Petermännchen, der verwunschene Prinz - Erika Borchardt - E-Book

Petermännchen, der verwunschene Prinz E-Book

Erika Borchardt

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Beschreibung

Die Deutschen erobern im 12. Jahrhundert endgültig das Mecklenburger Land, ein deutscher Priester verwünscht den einheimischen slawischen Obotritenprinzen in einen Zwerg. Als Schlossgeist hofft dieser nun auf Erlösung. Wird es gelingen? – In heiteren, aber auch tragischen und nachdenklichen Geschichten sind die Verwünschungssage in ihrem geschichtlichen Zusammenhang und vielfältige Möglichkeiten der Erlösung des Geistes auf der Grundlage der Volksüberlieferungen gestaltet. Für Leser ab 8 Jahren. Mit Nachwort. INHALT: Der verwunschene Prinz Bitteres Brot Die Unterirdischen im Petersberg Ein Petermännchen bleibt im Schweriner Land Der königliche Zwerg Das Geheimnis der Felsengrotte Die versunkene Stadt Der Feuerschlund im See Der habgierige Fischer Der berauschte Nachtwächter Die neugierige Köchin Von einem faulen Soldaten Von einem gutmütigen Soldaten Der geschwätzige Prahlhans Ein Goldstück zuviel

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Impressum

Erika Borchardt

Petermännchen

Der verwunschene Prinz

2. Auflage 1992

ISBN 978-3-86394-033-1 (E-Book)

EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern

Tel.: 03860-505 788 Fax: 03860-505 789 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.com

Vorbemerkung

Unser kleiner Kobold im Schweriner Schloss kann uns schon in gehöriges Staunen versetzen. Manchmal ist er ein rechter Spaßvogel. Ohne Scheu neckt er die Leute und treibt Scherze mit ihnen. Er hat aber auch eine feine Nase für die Guten und die Bösen. Die Einen belohnt er reichlich aus seinem großen Schatz, und die Andern verprügelt er schon mal gehörig oder bringt ihre Schandtaten auf andere Weise ans Tageslicht. Damit nicht genug: Petermännchen kann auch Schönes und Schlimmes voraus sagen. Das heißt, er sagt es nicht, sondern zeigt es den Menschen mit der Farbe seiner Kleidung, in der er ihnen erscheint. Das Richtige müssen sie schon selber erraten.

So ist er Spaßmacher, Richter und Prophet dazu. Wahrlich staunenswert.

Damit nicht genug. Petermännchen ist zugleich der Hausgeist des Schweriner Schlosses und ein Wandelgeist. Er hat eine Wohnung im Schloss, aber auch im Ziegelsee, und die Schatzkammer befindet sich im Schweriner See - er ist also auch ein Wassergeist. Weiter wird erzählt, er betreibe auch eine Schmiede im Petersberg bei dem Dorfe Pinnow, und von dem Berg soll ein unterirdischer Gang zum Schloss führen - somit ist er ebenfalls ein Berggeist. Petermännchen wäre aber auch auf einem Pferd zum Schloss geflogen – ist also dazu noch ein Luftgeist! Und unsichtbar kann er sich machen, je nach Laune.

Aber immer noch nicht genug: Tausend Jahre schon und mehr mag er auf dem Buckel haben. Tausend Jahre und mehr! Und auf dreierlei verschiedene Art soll er entstanden sein. Manche erzählten zum Beispiel, er wäre ein verwunschener Prinz. Und wenigstens ein Dutzend Arten gäbe es, wie man ihn erlösen könnte. Ihm sein Schlüsselbund vom Turm der Schlosskirche zu holen oder einen seltsamen Satz zu seltsamer Zeit zu rufen, das mag ja noch recht einfach erscheinen, obwohl: Geschafft hat das bis jetzt noch niemand. Aber diesem kleinen Kerl den Kopf abzuschlagen, damit er wieder ein Prinz würde - wer wollte sich dazu schon ein Herz fassen? Außerdem: Der Prinz würde zwar erlöst, aber dem schönen Schloss und seinen Bewohnern würde Schreckliches geschehen.

Der Schweriner Schlossgeist Petermännchen ist eine herausragende Gestalt in der deutschen Sagenwelt.

Vom Schweriner Schlossgeist gibt es über 200 Berichte, Sagen und Redensarten. Die Überlieferungen sind aber verstreut und in der Erzählweise zumeist karg gehalten, wenn nicht sogar recht roh. In dieser Form sind sie meist allein für den Wissenschaftler von Interesse. Auch ist der geschichtliche Zusammenhang oft nicht sogleich einsehbar. So gibt es Gründe, die Sagen zu sammeln und auch neu zu erzählen, wo sie noch nicht in erzählender Form vorliegen.

Ich beziehe mich in meinen Geschichten in jedem Fall auf die Überlieferungen bzw. stütze mich auf Motive daraus. Die unterschiedlich freie Form des Nach- oder Neuerzählens schien mir notwendig, um die Taten und das Verhalten des Petermännchens und der anderen Gestalten motivieren zu können und um Sagen, wo nötig, in den geschichtlichen Zusammenhang zu bringen, aus dem heraus sie möglicherweise erwuchsen. Bei einigen sehr freien Erzählungen musste ich in Kauf nehmen, dass teilweise der reine Sagencharakter verloren ging. Deshalb bezeichne ich das Vorliegende als sagenhafte Geschichten.

Die beiden folgenden Sagen beziehen sich auf Ereignisse in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Damals soll, der Sage nach, ein Königssohn in einen Zwerg verwandelt worden sein und ein ganzes Volk kleiner Männchen seine Heimat verlassen haben. Was veranlasste die „Petermännchen“, wie man die Unterirdischen nannte, in ein fremdes Land zu ziehen? Weshalb wurde ein Prinz ein Zwerg? In den Wäldern des westlichen Mecklenburg lebte damals das slawische Volk der Obotriten. Sie ernährten sich von der Jagd und dem Fischfang, trieben Ackerbau und unternahmen Beutezüge in benachbarte deutsche und dänische Gebiete. Sie überfielen auch Schiffe der Kaufleute, die mit kostbaren Waren über die Ostsee segelten. Die Obotriten und ihr König waren wie alle Völker dieser Zeit, nicht schlechter und nicht besser. Eines Tages brachen wieder einmal, wie schon Jahre zuvor, deutsche Krieger in das weite, aber dünn besiedelte Land der Obotriten ein, um es endgültig in Besitz zu nehmen. Den Sachsenherzog Heinrich den Löwen gelüstete schon seit langem danach. Die Obotriten waren der Übermacht nicht gewachsen. Nach dem Sieg machten sich die Deutschen im ganzen Land breit. Sie brachten manch nützliche Neuerung mit. Die hölzernen Pflüge ersetzten sie durch Eisenpflüge. Von nun an konnte man auch den schwereren und fruchtbareren Boden bearbeiten. Statt mit Holz und Lehm bauten sie mit Ziegelsteinen; die Häuser waren so haltbarer und wärmer. Unbarmherzig aber rotteten sie alles aus, was ihrer Lebensart widersprach oder sich ihnen widersetzte; und sie taten es im Namen des barmherzigen Christengottes. Wie alle Slawen, die die Deutschen auch Wenden nannten, verehrten die Obotriten verschiedene Götter und errichteten ihnen Tempel und heilige Haine. Dort verehrten sie die Götter und brachten ihnen Opfer dar. Da sie nicht wie die anderen Völker im benachbarten deutschen Reich dem christlichen Gott huldigten, bezeichnete man sie verächtlich als Heiden. Die Deutschen brachten vielen den Tod, die überlebenden Obotriten zwangen sie, ihren Glauben zu übernehmen. Das nannten sie Christianisierung. Die Slawen durften von Stund an die Sitten und Bräuche ihrer Vorväter nicht mehr achten. Sie durften weder ihre alten Götter verehren noch ihnen Opfer bringen. Das erschien ihnen frevelhaft. Die Obotriten gerieten dadurch in größere Gewissensnot als beim Verlust von Hab und Gut. So manch einer ließ lieber sein Leben, als die eigenen Götter zu verraten. Sie fürchteten deren Zorn und die Rache der Götter, die schon die Väter, Großväter und Urgroßväter auf den Kriegszügen begleitet hatten, die ihnen in Dürrezeiten Regen schickten, die Äcker grünen ließen und Glück auf der Jagd bescherten, wie sie glaubten. Christliche Priester hatten sie zuvor schon zu bekehren versucht, jetzt aber kamen sie mit und nach den deutschen Kriegern und nötigten die bedrängten Menschen, sich und ihren Kindern Wasser auf den Kopf gießen zu lassen. Das nannten sie Taufe. Damit sollten die Slawen von nun an Christen sein und sich den christlichen Herren unterwerfen. Mit der Macht der Gewalt wurde festgelegt, was die Menschen zu glauben und zu denken hatten. An die Stelle der heidnischen trat die christliche Barbarei. Die beiden Sagen erzählen davon, dass all das nicht ohne Widerstand geschah. Nicht jeder unterwarf sich den neuen Herren, nicht jeder war bereit, deren Brot zu essen. Die erste Sage spiegelt Elemente der Lebensgeschichte eines der berühmtesten slawischen Fürsten, die auf der Insel im Schweriner See eine Burg hatten: von Niklot, dem letzten freien Obotritenherrscher, Knese genannt, und von dessen Söhnen Pribislaw und Wertislaw.

Der verwunschene Prinz

Es lebte einst vor Hunderten von Jahren im Land der Obotriten ein König. Der hatte drei Söhne, stattlich von Wuchs und von lebhaftem Geist. Der älteste galt als besonders klug, der mittlere als treu und standhaft in allen Dingen, gerühmt wegen seiner glühenden Freiheitsliebe. Nur der jüngste schien aus der Art geschlagen. Er hatte seine Heimat verlassen, die ihm zu ärmlich dünkte, eine reiche Prinzessin geheiratet und achtete nun sein Vaterland gering. Die beiden anderen Söhne aber hielten fest zu ihrem königlichen Vater. Das tat ihm wohl; eine bittere Zeit war angebrochen. Deutsche Eroberer überfluteten das Land.

Der König, ein starker, stolzer und aufbrausender Mann, fand Tag und Nacht keine Ruhe, solange die Feinde in seinem Land wüteten. Stets war er der erste, wenn sich eine Gelegenheit bot, ihnen zuzusetzen. Listig verließ er die Burgen, die ihm nicht sicher dünkten, brannte sie hinter sich ab und zog sich auf jene zurück, die tief in den Wäldern lagen, geschützt durch einen Fluss und das Moor. Eines Tages geriet er in unbändigen Zorn. Der älteste Sohn war unverrichteterdinge von einem Überfall zurückgekehrt. Dieser nämlich hatte von seinem Vater gelernt: Wer siegen will, muss listig sein. Und List braucht Besonnenheit. Er ließ also, wie in diesem Falle, von einem Plan, da die Feinde in zu großer Überzahl waren. Dem Vater aber erschien dies jetzt Feigheit. Wütend scharte er einige Krieger um sich, verließ die Burg und versteckte sich mit ihnen neben einem Weg, an welchem seit geraumer Zeit deutsche Knechte vorbei ritten, um Futter für die Pferde zu holen.

Kaum waren sie sicher hinter den Büschen verborgen, da näherten sich auch schon die Knechte aus dem sächsischen Lager. Der König war in seinem Zorn so verblendet, dass er nicht bemerkte, dass es diesmal fast hundert Mann waren, die da nach Futter ritten. Ungestüm stürzte er als erster mitten unter die Feinde. Als die Lanze abglitt, warf er sie von sich, zog das Schwert, stieß mit voller Wucht zu, und auch sein Schwert glitt ab. Unter den Röcken trugen die angeblichen Knechte Harnische. Es waren verkleidete Soldaten. Der König wurde sofort umzingelt und erschlagen, bevor ihm jemand zu Hilfe eilen konnte. So ward der Herrscher des Obotritenlandes Opfer einer Kriegslist.

Die beiden Königssöhne betrübten sich sehr über den Tod des Vaters. Sie schworen Rache und wollten nicht eher ruhen, bis ihr Land wieder frei wäre. Der älteste Prinz aber war klug genug, um zu erkennen, dass er und sein Volk einem übermächtigen Gegner ausgeliefert waren. Bitterkeit und Wehmut überkamen ihn. Tiefe Trauer erfüllte den Königssohn darüber, dass all das, woran sein Volk gewöhnt war, nun nichts mehr gelten sollte. Oft genug kostete es ihn fast übermenschliche Kraft, hören zu müssen, was seine Krieger, wenn sie von ihren Streifzügen zurückgekehrt waren, von Tempelzerstörungen und anderen Schandtaten der Deutschen berichteten. Mit wildem Mut, den Kriegern voran, brach er dann über die Feinde her. Die unverhofften Überfälle verbreitete Angst und Schrecken unter ihnen, und der deutsche Herzog, trotz seines Sieges über die Obotriten, musste ständig auf der Hut sein. Einstmals geschah es, dass der Bruder des ältesten Königssohnes einer Belagerung seiner Burg durch den deutschen Herzog nicht standhielt. Er musste sich ergeben und geriet mit seinen Getreuen in Gefangenschaft. Nach Braunschweig brachte man sie, gefesselt mit eisernen Handschellen, und warf sie dort ins Verließ. Jeder fürchtete um ihr Leben, denn der Krieg wurde von beiden Seiten mit unbarmherziger Grausamkeit geführt. Mitleid gab es nicht. Der älteste Prinz ließ nichts unversucht, das Leben der Gefangenen zu retten. Eine gewaltsame Befreiung war aussichtslos. Deshalb versprach er dem Herzog, Frieden zu wahren, so dieser das Leben der Gefangenen schonte. Der Herzog hatte gerade Streit mit anderen Fürsten. So nahm er das Anerbieten an; zwei Kriege gleichzeitig waren ungünstig.

Der gefangene Königssohn erhielt diese Botschaft, allein nicht freudigen Herzens. Er empfand es als eine Schmach, dass ein unrühmlicher Frieden der Preis für sein Leben sein sollte. Nie würde er es gegen die Freiheit seines Volkes eintauschen. Er bestach einen Gefängniswärter, seinem Bruder folgende Worte zu überbringen: „Siehe, ich liege hier jeden Tag in Fesseln, und du benimmst dich so gleichgültig? Erwache! Handle wie ein Mann, und erzwinge mit den Waffen, was du im Frieden nicht erlangen kannst.“ Der Prinz vernahm die Botschaft mit Wehmut und Freude. Lange dachte er nach, Stunde um Stunde sann er. Sollte er das Leben seines Bruders opfern? Hatte er ein Recht darauf, die Freiheit des Volkes gegen seinen Bruder einzutauschen? So überlegte er die ganze Nacht bis zum Morgengrauen.