Perry Rhodan Neo 6: Die dunklen Zwillinge - Frank Borsch - E-Book

Perry Rhodan Neo 6: Die dunklen Zwillinge E-Book

Frank Borsch

3,0

Beschreibung

Das Jahr 2036: Seit ihrer Landung mit dem Raumschiff STARDUST sitzen Perry Rhodan und Reginald Bull in der Wüste Gobi fest. Die beiden Astronauten werden durch eine Energiekuppel vor den Angriffen der chinesischen Armee geschützt. Aber langfristig scheinen die Belagerten keine Chance zu haben. Doch Perry Rhodan hält an seiner Vision fest. Er will die Menschheit einigen, will den drohenden Weltkrieg verhindern. Und er hofft, einen Teil der Technik der menschenähnlichen Arkoniden übernehmen zu können, die auf dem Mond gestrandet sind. Ein Großteil wurde durch eine Explosion zerstört. Doch dem einzigen Arkoniden, der sich auf der Erde aufhält, wird der Prozess gemacht, und ihm droht das Todesurteil. In dieser Zeit erreicht eine Gruppe von Menschen mit besonderen Fähigkeiten die Wüste Gobi. Sie wollen Perry Rhodan unterstützen. Was sie nicht ahnen: Eine tödliche Gefahr wartet auf sie ...

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Band 6

Die dunklen Zwillinge

von Frank Borsch

Das Jahr 2036: Seit ihrer Landung mit dem Raumschiff STARDUST sitzen Perry Rhodan und Reginald Bull in der Wüste Gobi fest. Die beiden Astronauten werden durch eine Energiekuppel vor den Angriffen der chinesischen Armee geschützt. Aber langfristig scheinen die Belagerten keine Chance zu haben.

Doch Perry Rhodan hält an seiner Vision fest. Er will die Menschheit einigen, will den drohenden Weltkrieg verhindern. Und er hofft, einen Teil der Technik der menschenähnlichen Arkoniden übernehmen zu können, die auf dem Mond gestrandet sind. Ein Großteil wurde durch eine Explosion zerstört. Doch dem einzigen Arkoniden, der sich auf der Erde aufhält, wird der Prozess gemacht, und ihm droht das Todesurteil.

1.

7. Juli 2036

»Es kann losgehen!«

Sid González kam ihnen winkend über den Strand von Owey Island entgegengerannt, nachdem er den »Schatz« im Sand vergraben hatte. Er trug einen langen Parka und darunter ein Fleece.

Sid fror. Wie sie alle.

Owey Island war den Winden des Atlantiks nahezu ungeschützt ausgeliefert. Selbst im Juli blies einem die stete, oft feuchte Brise die Wärme aus den Knochen.

John Marshall schlug den Kragen höher. Diese winzige Insel vor der Westküste Irlands musste wohl der unpassendste Fleck der Erde sein, um Wüste zu spielen.

Und dennoch taten sie es.

Weil ein junger Latino mit einer unheimlich anmutenden Gabe es so wollte.

»Seid ihr bereit?« Sid blieb vor ihnen stehen und zog Parka und Fleece aus. Der Wind ließ das T-Shirt flattern, das ihm viel zu groß war. Er hielt ihnen die Hände hin. John nahm die Linke des Jungen.

Die Haut der Finger und Handflächen war ungewöhnlich hell und weich. Früher hatte sich John gewundert, welcher genetischen Laune der Natur diese unpassende Bleichheit zu verdanken war. Seit er den Jungen Sid mental auf der Reise in seine Vergangenheit begleitet hatte, wusste er, woher die bleiche Haut rührte. Sie war das Werk eines Menschen. Eines Menschen, der von sich geglaubt hatte, in bester Absicht zu handeln.

Die Erinnerung, die zum Teil seines eigenen Erlebens geworden war, ließ Übelkeit in John Marshall aufsteigen, Wut. Er unterdrückte die Aufwallung, die nicht die seine war, und nahm Sids Hand. John war ein Telepath. Er vermochte es, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Er erfuhr, was sie beschäftigte, erkannte Geheimnisse, die oft den betreffenden Menschen selbst verborgen geblieben waren.

Und er fühlte mit ihnen. Passte er nicht auf, wurden ihre Sorgen zu seinen, ihre Ängste zu den seinen, verlor er sich schließlich selbst.

Wuriu Sengu nahm die rechte Hand Sids. Auch der stämmige Japaner, der seine schwarzen Haare stets mit Gel zu Stacheln formte, hatte eine übersinnliche Gabe.

Seine Familie stammte aus der Präfektur Fukushima. Wurius schwangere Mutter hatte sich nach den Kernschmelzen der nahen Atommeiler wochenlang vor den Evakuierungstrupps versteckt. Sie hatte gespürt, dass sie ihre Heimat niemals wiedersehen würde, sollte sie sie aufgeben. Schließlich hatte die Armee sie gefunden und mitgenommen. Sengus Mutter hatte recht behalten: Sie war einige Jahre später in einer Flüchtlingsunterkunft gestorben. Krebs. Ausgelöst durch dieselbe Strahlung, die ihrem Sohn mutmaßlich eine Gabe geschenkt hatte, die keinem anderen Menschen der Erde gegeben war.

Neben ihnen fassten sich Ras Tschubai und Anne Sloane an den Händen.

Ras war ein hochgewachsener, athletischer Mann mit tiefschwarzer Haut und ein Teleporter wie Sid González. Im Grundsatz wenigstens. Beide vermochten mittels einer Willensanstrengung ihre Körper von einem Ort an einen anderen zu versetzen. Doch die Gabe Ras Tschubais hinkte der Sids weit hinterher. Und das trotz der Gewissenhaftigkeit des Sudanesen, der einem strikten, selbst auferlegten Trainingsprogramm folgte.

Mit Rücksicht auf Ras' Beschränkungen hatte Sid ihm Anne zugeteilt. Die Telekinetin war schlank und leicht. Eine Last, hofften sie, die Ras zu bewältigen vermochte. John vermied es Anne anzusehen. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, aber für Gefühle wie diese, ermahnte er sich, war in diesem Augenblick kein Platz. Später. Sollte es ein Später geben.

Sid nickte zufrieden, dann sprach er in das Headset seines Funkgeräts: »Allan, wir sind so weit. Wie steht es bei dir?«

»Ich bin so gut wie erfroren«, kam die Antwort, die John über sein Headset mithörte, »und Sue wird gleich von der nächsten Böe weggeweht. Also los jetzt!«

John drehte den Kopf und sah in einigen Hundert Metern Entfernung auf dem höchsten Punkt von Owey Island zwei Menschen stehen. Einen Mann mit einem Gewehr und ein Kind.

Sie waren ein ungleiches Paar. Allan Mercant, der alte Geheimdienstler, der sich aus dem Ringen der Großmächte verabschiedet hatte, das seinen Lebenssinn ausgemacht hatte. Und Sue, das Mädchen mit dem Armstumpf, das im Körper eines Kindes feststeckte und sich nichts mehr wünschte, als wie alle anderen zu sein, akzeptiert zu werden. Sue hatte an Sids Sturm über den Strand teilnehmen wollen.

»Wozu?«, hatte Sid sie in der schroffen Art abgewiesen, die Teenagern zu eigen ist. »Du kannst nichts, was uns nützen könnte!«

»Es geht gleich los!«, beschied Sid Mercant. Er wandte sich an die Mutanten. »Ihr wisst, was auf dem Spiel steht. Perry Rhodan ist in Bedrängnis. Die Chinesen belagern ihn und seine Gefährten in der Gobi. Nur der Energieschirm der Arkoniden schützt ihn. Aber wie lange noch? Rhodan braucht Hilfe – und wir werden sie ihm bringen. Aber zuerst müssen wir üben. Konzentriert euch!« Sid González holte tief Luft, schloss die Augen und zischte: »Los!«

Es war, als hätte der Junge aus dem Nichts heraus ein Gewitter heraufbeschworen. Funken schlugen aus dem Nichts, hüllten Sid, Wuriu und John ein. Der Telepath spürte eine Hitzewelle, die seinem durchgefrorenen Körper wie ein Gluthauch anmutete ...

... und einen Augenblick später fand er sich in einem Funkenmeer über zweihundert Meter weiter nördlich am Strand wieder. Der Punkt lag in der Mitte der beiden Markierungen, die Sid mit einer Eisenstange in den Sand getrieben hatte. Die äußere stand für den Belagerungsring der chinesischen Armee, die innere für den arkonidischen Energieschirm, ihr Ziel.

Sid ließ los. Seine Hände waren schweißfeucht, wie sein ganzer Körper. Seine Psi-Gabe benötigte Energien, die der Organismus nur mit Mühe aufbringen konnte – und, hatte er es vollbracht, nur mit Mühe zu bewältigen vermochte.

John wartete darauf, dass Ras und Anne neben ihnen aus dem Nichts erschienen, aber sie kamen nicht. Wo blieben sie?

Er drehte sich um. Sie waren weit zurückgeblieben, noch vor der Markierung, die für die chinesische Armee stand.

Kein gutes Zeichen.

»Worauf wartet ihr?«, rief Sid, als die beiden sich nicht rührten. »Kommt!« Er winkte ihnen zu.

Ras und Anne rannten über den Strand. Es war dem Sudanesen anzusehen, dass er sich für seine Unzulänglichkeit schämte.

Ras und Anne schlossen auf. Auch der Sudanese war schweißgebadet. Er hatte gegeben, was er geben konnte. Sid ließ ihm keine Gelegenheit für die Entschuldigungen, die Ras auf der Zunge liegen mussten.

»Los, weiter!«, rief Sid. Er rannte los. John und die Übrigen folgten ihm. »Eng beieinanderbleiben!«

Sie rückten so nah zusammen, dass sie beim Laufen mit den Ellenbogen aneinanderstießen.

»Anne! Du bist dran! Der Schild!«

»Sofort!«, antwortete die Telekinetin. Sie stöhnte, ihr Atem beschleunigte sich zu einem keuchenden Hecheln. Schweißperlen traten mit einer Plötzlichkeit auf ihre Stirn, als hätte jemand in ihrem Inneren einen Schalter umgelegt.

Der Anblick befremdete John. Anne Sloane war eine drahtige Sportlerin, der Lauf über den Strand bedeutete keine nennenswerte Anstrengung für sie.

Doch ihr Geist leistete Schwerarbeit. Mittels ihre Psi-Gabe vermochte Anne Sloane Gegenstände zu bewegen, ohne sie zu berühren. Jetzt versuchte sie sich daran, in ihrem Rücken eine unsichtbare Barriere zu erzeugen, ähnlich des arkonidischen Energieschirms.

Sie brauchten diesen Schild, sollte ihr Plan nicht selbstmörderisch sein. Die chinesischen Belagerer schossen scharf auf jeden, der sich in die Sperrzone vor dem Schirm wagte.

Schüsse knallten.

Sie stammten von Allan Mercant, der wie verabredet auf die Mutanten feuerte.

John hörte dumpfe Schläge, wandte im Rennen den Kopf und sah Gummigeschosse gegen eine unsichtbare Wand prallen und wie platt getretene Kaugummis in den Sand fallen.

Sid hatte auf die Schüsse bestanden, des Realismus wegen. Mercant hatte ohne zu zögern seinem Wunsch entsprochen. John, der Einblick in die Gefühlswelt Mercants hatte, wusste, dass dieser im Grunde ein sanfter Mann war – tief drinnen. Nach außen hin war er ebenso hart im Geben wie im Nehmen.

Geschoss um Geschoss rammte in die unsichtbare Wand und fiel in den Sand, als sie über den Strand rannten. Schließlich erreichten sie unbeschadet die Linie aus Steinen, die für den Energieschirm stand. Sid warf sich der Länge nach hin, die Übrigen folgten seinem Beispiel. Feuchter Sand wirbelte auf, geriet in Johns Mund. Er knirschte rau und schmeckte nach vergammeltem Fisch. John spuckte ihn aus und fragte sich, wie der Sand der Wüste Gobi schmecken würde.

Und, sollten sie diesen Punkt überhaupt erreichen, was der Anblick des Energieschirms in ihm auslösen würde. Er durchmaß einen Kilometer und reichte einen halben Kilometer hoch in den Himmel. Der Schirm hätte genügt, Owey Island komplett einzuschließen. Eine gigantische Kuppel, die je nach Lichteinfall zuweilen unsichtbar war, in den Farben des Regenbogens glitzerte oder wie eine Milchglasscheibe wirkte.

Niemand auf der Erde wusste, wie er erzeugt wurde, ja nicht einmal die physikalischen Prinzipien, auf denen der Schirm fußte, waren ersichtlich.

Doch zwei Dinge standen fest: Der Schirm war unüberwindlich und tödlich. Eine bloße Berührung genügte. Wollten sie zu Rhodan vordringen, mussten sie sich etwas einfallen lassen. Etwas, auf das kein anderer Mensch bisher gekommen war. Sid González glaubte, das Unmögliche möglich machen zu können – dank ihrer Psi-Gaben.

»Wuriu!«, brüllte der Latino, dessen Stirn beinahe die Linie aus Steinen berührte. »Du bist dran!«

Der Japaner schloss die Augen – und öffnete seine Psi-Sinne. Sie hatten Wuriu Sengus Gabe »Spähen« getauft. Wuriu vermochte durch feste Materie zu sehen, als existiere sie nicht. Bis zu einer gewissen Entfernung, bis zu einer gewissen Dicke.

Die Finger des Japaners gruben sich in den Sand.

Wuriu gab alles. Aber würde es genügen? John Marshall hatte seine Zweifel. Stellte der Energieschirm eine Barriere für die Späher-Gabe des Japaners dar? Es war gut möglich. Es schien ihnen zumindest so plausibel, dass selbst Sid nicht auf den Gedanken kam, zu versuchen, durch den Schirm zu springen.

Und selbst wenn es Wuriu gelang, durch den Schirm zu sehen, blieb immer noch die gewöhnliche Wüstenerde als Hindernis. Rhodan und seine Gefährten hatten sich unter die Oberfläche der Wüste verkrochen, möglicherweise Dutzende von Metern tief. Und ihr Versteck mochte sich an einem beliebigen Punkt innerhalb des Kreises befinden, den der arkonidische Schutzschirm abdeckte. Ein Kreis mit einem Durchmesser von einem Kilometer.

Hier im Parcours, den Sid für sie aufgebaut hatte, war Wurius Aufgabe überschaubar. Sid hatte hinter der Linie aus Steinen mehrere Löcher in den Sand gegraben und wieder zugeschüttet. In einem von ihnen hatte er einen Gegenstand deponiert, den Schatz. Wuriu musste den Schatz finden.

Schweiß trat auf die Stirn des Japaners, rann ihm in die Augen. Er verzog das Gesicht. Adern traten auf seiner Stirn und am Hals hervor. Er krümmte sich.

Mercant schoss weiter, verlegte sich jetzt darauf, immer wieder Gummigeschosse in den Sand links und rechts von ihnen zu zielen. Sie bohrten sich tief in den Boden, wühlten kleine Fontänen von Staub auf. Ein geschickter Schachzug. Auf diese Weise gefährdete er die Mutanten nicht, sollte der telekinetische Schirm Annes löchrig werden. Und gleichzeitig stellten die Staubfontänen ihre Nerven auf eine harte Probe.

»Wuriu, was ist?«, drängte Sid. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«

»Gleich ... ich ... brauche noch etwas ...«

Ein weiterer Schuss. Er rammte in den telekinetischen Schild Annes und durchschlug ihn. Ein Gummigeschoss, platt gedrückt und seiner Durchschlagskraft beraubt, fiel neben Johns Kopf zu Boden.

Anne war am Ende ihrer Kräfte angelangt.

»Jetzt oder nie, Wuriu!«, brüllte Sid. »Mach schon!«

»Ich mache ja schon!«, brüllte der Japaner zurück. Er hielt die Luft an, wand sich wie eine Schlange im Sand, während er fieberhaft seine gesamte Konzentration auf seine innere Wahrnehmung richtete.

Es genügte nicht.

Mit einem Schlag verließ die Spannung den Körper des Japaners. Er öffnete die Augen. Tränen der Wut und der Scham über das eigene Versagen glitzerten in ihnen. »Tut mir leid, Sid«, brachte er hervor. »Es geht nicht.«

Der Latino musterte sein Gegenüber einige Augenblicke lang mit offenem Mund, als könne er nicht glauben, was er eben gehört hatte. Dann schluckte er laut. »Das macht nichts, Wuriu. Das wird werden. Wir arbeiten daran, ja?« Er drehte sich weg und sagte: »John, du bist an der Reihe!«

»Was?«, fragte der Telepath überrascht. »Wie kommst du darauf?«

Er wusste nicht, was Sid meinte. Der Plan sah vor, dass Wuriu Sengu Rhodan oder einen seiner Gefährten fand. Dann sollten sie zusammen ein weiteres Mal einen mentalen Block bilden, und Marshall würde seine telepathischen Fühler ausstrecken und der gefundenen Person eine Nachricht zukommen lassen – woraufhin diese ihnen eine Lücke im Schirm öffnete. Es war ein verwegener Plan. Höflich ausgedrückt.

Es war eine Sache, Gedanken zu lesen. Aber die eigenen Gedanken zu einem anderen Menschen zu übertragen ... es schien John Marshall nicht unmöglich. Aber es war ein fernes Ziel, das er nach langen Jahren der kontinuierlichen Übung vielleicht zu erreichen vermochte. Sid erwartete es von ihm hier und jetzt.

»Lies in meinen Gedanken!«, forderte der Junge ihn auf. »Der Übung halber.«

John tat es. Er tauchte in die mentale Welt des Latinos ein. Er ignorierte die grimmige Entschlossenheit des Jungen, seine Angst, dass sie zu spät kommen könnten, um Rhodan zu retten, seine Sehnsucht nach anderen, besseren Welten, und konzentrierte sich auf die vergangenen Minuten.

John Marshall wurde zu Sid. Er spürte den Sand an seinen Knien, die klamme Nässe, die durch den Stoff der Hose drang. Er spürte den feuchten Sand, der zwischen seinen Fingern klebte, als er mit bloßen Händen die Löcher in den Strand gegraben hatte. Schließlich spürte er den Schatz in seinen Händen.

»Ich habe ihn!« John zeigte schräg nach rechts. »Dort«, sagte er. »Das vierte Loch, das du gegraben hast.«

»Meinst du? Sehen wir nach!«

Sid hob einen Arm und gab Allan Mercant damit das Zeichen, das Feuer einzustellen. Dann stand er auf. Gemeinsam schaufelten sie den Sand an der Stelle zur Seite, die John bezeichnet hatte.

Der Telepath behielt recht. Im feuchten Sand kam ein glänzender Gegenstand zum Vorschein: das Modell eines Raumschiffs der Arkoniden. Eine Kugel, um deren Äquator ein Wulst verlief.

»Nicht übel, was?« Sid war plötzlich wieder ganz Kind. Stolz, sein Werk dem Mann zu präsentieren, der für ihn wie ein Vater war. Der Latino hatte das Modell innerhalb eines Tages in der Werkstatt von Owey Island gefertigt.

»Ja.« John wischte den Sand mit dem Ärmel ab und besah sich das detailliert gearbeitete Modell. Sid hatte sich Aufnahmen aus dem Netz gezogen und genau angesehen. Kurz nach der Landung der STARDUST war ein Schiff der Arkoniden über der Gobi erschienen und hatte im Landeanflug einen Teil der chinesischen Stellungen dem Erdboden gleichgemacht. Es musste Vorräte und Material für Rhodan gebracht haben. Nach kurzem Aufenthalt war es senkrecht in den Himmel aufgestiegen und verschwunden.

2.

10. Juli 2036

Nach zwei Tagen untersuchten sie, was von der STARDUST geblieben war.

Die STARDUST hatte Perry Rhodan und seine Mannschaft zum Mond und wieder zurück zur Erde getragen. Im Maßstab kosmischer Entfernungen ein winziger Schritt, kaum messbar, aber er hatte sich als ein Sprung für die Menschheit erwiesen, kühner und weiter als jeder andere, seit ihre Vorfahren die Steppen Afrikas hinter sich gelassen und sich angeschickt hatten, die Erde in ihren Besitz zu nehmen.

Zumindest glaubte Perry Rhodan daran.

Trotz allem.

Zwei Tage lang hatte es gebraucht, bis die Trümmer der STARDUST so weit ausgeglüht waren, dass die Menschen sich in ihre Nähe wagen konnten.

Zwei Tage hatten sie benötigt, wieder zu Sinnen kommen, nachdem ihr Traum vor ihren Augen verbrannt war.

Ihre Lage war, wie Bull es treffend ausdrückte, bescheiden, aber stabil.

Der Energieschirm der Arkoniden schützte sie, wehrte unerschütterlich jeden Angriff der chinesischen Truppen ab, die den Landeplatz der STARDUST belagerten. Der Generator, der den Schirm erzeugte, tat seinen Dienst klaglos, mochte es noch auf Jahre oder sogar Jahrzehnte hinaus tun.

Jahre reichten auch die Vorräte der Belagerten. Rhodan hatte sie aus Thora, der Kommandantin des auf dem Mond havarierten Arkonidenschiffs, herausgepresst.

Das galt ebenso für die autonomen Baumaschinen, die unerschütterlich an der Stadt arbeiteten, die Rhodan ausgerufen hatte: Terrania.

Terrania sollte das Tor zu den Sternen für die Menschheit werden. Die Hauptstadt einer Menschheit, die sich nicht mehr länger von den überholten Irrtümern von Nation und Hautfarbe, von Arm und Reich, von Klasse und Stand fesseln ließ. Einer Menschheit, deren Schicksal sich zwischen den Sternen erfüllen sollte und nicht auf einer übervölkerten und überstrapazierten Erde.

Tag und Nacht arbeiteten die autonomen Maschinen, wuchs aus dem Boden der Wüste Gobi die Stadt in den Himmel.

Doch sie war bestenfalls ein Potemkinsches Dorf, eine Attrappe.

Terrania fehlten die Menschen.

Ihre Einwohnerschaft ließ sich an wenigen Fingern abzählen. Da war Perry Rhodan, ehemaliger Kommandant der Mondmission der STARDUST, ehemaliger Astronaut, ehemaliger Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika. Und natürlich sein Freund und Mannschaftsgefährte Reginald Bull, der Perry Rhodan niemals im Stich lassen würde.

Die beiden Männer galten als Verräter an der Menschheit. So sahen es in beispielloser Einmütigkeit wenigstens die Regierungen der Erde.

Clark Flipper, das dritte Besatzungsmitglied der STARDUST, hatte den Landeplatz schon kurz nach ihrer Landung in der Gobi verlassen. Clark war aufgebrochen, um seine große Liebe Beth zu suchen, die im Himalaja verschollen war. Rhodan und Bull hatten nichts mehr von Clark gehört.

Clarks Ausbruch war gleichzeitig ein Ablenkungsmanöver gewesen, in dessen Schutz sich Dr. Manoli davongemacht hatte – zusammen mit dem todkranken Arkoniden Crest.

Seitdem waren neun Tage vergangen, ohne dass sie von Manoli und Crest gehört hätten. Bedeutete ihr Schweigen, dass es Manoli gelungen war, das Leben des Arkoniden zu retten, und sie sich nun versteckten? Oder befanden sie sich in Gefangenschaft? Oder waren sie längst tot?

Rhodan blieb nur, Spekulationen anzustellen. Die chinesischen Truppen hatten starke Störsender installiert und verhinderten damit, dass die Belagerten erfuhren, was außerhalb des Energieschirms geschah.

Doch eine Nachricht – von ungeheurer Tragweite dazu – war zu ihnen durchgedrungen: Das Schiff der Arkoniden auf dem Mond, die AETRON, war von irdischen Astronauten vernichtet worden.

Und, in einer verqueren Wendung des Schicksals, waren die überlebenden Mittäter dieses Angriffs nun zu Gefährten Rhodans und Bulls geworden.

Bull hatte mit der STARDUST einen weiteren Flug zum Mond gewagt, um Gewissheit über das Schicksal der AETRON zu erlangen. Dort hatte er die Trümmer des Arkonidenschiffs vorgefunden – und vier Menschen, die kurz vor dem Erstickungstod standen.

Bull hatte Conrad Deringhouse, Rod Nyssen, Alexander Baturin und Darja Morosowa gerettet, den Laderaum mit Trümmern der AETRON gefüllt, die ihm nützlich erschienen, und den Rückflug angetreten.

Die chinesischen Truppen hatten die STARDUST erwartet. Ihrem konzentrierten Luftabwehrfeuer hatte das Schiff nicht standhalten können. Nur den arkonidischen Robotern, die Perry Rhodan geführt hatte, war es zu verdanken gewesen, dass Bull und die Astronauten überlebt hatten. Die STARDUST selbst war in Flammen aufgegangen. Und mit dem Schiff ihre Hoffnungen.

Jetzt blieb ihnen nur, in den ausgeglühten Trümmern nach Verwertbarem zu suchen.

Reginald Bull schüttelte den Kopf, strich sich den Schweiß aus der Stirn. Er stand neben Rhodan im Trümmerfeld. »Diese Holzköpfe! Was haben sie nur aus unserer schönen STARDUST gemacht?«

Bull nahm den Abschuss persönlich. Er hatte eine magisch anmutende Hand mit technischem Gerät. Für ihn war mit der STARDUST nicht nur ein Raumschiff untergegangen, sondern ein treuer Gefährte.

»Die Soldaten hatten Angst«, versuchte Rhodan ihn zu besänftigen.

»Vor uns?« Bull richtete sich auf, strich über die Wunde an seiner Wange, die er sich beim Absturz zugezogen hatte. Eine zweite verlief von der linken Augenbraue schräg über die Stirn. Wahrscheinlich würden Narben bleiben, unauslöschliche Erinnerungen an diesen bitteren Tag. »Das ist nicht dein Ernst. Was ist an uns zu fürchten?«

Bull zeigte an sich hinunter. Er trug einen arkonidischen Kampfanzug – oder besser das, was von ihm geblieben war: Das Material war rußverschmiert, stellenweise angeschmort. Der Energievorrat des Anzugs war erschöpft. Geblieben war eine bloße Hülle. Aber immerhin mit dicken Sohlen, die beim Durchkämmen des Trümmerfelds nützlich waren. Ab und an gab es noch Glutnester.

»Das ist mein voller Ernst«, sagte Rhodan. »Die Soldaten haben Angst. Vor uns. Vor ihren Offizieren ...«

»... und die Offiziere haben wiederum Angst vor den Offizieren über ihnen«, nahm Bull die Vorlage auf. »Die vor ihren und so weiter und so fort. Und alle sagen, sie haben ihre Befehle, nicht?« Er prustete. »In was für einer kaputten Welt leben wir eigentlich?«

In der, die wir uns machen!, wollte Rhodan antworten, aber Conrad Deringhouse kam ihm zuvor. »Reg!«, rief er. »Das hier musst du dir ansehen!« Der schlaksige Astronaut ging am linken Ende der Kette, die sie gebildet hatten. Mit einer langen Stange stocherte er in einem mannshohen Trümmerhaufen.

»Ich komme!« Bull stapfte los. Reginald war ihr »Experte« in arkonidischer Technologie. Er hatte von dem Moment an, als die STARDUST auf dem ausgetrockneten Goshun-Salzsee niedergegangen war, damit begonnen, mit den Gerätschaften der Fremden herumzuspielen. Jetzt war er der Einäugige unter Blinden. Ein Einäugiger, schätzte Rhodan, mit einer Sehfähigkeit von vielleicht einem Prozent.

Rhodan folgte Bull, ebenso Rod Nyssen und Alexander Baturin. Der Russe, der um ein Haar die zurückkehrende STARDUST mit einer Bombe zerstört hatte, war wie verwandelt. Er schien geläutert, zu Sinnen gekommen. Seine Kameradin Darja Morosowa war nicht im Trümmerfeld. Sie hatte sich gleich nach der Rettung zurückgezogen. Rhodan hatte sie gewähren lassen. Die russische Kosmonautin hatte eine Menge zu verdauen – sie alle hatten es –, und jeder von ihnen musste seinen eigenen Umgang mit den Ereignissen finden.

Bull und Deringhouse wühlten mit ihren Stangen in einem Berg aus verkohlten und in der Hitze zur Unkenntlichkeit verbogenen Trümmern. Nach und nach legten sie einen röhrenförmigen Umriss frei.

»He!«, stieß Bull aus. »Hol mich doch der Teufel persönlich, wenn das nicht ...« Er ließ die Stange fallen und griff mit den Händen zu. Die Handschuhe des arkonidischen Anzugs schützten seine Finger. Er rieb über den Ruß, und eine glänzende Fläche kam zum Vorschein. »Das Triebwerk! Das ist das verfluchte Triebwerk!« Bull war so verzückt, dass es Rhodan nicht gewundert hätte, hätte er die Metallfläche geküsst. »Helft mir! Legen wir es frei!«

Deringhouse, Nyssen und Baturin folgten seiner Aufforderung. Rhodan wollte es ebenfalls, aber eine Hand legte sich auf seinen Unterarm.

Er wandte sich um. Darja Morosowa.

»Perry ... kann ich mit dir kurz sprechen?«, fragte sie leise. »Allein?«

»Natürlich.«

Sie querten das Trümmerfeld und blieben außerhalb der Hörweite der anderen stehen. Eigentlich unnötig, die Männer standen im Bann ihrer Entdeckung. Sie hätten es nicht einmal wahrgenommen, wenn Rhodan und Darja einander angeschrien hätten.

»Ich will mich bei dir entschuldigen«, sagte die Russin. »Ich hätte mich nicht einfach so verkriechen dürfen.« Darja Morosowa war eine junge Frau, aber in ihren Augen war ein trauriger Ausdruck zu sehen, der Rhodan sagte, dass das Leben es nicht immer gut mit ihr gemeint hatte.

»Das macht nichts. Ich sehe nicht, wofür du dich entschuldigen solltest.«

Sie schüttelte den Kopf. »Doch. Hätte Reginald uns nicht gerettet, wäre ich tot.«

»Das war selbstverständlich. Ich bin sicher, du hättest an seiner Stelle nicht anders gehandelt.«

Sie schwieg, starrte verlegen auf ihre Füße. Auf dem Mond war sie beinahe erstickt, hatte der Sauerstoffmangel beinahe alle Hemmungen in ihrem Innern beseitigt. Bull hatte ihm davon erzählt, und Darja wusste davon und schämte sich jetzt dafür.

»Komm!«, sagte Rhodan im Glauben, Darja hätte ihr Anliegen vorgebracht. »Gehen wir zu den anderen. Sie können unsere Hilfe gebrauchen.«

»Gleich. Vorher muss ich dir noch etwas sagen.« Die Russin drehte sich zur Seite. »Ich ... Seit wir hier sind, hatte ich viel Zeit nachzudenken. Ich habe mir einen Platz gesucht, an dem ich ungestört bin.« Sie zeigte auf das höchste Gebäude der Geisterstadt Terrania. Es war so hoch, dass es beinahe den Energieschirm berührte.

Rhodan lächelte. »Ungestört und mit Aussicht, was?«

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Ja. Man sieht viele Kilometer weit, wenn die Sonne richtig steht. Und es gibt viel zu sehen. Die Chinesen, die vielen Menschen, die in die Gobi geströmt sind, um sich dir anzuschließen, Perry. In der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gibt es ein Tableau aus Zinnfiguren. Es zeigt die Schlacht gegen Napoleon bei Smolensk. Das Panorama erinnert mich an das Tableau. Nur dass es keine Zinnfiguren sind, sondern lebende Menschen.«

Rhodan nickte. Lebende Menschen ... er vergaß das keine Sekunde lang. Menschen, für die er die Verantwortung trug. Sie waren in die Gobi gekommen, weil er die STARDUST in der Wüste gelandet hatte, weil er sie gerufen hatte.

Inzwischen mussten es Hunderttausende sein. Sie drängten sich in zwei Ringen um den Schirm. Der innere Ring wurde von den Stellungen der chinesischen Truppen gebildet, im äußeren hatten sich Menschen aus aller Welt in der Hoffnung versammelt, nach Terrania vorzustoßen.

»Ich glaube, die chinesischen Truppen haben etwas vor«, sagte Darja.

»Das überrascht mich nicht. Bai Jun ist gerissen.« Rhodan hatte rasch gelernt, dass er den General, der die chinesischen Truppen befehligte, nicht unterschätzen durfte. »Es würde mich eher beunruhigen, wenn er nichts vorhätte. Aber wir haben nichts zu fürchten, Darja. Der Energieschirm ist mit den Mitteln irdischer Technologie nicht zu bezwingen.«

»Das haben die Arkoniden auf dem Mond auch geglaubt.«

»Wir kennen den genauen Hergang der Vernichtung der AETRON nicht. Ich vermute, dass die Arkoniden im Glauben, sie seien uns Menschen unendlich überlegen, darauf verzichtet haben, einen Schutzschirm aufzubauen und Michael Freyt und Gleb Jakunin in ihr Schiff gelassen haben.«

»Wahrscheinlich.« Darja hatte dem Kommando angehört, das zur AETRON vorgestoßen war. Sie und ihre Gefährten hatten überlebt, da sie außerhalb des Kraters geblieben waren, in dem das Schiff gelandet war. »Aber was ist, wenn die Chinesen sich entschließen, Atomwaffen einzusetzen?«

»Das werden sie nicht. Nicht, solange die Belagerung anhält. Sie hätten Hunderttausende von Leben auf dem Gewissen.«

»Nicht mehr lange.« Ihre Stimme war plötzlich tonlos.

Rhodan horchte auf. »Die Truppen vertreiben die Menschen?«

»Nein. Sie gehen freiwillig.«

»Wieso? Sie haben keinen Grund dazu!« Oder doch? Die Störsender schotteten sie von den irdischen Geschehnissen ab. Was mochte dort draußen geschehen sein?

»Ich habe eine Vermutung«, sagte Darja. Sie scharrte mit dem Fuß über den Boden, wirbelte eine Wolke knochentrockenen Staubs auf. »Das hier ist eine Wüste. Kein Mensch kann hier lange aushalten. Es sei denn, er wird von außen versorgt. Das haben, so scheint es, die chinesischen Truppen übernommen. Bisher. Jetzt haben sie die Versorgung eingestellt, und den Menschen da draußen geht das Wasser aus ...«

Womit ihnen nur die Flucht aus der Wüste blieb.

Rhodan dachte an seine letzte Begegnung mit dem General zurück, am Energieschirm. »Ich werde von nun an tun, wozu ich als Oberbefehlshaber der hiesigen Streitkräfte verpflichtet bin«, hatte Bai Jun gesagt und sich verabschiedet. Rhodan hatte geahnt, was der General ihm damit bedeutete, aber er hatte es nicht wahrhaben wollen. Bai Jun setzte eine Waffe gegen ihn ein, gegen die keine arkonidische Wundertechnik ihn schützen konnte: sein eigenes Gewissen.

»Ich danke dir, Darja«, sagte Rhodan. »Wir stehen in deiner Schuld.«

Die Russin lief rot an. »Das ... das war doch selbstverständlich. Du hättest an meiner Stelle nicht anders gehandelt, nicht?« Ihr gelang ein Lächeln, das ihre Scham überspielen sollte.

»He, ihr zwei Hübschen!«, rief Bull aus dem Trümmerfeld. »Kommt her! Das müsst ihr euch ansehen!«

»Wir kommen!«, antwortete Rhodan. Er fasste nach Darjas Hand, wollte sie mit sich ziehen.

Sie zögerte. »Was willst du unternehmen?«

»Dasselbe, was du getan hast: nachdenken. Und dann das Übliche: das Beste aus dem machen, was wir haben!«

Sie durchquerten das Trümmerfeld und blieben bei Bull stehen. Der rauchende und dampfende Haufen war abgetragen. Darunter war eine mehrere Meter lange, mannshohe Röhre zum Vorschein gekommen.

»Das arkonidische Triebwerk!« Bull konnte nicht stillstehen. Er verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere. »Funktionstüchtig! Kannst du dir das vorstellen, Perry? Diese weißhaarigen Sofahelden von Arkoniden haben manchmal doch mehr drauf, als man vermutet!«