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Januar 2037: Mit einem altersschwachen Raumschiff, der TOSOMA, sind Perry Rhodan und seine Gefährten zu einem riskanten Flug aufgebrochen. Sie wollen nach Arkon vorstoßen und das Zentrum des riesigen Sternenreiches erreichen. Doch ein fürchterliches Unglück stoppt ihren Flug. Zur selben Zeit muss ein Mann von der Erde auf einem fremdartigen Planeten um sein Überleben kämpfen: Es ist Dr. Eric Manoli, einer der drei Astronauten, die mit Perry Rhodan zum Mond geflogen sind. Nach einem Sprung durch Raum und Zeit ist der Arzt auf einer Welt gelandet, die von Topsidern bewohnt wird. Er ist der einzige Mensch unter den Echsenwesen - und diese sind nach den erbitterten Kämpfen im Wega-System nicht gut auf "Blasshäute" zu sprechen. Manolis wichtigstes Ziel ist die Heimkehr zur Erde. Doch zuvor muss er sich gegen mächtige Gegner durchsetzen ...
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Band 26
Planet der Echsen
von Bernd Perplies
Januar 2037: Mit einem altersschwachen Raumschiff, der TOSOMA, sind Perry Rhodan und seine Gefährten zu einem riskanten Flug aufgebrochen. Sie wollen nach Arkon vorstoßen und das Zentrum des riesigen Sternenreiches erreichen. Doch ein fürchterliches Unglück stoppt ihren Flug.
Zur selben Zeit muss ein Mann von der Erde auf einem fremdartigen Planeten um sein Überleben kämpfen: Es ist Dr. Eric Manoli, einer der drei Astronauten, die mit Perry Rhodan zum Mond geflogen sind. Nach einem Sprung durch Raum und Zeit ist der Arzt auf einer Welt gelandet, die von Topsidern bewohnt wird.
Unter Echsen
Topsid, noch dreizehn Stunden
Eric Manoli rannte um sein Leben.
Hinter ihm war das Fauchen von Strahlwaffen zu hören und das Zischen seiner echsenartigen Verfolger. Was sie ihm nachriefen, konnte er nicht verstehen. Er hatte auch keine Zeit dazu, sich darüber Gedanken zu machen, ob nun die winzige Translatorpositronik in seinem Körper gestört war oder ob die Wesen einfach nur undeutlich sprachen.
Er musste rennen – und es fiel ihm unendlich schwer. Mit protestierenden Beinmuskeln kämpfte er sich durch den dichten Nebel, der ihn von allen Seiten umfing. Der Dunst hing nicht einfach so in der Luft. Er dampfte auch aus der Kanalisation empor, aus Kühlgeneratoren an Hauswänden und aus gedrungenen Schloten auf den Dächern. Die Luft kam Manoli so dick und feucht vor, als könne man darin schwimmen. Ungefähr genauso anstrengend war es, sich durch sie zu bewegen.
Wohin seine wilde Flucht ihn führte, wusste er nicht. Gassen und Straßen, pulsierend vor fremdartigem Leben, verschmolzen um ihn herum zu einem Labyrinth ohne Anfang und Ende. Tausend Eindrücke stürzten gleichzeitig auf ihn ein: der Geruch von Gebratenem und exotischem Tee, die jaulenden Klänge ihm unbekannter Musik, ein lautstarkes Stampfen und Zischen aus halb geöffneten Fahrzeugkabinen und immer wieder Echsen! Grauhäutige Echsen, grünhäutige Echsen, braunhäutige Echsen, auf zwei Beinen gehend mit einem pendelnden, fleischigen Schwanz und argwöhnisch aus lippenlosen Schnauzen hervorschnellenden Zungen.
»Wo bin ich?«, schrie Manoli sie an. »Was ist das für ein Albtraum?«
Sein Herz hämmerte wie verrückt in seinem Brustkorb, seine Lungen quälten sich mit jedem Atemzug, und ihm war übel vor Erschöpfung. Trotzdem taumelte er weiter. Er musste hier weg, musste ihnen entkommen, sonst brachten sie ihn um.
Vor ihm, am Ende der Gasse, tauchte ein klobiges Fahrzeug auf. Es erinnerte an einen irdischen Militärjeep, war aber knallblau lackiert. Auf einer Art Überrollbügel blitzte und blinkte eine Lichtsignalanlage wie bei einer der modernen Fahrattraktionen auf einer Kirmes.
Zwei Echsen in blauen Overalls saßen darin. Silberne Schulterstücke und Brustschilder zierten ihre Uniformen. Sie erblickten Manoli, sprangen von ihren Sitzen und rissen schwere Handfeuerwaffen aus Gürtelholstern. Es knallte, und die Luft knisterte elektrostatisch, als helle Energieblitze an ihm vorbei durch den Nebel zuckten.
Manoli wirbelte herum. Nur weg, egal wohin. Tiefer hinein ins Herz dieser fremden Welt.
Er umrundete einen der riesigen Turmbauten, die überall um ihn aufragten wie die chaotisch angeordneten Säulen eines gigantischen Pfahlhauses, und erreichte eine gewundene Treppe. Kurzerhand stürmte er sie hinauf. Am oberen Ende begann eine weit geschwungene Metallbrücke, die über eine Verkehrsstraße führte, auf der sich eine Lawine aus vier- und sechsrädrigen Vehikeln im Schneckentempo dahinwälzte.
Keuchend rannte Manoli über die Brücke. In seinem Rücken glaubte er bereits die schweren Schritte seiner Verfolger zu hören, die ihm hartnäckig auf den Fersen blieben. Vor ihm, aus dem Schatten eines Eingangs, der in zehn Metern Höhe in einen der Türme führte, tauchten zwei Gestalten auf. Es handelte sich um hünenhafte Echsen mit schwarzgrauen Schuppen. Sie trugen ein wildes Sammelsurium von Lumpen am Leib und hatten orientalisch anmutende Messer in den sechsfingrigen Händen.
»Arkonide ...«, zischte einer der beiden, und seine gespaltene Zunge fuhr angriffslustig aus der Schnauze.
Mitten im Lauf kam Manoli zum Halt. Sein Herz hämmerte so stark, als wolle es seinen Brustkorb sprengen. Schweiß lief ihm übers Gesicht, sein Atem ging schwer. Hektisch sah er sich um. Hinter ihm Gegner, vor ihm Gegner. Es schien keinen Ausweg zu geben.
Sein Blick fiel nach unten auf die Straße, auf die endlose Kolonne von Fahrzeugen, die sich zur Rushhour – war es Vormittag? War es Nachmittag? – durch die Straßenschluchten schoben. Sein suchendes Auge fand einen offenen Transporter, der, wie es aussah, Hausabfälle geladen hatte.
Das ist Wahnsinn, dachte Manoli. Und es ist zugleich meine einzige Chance.
Todesmutig sprang er auf das Geländer der schmalen Brücke. Hinter ihm peitschten die Schüsse der Energiestrahler seiner Verfolger vorbei. Vor ihm stießen die beiden Messerschwinger ein wütendes Fauchen aus. Sie erkannten, dass sich ihre Beute absetzen wollte.
Manoli nahm Maß, wartete noch zwei Herzschläge. Dann sprang er.
Die wenigen Sekunden in der Luft kamen ihm unendlich lang vor. Unter ihm bewegte sich der Transporter weiter ... und weiter ...
Nein, nein, bleib stehen, beschwor ihn Manoli.
Er blieb stehen.
Mit einem satten Schmatzen landete Manoli inmitten der grauen Säcke, die zu einem willkürlichen Haufen aufgetürmt worden waren. Einen Herzschlag lang dankte er allen Göttern, die auf dieser Welt wirken mochten, dass er diesen irren Sprung überlebt hatte.
Im nächsten Moment erkannte er, dass dieses Leben schneller vorbei sein konnte, als ihm lieb war, denn der Transporter stand noch immer, und er machte auch keinerlei Anstalten, weiterzufahren. Entweder gab es irgendwo weiter vorne das hiesige Äquivalent einer roten Ampel, oder der dichte Verkehrsstrom war vollends zum Erliegen gekommen.
Ihm blieb keine Zeit, aus diesem Begreifen irgendein Handeln abzuleiten. Schon schwangen sich vier massige Körper über die Balustrade der Brücke und stürzten ihm entgegen. Beinahe unnatürlich elegant landeten sie auf den Müllsäcken und erhoben sich vor ihm zu einer Mauer geschuppten Todes.
In seltsamer Eintracht standen die Soldaten und die Straßenräuber beisammen, Messer und Strahler in den Händen, und starrten aus kleinen, tückisch glänzenden Augen auf Manoli herab. Einer der Soldaten hob seine Waffe und richtete den Lauf direkt auf Manolis Kopf. »Jetzt, Arkonide, stirbst du!«
Sein Finger krümmte sich um den Abzug, und sengend heißes Licht hüllte Manoli ein.
Mit einem Ruck wachte er auf!
Stöhnend hob er die Hände zum Kopf und rieb sich über das Gesicht. Sein Unterhemd war durchgeschwitzt und die Laken zerwühlt, als habe er nicht nur im Traum, sondern auch schlafend in seinem Bett gekämpft.
Mit einem Ächzen schwang Manoli die Beine von der niedrigen Lagerstatt und erhob sich in eine sitzende Position. Immer wieder suchten ihn diese Albträume heim, voller Hetzjagden und Kämpfe. Ähnlich häufig sah er sich in einem glänzenden Labor auf einen Tisch geschnallt. Gleißendes Licht stach ihm in die Augen, und unmenschlich klingende Stimmen fragten ihn Dinge, die er nicht verstand und nicht beantworten konnte. Es war grauenvoll.
Als Arzt nahm Manoli an, dass sein unruhiger Schlaf verschiedene Gründe hatte. Zum einen waren sie Ausdruck eines tief sitzenden Unbehagens, das ihn seit Wochen begleitete. Darüber hinaus schienen sich Erinnerungsfragmente seiner Ankunft auf dieser Welt in seine Träume zu mischen, Reminiszenzen an Geschehnisse, die sich wie in dichtem Nebel verborgen seinem bewussten Zugriff entzogen.
Zuletzt hatte sicher auch die erhöhte Schwerkraft vor Ort etwas damit zu tun. Er besaß keine Messinstrumente, aber er schätzte sie auf etwa ein Drittel höher als auf der Erde. Diese ständige Zusatzbelastung stresste seinen Körper im Wachzustand – und ebenso im Schlaf. Zum Glück war wenigstens der furchtbare Muskelkater in den Beinen und im Rücken abgeklungen, der ihn in den ersten Tagen geplagt hatte.
Trotzdem bin ich froh, wenn ich hier fort bin, dachte er. Es würde nicht mehr lange dauern. Heute Abend, wenn der ganze Planet das Fest der Drei-Monde-Konstellation feierte, würde er jemanden treffen, der ihm einen Weg von hier fort eröffnen würde. Endlich würde dieses Versteckspiel vorbei sein, das man ihm – zu seiner eigenen Sicherheit natürlich – aufgezwungen hatte. Man hatte es ihm versprochen.
Es wurde dringend Zeit. Manoli war es leid. Als Wissenschaftler hatte er in den letzten Wochen unglaublich faszinierende Einblicke erleben dürfen und Erkenntnisse gewonnen. Und zu seinem Erstaunen war er nicht bloß auf Verachtung und Ablehnung bei den Einheimischen gestoßen, sondern hatte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erfahren, etwas, das er nach allem, was ihm auf der Erde erzählt worden war, kaum erwartet hätte.
Als Mensch freute er sich dennoch, den Weg nach Hause antreten zu können. Schließlich hatte er diesen Trip damals, in einer unterirdischen Kaverne auf Berenger IV, dem größten Mond der vierzigsten Welt des Wega-Systems, nicht begonnen, weil er neue Welten und neue Zivilisationen erkunden wollte. Manoli hatte seine Kameraden Perry Rhodan und Reginald Bull finden wollen – und natürlich Sue Mirafiore, die junge Mutantin, die ihm während ihrer Zeit als Gefangene der Fantan ans Herz gewachsen war. Die drei waren, zusammen mit der Arkonidin Thora, dem Teleporter Ras Tschubai und den beiden Ferronen Chaktor und Lossoshér, ihrerseits durch einen Transmitter gegangen, um Thoras Ziehvater Crest da Zoltral zu retten. Doch Manolis Freunde waren nicht zurückgekehrt, blieben verschollen.
Leider war Manolis Plan grandios gescheitert. Er hatte während all seiner Zeit nicht die geringste Spur seiner Freunde entdecken können. Viel Bewegungsspielraum hatte man ihm zugegebenermaßen nicht gelassen.
Er erinnerte sich noch lebhaft an den Moment seines Reisebeginns. Er hatte sich mit dem verkrüppelten Fantan Skelir in einer Fantan-Flunder auf der Oberfläche des Mondes befunden. Skelir hatte ihn, Sid González, den Ilt Gucky und den Ara Fulkar gerade von ihrer seltsamen Krankheit geheilt, die sie kurz zuvor befallen hatte. Seinen Worten zufolge hatten sie sich an Bord der Fantan-Raumstation MYRANAR eine Infektion zugezogen, als die Fantan Ende Juli über die Erde hergefallen waren und Manoli und die anderen zeitweise als Besun entführt hatten.
Ganz uneigennützig hatte Skelir ihn nicht gerettet. Er erhoffte sich von Manoli, dass dieser Sue für ihn fand, jenes tapfere kleine Mutantenmädchen, das dem Fantan so nahestand, weil es, genau wie er, nicht nur gesunde Gliedmaßen besaß, sondern einen verkrüppelten Arm hatte. Denn auch Sue war ehemaliges Besun und daher womöglich krank. Sie mochte sterben, wenn Manoli sie nicht aufspürte.
»Sie müssen sie benachrichtigen«, hatte Skelir ihn gedrängt.
»Ich fürchte, das steht nicht in unserer Macht«, hatte Manoli eingewandt. »Sue und Reginald sind vor ... drei Wochen, glaube ich ... durch einen Transmitter gegangen und seitdem nicht zurückgekehrt.«
»Sie könnten ihnen folgen«, hatte Skelir vorgeschlagen.
»Wenn es so einfach wäre! Das Ziel, auf das der Transmitter programmiert war, reagiert nicht mehr. Und kein anderer Transmitter, den wir kennen, führt das Ziel auf. Perry und seine Kameraden sind verschollen. Wir sind vollkommen hilflos.«
Und dann hatte der Fantan ihm sein größtes, sein geheimstes Besun gezeigt: einen Transmitter unter der Oberfläche des Mondes. Sie hatten viel über Vertrauen gesprochen, ja nachgerade Brüderschaft getrunken. Und dann war Manoli, gekleidet in einen arkonidischen Kampfanzug und ausgestattet mit einem kleinen Überlebenstornister voller Feldrationen und Nährstofflösung, durch den kathedralenförmigen, mattweißen Bogen des Transmitters getreten ...
... nur um hier zu landen!
Manoli stand auf und schüttelte seine schmerzenden Glieder aus. Anschließend tappte er barfuß über den mit an Terrakotta erinnernden Steinplatten gefliesten Boden zu dem einzigen Fenster hin. Er stieß die Fensterläden auf, deren Beschaffenheit aus dunklen, gitterartigen Holzstäben nicht der Armut ihres Besitzers geschuldet war, sondern die eindeutig als Zierwerk dieses ganz speziellen Gebäudes dienten.
Vor ihm breitete sich das Panorama der dampfenden Stadt aus. Ein Wald aus stalagmitenartigen Türmen ragte vor Manoli auf. Manche bestanden aus Metall, die meisten aus ockerfarbenem bis rotbraunem Stein. Auf vielen waren kugel- oder tellerförmige Wohneinheiten aufgespießt, einzeln oder in Dreierkonstellationen wie Fleisch oder Gemüse auf einem griechischen Souvlaki. In der Höhe variierten sie zwischen zwanzig und zweihundert Metern, wobei der Großteil in diesem Teil der Stadt eher kleiner war, höchstens vierzig Meter hoch.
Zwischen den Wohntürmen drängten sich flachere Gebäude: Schuppen, Buden, Lager, Garagen. Dicht und ohne jede erkennbare Ordnung füllten sie die Räume zwischen den Säulen wie wild wucherndes Unterholz den Waldboden zwischen aufragenden Bäumen. Kabel und Rohre spannten sich zwischen den Bauwerken, ebenso wie schmale, halsbrecherisch instabil wirkende Brücken und Gehwege, die im Zickzack zwischen den Türmen durch die Luft führten und von farbigen Lampions erhellt wurden, der hiesigen Vorstellung von Straßenbeleuchtung.
Dazu gesellten sich die blinkenden Schilder von Geschäften, der Schein von zwischen den Türmen aufgehängten elektronischen Reklametafeln und das Licht aus unzähligen offen stehenden Türen und Fenstern. Das Draußen und das Drinnen waren an diesem Ort Sphären, die erstaunlich fließend ineinander übergingen.
Manoli sah einen Mann, der es sich vor einem schäbigen Schuppen auf einer Sitzgelegenheit bequem gemacht hatte. Neben ihm befand sich ein eiförmiger Grill, auf dem hühnchenartiges Fleisch briet. Ein paar Kinder hockten im Schatten eines Turms und boten auf Wolldecken Waren an, die ihnen höchstwahrscheinlich vor wenigen Tagen noch nicht gehört hatten und für die auch sicher nicht bezahlt worden war. Auf einem Flachdach hängte eine Frau in der Hoffnung, dass nachmittags noch die Sonnen herauskamen, Wäsche auf. Und Dutzende von Passanten drängten sich durch die schmalen Gassen zwischen den Gebäuden, wobei ein nicht geringer Anteil, wie Manoli wusste, in durchaus fragwürdigen Geschäften unterwegs war.
Exotische Geräusche und Gerüche wehten zu ihm her. Bis vor Kurzem hatte er ihnen noch keine Bedeutung zuweisen können. Jetzt wusste er, dass das jaulende Klagen einer Chrymasi geschuldet war, einer Art Saiteninstrument, das bei Straßenkünstlern sehr beliebt war. Und das ferne Stampfen und Zischen stammte nicht aus einer Fertigungsanlage, sondern aus dem Musikkubus irgendeines Halbstarken, der lauten Sprechgesang hörte. Der an Honig erinnernde Duft drang aus einer nahen Bäckerei, in der frische Zefsha, eine preiswerte Süßspeise, zubereitet wurden. Und die bittere Note von Teer stieg unter dem Deckel irgendeiner Ahsish hervor, die sich wohl am besten mit einer Wasserpfeife vergleichen ließ.
Über alldem lag ein leichter Dunst, und der Himmel spannte sich in blassem Violett über Manolis Kopf.
Das war das Getto Khir-Teyal, sein gegenwärtiger Zufluchtsort auf Topsid.
Fast drei Monate bin ich jetzt schon hier, dachte Manoli. Der erste und einzige Mensch auf einem Planeten voller Echsen.
Es werde Licht
Nördlich von Terrania, 5. Januar 2037
Ein schneidend kalter Wind wehte über die Berge beinahe hundert Kilometer nördlich von Terrania. Der Himmel erstrahlte an diesem Spätnachmittag in prachtvollen Farben, und man hatte das Gefühl, bis zur Unendlichkeit blicken zu können.
Und noch viel weiter, dachte Bai Jun. Der Bürgermeister von Terrania kniff die Augen zusammen und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Dort hinten, in der Ebene zu seinen Füßen und nur als dunkler, verschwommener Fleck am Horizont erkennbar, lag Terrania, das Herz und die Hauptstadt der Terranischen Union, Perry Rhodans Vision einer geeinten Menschheit.
Aus seinem Zentrum glaubte Bai Jun die schlanke Nadel des Stardust Towers aufragen zu sehen, der sich bereits zwei Kilometer über die Stadt erhob und trotzdem immer noch weiterwuchs. Bai Jun erinnerte sich daran, dass Lesly K. Pounder ihn mal einen modernen Turm zu Babel genannt hatte.
»Doch er ist das genaue Gegenteil«, hatte der ehemalige Chef der NASA hinzugefügt. »Der Turmbau zu Babel wurde damals von einem ängstlichen Gott als Gefahr empfunden, worauf er den Menschen ihre gemeinsame Sprache nahm und sie über die ganze Erde zerstreute. Der Stardust Tower führt die Menschheit nun wieder zusammen. Er ist ein Symbol der Völkerverständigung, die durch Erfindungen wie das Echtzeit-Übersetzungsnetz TerraNet, die Kunstsprache Terranisch und diese neu entwickelten Translatorpositroniken Realität wird.«
Bai Jun hatte nur gelächelt. »Erzählen Sie das lieber nicht einem Ihrer Religionswissenschaftler. Es könnte in seinen Ohren so klingen, als hätten Sie mit Ihrem Gott noch eine Rechnung offen.«
Der Bürgermeister von Terrania blinzelte und richtete seine Aufmerksamkeit auf seine unmittelbare Umgebung. Er befand sich am Eingang eines schmalen Hochtals, das wie mit einem Messer geschnitten den von Westen nach Osten verlaufenden Gebirgszug des Yinshan-Gebirges teilte. Eine gewundene, in aller Eile asphaltierte Straße war der einzige Zugang zu diesem Ort.
Zur Linken und zur Rechten ragten die Gipfel der Zweitausender auf, das Tal selbst verjüngte sich bereits nach wenigen hundert Metern und endete an einer steilen Felswand. Eine riesige weißgraue Betonstruktur war vor die Bergflanke gesetzt worden, die Fassade und der Eingang zu einem unterirdischen Komplex, dessen Inbetriebnahme der Anlass für Bai Juns Anwesenheit hier draußen war.
Das Projekt trug den chinesischen Namen Guanghui – Glorienschein –, und auf den ersten Blick machte es wenig Eindruck. Abgesehen von der Gebäudefassade waren nur eine Reihe Starkstromleitungen zu sehen, die aus dem Inneren des Berges ans Tageslicht kamen und sich in einer langen, schnurgeraden Linie den Hang hinunter und quer über die Ebene in Richtung Terrania erstreckten.
Dennoch handelte es sich bei Guanghui um einen Meilenstein in der Entwicklung Terranias. Seit Monaten stellte die Energieversorgung der rasant wachsenden Hauptstadt der Terranischen Union ein Problem dar, das nach einer Lösung gefordert hatte. Bislang hatte eine Mischung aus arkonidischen Energiezellen und herkömmlichen irdischen Technologien die Stadt provisorisch mit Strom versorgt. Doch wirklich zukunftsträchtig war dieser Ansatz nicht gewesen.
Mit Projekt Guanghui änderte sich nun alles. Dahinter verbarg sich die feste Installation eines arkonidischen Fusionsreaktors, der von Spezialisten aus der Venus-Zuflucht geholt und zerlegt mithilfe der NESBITT-BRECK zur Erde gebracht worden war. Wenn die Spezifikationen, die man Bai Jun vorgelegt hatte, nicht trogen, würde dieser Reaktor, der nun unter der Erde und gut bewacht das eindrucksvolle Kernstück der Anlage bildete, Terrania eine ganze Weile lang mit sicherer, sauberer Energie versorgen. Damit blieb der Menschheit genug Zeit, ihre eigenen Technologien weiterzuentwickeln, um Guanghui 1 weitere Reaktoren zur Seite zu stellen, sollte das in Zukunft irgendwann nötig werden.
Um dies zu feiern, war nicht nur Bai Jun mit seinem Assistenten Lhundup hierhergekommen. Tausende Schaulustige hatte es ins Yinshan-Gebirge gelockt. Mit Bussen und offenen Lastwagen waren sie gekommen, um dem symbolischen Umlegen des Schalthebels zur Aktivierung des Fusionsreaktors beizuwohnen. Noch viel mehr Menschen warteten in den Straßen von Terrania selbst darauf, dass es Licht werde. Die Stimmung war ausgelassen und voller Optimismus. Guanghui 1 wurde von allen Bewohnern als Segen empfunden.
»Bürgermeister, kommen Sie bitte. Es geht los.« Eine dunkelhäutige Frau in dem weißblauen Businesskostüm des Guanghui-Personals berührte Bai Jun am Arm.
»Natürlich«, bestätigte er. »Lhundup!« Suchend sah er sich nach seinem Assistenten um. Der junge Tibeter mit dem dichten schwarzen Haar, das trotz regelmäßiger Friseurbesuche irgendwie immer verstrubbelt wirkte, unterhielt sich einige Meter weiter mit einer blonden Frau, die Bai Jun auf den ersten Blick als Reporterin erkannte. Der Bürgermeister hoffte, dass Lhundup ihr bloß wieder eine Lebensweisheit von seinem Onkel Dalaimoc ins Headset diktierte.
Ganz sicher konnte er sich da jedoch nicht sein. Lhundup war ein guter Junge, aufmerksam und treu wie einer der Hütehunde der Hirtenleute in den ausgedehnten Hochlandsteppen des Changthang in Nordwesttibet, von denen er abstammte. Aber er besaß ein etwas schlichtes Gemüt, dem die Feinheiten des Lebens auf der politischen Bühne abgingen. Beispielsweise, dass man nicht immer die Wahrheit sagen musste. Und dass Schweigen manchmal die einzig richtige Antwort auf eine unangenehme Frage war.
Andererseits schätzte Bai Jun den Jungen genau wegen dieser Eigenschaften. Er verstellte sich nicht, sondern sagte geradeheraus, was er dachte. Für Bai Jun bildete er eine Art Anker in einer Welt, die sich seit einigen Monaten geradezu schwindelerregend schnell drehte. Vielleicht hatte er den Jungen genau deshalb als Assistenten genommen, obwohl ihn weder seine Herkunft noch sein Lebenslauf als einfacher Infanterist der chinesischen Armee dazu prädestiniert hatten.
Bai Jun vermochte gar nicht mehr zu sagen, wann er Lhundup eigentlich kennengelernt hatte. Irgendwann nach der Erstürmung Terranias, nach der Lossagung von der chinesischen Regierung und nach dem Tod seines früheren Adjutanten He Jian-Dong war der Junge einfach aufgetaucht. Wann immer sich Bai Jun in der Öffentlichkeit gezeigt hatte, hatte Lhundup bereits auf ihn gewartet.
Schließlich hatte ihn der Bürgermeister gefragt, ob er etwas für ihn tun könne.
»Ich möchte dich begleiten«, hatte der kleine, aber kräftige Tibeter geantwortet. Es war eine absurde und in ihrer Direktheit fast unverschämte Aussage gewesen – ganz abgesehen davon, dass Lhundup ihn geduzt hatte wie einen alten Freund, statt ihn mit dem Respekt zu behandeln, der ihm als Exgeneral und Bürgermeister zustand.
»Wie kommen Sie darauf, dass ich einen Begleiter brauchte?«, hatte Bai Jun erstaunt gefragt.
Die Antwort würde er nie vergessen. »Ich sehe, dass du einsam bist«, sagte Lhundup.
Bai Jun hatte das für einen schlechten Scherz gehalten. Er erinnerte sich noch gut daran, mit selbstbewusstem Lächeln das Gegenteil behauptet zu haben. Doch die Ernsthaftigkeit in Lhundups Gesicht hatte ihn noch den ganzen Tag verfolgt. Und die ganze Nacht. Und er hatte erkannt, dass dieser scheinbar einfältige junge Mann innerhalb weniger Begegnungen tiefer in Bai Juns Herz geblickt hatte als viele Menschen, die tagtäglich um ihn herum waren.
Gleich am nächsten Morgen hatte er eine Ordonnanz losgeschickt, um Lhundup zu suchen und ihm mitzuteilen, dass Bai Jun beabsichtige, ihn als seinen persönlichen Assistenten einzustellen.
Seitdem wich der junge Mann kaum von seiner Seite. Und obwohl ihm die große Weltpolitik nach wie vor völlig fremd war, hatte er Bai Jun bereits mehr als einmal durch seine ungewöhnliche, vom einfachen Leben in der tibetischen Steppe geprägte Weisheit überrascht. Bai Jun wollte seine Gesellschaft nicht mehr missen – auch wenn es Lhundup nach wie vor gelegentlich an Respekt mangelte.
»Lhundup!«, wiederholte der Bürgermeister etwas lauter. »Man wartet auf uns!«
Endlich löste sich der junge Tibeter mit einer artigen Verbeugung von seiner Gesprächspartnerin und eilte zu Bai Jun. »Verzeih mir«, sagte er. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Diese junge Frau hatte so viele Fragen über mein Leben. Wir hätten noch Stunden reden können.«
»Nicht heute, Lhundup. Wir haben eine wichtige Aufgabe vor uns.«
»Welche?«
»Gut auszusehen«, antwortete Bai Jun.
Sie folgten der dunkelhäutigen Angestellten der Stromgesellschaft zu der provisorisch errichteten Plattform aus Holzplatten und Metallverstrebungen, auf der die Eröffnungszeremonie stattfinden würde. In der Mitte stand ein schlichtes Rednerpult, von dem das Banner der Terranischen Union, die Milchstraße auf blauem Grund, herabhing. Am hinteren Ende der Tribüne war eine riesige Leinwand aufgestellt worden, auf der die Skyline von Terrania aus einer Entfernung von vielleicht zehn Kilometern zu sehen war.
Oben auf der Tribüne erwarteten sie bereits eine Reihe weiterer Politiker und Industrieller, die auf unterschiedliche Weise an dem Projekt mitgearbeitet hatten. Auch Administrator Homer G. Adams war zugegen. Er war, wie Bai Jun wusste, soeben erst von einem dreitägigen Besuch der Venus-Zuflucht zurückgekehrt und hätte es beinahe nicht pünktlich zu diesem Termin geschafft. Nur ein rascher Hubschraubertransfer vom im Bau befindlichen Raumhafen Terranias hierher hatte seine Anwesenheit möglich gemacht. Nun unterhielt er sich gerade mit dem Projektleiter, einem hageren russischen Energieingenieur namens Aleksander Sacharow, und wartete darauf, dass ihm das Zeichen gegeben wurde, ans Rednerpult zu treten.
Ein Techniker in einem blauweißen Overall reckte den Kopf über den Rand der Tribüne und hob einen Daumen. Alles war vorbereitet. Es konnte losgehen.
Mit langsamen Schritten trat Adams an das Rednerpult. Wegen der eisigen Kälte trug er einen dicken Parka, aber Bai Jun wäre jede Wette eingegangen, dass sich darunter dasselbe fadenscheinige Jackett mit den geflickten Ellbogen verbarg, das der bucklige alte Mann anscheinend immer anhatte. Ungeachtet seines herausragenden Amtes und der unzähligen Milliarden auf dem Konto – oder vielleicht gerade deswegen – nahm sich Adams die Freiheit, wie ein Rentner mit bescheidenem Einkommen herumzulaufen, der im Central Park in New York City die Tauben fütterte und auf einen Partner zum Schachspielen wartete.
Bai Jun, der in einer Welt der Etikette, der Hierarchien und korrekten Umgangsformen aufgewachsen war, hatte diese Marotte nie verstanden. In seinen Augen geziemte sich solch ein Aufzug einfach nicht für einen Mann von Adams' Stand. Und das war nur einer von mehreren Aspekten, die ihn nach wie vor bedauern ließen, dass nicht Perry Rhodan, ein Mann von echtem Format, sondern Adams den Posten des Administrators der Terranischen Union erhalten hatte. Auch wenn man dem Exindustriellen und Philanthropen zugutehalten musste, bereits viel für die Verwirklichung des Traums einer geeinten Menschheit getan zu haben.
Adams ließ seinen Blick über die versammelte Menge schweifen und gab ihr einen Augenblick Zeit, ruhig zu werden. Dann begann er zu sprechen, durch TerraNet simultan übersetzt, damit alle Anwesenden ihn verstehen konnten. »Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. So heißt es in einem alten Sprichwort. Und doch war Rom schließlich eine der prächtigsten Städte der Antike, ein strahlendes Licht der Zivilisation. Natürlich ...« Er hob beschwichtigend die Hände. »... war es zugleich das Herz eines in Eroberungsfeldzügen begründeten Reiches – deshalb will ich diesen Vergleich nicht zu weit treiben.«
Ein paar vereinzelte Lacher quittierten diese Aussage.
»Worauf ich hinauswill, ist vielmehr dies. Auch Terrania wird nicht an einem Tag erbaut. Das kann niemand leugnen. Die Umstände, unter denen einige von euch leben müssen, sind nach wir vor unerfreulicher, als sie es sein sollten. Dessen bin ich mir wohl bewusst, und ich kämpfe jeden Tag darum, ein Problem nach dem anderen zu beheben. Aber Grund zum Verzagen haben wir trotzdem nicht. In den letzten Monaten haben wir alle gemeinsam schon unglaublich viel erreicht ...«
Er blickte auf das vergangene halbe Jahr zurück und pries die Fortschritte, die Terrania seitdem gemacht hatte. Das gehörte eben zu den Dingen, die man bei solchen Anlässen zu tun pflegte.
Bai Jun spürte, wie seine Aufmerksamkeit nachließ. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken, sondern schaute mit einer Maske ernster Aufmerksamkeit zu Adams hinüber. Doch wenn er ehrlich zu sich selbst war, kam ihm seine Anwesenheit wie verschwendete Zeit vor. Es war nicht nötig, dass er neben dem Administrator der Terranischen Union stand und ihm die Hand hielt. Außerdem hatte er in seinem Leben schon zu viele Reden über sich ergehen lassen müssen.
Eigentlich wäre es als Bürgermeister Bai Juns Aufgabe gewesen, diese Rede zu halten und den symbolischen Schalter umzulegen, der den Fusionsreaktor in Betrieb nahm. In jeder anderen Stadt hätte sich das so abgespielt. Aber Terrania war nicht irgendeine Metropole. Sie war die Hauptstadt der ganzen Welt – etwas, das es so auf der Erde noch nie gegeben hatte. Das Gleiche galt für den Posten des Administrators, den Adams innehatte. Aus diesem Grund hielten es alle Beteiligten des Inneren Regierungskreises für richtig und wichtig, dass der alte Mann und die junge Stadt, beides Symbole der neuen, geeinten Menschheit, so häufig wie möglich gemeinsam in den Medien auftauchten.
Bai Juns Funktion als Bürgermeister wiederum war bestenfalls mit dem Rang eines Ersten Offiziers an Bord des »Raumschiffs Terrania« vergleichbar. Er hielt Adams den Rücken frei, kümmerte sich ums Alltagsgeschäft und sorgte dafür, dass alles in geordneten Bahnen verlief. Viel Ruhm erntete er damit nicht in diesen Tagen.