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Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seinem Flug zum Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, schafft ein neues Bewusstsein. Die Gründung der Terranischen Union beendet die Spaltung in Nationen, ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine beispiellose Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch sie kommt zu einem jähen Ende, als das Große Imperium das irdische Sonnensystem besetzt. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während die Untergrundorganisation Free Earth den Kampf gegen die Besatzer aufnimmt. Doch Ende Dezember des Jahres 2037 gelingt Fürsorger Satrak ein beispielloser Schlag gegen den irdischen Widerstand. Er nimmt Perry Rhodan gefangen. Und damit muss Administrator Adams zu einem ungewöhnlichen Mittel greifen, um Rhodan und seine Gefährten zu befreien: Er lädt die Besatzer zu einer Weihnachtsfeier ...
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Seitenzahl: 226
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Cover
Vorspann
Teil I – Wege im Wald
1.
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7.
Teil II – Große Rochade
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9.
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12.
Teil III – Terranisches Lichterfest
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18.
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Teil IV – Ich wollte noch schreien, aber da war es zu spät
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26.
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Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Band 85
Das Licht von Terrania
von Oliver Plaschka
Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seinem Flug zum Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, schafft ein neues Bewusstsein. Die Gründung der Terranischen Union beendet die Spaltung in Nationen, ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine beispiellose Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.
Doch sie kommt zu einem jähen Ende, als das Große Imperium das irdische Sonnensystem besetzt. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während die Untergrundorganisation Free Earth den Kampf gegen die Besatzer aufnimmt.
Doch Ende Dezember des Jahres 2037 gelingt Fürsorger Satrak ein beispielloser Schlag gegen den irdischen Widerstand. Er nimmt Perry Rhodan gefangen. Und damit muss Administrator Adams zu einem ungewöhnlichen Mittel greifen, um Rhodan und seine Gefährten zu befreien: Er lädt die Besatzer zu einer Weihnachtsfeier ...
Teil I
Wege im Wald
Satrak
Manchmal, dachte Satrak, spielte das Leben einem Streiche. Es versprach einem das eine und servierte einem das andere. Manchmal aber bekam man genau das, was man wollte. Fast war es so, wie mit verbundenen Augen ein Überraschungsmahl zu kosten, wie es auf Istrahir, seiner Heimat, zu bestimmten Anlässen Tradition war: Hatte man Glück, erwischte man eine köstliche Corobaknospe, dann wieder biss man in ein bitteres Kashirblatt.
Es war bezeichnend für sein Amt, überlegte der Fürsorger, dass er bis heute nicht recht wusste, was für ein Mahl die Imperatrice ihm bereitet hatte, als sie ihn nach Larsaf III beordert hatte. An manchen Tagen war ihm diese Welt zuwider: zu viel Unruhe, zu viel Schmutz, zu viel Ignoranz seitens der lärmenden, unberechenbaren Bewohner, der Menschen. Dann wieder liebte er die Aufgabe, sich um einen ganzen Planeten zu kümmern, ihn zu hegen und zu pflegen wie einen Illursetzling, in der Hoffnung, dass der junge Baum ihm eines Tages ein bisschen seiner Liebe zurückgeben würde. Ein guter Gärtner brauchte Geduld. Und vielleicht war Satrak auch einfach zu stolz, aufzugeben. Otia hatte ihm das manchmal vorgeworfen ...
Es ist ein schlechter Zeitpunkt, um an alte Niederlagen zu denken, ermahnte er sich. Das kam in letzter Zeit zu oft vor. Und wieso gerade jetzt?
Heute war ein ganz besonderer Tag – vielleicht der wichtigste in der Geschichte des Protektorats.
Liebevoll strich Satrak über eine junge Wergese. Die Blätter zogen sich zusammen und formten eine Art Hand, als wollten sie die Geste erwidern. Fast im selben Atemzug spürte er, wie sich sein Herzschlag beruhigte, seine Muskeln entspannten. Locker ringelte er seinen Greifschwanz um eine Wurzel. Manchmal meinte er, die Blätter wispern zu hören, doch nicht nur als Rauschen im Hauch der Ventilation, sondern in vernehmbaren Worten, leisen Liedern, die die Flechten und Ranken und Blüten ihm sangen, eine vielfarbige Symphonie.
Tatsächlich existierte eine subtile, biochemische Interaktion zwischen den pflanzlichen und nichtpflanzlichen Bewohnern von Istrahir, gesteuert von Botenstoffen in Sporen und Harzen, die direkt auf den Organismus einwirkten und ihren Widerhall in neuronalen Mustern und der Ausschüttung spezieller Hormone fanden. Es war beinahe eine Symbiose, die sich im Laufe der Jahrmillionen auf Istrahir entwickelt hatte. Jeder Istrahir war ein Teil davon, genau wie die Keskeren, die Panjier oder die anderen einheimischen Spezies. Die Aras, denen Satraks Vorfahren ihre Existenz verdankten, hatten dafür gesorgt, dass sie sich nahtlos in das Ökosystem des Großen Waldes einfügten.
Der Wald spendete ihm Ruhe und Zuversicht. Er schenkte ihm Kraft. Deshalb hatte er ihn pflanzen lassen, hier, in seinem Palast in Terrania. Natürlich war es nur eine Ahnung des Großen Waldes, ein von architektonischen und holografischen Tricks unterstütztes Abbild in den Hallen des Khasurn, der seinerseits dem arkonidischen Riesenlotos nachempfunden war. Die oberste Etage des Stiels, auf der der Blütenkelch thronte, durchmaß hundertfünfzig Meter und war großzügige fünfzehn Meter hoch, was den Bäumen zumindest für die ersten Monate genug Raum bot, ehe man sie umsiedeln musste. Und sie wuchsen stetig. Nicht mehr lange, und die ersten Wergesen und Aranash würden sich aus eigener Kraft auf die Suche nach einem weniger beengten Habitat machen. Besser, das geschah in geregelten Bahnen, denn so eine Baumwanderung konnte sonst leicht für ziemlich viel Unordnung sorgen.
»Fürsorger«, meldete sich Aito. Das semitransparente Abbild seiner persönlichen Assistentin erschien vor ihm im Wald. Es wurde ihm von seinem Komplantat direkt auf die Netzhaut projiziert. Für Satrak sah Aito aus wie eine Istrahir, großäugig, langschwänzig und braun bepelzt. In Wahrheit aber war sie eine Künstliche Intelligenz und ebenso wie der Wald nur ein Abbild des Originals, das in seiner Erinnerung fortlebte.
»Ja, Aito?« Das Komplantat hätte seine Befehle auch stumm interpretiert, aber solange niemand in der Nähe war, gestattete er sich manchmal zu vergessen, dass Aito nur ein Geist in der Positronik war. Aito seinerseits gestattete sich zu Gelegenheiten wie diesen den Luxus, ihre Projektion mit den Bewegungen seines Kopfs und seiner Augen abzugleichen. Der Effekt war, dass sie nicht bloß statisch sein Gesichtsfeld überlagerte, sondern tatsächlich an Ort und Stelle zu stehen schien und sogar hinter einem Baum verschwand, wenn der sie verdeckte. Das Einzige, was sie verriet, war ihre eigene leichte Lichtdurchlässigkeit. Satrak schätzte es nicht, wenn seine Assistentin zu echt wurde.
»Die Gefangenen sind nun bereit für das Verhör.«
»Ausgezeichnet.« Satraks Herz klopfte wieder schneller. Endlich war es so weit – der Augenblick, dem er so lange entgegengefiebert hatte, war da.
»Bring mir Perry Rhodan!«
»Sehr wohl, Fürsorger.«
Erwartungsvoll positionierte er sich auf dem zentralen Pfad, der durch seinen Wald führte. Automatisch zog er seinen Greifschwanz wieder an sich und nahm Haltung an. Dann hörte er unter dem Trommeln der Gushmantur und dem Quaken der Flugfrösche, wie sich in der Ferne eine Tür öffnete. Die positronisch gesteuerten Geräusche des Waldes verebbten, als ob seine Bewohner misstrauisch den Eindringling beäugten.
Aito breitete lächelnd die Arme aus.
Zwei junge Wergesen wichen ein paar Zentimeter beiseite, und eine mattgraue Medoeinheit, wie sie für den Transport von Schwerverletzten verwendet wurde, kam den Pfad entlanggeglitten. Darauf, von unsichtbaren Energiefeldern gefesselt, lag der Mann, der Satrak seit Wochen keine Ruhe mehr ließ. Den er erst für einen Mythos gehalten hatte, ehe er ihm in Vesogh, dem großen Aufforstungsprojekt des nordamerikanischen Kontinents, persönlich begegnet war ... und Rhodan ihm dort das Leben gerettet hatte. Rhodan hätte die Chance gehabt, den Fürsorger gefangen zu nehmen oder gar zu töten, doch er hatte ihn unversehrt ziehen lassen.
Spätestens seit dieser Begegnung war Satrak fasziniert von dem Mann, über den sich die Menschen so viele unglaubliche Geschichten erzählten. Der Fürsorger hatte sich an Rhodans Fersen geheftet, war seiner Spur über halb Larsaf III gefolgt, bis es ihm schließlich gelungen war, seiner habhaft zu werden. In der Eiswüste der sibirischen Tunguska-Region hatte er ihn gestellt – und nicht nur ihn, sondern auch seinen Vertrauten Reginald Bull und die tot geglaubte Kommandantin des arkonidischen Forschungskreuzers AETRON, die das Imperium verraten und sich auf ihre Seite geschlagen hatte: Thora da Zoltral. Sie alle waren nun in seiner Gewalt.
Der Hilfskreuzer NAS'TUR VII hatte die Gefangenen nach Terrania und in den Palast gebracht – selbstverständlich in aller Heimlichkeit. Seitdem waren vier Tage vergangen, während derer Satrak sich in Geduld geübt und die Gefangenen im künstlichen Koma in den Tiefen des Palasts versteckt hatte. Niemand durfte ahnen, was für eine wertvolle Fracht die NAS'TUR VII transportiert hatte, schon gar nicht Reekha Chetzkel und Koordinator Jemmico, seine beiden mächtigsten Rivalen auf Larsaf III.
Satrak war klar, dass er ein großes Risiko damit einging, die Imperatrice nicht umgehend von seinem Fang zu unterrichten, doch seine Neugierde war einfach zu groß. Zu häufig war er die letzten Wochen mit den immer gleichen Fragen konfrontiert worden: Was stand hinter der Eroberung des Systems durch das Große Imperium? Wollte die Imperatrice wirklich bloß eine weitere, unbedeutende Welt die Vorzüge der arkonidischen Kultur lehren? War es wirklich ein Zufall, dass das Imperium die letzten zehntausend Jahre immer wieder über dieses System gestolpert war? Und welche Rolle spielte Perry Rhodan dabei, der vor anderthalb Jahren als Erster den Kontakt zur Besatzung der AETRON hergestellt hatte und seitdem in den Geschichten, die die Menschen erzählten, vom Verräter zu ihrem Beschützer und Befreier avanciert war?
Der Zeitpunkt war da, Antwort auf diese Fragen zu erhalten. Wenn es nach ihm ging, dann gerne im Rahmen eines höflichen Gesprächs. Satrak fand keinen Gefallen an Gewalt, so wie Chetzkel das tat. Er wusste aber, wie man sie einsetzen musste, um wenn nötig seine Ziele zu erreichen – sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Und wenn Rhodan ihm keine andere Wahl ließ ... würde er sie auch gegen ihn einsetzen.
Doch es gab vielfältige Wege, an Antworten zu kommen. Wege, von denen selbst Chetzkel, Jemmico oder Rhodan nichts ahnten.
»Weck ihn auf!«, befahl er Aito.
Die Medoeinheit injizierte Rhodan ein anregendes Mittel, das ihn aus seiner Betäubung weckte. Binnen weniger Sekunden flatterten die Lider des Gefangenen, dann zuckten seine Mundwinkel. Die Selbstbeherrschung des Menschen beeindruckte Satrak. Weder geriet er in Panik, noch versuchte er, um sich zu schlagen. Stattdessen spannte er nur kurz die Muskeln und spreizte überrascht die Finger, als er feststellte, dass er gefesselt war und nur einen leichten Overall trug. Dann runzelte er die Stirn, suchte nach der passenden Erinnerung, der Erklärung für seine Lage. Schließlich schlug er die graublauen Augen auf und schaute ihn unverwandt an. Den Wald um sie herum beachtete er gar nicht weiter.
»Satrak«, presste er über die noch tauben Lippen. In seiner Stimme lag keinerlei Überraschung.
»Ich bedaure, dass wir uns unter solchen Umständen wieder begegnen«, entschuldigte sich der Fürsorger. »Doch ich habe lange darauf gewartet, dass Sie mir einige Fragen beantworten – und darum sind Sie nun hier.«
»Was ist mit Reginald und Thora?«
»Ihre Gefährten befinden sich in derselben Situation wie Sie. Je nach Verlauf unseres Gesprächs werde ich sie entweder gleichfalls herholen lassen, oder sie werden unversehrt erwachen und ihren regulären Gang durch die Institutionen der imperialen Justiz antreten.«
Rhodan verzog missliebig den Mund. »Das ist kein gutes Angebot, Fürsorger. Wir wissen beide, zu welchem Urteil das Imperium kommen wird. Man wird uns hinrichten.«
»Sie unterschätzen die Flexibilität und den Gerechtigkeitssinn des Imperiums. Unsere Gewalten sind anders organisiert als die Ihren. Ich kann eine Menge für Sie tun, wenn Sie auch etwas für mich tun.«
»Ich fürchte, es wird schwer, einen brauchbaren Kompromiss zwischen unseren Positionen zu finden, Satrak. Sie kennen meine Meinung zur Präsenz des Imperiums auf unserer Welt. Lassen Sie uns in Frieden und kehren Sie auf Ihre Heimatwelt zurück! Wir brauchen Ihre sogenannte Hilfe nicht. Und was immer es ist, das Sie hier suchen, wir können Ihnen nicht dabei helfen.«
Da war sie wieder, die lästige Frage: Was immer Sie hier suchen ...
»Was ist es, das Sie suchen?«, drehte der Fürsorger den Spieß um.
»Wer sagt, dass ich etwas suche?«, entgegnete Rhodan.
»Ich bitte Sie.« Satrak klopfte mit seinem Schwanz tadelnd den Boden. Falls Rhodan die Geste irritierte, ließ er sich nichts anmerken. »Sie sind kreuz und quer durch Ihre Heimat gereist, offensichtlich auf den Spuren Ihrer eigenen Vergangenheit. Was wollten Sie in der Tunguska-Region?«
Rhodan deutete ein Schulterzucken an, insoweit ihm die Fesselfelder das gestatteten. »Dasselbe könnte ich Sie fragen. Immerhin habe ich Sie gehen lassen, als wir uns das letzte Mal trafen. Ehrlich gesagt bin ich von Ihrer Beharrlichkeit etwas enttäuscht – ich dachte, wir hätten uns alles gesagt.«
Satrak schaute Hilfe suchend zu Aito, die nach wie vor mit unbewegtem Gesicht neben der Medoeinheit stand. Rhodan folgte seinem Blick, konnte die Projektion der KI aber natürlich nicht sehen.
»Sie irritieren mich, Rhodan. Und ich schätze es nicht, irritiert zu werden.« Täuschte er sich, oder verkniff sich der Mensch bei diesen Worten ein Lächeln? »Glauben Sie, ich habe Ihnen nur zum Selbstzweck nachgestellt, oder um meine persönliche Neugierde zu befriedigen?« Unwillkürlich war er lauter geworden, als müsste er sich selbst von seinen Worten überzeugen. »Ich hätte deutlich weniger Probleme mit Ihrer Geheimniskrämerei, wenn mir Ihre Motive klarer wären. Ihre Leute halten Sie für einen Freiheitskämpfer, Rhodan. Sie selbst haben mir in Vesogh gesagt, Sie wollten Freiheit für die Menschen.«
»Die will ich nach wie vor.«
»Wieso unternehmen Sie dann nichts? Die Menschen würden Ihnen sofort folgen, gäben Sie Ihnen den Befehl.«
»Wer sagt, dass ich nichts unternehme?«, fragte Rhodan unschuldig. Diesmal gab es keinen Zweifel daran, dass ein spöttisches Lächeln seine Züge umspielte. »Ich fürchte aber, Sie überschätzen meine Autorität. Ich bin nur ein einfacher Astronaut, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.« Er verdrehte vielsagend die Augen und versuchte, mit dem Kinn die Richtung anzudeuten. »Der Administrator wohnt einen Turm weiter.«
Satrak prustete entrüstet. Der Gefangene hatte also erraten, dass er sich in Terrania befand, trotz des künstlich angelegten Walds.
»Lassen Sie sich das nicht zu Kopf steigen«, warnte er Rhodan. »Ich habe in meiner Zeit im Imperium selten eine lästigere Legende kennengelernt als Sie. Niemand von Ihrer Welt ist weiter gereist und hat mehr gesehen und gelernt als Sie in so kurzer Zeit. Sie haben das komplette Bild, das Ihre Artgenossen von ihrer Heimat und ihrem Platz im Universum hatten, auf den Kopf gestellt. Wenn Sie ihnen sagen würden, dass es Zeit ist, sich gegen uns zu erheben, würden sie das tun. Und das macht Sie zu einem Sicherheitsrisiko für das Protektorat, Perry Rhodan. Mein Protektorat. Deshalb sind Sie hier.«
»Ein gewaltsamer Aufstand wäre sinnlos, Fürsorger. Das wissen Sie ebenso gut wie ich. Ihr Kettenhund Chetzkel wartet doch nur darauf, über uns herzufallen. Meinen Sie wirklich, dass ich so dumm oder geltungsbedürftig bin, ihm den passenden Vorwand zu liefern?«
»Dieser Einschätzung kann ich leider nicht widersprechen«, bedauerte Satrak. »Doch sie erklärt nach wie vor nicht Ihre Handlungsweise der letzten Wochen. Wenn Sie keinen Aufstand planen – was haben Sie dann vor?«
»Sie würden es nicht verstehen, Fürsorger.«
»Ach nein?«, schnappte Satrak. »Richtig, ich erinnere mich: Das Imperium und wir sind Ihrer Meinung nach ja nur eine vorübergehende Erscheinung.« Er hatte Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. Rhodan hatte offensichtlich keine Angst vor ihm, ja er behandelte ihn sogar von oben herab. Das war unerhört. Dennoch widerstand er dem Impuls, ihm körperliche Gewalt anzutun. Das wäre eine Handlung, die Chetzkel würdig wäre. Diese Befriedigung wollte er Rhodan nicht geben.
Er hatte andere Wege. Bessere Wege.
Er bedeutete Aito, die Medoeinheit näher zu einem der Aranashbäume zu fahren. Lautlos gehorchte die schwebende Trage. Rhodan spannte reflexartig die Muskeln, doch die Fesselfelder hielten ihn an Ort und Stelle.
Satrak trat vor den Stamm. Strich über die von weichem Flaum bedeckte Rinde und versenkte sich einen Moment in sich selbst, bis die sanften Vibrationen ihm verrieten, dass der Aranash bereit war.
Die Aranash oder Schlafbäume gehörten zu den ältesten Partnern der Istrahir auf ihrer Heimatwelt. Ihre besonderen Eigenschaften machten sie zu wertvollen Zufluchtsorten, Heilstätten, Lebensspeichern. Die Erfahrung hatte gelehrt, dass sie nicht für alle Spezies gleich wirkten. Manche Wesen empfanden es als beängstigend, andere als verstörend, was sie im Inneren eines Schlafbaums erlebten. Und selbst Istrahir redeten nicht häufig davon – es war eine sehr private Erfahrung.
Der Einzige, der in allen Fällen die Antwort kannte, war der Baum selbst.
Und manchmal, wenn man dem Baum zuhörte und ihn verstand, teilte er einem mit, was er gelernt hatte.
»Rhodan«, knurrte Satrak und stellte sicher, dass der Gefangene seinen Zorn deutlich spürte. »Sie wirken mir nicht bei der Sache. Vielleicht sind Sie noch müde?« Sein Greifschwanz schnellte vor und wickelte sich um Rhodans Hüfte. Dann gab er Aito den Befehl, das Fesselfeld zu desaktivieren. Mit einem kräftigen Ruck zog er den Mensch von der Medoeinheit und stellte ihn vor den Aranash, ohne ihn loszulassen. Mit einer gewissen Befriedigung registrierte er das überraschte Keuchen des Gefangenen.
»Ruhen Sie noch eine Weile aus!« Er fuhr entschieden über die Rinde, damit sie sich öffnete. Augenblicklich tat sich ein dunkler Schlund darin auf, und ehe der große Perry Rhodan einen Laut des Protests ausstoßen konnte, hatte der Aranash ihn schon verschlungen. Satraks Schwanz schnellte zurück, nur Sekundenbruchteile, ehe die Rinde sich wieder schloss.
»Wir reden morgen weiter«, brummte der Fürsorger. Vielleicht würde der Baum Rhodan seine Geheimnisse bis dahin schon entrissen haben. Dann wandte er sich ab und schlenderte zu Aito zurück, die nach wie vor am selben Ort stand und auf ihn wartete. Im Gegensatz zu ihm zeigte sie sich nicht sehr zuversichtlich.
»Warum so verdrossen?«, fragte er, auch wenn er wusste, dass Sorge oder Zuversicht außerhalb der eigens für ihn konzipierten Interaktionsalgorithmen keine relevanten Kategorien für die KI darstellten.
»Reekha Chetzkel«, sagte sie nur.
Satrak seufzte schwer. Sein mühsam erkämpfter Optimismus war mit einem Schlag dahin. Allein beim Gedanken an den Kommandeur der Streitkräfte mit seiner Schlangenhaut und seiner gespaltenen Zunge, den brennenden Augen und dem spitzen Gebiss, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. So viel Unvernunft. So viel Hass. »Was ist mit ihm?«
»Er ist Ihnen auf der Spur, Fürsorger.«
»Das ist nichts Neues. Die alte Schlange klebt mir immer an den Fersen. Was treibt er jetzt wieder?«
»Er hat die NAS'TUR VII an der Peripherie des Systems, wohin Sie sie beordert hatten, inspiziert.«
Satrak schüttelte verärgert den Kopf. »Und hat der Kommandant geschwiegen?«
»Soweit das nachvollziehbar war, ja. Er hatte wenig zu verraten, und um die Datenspeicher des Schiffes hatte ich mich während des Zwischenstopps in Terrania wie von Ihnen gewünscht gekümmert.«
»Chetzkel weiß also nichts von den Gefangenen? Das ist gut.«
»Nichts Konkretes ...« Aitos Augen weiteten sich unterwürfig. »Aber kurz nach seiner Inspektion hat er Kontakt zu Koordinator Jemmico aufgenommen.«
»Jemmico?«, fragte Satrak alarmiert. »Was haben sie besprochen?« Jemmico war ein Celista. Ein Spitzel. Das machte ihn zwar nicht zwangsläufig zu einem Gegner, aber der Koordinator für Sicherheit war der dritte machtvolle Spieler in diesem System. Im Bunde mit Chetzkel konnte er Satrak sehr gefährlich werden. Und mit großer Wahrscheinlichkeit arbeitete er direkt für die Imperatrice. Satrak argwöhnte, dass sie ihm den älteren Arkoniden als Aufpasser geschickt hatte.
»Leider ließ sich die Verschlüsselung trotz größter Mühen nicht brechen«, entschuldigte sich Aito. »Aber Chetzkel und Jemmico konferieren nicht häufig. Allein dass sie es zu diesem Zeitpunkt taten, legt nahe ...«
»... dass die Echse irgendetwas ahnt«, beendete Satrak den Satz. »Er muss einen Verdacht haben. Behalte die beiden auf jeden Fall weiter im Auge, Aito!«
»Selbstverständlich, Fürsorger.«
»Und nun bereite Thora da Zoltral und Reginald Bull vor. Wir werden auch ihnen zwei schöne Bäume suchen ...«
Sie senkte den Kopf und löste sich in Luft auf.
Manchmal, dachte Satrak, nachdem sie verschwunden war, spielte das Leben einem Streiche. Es zeigte einem einen Weg auf und verbaute einem dafür einen anderen. Es gab und es nahm. Ihn versuchte es gerade in die Ecke zu treiben, noch aber blieb ihm Luft zum Atmen. Er fragte sich, was Rhodan wohl dazu einfiele.
Mit einem letzten Blick zurück zu dem Aranash, der keinesfalls vermuten ließ, wer sich in diesem Moment in ihm befand oder was sich in seinem Inneren abspielte, wandte der Fürsorger sich ab und wanderte tiefer in seinen Wald. Noch ahnte niemand, was für ein Geheimnis dieser Wald verbarg. Dieser letzte Weg war ihm unverstellt. Doch dass man ihm so rasch auf die Spur kommen würde ...
Perry Rhodan
Dunkelheit umfing Rhodan. Es war nicht, wie gefressen zu werden, soweit man davon eine Vorstellung hatte: keine Zähne, keine Zunge oder Tentakel, die ihn hineinzogen, kein übler Geruch nach Verwesung oder Verdauungssäften.
Eher war es, wie von einem besonders geschickten Spediteur oder Krankenpfleger verpackt und fixiert zu werden. Kaum, dass der Fürsorger ihn durch den gerade entstandenen Spalt gereicht hatte, schloss sich der Spalt auch schon wieder; das Dämmerlicht des Waldes hinter ihm verlosch, und im nächsten Moment umfing ihn der schwere Humusgeruch des Baums wie eine Moorpackung, die sich von allen Seiten um ihn wickelte. Tatsächlich war der Baum in seinem Innersten weich und fast körperwarm und passte sich ihm so perfekt an, dass er ihm fast keinen Widerstand bot.
Er glaubte, er müsse darin versinken. Ertrinken wie in dickem Treibsand. Er schlug um sich, doch es war hoffnungslos. Der enge Hohlraum, in dem er gefangen war, zog sich immer weiter zusammen. Seine Glieder wurden schwer und schwerer. Schon bekam er kaum noch Luft ...
Im selben Maße, in dem der Sauerstoff aus seinem Hirn wich, drängten die Bilder in Rhodans Kopf, Blitzlichter des Lebens, wie sie angeblich kurz vor dem Tod vor dem inneren Auge vorbeizogen. Dennoch hatte er keine Angst. Die Zeit floss zäh wie träger Honig, und die Bilder wurden immer heller und lebensechter. Sie fingen ihn ein.
Er sah ...
Der Hügel am Rande Terranias bei Sonnenaufgang. Derselbe Hügel, auf den Rhodan nach der Landung der STARDUST vor anderthalb Jahren gestiegen war, um sein Werk des Verrats und der Hoffnung zu betrachten: die Botschaft, dass die Menschheit nicht mehr allein war, die Zeit des Hochmuts und der Selbstzerfleischung vorbei. Nun stand er abermals hier, vor den Trümmern seines Traums: die Stadt nur noch schwarze, ausgebrannte Ruinen, und in ihrer Mitte der Stardust Tower, der jetzt unter der Besatzung wie auf so vielen Welten des Imperiums, die sie gesehen hatten, nur noch ein Herrschaftszeichen war – eine stolze Standarte, die bis in den Himmel ragte, tief in den verheerten Boden gerammt.
»Ihnen gehört die Zukunft« – das hatte Crest ihm einst versprochen, als Rhodan auf Trebola zum ersten Mal einen solchen Turm gesehen hatte. Doch die Zukunft war ihnen gestohlen worden, der Hoffnungsschimmer erloschen. Und ganz wie auf Trebola war auch dieser Turm Teil eines Paares: Seine andere Hälfte war jener im Bau befindliche, massive Kelch am Rande des Goshun-Sees, der dem sogenannten Fürsorger als Palast dienen würde. Es war wie ein Zerrbild jener Welt, die Rhodan sich erträumt und der Menschheit versprochen hatte: Die Menschen waren in ein Gefängnis gesperrt, das die Fremden ihnen gebaut hatten, und am Rande des wieder aufgefüllten Sees sprossen außerirdische Bäume.
Die Bäume wuchsen höher ...
Rhodans Gedanken eilten weiter, einmal um die ganze Welt, zu jenem nordirischen Städtchen, in dem er letzten Monat sich selbst ins Gesicht geblickt hatte. Er erinnerte sich noch gut, wie er in das Wohnzimmer des Hauses getreten war, in dem sie Zuflucht gesucht hatten. So wie damals sah er nun sein Spiegelbild, bloß älter, rücklings auf dem Sofa. Ein Flüchtling in der gestohlenen Kleidung eines Gefängniswärters, ein Eremit mit einem Gehstock aus Haselnussholz.
»Wir sind ich«, sagte der alte Mann, der er selbst war, während er wie ein Verhungernder einen Konzentratriegel verschlang. Und er eröffnete ihm viele Wunder: Rhodanos erzählte ihm von dem Enteron, jenem wandelbaren, fantastischen Werkzeug, das zugleich Teil seines Körpers und eine tödliche Waffe war. Später würde Rhodan lernen, ihm kraft seiner Gedanken Befehle zu erteilen, damals aber kam es ihm noch so fremd und gefährlich wie eine Schlange vor. Auch von den Meistern der Insel erzählte er ihm, von Regnal-Orton, der sich mit List und Tücke die Regentschaft über das Große Imperium erschlichen hatte. Von ES, das mittels seines wahnsinnigen Dieners Separei auf der Elysischen Welt Schablonen der arkonidischen Imperatoren angefertigt hatte – genau wie von Rhodan: in jenem eiförmigen Raum, in dem Rhodan sich von seinem Spiegelbild beobachtet gefühlt hatte ...
Er dachte an das beklemmende Gefühl, das sich seiner damals bemächtigt hatte ... Seine schlimmsten Befürchtungen hatten ihn eingeholt. »ES spielt sein eigenes Spiel«, bekräftigte Rhodanos. »Und du, wir, die gesamte Menschheit sind darin nur Figuren.«
Dann redete sein älteres Ich von Callibso, der über geheime Wege zur Erde verfügte. Der Herr der Puppen gab Rhodan Rätsel auf: Obwohl er mit skrupellosen Mitteln versucht hatte, Rhodans Weg zu den Sternen zu blockieren, schien er daran interessiert, sich persönlich mit ihm zu treffen. »Folge den Puppen«, sagte Rhodanos – und Rhodan tat, wie Rhodanos ihm geheißen ...
Er folgte dem Traum. Der Traum führte ihn zu Thora, die zitternd von ihrer Zeit auf Callibsos Heimatwelt Derogwanien berichtete. Die ihn vor den unheimlichen Kräften Callibsos und seiner Puppen warnte: »Ich war wie eine Zuschauerin im Gefängnis meines eigenen Körpers.« Heute wusste Rhodan nur zu gut, was sie meinte. Die Last auf seiner Brust wurde immer schwerer, presste ihn zusammen wie ein Schraubstock.
Um die Qual zu vergessen, dachte er weiter an Thora.
Er sah sie, lächelnd im Türrahmen eines alten irischen Cottage. Owey Island, eine Landschaft, wie sie urtümlicher kaum sein konnte, zerklüftet und wettergegerbt im Schoß des Atlantiks. Strohgedeckte Fischerhütten, von den Elementen gemeißelt. Und inmitten dieser rauen Wildnis: Thora, nicht von dieser Welt, rote, stolze Augen unter einem Schleier weißen Haars, in dem der irische Wind spielte, wie zuvor der Wind Arkons und der hundert anderer Welten.
»Willkommen.« Sie lächelte ihm entgegen, und er trat auf sie zu.
Doch er war nur wenige Schritte weit gegangen, als er ins Taumeln geriet. Der letzte Sauerstoff war aus seinen Lungen gewichen. Das Brennen in der Brust wurde unerträglich. Er wollte die Hände nach Thora ausstrecken, um Hilfe rufen: »Ich kriege keine Luft mehr!« Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
Rhodan stolperte. Fasste sich an den Hals, rang nach Atem. Sterne tanzten vor seinen Augen, und die Welt wurde so hell, als wollte sie explodieren. Doch dann, von einem Moment auf den anderen, war es plötzlich vorbei – das Brennen erlosch, das Gleißen ließ nach, und das Gefühl der Enge wich dem von Geborgenheit. Rhodan bekam wieder Luft – und doch hatte er nicht das Gefühl, dass er atmete ...
Irgendetwas war anders.
Er schaute sich um. Erst dachte er, er sähe sich wieder der außerirdischen Pflanzung am Rand des Goshun-Sees gegenüber, doch dieser Wald war viel größer. Mächtig und majestätisch, in schillernden Farben aus Grün, Blau und Violett. Urwaldriesen, manche über hundert Meter hoch, mit Lianen wie die Takelage alter Galeonen. Eine warme Sonne, flankiert von zwei bleichen Monden, strahlte vom Himmel. Und vor ihm, wo eben noch Thora gestanden hatte, blickte ihn ein fremdartiges Wesen vom Fuß des Hügels aus an, braun bepelzt und langschwänzig, die Augen kugelrund und dunkel wie die eines Koboldmakis. Eine Istrahir.
»Willkommen«, sagte sie, ein Echo Thoras.
»Wo bin ich hier?«, fragte Rhodan.
»In Sicherheit. Hab keine Angst. Ich bin Otia.«
Leyle
Als die Ara Leyle in den frühen Morgenstunden des 22. Dezembers nach Nergüi sah, war ihr klar, dass dies der letzte Tag des alten Mannes werden würde. Seine Haut, die ohnehin an altes Pergament erinnerte, war noch durchscheinender geworden, seine gelblichen Augäpfel verschwanden fast in dem faltigen Gesicht. Dennoch wirkte er nicht ängstlich, und war, wie sie sich überzeugte, auch schmerzfrei. Er lächelte sein typisch ruhiges Lächeln, das Leyle von der ersten Minute an fasziniert hatte, denn Nergüi hatte nach ihrem Dafürhalten nur sehr wenig Grund zu lächeln.
»Guten Morgen!«, sagte sie. »Wie fühlen Sie sich?«
»Gut«, sagte der alte Mann, dieselbe Antwort wie jeden Morgen. »Ich fühle mich gut. Und wie geht es Ihnen?«