Perry Rhodan Neo 95: Im Fluss der Flammen  - Rainer Schorm - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 95: Im Fluss der Flammen E-Book und Hörbuch

Rainer Schorm

4,0

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Beschreibung

Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung in Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst. Aber Chetzkel, der Oberbefehlshaber der Protektoratsflotte, findet heraus, wo sich die Terranische Flotte verbirgt. Der Reekha bricht mit einer Streitmacht von der Erde auf: New Earth soll untergehen - als Warnung an die Menschheit!

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Zeit:5 Std. 53 min

Sprecher:Hanno Dinger
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Band 95

Im Fluss der Flammen

von Rainer Schorm

Im Juni 2036 stößt der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden. Damit verändert er die Weltgeschichte. Die Terranische Union wird gegründet, sie beendet die Spaltung in Nationen. Ferne Welten rücken in greifbare Nähe. Eine Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.

Doch dann bringt das Große Imperium das irdische Sonnensystem unter seine Kontrolle. Die Erde wird zu einem Protektorat Arkons. Die Terranische Union beugt sich zum Schein den neuen Herrschern, während der Widerstand wächst.

Aber Chetzkel, der Oberbefehlshaber der Protektoratsflotte, findet heraus, wo sich die Terranische Flotte verbirgt. Der Reekha bricht mit einer Streitmacht von der Erde auf: New Earth soll untergehen – als Warnung an die Menschheit!

1.

Was bleibt ...

Einsam trieb die Rettungskapsel durch den Raum. Ein großer Zylinder, an beiden Enden oval abgerundet. Das Metall war geschwärzt, Leitungen, die am Rumpf entlangliefen, waren gebrochen, geschmolzen oder standen, ausgeglühten Nadeln gleich, wirr von der Oberfläche ab.

Schrunden verunzierten alles: Plasmaladungen hatten ihre Spuren hinterlassen. Es ähnelte einer kraterübersäten Landschaft aus Stahl, Aluminium, Titan und anderen Werkstoffen. Dennoch hatte die Kapsel keinen einzigen vollwertigen Schuss abbekommen – es handelte sich lediglich um Spuren von Streufeuer oder Streifschüssen. Ein einziger Wirkungstreffer hätte die Kapsel ausgelöscht.

Irgendwann registrierten die Sensoren einen Druckabfall in den Sauerstofftanks. Eine ausgeglühte Stelle brach. Das lebensnotwendige Gas verschwand im Vakuum.

Bald darauf war im Innern der letzte Sauerstoff verbraucht. Die Tanks waren leck, von der Automatik beim ersten Anzeichen des Druckabfalls versiegelt worden. Der prozentuale Anteil an Kohlendioxid nahm zu und erreichte schließlich den kritischen Wert.

Die Energiespeicher leerten sich, über die Maßen beansprucht durch Reparaturroutinen sowie die verstärkt nötige Aufbereitung der Atemluft. Die Heizung setzte aus. Sporadisch zuerst, bald darauf vollständig. Die Wärme begann zu entweichen.

Still trieb die Kapsel weiter durchs All. Im Inneren kauerten zwei Lebewesen, die bald sterben würden. Der erste Schritt war bereits getan. Beide atmeten nicht mehr.

Einige Zeit später näherte sich ein gewaltiges Schiff der Kapsel, aufmerksam geworden durch die schwachen Notsignale, die der kleine Bordsender von sich gab. Ein kräftiger Mann mit blauen Augen und schiefer Nase beobachtete an Bord des Schiffes die Bergungsaktion.

Eine Beschriftung war lesbar. Die Positronik wertete sie aus, wie alle anderen verfügbaren Informationen, obwohl an Bord der Kapsel alle Systeme bis auf den Notrufsender ihre Arbeit eingestellt hatten. Es waren arkonidische Schriftzeichen.

AGEDEN R-29/VI.

Ein Rendezvous zeichnete sich ab. Die schwachen Lebenszeichen waren an Bord registriert worden. Ob die Zeit reichen würde? Es stand in den Sternen.

2.

Tiefenrausch

Die Dunkelheit war blau. Sie war überall.

Drei Blasen aus hellerem Aquamarin schwammen darin. Julian Tifflor befand sich in einer davon. Er beobachtete Orome Tschato und Mildred Orsons, die sich im Schein der schwachen, batteriebetriebenen Lampen bewegten. Die Brauchwasserpipelines an Bord des Schlachtschiffes AGEDEN bildeten ein Labyrinth, das einige merkwürdige Eigenheiten aufwies. Die großen Kavernen im äußeren Schalenbereich des Schiffes bunkerten riesige Mengen an Frischwasser, die für den Betrieb einer derart gewaltigen Flug- und Kampfmaschine erforderlich waren. Sie zogen sich wie eine eigene Kugelschale durch den äußeren Bereich, in dem sich die Hangars, Schutzschirmgeneratoren und andere technische Systeme konzentrierten.

Das ist mal was anderes!, dachte Julian Tifflor. Vor über einem Jahr bin ich mit Mildred durch die Wüste gefahren; mit einem Motorrad, Richtung Terrania. Das hier ist ebenfalls eine Wüste ... irgendwie! Die Presse hätte ihren Spaß an diesem Trip: Sohn des weltberühmten Anwalts William Tifflor geht baden. Oder unter!

Er gab den anderen beiden ein Zeichen. Sie hatten sich von den Außenkavernen hierher vorgearbeitet, bis an den Rand der Antriebssektion. In der mittleren Kugelschale waren die Sprungtriebwerke der AGEDEN installiert. Es war ein gefährlicher Bereich, sie mussten ihren Vorstoß unterbrechen. Sie hatten sich über die Wasserversorgung in Baikonur an Bord geschlichen.

Fünf Teams aus jeweils drei Personen bewegten sich im Wasserkreislauf des Schlachtschiffes. Der Einsatz der Sauerstoff spendenden Respirozyten war in Baikonur unter Realitätsbedingungen getestet worden. Nachdem die übrigen Versuche positiv verlaufen waren, hatte Pounder grünes Licht für diese Aktion gegeben.

Chetzkel, oberster militärischer Befehlshaber des arkonidischen Protektorats, das über die Erde herrschte, schickte sich an, die geflohene Terranische Flotte zu vernichten. Und nach der Flotte, daran bestand kein Zweifel, würde er sich der Erde und der Menschheit widmen.

Sie mussten handeln. Ganz gleich, wie hoch das Risiko sein mochte.

Ihr Plan: die Infiltration von Chetzkels Flaggschiff. Ihr Ziel: die AGEDEN und ihren Kommandierenden zu stoppen.

Tifflor war mit Mildred Orsons und Orome Tschato unterwegs. Sie hatten ihr Ziel beinahe erreicht. Allen Gruppen war es gelungen, die Infiltration ungefähr auf der Ebene der Hauptzentrale zu beenden. Der exakte Weg hatte sich der Planung entzogen. Die Verteilung der aufgenommenen Brauchwassermenge wurde schiffsintern gesteuert. Die Gruppen waren getrennt worden, doch damit hatten alle gerechnet.

Die Druckverhältnisse waren in diesem Bereich akzeptabel. Eine Reihe von Schotten reduzierte die Höhe der Wassersäule auf maximal hundert Meter. Die Gravitation wirkte im Inneren der arkonidischen Schiffe zum unteren Pol hin, nicht etwa zur Hauptzentrale. Durch die Abtrennung der weiter oben liegenden Kavernenpipelines war ein größerer Druckausgleich nicht nötig. Zum Glück, wie Tifflor wusste. Der Durchmesser eines arkonidischen Schlachtschiffes vom Typ der AGEDEN betrug rund 800 Meter. Eine Wassersäule von bloß 400 Metern, dem Radius des Schiffes, hätte bereits dem irdischen Mesopelagial entsprochen: keine Tiefe, die ein Taucher ohne Weiteres ertrug.

Die Respirozyten, synthetische, Sauerstoff tragende Nanokonstrukte von erschreckender Wirksamkeit, ermöglichten ihnen, ohne aktive Sauerstoffaufnahme auszukommen. Eine Lösung des Druckproblems waren die künstlichen Blutzellen dagegen nicht. So beeindruckend diese Nanotechnologie war, sie hatte die Qualität eines Prototyps. Die Nebenwirkungen waren weiße Flecken auf der Landkarte ihrer Planung. Komplikationen waren nicht nur denkbar; sie waren wahrscheinlich. Nicht einmal die Experten hatten sich festlegen wollen.

Tschatos beeindruckende Gestalt schob sich an Tifflor heran. Der Mann aus Windhuk, der sich als Jugendlicher aus dem Waisenhaus gestohlen und sich nach Berlin durchgeschlagen hatte, bewegte sich auch unter Wasser wie eine Raubkatze. Je näher er kam, desto mehr Farben kehrten zurück – allerdings sehr blass. Das Wasser absorbierte die roten Wellenlängen sehr schnell. Blau war der dominierende Eindruck.

Er sieht angespannt aus ..., dachte Tifflor besorgt.

Er selbst fühlte sich unwohl, seit man ihm die Respirozyten injiziert hatte. Es war eine psychologische Frage. Etwas war verschwunden; ein Vorgang, der so ursprünglich, so grundsätzlich war, dass das Fehlen jeden Menschen verunsichern musste.

Atmen heißt Leben. Ich atme nicht. Bin ich also tot?

Es waren bizarre Gedanken, die ihrer Situation entsprachen. Tifflor fühlte den Drang zu lachen, war aber unfähig, ihm nachzugeben. Ein sonderbares Gefühl, denn zusammen mit den Respirozyten war ihnen ein neuartiges Partialsedativum verabreicht worden, das die vegetativen Vorgänge dämpfte, welche die Atmung steuerten. Das sympathische Nervensystem und Teile des Hypothalamus steuerten all das. Der Atemreflex war jedoch nicht erwünscht.

Damit fielen einige andere körperliche Abläufe ebenfalls aus, die beinahe genauso existenziell waren: Keiner von ihnen war in der Lage zu lachen – zumindest solange nicht, wie die neuronale Hemmung aktiv war. Das war anders als beim ersten Versuch in Baikonur, aber die Mediziner hatten die Ausschaltung des Atemreflexes für sinnvoll gehalten. Was an vegetativen Vorgängen nach wie vor ablief, war die Entsorgung des weiterhin in den Körperzellen entstehenden Kohlendioxids. Es musste ausgestoßen werden. Tifflor fragte sich, welche Auswirkungen oder Spätfolgen dieses Experiment wohl haben würde. Positive Antworten wollten ihm keine einfallen. Eine derart tief greifende Manipulation war nicht beschränkbar; sie musste Reaktionen im Organismus nach sich ziehen.

Tschato signalisierte ihm, dass sie sich der Reusenschleuse näherten. Hier mussten sie warten.

Der Sprung der AGEDEN stand unmittelbar bevor. Während der Transition durften sie sich keinesfalls im Bereich der Hyperfelder befinden, die das Schlachtschiff aus dem vierdimensionalen Kontinuum rissen.

Mildred Orsons schüttelte die Hand. Sie wies nach vorn. Dort erkannte Tifflor im tiefen Blau das feine Gitter der Reusenschleuse. Solche Schleusen gab es etliche. Sie dienten dazu, größere Objekte zurückzuhalten, die eventuell in die Kavernenleitungen gerieten. Nicht immer war das Schiff in der Lage, in einem offiziellen Depot der Flotte Wasser zu bunkern. Häufig genug geschah das auf irgendeiner fremden Welt. Was dort an lebenden und toten Dingen im Wasser herumschwamm, stellte sich Tifflor nur ungern vor. Zumindest damit mussten sie bei dieser Expedition nicht rechnen.

An den Wänden der Kavernenleitungen zogen sich finnenartige Konstruktionen entlang. Sie erinnerten Julian Tifflor ein wenig an die spiralförmigen Züge im Lauf einer Projektilwaffe. Den Konstruktionsunterlagen zufolge handelte es sich um Heizelemente.

Den Sinn dieser Einrichtung verstand er nicht.

Mildred klinkte ein Kommunikationskabel ein. Sie hatten alles vermeiden wollen, was von der arkonidischen Energieortung erfasst werden konnte. Funk- oder lasergestützte Kommunikation fiel damit aus. Eine Kabelverbindung mochte steinzeitlich anmuten, sie war in jedem Falle sicher.

Die dunkle Schwimmhaube und die Schutzbrille des Spezialanzuges verwandelte ihr hübsches, schmales Gesicht in etwas Fischähnliches. Es lag nicht frei, sondern das Kopfteil der Chloroprenanzüge war mit einer Scheibe versehen, die der eines Raumanzuges ähnelte. Der Körper war vollständig isoliert, verlor weniger Wärme, und die Artikulation beim Sprechen war problemlos möglich. Das Sprechen selbst funktionierte, weil das Kohlendioxid ausgestoßen werden musste. Tifflor dachte voller Grauen daran, dass anderenfalls auch die Fähigkeit zu sprechen verschwunden wäre.

Gleich darauf hörte er ihre Stimme. »Ist das nötig? Wir wissen doch, dass die Wasserversorgung nicht überwacht wird, was das angeht.« Sie schüttelte den Kopf.

Die Diskussion allerdings war nicht neu. Sie diente nicht der Problemlösung, denn alle kannten die Gründe für die rustikale, ja spartanische Ausrüstung. Es war eine Möglichkeit, sich abzulenken.

Das Meckern über die Ausrüstung gehört immer dazu, dachte Tifflor amüsiert. Er spielte mit. »Es ist nötig. Natürlich überwachen die Arkoniden die Kavernenleitungen nicht flächendeckend, aber ihre Energieortung ist ziemlich potent. Ein Pieps zu viel, und sie schauen genauer nach. Das können wir nicht riskieren. Ich weiß, wie umständlich das ist.«

Tschato hatte sich ebenfalls eingeklinkt. Seine Stimme klang belegt, aber das mochte an der Kabelverbindung liegen.

»Ich habe schon bei unseren kleinen Batterielampen Bauchschmerzen! Trotzdem: Wir müssen was sehen. Hört ihr das?«

Tifflor lauschte, Mildred Orsons ebenfalls. Das Wasser leitete den tiefen, vibrierenden Ton ausgezeichnet. Angenehmer wurde er dadurch nicht.

»Sie fahren das Sprungtriebwerk hoch«, sagte Tifflor. »Wir können jetzt nicht weiter, obwohl wir schlecht in der Zeit liegen! Wir müssen warten, bis das Schiff rematerialisiert ist.«

»Macht nichts!« Mildred Orsons winkte ab. »Noch sind wir im Zeitfenster. Knapp, aber es ist akzeptabel. Wir sind sehr weit draußen gelandet. Die letzte Trennschleuse hat uns aufgehalten. Crocker wird toben, aber wir wussten, dass wir mit solchen Überraschungen konfrontiert werden würden. Wir haben die Pläne anderer Schiffe, aber die AGEDEN ist eine eigene Baureihe. Das wird den anderen nicht besser gegangen sein. Aber die sind solche Aktionen gewohnt und dafür ausgebildet. Vorsicht jetzt! Es geht los.«

Tifflor grinste hinter seiner Maske. »Mr. Snips wird uns nicht umbringen. Wir sind zwar keine Soldaten, aber wir haben die meiste Erfahrung in dieser speziellen Umgebung. Das respektiert er!«

Mr. Snips war der Spitzname von Lieutenant Commander Joseph A. Crocker. Der Offizier leitete das Einsatzkommando, das aus ehemaligen Navy Seals bestand. Es war ein eingespieltes Team. Orsons, Tschato und Tifflor stellten mit ihrem eigenen Dreierteam einen Fremdkörper dar.

Das Brummen steigerte sich zu einem stakkatoartigen Wummern, das Tifflors Magen in Schwingungen versetzte. Der tiefe Ton stieg an, wurde immer heller, bis er scheinbar verschwand.

»Jetzt ...«, brachte Tschato heraus, bevor ihn der Transitionsschmerz packte.

Tifflor fühlte das bekannte glühende Messer im Nacken; gleich darauf in Rückenmark und Schädel.

»Schei... ahhhhhh!«, keuchte er, sofort darauf wurde ihm schwarz vor Augen: für eine kurze Nicht-Zeit. In der nächsten Sekunde stabilisierte sich das rematerialisierte Schiff wieder im Normalraum. Der Restschmerz blieb ein wenig länger. Übergangslos wurde ihm kalt.

Jemand rüttelte an seinem Arm. Er drehte sich in der allgegenwärtigen Bläue und bemerkte Mildred Orsons weit aufgerissene Augen. Tschato drehte sich ebenfalls. Tifflor registrierte, dass er ständig die Hände ballte, öffnete und schloss.

Gleich darauf sah er den Grund für die Reaktion seiner Freundin.

»Was zum Teufel ist das ...?«, entfuhr es ihm.

Die Umgebung hatte sich verwandelt. Große, helle Brocken schwammen im Blau, hatten sich an den Wänden gebildet; an der nahen Reusenschleuse war das Netz an vielen Stellen davon bedeckt. Die Formen waren bizarr: verzerrte, in die Länge gezogene Schneeflocken.

»Eis! Das ist Eis!«, hörte er die junge Frau fasziniert flüstern.

Tschato sagte nichts. Er war unkonzentriert. Diese Tatsache beunruhigte Julian Tifflor. Zudem gefiel ihm die Haltung des Panthers nicht. Bisher hatte Orome Tschato eine ausgezeichnete Figur abgegeben. Seine Kraft war beeindruckend, und er bewegte sich unter Wasser wie ein Fisch. Die immer etwas hängenden Schultern, die unter normalen Umständen manchmal unbeholfen wirkten, verliehen ihm in dieser Umgebung eine dynamische Form. Doch nun verkrampfte sich der ehemalige Terra Polizist.

»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich Tifflor.

Tschato ignorierte die Frage vollständig. »Mein Gott, ist mir kalt«, sagte er stattdessen. »Du weißt, dass ich Kälte hasse! Überall Eis. Ich denke, das kommt durch den Sprung!« Er rieb einen raureifähnlichen Niederschlag vom Kommunikationskabel.

»Durch den Sprung?«, erkundigte sich Mildred Orsons.

»Ich glaube, er hat recht.« Tifflor schob einen nach oben treibenden Eisklumpen von sich weg. »Wir wissen, dass es im Bereich des Sprungtriebwerks häufig zu Energieschwund kommt. Das hat mit der Funktion der Sprunggeneratoren zu tun. Der Hyperraum nimmt sozusagen gern einen Extrahappen Energie aus dem Normalraum. Das ist einer der Gründe, warum man sich nicht im Bereich der Triebwerke aufhalten darf.«

»Das tun wir nicht, aber das Eis ist trotzdem da!«, wandte Mildred ein.

»Ja.« Tifflor beobachtete Tschato weiter. »Wir sind nahe dran. Vielleicht war das zu nahe. Ich denke, das hat vor uns keiner ausprobiert. Also gibt's keine Berichte darüber. Wir hatten Glück.«

»Das nennst du Glück?« Tschato quetschte die Worte förmlich hinaus. »Ich fühle mich wie ein verdammter Eiswürfel im Whisky. Was glaubst du denn, wie lange wir trotz dieser Anzüge durchhalten, wenn die Wassertemperatur derart abgesunken ist? Der Wärmeverlust wird weiter zunehmen: Chloropren und Isolation hin oder her. Unser Zeitfenster wird immer enger. Meine Finger und Zehen kribbeln!«

»Schaut mal. Es schmilzt!« Orsons deutete nach rechts, wo sich ein längliches Eisgebilde auflöste. »Ich glaube, ich weiß jetzt auch, wozu diese sonderbaren Finnen dienen.«

»Das sind Heizelemente.« Tifflor beobachtete fasziniert, wie das gefrorene Wasser an der Reuse schmolz. »Sie lösen die Eisgebilde auf, bevor sie Schaden anrichten können. Das sind vollautomatische Routinen. Die laufen nach jeder Transition ab, ohne dass sich jemand darum kümmert oder etwas davon mitbekommt. Also ist das Phänomen bekannt, aber für die Arkoniden ist es viel zu alltäglich. Darüber redet man längst nicht mehr.«

»Wir müssen weiter!«, drängte Tschato.

Tifflor gab ihm recht: »Ja. Also los! Bevor wir festfrieren. Mildred, das ist dein Job!«

Die junge Frau gab ihr O. K. und schwamm auf die kreisförmige Reuse zu, die ihnen den Weg in den inneren Bereich des Schiffes versperrte. Die gitterähnliche Konstruktion war in einer kreisförmigen Metallschiene eingelassen und dort mit Bolzen befestigt. Mildred trug eines der wenigen Werkzeuge bei sich, die sie hatten mitnehmen können: einen Injektor, der modifizierte metallfressende Bakterien enthielt. Die Adhäsion verteilte den viskosen Träger über den kompletten Umfang der Reuse. Die Bakterien, modifizierte Extremophile, oxidierten das Metall in atemberaubendem Tempo. Sie ließen es spröde werden: Rost im Zeitraffer. Den notwendigen Sauerstoff lieferte das Wasser.

Tifflor registrierte, dass Tschato zusammenzuckte. Sein ganzer Körper bog sich.

»Was ist mit dir?«, schrie er ihn an. »Raus mit der Sprache!«

Die Antwort war beunruhigend. »Ich hab fürchterliche Kopfschmerzen. Mir wird zunehmend schwindelig! Hände und Füße kribbeln entsetzlich.«

Mildred Orsons fuhr im Wasser herum. »Mist!«

»Was kann das sein?«, fragte Tifflor, obwohl er die Antwort ahnte.

»Das liegt nicht an der Kälte. Außerdem sind das sicher nicht seine üblichen Augmentationsschmerzen. Das sind Durchblutungsstörungen. Das hängt bestimmt mit diesen verdammten Respirozyten zusammen. Ich hab den Dingern nie getraut.«

»Warum ... das denn?« Tschato krümmte sich erneut zusammen. Die Finger zitterten.

»Hat vielleicht mit dem Druck zu tun. Wir mussten etliche Meter absteigen. Das muss man beim Tauchen sehr kontrolliert tun. Die falschen Erythrozyten sind mit einer Kohlenstoff-Stickstoff-Schicht isoliert, die sich mit der Zeit zersetzt. Der Stickstoff könnte Schwierigkeiten machen. Vielleicht ist das sogar eine bizarre Form von Taucherkrankheit? Wenn die Isolierung weg ist, reagiert das Immunsystem. Wahrscheinlich verdickt sein Blut. Hoffentlich bekommt er keine Thrombose.«

Mildred Orsons hatte sich eingehend mit ihrer Atemhilfe beschäftigt. Als Beinahe-Virologin besaß sie die besten Voraussetzungen. Sie war der neuen Technologie gegenüber misstrauisch gewesen. Wahrscheinlich behielt sie recht.

Tschatos Muskeln zuckten. Tifflor griff nach ihm. »Halt durch! Wir können hier nicht raus. Zuerst müssen wir durch die Reuse, danach durch die Sprungsektion. Schaffst du das?«

Die Eleganz des Panthers war verschwunden. »Weiß ... ich nicht. Ich ... tu, was ich kann. Beeilt euch! Egal wie. Macht ... weiter!«

Tifflor fühlte sich hilflos. Sie konnten zu diesem Zeitpunkt nichts tun. Er gab seiner Freundin ein Zeichen. »Mach so schnell du kannst! Ich weiß nicht, wie viel Zeit er hat!«

Ein dumpfes Dröhnen klang auf. Das Geräusch unterschied sich deutlich von denen des Sprungtriebwerks.

Mildred Orsons stöhnte. »Was ist das jetzt wieder?«

Das Wasser gab ihr die Antwort. Es geriet in Bewegung. Die drei Menschen fühlten die aufkommende Strömung.

»Das hat uns gerade noch gefehlt. Die AGEDEN pumpt Wasser aus den Außenkavernen in den inneren Bereich.«

»Aber warum jetzt?« Tifflor klammerte sich an eine der finnenartigen Konstruktionen. Er stellte erleichtert fest, dass sie nicht mehr aufgeheizt wurden. Das Eis hatte sich weitgehend aufgelöst. Die Temperatur war etwas angestiegen. Kalt war es immer noch.

Mildred schob sich an die Reusenschiene und zückte den Bakterieninjektor. »Wahrscheinlich hat der Kommandant das Schiff in Alarmzustand versetzt. Immerhin zielt diese ganze Aktion auf die Vernichtung unserer Flotte. Ich nehme an, wenn Alarm herrscht, werden die Tanks, die die Zentrale und die Innenkugel versorgen, komplett aufgefüllt: Für den Katastrophenfall muss die Wasserreserve gesichert sein. Ah, Mist. So ein ...«

Sie unterbrach sich. Ihre Stimme wurde schrill.

Im selben Augenblick wurde Tschato von der weiter zunehmenden Pumpströmung gegen die Reuse gepresst. Das Kontaktkabel hatte sich gelöst. Es war unmöglich, mit ihm zu sprechen. Ob dieser dazu überhaupt in der Lage war? Die körperlichen Probleme schienen zuzunehmen. Er wedelte ruckartig mit den Armen, kam kaum gegen die Kraft des anbrandenden Wassers an.

Mein Gott, er wird sterben! Er hängt wie eine Fliege in einem Spinnennetz aus Metall. Wir können nichts dagegen tun. Der Druck ist zu stark!

Er machte Anstalten, dem Panther zu Hilfe zu kommen, egal wie aussichtslos es war.

Mildred hielt ihn zurück. »Lass ihn. Wir können momentan nichts für ihn tun. Er muss das aushalten. Hilf mir! Ich hab Schwierigkeiten.«

»Was ist denn?« Der Strömungsdruck machte Tifflor zu schaffen, obwohl ihn keine Ausfallerscheinungen plagten. Was Tschato in diesem Augenblick auszustehen hatte, wagte er sich kaum vorzustellen.

Sie kannten einander erst seit knapp zwei Wochen, aber sie bildeten bereits ein Team. Wieder einmal waren sie zu dritt. Tschato war ein Freund geworden – wie damals Timothy Harnahan. Während des ersten Tests hatte der dunkelhäutige Riese sie gerettet. Nun waren sie gezwungen, ihn im Stich zu lassen. Tifflor fühlte sich miserabel. Er wusste, dass es keine andere Lösung gab. Sie mussten die Reusenschleuse beseitigen und Tschato zu einer Stelle bringen, an der ein Ausstieg möglich war. Mildred hatte recht. Es war die einzige Option, die ihnen blieb.

»Das Wasser!« Mildred schrie beinahe. »Die Strömung schwemmt die Bakterienlösung weg. Ich kriege nichts in die Leitschiene hinein! Der Abstand ist zu klein – ich komme mit der Tülle nicht in den Zwischenraum!«

Tifflor reagierte sofort. Die einzige Möglichkeit, die Strömung abzuschwächen, war, Mildred abzuschirmen – mit seinem Körper. Ihr selbst gelang das nicht, da sie sonst den Zugang zur Arretierungsschiene verlor. Er drehte sich quer, bildete so ein Hindernis, an dem das Wasser abgelenkt wurde. Der Druck war enorm. Der Strom drückte mit brutaler Gewalt gegen seine gekrümmte Wirbelsäule. Er keuchte, war kaum in der Lage, sich zu halten.

Die junge Frau verstand. Sie wusste, dass Tifflor der Gewalt des anströmenden Wassers nicht lange würde widerstehen können. Sie reagierte und nutzte die Gelegenheit. Über der Stelle, an der sie die Lösung injizieren musste, beruhigte sich das Wasser. Nur ein paar kleine Wirbel blieben, doch das war kein Hindernis mehr. So schnell sie konnte, stellte sie den Injektionsdruck neu ein. Die Tülle war zu dick, also musste der Druck die zusätzliche Entfernung überbrücken. Die Reusenschleuse saß ohne Spiel in ihrer Führung – in den Plänen war genug Platz für das Einführen der dicken Kanüle gewesen. Hier war das nicht so. Die AGEDEN gehörte zu einer anderen Baureihe; immerhin war das Schiff nicht neu. Der Unterschied betrug vielleicht fünf Millimeter, mehr nicht.

»Bleib so! Solange es geht!«, forderte sie Tifflor auf. Er bestätigte mit einer Geste. Das Wasser übte einen gewaltigen Druck aus. Nicht weit entfernt hing Tschatos regloser Körper wie festgenagelt im Zentrum des Reusengitters. Er bewegte sich kaum noch.

Mildred Orsons schob die Kanüle so nahe wie möglich an die Verbindungsstelle. Mit großer Kraft presste der Injektor den viskosen Bakterienträger in die Leitschiene hinein. Ungestört von vorbeifließendem Wasser verteilte die Adhäsion das Gel, das sich wie ein dünner Film um das Metall von Schienen und Haltebolzen legte. Die Bakterien begannen mit ihrer gefräßigen Arbeit.

Die Menschen mussten warten.

Orsons drehte sich. Tifflors Gesichtszüge waren verzerrt – zumindest diejenigen, die hinter der Maske zu sehen waren. Sie gab ihm das Okay-Zeichen.

Erleichtert drehte sich ihr Freund in die Strömung. Er blickte in Tschatos Richtung. Der Panther hing unverändert im Reusengitter. Im Zentrum der Pipeline war der Strömungsdruck deutlich höher als im Bereich der Wandungen. Er war nicht mehr in der Lage, sich zu rühren. Die Finger zuckten unruhig. Tschato litt Höllenqualen.

»Wir müssen ihm das Gegenmittel injizieren. Er stirbt!« Mildreds Stimme klang hektisch.

Es war die einzige Möglichkeit, die Respirozyten auszuschalten. Wenn der Panther an Blutverdickung litt, würden die Folgen früher oder später tödlich sein. Thrombosen waren der erste Schritt, Durchblutungsstörungen im Gehirn konnten den Freund für immer in ein Wrack verwandeln.

»Das geht nicht!« Tifflor hielt sie zurück. »Wenn wir die Dinger ausknipsen, erstickt er. Wir können nur warten und hoffen, dass er durchhält.«

Mildred Orsons starrte auf den Zeitmesser. Die Sekunden verstrichen in grausamer Langsamkeit. Sie mussten hilflos zusehen, wie sich Orome Tschato dem Tod näherte.

»Jetzt. Versuchen wir's!«

Tifflor und Orsons schwammen mit kurzen, kraftvollen Bewegungen auf die Reuse zu.

»Auf drei!«, befahl die junge Frau.

»Eins!«

Tifflor warf einen letzten Blick auf den leidenden Freund.

»Zwei!«

Der Druck der Strömung schien zuzunehmen, obwohl er wusste, dass es reine Einbildung war.

»Drei! Los!«

Gemeinsam hieben die beiden auf den Randbereich der Reuse ein, so gut es der Wasserwiderstand gestattete. Die Strömungsrichtung erleichterte ihnen die Arbeit.

Nichts.

»Noch mal!« Tifflor spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sein Magen machte sich sauer bemerkbar.

»Da. Sie bewegt sich. Noch mal!«

Der nächste Schlag zerbrach das spröde gewordene Metall. Die Reuse rutschte nach vorn, gab den Weg frei, ins Innere des Schiffes.

Tifflor griff nach Tschato, dessen Arm im Gitter hing wie ein angeschwemmter Ast. Er zog ihn mit sich. Mildred Orsons schwamm voraus, über das Kommunikationskabel mit ihm verbunden.

Tifflor bemerkte, dass der Freund die Augen verdrehte.

Er driftet ab! Wenn wir nicht so schnell wie möglich unseren Ausstiegsabschnitt erreichen, ist er tot!

3.

Feldherrnhügel

Die Lichter erloschen. Zurück blieb eine diffuse Dämmerung, in der die Silhouetten der Anwesenden wie schwarze Statuen wirkten. Nur einer der Schatten bewegte sich. Ein leises Zischen war zu hören.

Der Schatten machte mit dem rechten Arm eine auffordernde Bewegung. Im Zentrum des Raumes, über einer schmucklosen, tischähnlichen Fläche, entstand ein Holo. Es zeigte einen Planeten. Einige der Schatten holten hörbar Luft, andere atmeten ebenso hörbar aus.

»Larsaf!«, flüsterte einer der Offiziere.

»Nehmen Sie's als Inspiration, wenn Sie wollen.« Chetzkels scharfe Stimme war leise, aber gut verständlich. »Die Ähnlichkeit ist reiner Zufall!«

Ein Spot warf einen schwachen Lichtkegel und riss den militärischen Oberbefehlshaber des Protektorats aus dem Halbdunkel. Die schuppige Haut sah unheimlich aus. Das schwache, schräg auf ihn gerichtete Licht erzeugte den Anschein, als sei die Haut nicht schuppig, sondern von unzähligen Rissen durchzogen; Schrunden oder Narben.

Chetzkels Zunge schoss mehrmals zwischen den hornigen Lippen hervor, anschließend wandte er sich direkt an den Sprecher. »Wir haben bisher keine Informationen über die Welt, auf die sich die sogenannte Terranische Flotte zurückgezogen hat – weder ökologisch noch geografisch. Dies ist ein reiner Platzhalter, Barrkin da Ariga. Aber wenn es Sie anregt, freut mich das!«

Der Feuerleitoffizier, hochgewachsen, mit einem unangenehm verkniffenen Gesicht, senkte lediglich den Kopf. Chetzkel wies erneut auf die Projektion. Er war sich der Aufmerksamkeit der Anwesenden sicher. Einige Offiziere waren in persona im Raum, bei anderen handelte es sich um holografische Avatare. Die Kommandanten der Kreuzer standen Chetzkel am nächsten, die der Hilfskreuzer, ihrem Rang entsprechend, deutlich weiter entfernt.

»Im Wesentlichen sind Sie alle mit der Operation vertraut. Was Sie hier sehen werden, ist nur der Höhepunkt. Eine Lightshow, der krönende Abschluss. Ich möchte verhindern, dass Sie sich falsche Vorstellungen von der Wichtigkeit oder der Brisanz dieses Einsatzes machen. Seien Sie sicher: Dies ist kein Spiel, keine Übung.«