Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Im Frühjahr 2055, in den Randgebieten der Galaxis Andromeda: Mit dem Fernraumschiff MAGELLAN sucht Perry Rhodan nach Hinweisen auf die verschwundene Menschheit. Er stößt auf die Meister der Insel und ihre Herrschaft über die Sternenvölker in Andromeda. Bisher weiß man: Die Meister stehen in einer geheimnisvollen Verbindung zur Erde. Ihre Anführerin ist Mirona Thetin, die sich auch Faktor I nennt; sie wurde vor über 50.000 Jahren geboren. Sie führt ein Leben voller Macht und voller Tragik – als unsterbliche Herrscherin über Billionen von Lebewesen …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Band 165
Tolotos
Rüdiger Schäfer
Cover
Vorspann
1. Perry Rhodan
2. Perry Rhodan
3. Perry Rhodan
4. Perry Rhodan
5. Perry Rhodan
6. Perry Rhodan
7. Gucky
8. Reginald Bull
9. Gucky
10. Cel Rainbow
11. Perry Rhodan
12. Icho Tolot
13. Perry Rhodan
14. Gucky
15. Perry Rhodan
16. Icho Tolot / Eric Leyden
17. Perry Rhodan
18. Perry Rhodan
19. Perry Rhodan
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.
In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen an einen unbekannten Ort umgesiedelt werden.
Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf. Anfang 2055 gelangt die MAGELLAN am Ziel an. Rasch erfahren die Menschen mehr über die Situation. Insbesondere die Meister der Insel – auch Faktoren genannt – spielen eine zentrale Rolle.
Faktor III lädt Rhodan zu einem Geheimtreffen ein. Der Terraner reist ins Zentrum von Andromeda, wo ein mysteriöser Bote auf ihn wartet. Überraschend begegnet er einem verschollenen Freund – TOLOTOS ...
1.
Perry Rhodan
5. April 2055
Der Thron schüttelte sich wie ein bockendes Pferd. Nur die energetischen Sicherheitsgurte verhinderten, dass Perry Rhodan aus seinem Kommandosessel und quer durch die Zentrale der FERNAO geschleudert wurde. Die Turbulenzen waren unmittelbar nach dem Hyperraumsprung aufgetreten. Bei den Rematerialisierungen der vorherigen Transitionsetappen hatte die Besatzung des Diskusraumers lediglich einige harmlose Vibrationen gespürt. Alle anderen astrophysikalischen Einflüsse des galaktischen Zentrums von Andromeda waren von den Schutzschirmen und Gravitationsstabilisatoren kompensiert worden.
»Was treiben Sie da, Miss Rahimi?«, fragte Cel Rainbow scharf. Der Kommandant der FERNAO hatte die Lehnen seines Sessels fest mit beiden Händen umklammert, als wolle er sich im nächsten Moment daraus emporschnellen und der Pilotin höchstpersönlich zur Seite springen.
Die aus Afghanistan stammende Frau sah nicht von ihren holografischen Kontrollen auf. Ihr nachtschwarzes Haar glänzte selbst im gedimmten Licht der Gefechtsbereitschaft wie ein Tuch aus Samt, auf das man mehrere Hundert winzige Diamanten verteilt hatte.
»Wollen Sie mein Schiff kaputt machen?«, fügte Rainbow hinzu.
»Nicht wenn es sich vermeiden lässt, Sir«, gab Zohra Rahimi trocken zurück. »Wir sind mitten in einem Gebiet mit stark erhöhter Teilchendichte herausgekommen. Die Materie tritt in Schleiern von mindestens zwanzig Sonnenmassen pro Kubiklichtjahr auf. Ich versuche, die wenigen Lücken so gut wie möglich auszunutzen, aber das bringt unsere Positronik und die Schutzschirme an den Rand ihrer Kapazität. Für solche ... Bedingungen ist die FERNAO nicht ausgelegt.«
Rhodan sah, dass Rainbow eine weitere Bemerkung auf der Zunge lag, doch er überlegte es sich im letzten Moment anders. Wahrscheinlich hielt Rainbow es für sinnvoller, die Pilotin in der aktuellen Situation nicht weiter von ihrer Arbeit abzulenken.
Über den Holodom der Zentrale flackerte ein Gewitter aus unzähligen Farben, das selbst die Sternenfülle des Zentrums verblassen ließ. Immer wieder zuckten gelbe, rote und grüne Blitze über das künstliche Firmament. Da und dort wirkten die dreidimensionalen Bilder verschwommen, als könne die Bordpositronik tatsächlich nicht mit der Geschwindigkeit der ständig eingehenden Messdaten mithalten und sie nur zum Teil verarbeiten.
»Diese verdammte Suppe wird immer dichter!«, rief Freder Karminski, der seinen gewohnten Platz am Orterpult eingenommen hatte. Neben ihm saß ein junger Oberleutnant, der ihn bei den Routinearbeiten unterstützte. »Röntgenstrahlung, Gammablitze, Gravitationswellen ... Mir knallt ein Sensor nach dem anderen durch!«
»Leyden hier!«, drang die Stimme des Chefwissenschaftlers der MAGELLAN aus einem Akustikfeld. Der geniale Hyperphysiker hockte mit seinem Team im Laborkomplex des Diskusraumers und wertete die Ortungsergebnisse aus. »Ich will mich ja nicht beschweren«, sagte er, obwohl er genau das tat, »aber die Qualität der gewonnenen Daten nimmt rapide ab. Sind Sie da oben eingeschlafen? Falls ja, dann wachen Sie wieder auf und konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit!«
Rhodan warf Rainbow einen langen Blick zu und schüttelte den Kopf. Der Kommandant der FERNAO hatte noch nicht genug Einsatzerfahrung, um Eric Leydens Eigenheiten in letzter Konsequenz einschätzen und darauf adäquat reagieren zu können.
»Rhodan hier, Mister Leyden«, antwortete er deshalb. »Wir tun, was möglich ist. Und jetzt möchte ich Sie bitten, uns nicht mehr zu stören. Wir hier oben brauchen unseren Schönheitsschlaf ...«
Bevor der Wissenschaftler etwas erwidern konnte, hatte der Protektor die Verbindung unterbrochen. Rainbow grinste breit. Im gleichen Augenblick wurde der Diskusraumer von einer weiteren Erschütterung durchlaufen. Die Datenholos vor Rhodans Sessel, der von den Besatzungsmitgliedern der FERNAO wohlwollend spöttisch als Thron bezeichnet wurde, verschwanden für mehrere Sekunden, bevor sie sich nach und nach wieder aufbauten.
»Wir passieren die Ausläufer einer riesigen Gravofront«, meldete Karminski. »Die werden wir nicht umfliegen können, Zohra«, wandte er sich dann an die Pilotin. »Und für die nächste Transition ist es noch zu früh. Ich fürchte, das wird ziemlich heftig, meine Damen und Herren.«
Rhodan und Rainbow tauschten erneut Blicke. Die Ortungssensoren lieferten beängstigende Werte. Das Zentrum Andromedas bestand aus einem Schwarzen Loch, das rund hundert Millionen Mal massereicher war als die irdische Sonne, und auch wenn die FERNAO noch weit von diesem gefräßigen Moloch entfernt war, wirkten dessen Kräfte bis tief in die inneren Bereiche der Galaxis hinein.
Rhodan hob den Kopf. Am Rand des Holodoms war eine Ballung aus blauen Riesensternen zu erkennen. Die Sonnen standen teilweise so dicht, dass ihre Lichtkränze auf der komprimierten Darstellung ineinanderliefen und einen homogenen, milchigen Nebel bildeten. Laut den Astronomen waren die meisten dieser Sterne maximal 200 Millionen Jahre alt, was nahelegte, dass sie unmittelbar vor Ort entstanden waren. Selbst Leyden hatte dafür noch keine halbwegs sinnvolle Erklärung gefunden. Unter den chaotischen Bedingungen, die in der Nähe eines Schwarzen Lochs herrschten, war die Genese neuer Sonnen normalerweise unmöglich.
»Dann fliegen wir eben durch«, entschied Rainbow. Mehr war dazu nicht zu sagen. Die FERNAO flog ohnehin seit Beginn der Expedition unter voller Gefechtsbereitschaft. Alle wichtigen Positionen der Protektorenjacht waren dreifach besetzt. Jeder an Bord trug einen Raumanzug, und in den Aufenthaltsräumen warteten die Freischichten, um in einem Notfall sofort eingreifen zu können.
Der Diskusraumer bewegte sich mit zwei Fünfteln der Lichtgeschwindigkeit auf eine massive Barriere aus fluktuierenden Gravitationszonen zu. Dort vermischten sich die physikalischen und hyperphysikalischen Einflüsse der Raumregion zu einem mörderischen Gemenge aus verschiedensten hochenergetischen Teilchenschauern. Rhodan war auf diesem Gebiet zwar kein Experte, doch selbst ihm war schnell klar, dass die von den Sonden ermittelten Werte alles überstiegen, was man in der Milchstraße jemals gemessen hatte.
»Großer Gott!«, rief Karminski wie zur Bestätigung. »Ich registriere Ionenströme von mehreren Hundert Teraelektronenvolt Energiegehalt. Wenn wir die auch nur streifen, zerbläst es die FERNAO auf der Stelle in sämtliche Atome ...«
Rhodan biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass der Ortungschef recht hatte. Selbst der neue Libraschirm, über den nicht nur die MAGELLAN, sondern auch die FERNAO verfügte, war derart unvorstellbaren Gewalten nicht annähernd gewachsen. Im Zentrum von Andromeda pulsierte ein gigantisches, schwarzes Herz – und mit jedem Schlag schleuderte es Energien in den Weltraum hinaus, gegen die die Sonne im heimatlichen Solsystem wie eine Kerzenflamme inmitten eines Großfeuers wirkte.
Zum ersten Mal seit dem Start der FERNAO von der Paddlerplattform PE-hilfreich fragte sich Rhodan ernsthaft, ob er diesen Flug nicht zu überhastet angeordnet hatte. Vor zwei Tagen hatte ein Unbekannter, dessen Gestalt an die Bestie Masmer Tronkh erinnert hatte, Eric Leyden und seinem Team im Sucahtsystem auf dem Planeten Nachtschatten eine mysteriöse Kugel übergeben. Ihr Material erinnerte an dunkles Rauchglas, und in ihrem Innern zeichnete sich undeutlich etwas ab, was wie eine verdorrte Wurzel aussah. Mit der Kugel hatte der Riese den Wissenschaftlern zusätzlich einen Datenkristall überreicht – verbunden mit der ausdrücklichen Anweisung, alles Perry Rhodan persönlich auszuhändigen.
Als Rhodan den Kristall berührt hatte, war eine gespeicherte Botschaft aktiviert worden. Faktor III, Proht Meyhet höchstpersönlich, hatte Rhodan als Geschenk und Beweis seiner Aufrichtigkeit in der Rauchglaskugel die Extremität einer Crea überlassen. Die Worte des Meisters der Insel waren Rhodan noch frisch im Gedächtnis:
»Die Extremität einer Crea zeichnet sich durch starkes Quantenflimmern und die dabei entstehenden Instabilitäten im Raum-Zeit-Gefüge aus. Eine solche Extremität darf niemals unterschätzt werden! Ich weiß, das ist inzwischen überflüssig zu betonen. Doch ich möchte klarstellen, dass ich Sie damit nicht in Gefahr bringen will. Ganz im Gegenteil. Sie haben nun die Möglichkeit, den Feind kennenzulernen. Dies ist mein Friedensangebot an Sie. Nur mit vereinten Kräften können wir uns diesem schrecklichen Feind stellen. Im Anschluss an meine Botschaft erhalten Sie Koordinaten, die der Überbringer der Nachricht und des Geschenks eingefügt hat. Es ist von größter Bedeutung, dass Sie keine Zeit verlieren. Sie müssen so schnell wie möglich zu diesen Koordinaten! Dort werden sie meinen Boten persönlich antreffen und auch seine Identität erfahren.«
Die nachfolgenden Diskussionen an Bord der MAGELLAN waren hitzig verlaufen. Eine Gruppe um Conrad Deringhouse und Autum Legacy vertrat die Ansicht, dass es sich bei der Botschaft nur um eine Falle der Meister der Insel handeln konnte.
Proht Meyhet war einer der zwölf Herrscher des Sternenreichs von Andrumidia. Seit die Menschen in der Nachbargalaxis der Milchstraße eingetroffen waren, hatten sie den hiesigen Machthabern einige empfindliche Schläge versetzt. Zuletzt hatte Rhodan auf Multidon nicht nur den Duplikator, sondern auch Mirona Thetins praktisch unersetzliche Zelldusche zerstört. Selbst der schon seit mehreren Jahren an der Seite von Faktor I tätige Arkonide Atlan hatte danach offenbar nicht mehr beruhigend auf die Liduuri einwirken können, wie die Angriffe der sogenannten Meute vermuten ließen, eines speziellen Hetzgeschwaders der Meister.
»Meyhet ist ein Köder«, hatte Autum Legacy argumentiert. »Man will uns weismachen, dass unter den Faktoren Missgunst und Zwietracht herrschen. Das ist der älteste Trick der Welt. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Willst du darauf wirklich hereinfallen, Perry?«
Rhodan selbst, und mit ihm Freunde wie Reginald Bull, John Marshall oder Julian Tifflor, waren anderer Meinung. Für eine derart plumpe Falle bestand keine Notwendigkeit. Früher oder später würden die Menschen den Meistern zwangsläufig ins Netz gehen, sofern sie sich nicht auf irgendeinen unbekannten Planeten zurückzogen und für die nächsten Jahre versteckten. Genau das konnten sich die Terraner aber nicht leisten, das wusste Faktor III.
Die der Botschaft angehängten Koordinaten bezeichneten einen Ort im unmittelbaren Zentrumsbereich von Andromeda. Die dortigen Bedingungen machten jeden Raumflug zu einem Vabanquespiel, und außer Eric Leyden, der es gar nicht erwarten konnte, loszufliegen, hatten alle Beteiligten von einer Expedition in diese gefährliche Strahlungs- und Gravitationshölle abgeraten. Dennoch hatte sich Rhodan anders entschieden. Den Ausschlag hatten der seltsame Riese auf Nachtschatten und sein unheimliches Geschenk gegeben.
Viel Zeit war Leyden und seinem Team nicht geblieben, um die angebliche Crea-Extremität zu untersuchen. Schon die ersten Ergebnisse ließen in Rhodan die Überzeugung wachsen, dass man ihn keineswegs hinters Licht führen wollte. Die Wissenschaftler hatten die Kugel vorerst nicht geöffnet; das erschien selbst dem exzentrischen Hyperphysiker zu riskant. Allerdings zeigten die Tiefenscans einige erstaunliche Resultate. Demnach herrschten im Innern des Behälters höchst ungewöhnliche Zustände.
»Die Erforschung interdimensionaler Prozesse steckt naturgemäß noch in den Kinderschuhen«, hatte Leyden erklärt. »Bis vor wenigen Jahren beschäftigte man sich auf der Erde mangels empirischer Möglichkeiten fast ausschließlich mathematisch mit dem Thema. Erst durch den Kontakt mit den Arkoniden und deren Hyperphysik hat sich das geändert. Was ich dennoch mit Sicherheit sagen kann: Das Objekt in der Kugel stammt nicht aus unserem Universum. Es weist eine Quantensignatur auf, die sich mit den im sogenannten Einsteinraum etablierten Naturkonstanten nicht in Einklang bringen lässt.«
»Was würde geschehen, wenn wir die Kugel öffnen?«, hatte Rhodan gefragt.
»Das kann ich ohne weitere Untersuchungen nicht einmal vermuten«, hatte der Wissenschaftler eingestehen müssen. »Von einer aggressiven Reaktion wie bei einer Materie-Antimaterie-Explosion bis hin zur Angleichung der Quantenzustände und einem sofortigen Zerfall des Objekts in seine atomaren Bestandteile ist fast alles denkbar.«
Als nach weiteren vierundzwanzig Stunden keinerlei neue Erkenntnisse vorlagen, hatte sich Rhodan entschieden und die Expedition der FERNAO angeordnet. Schon der Flug der MAGELLAN nach Andromeda war ein kaum zu kalkulierendes Wagnis gewesen. Wenn er nun so kurz vor dem möglichen Ziel zurücksteckte, waren alle Opfer, welche die Menschheit in den zurückliegenden Jahren gebracht hatte, umsonst gewesen. Sie brauchten dringend weitere Informationen – um der Zukunft der Menschheit willen! Außerdem spürte Rhodan tief in seinem Innern, dass er vielleicht nicht unbedingt Proht Meyhet vertrauen durfte, doch der Anblick seines riesenhaften Boten löste etwas in ihm aus, was er nur schwer beschreiben konnte.
Er hatte sich die Aufnahmen, die von den Systemen der Einsatzmonturen des Leyden-Teams gemacht worden waren, immer wieder angesehen. Ja, die undeutliche Silhouette des Fremden erinnerte an die Bestie Masmer Tronkh, das wohl grausamste und tödlichste Lebewesen, das Rhodan kannte. Und doch war da eine seltsame Vertrautheit, eine nicht konkret zu greifende Intimität, die ihn stets dann erfasste, wenn der Schemen sich auf den Bildern bewegte. Seinen Freunden hatte er diese Gedanken verschwiegen; hauptsächlich deshalb, weil sie ihm selbst bis zu einem gewissen Grad lächerlich vorkamen. Doch er konnte sich nicht gänzlich von ihnen befreien – und sein Instinkt sagte ihm, dass er seine Emotionen nicht einfach ignorieren durfte.
»Träumst du?«, riss ihn Reginald Bulls Stimme in die Gegenwart zurück.
Tatsächlich hatte sich Rhodan für ein paar Sekunden von der Realität abgekoppelt. Die Fülle der Gedanken, die in seinem Verstand derzeit durcheinanderwirbelten, machten es ihm zuweilen schwer, sich zu konzentrieren.
»Von Reichtum und ewigem Glück«, antwortete Rhodans launig.
Das Lachen blieb seinem Freund buchstäblich im Hals stecken, als die FERNAO kurz nacheinander von mehreren Stößen durchgeschüttelt wurde. Aus den Eingeweiden des Schiffs drang ein bedrohliches Heulen. In Rhodans Kopf entstand das Bild eines ausgehungerten Wolfsrudels, das sie eingekesselt hatte und nun auf die Chance zum Zuschlagen wartete.
»Reserveenergie auf die Schutzschirme!«, ordnete Limber Baldivieso an.
Auf der hohen Stirn der stämmigen Ersten Offizierin glänzten winzige Schweißtröpfchen. Rhodan wusste, das Cel Rainbow große Stücke auf die Frau hielt, die mit ihren gerade mal 27 Jahren bereits in den Rang eines Captains aufgestiegen war.
»Das wird nicht viel helfen«, warf Rufus Darnell ein, der Chefingenieur des Diskusraumers. »Um einen merkbaren Effekt zu erzielen, müsste ich die Feldemitter neu ausrichten, was ich aber nicht tun kann, wenn der Libraschirm aktiv ist.«
»Das ist mir bekannt, Mister Darnell«, gab Baldivieso freundlich zurück. »Befolgen Sie meine Anweisung trotzdem.«
»Verstanden, Sir. Und ... erledigt. Sämtliche Ersatzmeiler stehen in Bereitschaft. Speicherbelastung bei hundertzwölf Prozent.«
»Impakt erwartet in zehn ... neun ... acht ...«, zählte Karminski rückwärts.
Im Holodom steuerte das Abbild der FERNAO auf eine grauschwarze Nebelwand zu. Natürlich wusste Rhodan, dass es draußen im All keine solche Wand gab, sondern dass die Positronik wie üblich nur ein für die menschlichen Sinne möglichst nachvollziehbares Bild extrapolierte. Dennoch – oder gerade deshalb – verfehlte die Darstellung ihre Wirkung nicht. Das quälende Gefühl, mit fast halber Lichtgeschwindigkeit auf ein massives Hindernis zuzurasen, ließ sich auch durch die Intervention des Verstands nicht gänzlich unterdrücken.
»... sieben ... sechs ... fünf ... vier ...«, zählte Karminski weiter.
Sämtliche Gespräche in der Zentrale waren verstummt. Rhodan wandte kurz den Kopf und sah zu Bull hinüber. Der Freund bemerkte es nicht. Er hatte die Lippen fest aufeinandergepresst und starrte wie hypnotisiert in Flugrichtung. Die Nebelwand schien nicht näher zu kommen. Lediglich die rasend schnell schrumpfenden Entfernungsangaben der Instrumente legten Zeugnis davon ab, dass die FERNAO mit unvorstellbarem Tempo durch einen beispiellosen Energieorkan pflügte.
»... drei ... zwei ... eins ...«
Rhodan spürte einen brutalen Druck auf seinem Brustkorb. Der Ton einer Sirene schnitt wie ein glühendes Messer in seinen Kopf und verstummte wieder. Die FERNAO bebte; dann schüttelte sie sich mehrfach und in kurzen Abständen. Sekundenlang wusste Rhodan nicht mehr, wo oben und wo unten war. Sein Magen schlug Purzelbäume. Brennende Säure bahnte sich ihren Weg durch die Speiseröhre in den Mund. Er schluckte hastig, kämpfte mit Mühe einen Hustenanfall nieder.
»Fluktuationen in der äußeren Gitterstruktur des Libraschirms!«, rief Darnell. Seine Stimme klang heiser. »Kompensiere über Feldrotation!«
Aus dem Bauch der Jacht drang ein dumpfes Grollen, das an ein nahendes Gewitter denken ließ. Die nächsten Meldungen kamen schnell, aber nicht hektisch.
»Kursanpassung auf vier-sechs-acht Alpha. Bremsmanöver eingeleitet.«
»Notabschaltung der Meiler sechzehn bis achtzehn veranlasst. Energiedefizit kann durch die Primärspeicher gedeckt werden.«
»Überlastungsschäden an mehreren Gravitationsneutralisatoren. Redundanzsysteme arbeiten einwandfrei.«
Der Druck auf die Brust verschwand von einem Atemzug auf den nächsten. Vor den Kontrollpulten der Offiziere leuchteten zahlreiche Holoprojektionen in Signalrot. Rhodan erfasste mit der ihm eigenen Geschwindigkeit, dass keine lebenswichtigen Systeme beschädigt waren. Der kurze Ausfall der Bordschwerkraft war der Reaktionszeit der Bordpositronik geschuldet, als der Rechner auf die Ersatzaggregate umgeschaltet hatte. Im Normalfall bemaß sich diese nach Femtosekunden, doch in vorliegendem Fall hatten die äußeren Umstände offenbar für eine Verzögerung gesorgt.
»Miss Baldivieso?«, wollte Cel Rainbow wissen. »Ihre Gesamteinschätzung?«
»Wir leben, Sir«, stieß die Erste Offizierin hervor. »Reicht Ihnen das nicht?«
»Nein«, antwortete der Kommandant lapidar. »Und das wissen Sie auch.«
»Entschuldigen Sie, Sir.« Limber Baldivieso schüttelte den Kopf mit den stoppelkurzen, braunen Haaren. »Soweit ich das sehen kann, ist nicht allzu viel zu Bruch gegangen. Wir sind zu fünfundneunzig Prozent einsatzfähig.«
»Ausgezeichnet«, zeigte sich Rainbow zufrieden. »Gefechtsbereitschaft bleibt bestehen. Um die Reparaturen kümmern wir uns später. Miss Rahimi: Zeit bis zum Erreichen der Zielkoordinaten?«
»Sechs Stunden bei Beibehaltung der Standard-Refraktionszeiten und der befohlenen Orientierungsphasen, Sir«, antwortete die Pilotin. »Wir springen bis auf eine Lichtminute an den Koordinatenpunkt heran.«
Der Kommandant sah zu Perry Rhodan hinüber. »Es scheint so, als hätten wir das Schlimmste hinter uns, Protektor.«
Rhodan lächelte. »Ich hoffe, Sie haben recht, Mister Rainbow.«
2.
Perry Rhodan
5. April 2055
In den folgenden Stunden wurde Perry Rhodan wieder einmal bewusst, was terranische Ingenieurskunst und Schöpferkraft mit der FERNAO geschaffen hatten. Jedes Messergebnis, jedes Datenpaket, jedes in den Holodom projizierte Bild der um sie herum tobenden Naturkräfte vermittelte nur eine einzige Botschaft: Menschen hatten an diesem Ort nichts zu suchen. Draußen regierte ein lebensfeindliches Chaos, dessen Wurzeln bis zum Beginn der Schöpfung zurückreichten – und doch waren sie hergekommen!
Eric Leyden und sein Team hatten eine erste Situationsanalyse geliefert. Demnach pulsierte das Schwarze Loch im Herzen Andromedas tatsächlich, ein Phänomen, das man bislang noch bei keinem dieser Schwerkraftmonster in dieser Form festgestellt hatte. Andererseits waren Menschen auch niemals zuvor so nah an ein zentralgalaktisches Black Hole herangekommen. Leydens Stimme überschlug sich beinahe, als er während einer kurzfristig einberufenen Einsatzbesprechung mit den wichtigsten Führungsoffizieren Bericht erstattete. So aufgeregt hatte den Hyperphysiker noch niemand gesehen.
»Die Pulsfrequenz liegt bei über einer Trillion Zyklen pro Sekunde«, trug er begeistert vor. »Das übertrifft selbst die Schwingungsfrequenz von Gammastrahlung. Dadurch wirkt Bruno auf nahezu alle physikalischen Kenngrößen innerhalb einer Raumkugel von mindestens fünfhundert Lichtjahren Durchmesser. Ich ...«
»Einen Moment!«, stoppte Reginald Bull den Redefluss des Wissenschaftlers. »Bruno ...?«
Leyden wischte mit beiden Armen ziellos durch die Luft, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. Man sah ihm den Unmut über die Unterbrechung deutlich an.
»So habe ich das Schwarze Loch getauft«, antwortete er unwirsch. »Es muss doch einen Namen haben, oder?«
Bull sah Rhodan perplex an, doch der zuckte nur mit den Schultern.
»Fahren Sie bitte fort, Mister Leyden«, sagte Rhodan und ignorierte das vereinzelt aufkommende, unterdrückte Gelächter. »Was können Sie uns noch über ... Bruno sagen?«
»Wir haben einen außergewöhnlich hohen thermodynamischen Druck gemessen«, ließ sich Leyden nicht zweimal bitten. »Und zwar unterhalb der kritischen Massedichte. So etwas wurde innerhalb eines Schwarzen Lochs noch nie beobachtet, weil das Gleichgewicht der entropischen Systemkräfte für gewöhnlich einem Gravitationskollaps entgegenwirkt. Wäre das nicht so, wäre die Existenz stabiler Sterne gar nicht möglich, weil sie sich durch ihre eigene Masse sofort nach Entstehung in Neutronensterne, Quasare oder eben Schwarze Löcher verwandeln würden. Ich habe ...«
»Langsam, langsam, Mister Leyden!« Rhodan hob abwehrend beide Hände. »Sie befinden sich hier nicht auf einer Fachkonferenz. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann dürfte es Bruno also gar nicht geben, richtig?«
Eric Leyden schien für einen Moment verwirrt. Dann fuhr er sich mit der rechten Hand durch die wie üblich nach allen Seiten abstehenden Haare und leckte sich die Lippen. »Das habe ich nicht gesagt ... Aber man könnte es so formulieren. Schwarze Löcher entstehen durch eine Verformung der Raum-Zeit im Einflussbereich einer extrem kompakten Masse. Masse erzeugt stets Gravitation, und wenn diese auf ein genügend kleines Volumen begrenzt ist, kommt es zum Kollaps.«
»So weit kann ich Ihnen folgen«, sagte Rhodan. »Die Schwerkraft steigt sprunghaft an und verzerrt sowohl den lokalen Raum als auch den Ablauf der Zeit. Eine Singularität entsteht, deren Grenze der sogenannte Ereignishorizont ist. Diesen können weder Licht noch Informationen überwinden. Er stanzt gewissermaßen ein Loch in die Raum-Zeit.«
»Genau, Sir«, bestätigte Leyden. »Wir können diese Phänomene mittels der verschiedenen Teilchenfrequenzen messen. So weisen beispielsweise Photonen, die aus einem Gravitationsfeld treten, eine Rotverschiebung auf. Anhand deren Stärke lässt sich die Geometrie eines Schwarzen Lochs sehr genau ermitteln.«
»Die Details überlasse ich Ihnen und Ihrem Team.« Rhodan winkte ab. »Nur die wichtigsten Fakten, bitte!«
Für einen Moment wirkte Leyden enttäuscht. Dann fasste er sich und sprach weiter. »Unsere Berechnungen haben ergeben, dass die Schwerkraft rund fünfundvierzig Kilometer über dem Ereignishorizont bei hundert Milliarden Gravos liegt. Die Werte für die Absorption von Materie und Strahlung bewegen sich ebenfalls im Normbereich. Horizontradius, Schwarzschild-Parameter, Punktsingularität ... Alles deutet darauf hin, dass wir es im Zentrum Andromedas mit einem handelsüblichen Schwarzen Loch zu tun haben.«
»Handelsüblich ...?«, stieß Bull ungläubig hervor.
»Dem widerspricht jedoch Brunos Gegenkraftdynamik«, ließ sich der Wissenschaftler nicht beirren. Für einen Moment suchte er nach den richtigen Worten für sein Laienpublikum. »Normalerweise entsteht ein Schwarzes Loch, wenn die Fusionsvorgänge einer ausreichend großen Sonne zum Stillstand kommen. Dann reicht der Strahlungsdruck nicht mehr aus, um der Eigengravitation des Sterns entgegenzuwirken. Das Sterneninnere verwandelt sich binnen Millisekunden in ein unglaublich kompaktes und massereiches Objekt. Dabei wird eine Stoßwelle erzeugt, die man auch viele Hundert Millionen Jahre später noch nachweisen kann.«
»Und diese Stoßwelle haben Sie bisher nicht gefunden«, vermutete Rhodan.
»Wir werden sie auch nicht finden, Sir«, gab Leyden resigniert zu. »Weil sie niemals existiert hat. Das ist eine der wenigen Gewissheiten, die ich aus den bisherigen Analysen ableiten kann.«
»Also ist es so, wie ich vorhin bereits sagte ...«, fasste Rhodan zusammen. »Bruno dürfte es eigentlich gar nicht geben. Warum gibt es ihn trotzdem?«
Leyden wand sich sichtlich.
Bull hatte den Kopf schief gelegt und betrachtete den schlaksigen Physiker mit unverhohlenem Grinsen. »Sieh einer an«, sagte er fröhlich. »Unser Genie ist ratlos. Ich werde mir den heutigen Tag in meinem Kalender markieren ...«
»Sarkasmus hilft uns nicht weiter, Reg.« Trotz der sanften Rüge war Rhodan wohl anzusehen, dass auch er sich ein Lächeln kaum verkneifen konnte. »Ich bin sicher, dass Doktor Leyden und seine Experten eine Erklärung für dieses Phänomen finden werden. Schließlich werden wir uns vermutlich eine Weile in der Nähe von Bruno aufhalten. Genug Zeit, um weiter zu beobachten und zu forschen.«
Leyden nickte eifrig und rutschte nervös auf seinem Sessel hin und her.
»Ich nehme an, Sie wollen möglichst umgehend wieder in Ihr Labor zurückkehren ...«, fuhr Rhodan fort.
»Wir haben eine komplexe Simulation von Brunos hochfrequenten Hyperspektralfraktionen laufen, Sir«, druckste Wissenschaftler herum. »Und ich bin nicht sicher, ob Belle ... ich meine Miss McGraw ...«
»Miss McGraw ist eine der fähigsten Astronominnen, die ich kenne«, unterbrach Rhodan. »Sonst wäre sie nicht in Ihrem Team. Sie sollten Ihren Mitarbeitern vertrauen, Mister Leyden.«
»Das ... Das tue ich, Sir.«
»Gut. Und jetzt verschwinden Sie!«
Rhodans letztes Wort war noch nicht ganz verhallt, da hatte Eric Leyden den Konferenzraum bereits verlassen.
»Man muss diesen Kerl einfach lieben, oder?«, fragte Bull spöttisch, als sich das Schott hinter dem Physiker geschlossen hatte. »Zumindest solange er nicht gerade sein Labor und damit das halbe Schiff in die Luft sprengt.«
Er spielte damit auf die dramatischen Ereignisse an, die sich während des Flugs von der Milchstraße nach Andromeda an Bord der MAGELLAN abgespielt hatten. Wie lange war das inzwischen her? Der Gedanke, dass er seine Familie nun seit über vier Monaten nicht mehr gesehen hatte, versetzte Perry Rhodan einen Stich ins Herz. Er wusste nicht einmal, ob es Thora, Thomas, Nathalie und Farouq gut ging – und das machte ihm mit jedem weiteren Tag, der verstrich, mehr zu schaffen.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Reginald Bull.
»Ja«, antwortete Rhodan knapp. »Haben wir neue Ortungen aus dem Zielgebiet?«
»Nein, Sir«, übernahm Freder Karminski. Der Ortungschef war lediglich als Hologramm anwesend. Er hatte es vorgezogen, seinen Platz in der Zentrale nicht zu verlassen. »Wir werden wohl erst verlässliche Daten bekommen, wenn wir unmittelbar vor Ort sind. Die Störeinflüsse der Umgebung sind zu groß. Allerdings könnten wir eine Space-Disk vorausschicken und nachsehen. Unbemannt, versteht sich.«
»Nein.« Rhodan schüttelte den Kopf. »Das würde zu viel Zeit kosten. Außerdem wäre eine Disk noch weit schlechter vor dem astrophysikalischen Orkan geschützt, der dort draußen tobt. Wir bleiben bei der langsamen Annäherung mit der FERNAO.«
»Die letzte Transition ist für zweiundzwanzig Uhr Standardzeit angesetzt«, sagte Cel Rainbow. »Das ist in ...«, er machte eine Pause und konsultierte sein Multifunktionsarmband, »... ziemlich genau fünfundfünfzig Minuten.«
»Status?«, fragte Rhodan knapp.
»Alle Reparaturen sind abgeschlossen«, antwortete der Kommandant. »Die FERNAO ist voll einsatzbereit.«
»Ebenso wie meine Leute, Protektor!« Shinawatra Kogaddu, der Chef der Beibootflottille, war eilfertig aufgesprungen.