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Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seiner Mondlandung auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung der Menschheit in einzelne Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst. Als schließlich ein globaler Aufstand ausbricht, scheint die Erde verloren. Chetzkel, der militärische Befehlshaber des Protektorats, hat nur auf die Gelegenheit gewartet, mit aller Macht gegen die Menschheit loszuschlagen. Doch er hat die Rechnung ohne Perry Rhodan gemacht ...
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Seitenzahl: 221
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Band 99
Showdown für Terra
von Oliver Plaschka
Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan bei seiner Mondlandung auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung der Menschheit in einzelne Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.
Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst.
Als schließlich ein globaler Aufstand ausbricht, scheint die Erde verloren. Chetzkel, der militärische Befehlshaber des Protektorats, hat nur auf die Gelegenheit gewartet, mit aller Macht gegen die Menschheit loszuschlagen. Doch er hat die Rechnung ohne Perry Rhodan gemacht ...
Mirktron
Chetzkel
Die Aufrührer nahmen sie aus einer verlassenen Tankstelle heraus unter Beschuss. Der Angriff kam für Chetzkel nicht überraschend – ein großer Lastwagen versperrte die Straße, und die leicht erhöhte Tankstelle mit dem angeschlossenen Restaurant gab eine gute Stellung für einen Hinterhalt ab. Zudem dienten die Auffahrt auf die Schnellstraße und ein naher U-Bahn-Zugang als mögliche Fluchtwege, sofern man es verstand, zwischen den primitiven Bodenfahrzeugen und den flüchtenden Massen zu verschwinden.
Der Grund, weshalb Chetzkel dennoch bedenkenlos in den Hinterhalt hineinmarschierte, war zweierlei: Zum einen fürchtete er die Menschen und ihre Waffen nicht – selbst die leichteste Ausführung eines arkonidischen Kampfanzugs mit geringer Panzerung und verminderter Flugfähigkeit bot dank des Energieschirms einen verlässlichen Schutz vor terranischen Projektilwaffen. Zum anderen wollte er die Menschen zu einem Angriff verleiten – damit er ihn dokumentieren konnte. Wo immer er und seine Truppen in die weit gefasste Sperrzone um die Ruhr-Arena vordrangen und die flüchtigen Kriegsgefangenen stellten, wurden sie von Kameras begleitet. Kein Verurteilter sollte unerkannt entkommen, kein Terrorist sollte der Illusion erliegen, seine Taten blieben ungestraft, und niemand sollte behaupten, er übertrete seine Befugnisse. Alles, was er tat, geschah im Einklang mit den Regularien der Flotte.
Und streng genommen gab es noch einen dritten Grund, weshalb der Reekha und Interimsfürsorger sich persönlich an den Kämpfen beteiligte: Es machte ihm Spaß. Im Kampf war er in seinem Element.
Als die ersten Schüsse seinen Schirm trafen, blieb er daher einen Moment lang stehen und drehte sich langsam in Richtung des Schützen. Er wusste, dass allein sein schlangengleicher Anblick die Menschen provozierte, und sie sollten sehen, dass er keinen Schritt vor ihrem Hass zurückwich. Die Projektile stammten aus einer automatischen Waffe, und obwohl der Schirm die kinetische Energie fast vollständig absorbierte, spürte Chetzkel das Stakkato der Einschläge als belebendes Zittern auf seiner Brust. Dann hob er seinen Thermostrahler und erwiderte das Feuer.
Die Schüsse schlugen in die gemauerte Wand des Restaurants ein, seine Soldaten taten es ihm gleich, und bald waren von der Vorderfront des Gebäudes nur noch rauchende Trümmer übrig. Mehrere kleine Feuer brachen aus. Vielleicht hatten die Rebellen nicht mit einer derart heftigen Reaktion gerechnet; vielleicht hatten sie gedacht, die nahen Zapfsäulen würden die Arkoniden vom Einsatz ihrer Strahlenwaffen abhalten. Doch da hatten sie sich getäuscht: Selbst wenn die gesamte Tankstelle in die Luft flog, ihre Schirme würden sie auch davor schützen.
Seine Soldaten schwärmten aus. Kurz darauf folgte auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes ein heftiger Schusswechsel. Flankiert von zweien seiner Offiziere rückte Chetzkel vor und stapfte durch den Schutt ins Innere. Dort sah er gerade noch mehrere Männer, die durch den Hinterausgang zu fliehen versuchten. Chetzkel legte an, schoss und traf einen von ihnen in den Rücken. Die anderen Männer entkamen, wurden draußen jedoch schon vom Rest seiner Leute erwartet.
Noch ehe Chetzkel hinterherrennen konnte, wurde er aus einem der Winkel des zerstörten Restaurants unter Feuer genommen. Es war nur eine kleinkalibrige Pistole. Unbeeindruckt drehte er sich um und stieg im Schutz seines Schirms um die Theke oder was davon übrig war.
Hinter einem umgestürzten Tisch hatte sich eine Frau mit kurz geschorenem Haar verschanzt. Vielleicht hatte sie den rechten Zeitpunkt zur Flucht versäumt, oder sie hatte erkannt, dass es sinnlos war – sie und ihre Komplizen hatten sich mit einem Gegner angelegt, den sie nicht besiegen konnten.
Chetzkel traf ihre Waffenhand. Mit einem Schmerzensschrei ließ die Frau die rot glühende Pistole fallen und hob geistesgegenwärtig die Hände.
»Wir haben Gefangene gemacht«, meldete sich der Orbton, der die andere Hälfte seines Trupps anführte. »Wir treiben sie auf dem Parkplatz zusammen.«
»Sorgen Sie dafür, dass die Kameras ein gutes Bild haben!« Chetzkel dirigierte die Frau mit seinem Gewehrlauf nach draußen. »Los, Bewegung!«
In etwa fünfzig Meter Abstand zu den Feuern, die sich immer weiter ausbreiteten, trieben sie die Gefangenen zusammen. Vier Männer und die Frau, allesamt Kämpfer der terroristischen Vereinigung Free Earth – dass sie sich widerrechtlich in der Sperrzone aufgehalten und das Feuer auf arkonidische Truppen eröffnet hatten, war hierfür Beweis genug. Es bestand keine Veranlassung, den Prozess gegen sie mehr als nötig in die Länge zu ziehen. Die Arkoniden stellten die fünf Menschen in einer Reihe auf, die Hände hinter dem Kopf.
Zwei Drohnen kamen herbeigeflogen und richteten die Objektive auf die Gesichter. Kameras an den Anzügen der Soldaten lieferten zusätzliche Bilder. Sämtliches Filmmaterial wurde live in die Datennetze der Erde eingespeist. Chetzkel hatte nichts zu verbergen – im Gegenteil. Bereits jetzt kam es überall auf der Erde zu Unruhen. Meldungen von bewaffneten Übergriffen auf arkonidische Einrichtungen und die Terra Police gingen im Stundentakt ein. Die Aufständischen mit den Beweisen ihrer Niederlage zu konfrontieren, würde sie entweder die Sinnlosigkeit ihres Widerstands lehren – oder die Flammen würden immer höher lodern, bis die Erde darin verbrannte.
Chetzkel gab sich keinen Illusionen hin: So wie er die Verbohrtheit der Menschen einschätzte, würden sie eher zu neuer Gewalt greifen, gegen die seine Truppen in Folge noch härter vorgehen würden, als sich bedingungslos zu unterwerfen. Damit schaufelten sich die Menschen ihr eigenes Grab – und niemand in der Führung der Flotte würde ihm einen Vorwurf machen können, wenn er die Konsequenzen zog. Nicht einmal die Imperatrice.
»Gefangene!«, rief Chetzkel vor den Augen der Weltöffentlichkeit. »Ihr habt euch des Angriffs auf Einheiten des Protektorats schuldig gemacht. Ihr habt euch der Anordnung, die Sperrzone um die Sportarena zu räumen, widersetzt, und uns einen feigen Hinterhalt gelegt. Gemäß den Statuten des von mir verhängten Kriegsrechts verurteile ich euch zum Tode. Habt ihr noch etwas zu sagen?«
Die Menschen waren zu perplex, darauf zu reagieren. Er wusste nicht, womit sie gerechnet hatten – schließlich hatten sie einen Kampf mit tödlichen Waffen geführt und verloren. Doch irgendwie rechneten Menschen anscheinend nie wirklich damit, dass es vorbei war. Es war eine ihre widersinnigsten Eigenschaften.
»Feuer!«, sagte Chetzkel, ehe einer der Delinquenten noch die Gelegenheit ergriff, eine pathetische Parole anzubringen.
Kaum, dass die Körper der gefallenen Kämpfer den Boden berührten, wandte er sich ab und ging davon.
Sein Komplantat rief.
»Sparen Sie sich das!«, rügte er seine Untergebenen, die sich anschickten, die Leichen zu beseitigen. »Sie verschwenden nur Zeit! Hier fliegt ohnehin bald alles in die Luft.«
Dann nahm er den Ruf entgegen. Es war Sabur. Der Mediker gehörte zur Stammbesatzung seines Flaggschiffes, hatte sich die letzten Tage mehrfach durch sein kombinatorisches Geschick hervorgetan und war somit zu Chetzkels inoffiziellem Adjutanten geworden.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte Sabur. »Aber falls es Ihre Zeit zulässt, könnten wir uns am Turm treffen – es gibt da ein paar Dinge, die Sie interessieren dürften und die ich Ihnen lieber persönlich mitteile.«
»Bin schon unterwegs«, sagte Chetzkel. »Hier sind wir fertig.«
Er befahl seinen Offizieren, den Einsatz ohne ihn fortzuführen, und rief über das Komplantat einen Gleiter. Binnen einer Minute setzte eine der wendigen Überschallmaschinen auf ihren senkrecht gestellten Triebwerken zur Landung an. Das Cockpit öffnete sich, Chetzkel nahm auf dem Copiloten-Sitz Platz, dann startete der Pilot unter ohrenbetäubendem Geheul, während unter ihnen die Feuer die Zapfsäulen erreichten und die Tankstelle in einer orangeroten Glutwolke verging.
Der Pilot flog einen kurzen Bogen, der Chetzkel einen Blick auf das Kampfgeschehen gestattete. Der Kessel um die Ruhr-Arena zog sich immer enger zusammen. Überall hatten seine Soldaten Kontrollpunkte errichtet, um alle Nachzügler, die die Sperrzone nicht rechtzeitig verlassen hatten, einer peinlichen Prüfung zu unterziehen. Ergaben sie sich kampflos und standen sie auf keiner der Fahndungslisten, wurden sie abgeführt. Doch begingen sie den Fehler, Widerstand zu leisten, so teilten sie umgehend das Schicksal der fünf toten Kämpfer, deren Gesichter gerade durch die terranischen Nachrichten geisterten.
Die Kommentatoren dieser Nachrichten bezeichneten die Sperrzone als ein Gebiet der Verwüstung, ein Zeugnis ungezügelter Gewalt. Wenn Chetzkel aus dem Cockpit des Gleiters auf die Stadt hinaussah, die er für die offiziellen arkonidischen Kanäle auf den Namen Mirktron getauft hatte, sah er vor allem eines: eine erfolgreiche Schlacht.
Der Pilot setzte ihn nach kurzem Flug am Fuß des hohen Fernsehturmes ab, der Chetzkel als Einsatzzentrale diente. Man hatte nicht nur eine ausgezeichnete Sicht von dort oben – das komplette Repertoire menschlicher Nachrichtentechnologie war nie mehr als einen Raum entfernt, und ein eigener Schutzschirmgenerator schützte den Turm vor terroristischen Akten.
Sabur erwartete ihn bereits inmitten einer Traube seiner Offiziere. Nur Mia war nirgends zu sehen. Die Katzenfrau war in letzter Zeit immer wortkarger geworden – wie ein junger Arbtan nach seinem ersten Kampfeinsatz. Vielleicht war es aber auch nur eine ihrer Launen, an denen sie den Tieren, die sie zu ihrem Vorbild erkoren hatte, nicht nachstand. Chetzkel wusste es nicht, und es war ihm auch egal. Er hatte Wichtigeres zu tun, als das Gefühlsleben seiner Bettgefährtin zu ergründen.
»Sabur!«, rief er den Mediker zu sich und ging mit ihm ein paar Schritte abseits. »Was haben Sie zu berichten? Gibt es irgendeine Spur von den gesuchten Schiffen?«
Gleich zwei Mal an diesem Morgen waren ihm Flüchtige durch das unerwartete Eingriffen fremder Raumschiffe durch die Lappen gegangen. Erst hatte dieses bareonische Schiff – eine Antiquität, die gar nicht mehr existieren dürfte – den arroganten Derengar Crest da Zoltral und seine Ziehtochter gerettet; dann war ihm das vierarmige Ungetüm, das seine Abrechnung mit Fürsorger Satrak vereitelt hatte, mit einem unbekannten Raumer entkommen, der einem Felsen glich. Bildaufnahmen bewiesen, dass dieser Einsatz ausgerechnet von Reginald Bull geleitet worden war, den letzten Monat ein ebensolches, obgleich kleineres Schiff aus Satraks Palast in Terrania befreit hatte. Damals war Bull in Begleitung Perry Rhodans gewesen – nun tauchte er mit einem jener fremdartigen, ausgemergelten Wesen wieder auf, denen Chetzkel auf dem zerstörten Mond Dysnomia begegnet war.
Hieß das, auch Rhodan war zurück? Hatten die Rebellen ein Bündnis mit jenen Kreaturen geschlossen? Und was hatte es mit dem geheimnisvollen Schlachtschiff auf sich, dem das Flaggschiff seines Nachschubkonvois zum Opfer gefallen war? Was ging dort draußen eigentlich vor?
»Das Felsenschiff konnte leider nicht mehr geortet werden«, sagte Sabur. »Sein letzter Kurs führte ins Innere des Systems, und mehrere unserer Einheiten suchen nach ihm – bislang vergebens. Wir haben es aber schwer beschädigt, ehe es von unseren Ortern verschwand. Vielleicht brauchen wir uns also keine Gedanken mehr darum zu machen.«
»Ich verlasse mich in diesem Kampf nur noch auf das, was ich mit eigenen Augen sehe, mit eigenen Händen getan habe«, knurrte Chetzkel. »Aber fahren Sie fort.«
»Was das bareonische Schiff angeht: Es hatte sich tatsächlich im Krater dieses Vulkans verborgen. Ich habe den Krater untersuchen lassen und die Aufzeichnungen der Gefechte in den ersten Stunden des Protektorats studiert. Es scheint, dass Crest da Zoltral und seine Unterstützer das kurze Zeitfenster der Ablenkung nutzten, als wir die Unterwasserkuppel vor den Azoren zerstörten und unsere Orter von den Energieausbrüchen geblendet waren.«
»Das hilft uns heute auch nicht mehr!«, entgegnete Chetzkel schärfer als nötig. Es war ihm mittlerweile klar, dass die Vernichtung dieser Kuppel ein Fehler gewesen war. Sie hätte ihm vielleicht Antworten auf viele seiner aktuellen Fragen liefern können. Er brauchte sich jetzt aber nicht noch anzuhören, dass er mit dieser Aktion seinen Feinden in die Hände gespielt hatte. »Was ist mit Satrak? Ist er uns ebenfalls entkommen?«
Der Fürsorger war das letzte Mal kurz vor dem Auftauchen der IQUESKEL gesichtet worden, seitdem jedoch spurlos verschwunden. Chetzkel musste unbedingt dafür sorgen, dass Satrak, sollte er denn noch leben, den Kessel nicht mehr lebend verließ – sonst waren seine Tage als Interimsfürsorger gezählt.
»Wir glauben nicht, dass er es an Bord des Schiffes geschafft hat«, beruhigte ihn Sabur. »Aber seine Leiche haben wir ebenfalls noch nicht gefunden.«
»Bis jetzt sind das alles ausnehmend schlechte Nachrichten, oder gar keine Neuigkeiten – was wollten Sie mir denn nun mitteilen, Sabur?«
Der stämmige Mann warf einen verschwörerischen Blick über die Schulter, doch die Männer und Frauen, die die Basis des Turms bewachten, die Gleiter einwiesen und die Einsätze koordinierten, hielten respektvollen Abstand.
Dann griff er in seine Umhängetasche, in der er seine medizinische Ausrüstung transportierte, und holte ein kleines Holzetui heraus, das Chetzkel nicht unbekannt war.
»Wir haben das hier gefunden. Nicht weit von der Stelle, wo wir da Zoltral verloren haben.«
Chetzkel sog scharf die Luft ein. Es war das Etui, in dem der Alte »Imperators Gerechtigkeit« verwahrt hatte, das legendäre Emblem der Imperatoren, mit dem er Chetzkel zu erpressen versucht hatte. Wenn es sich wirklich um das Original handelte, wie da Zoltral behauptet hatte, dann war der Nadler von unermesslichem Wert. Und sie hatten schon geglaubt, dass er für immer verloren wäre ...
»Ist er noch ...«
Sabur nickte. Chetzkel konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Er nahm Sabur das Etui ab und klappte es vorsichtig auf.
Der antike Jiku-77 ruhte unschuldig in seinem Bett aus Samt. Andächtig nahm Chetzkel den Anblick in sich auf. Die Waffe wirkte ... einladend. Beinahe sinnlich. Wie es sich wohl anfühlen würde, sie zu tragen?
Er klappte das Etui wieder zu. »Gute Arbeit«, lobte er Sabur.
Der Mediker lächelte erfreut. »Soll ich das Etui in Verwahrung nehmen, damit Sie sich weiter an den Einsätzen beteiligen können?«
»Nein«, sagte Chetzkel. Er vertraute Sabur, und die Stellung hier am Fernsehturm war der sicherste Ort in der Sperrzone – doch der Nadler war einfach zu wertvoll und durfte ihm nicht noch einmal verloren gehen. »Ich bringe ihn persönlich weg.«
Perry Rhodan
424 Lichtjahre von der Erde entfernt umkreiste eine dichte Akkretionsscheibe aus Staub und Gestein einen weißgelben Hauptreihenstern der Spektralklasse F in einem Abstand von knapp 300 Millionen Kilometern. Zwei weitere Gürtel, vornehmlich aus Eis, umgaben den Stern in vierfacher und vierzigfacher Distanz; und noch weiter entfernt, in einem Abstand von etwa einem Lichttag, kreiste ein zweiter, etwas kühlerer Stern, der mit dem ersten ein Doppelsternsystem bildete. Noch gab es keine Planeten in diesem System, das im Henry-Draper-Katalog des Harvard College Observatory unter der Bezeichnung HD 113766 gelistet war.
Noch.
Doch in vielleicht schon zehn, spätestens hundert Millionen Jahren würde aus dieser Staubscheibe ein erdgroßer Planet inmitten der habitablen Zone seines Systems entstehen. Eine kurze Zeit in kosmischen Maßstäben. Und wenn die Evolution dort einen etwas schnelleren Gang als auf der Erde nahm, könnte dieser Planet auch intelligentes Leben hervorbringen, ehe seine Sonne in etwa drei Milliarden Jahren zu einem Roten Riesen würde und sich mit dem Planeten, der einst aus dem gleichen Staub entstanden war wie sie, wieder vereinte.
Und vielleicht würden die Bewohner dieser Welt Teil desselben Konfliktes sein wie die Menschen an Bord der acht Raumschiffe, die sich am 23. Januar 2038 irdischer Zeitrechnung in diesem System versammelt hatten: der Rest der Terranischen Flotte, die letzten freien Menschen, die sich dem Zugriff des arkonidischen Protektorats bislang entzogen hatten.
Nur Figuren im großen Ringen der kosmischen Mächte, dachte Perry Rhodan. Unbedeutend und unersetzlich wertvoll zugleich. Ein einziges Leben mochte den Gang der Geschichte verändern. Und deshalb war jedes Leben gleich wertvoll – egal unter welcher Sonne es geboren worden war und auf welch verschlungenen Pfaden es seinen Weg durch Raum und Zeit nahm.
Mit ihm am Tisch im großen Konferenzraum der VEAST'ARK saßen seine Gefährten von acht verschiedenen Welten: Thora und ihr Ziehvater Crest da Zoltral, die mit der IQUESKEL von der Erde geflohen waren; sein alter Freund Marcus Everson, der ihn nach seiner Rückkehr von Derogwanien in Empfang genommen hatte; Conrad Deringhouse, zuletzt Triumvir der vom Protektorat vernichteten Zufluchtswelt New Earth; Shaneka, die auf der Kolonialwelt Cimran geborene Kommandantin der RANIR'TAN; Quiniu Soptor, von Targelon, und der exzentrische Charron da Gonozal; die beiden Sternenlotsen Che'Den und En'Imh, die im Licht des Sonnenleuchtfeuers Hela Ariela geboren worden waren; die Ara Leyle und der Naat Jeethar; außerdem Julian Tifflor und Mildred Orsons sowie die Mutanten John Marshall, Ras Tschubai, Betty Toufry, Sue Mirafiore und Sid González.
Was für einen weiten Weg sie alle doch hinter sich hatten.
Und was für ein weiter Weg noch vor ihnen lag ...
»Derogwanien wurde vernichtet«, sagte Rhodan. »Aber wir hatten Gelegenheit, mit Callibso zu reden – mit ihm und unserem alten Freund Ernst Ellert.« Alle hingen gebannt an seinen Lippen. Die meisten hatten die Neuigkeiten schon gehört, doch nur diejenigen, die selbst einmal Fuß auf die Welt des Puppenspielers gesetzt hatten, konnten sich wirklich ein Bild von diesem wundersamen Ort machen und ermessen, was sein Verlust bedeutete.
»Ich habe Antworten gesucht«, fuhr Rhodan fort. »Wieso wollte Callibso immer wieder den Lauf der Menschheitsgeschichte verändern? Wieso haben er und seine Puppen mehrmals in mein Leben eingegriffen und alles darangesetzt, mich von meinem Weg abzubringen?« Er schwieg einen Moment und dachte an all die unschuldigen Opfer, die dieser Versuch gefordert hatte. »Gleichzeitig hat ES durch seinen Gesandten Carfesch, getarnt als mein Onkel Karl, seine schützende Hand über mich gehalten ...«
Oder eher: seine lenkende Hand, warf das Enteron nur für ihn hörbar ein. Auch der Symbiont hatte sich wieder mit ihm vereint und ließ ihn an seiner kompromisslosen, oft zynischen Sicht der Dinge teilhaben.
Der Gedanke, so lange ein nichts ahnender Spielball höherer Mächte gewesen zu sein, missfiel Rhodan, doch in dieser Hinsicht hatte das Enteron recht: Keiner dieser Mächte war wirklich zu trauen.
»Was aber war so wichtig an der Erde oder unserem Flug zum Mond, dass es das Interesse dieser Wesen weckte?«
»Das Ringen«, antwortete Crest. Der alte Arkonide sprach nach wie vor mit matter Stimme, denn er war dem Tod wieder einmal in letzter Sekunde von der Schippe gesprungen. Und unwillkürlich musste Rhodan daran denken, wie er und Crest den Namen dieses kosmischen Konflikts zum ersten Mal gehört hatten – damals, auf Wanderer, der Welt des Ewigen Lebens.
»Richtig«, sagte er. »Das Ringen.« Er holte tief Luft. »Wir Menschen stehen im Fokus des Ringens, und seine Wurzeln reichen bis in die ferne Vergangenheit. Im Kern geht es um den Konflikt zwischen den Humanoiden und den Nicht-Humanoiden des Universums. Die Nicht-Humanoiden halten die Humanoiden für eine derartige Gefahr, dass sie glauben, sie mit allen Mitteln in Schach halten, ja nötigenfalls ausrotten zu müssen. Insbesondere wir Menschen werden als Bedrohung angesehen. Deshalb wurde die Erde unter eine Art ... Quarantäne gestellt.«
Er griff nach Thoras Hand und drückte sie fest. »Doch durch den Kontakt, den wir zu euch herstellten, sind wir aus dieser Isolation ausgebrochen. Genau das hat Callibso zu verhindern versucht.«
»Vergeblich.« Sie erwiderte seinen Druck.
Rhodan lächelte flüchtig. »Allerdings droht das Ringen dadurch nun aus einer Phase des kalten Krieges in eine des heißen zu treten.«
»Diese Gefahr ist sehr real«, betonte John Marshall mit Blick zu den anderen Mutanten am Tisch. »Wir haben bereits mehr als einmal erlebt, wie skrupellos die Allianz der Anti-Humanoiden mit ihren Gegnern verfährt – den Santor oder den Ilts beispielsweise.«
Pranav Ketar, der Goldene, hatte an Bord der WELTENSAAT Guckys Vater Plofre und weitere Ilts in geheimer Gefangenschaft gehalten. Gucky war mit ihnen zusammen die Flucht gelungen, nachdem sein Vater sich für sie geopfert hatte. Doch wohin es die Ilts verschlagen hatte, blieb – zumindest bislang – im Dunkeln.
»Und nun hat die Allianz mit dem Weltenspalter auch Derogwanien vernichtet«, sagte Betty Toufry. »Weil sie nicht länger dulden wollte, dass ein unbedeutendes Wesen wie Callibso sich eigenmächtig in das Ringen einmischt und ihre Pläne zu durchkreuzen droht.«
»Eine schreckliche Waffe«, warf Charron da Gonozal vom anderen Ende des Tisches aus ein. »Wir konnten nur durch Glück entkommen – und dank unserer Freunde auf dem abtrünnigen Allianz-Kreuzer ENGARAS.«
Die ENGARAS hatte Rhodan und seine Gefährten nach HD 113766 gebracht – das Doppelsternsystem war einer der Rendezvouspunkte der dezimierten Terranischen Flotte. Danach war sie mit unbekanntem Ziel weitergeflogen; mit an Bord der Xisrape Denurion. Rhodan hatte den Eindruck, dass da Gonozal das fremdartige Wesen vermisste.
Der fettleibige Arkonide runzelte die Stirn. »Was mir allerdings nach wie vor nicht klar ist – wie passen wir Arkoniden in dieses Bild?«
Rhodan fühlte die Augen von Thora und Crest auf sich ruhen. Auch über dieses Thema hatten sie sich bereits mehrfach unterhalten, aber gerade den Arkoniden fiel es schwer, die bittere Wahrheit zu akzeptieren.
»Callibso sagte, auch wenn die Arkoniden gegenüber den Menschen und anderen humanoiden Kulturen gern wie Eltern auftreten, so seien doch nicht sie die Eltern, sondern die Menschen.«
»Diese Abstammungstheorien scheinen mir doch allzu fantastisch, wenn ich die Geschichte unserer beider Kulturen vergleiche.« Charron da Gonozal schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Schließlich gibt es doch ziemlich eindeutige Zeugnisse Ihrer Welt zu jener Zeit, da mein entfernter Vorfahr, von dem Sie mir berichteten, auf ihr weilte: Während wir gegen die Methans kämpften, kämpften Sie noch mit Feuerstein und Zunder.« Er räusperte sich. »Nichts für ungut.«
»Die Maßstäbe, von denen wir reden, sind noch weitaus größer«, sagte Rhodan. »Die Methans wurden wohl ebenfalls von der Allianz gegen die Arkoniden gehetzt. Heute dagegen scheint man die Menschheit als potenziell gefährlicher zu erachten als das Große Imperium – vielleicht, weil wir derselben Welt entstammen wie die geheimnisvollen Ersten, die vor langer Zeit auf ihr lebten.«
»Vor mindestens fünfzigtausend Jahren, wenn Fancan Teik die Wahrheit sagt«, merkte Thora an.
»Wer ist Fancan Teik?«, fragte Rhodan.
»Entschuldige, dazu hatten wir noch keine Gelegenheit. Darf ich vorstellen? Teik.« Sie rief ein Holo auf, das ein ungeheuerliches, dreiäugiges, vierarmiges Wesen zeigte, das es gleich mit mehreren Arkoniden auf einmal aufnahm.
»Das sind Bilder der IQUESKEL von den aktuellen Kämpfen auf der Erde. Teik hat fünfzigtausend Jahre in Stasis verbracht. Er bezeichnete sich als Wächter einer verborgenen Welt ...«
»Was hast du da gesagt?«, rief Rhodan aufgeregt. Er spürte, wie das Enteron zusammenzuckte. Der Wächter der Verborgenen Welt ... ihn hatten sie vor ihrem Aufbruch nach Derogwanien vergeblich gesucht, um Zutritt zum Planeten Vulkan zu finden. »Wo befindet er sich jetzt?«
Thora sprang zu einem späteren Zeitindex. Der dunkelhäutige Riese kämpfte auf verlorenem Posten gegen eine Übermacht arkonidischer Truppen, als auf einmal wie aus dem Nichts ein Essat, ein Felsenschiff der Sternenmenschen, direkt über ihm erschien und ihn an Bord nahm. Die Szene erinnerte Rhodan plastisch an ihre eigene Rettung vorigen Monat am Ufer des Goshun-Sees – nur dass dieser Essat deutlich größer war als die INNESAY. Einen Moment glaubte er in der offenen Schleuse sogar ein vertrautes Gesicht zu erkennen: Kittur, den einarmigen Errkarem. Und dieser andere Mann da bei ihm – das war Reg!
»Was ist aus Reg und diesem Teik geworden?«
Thora schüttelte bedauernd den Kopf. »Das Schiff hat auf der Flucht von der Erde einige schwere Treffer eingesteckt, ehe es von den Holos verschwand. Alles, was wir beobachten konnten, haben wir bereits der Positronik der VEAST'ARK überspielt.«
Rhodan holte tief Luft. Er hoffte nur, seinem Freund ging es gut.
»Was hat es mit dieser verborgenen Welt auf sich?«, fragte Crest.
In Kürze wiederholte Rhodan noch einmal, was ihm und seinen Gefährten die letzten Wochen widerfahren war: ihre Erlebnisse auf Ettves und den Heißen Welten, die Prophezeiung des Schläfers der Ewigkeit, die Entdeckung Vulkans, der Verborgenen Welt, und ihre vergebliche Suche nach dem Wächter auf der Venus.
»Es gibt also noch eine weitere Zivilisation in Ihrem Sonnensystem, neben den Menschen.« Der Derengar war beeindruckt.
»Streng genommen sogar zwei: die Orristan und die Errkarem«, sagte Ras Tschubai, der gemeinsam mit dem Norweger Frederik Andersson sowohl die Kalten als auch die Heißen Welten bereist hatte.
»Aber beide verfügen über die gleichen erstaunlichen Fähigkeiten«, ergänzte Leyle. Die Ara hatte die Physiologie der Sternenmenschen gründlich untersucht. »Sie sind perfekt an das Leben im Vakuum und auf unwirtlichen Himmelskörpern angepasst – und trotzdem genetisch eng mit den Menschen verwandt.«
»Laut ihren Überlieferungen stammen wir alle von den Ersten ab«, nahm Rhodan den Faden wieder auf. »Denselben mythischen Bewohnern der Erde, die laut Callibso von der Allianz vertrieben wurden. Die Sternenmenschen hoffen auf ihre Rückkehr, und die Verborgene Welt dient dem Schutz der Erde bis zu diesem fernen Tag. Leider wissen wir nicht genau, welche Art von Machtpotenzial diese Welt tatsächlich darstellt. Wir fanden Vulkan innerhalb der Merkurbahn, und auch die geheimen Anlagen. Jedoch verweigerten sie uns den Zutritt. Der Schlüssel zur Verborgenen Welt ist ihr Wächter – und jetzt hat Reg ihn sich geschnappt ...«
»Meinst du, er hat vor, Vulkans Machtpotenzial zu entfesseln?«, fragte Thora. »Die Erde zu befreien?«
»Zuzutrauen ist Reg alles – ich hoffe nur, dass er wohlauf ist und weiß, was er tut.« Rhodan lächelte bitter. »Sobald wir wieder im Sonnensystem sind, werde ich versuchen, Kontakt mit ihm aufzunehmen – wir haben für den Fall der Fälle einen simplen Kode vereinbart. Aber verlassen dürfen wir uns nicht darauf. Selbst wenn die Arkoniden und das Protektorat von verschiedener Seite oft als ›vorübergehende Erscheinung‹ bezeichnet wurden – momentan sind sie unser vordringliches Problem. Die Lage auf der Erde gerät außer Kontrolle – und jede Minute sterben mehr Menschen.«
Mia Weiß
Mia Weiß saß zusammengekauert in einer Ecke der Einsatzzentrale und fragte sich, seit wann genau die Dinge eigentlich so schrecklich schiefgelaufen waren.
Die Zentrale befand sich in dem ehemaligen Restaurant im unteren Turmkorb des Florianturms, gut hundertvierzig Meter über der Stadt, die im offiziellen arkonidischen Sprachgebrauch nur noch Mirktron genannt wurde. Unwillkürlich fiel ihr wieder ein, wie sie und Paul auf einer Party einmal Witze über deutsche Städtenamen gerissen hatten und ein Fliege tragender Geschichtsstudent mit schütterem Haar sie neunmalklug darüber belehrt hatte, dass Dortmund weder von »dort« noch von »Mund« kam, genauso wenig wie Berlin etwas mit Bären oder Darmstadt mit Gedärmen zu tun hatte.
Den Arkoniden war das herzlich egal. Chetzkel machte sich die Welt ... so wie sie ihm gefällt, ergänzte sie in Gedanken. Was nicht passte, wurde passend gemacht. Und das tat der Reekha außerordentlich gut.