Perry Rhodan Neo 259: Quantentanz - Rüdiger Schäfer - E-Book

Perry Rhodan Neo 259: Quantentanz E-Book

Rüdiger Schäfer

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Beschreibung

Vor fast sieben Jahrzehnten ist der Astronaut Perry Rhodan als erster Mensch auf Außerirdische getroffen. Seither hat die Menschheit ihren Einflussbereich ausgedehnt und ferne Sonnensysteme besiedelt. Allerdings kommt es im Jahr 2102 zu einem Konflikt mit den Kolonien. Der Notfallplan Laurin wird eingeleitet – und geht schrecklich schief. Die Erde und der Mond stranden im Kugelsternhaufen M 3, rund 34.000 Lichtjahre von der Heimat entfernt. Mit dem Großraumschiff SOL macht sich Rhodan auf die Suche nach den Ursachen des Transportunfalls. Die SOL gelangt in eine Raumregion, in der sogenannte neutrale Quanten offenbar die Naturgesetze auf den Kopf stellen. Im Zentrum dieser Gefahrenzone hoffen Perry Rhodan und seine Gefährten, die gesuchten Antworten zu finden. Stattdessen stoßen sie auf eine Scheinrealität und werden verstrickt in einen dramatischen QUANTENTANZ ...

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Band 259

Quantentanz

Rüdiger Schäfer

Cover

Vorspann

1. Atlan da Gonozal

2. Perry Rhodan

3. Atlan da Gonozal

4. Perry Rhodan

5. Atlan da Gonozal

6. Perry Rhodan

7. Atlan da Gonozal

8. Perry Rhodan

9. Atlan da Gonozal

10. Perry Rhodan

11. Mirona Thetin

12. Perry Rhodan

13. Atlan da Gonozal

14. Mirona Thetin

15. Gucky

16. Atlan da Gonozal

17. Atlan da Gonozal

18. Gucky

19. Perry Rhodan

20. Perry Rhodan

21. Perry Rhodan

22. Perry Rhodan

23. Perry Rhodan

Impressum

Vor fast sieben Jahrzehnten ist der Astronaut Perry Rhodan als erster Mensch auf Außerirdische getroffen. Seither hat die Menschheit ihren Einflussbereich ausgedehnt und ferne Sonnensysteme besiedelt.

Allerdings kommt es im Jahr 2102 zu einem Konflikt mit den Kolonien. Der Notfallplan Laurin wird eingeleitet – und geht schrecklich schief. Die Erde und der Mond stranden im Kugelsternhaufen M 3, rund 34.000 Lichtjahre von der Heimat entfernt.

Mit dem Großraumschiff SOL macht sich Rhodan auf die Suche nach den Ursachen des Transportunfalls. Die SOL gelangt in eine Raumregion, in der sogenannte neutrale Quanten offenbar die Naturgesetze auf den Kopf stellen.

Im Zentrum dieser Gefahrenzone hoffen Perry Rhodan und seine Gefährten, die gesuchten Antworten zu finden. Stattdessen stoßen sie auf eine Scheinrealität und werden verstrickt in einen dramatischen QUANTENTANZ ...

1.

Atlan da Gonozal

Im ersten Moment war er sicher, dass ihm jemand mit aller Kraft ein Schwert in den Rücken gerammt hatte. Mitten zwischen die Schulterblätter und direkt durchs Herz.

Er schrie. Zumindest glaubte er das. Hören konnte er nur ein lautes Piepsen in den Ohren, das in seinem Kopf stetig anschwoll wie ein Ton in einer Echokammer.

Viel schlimmer war jedoch der anhaltende und stechende Schmerz. Er zog sich über den gesamten Brustkorb bis zum Hals und weit in den Oberbauch hinunter. Atlan da Gonozal spürte die hämmernden Impulse des Zellaktivators, die den Anfall wie ein Trommelwirbel begleiteten.

Ein weiterer Aussetzer, durchzuckte es ihn. Aber so schlimm wie diesmal war es noch nie!

Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr. Die schlanke Gestalt von Mirona Thetin tauchte neben seinem Sessel auf. Er musste nichts sagen; sie wusste sofort, was los war.

Kalter Schweiß lief ihm von der Stirn in die Augen, vermischte sich dort mit dem weißlichen Sekret, das alle Arkoniden bei großer Erregung wie Tränen absonderten. Doch er konnte nicht mal die Arme heben, um die brennende Mischung wegzuwischen. Seine Haut im Gesicht fühlte sich an, als würde sie jeden Augenblick reißen.

In den vergangenen Jahren hatte er immer wieder solche Episoden durchlitten – und jedes Mal war es ein bisschen unangenehmer und beängstigender gewesen. Diesmal jedoch ...

»Halt still!« Die Stimme seiner Partnerin klang harsch. Sie drückte ihm einen Injektor gegen den Hals und löste ihn aus. Das Piepsen wurde leiser; der Schmerz blieb.

»Myokardialer Infarkt«, diagnostizierte die Positronik der GARTAVOUR mit einer Gleichgültigkeit, die Atlan kurzzeitig erheiterte. »Eine Medikation mit Fibrinolat und Plasmogen in hoher Dosierung ist dringend angeraten. Der Zustand des Patienten ist kritisch.«

Sekunden später verabreichte ihm Mirona eine zweite Injektion. Auch diesmal verspürte er keine wesentliche Verbesserung seines Zustands.

»Ich registriere supraventrikuläre Arrhythmien im Herzmuskel und Extrasystolen bei einer Herzfrequenz von mehr als zweihundertfünfzig Schlägen pro Minute. Tendenz steigend«, verkündete die Positronik warnend.

»Verdammt!«, entfuhr es Mirona.

Hörte er da so etwas wie Resignation aus der Stimme seiner Partnerin heraus? Nein, das konnte nicht sein. Mirona gab niemals auf. Fünfzigtausend Jahre Erfahrung hatten sie gelehrt, dass es für jedes Problem eine Lösung gab. Man musste nur lange genug danach suchen und sie im Zweifelsfall schnell genug finden.

»Hoch mit dir!«, schrie sie ihn an.

Er spürte, wie sie ihn unter den Armen packte und aus dem Sessel ziehen wollte. Machte sie Witze? Er hätte sich nicht mal an der Nase kratzen können. Sein gesamter Körper war wie gelähmt. Da war nur der Schmerz – und die Gewissheit, dass alle Bemühungen diesmal nicht mehr ausreichen würden.

»Positronik!«, rief Mirona. »Ich brauche ein Transportfeld. Sofort!«

Er hatte sich nicht geirrt. Da war tatsächlich keine Spur von Resignation. Nur Wut. Brennender Zorn darüber, dass sie nicht stark genug war, Atlans gut neunzig Kilogramm zu stemmen. Dass all die Forschungen der zurückliegenden Jahre ohne Ergebnis geblieben waren. Dass mit jedem neuen Tag die Wahrscheinlichkeit stieg, dass ihre Zellaktivatoren ihre Funktion endgültig einstellten.

Sie hatten so oft darüber gesprochen – und ebenso oft hatte er den mühsam unterdrückten Furor in ihren Zügen gesehen, weil es da etwas gab, das sie mit ihrem Willen und ihrer Tatkraft nicht kontrollieren konnte.

Wenn man das lebensverlängernde Gerät ablegte, hatte man normalerweise eine Gnadenfrist von etwa zweieinhalb Tagen. Bis dahin wirkten die Aktivatorimpulse noch nach, erst anschließend begann der sogenannte explosive Zellverfall, der binnen kürzester Zeit zum Tod führte. Doch seit die Zellaktivatoren nicht mehr richtig funktionierten, weil man die Große Ruptur versiegelt und damit die Verbindung zum Creaversum endgültig gekappt hatte, galt diese Regel nicht mehr. Seit damals lebten sie mit der Aussicht, dass es in jeder Sekunde so weit sein konnte. Dass es endgültig vorbei sein konnte.

Am Anfang hatte Atlan noch gedacht, dass er damit fertigwerden würde. Er war zehntausend Jahre alt und hatte mehr gesehen und erlebt als die meisten anderen Lebewesen in diesem Universum. Das Schicksal hatte es außergewöhnlich gut mit ihm gemeint und ihm sehr lange erlaubt, die Natur auszutricksen. Irgendwann mussten auch relativ Unsterbliche akzeptieren, dass der Tod zum Leben dazugehörte, ja vielleicht sogar eine unbedingte Voraussetzung war, um die verfügbare Zeit genießen zu können.

Aber er hatte sich geirrt. Die Angst, zu sterben, hatte ihn ebenso erfasst wie jeden anderen Arkoniden, der nach 200 oder 250 Jahren seinem natürlichen Ende entgegensah. Man verdrängte sie so lange man konnte, aber irgendwann war sie da und ließ sich nicht mehr verscheuchen.

Sein Körper wurde plötzlich gewichtslos. Gleichzeitig fasste ihn Mirona am Arm und hob ihn aus dem Sessel – nun, da er schwerelos war, kostete sie das keine Mühe mehr. Die Positronik der GARTAVOUR hatte ein Antigravfeld projiziert und die Schwerkraft um ihn herum aufgehoben.

Die Impulse des Zellaktivators wurden immer unregelmäßiger. Mal setzten sie für mehrere Sekunden vollständig aus, dann wieder hämmerten sie durch seinen Körper wie eine Maschinengewehrsalve – und steigerten jedes Mal seine Panik.

»Mi ... ro ... na ...«, brachte er heraus, wusste aber nicht, ob die Silben seinen Mund tatsächlich verließen. Er verspürte den unwiderstehlichen Drang, ihr zu sagen, dass sie sich keine Sorgen um ihn machen solle, dass er sie liebte und dass sich daran nichts ändern würde, selbst wenn er nun starb. Er wollte nicht, dass sie um ihn trauerte, sondern dass sie sich stattdessen an die vielen schönen Momente erinnerte, die sie miteinander gehabt hatten, denn die waren es, die zählten.

Wenn wir tot sind, werfen wir keinen Schatten mehr auf den Sand. Doch die Spuren, die wir am Strand des Lebens hinterlassen haben, sind noch eine Weile zu sehen.

Dass ihm ausgerechnet in diesem Moment ein Zitat von Moraht da Them in den Sinn kam, des wohl berühmtesten arkonidischen Philosophen aller Epochen, überraschte ihn nicht. Er hatte die Texte dieses Manns, der bereits mit 26 Jahren Selbstmord begangen hatte, oft studiert – und mehr als einmal darüber gestaunt, wie viel Tiefe und Lebensweisheit ein derart junger Geist hervorgebracht hatte.

Die vergangenen Jahrzehnte in Andromeda waren harte Arbeit gewesen. Mirona und er hatten versucht, die verheerenden Folgen der Herrschaft der Meister der Insel zu beseitigen. Sie hatten aufgeräumt, geholfen, Abbitte geleistet und getröstet, wohl wissend, dass selbst die Lebensspannen zweier relativ Unsterblicher nicht ausreichen würden, um das Leid wiedergutzumachen und die tiefen Wunden zu heilen, die über Jahrtausende hinweg entstanden waren.

Doch wenn er seit seiner Begegnung mit dieser außergewöhnlichen Frau eins begriffen hatte, dann, dass Mironas Reue echt war und dass sie es als gerechte Strafe empfand, notfalls bis in alle Ewigkeit mit ihrer erdrückenden Schuld leben zu müssen.

Vielleicht machte er sich etwas vor, aber verdiente nicht jeder eine zweite Chance? Die schrecklichen Dinge, die Mirona getan hatte, hatte sie getan, weil sie geglaubt hatte, keine Wahl zu haben. Sie war davon überzeugt gewesen, am Vorabend einer gewaltigen Schlacht gegen einen übermächtigen Gegner zu stehen. Das Geisteswesen ANDROS hatte sie belogen und gelenkt. In seinem Auftrag hatte sie eine halbe Galaxis zur waffenstarrenden Festung gemacht – und unzählige Lebewesen zu Soldaten, ob sie wollten oder nicht.

Eine neue Schmerzwelle spülte alle Gedanken an die Vergangenheit davon. Der Zellaktivator schien plötzlich in Flammen zu stehen. Er wollte sich das Gerät von der Brust reißen, bevor es sich wie ein glühendes Stück Metall durch die Haut, durch die knöcherne Brustplatte, durch seinen gesamten Oberkörper fraß. Doch seine Glieder gehorchten ihm nach wie vor nicht.

Er wurde herumgewirbelt. Dann drückte ihn Mirona auf eine weiche Unterlage, die sich sofort wie eine zweite Haut um ihn legte. Fast augenblicklich fühlte er sich besser. Er hatte das Gefühl, zu schweben. Ein kühler Wind strich ihm übers Gesicht. Er entspannte sich ein wenig.

Sie hat mich in das mobile Situativ gelegt, erkannte er.

Mirona und er hatten diese Überlebenskammer bereits vor vielen Jahren in das Schaltschiff eingebaut und direkt in die Zentrale integriert. Ihre Konstruktion ging auf die Kleinstraumer zurück, die die Meister der Insel einst für die Nutzung der Situationstransmitter entwickelt hatten. Sogar für die Träger von Zellaktivatoren war ein solcher Transportvorgang extrem belastend gewesen. Die sogenannten Situative hatten mit ihrer komplexen Medotechnik dafür gesorgt, dass sich die Betroffenen deutlich schneller erholten und die Transfers zumindest halbwegs erträglich gewesen waren. Wie die meisten auf Halatium basierenden Systeme hatten auch die Situationstransmitter nach und nach ihre Arbeit eingestellt und wurden inzwischen kaum noch genutzt. Geblieben waren die Situative als Zeugen einer anderen Zeit, die mittlerweile wie ein schrecklicher Albtraum anmutete, den man nicht vergessen konnte.

Atlan fühlte sich, als stecke er in einem Block aus Gelatine. Er hatte nie an Klaustrophobie gelitten, doch die Enge und die Dunkelheit in der Situativkammer machten ihm zu schaffen. Letztlich überwog aber die Erleichterung, denn die Schmerzen waren abgeklungen.

Schön, dass du dich wieder wohlfühlst, flüsterte die Stimme des Extrasinns in seinem Kopf. Vielleicht solltest du dich hier ab sofort häuslich einrichten. Zumindest so lange, bis dein Aktivator endgültig versagt.

Es tut so gut zu wissen, dass dir mein Wohlergehen am Herzen liegt, dachte der Arkonide zurück. Aber halt, ich vergaß: Dir geht es wie immer nicht um meine, sondern um deine eigene Gesundheit, nicht wahr ...?

Ich praktiziere Egoismus, du bist ein sentimentaler Narr. Was glaubst du wohl, welche die klügere Methode ist, um am Leben zu bleiben?

Atlan wollte den Kopf schütteln, doch selbst das ließ der Platzmangel nicht zu.

Egoismus ist Einsamkeit, dachte er. Das wusste schon der terranische Arzt, Dichter und Philosoph Friedrich Schiller. Ich habe ihn persönlich kennengelernt. Ein sehr kluger Mann.

Mag sein, äußerte der Extrasinn. Im Gegensatz zu mir konnte er sich seine Gesellschaft immerhin aussuchen.

»Fühlst du dich besser?«, unterbrach Mironas Stimme das stumme Zwiegespräch.

Atlan horchte in sich hinein. Die Impulse des Zellaktivators kamen wieder ruhig und gleichmäßig. Er wollte ihr antworten, brachte jedoch nur ein Krächzen zustande. Sofort spürte er eine Berührung an den Lippen. Er öffnete den Mund und trank kühles Wasser aus einem Schlauch. Danach räusperte er sich.

»Ja«, antwortete er seiner Partnerin. »Wie lange brauchen wir noch?«

»Knapp zwei Stunden«, antwortete Mirona Thetin. »Ich wecke dich, wenn wir da sind.«

»Moment mal!«, protestierte er. »Ich will nicht ...« Das Wort schlafen

2.

Perry Rhodan

Die SOL schüttelte sich wie ein wildes Pferd, das seinen Reiter abwerfen wollte. Die Mitglieder der Zentralebesatzung wurden durch Prallfelder auf ihren Plätzen gehalten, aber ein von Perry Rhodan achtlos auf einer Konsole abgestellter Kaffeebecher fiel zu Boden. Ein herbeihuschender Servoroboter entsorgte ihn rasch.

»Die Belastung des Libraschirms liegt bei sechsundachtzig Prozent«, meldete Mai Tai Tanaka, die Funk- und Ortungschefin des Hantelraumers. »Ohne SCALA wären wir bereits erledigt.«

Rhodan presste die Lippen zusammen. SCALA war die Abkürzung für »Specially Calibrated and Altered Libra Array«. Dabei handelte es sich um eine besonders konfigurierte Frequenzmodulation des Energieschirms der SOL, die das Raumschiff insbesondere vor den Neutern – den neutralen Quanten – schützen sollte.

»Mister Kosum«, erklang die tiefe Stimme von Chart Deccon. Der massige Kommandant lag mehr in seinem Sessel, als dass er saß. Sein Gesicht war rot und aufgedunsen. »Reduzieren Sie die Geschwindigkeit. Vielleicht bringt das etwas ...«

Keine schlechte Idee, dachte Rhodan. Weniger Tempo bedeutet eine geringere Zahl von Neutern, die gegen den Schutzschirm prallen.

Auf den Statusholos vor sich sah er, dass die SOL langsamer wurde. Hatte sie sich eben noch mit rund fünf Kilometern pro Sekunde durch das Innere der Quantenquelle bewegt, legte sie nun in der gleichen Zeitspanne lediglich etwa tausend Meter zurück. Seit sie in die gigantische Ansammlung von Neutern eingeflogen waren, hatte sich die Quantendichte stetig erhöht und den Hantelraumer sogar mehrfach zum Stoppen gezwungen.

Mentro Kosum, der cyboranische Pilot und Emotionaut, war wie üblich per SERT-Technik mit den Bordsystemen verbunden. Dadurch wurde er praktisch zur SOL, konnte das Raumschiff fühlen, als wäre es sein Körper, und es mittels Gedankenimpulsen wesentlich intuitiver und geschickter steuern als über die holografischen Kontrollen einer Positronikkonsole. Die Folgen der sogenannten Realitätspause, die die SOL kurz zuvor beinahe zerstört hätte, hatte er einigermaßen überwunden. Der Chefarzt Sam Breiskoll hatte Kosum eine Mixtur aus Kreislaufstabilisatoren und Aufputschmitteln injiziert – was zwar medizinisch alles andere als unbedenklich war, doch derzeit konnten die Menschen an Bord auf die besonderen Fähigkeiten des Emotionauten nicht verzichten.

»Kein Effekt!«, rief Tanaka. Die zierliche Japanerin war durch die Wolke aus unzähligen Hologrammen, mit der sie sich umgab, kaum zu sehen. »Schirmbelastung bei achtundneunzig Prozent. Schnell steigend ...«

»Wir müssen hier raus«, flüsterte Thora Rhodan da Zoltral neben ihm. »Zurück in den freien Raum.«

»Das schaffen wir nicht mehr«, erwiderte Rhodan. »Wir stecken schon zu tief drin. Zum Umkehren ist es zu spät.«

Die Anspannung der Menschen ringsum war inzwischen fast körperlich zu spüren. Die Luft in der Zentrale schien zu knistern. Wenn sie nicht schnell eine Lösung fanden, würde der Schirm unter dem Quantenansturm zusammenbrechen. Dann endete die Expedition der SOL auf die gleiche Weise wie die diversen Vorstöße, die die Akonen in den vergangenen Jahrtausenden unternommen hatten. Kein einziges Raumfahrzeug, das die Bewohner des Blauen Systems zur Erkundung der Dunkelwolke Bacor-Kavi ausgeschickt hatten, war jemals zurückgekehrt. Eins davon – die TRAVINOL – hatte die Besatzung der SOL erst vor wenigen Tagen als Wrack auf dem Planeten Carat entdeckt.

Rhodan sah für einen Moment zu Pankha-Skrin hinüber. Nachdem der Loower sich zunächst für einige Zeit in seinen Helk zurückgezogen hatte – angeblich für eine Tiefenmeditation –, war er inzwischen wieder in die SOL-Zentrale zurückgekehrt.

Die Exotik dieses Wesens zog den Terraner jedes Mal aufs Neue in ihren Bann. Schon der Anblick des durch eine Art Knorpelstrang in zwei Hälften geteilten Körpers war gewöhnungsbedürftig. Man hatte ständig Angst, dass Pankha-Skrin bei der nächsten Bewegung mit einem lauten Knacken auseinanderbrechen könnte.

Die im Vergleich zum Rumpf überlangen und sehr muskulösen Beine, die Tentakelarme mit den feinnervigen Greiflappen am Ende und die verkümmerten Flügelansätze an den Seiten des an zwei menschliche Nieren erinnernden Doppelkörpers vervollständigten die Fremdartigkeit des Loowers, der sich als Quellmeister bezeichnete.

Zwölf Jahre zuvor hatte Rhodan die Geburt des sonderbaren Wesens an Bord eines Raumschiffs namens DONDERVAND miterlebt. Der junge Pankha-Skrin war aus einem Ei geschlüpft und hatte sich binnen kürzester Zeit zum Erwachsenen entwickelt. Im Verlauf der damaligen Ereignisse hatte der Loower Rhodan in die linke Hand gebissen. Die Wunde war schnell verheilt, doch später hatte sich herausgestellt, dass dabei zwischen Rhodan und dem Loower eine Art genetische Datenübertragung stattgefunden hatte. Das Ergebnis bezeichnete Pankha-Skrin als Skri-Marton, als Quellhäuschen. Nähere Angaben zum Thema hatte er bislang allerdings konsequent verweigert.

»Na schön«, blieb Deccon äußerlich gelassen. »Ihr Einsatz, Mister Gruber! Schießen Sie uns den Weg frei!«

Ozias Gruber, ein schmaler, in sich gekehrt wirkender Mann mit schwarzem Strubbelhaar und Dreitagebart, nickte nur. Wenn die Waffenchefin Vidonia Rocha Freischicht hatte, war meist ihr Stellvertreter Gruber für die Offensivsysteme des Generationenschiffs zuständig. Perry Rhodan hatte sich angewöhnt, sich mit den Personaldateien der Zentralebesatzung aller Raumschiffe, mit denen er länger unterwegs war, vertraut zu machen. Was die SOL anging, war er aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse noch nicht dazu gekommen. Soweit er wusste, stammte Gruber aus Österreich. Der mitteleuropäische Binnenstaat war einer der ersten gewesen, der sich der Terranischen Union als Vollmitglied angeschlossen hatte.

In den Taktikhologrammen war zu sehen, wie sich die achtzehn vorderen Waffenmodule aus ihren Arretierungen lösten und kreisförmig vor dem Triebwerkswulst der Nordkugel anordneten. Insgesamt gab es 72 dieser Geschützträger in vier Ringen an den zwei Kugelsegmenten der SOL. Wenn es nötig war, konnten sie synchron feuern und dadurch eine gewaltige Durchschlagskraft entwickeln.

Ich glaube, wir haben noch nicht mal ansatzweise gesehen, wozu dieses Schiff fähig ist, dachte Rhodan. Auch wenn es eigentlich als Generationenraumer entwickelt wurde, ist es doch in der Lage, sich zu wehren, wenn es sein muss.

Ein schneller Seitenblick bewies ihm, dass seine Frau ähnliche Gedanken hegte. Thora hatte sich die SOL bereits intensiver angesehen. Sie war üblicherweise schwer zu begeistern, doch der Hantelraumer hatte sie ohne Zweifel tief beeindruckt.

»Ich versuche es mit konventionellem Thermobeschuss«, gab Gruber bekannt. »Rotierender Salventakt mit breiter Fächerung.«

Die Module begannen, sich mit etwas Abstand zum Rumpf wie auf einer kreisförmigen Orbitalbahn um die SOL zu drehen; erst langsam, dann immer schneller. Gleichzeitig zuckten grellrote Energiestrahlen aus den Geschützprojektoren und fuhren in das Gewimmel der Neuter hinein, das sich in Flugrichtung ballte. Dort, wo sie auf Widerstand trafen, bildeten sich schnell expandierende Glutnester mit zahllosen Verästelungen.

»Es funktioniert!«, freute sich Gucky, der dem Geschehen bislang ungewöhnlich still gefolgt war.

Zumindest sieht es so aus, dachte Rhodan. Allerdings ging die Belastungsanzeige des Schutzschirms nicht zurück. Im Gegenteil. Die 100-Prozent-Marke wurde erreicht – und überschritten.

Ein Alarm heulte durch die einem Amphitheater ähnelnde Zentrale. Auf einem der umlaufenden Tribünenränge erkannte Rhodan die hagere Gestalt von Geoffry Abel Waringer. Der Chefwissenschaftler ruderte mit beiden Armen in einem Wust von Datenholos und dreidimensionalen Diagrammen. Für ihn war die Quantenquelle so etwas wie das Paradies. Die Aussicht, dass seine Forschungen in den nächsten Minuten für immer beendet sein könnten, schien ihn nicht besonders zu beunruhigen.

»Keine Wirkung!« Das war wieder Tanaka. »Wir vernichten in jeder Sekunde Hunderte von Milliarden Neuter. Doch es kommen immer mehr nach.«

Gruber aktivierte sofort zwei weitere Waffenringe. Die SOL verwandelte sich in ein Feuer speiendes Ungetüm, das unvorstellbare Energiemengen in den Weltraum schleuderte. Die wabernden Quantenwolken vergingen in aberwitzigem Tempo und umschlossen den Hantelraumer wie ein Netz aus rot glühenden Fäden. Doch hinter ihnen drängten sofort frische Neuter nach.

»Unsere Speicher leeren sich viel zu schnell.« Thora sprach nur das aus, was allen längst klar war. Die Überlastung des Schutzschirms und der riesige Energiebedarf der Waffenringe verschlangen deutlich mehr Leistung, als die Reaktoren der SOL nachliefern konnten. Dabei hätte allein der Black-Hole-Protonenreaktor in der Südkugel des viertausend Meter langen Giganten jederzeit ausgereicht, um sogar eine Multimillionenmetropole wie Terrania mit Strom zu versorgen.

Wir haben lediglich ein bisschen Zeit gewonnen, erkannte Rhodan. Sobald die Energievorräte aufgebraucht sind, werden wir von Neutern überschwemmt – mit Folgen, die niemand von uns absehen kann.

Der Alarm war inzwischen verstummt – jemand hatte ihn abgeschaltet. Dass die SOL in der Klemme steckte, erkannte man auch ohne akustische Untermalung.

Der Libraschirm fluktuierte. Dort, wo besonders viele Neuter aufprallten, entstanden graue Flecken, die sich erratisch über die energetische Oberflächenstruktur der Feldkalotte bewegten, ineinander verschmolzen und sich wieder trennten.

»SENECA versucht, gegenzusteuern«, sagte Tanaka. »Er verstärkt den Schirm punktuell an den besonders kritischen Auftreffpunkten. Aber auch das wird nichts helfen, wenn uns der Saft ausgeht.«

»Was passiert, wenn wir umkehren und mit maximaler Beschleunigung aus der Quantenquelle hinausfliegen?«, fragte Deccon.

»Das können Sie ... vergessen, Sir.« Kosums Stimme klang abgehackt. Die langen, rostroten Haare hingen ihm feucht ins Gesicht, und auch in seinem Bart glitzerten dicke Schweißperlen. Er ruhte auf dem bequemen SERT-Liegesessel und hatte die Augen geschlossen. Die Medoeinheit neben ihm zeigte seine wichtigsten Vitalwerte an. Wegen der immensen psychischen und physischen Belastung war eine permanente medizinische Überwachung für alle Emotionauten im Einsatz Pflicht.

»Dann fliegt uns die SOL um die Ohren«, fügte er hinzu.

»Die Schirmbelastung erreicht hundertfünfzig Prozent!«, rief Mai Tai Tanaka in diesem Augenblick. »Die Absorptionsleistung fällt rapide, weil die instabile Hochenergie-Überladungszone nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Ich habe die automatische Notabschaltung bereits desaktiviert, aber wir haben bestenfalls noch eine halbe Minute, bevor wir völlig schutzlos sind.«

Die Blicke von Perry Rhodan und Chart Deccon trafen sich.

Der Kommandant der SOL hatte sich bemerkenswert gut unter Kontrolle. Rhodan wusste, dass Deccon über viele Jahre hinweg auf seine Aufgabe vorbereitet worden war und eine enge, stark emotionale Beziehung zu seinem Schiff hatte. Welcher Gefühlsorkan mochte wohl gerade hinter seiner undurchdringlichen Maske toben?

Die Meldungen kamen im Sekundentakt – und jede von ihnen brachte die Katastrophe ein kleines Stück näher.

»Speicherenergie aufgebraucht. Wir fliegen nur noch mit heißer Luft!«

»Die Lebenserhaltungssysteme fallen aus. Prognostizierte Rumpfbrüche an achtundzwanzig verschiedenen Stellen auf der Nord- und Südkugel.«

»Libraschirm schaltet sich ab in ... fünf ... vier ... drei ...«

Das riesige Abwehrfeld flackerte wie eine Kerze in heftigem Wind. Ozias Gruber hatte den Beschuss der Neuter längst eingestellt. Die acht Hyperenergieröhren, die parallel zum Mittelteil der SOL verliefen, hatten ihr blaues Leuchten verloren. Die Speicherbänke der Silos waren geleert, und es gab keine Energie mehr, die sie von der Südkugel zur Nordkugel transportieren konnten.

»... zwei ... eins ... wir sind blank!«

Die graue Wand der Neuter schloss sich um den Hantelraumer. In der Zentrale erloschen zahlreiche Holos. Ein Alarm ertönte nicht.

Wahrscheinlich fehlt selbst dazu die nötige Energie,

3.

Atlan da Gonozal

Auch nach zehntausend Jahren raubte ihm ein Anblick wie dieser noch immer den Atem. Es war der schlagende Beweis dafür, dass das Universum weit mehr Wunder bereithielt, als ein biologisches Gehirn jemals zu verarbeiten imstande gewesen wäre – selbst dann, wenn es durch einen Zellaktivator weit über die natürliche Zeitspanne hinaus am Leben erhalten wurde.

Die GARTAVOUR hatte eine Position bezogen, von der aus Atlan da Gonozal und Mirona Thetin die fünf Gercksvira-Sonnen in voller Pracht sahen. Vier davon waren Blaue Riesen mit der jeweils acht- bis neunfachen Sonnenmasse von Arkon. Nummer fünf hingegen war trotz seiner absurderweise ebenfalls blauen Farbe astrophysikalisch ein Roter Zwerg, kaum schwerer als Arkon I, jene Welt, auf der Atlan einst geboren worden war.

Er musste unwillkürlich an seinen Vater denken – besser gesagt an das Duplikat seines Vaters, denn der echte Mascudar da Gonozal war schon lange tot. Es hatte Atlan einen Schock versetzt, als Mascudar vor dreizehn Jahren plötzlich wieder aufgetaucht war und sogar seine ehemalige Position als Imperator des Großen Imperiums zurückerobert hatte. Dass es sich bei ihm nur um eine Kopie handelte, erzeugt von einer unvorstellbar weit fortgeschrittenen Technik, deren genauer Ursprung nach wie vor unbekannt war, hatte für Atlan keine Rolle gespielt. Das Duplikat war vom Original nicht zu unterscheiden. Es sah nicht nur exakt identisch aus, sondern verfügte auch über alle Erinnerungen und Charaktereigenschaften der Vorlage.

Die Positronik der GARTAVOUR stellte die Gercksvira-Sonnen im Außenbeobachtungshologramm als leuchtende Kugeln dar, deren Oberflächen einem aufgewühlten Ozean glichen. Immer wieder peitschten die starken Magnetfelder der Sterne mächtige Protuberanzen empor, die teilweise viele Hunderttausende Kilometer in den Raum hinausgeschleudert wurden. Die riesigen Materiefahnen aus Gas und Plasma beschrieben weite Parabeln und stürzten infolge der Schwerkraft schließlich wieder in ihre Sterne zurück.

Die Monate, die er an der Seite seines Vaters verbracht hatte, waren Atlan unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt. Sie hatten viel miteinander gesprochen. Über das Imperium. Über die Entwicklungen der vergangenen zehntausend Jahre. Über den schleichenden Niedergang, der das arkonidische Sternenreich seit mehreren Jahrhunderten erfasst hatte und vom träge und dekadent gewordenen Adel weitgehend ignoriert wurde.

Wann immer Atlan auf die persönliche Ebene gewechselt war, hatte Mascudar allerdings abgeblockt. Die letzten Jahre der Methankriege. Die damals kurz bevorstehende Niederlage gegen die Maahks, die erst mit der Entdeckung der Konverterkanone wie durch ein Wunder abgewendet worden war. Das Schicksal von Yagthara Agh'Hay-Boor, Atlans Mutter, die damals unter ungeklärten Umständen angeblich gestorben war. Atlans Verbannung ins Larsafsystem. Über all das wollte sein Vater offenbar nicht sprechen, denn sobald Atlan diese oder ähnliche Themen anschnitt, wurde Mascudar unwirsch und wortkarg. Oft war der Imperator sogar einfach aufgestanden und hatte den Raum verlassen.

Aus diesem Grund war Atlan die Rückkehr nach Andromeda auch nicht besonders schwergefallen. Vor allem Mirona hatte es immer stärker in jene Galaxis zurückgezogen, die sie längst als Heimat betrachtete. Als der Kristallprinz sich von Gonozal VII. verabschiedet hatte, hatte sein Vater beinahe erleichtert gewirkt, und Atlan war ehrlich genug, um zuzugeben, dass ihm diese Reaktion einen Stich ins Herz versetzt hatte.

Die GARTAVOUR verringerte ihre Geschwindigkeit. Gercksvira II, einer der Blauen Riesen, war noch immer rund fünfzig Millionen Kilometer entfernt. Dennoch nahm er fast das gesamte Sichtfeld ein, da der Glutball mehr als zehn Millionen Kilometer durchmaß. Angesichts solcher Dimensionen erschien es Atlan geradezu unwirklich, dass die Memeter, die Vorfahren der Liduuri, diese Gewalten einst gezähmt und an dieser Stelle aus fünf dieser Giganten einen Sonnentransmitter errichtet hatten.

Und doch sind auch sie von der kosmischen Bühne verschwunden, dachte er. Memeter wie Liduuri. Mirona ist die einzige Überlebende dieser einst so großen und mächtigen Zivilisation.