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Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Als sich im Imperium der Arkoniden beunruhigende Entwicklungen abzeichnen, reist Rhodan dorthin. Er erlebt mit, wie sich Mascudar da Gonozal, ein Imperator aus ferner Vergangenheit, auf den Thron schwingt. Rhodan will verhindern, dass der neue Machthaber eine Invasionsflotte zur Erde schickt – da taucht eine unerwartete Bedrohung im Arkonsystem auf. Eine Woge des todbringenden Dunkellebens steuert unaufhaltsam auf Arkon zu, Milliarden Arkoniden sind in Gefahr. Jegliche Abwehrversuche scheitern. Nur die drei Zeitträger Perry Rhodan, Atlan da Gonozal und Mirona Thetin haben vielleicht eine geringe Chance, die Katastrophe abzuwenden. Unter Einsatz ihres Lebens stemmen sie sich gegen DIE SCHWARZE FLUT ...
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Seitenzahl: 219
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Band 229
Die Schwarze Flut
Rüdiger Schäfer
Cover
Vorspann
1. Perry Rhodan
2. Perry Rhodan
3. Thora Rhodan da Zoltral
4. Perry Rhodan
5. Thora Rhodan da Zoltral
6. Perry Rhodan
7. Thora Rhodan da Zoltral
8. Perry Rhodan
9. Thora Rhodan da Zoltral
10. Perry Rhodan
11. Thora Rhodan da Zoltral
12. Perry Rhodan
13. Thora Rhodan da Zoltral
14. Perry Rhodan
15. Thora Rhodan da Zoltral
16. Perry Rhodan
17. Thora Rhodan da Zoltral
18. Perry Rhodan
19. Thora Rhodan da Zoltral
20. Perry Rhodan
Impressum
Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs.
Als sich im Imperium der Arkoniden beunruhigende Entwicklungen abzeichnen, reist Rhodan dorthin. Er erlebt mit, wie sich Mascudar da Gonozal, ein Imperator aus ferner Vergangenheit, auf den Thron schwingt. Rhodan will verhindern, dass der neue Machthaber eine Invasionsflotte zur Erde schickt – da taucht eine unerwartete Bedrohung im Arkonsystem auf.
Eine Woge des todbringenden Dunkellebens steuert unaufhaltsam auf Arkon zu, Milliarden Arkoniden sind in Gefahr. Jegliche Abwehrversuche scheitern. Nur die drei Zeitträger Perry Rhodan, Atlan da Gonozal und Mirona Thetin haben vielleicht eine geringe Chance, die Katastrophe abzuwenden. Unter Einsatz ihres Lebens stemmen sie sich gegen DIE SCHWARZE FLUT ...
1.
Perry Rhodan
Die GARTAVOUR knirschte.
Die Geräusche erinnerten Perry Rhodan an das Knarren von Stützbalken im hölzernen Dachstuhl eines alten Hauses. Nicht unbedingt das, was er an Bord eines der technisch modernsten und leistungsfähigsten Raumschiffe, die er kannte, zu hören erwartete.
»Wir sind extrem starken Temporalschwankungen ausgesetzt.« Mirona Thetin saß vor einer sanft geschwungenen Kontrollkonsole und verschob in schneller Folge holografische Steuerelemente.
Daneben tat es ihr Atlan da Gonozal gleich. Rhodan hatte in einem dritten Sessel Platz genommen, der schräg hinter den beiden stand und einen ausgezeichneten Blick auf das Zentralholo erlaubte.
Das 130 Meter durchmessende Schaltschiff bewegte sich durch eine kochende Finsternis, die nichts, aber auch gar nichts mit der gewohnten Schwärze des Weltraums zu tun hatte. Die GARTAVOUR war in die schwärende Masse des Dunkellebens eingetaucht, in eine wabernde Wolke undefinierbarer Beschaffenheit, die vom Zeitbrunnen des Elysischen Fragments unaufhörlich mit Nachschub versorgt wurde und die sich als gigantische Flutwelle auf Arkon I zubewegte.
»Die Zeitanomalien betreffen jeweils nur einen winzigen Raumabschnitt«, gab Atlan die Ergebnisse seiner Messungen bekannt. »Dort läuft die Zeit dann für Bruchteile von Sekunden schneller oder langsamer. Allerdings grenzen diese Mikroareale unmittelbar aneinander. Die chronalen Verwerfungen, die sich daraus ergeben, erzeugen einen ungeheuren Druck und entziehen der betroffenen Materie auf atomarer Ebene ihre Bindungsenergie.«
Rhodan glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als sich Thetin urplötzlich rasend schnell bewegte. Ihre Arme huschten so rasch durch die Luft, dass sie zu farbigen Schlieren wurden, weil Rhodans Blick ihnen nicht mehr zu folgen vermochte. Die Hologramme, mit denen die Liduuri hantierte, veränderten sich in geradezu absurdem Tempo. Es sah aus, als spiele jemand eine Bildaufzeichnung mit mindestens fünfzigfach erhöhter Geschwindigkeit ab.
»Die Zeiteffekte durchdringen sämtliche Abschirmungen!« Atlans Stimme klang auffällig tiefer als sonst. Zudem wirkten seine Worte verzerrt und lang gezogen.
Wir geraten in Zonen mit unterschiedlichen Zeitabläufen, begriff Rhodan. Die Wechselwirkung zwischen Zeitbrunnen und Dunkelleben bringt das Raum-Zeit-Gefüge durcheinander ...
Das Knirschen wurde lauter. Dann platzte wenige Meter neben Rhodans Sessel die Wand auseinander wie eine überreife Frucht. Er wusste nicht, aus welchem Material das Grundgerüst der GARTAVOUR gefertigt war, doch fraglos bedurfte es einer erheblichen Kraft, um es wie Papier reißen zu lassen.
»Wir verlieren massiv an Energie«, meldete Thetin. »Ich versuche zu kompensieren.«
»Der Schutzschirm fluktuiert.« Atlan wirkte hektisch – und diesmal lag es nicht an einer chronalen Anomalie. Rhodan nahm das Gesicht seines Freunds lediglich von der Seite wahr, doch die weißliche Flüssigkeit, die sich im Winkel von Atlans rechtem Auge sammelte, war nicht zu übersehen. Diese Form der Sekretion trat bei Arkoniden nur in Momenten höchster emotionaler Anspannung auf.
Ein Knall ertönte. Die GARTAVOUR schüttelte sich wie ein bockendes Pferd. Rhodan hatte das Gefühl, mit der Gewalt von mindestens fünf Gravos in seinen Sessel gestaucht zu werden. So etwas war bei Raumflügen früher völlig normal gewesen, in Zeiten moderner Andruckabsorber jedoch praktisch undenkbar.
»Ich bremse ab!«, rief Thetin. »Da kommen wir nicht durch!«
»Nein!«, protestierte Atlan. »Wir beschleunigen!«
»Bist du wahnsinnig?«
»Vertrau mir ... oder übergib mir die Flugkontrollen. Ich weiß, was ich tue!«
Rhodan war dem kurzen Dialog atemlos gefolgt. Teilweise aus schlichter Verblüffung, teilweise weil noch immer ein Tonnengewicht auf seine Brust drückte. Thetins Zweifel an Atlans Geisteszustand waren durchaus nachvollziehbar. Die GARTAVOUR flog durch eine stetig dicker werdende Suppe aus Dunkelleben – und der Arkonide wollte die Geschwindigkeit trotzdem erhöhen.
Für einen Moment schweiften Rhodans Gedanken ab, und er musste an Thora denken. Es war ihm alles andere als leichtgefallen, sie an Bord der CREST II zurückzulassen. Seit ihrer Rückkehr aus dem Zeitbrunnen litt sie an unerklärlichen Kopfschmerzen. Die Ärzte – und Atlan – vermuteten, dass es irgendwie mit ihrem nicht aktivierten Extrasinn zusammenhing, doch sicher waren sie nicht. Auf jeden Fall wäre Rhodan in diesen Minuten viel lieber an der Seite seiner Frau gewesen, als mit einem diffusen Auftrag durch eine Substanz zu fliegen, von der sie noch immer viel zu wenig wussten.
Auch Nathalie, seine überraschend im Arkonsystem aufgetauchte Tochter, hatte zu diesem Thema weit weniger gesagt, als sie offensichtlich wusste. Es schmerzte ihn, dass sie sich in Sachen Mitteilsamkeit nahtlos in die Reihe von obskuren Vorbildern wie ES, Homunk, Ernst Ellert oder Callibso fügte. Wie diese war sie seinen Fragen ausgewichen oder hatte mit nichtssagenden Orakelsprüchen geantwortet.
Ich wünschte wirklich, ich könnte Ihnen mehr sagen, hatte der sterbende Zeitenschmied Callibso vor dreieinhalb Monaten bedauert. Aber das kann ich nicht. Sie sind ein Zeitträger wie ich. Auf Ihnen lastet eine schwere Verantwortung, doch um dieser gerecht zu werden, müssen Sie einen Teil der Zusammenhänge selbst ergründen.
Für Rhodan waren das nichts weiter als billige Ausflüchte. Wahrscheinlich befürchteten ES und ihre Helfershelfer, dass Rhodan sie nicht mehr unterstützte, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr. Dass er den Glauben daran verlor, das Geisteswesen und seine Verbündeten stünden auf der Seite der Guten – wie auch immer man diese definieren wollte.
Laut Nathalie waren mindestens drei Zeitträger – Atlan, Mirona Thetin und er selbst – vonnöten, um den Zeitbrunnen des Elysischen Fragments umzupolen und so die Schwarze Flut aufzuhalten. Jene gigantische Wolke aus Dunkelleben, die sich auf die Zentralwelt des arkonidischen Imperiums zuwälzte und die angeblich nur der Vorbote einer weit schlimmeren Bedrohung war, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellte. Große Worte. Überladene Aussagen, die vor Bombast und Dramatik nur so troffen. Hatte ANDROS damals nicht auf gleiche Weise argumentiert, als er Thetin davon überzeugte, die Völker Andromedas zu versklaven? War er, Perry Rhodan, auf dem Weg, eine ebenso tragische Figur zu werden, wie es die letzte Liduuri infolgedessen geworden war?
Nein. Er schüttelte den Kopf. Er war nicht im gehorsamen Auftrag von ES oder Nathalie unterwegs. Er hatte sich zu dieser Mission bereit erklärt, weil es um Milliarden Arkoniden ging, die dem sicheren Tod entgegensahen. Weil der Zusammenbruch des Großen Imperiums auch die Menschheit in erhebliche Schwierigkeiten bringen konnte. Weil er im Omnitischen Compariat mit eigenen Augen gesehen hatte, welche Heimsuchung das Dunkelleben für ein Sternenreich und seine Zivilisationen bedeutete. Wenn es in seiner Macht lag, dieses Schicksal abzuwenden, musste er alles Menschenmögliche dafür tun.
Ein ohrenbetäubendes Kreischen beendete die kurze gedankliche Beschäftigung mit den Problemen, die sich vor ihm und den anderen Verantwortlichen der Terranischen Union auftürmten und die mit jedem Tag komplexer und folgenschwerer zu werden schienen. Atlan hatte sich zu ihm umgedreht. Seine Lippen bewegten sich in Zeitlupe. Die Laute, die sie dabei produzierten, klangen wie das Röhren eines Hirschs. Dumpf und gedehnt, hohl und ohne Modulation.
Auf dem Außenbeobachtungshologramm war nach wie vor nur Schwärze zu sehen. Eine bedrückende Art von Dunkelheit, die nicht allein durch die Abwesenheit von Licht erklärt werden konnte. Sianuk und Bumipol na Ayutthaya, die Chefwissenschaftler der CREST II, hatten für das Dunkelleben den Begriff Quasivirus geprägt. In seiner kleinsten Einheit bestand es aus einer biologisch viroiden Struktur ohne jegliche genetische Prägung. Es war nach wie vor ein Rätsel, warum es sich dennoch mit praktisch jeder beliebigen DNS verknüpfte und diese auf vielfältige Weise mutieren ließ. Nun war durch den Einfluss des Zeitbrunnens anscheinend eine völlig neue Variante entstanden, über die Rhodan noch weniger wusste als über den Originalerreger.
Die Zentrale der GARTAVOUR zog sich in die Länge. Wände, Boden und Decke warfen Blasen, als würden sie unter großer Hitze schmelzen. Das Hauptholo flackerte, und für einen schrecklichen Moment war Rhodan überzeugt, dass die Schwärze durch die Projektion hindurch in das Schaltschiff hereinschwappen und sie alle verschlingen würde.
Thetin war plötzlich zweimal vorhanden. Während sie erschrocken aufsprang und vor ihrem unvermittelt aufgetauchten Ebenbild zurückwich, fiel dieses auf die Knie, griff sich mit beiden Händen an den Kopf und stieß einen lautlosen Schrei aus. Die Szene erschien Rhodan derart bizarr und unwirklich, dass er zu träumen glaubte und sich mit aller Kraft in das weiche Fleisch seines Halses zwickte.
Auch Atlans Konturen verzerrten sich. Seine Körperränder fransten aus, als zöge sein schwarzer Einsatzanzug Fäden, die von einer sanften Brise abgerissen und davongeweht wurden.
Rhodan hob die rechte Hand. Irritiert blickte er auf die Sehnen, Muskeln und Knochen, die sich unter der jählings transparenten Haut abzeichneten. Es war, als starre er auf eine dreidimensionale Röntgenaufnahme. Kurz tauchte das Bild des Oproners Merkosh aus seiner Erinnerung auf. Die Haut des Gläsernen war ebenfalls durchsichtig, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Rhodan war froh, dass kein Spiegel in der Nähe war. Der Anblick seines durchscheinenden Schädels wäre nur schwer erträglich gewesen.
Die im Zentralholo eingeblendeten Anzeigen dokumentierten, dass die GARTAVOUR tatsächlich beschleunigte. Das Hauptbild änderte sich nicht. Die umgebende Schwärze blieb unverändert.
Rhodan hätte nicht zu sagen vermocht, wie viel Zeit seit ihrem Aufbruch vergangen war. Auch die aktuelle Entfernung zu ihrem Ziel war nicht abzuschätzen. Die von den Außensensoren ermittelten Werte vollführten groteske Sprünge und zeigten in einer Sekunde an, dass das Schaltschiff Lichtjahre von CORS-VII-4 entfernt war, und in der nächsten Sekunde, dass die GARTAVOUR kurz davorstand, mit dem planetaren Trümmerbrocken zu kollidieren.
Rhodan fühlte sich hilflos, eine Empfindung, die er zutiefst hasste. Er konnte nichts tun, außer dazusitzen und zu hoffen, dass alles gut ging. Dass der Arkonide und die Liduuri wussten, was sie taten. Dass sie ihr Raumschiff, das bislang geradezu übermächtig erschienen war, beherrschten und dass die Bordtechnik in der Lage war, dem Dunkelleben zu trotzen.
»Wir sind da!« Die zweite Thetin war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Das Original hatte sich nicht mehr hingesetzt, sondern stand breitbeinig vor ihrer Positronikkonsole. Der dicke Zopf, zu dem sie ihr langes, schwarzes Haar zusammengebunden hatte, wippte bei jeder Bewegung hin und her.
Tatsächlich schälte sich vor der GARTAVOUR gerade ein Objekt aus der Dunkelheit, das wie ein großer Asteroid aussah. Rhodan erkannte die charakteristische Form sofort wieder; vor allem die gewaltige Schlucht, die sich wie ein tiefer Schnitt durch dieses Bruchstück der Elysischen Welt zog und es nahezu in zwei Hälften teilte. Schon beim ersten Anflug, der gemeinsam mit Thora nur wenige Stunden zuvor in einer Leka-Disk erfolgt war, hatte er sich gefragt, warum CORS-VII-4 nicht längst auseinandergebrochen war.
»Es hat funktioniert«, stellte Thetin verblüfft fest. »Seit wir die Geschwindigkeit erhöht haben, sind die Zeiteffekte deutlich zurückgegangen.«
»Merk dir das für zukünftige Diskussionen«, gab Atlan launig zurück. »Manchmal habe sogar ich recht! Wenn wir das nächste Mal ...«
Der Arkonide kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu beenden, denn in diesem Moment wurde die GARTAVOUR von einer unbekannten Kraft brutal aus dem Kurs gerissen. Im Außenbeobachtungsholo vollführte CORS-VII-4 einen Sprung zur Seite. Mirona Thetin verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Mit einem Fluch rappelte sie sich sofort wieder auf, kämpfte sich gegen die durchschlagenden Fliehkräfte zurück in ihren Sessel.
Aus der Schlucht, auf deren Boden – wie Rhodan von seinem ersten Besuch wusste – der Zeitbrunnen lag, stiegen dicke Nebelarme empor; Tentakel aus purer Dunkelheit, die sich dem taumelnden Schaltschiff entgegenreckten.
Die GARTAVOUR wich aus – diesmal bewusst und unter der Regie der Liduuri. Der Nebel zerfaserte, als müsse er sich neu orientieren. Dann fügten sich die einzelnen Ausläufer wieder zusammen und folgten der Flugbahn des Kugelraumers. Unter diesen Umständen würde eine Landung zum Problem werden. Bislang hatte der Schutzschirm dem Ansturm des Dunkellebens standgehalten und die drei Personen an Bord vor einem Kontakt bewahrt. Um zum Zeitbrunnen zu gelangen, würden sie das Raumfahrzeug jedoch verlassen müssen. Was dann geschah, stand in den Sternen.
Als die Umgebung verschwamm, glaubte Rhodan zunächst an einen weiteren Zeiteffekt, doch diesmal war etwas anders. Die Veränderung umfasste nicht nur ein eng begrenztes Gebiet, sondern die gesamte Zentrale. Atlan da Gonozal stand auf und drehte sich zu ihm um. Sein fragender Blick bewies, dass er dasselbe wahrnahm wie sein terranischer Freund. Die Wirklichkeit löste sich auf.
Nun erhob sich auch Perry Rhodan. Verlor die GARTAVOUR tatsächlich ihre Struktur, oder saßen sie nur einer Illusion auf?
Dann verschwand die Welt in einem grellen Lichtblitz.
2.
Perry Rhodan
Die blendende Helligkeit verblasste innerhalb weniger Sekunden. Für kurze Zeit hingen noch ein paar glühende Reste wie feiner Morgennebel in der Luft; dann waren auch diese verschwunden.
Perry Rhodan drehte sich um. Mirona Thetin und Atlan da Gonozal wirkten ebenso überrascht wie er selbst. Gerade hatten sie noch in der Zentrale der GARTAVOUR gestanden. Nun befanden sie sich auf einer weiten Ebene, die ihn an die polare Tundra der Erde erinnerte. Der Boden wirkte ungewöhnlich glatt und glitzerte im Licht einer unsichtbaren Sonne, deren Strahlen nur mit Mühe durch eine dichte Wolkendecke drangen. In der Ferne sah er Berge; sehr verwaschen nur und durch etwas verborgen, das eine Regenwand sein mochte.
»Wo sind wir?«, rätselte Rhodan.
Nun blickten auch die Liduuri und der Arkonide um sich.
»Definitiv nicht mehr an Bord der GARTAVOUR«, stellte Atlan überflüssigerweise fest.
Thetin war in die Hocke gegangen und strich mit der behandschuhten Rechten über den glitzernden Untergrund. »Wie Kristallstrukturen«, sagte sie. »Höchst ungewöhnlich.«
Rhodan kontrollierte die Anzeigen seines Einsatzanzugs. Die Luft war warm und roch leicht metallisch. Wäre sie nicht atembar gewesen, hätte sich die Montur sofort von selbst geschlossen. »Achtundsiebzig Prozent Stickstoff«, murmelte er. »Einundzwanzig Prozent Sauerstoff, der Rest Edelgase und Kohlendioxid.«
»Da will offenbar jemand, dass wir uns wie zu Hause fühlen«, spottete Atlan.
Rhodan ging nicht darauf ein. Unschlüssig versuchte er, Details am verschwommenen Horizont zu erspähen. Mit fünfundzwanzig Grad Celsius herrschte eine angenehme Temperatur. Die Luftfeuchtigkeit lag bei fünfzig Prozent. Anzeichen für organisches Leben konnten die Anzugsensoren nicht entdecken. Die Ebene erstreckte sich kalt glitzernd und ohne größere Auffälligkeiten scheinbar endlos in alle Richtungen.
»Also?«, erkundigte sich Atlan. »Was machen wir? Irgendwelche Vorschläge?«
»Wir fliegen los«, beschloss Rhodan. »In Richtung der Berge.« Er deutete auf den fernen Höhenzug. »Ich bekomme keine Verbindung. Weder mit der CREST II noch mit irgendjemandem sonst. Wir sind wohl auf uns allein gestellt.«
»Die GARTAVOUR meldet sich ebenfalls nicht.« Atlan zog seinen Handstrahler und überprüfte die Ladung des Energiemagazins, dann befestigte er die Waffe wieder am Gürtel. »Etwas Besseres fällt mir also auch nicht ein. Es wäre natürlich schön gewesen, wenn sich Nathalie bezüglich unserer Aufgabe ein bisschen weniger kryptisch geäußert hätte. Aber hey: Ich habe schon so lange nichts mehr gemeinsam mit meinem guten Freund Perry unternommen, sodass ich mich nicht beschweren will.«
Rhodan verzog das Gesicht. »Du warst schon mal witziger. Also dann ...«
Er hantierte an seinen Gürtelkontrollen und aktivierte das Antigravaggregat. Statt sich sanft in die Luft zu erheben, blieb er jedoch, wo er war. Ein schneller Blick machte ihm klar, dass es Atlan und Thetin nicht anders erging.
»Kein Funk, keine Flugaggregate ... Moment ...« Atlan tippte ein paar Sekunden auf dem Multifunktionsarmband herum, das er am linken Handgelenk trug. »Die Systemdiagnose zeigt keinerlei Defekte«, gab er bekannt. »Laut Positronik funktioniert mein Anzug einwandfrei.«
Daraufhin zog Thetin ihre Strahlwaffe. Sie richtete den Lauf in die Luft und betätigte den Auslöser. Nichts geschah.
»Okay.« Rhodan breitete die Arme aus. »Wir werden also zu Fuß gehen ...«
Die Liduuri steckte die Waffe wieder weg und sah ihn skeptisch an. »Ihnen ist aber schon klar, dass dieser ominöse Bergzug mindestens tausend Kilometer entfernt ist, oder?«
»Ja«, gab Rhodan zu. »Aber was wollen Sie stattdessen tun? Warten und darauf hoffen, dass sich unsere Situation von selbst verbessert?«
»Außerdem finden wir unterwegs vielleicht ein hübsches Gasthaus, in das wir einkehren können«, warf Atlan ein.
»Rhodan hat recht«, erwiderte Thetin. »Du warst wirklich schon mal witziger ...«
Der Arkonide grinste sie an. Dann drehte er sich wortlos um und ging los.
Nathalie! Perry Rhodan dachte den Namen seiner Tochter wieder und wieder, ließ ihn in riesigen Lettern in seinem Bewusstsein entstehen und rief sich ihr schmales Gesicht ins Gedächtnis. So machte er es auch, wenn er nach Gucky rief. Vielleicht hörte sie ihn ja. Vielleicht war sie irgendwo und wartete auf sie, verfolgte seine Mission aus der Entfernung, und wenn er nur intensiv genug an sie dachte, würde sie ihn finden. Obwohl Nathalie auf dem Elysischen Fragment nur eine »Quantenprojektion« gewesen war – der Gedanke, sie erneut zu verlieren, verursachte ihm körperliche Schmerzen.
All die Jahre hatte er geglaubt, dass sie unter geheimnisvollen Umständen verschwunden war. Nicht nur der Geheimdienst der Terranischen Union hatte lange nach ihr gefahndet; Rhodan hatte auch beachtliche Eigenmittel investiert und einige der renommiertesten und besten Detekteien der Erde involviert. Dass Nathalie in ihrer Tarnidentität als Anson Argyris, dem »Kaiser« von Olymp, die ganze Zeit quasi direkt vor seiner Nase gesessen hatte, war nur schwer zu glauben.
Immerhin hatte sich dadurch eins der Rätsel um Nathalies Verschwinden vor zehn Jahren aufgeklärt. Für Rhodan war es stets kaum begreiflich gewesen, dass sogar die sonst höchst effektive Geheimdienstabteilung III keinen Erfolg bei der Suche gehabt hatte. Noch dazu, weil deren Ermittlungen von Thomas und Farouq Rhodan da Zoltral, Nathalies Brüdern, geführt worden waren. Seit Rhodan über die wahre Identität von Anson Argyris informiert war, hegte er den Verdacht, dass seine Söhne längst eingeweiht gewesen waren.
Es fiel ihm schwer, den Zorn, den er darüber empfand, nicht überhandnehmen zu lassen. Wenn er recht hatte, mussten Tom und Farouq sehr genau gewusst haben, was sie ihm und Thora mit ihrem Schweigen antaten. Sie mochten ihre Gründe gehabt haben, doch das konnte und wollte er nicht als Entschuldigung anerkennen. Bei nächster Gelegenheit stand den beiden ein äußerst unangenehmes Gespräch mit ihrem Vater bevor.
»Willst du darüber reden?«
Atlan da Gonozal hatte sich unbemerkt an seine Seite gesellt. Seine Frage ließ Rhodan aus den Grübeleien aufschrecken. Er wandte sich dem Arkoniden zu, ohne sein Tempo zu verringern.
»Über was?«, gab er zurück.
»Über das, was in deinem Kopf vor sich geht, seit wir losgegangen sind.«
Rhodan antwortete nicht, was seinen Freund zu einem leisen Seufzer veranlasste.
»Wir sehen uns nicht mehr so häufig wie früher, Perry«, sagte Atlan dann. »Aber ich kenne dich trotzdem noch immer gut genug. Wenn Dampf aus deinen Ohren kommt und du durch die Gegend rennst wie ein Haluter kurz vor der Drangwäsche, ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Machst du dir Sorgen um Thora?«
»Natürlich mache ich mir Sorgen um Thora. Ich müsste bei ihr sein. Stattdessen bin ich hier – wo auch immer hier sein mag. Würde dich das nicht zur Weißglut treiben?«
Atlan zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Aber das allein ist es nicht, oder?«
»Was soll das werden? Gibst du nach dem Komiker nun den Psychologen?« Rhodan wusste, dass er ungerecht war, dass ihm Atlan nur helfen wollte. Doch die Wut in ihm gab sich nicht so schnell geschlagen.
»Wenn man lange genug lebt, bleibt das nicht aus«, behauptete der Arkonide. »Manche werden zu alten Narren, andere zu weisen Ratgebern. Auch wenn es ihnen selten gedankt wird.«
»Tut mir leid, Atlan.« Rhodan schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich nicht als Blitzableiter benutzen.«
»Mach nur. Auch darin habe ich eine gewisse Erfahrung.«
Nun musste Rhodan doch lachen. »Ich weiß selbst nicht genau, was mit mir los ist«, gestand er. »Ich habe mich schon lange damit abgefunden, dass ich keinen Anspruch auf ein normales Leben habe – wie auch immer man ›normal‹ definieren will. Ebenso wenig will ich mich darüber beschweren, dass ich mit neunzig immer noch so aussehe wie mit knapp fünfzig. Es ist nur ...«
»Du denkst zu viel nach, mein Freund«, sagte Atlan, als Rhodan nicht weitersprach. »Wichtig ist eigentlich nur, dass du dem Leben immer ein oder zwei Gläser Nettoruna voraus bist.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass das kein Spruch deines Leib- und Magenphilosophen Moraht da Them ist.«
»Nein. Das ist ein echter Mascaren da Gonozal.«
»Dachte ich mir.« Rhodan grinste. »Kristallprinz hin oder her: Rechne besser nicht damit, dass dieses Zitat Eingang in die arkonidische Kulturhistorie findet.«
»Verkannt zu werden, ist das Schicksal jedes wahren Genies«, scherzte Atlan. Er legte die Stirn in Falten. »Das wäre übrigens ein ausgezeichneter Titel für meine Memoiren. Findest du nicht?«
Rhodan war so abrupt stehen geblieben, dass der Arkonide noch ein paar Schritte machte, bevor er es bemerkte. Dann stoppte auch er und folgte dem Blick des Freunds, der angestrengt nach vorn schaute.
In den vergangenen Minuten hatten sie eine flache Erhebung erklommen und den höchsten Punkt eines kleinen Hügels erreicht. Nun senkte sich die Landschaft wieder und führte auf eine Art Wäldchen zu, das bislang nicht sichtbar gewesen war. Der Boden war nach wie vor hart und glatt, sodass einem beim Gehen irgendwann die Fußsohlen wehtaten und man aufpassen musste, nicht auszurutschen.
»Was ist?«, fragte Atlan.
»Ich mag mich irren ...« Rhodan regte sich nicht. Seine Augen blieben starr geradeaus gerichtet. »Aber da war eine Bewegung. Da vorn. Zwischen den ... Bäumen.«
»Ich habe nichts bemerkt.« Auch Atlan fixierte das Wäldchen. »Und du weißt, dass mich mein Extrasinn bei Bedarf auf alles aufmerksam macht, was außerhalb meiner bewussten Wahrnehmung stattfindet. Vielleicht hat dich nur ein Lichtreflex genarrt.«
»Ungewöhnlich wäre das nicht.« Thetin war neben die beiden Männer getreten und hatte kurz das Helmvisier ihres Einsatzanzugs vor ihre Augen geschoben. »Dieser Wald scheint aus demselben Material zu bestehen wie der Boden«, sagte sie. »Eine Art von Kristall.«
»Dann schauen wir doch einfach nach!« Atlan setzte sich wieder in Bewegung. »Ich hätte nichts dagegen, wenn es jemanden gäbe, den wir nach dem Weg fragen könnten.«
»Okay.« Rhodan beeilte sich, dem Freund zu folgen. »Auf Wiedersehen, weiser Ratgeber. Willkommen, alter Narr ...«
Je näher sie dem Waldrand kamen, desto mehr vergrößerten sie den Abstand zueinander. Dazu mussten sie sich nicht absprechen. Jeder von ihnen hatte so viele Einsätze und Risikosituationen hinter sich, dass dieses Verhalten längst in Fleisch und Blut übergegangen war. Wenn jemand sich zwischen dem Kristallgestrüpp versteckte, konnte er im Idealfall nur einen von ihnen angreifen, was den beiden anderen Zeit zum Reagieren gab.
»Hallo!«, rief Rhodan. »Wir haben Sie gesehen. Sie müssen keine Angst haben. Wir möchten nur mit Ihnen reden.«
Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass Thetin ihren Kombistrahler gezogen hatte. Er sah zur ihr hinüber und wartete, bis sie seinen Blick bemerkte. Dann deutete er auf seine eigene Waffe, die nach wie vor an ihrer Magnethalterung am Gürtel hing, und schüttelte den Kopf. Die Liduuri verzog missmutig die Mundwinkel, steckte ihren Strahler aber weg. Wahrscheinlich war ihr selbst eingefallen, dass er ohnehin nicht funktionierte.
Inzwischen waren sie dem Wäldchen so nah, dass seine Vegetation Details offenbarte. Die Bäume bestanden aus einem glatten, milchig weißen Stamm, der sich nach unten verbreiterte und ohne sichtbares Wurzelwerk in den Boden überging. Die Baumkrone begann in etwa vier Metern Höhe und bildete dort ein dichtes Geflecht aus Ästen und Zweigen. Je dünner sie wurden, desto transparenter wirkten sie.
Zwischen den Bäumen wuchs eine Art Buschwerk mit langen Halmen und nadeldünnen Spitzen. Atlan ging vor einem der Gewächse in die Knie, nahm einen Halm zwischen Daumen und Zeigefinger – und knickte ihn mit einem Ruck ab. Das scharfe Splittern, das dabei ertönte, ging Rhodan durch Mark und Bein. Es hörte sich an, als hätte der Arkonide einen Glasstab zerbrochen. Obwohl Rhodan die Aktion nicht sonderlich gefiel, verzichtete er darauf, den Freund zu kritisieren.
»Die Dinger sehen aus wie Tiraakigras.« Atlan da Gonozal erhob sich wieder. »Und die Bäume erinnern mich an Jojorans – nur ohne Blätter. Findet man fast überall auf Gos'Ranton ...«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Rhodan. »Dass wir auf Arkon Eins sind?«
»Wenn dem so ist, hat die Bezeichnung ›Kristallwelt‹ niemals besser gepasst.«
Bevor Perry Rhodan etwas erwidern konnte, riss die Wolkendecke auf, und eine wahre Lichtflut ergoss sich über die Umgebung. Er musste die Augen schließen, weil sich die Sonnenstrahlen millionenfach in den Kristallstrukturen brachen und grelle Reflexe erzeugten. Die Positronik seines Einsatzanzugs reagierte im Bruchteil einer Sekunde und projizierte einen optischen Filter vor sein Gesicht. Dennoch fühlte er sich, als stünde er im Zentrum eines gigantischen Feuerwerks.
Da erst hörte er das Klirren. Binnen Sekunden schwoll es von einem leisen Flüstern zu einem ohrenbetäubenden Scheppern an. Als würde jemand Tausende Tonnen Porzellan über ihnen abwerfen.
3.
Thora Rhodan da Zoltral
Drogan Steflov saß hinter seinem riesigen Arbeitstisch, hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und die Hände gegeneinandergelegt. Die Spitzen der Zeigefinger berührten seine Lippen. Es sah beinahe aus, als bete er.
Thora Rhodan da Zoltral atmete langsam durch die Nase ein und den Mund wieder aus. Es kostete sie erhebliche Mühe, die bohrenden Schmerzen in ihrem Schädel zu ignorieren und sich auf den Chefarzt der CREST II zu konzentrieren. Steflovs Konsultationsräume waren in grünen und grauen Pastelltönen gehalten. Nichts wies darauf hin, dass man sich in einer der modernsten Kliniken der Menschheit aufhielt. Ebenso wie die medizinischen Forschungslaboratorien konnten auch die Diagnose- und Therapiebereiche der Medoabteilung dieses Raumschiffs jederzeit mit vergleichbaren Einrichtungen in Terrania oder auf Mimas mithalten.
In den vergangenen fünfzig Jahren hatte es auf nahezu allen Gebieten der irdischen Medizin gewaltige Fortschritte gegeben. Im Vergleich mit der Medotechnik der Arkoniden oder den Behandlungsmethoden der Aras war der entsprechende Entwicklungsstand auf der Erde vor Perry Rhodans schicksalhaftem Flug zum Mond im Jahr 2036 geradezu mittelalterlich gewesen. Allein die Neuerungen auf dem weiten Feld der Genetik, in der Individualtherapeutik und beim Einsatz von Nanomaschinen hatten die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen signifikant erhöht.