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Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. In der Folge beginnt für die Erde ein neues, verheißungsvolles Zeitalter – zuletzt allerdings unterbrochen von der Invasion geheimnisvoller Fremdwesen. Ende Juni 2051 sind die Invasoren abgewehrt, der Wiederaufbau der von Zerstörung und Siechtum heimgesuchten Erde beginnt. In dieser Situation werden Perry Rhodan, Atlan und Tuire Sitareh unvermittelt von einer unbekannten Macht entführt. Vor den Augen ihrer Freunde verschwinden sie im Nichts. Wer steckt hinter dieser Tat? Was sind die Absichten des Gegners im Dunkel? Wohin wurden Rhodan und seine zwei Gefährten versetzt? Erste Antworten erhofft sich Perry Rhodan, als er sich allein auf einem fremden Planeten wiederfindet – auf einer Welt am Abgrund wird er DER FAKTOR RHODAN ...
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Seitenzahl: 214
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Band 141
Der Faktor Rhodan
Michael Marcus Thurner
Cover
Vorspann
1. Perry Rhodan: Die Versetzung
2. Jemir Conba: Im Fort
3. Quepal und Dithzop: Im anderen Lager
4. Perry Rhodan: Das Ende im Minenfeld
5. Jemir Conba: Überraschungstat
6. Prinz Trebon Dadom: Palastgeschäfte
7. Perry Rhodan, etwas früher: Das Verhör
8. Fraden Quepal: Große Entscheidungen
9. Perry Rhodan: Flugkünste
10. Trebon Dadom: Kriegsbeginn
11. Perry Rhodan: Auf der anderen Seite
12. Erefrain Dross: Das Ende einer Beziehung
13. Perry Rhodan: Das Unmögliche zu tun
14. Trebon Dadom, kurz zuvor: Überredungskünste
15. Perry Rhodan: Volltreffer
16. Jemir Conba: In der Komfortzone
17. Perry Rhodan: Einen Schritt weiter
18. Trebon Dadom: Das Traumpaar
19. Perry Rhodan: Alles wird gut
Impressum
Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. In der Folge beginnt für die Erde ein neues, verheißungsvolles Zeitalter – zuletzt allerdings unterbrochen von der Invasion geheimnisvoller Fremdwesen.
Ende Juni 2051 sind die Invasoren abgewehrt, der Wiederaufbau der von Zerstörung und Siechtum heimgesuchten Erde beginnt. In dieser Situation werden Perry Rhodan, Atlan und Tuire Sitareh unvermittelt von einer unbekannten Macht entführt. Vor den Augen ihrer Freunde verschwinden sie im Nichts.
Wer steckt hinter dieser Tat? Was sind die Absichten des Gegners im Dunkel? Wohin wurden Rhodan und seine zwei Gefährten versetzt?
Erste Antworten erhofft sich Perry Rhodan, als er sich allein auf einem fremden Planeten wiederfindet – auf einer Welt am Abgrund wird er DER FAKTOR RHODAN ...
1.
Perry Rhodan: Die Versetzung
Die Empfindungen waren da, noch bevor er einen ersten klaren Gedanken fassen konnte.
Eiseskälte. Schmerz, der von seinem Rücken ausstrahlte, der die Beine und Arme umfasste. Dünne Luft, die ihn dazu zwang, wie ein Fisch auf dem Land nach dringend benötigtem Sauerstoff zu japsen.
Perry Rhodan drehte sich zur Seite, noch mit geschlossenen Augen. Der Schmerz verstärkte sich. Etwas stach in seine Hüfte und rieb am Fleisch. Und da war ein zischendes Geräusch, das ihm völlig unbekannt war.
Rhodan spürte, wie sich Gänsehaut auf seinen Armen bildete. Eine natürliche Abwehrreaktion, ein Urinstinkt, der auf akute Gefahr hindeutete. Zumal es faulig zu stinken begann und er vorsichtige, tapsige Schritte hörte.
Erste Gedanken fügten sich zu einem logischen Etwas. Er lag im Freien, auf spitzen Steinen, die sich in seinen Körper bohrten. Windböen fauchten über ihn hinweg. Sie brachten kaum erträglich kalte Luft mit – und diesen Geruch nach faulen Eiern.
Rhodan öffnete langsam die Augen. Er gab sich einige Sekunden Zeit zur Orientierung. Ringsum war eine öde Felslandschaft mit knorrigen, windgebeugten Gewächsen zu sehen. Zwischen den Büschen erspähte er Schemen. Tiere mit übergroßen Augen und übergroßen Ohren.
Alles an ihnen ist groß und lang, korrigierte sich Rhodan. Vor allem die Krallen und das Maul mit den Reißzähnen.
Die Räuber, Wölfen nicht unähnlich, umkreisten ihn vorsichtig. Sie lauerten. Sie spürten wohl, dass er wieder bei Bewusstsein war.
Ein dunkeloranges bis braunes Fell, Fangzähne wie die von Säbelzahntigern und steife Hinterläufe wie bei Hyänen. Diese Viecher sind nichts, das ich von der Erde kenne.
Rhodan richtete sich bedächtig auf. Er tastete umher, umfasste handgroße Steine und legte sie sich sorgfältig zurecht.
Eins der Wolfstiere knurrte ungehalten. Rhodan nahm es näher in Augenschein. Es war groß gewachsen und hager, an seinen Flanken prangten zahlreiche Narben. Kampfspuren. Er hatte das Leittier ausfindig gemacht.
»Na, mein Schöner?«, fragte Rhodan. Seine Stimme klang erschreckend schwach und dünn.
Der Leitwolf stieß ein weiteres Knurren aus. Er stemmte sich mit den hinteren Läufen gegen den Steinboden und verengte die Augen zu Schlitzen.
»Ich lasse mich von dir nicht beeindrucken«, redete Rhodan mit ruhiger Stimme weiter. »Ich habe keine Angst vor dir und deinesgleichen.«
Er fasste die Umgebung ins Auge. Er war auf einem leicht abschüssigen Geröllhang zu sich gekommen. Links und rechts begrenzte Fels den Horizont. Eine der steinernen Wände war bloß zehn, vielleicht zwölf Schritte entfernt.
Rhodan beugte sich langsam hinab, hob drei der Steine auf und schrie: »Komm schon, tu mir den Gefallen! Greif mich an!«
Das Wolfstier bleckte die Zähne, seine Vorderläufe zitterten, feuerrote Barthaare fächerten weit auf. Es hastete los, kam mit weiten Sprungschritten auf Rhodan zugeschossen, viel rascher, als dieser es erwartet hatte, setzte zum letzten und entscheidenden Sprung an.
Das ist zu schnell! Rhodan war noch geschwächt von dem ... dem Zustand, aus dem er eben erst mit Schmerzen erwacht war.
Er duckte sich und ließ sich zur Seite fallen. Lange Krallen streiften über seine Kleidung. Er nahm eine unsanfte Landung auf den Steinen in Kauf und kam schnellstmöglich wieder auf die Beine.
Das Tier war über ihn hinweggesprungen. Es hatte Mühe, seinen Schwung auf dem tückischen Terrain abzubremsen.
Rhodan hatte seine Steine fallen lassen. Er hob sie rasch wieder auf und schleuderte das erste Geschoss mit voller Wucht. Er traf das Wolfstier am dicht behaarten Hals, ohne eine Wirkung zu erzielen.
Der zweite Wurf, weitaus besser gezielt. Rhodan erwischte die empfindliche Schnauze. Der Wolfsähnliche gab einen quietschenden Laut von sich – und griff Rhodan dennoch mit all seiner animalischen Wut an.
Rhodan wich erneut zur Seite aus, trat zu, traf die Flanke seines Gegners, fühlte die harten Muskeln unter seinen Füßen.
Mach weiter! Zeig ihm, dass du keine Angst hast!
Rhodan schleuderte in rascher Folge Steine, um den Gegner zu irritieren. Mit dem letzten verbliebenen Brocken hastete er dem Tier entgegen und schlug damit auf dessen Schädel ein, um gleich darauf wieder zurückzuweichen und dem laut zuschnappenden Kiefer des Angreifers zu entgehen.
Rhodan dachte nicht nach, er handelte. Er folgte seinen Instinkten, wurde selbst zum Tier.
Der Wolf hielt inne. Er hatte wohl leichte Beute erwartet. Er starrte Rhodan an und ließ ein wütendes Grollen hören, das tief aus seiner Kehle kam. Er schüttelte mehrmals den Kopf, verletzt von zwei Glückstreffern.
Rhodan setzte nach, behielt die Initiative. Er schleuderte weitere Steine in Richtung des Leittiers. Die anderen Angehörigen des Rudels blieben vorerst ruhig. Sie beobachteten das Treiben aufmerksam, ohne selbst einzugreifen.
Rhodan irritierte den Anführer, traf ihn mehrfach an den Flanken und am Halsbereich. Haut platzte auf, Blut quoll hervor.
»Ich bin stärker als du!«, brüllte Rhodan. »Du hast gegen mich keine Chance! Verschwinde gefälligst, und nimm deine Freunde mit!«
Es war einerlei, was er von sich gab. Wichtig war einzig und allein der herrische Tonfall, mit dem er das Tier bedachte.
Der Wolf war verunsichert und verstand nicht, was mit ihm geschah. Immer wieder wollte er ansetzen und angreifen, überlegte es sich dann doch anders und ging wieder auf Distanz.
Zwei weitere geschleuderte Steine. Einer traf das Tier an der Schläfe, der andere an der rechten Pfote. Der Wolf quietschte laut auf, zog die Lefzen zurück und knurrte. Er fuhr wie eine Katze zentimeterlange Krallen aus und wischte mit einer der Pfoten durch die Luft.
Es waren bloß noch Drohgebärden, die das Raubtier vollführte, während es sich mit eingezogenem Schweif rückwärtsbewegte. Sie sollten dem Wolf wohl helfen, seine Rolle als dominierendes Tier im Rudel zu bewahren.
»Verschwinde!«, schrie Rhodan abermals. Er tanzte umher wie ein Verrückter, so lange, bis das Leittier den Kampf tatsächlich verloren gab.
Einige seiner Artgenossen blieben stehen, die Blicke nach wie vor auf Rhodan gerichtet. Es dauerte eine Weile, bis sie sich besannen und dem Leitwolf hinterhereilten.
Er würde Probleme bekommen in dieser Nacht. Seine Rolle würde angezweifelt werden, womöglich würde ihm einer der jüngeren Rivalen den Rang streitig machen.
Doch das kümmerte Rhodan nicht. Er schrie und hüpfte umher, bis keines der Tiere mehr zu sehen war. Erst dann verstummte er und ließ sich erschöpft auf einen größeren Felsbrocken in unmittelbarer Nähe fallen.
Alles tat ihm weh. Insbesondere die Lungen, die kaum ausreichend Sauerstoff zu verarbeiten bekamen. Perry Rhodan atmete hastig und flach, in seinem Kopf drehte sich alles, und seine Glieder zitterten unkontrolliert. Die Anstrengung des Kampfs machte sich plötzlich und mit aller Wucht bemerkbar.
Bleib wach!, mahnte er sich. Die Umgebung ist fremd und birgt womöglich weitere Gefahren. Verlierst du die Konzentration, verlierst du auch den Kampf ums Überleben.
Es dauerte einige Minuten, bis sich sein Kreislauf beruhigt hatte und er wieder klar denken konnte. Er stand mit wackligen Beinen auf und sah sich genauer um.
Es war neblig, die Sicht reichte nicht sonderlich weit. An drei Seiten ragten Bergflanken empor, die zum Teil mit grünstichigem Eis oder Schnee bedeckt waren. Bergab bot sich der Blick auf eine Hochebene, die von Felsklüften zerfurcht war und von einigen Lichtstrahlen getroffen wurde, als würden leistungsstarke Scheinwerfer über das Gelände streifen und mal da, mal dort einzelne Flecken Land hervorheben wollen.
Nirgendwo waren Anzeichen von Zivilisation zu entdecken.
»Das scheint mir ein recht ungemütliches Örtchen zu sein«, sagte Rhodan laut, bloß um seine Stimme zu hören. »Wie bin ich, verdammt noch mal, hierhergeraten?«
Seine letzte bewusste Erinnerung war die an eine Zusammenkunft aller Verantwortlichen auf dem Ultraschlachtschiff LESLY POUNDER. Sie hatten die Ereignisse der zurückliegenden Tage besprechen wollen.
Dann war eine ... eine Änderung eingetreten. Rhodans Körper war transparent geworden, ein starkes Hitzegefühl hatte ihn erfasst, und schließlich war da nichts mehr gewesen. Eine Leere, die sich eine undefinierbare Zeitspanne später mit dieser fremden Welt gefüllt hatte.
Ja, Rhodan war definitiv auf einer fremden Welt zu sich gekommen. Das Licht war anders, die Schwerkraft ein wenig niedriger, die Gerüche ungewohnt, die Gewächse und die Tiere nichtirdisch. Ja, selbst die Steine ringsum schienen eine andersartige Beschaffenheit aufzuweisen.
Das Licht der Sonne machte der Abenddämmerung Platz, rotviolette Streifen über den Gipfeln durchbrachen die Vorhänge aus Nebel.
Rhodan bewegte Arme und Beine, immer wieder. Angesichts der sinkenden Außentemperatur musste er in Bewegung bleiben.
Noch war die Sicht gut genug, um den Weg hinab in die Hochebene zu wagen. Dort unten hatten sich Schneewehen gebildet, teils meterhoch. Wenn er sich beeilte, konnte er eine Art Iglu errichten und sich so vor der Kälte der Nacht schützen.
Ein Instinkt sagte Rhodan, dass es besser war, die Ruhe auf dieser fremden Welt nicht mit weiteren Rufen zu durchbrechen. Er hatte während des Kampfs genug herumgeschrien, und niemand war ihm zu Hilfe gekommen. Auch Wege ließen sich nirgendwo ausmachen ...
Halt!
Im roten Dämmerlicht erspähte er einen bergab führenden Pfad. Schmal zwar, aber deutlich ausgeprägt. Vielleicht war es die Passstraße eines Viehtriebs oder ...
Rhodan nahm sich zurück. »Du denkst in menschlichen Schemata«, rügte er sich leise. »Du darfst diese Welt nicht mit deiner Heimat vergleichen.«
Er betrat den Pfad. Schon bald fühlte er Enttäuschung. Hier waren keine menschenähnlichen Wesen gewandert. Er entdeckte ausschließlich Spuren von Paarhufern und deren Losung – und nach nur wenigen Schritten den Kadaver eines Tiers. Es war etwa so groß wie eine ausgewachsene Katze, der Leib von strubbeligem und flohzerbissenem Fell bedeckt. Der schafsähnliche Kopf und die Läufe waren angeknabbert. Wahrscheinlich ein verirrtes Herdentier, das von den Wölfen gerissen worden war. Es hätte die Räuber kaum gesättigt. Kein Wunder, dass sich die Wölfe stattdessen auf Rhodan gestürzt hatten.
Er berührte die Flanke des winzigen Schafs mit dem Handrücken. Das Tier war bereits ausgekühlt. Sollte er es ausweiden und einen Teil des Fleischs mit sich nehmen? Rhodan entschied sich dagegen. Sein menschlicher Metabolismus vertrug diese Nahrung womöglich nicht – und er war nie ein großer Fan von rohem Fleisch gewesen.
Er ging weiter. Der Weg führte zwischen großen und kleinen Geröllsteinen in die Tiefe, über ein breites Moosbett hinweg und vorbei an krüppeligen Gewächsen mit schwarzen, schrumpeligen Früchten. Rhodan achtete auf eine ruhige Atmung und einen gleichmäßigen Tritt. Er musste mit seinen Kräften haushalten.
Hinter ihm raschelte es, blitzschnell drehte er sich um. Und konnte sich gerade noch zur Seite werfen, auf einen der niedrig wachsenden Bäume zu, um sich dort an einen der Äste zu klammern. Einige Steine losen Gerölls hatten sich oberhalb gelöst. Sie klackerten an ihm vorbei in die Tiefe, sich immer wieder drehend und überschlagend.
Das Gelände war tückisch. Bereits der kleinste Fehltritt mochte dazu führen, dass er den Halt verlor und in die Tiefe rutschte, über scharfgratiges Felsgestein, das ihn von oben bis unten aufschlitzte.
Er wartete ab, bis von den taumelnden Steinen nichts mehr zu sehen und zu hören war, dann setzte er seinen Weg fort. Rhodan fühlte sich wie zerschlagen, sein Kopf war leer. Die Linke schmerzte am meisten. Er zog den Ärmel seiner Protektor-Amtsuniform hoch. Eine dünne Blutspur zog sich vom Handgelenk knapp unterhalb seines Multifunktionsarmbands zu den Fingern hinab und tropfte schwer zu Boden. Irgendwann und irgendwo hatte er eine Fleischwunde davongetragen. Er presste den Handballen der Rechten dagegen. Die Verletzung würde hoffentlich bald zu bluten aufhören.
»Ich Idiot!«, sagte Rhodan leise und betrachtete das Multifunktionarmband. »Warum habe ich nicht schon längst daran gedacht?«
Das Gerät ... Es war möglicherweise seine Rettung. Es besaß unzählige Funktionen; unter anderem die eines Funkgeräts.
Rhodan aktivierte den Sender und sprach einige Worte in mehreren Sprachen hinein. Sein implantierter Translator half ihm bei den Übersetzungen ins Ferronische oder Arkonidische.
Nichts. Es war bloß statisches Rauschen zu hören.
Rhodan seufzte. Nun, er hatte damit rechnen müssen.
Er setzte seinen Weg fort, nicht, ohne sich mithilfe weiterer Funktionen schlau über die Umgebung zu machen. Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt und fiel weiter. Das Restlicht würde vielleicht noch eine Stunde reichen und damit weitaus länger als auf der Erde. Die Sonne ging ungewöhnlich langsam unter. Der Luftdruck – so sein Armband – war niedriger als auf der Erde, die Schwerkraft lag bei 0,97 Gravos. Die Luft, die er atmete, besaß einen leicht verminderten Sauerstoffgehalt im Vergleich zu dem auf der Erde und einen relativ hohen Anteil an Edelgasen.
Das waren Kleinigkeiten, mit denen Rhodan zurechtkommen würde. Nichts, das ihn sorgen musste, solange er mit seinen Kräften haushielt.
Wenn die Uhrenfunktionen stimmten, war auf der Erde vor wenigen Stunden der 18. Juni 2051 angebrochen. Er hatte also während der ... der Versetzung hierher keine Zeit verloren.
»Die Gesundheitswerte ...«, murmelte er und rief die verfügbaren Daten auf.
Er war leicht unterkühlt und litt an einem Mangel an Magnesium. Eine Optimierungsfunktion des Armbands schlug ein Schritttempo vor, das seinem derzeitigen ähnelte. Und es empfahl, dass er etwa alle fünfhundert Meter eine kurze Rast einlegen sollte. Rhodan kümmerte sich nicht um den Rat. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
Er erreichte eine Abbruchkante, an deren Fuß, etwa zwanzig Meter unterhalb seines Standorts, gewaltige Felsbrocken lagerten. An diesem Ort war immer wieder Gestein in die Tiefe gekollert oder durch Frostrisse abgesprengt worden. Den Winz-Schafen stand eine schmale, kaum erkennbare Passage zur Verfügung, keine zehn Zentimeter breit. Sie mussten ausgezeichnete Kletterer sein. Ihm hingegen würde es keinesfalls gelingen, diesem Weg zu folgen. Der glatte Stein bot kaum Gelegenheit, sich während des Abstiegs festzuhalten.
Rhodan blickte sich um und suchte nach einem anderen Weg. Da war ein Spalt im Boden. Der Einstieg in einen vertikalen Kamin, den er benutzen konnte, benutzen musste.
Er tastete vorsichtig über den Fels. Er fühlte sich kalt an, die Kanten waren rasiermesserscharf. Sorgfältig zog er die Ärmel seines Uniformoberteils über die Finger, hielt sich fest und ließ vorsichtig die Beine in die Tiefe baumeln, bis er einen sicheren Tritt gefunden hatte.
Oh ja. Der Kamin war breit genug und bot immer wieder Möglichkeiten, sich festzuklammern. Mit gespreizten Beinen, die er fest gegen den Fels links und rechts presste, kletterte er in die Tiefe, Meter für Meter.
Er gewöhnte sich an die im Kamin herrschende Dunkelheit. Unter anderen Umständen hätte Rhodan dieses Abenteuer Spaß gemacht. Doch derzeit ging es ums Überleben.
Mit verkrampften Muskeln und schweißnass erreichte er den Fuß des Kamins. Vor seinen Augen tanzten winzige, weiße Pünktchen. Er musste sich niedersetzen und erholen, zumindest für einige Minuten. Er hatte sich überschätzt, sich völlig verausgabt.
Immerhin war ihm bei dieser anstrengenden Kletterpartie warm geworden. Doch er würde alsbald wieder auskühlen, wenn er nicht in Bewegung blieb. Also machte er sich erneut auf den Weg, setzte müde einen Fuß vor den anderen, dem ersten größeren Schneefeld entgegen, das in einer Entfernung von etwa fünfhundert Metern seinen Anfang nahm.
Rhodan kam auf der Ebene schneller voran als zuvor. Sie war mit Felsbrocken aller Größen gespickt, doch unter seinen Füßen lag fester und gefrorener Erdboden. Womöglich taute er in einer wärmeren Jahreszeit sogar auf und bot einer reichhaltigen Pflanzenwelt Gelegenheit, zu erblühen und bunte Wiesenblumen hervorzutreiben. Anders war der Trampelpfad nicht zu erklären, der den schafähnlichen Tieren ermöglichte, hier herabzugelangen.
Er legte die Rechte an die Stirn, um gegen das Sonnenlicht blicken zu können. Das Gestirn hing nach wie vor über dem Gebirgsmassiv, als weigerte es sich, unterzugehen.
Etwas irritierte ihn. Noch wusste er nicht, was es war. Er sah sich aufmerksam um, entdeckte aber nichts, das Gefahr signalisierte.
Es war die Sonne – und endlich verstand Rhodan, warum die Dunkelheit so lange auf sich warten ließ. Es hingen zwei Zentralsterne im Himmel.
Ein größerer, der ihn an die heimische Sonne erinnerte und bereits fast vollständig untergegangen war. Der kleinere folgte seinem Partner wie ein Kind dem Vater in einigem Abstand. Dieses Gestirn strahlte trübes, rotes Licht aus. Es sorgte für diese ganz besondere Atmosphäre, die Rhodan bislang irritiert hatte.
Ein Doppelsternsystem. Soll ich das als Hinweis auf den Grund meines Hierseins werten?
Er stolperte weiter. Über das Wunder seiner Versetzung konnte er sich später Gedanken machen. Im Vordergrund allen Denkens und Grübelns musste sein Überleben während der Nachtstunden stehen.
Das Schneefeld, dessen Oberfläche in fahlem Grün glänzte, war nur noch wenige Hundert Schritte entfernt. Der Schnee wirkte festgefroren und schwer. Es würde ihn gehörige Mühe kosten, sich darin zu vergraben, einen kleinen Hohlraum zu bilden und ihn mit seiner Körperwärme aufzuheizen. Er benötigte verholztes Buschwerk, um sich eine provisorische Unterlage zu basteln, und er würde ...
Die größere Sonne versank abrupt hinter dem Gebirgsmassiv, die kleinere berührte dessen Spitzen und würde seinem Partner in Kürze nachfolgen. Aber noch reichte ihr Licht, um ein Etwas rechts von Rhodan zu beleuchten.
Ein Bauwerk. Eins, das er kannte. Diese Architektur war einzigartig, und sie stand für etwas Bestimmtes.
Rhodan blickte auf die Vorderfront einer Steinernen Stadt, wie sie die Liduuri auf all jenen Planeten errichtet hatten, die als Steuerwelten für Sonnentransmitter dienten.
Der Anblick erstaunte ihn über alle Maßen, schenkte aber zugleich Trost und Hoffnung. Die Versetzung auf diese unbekannte Welt stand wohl mit diesem Bauwerk in Verbindung. Wie auch immer er hierhergelangt war – sein nächstes Ziel musste die aus H-förmigen Blöcken errichtete Anlage sein.
Die Strahlen der kleineren Sonne tauchten die Steinerne Stadt in rotes, violettes und zugleich goldenes Licht. Diese sonderbaren Leuchteffekte hingen mit dem Spektrum zusammen, in dessen Bandbreite die Sonne Strahlung emittierte.
Die Steinerne Stadt war an eine steil emporragende Bergflanke und dort auf ein kleines Plateau gepfropft worden, das möglicherweise künstlichen Ursprungs war. Sie besaß die charakteristischen rechteckigen Ausleger und einen dreistufigen Aufbau. Der hintere Teil der Anlage war von Rhodans Standort aus nicht auszumachen. Ob es Abweichungen von jener räumlichen Anordnung gab, die von der Welt Sede her bekannt war?
Perry Rhodan schätzte die Entfernung auf fünf Kilometer – vielleicht mehr: Die kühle und klare Bergluft mochte täuschen. Er glaubte einen Weg zu erkennen, der sich von der Hochebene serpentinenartig zur Steinernen Stadt hinaufwand.
Er war zu weit weg, um das Gebäude vor Anbruch der Dunkelheit erreichen zu können. Er musste also seinen ursprünglichen Plan weiterverfolgen und die Stunden bis zur Morgendämmerung irgendwie überstehen.
Rhodan fühlte Erleichterung, ja sogar Enthusiasmus. War er bislang ins Leere hineingewandert, ohne zu wissen, was ihn auf dieser Welt erwarten mochte, hatte er nun ein Ziel. Eines, über das er leidlich gut Bescheid wusste und das ihm Schutz sowie Sicherheit vermittelte.
Das Schneefeld war beinahe erreicht. Mit Blicken forschte er nach einem geeigneten Ort für sein Lager. Rechts von ihm duckten sich Büsche tief an den felsigen Boden, unmittelbar daneben türmte sich Schnee mehr als drei Meter hoch. Ja, dieser Platz bot ausreichend Schutz vor ...
Klick.
Und wieder: Klick.
Rhodan blieb unvermittelt stehen und rührte sich keinen Zentimeter mehr. Er kannte dieses Geräusch. Er war geübt im Umgang mit militärischem Gerät – auch mit Sprengwaffen.
2.
Jemir Conba: Im Fort
Tranker war widerlich. Tranker war das Ende der Welt. Zumindest jener Welt, die Jemir Conba kannte.
Er unternahm seinen sechzehnten Rundgang während dieser Schicht, wie immer entlang der südlichen Brüstung. Alle paar Schritte blieb er stehen und blickte über die kalten Metallplatten hinweg auf die eisbedeckte Einöde des Niemandslands, die sich fast dreißig Meter unter ihm ausbreitete. Starke Scheinwerfer wischten über das frostige Land hinweg, gelenkt und gesteuert von Maschinenwerk, einem erratischen Muster folgend.
»Kalt, nicht wahr?« Jobomir Tizze kam ihm entgegen und reichte ihm einen Warmspan.
»Das sagst du mir jedes Mal, wenn wir uns begegnen.« Conba nahm den Warmspan an, schob ihn sich in den Mund und zerbiss ihn. Der Alkohol schmeckte scharf, sorgte aber für innere Hitze. Sie breitete sich rasch über Kopf, Hals und Magen aus.
»Möchtest du über etwas anderes reden?« Tizze schluckte ebenfalls einen Warmspan. »Über Drangball vielleicht? Die Ergebnisse der Meisterschaft? Oder über Tratsch und Klatsch am Hof?«
»Verschon mich damit.« Conba winkte ab. »Ich möchte von all den Intrigen nichts hören, nichts wissen.«
»Ich dachte, du wärst ein Günstling des Rekals?«
»Wäre ich dann hier stationiert, Mann?« Conba spuckte die letzten Zuckerreste des Warmspans aus. Er mochte das süße Zeug nicht sonderlich.
»Man redet über dich in Fort Tranker. Du seist hochdekoriert, du hättest mehr als einmal Heldentaten vollbracht.«
»Man redet viel, und man redet immer. Es geschieht ja sonst nichts hier.« Conba blickte erneut über die Brüstung. Die Scheinwerferlichter wanderten hin und her, vor und zurück, kreuz und quer.
»Aber es stimmt! Ich habe es nachgelesen in den Ehrenbüchern. Ein Abzeichen in Rot für besondere Erfolge im Kampf, dasselbe in Gelb für die Befreiung einer Geisel im Kampf gegen Abspaltler in den südwestlichen Provinzen, mehrere glorreiche Beförderungen ... So Zeugs halt.«
»In den Ehrenbüchern steht viel Unsinn.«
»Jetzt gib's endlich zu!« Tizze grinste ihn an und entblößte dabei sein fehlerhaftes Gebiss. »Du bist der Conba. Der, den sie bloß den Magh nennen. Den Geist.«
»Und wenn es so wäre? Ich schiebe trotzdem gemeinsam mit dir Nachtwache und starre in diese verfluchte Ebene des Niemandslands hinaus. Auf der Suche nach Feinden, die wahrscheinlich niemals kommen werden.«
»Ja.« Tizze seufzte tief. »Es ist scheiße hier oben.«
»Na siehst du.« Conba gab dem kleinen, gedrungenen Mann einen Klaps auf die Schulter. »Also mach dich wieder auf den Weg. Den nächsten Warmspan gebe ich aus. Bei der nächsten Begegnung. Einverstanden?«
Tizze schlug sich lustlos mit der Faust vor die Brust und entfernte sich mit einem kurzen Nicken. Er wirkte enttäuscht. Er hätte wohl gerne mit einem echten Helden gesprochen – oder dem, was man sich gemeinhin darunter vorstellte.
Oh ja, Conba war der Magh. Der Geist. Ein mehrfach ausgezeichneter Grenzagent, der das Rekalat unzählige Male gegen seine Feinde verteidigt hatte. Doch das änderte nichts daran, dass er stets mit einem schweren privaten Problem zu kämpfen hatte.
Anders gesagt: Er liebte die Frauen viel zu sehr. Auch solche, die eigentlich mit Kameraden, Freunden und Vorgesetzten zusammen waren.
Sein Verhalten wurde ihm immer wieder zum Verhängnis und hatte letztlich dazu geführt, dass er mehrmals strafversetzt worden war.
Diesmal wohl für immer. Fort Tranker war eine Sackgasse. Ein Sammellager für Versager. An diesem Ort strandeten Säufer wie Jobomir Tizze, inkompetente Offiziere wie Stützpunktkommandant Ors Orbgen – und unverbesserliche Idioten wie Jemir Conba.
Die Schicht ging ereignislos zu Ende. Eine ganze Nacht und einen Tag lang war Conba auf und ab marschiert, hatte sich mit seinen Kameraden unterhalten, hatte in die Ödnis gestarrt und immer wieder mal die Hitzestuben aufgesucht, um seine Glieder aufzuwärmen.
»Und? Wie war's?« Ors Orbgen trat an Conbas Seite. Er hielt sein Fernglas wie so oft an die Augen und tat so, als würde er den Horizont absuchen.
»Langweilig, Mastrum. Wie immer.«
»Man gewöhnt sich daran. Irgendwann stumpft man ab, Conba. Man sieht den Bäumen beim Wachsen zu, während die Zeit vergeht. Ach, ich vergaß: Die Bäume im Ödland wachsen ja kaum. Vielleicht einen Fuß hoch während einer Zehn-Jahres-Frist.«
»Was wollen Sie mir damit sagen, Mastrum?«
»Dass du dich mit deinem Schicksal abfinden sollst.« Der Kommandant setzte das Fernglas ab und wandte sich Conba zu. »Ich wurde vor dir gewarnt. Abgesehen von deinen Frauengeschichten seist du renitent und legtest dich immer wieder mit deinen Vorgesetzten an. Ich werde das nicht dulden. Ich verlange absoluten Gehorsam. Hast du mich verstanden?«
»Selbstverständlich, Mastrum.« Conba machte sich nicht die Mühe, Haltung anzunehmen.
»Fort Tranker ist deine letzte Chance. Ein einziger Fehler, ein winziger Ausrutscher – und du wirst unehrenhaft aus den Diensten Grospans des Neunzehnten entlassen. Und du weißt, was mit gescheiterten Soldaten geschieht. Sie werden geächtet. Sie finden auch im Zivilleben keinen Platz mehr, sie rutschen ab, sie landen in den tiefsten Niederungen unserer Gesellschaft.«
»Ich weiß, Mastrum.«
»Verrichte deine Dienste zu meiner Zufriedenheit, und ich verspreche dir, dass wir gut miteinander auskommen. Liefere Beweise für deine zweifellos vorhandenen Fähigkeiten. Und stell dich stets gut mit mir.«
»Ja, Mastrum.«
»Das Grenzfort Tranker mag ein vom Herrscherhaus vergessener Außenposten sein. Doch du weißt, wie prekär die politische Situation gegenwärtig ist. Jederzeit kann ein Krieg ausbrechen zwischen uns und diesem Gesocks von der anderen Seite.« Orbgen spuckte aus. »Wir werden diese Auseinandersetzung zweifellos gewinnen, denn wir sind besser organisiert und besser bewaffnet. Und wir wissen ganz genau, wie wir den Vehodischen Bund besiegen können.«
»Mit einem Kommandanten wie Ihnen, Mastrum, kann nichts schiefgehen.«
»Zweifellos.«
War Orbgen wirklich so dumm? Hörte er denn nicht den ironischen Unterton in Conbas Stimme?
»Wenn ich den Dienstplan richtig gelesen habe, hast du nun eine Halb-Tages-Bereitschaft, Conba.«
»Ja, Mastrum.«
»Dann hast du hier nichts mehr zu suchen. Guten Abend.«
Der Kommandant wandte sich ab und starrte wieder in die Ödnis der Landschaft, die von den hohen Gebirgszügen des Wilden Ecualis begrenzt wurde. Einem bis zu sechstausend Meter hohen Massiv, das die heimatliche Welt entlang des Äquators zerteilte.