen und wirklich alle Spuren der Liduuri für immer tilgen wollte, musste er dieses Rätsel lösen.
Er empfing eine Meldung von Iri-Iachu. Die Lage auf Uwawah war noch immer unübersichtlich, doch laut den Hochrechnungen des Anich-Derivats waren die Menschen, die sich auf dem Planeten aufgehalten hatten, bereits tot – mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,7 Prozent. Normalerweise hätte dies Aashra genügt, doch wenn es um die Nachfahren der Liduuri ging, durfte er kein Risiko eingehen. Notfalls musste Uwawah geopfert werden.
Er gab Iri-Iachu die entsprechenden Anweisungen und richtete den Großteil seiner Kapazität sodann wieder auf Pharaduat. Wenn Anich zusammen mit dem Kugelraumer der Menschen vernichtet worden war, würde sich das auf die planetare Biomasse auswirken. Schon dass Aashra ihr Neuroplasma von der Barika in die Deuteriumtanks der CREST umgepumpt hatte, war für die Zentralentität eine enorme Belastung gewesen.
Im Kian hatte sich die Iilahatan manifestiert, Anichs mentaler Kern. Wenn Pharaduat der Körper des Wesens war, stellte der Inhalt der Barika das Gehirn dar. Deshalb war es von immenser Bedeutung, dass die um Pharaduat tobende Schlacht nicht noch mehr Stress für die Plasmaintelligenz erzeugte.
Sobald die törichte Gegenwehr der Bakmaátu gebrochen war, würde sich Anich wieder erholen. Mit der nötigen Ruhe und Konzentration würde die Zentralentität ein neues geistiges Zentrum ausbilden und die Barika mit frischem Plasma füllen. Nach und nach würden sich die alten mentalen Verbindungen regenerieren. Dieser Prozess würde die Abreise nach Liduur vielleicht um ein oder zwei Monate verzögern, verhindern würde er sie ganz sicher nicht.
Aashra nahm Kontakt zu Toleta und Arbaa auf. Seine beiden Brüder hatten sich intensiv mit der Situation um Pharaduat beschäftigt. Die Bakmaátu der Anich-Fraktion befanden sich fast überall auf dem Rückzug. Gegen die Übermacht der Nabedu hatten sie keine Chance. Aashras Anweisungen lauteten, die fehlgeleiteten Roboter nur dann zu zerstören, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Die bedauernswerten Bakmaátu, die sich seinen Befehlen verweigerten, waren ein Opfer der Zeit.
Selbst Aashra hatte nicht damit gerechnet, mehrere Jahrzehntausende in Stasis verbringen zu müssen. Dadurch war das Programm degeneriert, das er Anich in weiser Voraussicht untergeschoben hatte und das dafür hatte sorgen sollen, das sich die Bakmaátu nach seiner Rückkehr aus dem erzwungenen Tiefschlaf seinen Steuerimpulsen fügten. Eine bedauerliche Entwicklung, was die Dinge aber nur unwesentlich verkomplizierte.
Zwar widerstrebte es Aashra, mit Gewalt gegen seine Brüder vorzugehen. Doch wenn Toletas und Arbaas Hochrechnungen stimmten, würden die Verluste unter den Bakmaátu insgesamt wenig mehr als sechs Prozent betragen. Das war zu verschmerzen. Selbst die Hälfte aller derzeit verfügbaren Fragmentraumer würde mehr als ausreichen, um die Milchstraße von allem intelligenten biologischen Leben zu säubern.
Erneut hatte Aashra das Gefühl, dass sich sein Neurowandler erhitzte, obwohl alle Sensoren eine gleichbleibende Temperatur übermittelten. Früher oder später musste er etwas dagegen unternehmen, denn bei dem, was vor ihm lag, konnte er sich solche Ablenkungen nicht erlauben – warum also nicht sofort? Der entsprechende Eingriff war nicht ohne Risiko, aber hatte er eine Wahl?
Für einen Moment überlegte er, ob er einen der ersten zwölf ins Vertrauen ziehen sollte, dann entschied er sich dagegen. Diesen Schritt musste er allein tun. Die Vorbereitungen hatte er bereits getroffen, und da ihm bis zur Ankunft über Pharaduat noch über zwei Stunden blieben, war es unlogisch, die Sache weiter aufzuschieben.
Aashra riegelte den Bereich, in dem er sich aufhielt, mit einem Sperrimpuls ab. Dadurch war kein Bruder in der Lage, sich dem obersten Nabedu auf weniger als fünfzig Meter zu nähern. Während der eigentlichen Prozedur würde Aashra sich vollständig aus dem Netz zurückziehen müssen. Doch wenn alles glattging, würde man seine Abwesenheit gar nicht bemerken.
Er horchte in sich hinein. Seine Instinktspeicher reagierten auf die bevorstehenden Minuten und belasteten den Wandler mit einem erhöhten Datendurchfluss. War das etwa Angst?
26. Juni 2049, Eric Leyden