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In der Weihnachtsausgabe von 1910 wurde im Berliner Tageblatt die Besprechung Thomas Manns über den Roman ›Peter Schlemihl‹ von Adelbert von Chamisso veröffentlicht, in der er sich auf die 1907 im Hyperion Verlag Hans von Webers erschienene, von Emil Preetorius gestaltete Ausgabe bezieht. Große Teile seiner Rezension verwendete Mann im darauffolgenden Jahr für seinen großen Chamisso-Essay, in dessen Mittelpunkt ebenfalls die Geschichte des ungewöhnlichen Außenseiters Schlemihl steht, der seinen Schatten an den Teufel verkaufte. Die zahlreichen Anstreichungen in Thomas Manns Leseexemplar des Romans, das im Thomas-Mann-Archiv in Zürich aufbewahrt ist, geben Aufschluss über seine Art der Interpretation und legen nahe, dass Mann das Werk vor allem als Geschichte eines erotischen Außenseiters gelesen hat.
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Seitenzahl: 19
Thomas Mann
Peter Schlemihl
Essay/s
Fischer e-books
In der Textfassung derGroßen kommentierten Frankfurter Ausgabe(GKFA)Mit Daten zu Leben und Werk
In dem preziösen Verlage des Herrn Hans v. Weber in München ist eine neue Ausgabe von »Peter Schlemihls wundersamer Geschichte« erschienen, so schön, wie es wirklich noch keine gab. Das originelle Format, das prächtig solide Papier, das angenehme Druckbild in schlichter, klarer Fraktur und nicht zuletzt die geistreichen, echt romantisch konzipierten Vollbilder und Vignetten, mit denen Emil Preetorius das Buch geschmückt hat, verlockten mich, Chamissos unsterbliche Erzählung wieder zu lesen – zum ersten Male zu lesen, genau genommen, denn ich war zu jung, als sie mir vordem in die Hände fiel. Ich las sie in einem Zuge, beinahe ohne aufzublikken, und mein Vergnügen, mein Entzücken dabei war so lebhaft, daß ich den Raum, der mir in dieser Festnummer des »Berliner Tageblatts« freundlichst zu beliebiger Ausfüllung bewilligt wurde, wohl dazu nutzen möchte, an ein paar Schönheiten dieses kleinen Meisterwerks deutscher Erzählungskunst zu erinnern und auszusprechen, wie innig und unmittelbar es noch heute, fast hundert Jahre nach seiner Entstehung, zu unterhalten vermag.
Es fängt ganz realistisch und bürgerlich an, wenn auch auf unbestimmtem Grund und Boden, – und die eigentliche Kunstleistung des Erzählers besteht darin, daß er die realistisch-bürgerliche Allüre bis ans Ende und beim Vortrage auch der fabelhaftesten Begebnisse mit aller Genauigkeit festzuhalten weiß: dergestalt, daß Schlemihls Geschichte wohl als »wundersam« im Sinne selten oder nie erhörter Schicksale wirkt, zu denen ein irrender Mensch durch Gottes Willen berufen war, aber nie eigentlich als wunderbar im Sinne des Außernatürlichen und Unverantwortlich-Märchenhaften. Schon die auto{278}biographische, bekenntnismäßige Form der Erzählung trägt dazu bei, daß ihr Anspruch auf Wahrhaftigkeit und Realität strenger als beim unpersönlich fabulierenden Märchen betont erscheint.