Perry Rhodan Neo 170: Abschied von Andromeda - Rüdiger Schäfer - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 170: Abschied von Andromeda E-Book und Hörbuch

Rüdiger Schäfer

4,3

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Beschreibung

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen. In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen auf unbekannte Weise verschwinden. Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf; die MAGELLAN erreicht Anfang 2055 ihr Ziel. Rasch erfahren die Menschen mehr über Andromeda, wo die Meister der Insel sich auf einen kosmischen Krieg gegen die geheimnisvollen Crea vorbereiten. Icho Tolot und Eric Leyden gelingt es, eine Verbindung in die Crea-Dimension zu schaffen. Von dort aus droht ein Angriff – doch Rhodan glaubt an eine Verständigung. Sein baldiges Ziel ist der ABSCHIED VON ANDROMEDA ...

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Zeit:5 Std. 49 min

Sprecher:Axel Gottschick
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Band 170

Abschied von Andromeda

Rüdiger Schäfer

Cover

Vorspann

Prolog: Mirona Thetin

1. John Marshall

2. Perry Rhodan

3. John Marshall

4. Perry Rhodan

5. Mirona Thetin

6. Perry Rhodan

7. Perry Rhodan

8. John Marshall

9. Atila Ardal

10. Perry Rhodan

11. John Marshall

12. Atila Ardal

13. Mirona Thetin

14. John Marshall

15. Atila Ardal

16. Mirona Thetin

17. Perry Rhodan

18. Perry Rhodan

19. Perry Rhodan

20. Nachwehen

Epilog: Mirona Thetin

Impressum

Im Jahr 2036 entdeckt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond ein außerirdisches Raumschiff. Damit erschließt er der Menschheit den Weg zu den Sternen.

In den Weiten der Milchstraße treffen die Menschen auf Gegner und Freunde; es folgen Fortschritte und Rückschläge. Nach 2051 wird die Erde unbewohnbar, während Milliarden Menschen auf unbekannte Weise verschwinden.

Der Schlüssel zu diesen Ereignissen liegt in der Galaxis Andromeda. Dorthin bricht Perry Rhodan im modernsten Raumschiff der Menschheit auf; die MAGELLAN erreicht Anfang 2055 ihr Ziel. Rasch erfahren die Menschen mehr über Andromeda, wo die Meister der Insel sich auf einen kosmischen Krieg gegen die geheimnisvollen Crea vorbereiten.

Icho Tolot und Eric Leyden gelingt es, eine Verbindung in die Crea-Dimension zu schaffen. Von dort aus droht ein Angriff – doch Rhodan glaubt an eine Verständigung. Sein baldiges Ziel ist der ABSCHIED VON ANDROMEDA ...

Prolog

Mirona Thetin

Manchmal war sie davon überzeugt, dass lediglich der Schlaf sie vor dem sicheren Wahnsinn bewahrte; jene süßen, unendlich wertvollen Stunden, die ihr das Schicksal leider nur alle paar Tage gewährte.

Manchmal zitterte sie in panischer Angst vor den Albträumen, die sie in unregelmäßigen Abständen heimsuchten und ihre mentalen Schutzwälle, die sie in Jahrzehntausenden errichtet hatte, mühelos zum Einsturz brachten. Dann überschwemmten die Schatten der Vergangenheit ihr wehrloses Bewusstsein mit Bildern, die sie schreiend und in Schweiß gebadet aufwachen ließen.

Hin und wieder hatte Suator neben ihrem Lager gestanden und sie auf seine typisch gleichgültige Art angesehen – so wie man ein Insekt betrachtete, das über den Boden krabbelte, während man kurz überlegte, ob man es unter der Stiefelsohle zerquetschen sollte.

Meistens war sie jedoch allein gewesen ... Nein, nicht allein – isoliert! Außerhalb der Realität und eingesperrt in einer anderen Wirklichkeit. Zu Beginn hatte sie ihren Schmerz in Selbstmitleid konserviert. Sie hatte sich zurückgezogen und ihr Leid inhaliert, sich als Märtyrerin gesehen und die Depressionen auf makabre Weise genossen.

Später war der Hass gekommen. Erst auf sich selbst, dann auf alles, was nicht so war wie sie, was nicht verstehen wollte, dass man ein bestimmtes Feuer nur mit noch mehr Feuer bekämpfen konnte. Tod und Zerstörung waren die einzigen Konstanten in der großen Gleichung des Lebens. Wer das nicht begriff, den traf die Unbarmherzigkeit der Welt mit solcher Wucht, dass er daran zerbrach.

In der Rückschau gab es selten Raum für Zweifel. Der Blick über die Schulter offenbarte den Weg in die Zukunft als das, was er war: ein geradliniger Pfad, der auf ein klar erkennbares Ziel zuführte. Wenn man jedoch an seinem Anfang stand, versperrte der Nebel der eigenen Inkonsequenz die Sicht.

Mirona Thetin wartete noch einige Sekunden, bevor sie die Augen aufschlug. Neben sich vernahm sie die regelmäßigen Atemzüge Atlans. Wie immer so kurz nach dem Erwachen liefen die Gefühle in ihr Amok, doch in den zurückliegenden Wochen hatte sie gelernt, den emotionalen Orkan in ihr als etwas Positives zu betrachten. Er brachte die Dinge durcheinander, gewiss, doch er sorgte zugleich dafür, dass sie Selbstverständlichkeiten infrage stellte, die sie viel zu lange in den Tiefen ihrer Psyche zementiert hatte und die sich nur langsam und widerwillig aus ihren Fundamenten lösten.

Zeit ihres Lebens waren Unabhängigkeit und Stärke für sie nur zwei verschiedene Begriffe für ein und denselben Sachverhalt gewesen. Wer stark sein wollte, durfte sich nicht auf andere verlassen, durfte sich nicht von ihnen abhängig machen und darauf vertrauen, dass sie selbstlos genug waren, das eigene Wohl zugunsten anderer hintanzustellen.

Erst hatte sie geglaubt, dass Atlan ebenso dachte, und sie hatte die Tatsache, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten, als Beweis für diese Annahme gewertet. Sie war sicher gewesen, dass sie ihn in ihrem Sinne formen konnte. Der Arkonide war jung und unerfahren. Er hatte den Großteil seines Lebens im biologischen Tiefschlaf auf der ehemaligen Heimatwelt ihres Volks zugebracht, die mittlerweile von Primitiven bewohnt war. Von Perry Rhodan und seinen Menschen, die bereits bei ihren ersten Schritten zu den Sternen ins Stolpern geraten waren und nun zu stürzen drohten.

Nach und nach hatte sie sich jedoch eingestehen müssen, dass Atlan nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Das lag hauptsächlich daran, dass er sie in Rekordzeit durchschaute. In seiner Gegenwart fühlte sie plötzlich eine Hilflosigkeit, die wohlige Schauer erzeugte. Das lief ihrem Selbstverständnis, ihrem Streben nach Autarkie und Kontrolle so fundamental zuwider, dass sie lange Zeit nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.

Der Arkonide machte sie wütend, weil er sie bloßstellte. Er reizte sie manchmal bis aufs Blut, weil er ihre Entscheidungen kritisierte und sie zwang, ihre sorgsam geschmiedeten Pläne zu revidieren. Es interessierte ihn nicht, dass sie ihm in so vielem um Jahrzehntausende voraus war. Er kümmerte sich nicht um Konventionen und Gegensätze. Für ihn war jede Situation, jedes Problem etwas, was man losgelöst von früheren Entscheidungen und Erkenntnissen betrachten musste.

Anfangs hatte diese sture Borniertheit sie zur Weißglut getrieben. Sie hatte ihn beschimpft und bedroht. Doch dann hatte sie erkannt, dass sich ihr Zorn nicht gegen Atlan, sondern gegen das richtete, was er in ihr sah. Der Erkenntnisprozess war kompliziert und für einen Außenstehenden vermutlich nur schwer zu verstehen. Doch wenn man ihn auf die reinen Fakten reduzierte, blieb wenig Raum für Widerspruch.

»Du willst, dass ich dich wie alle anderen als Monster betrachte, Mirona«, hatte er zu Beginn ihrer Beziehung einmal zu ihr gesagt. »Als skrupelloses und gefühlskaltes Scheusal, das eine ganze Galaxis in ein grausames und lebensverachtendes Regime gepresst hat. Diesen Gefallen kann ich dir aber nicht tun. Versteh mich bitte nicht falsch. Meine Liebe zu dir ist ehrlich und aufrichtig, aber sie macht mich keineswegs blind. Ich erkenne jeden Tag aufs Neue, was du angerichtet hast, und vieles davon lässt mich in Wut und Entsetzen erstarren. Aber weißt du, was mich das alles aushalten lässt? Der Umstand, dass du noch immer in der Lage bist, das Unrecht in alldem zu sehen. Dass du einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hast, jedoch nach wie vor deine Seele besitzt. Das macht deine Taten nicht ungeschehen, und es wird der Tag kommen, an dem du die Verantwortung für das unendliche Leid übernehmen musst, das du verursacht hast. Ich jedoch bin weder dein Richter noch dein Henker. Und wenn ich dadurch selbst Schuld auf mich lade, werde ich sie tragen.«

Nun öffnete Thetin doch die Lider. Nicht weil die Tränen sie in den Augenwinkeln kitzelten, sondern weil es an der Zeit war, aufzustehen. Dieser verfluchte Arkonide hatte sie schon viel zu oft zum Weinen gebracht. Er hatte die Bedeutung von Stärke und Schwäche vertauscht und ihre Gegenwehr einfach weggeküsst.

Fünfzigtausend Jahre – und dann so etwas, schoss es ihr durch den Kopf.

Sie musterte die entspannten Züge des Manns, der neben ihr lag, das Gesicht – teilweise von den langen, weißen Haaren verdeckt – vom Stoff des Kissens umrahmt. Die Bettdecke war zur Seite gerutscht und gab den Blick auf einen muskulösen, hier und da von Narben gezeichneten Oberkörper frei.

Sie zupfte die Decke zurecht und wollte gerade das gemeinsame Lager verlassen, als Atlan ebenfalls die Augen öffnete. Er lächelte nicht, sah sie nur an, lange und ernst, versenkte seinen Blick in ihren.

»Jetzt«, sagte er schließlich leise. »Genau jetzt.«

Sie legte den Kopf schief. Dabei fiel ihr eine Strähne ihrer Haare über die Wange. Sie blies sie zur Seite. Ihre Lippen verzogen sich zu einem verhaltenen Lächeln, und sie schaute fragend.

»Genau jetzt würde ich gern die Zeit anhalten«, fuhr er fort. »So ungefähr für fünf- oder zehntausend Jahre. Klingt das zu kitschig für dich?«

»Nicht kitschiger als das, was du sonst so von dir gibst«, erwiderte sie. »Aber das ist in Ordnung. Im Vergleich zu mir steckst du immer noch in der Pubertät.«

»Und für dein Alter siehst du immer noch ganz passabel aus«, konterte er. »Wenn du allerdings weiter darauf herumreitest, dass du im Prinzip eine Greisin bist, werde ich dich eines Tages für eine Jüngere verlassen.«

Für lange Sekunden sahen sie einander nur an, und Mirona Thetin wünschte sich tatsächlich, die Zeit würde einfach stehen bleiben. Dann verflog der Zauber ebenso schnell, wie er gekommen war, und sie schüttelte den Kopf.

»Wir sind schon ein seltsames Paar, oder nicht?«, fragte sie.

1.

John Marshall

11. Mai 2055

Je länger er auf das langsam rotierende Oval des Transfernexus starrte, desto intensiver wurde das Gefühl der Unsicherheit. Dennoch konnte er den Blick nicht abwenden.

John Marshall wischte sich mit dem Rücken der rechten Hand über die Stirn, doch da war kein Schweiß. Stattdessen hatte er den Eindruck, mit einem Bogen Schleifpapier über ein Stück trockenes Holz zu reiben.

»Ist alles in Ordnung, Mister Marshall?«, hörte er die besorgte Stimme von Belle McGraw neben sich.

Der Mutant drehte nun doch den Kopf und schenkte der stämmigen Astronomin ein Lächeln. Sie trug über ihrer Kombination eine weit geschnittene Tunika. Er wusste, dass sie sich für zu dick hielt, was in seinen Augen absoluter Unsinn war. Die ebenso intelligente wie warmherzige Wissenschaftlerin war einer der sympathischsten Menschen, die ihm jemals begegnet waren, und er bedauerte, dass sie sich mit solcherlei Komplexen herumschlug.

»Mir geht es gut, Miss McGraw«, sagte er freundlich. »Ich muss nur immer wieder daran denken, dass man manche Türen besser nicht öffnen sollte ...«

»Das kann ich gut verstehen«, pflichtete sie ihm bei.

Im Hologramm, das fast die gesamte hintere Hälfte der Zentrale der DOLAN ausfüllte, tat sich etwas. Der Nexus schien sich für einen Moment zusammenzuziehen, als spitze sich ein Lippenpaar, um etwas auszuspucken, entspannte sich jedoch wieder und fand zu seinem ursprünglichen Aussehen zurück.

Marshall schaute sich unbehaglich um. Er hatte sich noch immer nicht an die rostbraunen Wände des kuppelförmigen Kommandozentrums gewöhnt. In den meisten anderen Räumlichkeiten von Icho Tolots Kugelraumschiff waren die Decken und Wände mit graublauem Stahlplast verkleidet. Die Zentrale bildete eine Ausnahme. Dort herrschte das gummiartige organische Material vor, das der Haluter als genetisch neutrale Zellularmasse bezeichnete. Marshall kam es vor, als wäre er im Magen eines Wals gefangen.

»Die energetischen Spitzen sind auffällig!«, rief Eric Leyden aus dem Hintergrund. Er hantierte an einer Kontrollkonsole herum.

Neben ihm stand Icho Tolot, der alle vier Arme vor der Brust verschränkt hatte und dem schlaksigen Physiker interessiert zusah.

Unwillkürlich schüttelte der Mutant den Kopf. Der Gegensatz zwischen Leyden und dem dreieinhalb Meter großen Riesen mit der schwarzen Haut und den drei tiefroten Augen konnte kaum größer sein. Und dennoch hatte ihre Zusammenarbeit mit dem Transfernexus ein wissenschaftliches Wunder vollbracht. Eine stabile Verbindung zu jenem Kontinuum, aus dem die rätselhaften Crea stammten und in dem die Zeit rund 17.000 Mal schneller verging als im Einsteinraum.

Marshall versuchte erst gar nicht, zu verstehen, mit was sich das ungleiche Paar da genau beschäftigte. Schon die Forschungen, die der Haluter auf Aguerron betrieben hatte, der Steuerwelt des Andro-Sonnensechsecks, überstiegen Marshalls Horizont bei Weitem. Wenn sich Leyden und Tolot miteinander unterhielten, hörte es sich an, als sprächen sie in einer vollkommen unbekannten Sprache – und im Grunde genommen taten sie das auch.

»Irgendetwas passiert da ...« Leyden verschob ein paar seiner holografischen Kontrollelemente, und die DOLAN schien einen Satz auf den Nexus zuzumachen.

Marshall wich instinktiv zurück und nannte sich augenblicklich selbst einen Narren. Warum zum Teufel war er auf einmal so schreckhaft? Der Physiker hatte lediglich die optische Vergrößerung der Außenkameras erhöht.

Marshall spürte eine Berührung auf seinem linken Arm. McGraw drückte ihn kurz; ihr Lächeln wirkte unsicher, und als er es erwiderte, bemerkte er die leichte Röte auf ihren Wangen.

»Ich empfange Impulse oberhalb des für interdimensionale Varianzen gültigen Amplitudenspektrums.« Die dunkle Stimme gehörte Taravat, der Künstlichen Intelligenz, welche die DOLAN steuerte.

»Phasenzuschaltung!«, ordnete Leyden an.

»Es handelt sich um ein periodisches Signal mit komplexwertigem Wellenmuster.«

»Kannst du einen Schwingungsrhythmus isolieren?«, wollte der Physiker wissen.

»Nein«, enttäuschte ihn Taravat. »Die Pulsnormung korreliert nicht mit den bekannten mathematischen Modellen.«

»Dann müssen wir eben neue entwickeln ...« Leyden hob den Kopf und fixierte den Haluter. »Helfen Sie mir dabei, Tolotos?«, fragte er.

»Gern, Leydenos«, grollte der Riese.

Einen Atemzug später waren beide Wissenschaftler in einer sich schnell vergrößernden Wolke von Holos verschwunden.

»Haben Sie gerade auch nur ein Wort verstanden?«, fragte Marshall.

»Na ja«, antwortete McGraw ein wenig verlegen. »Im Prinzip geht es lediglich darum, dass sich die Emissionen des Nexus in einen Frequenzbereich verschieben, den wir bisher noch nie angemessen haben. Und unser neues DreamTeam fragt sich jetzt, was das zu bedeuten hat.«

»Sehen Sie ...« Der Mutant nickte zufrieden. »Das habe ich kapiert ...«

Diesmal war das Lächeln der Astronomin selbstbewusster. »Mich können Sie nicht täuschen, Mister Marshall«, sagte sie. »Ich glaube, Sie verstehen weit mehr, als Sie zugeben.«

»Nennen Sie mich John«, gab er zurück.

»Nur wenn Sie Belle zu mir sagen ...«

In den gestochen scharfen, dreidimensionalen Bildern, die von den Außenkameras der DOLAN geliefert wurden, veränderte sich der Nexus erneut. Das Oval zitterte an seinen Rändern, die an ausgefransten Baumwollstoff erinnerten. Seine Farbe lag irgendwo zwischen schmutzigem Weiß und schattigem Gelb.

Marshall las die wenigen Messwerte ab, die er interpretieren konnte. An seiner breitesten Stelle durchmaß der Übergang gut fünf Kilometer. Im Zentrum des Gebildes breitete sich eine Schwärze aus, die selbst die Dunkelheit des Weltraums wie ein Meer aus Licht erscheinen ließ. Vielleicht bildete er sich das alles aber auch nur ein. Nach den Strapazen, die hinter ihm lagen, hätte ihn das nicht gewundert.

Je weiter sich der Blick vom Mittelpunkt des Ovals entfernte, desto mehr verwandelte sich die Schwärze in ein düster glühendes Rot. Marshall glaubte, zuckende Schemen in den Schlieren zu erkennen, die sich wie träge wallender Nebel entgegen der Rotationsrichtung des Gebildes bewegten. Leyden mochte sich auf seine Sensoren und Messsonden verlassen; Marshall selbst vertraute lieber auf seinen Instinkt, den ihm eine Laune der Natur geschenkt hatte und der ihn so gut wie niemals trog: Etwas kam! Näher und näher ...

»Haben wir noch Kontakt mit der MAGELLAN?«, erkundigte er sich. Seine Stimme hörte sich fremd an, und er fragte sich einmal mehr, woher diese verfluchte Unruhe rührte.

»Selbstverständlich«, antwortete Abha Prajapati, der auf der anderen Seite der Zentrale an einer eigenen Konsole arbeitete. Der kahl rasierte Schädel des indischstämmigen Biologen glänzte im Schein der ihn umschwirrenden Hologramme. »Wir übertragen die komplette Show live und in Farbe.«

Marshall wünschte sich in diesem Moment, er wäre nicht auf der DOLAN, sondern gemeinsam mit Perry, Reg, Conrad und den anderen Freunden an Bord des Expeditionsraumers geblieben, der im Orbit des Planeten Modul wartete, nur wenige Lichtminuten entfernt – und doch gefühlt am anderen Ende des Universums. Warum war er überhaupt hier? Er hatte sich dem Leyden-Team angeschlossen, weil ... Der Mutant schüttelte verhalten den Kopf. Er erinnerte sich nicht mehr.

»Was ...?« Für eine Sekunde tauchte Leydens chaotischer Haarschopf aus der Holowolke auf. Die Augen des Hyperphysikers waren weit aufgerissen.

Marshall musste sich zwingen, den Blick wieder auf die zentrale Bilderfassung zu richten. Die Schwärze im Zentrum des Transfernexus hatte sich geteilt, als hätte jemand mit einem riesigen Messer eine straff gespannte Membran aufgeschlitzt. Dahinter quoll etwas Undefinierbares hervor. Blutrot ... schaumig ... tödlich!

»Wir müssen hier verschwinden«, flüsterte Marshall. »Auf der Stelle.«

»Was ist los, John?«, hörte er McGraw wie aus weiter Ferne. »Was meinen Sie? Spüren Sie etwas?«

Oh ja, er spürte etwas, aber das konnte er einem Nichtmutanten unmöglich erklären. Gucky hätte es sicher verstanden. Tani, Betty oder Rabeya wahrscheinlich auch. Sämtliche Synapsen in seinem Gehirn schienen plötzlich auf einmal zu feuern. Am Lakeside Institute hatte man herausgefunden, dass paranormale Begabungen ausnahmslos auf Mutationen einiger weniger Hirnareale in den kranialen Parietal- und Scheitellappen zurückzuführen waren. Im Zusammenspiel mit dem menschlichen Bewusstsein, dessen Entstehung man nach wie vor nicht verstand, bildeten sich jene Fähigkeiten aus, die Marshall und seinesgleichen auszeichneten, aber leider auch empfänglich für alle Arten von äußeren Störimpulsen machten.

Er konzentrierte sich auf die Empfindungen, die ihn durchströmten. Die Wärme in seinem Kopf war nicht unangenehm, doch sie nahm stetig zu. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn verbrennen würde.

An so etwas darfst du nicht denken!, rief er sich sofort zur Ordnung. Du und nur du allein beherrschst deinen Geist!

Am Institut hatte er unzählige Probanden in mentaler Kontrolle unterrichtet. Er wusste, dass man ihn dort hinter seinem Rücken John Rock genannt hatte, weil er angeblich niemals seine unerschütterliche Ruhe verlor und wie ein Fels in der Brandung jedem Sturm trotzte. Tatsächlich gehörten Besonnenheit und innere Haltung zu Marshalls größten Stärken. Er hatte sie über Jahrzehnte hinweg trainiert – nicht zuletzt während der aufreibenden Zeit in dem von ihm gegründeten »Pain Shelter« – und wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. Diesmal brauchte er allerdings ungewöhnlich lange, bis er sich endlich wieder vollständig im Griff hatte.

McGraw packte ihn erneut am Arm. Hatte sie ihn zuvor mit ihrer Berührung beruhigen wollen, fühlte es sich diesmal eher an, als suche sie selbst Halt und Unterstützung. Gemeinsam starrten sie auf das ... Ding, das sich soeben aus dem dunkelroten Wabern im Zentrum des Nexus schälte.

Im ersten Moment war sich Marshall nicht sicher, ob es sich dabei um eine lebende Kreatur oder ein technisches Konstrukt handelte – oder um eine bizarre Mischung aus beidem. Laut den Instrumenten war das Objekt rund zweihundert Meter lang. Seine Oberfläche schimmerte in einem rötlichen Braun.

Es sieht aus wie einer dieser Riesenkalmare, die ich bei Neufundland gesehen habe, schoss es ihm durch den Kopf. Damals, in einem Leben, das ihm mittlerweile unendlich weit entfernt vorkam, hatte er seine Brötchen noch als Investmentbanker in New York verdient. Während eines Urlaubs auf der Insel Neufundland, die als Teil einer kanadischen Provinz an der Küste Nordamerikas im Atlantik lag, war er mit einer Gruppe Tiefseefischer hinausgefahren, um sie bei ihrer Arbeit zu beobachten. Der Gigant, der sich in diesen Sekunden aus einem fremden Kontinuum in den Einsteinraum schob, erinnerte ihn an die zehnarmigen Tiere, die bis zu zwölf Meter lang werden konnten und in vielen Meeren der Erde heimisch waren.

Der vordere Teil des Rumpfs bestand aus einem lang gestreckten, spitz zulaufenden Hals, an dessen unterem Ende ein sanft gekrümmter Dorn saß. Etwa in der Mitte des Gebildes zweigten mehrere Tentakel ab, die in elegantem Schwung in Richtung Heck ausliefen und dort etwas wie ein Bündel aus Fangarmen bildeten. Marshall zählte vier solcher Pseudopodien an jeder Seite sowie zwei weitere, die direkt aus dem Hauptkörper wuchsen. Im Gegensatz zu den Armen der irdischen Riesenkalmare waren sie jedoch offensichtlich unbeweglich, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass es sich bei dem Eindringling um ein Raumschiff handelte.

Ein Raumschiff der Crea, durchzuckte es den Mutanten. Ein Kalmarschiff ... ein Kalmaran!

Über der rotbraunen Außenhaut, die keinerlei Aufbauten oder Erhebungen aufwies, lag ein unstetes Flimmern. Marshall hatte die Aufnahmen der Crea gesehen, mit der Perry Rhodan und seine Begleiter es einen Monat zuvor in der Forschungsstation auf Aguerron zu tun bekommen hatten. Ihre lediglich schemenhaft erkennbare Gestalt war ebenfalls von diesem Zucken und Zittern verzerrt worden, das in den Augen schmerzte. Leyden vermutete, dass der Effekt durch den veränderten Zeitablauf zustande kam, dem die Crea auch im Einsteinraum unterworfen waren.

»Da kommen noch mehr!«, rief jemand in der Zentrale.

Das Kalmarschiff sprang ruckartig auf die DOLAN zu, beinahe wie ein Raubtier, das seine potenzielle Beute gestellt hatte und zum Angriff überging. Gleichzeitig wurden innerhalb des Transfernexus zwei weitere Raumer sichtbar, die dem ersten aufs Haar glichen und sich gleichfalls durch das interdimensionale Tor schoben.

In Marshalls Phantasie entstanden für einen Moment Bilder einer riesigen, aus Hunderttausenden solcher Raumschiffe bestehenden Flotte, die durch den kollabierten Dimensionsriss zwischen der Milchstraße und Andromeda schlüpften und die bewohnten Welten beider Galaxien in einem beispiellosen Feldzug verwüsteten. War das nicht genau die Gefahr, welche die mysteriöse Entität namens ANDROS immer wieder heraufbeschwor? War das nicht exakt jenes Szenario, das die Meister der Insel abwenden wollten und weshalb sie eine ganze Sterneninsel in eine waffenstarrende Festung verwandelt hatten?

Reiß dich zusammen, John!, dachte er energisch. Das sind alles nur Spekulationen. Wir wissen so gut wie nichts über die Crea, ihre Absichten oder ihr Heimatkontinuum ...

»Ich bekomme keine Antwort!«, rief Prajapati, der sich anscheinend um einen Kontakt mit den Fremden bemühte. »Ich funke auf allen bekannten Frequenzen.«

Die Kalmarschiffe zwei und drei vollführten ebenfalls einen kurzen Sprung und setzten sich neben jenen Raumer, der als Erster aus dem Transfernexus gekommen war und der nun bewegungslos auf der Stelle verharrte. Ungläubig registrierte Marshall, dass seitdem gerade mal zehn Sekunden vergangen waren. Er hätte geschworen, dass er bereits seit mindestens einer halben Stunde auf das groteske Schauspiel starrte, das sich da vor seinen Augen im Weltraum entwickelte.

»Und noch mal zwei ...«, flüsterte McGraw neben ihm. Sie hielt sich nach wie vor mit beiden Händen an seinem Arm fest und hatte ihren Körper gegen seinen gelehnt, als fürchte sie, die Balance zu verlieren.

Tatsächlich brachen noch einmal zwei Kalmarane aus dem Nexus hervor. Ihre spitzen Schnauzen durchstießen die Grenze zwischen den Dimensionen und schoben den dunkelroten Nebel beiseite, bei dem es sich laut Eric Leyden lediglich um eine optische Täuschung handelte – hervorgerufen durch die Beschaffenheit zweier unterschiedlicher physikalischer Realitäten, deren Wechselwirkung die Naturgesetze eigentlich kategorisch ausschlossen. Es war streng genommen eine Art Halbraumflackern, das lediglich langwelliges Licht emittierte. Ähnliche Effekte hatte man auch bei den Bündlern der Allianz und den Situationstransmittern der Meister der Insel registriert.

Für einen Atemzug gab sich der Mutant der schönen Illusion hin, dass auch die fünf Raumschiffe, die nun da draußen vor dem Oval des Nexus schwebten, lediglich eine optische Täuschung waren, doch er wusste, dass dem nicht so war.

Das alles darf nicht sein, dachte er. Die natürliche Barriere zwischen Creaversum und Einsteinraum hätte niemals fallen dürfen. Dass es doch geschehen ist, hat Konsequenzen, die weit über das hinausgehen, was wir Menschen uns sogar in unseren wildesten Träumen ausmalen können ...

Er spürte eine unerklärliche Schwäche in seinen Knien, und plötzlich war er es, der sich gegen Belle McGraw lehnen musste, um nicht zu Boden zu stürzen. Er versuchte, das Zittern zu unterdrücken, das ihn erfasst hatte. Die Willenskraft, die er dafür aufwenden musste, war enorm.

Sein Blick verschleierte sich, die Welt verschwamm vor seinen Augen. Dann tauchte das Gesicht der Astronomin vor ihm auf. Sie bewegte die Lippen, doch er verstand nicht, was sie sagte. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen schwankte. Es gab einen Knall, und ein hoher an- und abschwellender Ton peinigte seine Ohren. Jemand schrie, doch es dauerte endlose Sekunden, bis John Marshall begriff, dass er sich das Chaos ringsum nicht bloß einbildete.

2.

Perry Rhodan

11. Mai 2055

Mit dem Auftauchen der GARTAVOUR hatte sich die ohnehin schon heikle Situation noch einmal verkompliziert. Perry Rhodans Blick huschte immer wieder zu dem Holo, das die gut 130 Meter durchmessende Kugel mit der ungewöhnlichen Auswölbung an der Unterseite zeigte. Ihre schwarze Oberfläche, die von vier roten Ringen umlaufen wurde, schien das Licht der umgebenden Sterne aufzusaugen.

Das Raumschiff war wie aus dem Nichts erschienen. Im gleichen Augenblick hatte sich Atlan per Bildfunk gemeldet. In seinem Rücken war Mirona Thetin deutlich zu erkennen gewesen. Sie hatte dem Arkoniden das Reden überlassen und lediglich mit vor der Brust verschränkten Armen und versteinerter Miene abgewartet.

»Nur keine Panik«, waren Atlans erste Worte gewesen. »Wir kommen in Frieden!« Dabei hatte er in einer übertrieben theatralischen Geste beide Arme gehoben und die offenen Handflächen nach vorn gestreckt.

Rhodan wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Holodom zu, der sich als ausladende Kuppel über die Zentrale der MAGELLAN spannte und jene Außenbordbilder zeigte, die ihnen die DOLAN aus unmittelbarer Nähe des Transfernexus schickte. Sämtliche Daten, die das ungewöhnliche Schiff des Haluters lieferte, wurden zeitgleich in ein Labor des Expeditionsraumers übertragen und von Tim Schablonski, Rufus Darnell und deren Mitarbeitern unter technischen Gesichtspunkten ausgewertet.

Mirona Thetin und Atlan waren praktisch zeitgleich mit dem Entstehen des Nexus auf die Bühne dieses Dramas getreten, weshalb nur wenige Minuten für einen kurzen Informationsaustausch zur Verfügung gestanden hatten. Der Arkonide hatte unter anderem den Namen seines Raumers verraten und Rhodan eröffnet, dass er und seine Partnerin das Geschehen im Modarksystem schon eine ganze Weile beobachteten. Die GARTAVOUR verfügte offenbar über eine Tarntechnologie, die ihresgleichen suchte.

Seine drängenden Fragen musste Rhodan angesichts der rasanten Entwicklungen vorerst zurückstellen. Was wollten Atlan und Thetin hier? Warum waren sie der MAGELLAN gefolgt? Ging es der Liduuri womöglich um die Bestrafung ihrer abtrünnigen Faktoren Proht Meyhet und Gessa-Listron? Diese beiden Meister der Insel hatten zwar außerhalb des Erfassungsbereichs der Kameras gestanden, doch Rhodan hegte keinerlei Zweifel, dass Thetin über ihre Anwesenheit an Bord der MAGELLAN Bescheid wusste. Zudem folgte Meyhets Schaltschiff KELLARIAN dem Orbit, den der Expeditionsraumer um den Planeten Modul beschrieb.

Rhodan sah kurz zu Reginald Bull und Autum Legacy hinüber. Sein bester Freund und die Sicherheitschefin standen eng beieinander; sie machten den Eindruck, als habe sie der langsam rotierende Nexus geradezu hypnotisiert.

Wenige Schritte neben dem Pärchen hatte es sich Gucky auf einem Sessel bequem gemacht. Der Mausbiber wirkte mit seiner geringen Körpergröße von einem Meter in dem breiten Sitzmöbel wie immer ein wenig verloren und hatte die großen Augen direkt auf Rhodan gerichtet.

Du liest doch nicht etwa schon wieder meine Gedanken?, dachte der Protektor intensiv.

Gucky schüttelte nur stumm den Kopf und stellte seine klassische Unschuldsmiene zur Schau. Nach seinem heftigen Ausbruch den beiden Meistern gegenüber hatte er sich schnell wieder erholt.

Rhodan seufzte innerlich. Wie so oft in den vergangenen Stunden beschäftigte er sich weniger mit der gegenwärtigen Lage vor Ort als vielmehr mit dem, was er von Proht Meyhet über die Geschehnisse im heimatlichen Sonnensystem erfahren hatte. Mit jeder Minute, die Rhodan weiterhin in Andromeda festsaß, entwickelten sich auch die Dinge zu Hause weiter – und es machte ihn wahnsinnig, dass er nicht wusste, in welche Richtung.

Trotzdem musst du dich auf das konzentrieren, was du beeinflussen kannst, dachte er. Es lenkt dich nur unnötig ab, wenn du Probleme wälzt, die du im Moment nicht lösen kannst!