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Das Randall-Team befindet sich mit seinem neuen Schiff, der CHAMÄLEON, im Paralleluniversum und versucht vergeblich, in den abgeschotteten Re-na-xerv-Sektor einzudringen. Doch dann entdeckt man in einem nahen Sonnensystem das Wrack eines Riesenraumers. Tanya Genada und Rotnem gehen an Bord und bringen in Erfahrung, dass dieses Raumschiff ungezählte Insektoide von den verschiedensten Planeten gesammelt und in Kryoschlaf versetzt hat. Damit wollte es offensichtlich zurückkehren in den abgeschotteten Sektor, aber wie könnte das überhaupt möglich sein? Tanya und der Kyborg sind hier, um es herauszufinden – und dann macht Rotnem einen entscheidenden Fehler. Es gelingt ihnen nur mit Hilfe von Max Nergaard, den Xybrass hierher gebracht hat, zu fliehen, doch der Bordalarm, den Rotnem ausgelöst hat, zwingt den Riesenraumer zur Flucht durch das geheime Tor in den abgeschotteten Sektor. Offensichtlich will er dabei die CHAMÄLEON mitreißen... (499) Dieser Band enthält folgende Romane: Wilfried A. Hary: In der Falle Wilfried A. Hary: Flucht ins Nirgendwo Wilfried A. Hary: Liberanto Wilfried A. Hary/Alfred Bekker/Margret Schwekendiek: Senator von Dhuul-Kyphora
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Pforten in die Unendlichkeit: 4 Science Fiction Romane
Copyright
In der Falle - Wilfried A. Hary
Flucht ins Nirgendwo - Wilfried A. Hary
Liberanto - Wilfried A. Hary (Erno Fischer)
Senator von Dhuul-Kyphora
Das Randall-Team befindet sich mit seinem neuen Schiff, der CHAMÄLEON, im Paralleluniversum und versucht vergeblich, in den abgeschotteten Re-na-xerv-Sektor einzudringen. Doch dann entdeckt man in einem nahen Sonnensystem das Wrack eines Riesenraumers.
Tanya Genada und Rotnem gehen an Bord und bringen in Erfahrung, dass dieses Raumschiff ungezählte Insektoide von den verschiedensten Planeten gesammelt und in Kryoschlaf versetzt hat. Damit wollte es offensichtlich zurückkehren in den abgeschotteten Sektor, aber wie könnte das überhaupt möglich sein?
Tanya und der Kyborg sind hier, um es herauszufinden – und dann macht Rotnem einen entscheidenden Fehler. Es gelingt ihnen nur mit Hilfe von Max Nergaard, den Xybrass hierher gebracht hat, zu fliehen, doch der Bordalarm, den Rotnem ausgelöst hat, zwingt den Riesenraumer zur Flucht durch das geheime Tor in den abgeschotteten Sektor. Offensichtlich will er dabei die CHAMÄLEON mitreißen...
Dieser Band enthält folgende Romane:
Wilfried A. Hary: In der Falle
Wilfried A. Hary: Flucht ins Nirgendwo
Wilfried A. Hary: Liberanto
Wilfried A. Hary/Alfred Bekker/Margret Schwekendiek: Senator von Dhuul-Kyphora
COVER WOLFGANG SIGL
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
Tod an Bord – Begegnung der grausigen Art
Das Randall-Team befindet sich im Paralleluniversum und versucht vergeblich, im Auftrag des Mysteriums in den abgeschotteten Re-na-xerv-Sektor einzudringen, denn San-dir-um, im Innern des Sektors, hat die Möglichkeit entwickelt, Weltentore zu entdecken – und zu nutzen. Damit könnten sie jederzeit in unserer Heimatgalaxis auftauchen, um alles humanoide Leben für immer auszulöschen. Also nicht nur Kyphorer, sondern auch die Menschheit! Weil sie alles Humanoide wie nichts sonst hassen, ausgelöst durch den ständigen Konflikt mit Gro-pan.
Doch dann entdecken sie in einem nahen Sonnensystem das Wrack eines Riesenraumers. Tanya Genada und Rotnem gehen an Bord und bringen in Erfahrung, dass dieses Raumschiff ungezählte Insektoide von den verschiedensten Planeten gesammelt und in Kryoschlaf versetzt hat. Damit wollte es offensichtlich zurückkehren in den abgeschotteten Sektor, aber wie könnte das überhaupt möglich sein?
Sie sind hier, um es herauszufinden, unterschätzen jedoch die Gefahr, in der sie sich befinden...
DIE HAUPTPERSONEN
Ken Randall, Tanya Genada, Dr. Janni van Velt, Dr. Dimitrij Wassilow, Dr. Yörg Maister, Mario Servantes und Juan de Costa – Sie wollen unbedingt in den geheimnisvollen Re-na-xerv-Sektor.
Rotnem – Der Prupper-Kyborg will sich bewähren – zum Wohle nicht nur der Menschheit. Und dann macht er gemeinsam mit Tanya Bekanntschaft mit dem wahren Grauen – und einem Wesen, das hier niemand erwartet hätte...
*
Unterwegs zur Zentrale kontrollierten Rotnem und Tanya Genada noch mehrere Seitengänge: Von jedem aus ging es in verschiedene Sektoren, die Rotnem nur noch Waben nannte. Er hatte inzwischen ein klares Bild davon, wie das Riesenraumschiff aufgebaut war: Wie die einzelnen Saftzellen in einer Orange, mit dem Unterschied, dass ein ausgeklügeltes, symmetrisches Gangmuster es wie ein stützendes Gerüst durchzog. Die Sterngänge, also diejenigen, die von der Mitte geradlinig nach außen führten, dienten offensichtlich der inneren Sicherheit. Deshalb waren dort in eigens für sie geschaffenen Seitenräumen Wachroboter postiert, mit ziemlich mächtigen Waffen bestückt, gegen die sie nicht die geringste Chance gehabt hätten, auch Rotnem, der Kyborg, nicht. Doch es war ihm bislang gelungen, die Informationsstränge, die zur Zentrale führten, so zu manipulieren, dass sie nach wie vor unentdeckt geblieben waren.
Und jetzt wollten sie sozusagen direkt in die Höhle des Löwen, eben in die Zentrale.
Tanya konnte es immer noch nicht fassen: »In jeder dieser Waben befinden sich ungezählte Insektoide im Kryoschlaf. Wahre Monster, keines kleiner als einen halben Meter.«
Rotnem ging nicht darauf ein. Er war gerade wieder damit beschäftigt, die Gangwände abzutasten, um auf diese Weise alles abzuscannen. Tanya wusste ja inzwischen, dass er empfindliche Sensoren in den Händen versteckt hatte. Obwohl Rotnem ihr nicht zuzuhören schien, murmelte sie weiter: »Und nicht nur Sauerstoffatmer. Die anderen jedoch machen nach unserer bisherigen Schätzung weniger als ein Zehntel der Gesamtladung aus.«
Sie schüttelte den Kopf, wie um einen Albdruck loszuwerden. Sie wussten zwar jetzt, dass es sich um eine Art Sammelraumer handelte, aber es entzog sich völlig ihrer Kenntnis, wozu dies überhaupt dienen sollte. Vor allem auch seit sie wussten, dass nicht nur komplette lebende Organismen gesammelt worden waren, sondern darüber hinaus eine schier unermesslich große Datenbank an Geninformationen zu dieser Sammlung gehörte. Wozu benötigten die San-dir-umer so etwas? Und dass dieses Schiff hier im Auftrag von San-dir-um unterwegs gewesen war, daran herrschte keinerlei Zweifel.
Kurz dachte Tanya an die Möglichkeit, dass der Großraumer nur deshalb so lange – immerhin schätzungsweise Jahre – hier im Orbit um den dritten Planeten des unbekannten Sonnensystems geblieben war, weil das Gro-pan-Raumschiff, das es zum Wrack geschossen hatte, bevor es selber vernichtet worden war, die ganze Zeit ein Notsignal gesendet hatte. Es hätte jeden Moment ein Rettungskommando auftauchen können aus Gro-pan, und diesem wollte das Schiff wahrscheinlich nicht vormachen, wie es zu schaffen war, die Barriere nach San-dir-um im abgeschotteten Sektor zu überwinden. Und der Notrufsender war leichtsinnigerweise von ihnen ausgeschaltet worden!
Aber dann beruhigte sie sich: Falls das Schiff wirklich den Orbit verlassen konnte, dann wohl kaum vor den Augen des Schiffes der Götter, das sie CHAMÄLEON genannt hatten. Solange die CHAMÄLEON da war, um auf ihre Rückkehr zu warten, würde nichts passieren. Davon durften sie ausgehen. Es galt also nach wie vor herauszufinden, wie das Schlupfloch im Sonnensystem, wie sie es inzwischen nannten, benutzt werden konnte.
Tanya blieb stehen, weil Rotnem ebenfalls stehen geblieben war, um die eine Gangwand noch intensiver zu untersuchen. Sie schürzte die Lippen und dachte: Schade, dass es keine Möglichkeit gibt, mit der CHAMÄLEON Funkkontakt aufzunehmen und sie über die Erkenntnisse zu unterrichten, die wir inzwischen gewinnen konnten! Das verhindert leider die Isolation des Raumschiffes.
Hier, im Innern, war von einem Wrack überhaupt nichts mehr zu sehen. Als Wrack erschien der Großraumer nur noch nach außen hin. Sämtliche Systeme der äußeren Verteidigung waren restlos zerstört. Ansonsten hatte das Raumschiff die verstrichene Zeit im Orbit genutzt, um eventuell ausgefallene Systeme fast komplett wieder auf Vordermann zu bringen. Überhaupt war durch die kurze Kampfhandlung kein Wesen im Kryoschlaf zu Schaden gekommen.
Rotnem nickte ihr zu. »Ich habe jetzt noch einmal alles kontrolliert: Wir sind nach wie vor unsichtbar für die Zentrale – und das, obwohl es nicht mehr weit ist!«
Nicht mehr weit?, schrien Tanyas Gedanken alarmiert.
Sie schaute sich suchend um. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihr Ziel fast erreicht hatten. Sie sah nach vorn, in die Richtung, in die sie noch gehen mussten. Der Gang wirkte so endlos wie die ganze Zeit über schon. Da Licht regelrecht aus den Wänden drang, vermischte dieses schon nach relativ kurzer Distanz den restlichen Verlauf zu einem Lichtschleier, den Tanya auch dann nicht durchdringen konnte, wenn sie die optischen Systeme ihres Raumhelmes dazuschaltete.
Rotnem deutete in diese Richtung: »Wir befinden uns im Endstück, wenn man so will.« Er deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Da haben wir ja die letzte Kreuzung passiert. Also befindet sich die Zentrale in einer Entfernung von weniger als fünfzig Metern.«
»Immerhin, dann müsste doch schon etwas zu sehen sein ...?«, murmelte Tanya und ging einfach weiter.
Rotnem schloss zu ihr auf. Sie schritten nebeneinander.
Tanya versuchte vergeblich, vor ihnen etwas zu erkennen. Das gelang ihr erst nach den nächsten Metern: Als würde ein Schatten aus dem Lichtschleier auftauchen, genau in der Mitte des Gangverlaufs.
Sie gingen weiter. Tanya lauschte in sich hinein. Seltsam, ihr Instinkt warnte sie vor keiner Gefahr. Also schien auch keine solche zu drohen. Und auch das Gefühl, beobachtet zu werden, war seit dem letzten Mal nicht wieder entstanden. Wahrscheinlich hatte sie sich das sowieso nur eingebildet. Immerhin war die ganze Umgebung hier dermaßen unheimlich, dass dies durchaus möglich war.
Unwillkürlich tastete sie nach der tödlichen Strahlwaffe, obwohl sie schon wusste, dass sie damit gegen einen Wächterroboter nur wenig hätte ausrichten können. Aber es gab ihr dennoch ein wenig mehr Sicherheit.
Der dunkle Fleck wurde größer und entpuppte sich als ein lichtschluckender Energievorhang. Tanya blieb stehen, während Rotnem vortrat, um die nähere Umgebung des Energievorhangs abzusuchen.
»Undurchdringlich!«, war seine niederschmetternde Prognose. »Offensichtlich gehört zur Sicherung des inneren Systems auch ein Schutzschirm.«
»Aber ein Schutzschirm, der permanent ist?«, wunderte sich Tanya. »Also, wenn man bedenkt, dass das gesamte Gangsystem ständig hell erleuchtet ist, einmal abgesehen von den Waben – und dann auch noch dieser Schutzschirm ... Was für eine Verschwendung von Energie! Und dabei ist uns nicht ein einziges Mal jemand begegnet, dem das Licht hätte nutzen können.«
»Und ein Schutzschirm gegen jemanden, den es gar nicht geben kann!«, betonte Rotnem.
»Nun, es gibt ja doch jemanden, nämlich uns.«
»Wovon der Zentralcomputer ja sowieso gar nichts weiß«, erinnerte sie Rotnem.
»Du gehst nach wie vor davon aus, dass dieser Riesenraumer überhaupt keine lebende Besatzung hat?«
»Ja, oder hast du inzwischen ein Besatzungsmitglied sehen können?« Rotnem deutete auf den Schutzschirm. »Lass mich schätzen: Die Zentrale hat höchstens einen Durchmesser von fünf Metern. Eine ziemlich kleine Zentrale für ein Schiff, das rund einen Kilometer im Kugeldurchmesser hat, findest du nicht auch? Und der Schutzschirm liegt ziemlich eng darum herum, hat also einen Durchmesser von nur wenig über fünf Metern. Dabei verschluckt er sogar Licht. Er lässt praktisch nichts hindurch. Falls das Schiff total zerstört werden würde ... Ich glaube inzwischen, dass die Zentrale dies sogar überstehen würde. Wie eine schier unzerstörbare Rettungskapsel.«
»Dann müsste der Zentralcomputer auch genaueste Daten haben über alles, was passiert ist bei dem kurzen Scharmützel, das dieses Schiff erst in diese Lage gebracht hat.«
»Davon gehe ich ebenfalls aus, Tanya. Bloß nutzt uns das alles herzlich wenig. Ich hatte gehofft, dass ich Zugriff auf den Zentralcomputer hätte, vielleicht auch über den Informationsstrang, den ich manipulieren konnte, aber: Fehlanzeige!«
»Was sollen wir tun?«, fragte Tanya, halbwegs resignierend. Am liebsten hätte sie sich selber zur Antwort gegeben: »Endlich von hier abhauen und zurückkehren auf die CHAMÄLEON, ehe es wirklich gefährlich wird!« Aber sozusagen mit halbleeren Händen wieder abrücken? Sie hatten die Theorie, dass die Raum-Zeit-Störungen im Zentrum des unbekannten Sonnensystems den geheimen Eingang in den abgeschotteten Sektor darstellten, aber wie man diesen Eingang benutzen konnte, davon hatten sie nicht die leisestes Ahnung. Es war ja wohl kaum davon auszugehen, dass San-dir-um es besonders leicht machen würde, bei dem enormen Aufwand der Abschottung. Egal wer diesen »Hintereingang« auch zufällig finden mochte: Benutzen konnte ihn nur jemand, der dafür den passenden Schlüssel besaß. Davon waren sie beide inzwischen mehr als überzeugt.
Rotnem gab zur Antwort: »Wir gehen zurück und in einen Seitengang. Am besten zur nächsten Wabe mit Insektoiden, die Sauerstoff atmen, wo also eine für dich atembare Atmosphäre herrscht.«
»Und dann?«, rief Tanya erschrocken. Was hatte Rotnem wirklich vor?
»Ich weiß nicht ... Denk daran, die Steuereinheiten in den Waben ... Ich meine, die zentralen Steuereinheiten haben eine Direktverbindung zum Zentralgehirn. Das ist auch nötig. Es handelt sich ja um hochkomplizierte Vorgänge, und letztlich koordiniert das Zentralgehirn sämtliche Vorgänge in den Waben. Wobei der Informationsstrang hier, in diesem Sterngang, lediglich mit einem untergeordneten, wenngleich hochspezialisierten Sicherheitssystem verbunden ist. Um wirklich an die Daten des Zentralcomputers heranzukommen, muss ich zurück in eine der Waben und dort die Zentraleinheit anzapfen.«
»Du bist komplett wahnsinnig, Rotnem! Hast du nicht genau das, nämlich die Verbindung zum Zentralcomputer des Schiffes, unterbunden, damit wir nicht entdeckt werden? Wenn du jetzt darüber versucht, das Zentralgehirn ...« Tanya schüttelte fassungslos den Kopf.
»Hättest du vielleicht einen besseren Vorschlag?«
»Nein, natürlich nicht, aber denke an die vielen Wächterroboter. Dagegen bist sogar du machtlos. Sie werden uns ganz einfach zerstrahlen, und dann erfährt die CHAMÄLEON nicht einmal das Wenige, das wir inzwischen in Erfahrung bringen konnten. Ist es wirklich das Risiko wert, so vorzugehen, wie du es beabsichtigst?«
»Ich sehe keine Alternative, Tanya, sorry, aber ich verspreche dir sowieso, dass ich vorsichtig sein werde. Es wird schon schiefgehen. Auf jeden Fall werden wir rechtzeitig fliehen können. Ich habe ja sämtliche Wachroboter auf unserem möglichen Fluchtweg lahmgelegt. Wenn es dich beruhigt, kann ich natürlich vorher noch einmal alle kontrollieren.«
»Nein, geschenkt, dabei geht ja noch mehr kostbare Zeit verloren. Ich kann mir vorstellen, dass die auf der CHAMÄLEON inzwischen im wahrsten Sinne des Wortes auf glühenden Kohlen sitzen. Also werden wir jetzt für echte Ergebnisse sorgen oder es schaffen, rechtzeitig abzuhauen.«
Sie lauschte ihren eigenen Worten nach, aber es wollte sich absolut kein Gefühl der Zuversicht in ihr einfinden. Es war ihr vielmehr, als sei soeben ihr Todesurteil gefällt worden – und vielleicht hatten sie es sogar selber gefällt...
*
Sie gingen letzten Endes in die Wabe zurück, die sie am besten erforscht hatten. Hier hatte Rotnem ja auch die gekappte Verbindung zum Zentralgehirn repariert.
»Mir ist eine Idee gekommen«, sagte Rotnem unterwegs. Er zögerte mit dem Weiterreden. Tanya wollte schon nachhaken. Aber dann kam es: »Ich habe ja festgestellt, dass es einen Energieschock gegeben hat bei dem Beschuss, der das ganze Schiff in Mitleidenschaft zog. Allerdings waren davon nur die besonders empfindlichen Teile betroffen. Wie beispielswiese die Zentraleinheit der Doppelhalle, die wir in jener Wabe gefunden haben. Sie war inzwischen wieder voll funktionstüchtig, weil sie sich selber reparieren konnte. Nur die Verbindung zum Bordgehirn war noch gekappt. So weit waren die allgemeinen Reparaturmaßnahmen anscheinend noch nicht gediehen. So dachte ich zunächst jedenfalls.«
»Und jetzt?«, hakte Tanya jetzt doch noch ungeduldig nach.
»Vielleicht blieb die Verbindung deshalb gekappt, weil das Bordgehirn ebenfalls von dem Energieschock betroffen wurde? Denn überlege doch mal: Zwar schottet sich das Bordgehirn hermetisch ab, sogar mit einem überaus wirksamen Schutzschirm, aber in diesem Schutz gibt es notwendige Lücken. Wie sonst könnte das Bordgehirn das gesamte Schiff überwachen und die hochkomplizierten Vorgänge auslösen, wenn vielleicht irgendwann die Entladung erfolgt? Da muss jede einzelne Halle in den Waben angesprochen und alles koordiniert werden. Ja, sogar das innere Verteidigungssystem mit seinen Informationssträngen muss den Schutzschirm durchstoßen.«
»Ja, das mag stimmen. Und du glaubst jetzt, dass auch das Bordgehirn selber beschädigt wurde durch den Energieschock? Aber was hat das mit der gekappten Verbindung zu tun?«
»Nun, ich könnte mir vorstellen, dass es eine Art Sicherheitsschaltung gibt. Um das Risiko, abermals einen Energieschock – vielleicht auch nur durch beschädigte Steuereinheiten bedingt – zu bekommen, klein zu halten, werden die entsprechenden Steuereinheiten auf Dauer vom Netz getrennt. Bis eben der Bestimmungsort erreicht sein wird. Dort wird es vielleicht so etwas wie ein Ladekommando geben, das dann die Verbindungen wiederherstellen kann.«
»Kühne Idee – und was hat das mit uns zu tun?«
»Nun, darauf basiert meine Idee: Die gekappte Verbindung wurde von mir repariert. Ich habe meinerseits unterbunden, dass die Steuereinheit mit dem Bordgehirn Kontakt aufnehmen kann. Jetzt nutze ich die Tatsache, dass diese Steuerzentrale als abgekappt gilt, um mich sozusagen in das Bordgehirn einzuschleichen.«
»Super Idee! Und damit wolltest du mich womöglich beruhigen?«
»Wieso, Tanya, gefällt sie dir nicht?«
»Nein, ganz und gar nicht! Rotnem, komm zu dir: Es handelt sich um ein Bordgehirn, das selbständig einen solchen Koloss über Jahre hinweg durch praktisch feindliches Gebiet gesteuert hat. Es hat dafür gesorgt, dass der Raumer von Planet zu Planet flog, um dort nicht gerade harmlos aussehende Übermonster einzusammeln wie ein Insektenforscher seine Winzlinge. Nicht, um sie zu töten, sondern in Kryoschlaf zu versetzen. Ein solches Bordgehirn ist dermaßen hochgezüchtet, dass es mein Vorstellungsvermögen übersteigt. Und du willst dich da so einfach einloggen wie eine Art Superhacker?«
Rotnem blieb stehen und grinste sie an. »Ja, richtig erkannt, und du hast da noch Bedenken?«
»Nee, überhaupt nicht. Schließlich bist du ja ein Kyborg, nicht wahr?«
»Richtig, Tanya. Na, dann sind wir uns ja wieder einig.« Sprach’s und ging voraus.
Tanya blieb erst noch kopfschüttelnd stehen und hub an, klarzustellen, dass sie das nur ironisch gemeint hatte, aber dann winkte sie ab und folgte Rotnem. Denn sie hatte schon wieder einsehen müssen, dass sie in der Tat keine Alternative hatten. Auch wenn ihr Vorhaben noch so absurd und vor allem tödlich gefährlich erschien...
*
Die Doppelhalle hatte sich in der Zwischenzeit in keiner Weise verändert. Sie war taghell beleuchtet, aber Tanya wusste, dass das nicht in allen Waben der Fall war. Das hing möglicherweise mit den entsprechenden Insektoiden in den Kryotanks zusammen; vielleicht waren da auch welche darunter, die auf Dauerbeleuchtung negativ reagierten. Das hatten sie noch nicht klären können. Es interessierte sie auch nicht sonderlich, solange noch Fragen offen waren, die einen wesentlich höheren Stellenwert besaßen.
Rotnem und sie gingen an der Hallenwand entlang zum breiten Durchgang in die zweite Wabenhälfte, wo sich die zentrale Steuereinheit befand, zuständig für beide Hallen. Tanya schaute sich unterwegs immer wieder vorsichtig um. Nichts regte sich. Die in den Kryotanks befindlichen monströsen Lebewesen wirkten tot. Das waren sie im gewissen Sinn auch, obwohl man sie jederzeit aus ihrem todesähnlichen Schlaf wieder erwecken konnte. Dafür waren die lokalen Steuereinheiten erforderlich, die am Fuß eines jeden Tanks angebracht waren.
In der Nähe der zentralen Steuereinheit befand sich der größte Tank, den Tanya bisher gesehen hatte. Das Wesen darin hatte die Größe eines mehrstöckigen Hauses und wirkte dabei plump wie eine ins Gigantische gewachsene Kellerassel. Aber Tanya konnte sich vorstellen, dass sich dieses Monster auf seinen ungezählten Beinen, die allesamt eine Länge von etwa einem halben Meter hatten, gut fortbewegen konnte. Es gab auch mehrere Fresswerkzeuge, die den Eindruck vermittelten, als habe das Monstrum mehrere Gesichter, ringsum über den unförmigen Körper verteilt.
Rotnem hatte ihr bereits gesteckt, dass auch dieses übergroße Monster viel weniger Körpermasse besaß, als es den Eindruck erweckte: Der Chitinpanzer hatte eine grobe Wabenstruktur, die einerseits für eine enorme Stabilität sorgte, andererseits jedoch relativ wenig Gewicht besaß. Natürlich war das Gesamtgewicht der Monstrums sicher dennoch recht hoch, bei einer solchen Größe, aber das kam eher durch die inneren Organe, die größenmäßig angepasst waren. Das Monstrum konnte jedenfalls mit mehreren Fresswerkzeugen unabhängig voneinander Nahrung aufnehmen.
Tanya graute es vor allem vor den messerscharfen Fresswerkzeugen. Anscheinend war das Monstrum eine Art Allesfresser. Mit diesen Fresswerkzeugen konnte es sogar Hartholz verarbeiten. Davon war sie fest überzeugt.
Sie hatte Mühe, ihren Blick davon wieder abzuwenden. Wenn sie sich vorstellte, die Insektoide in den Tanks würden aus irgendeinem Grund jetzt zum Leben erwachen ... Von der zentralen Steuereinheit bis zum Ausgang in der Nachbarhalle war es eine gehörige Strecke, und die Insektoide waren sicherlich ziemlich hungrig beim Erwachen. Sie würden sich nicht nur über die jeweils Schwächeren hermachen, sondern natürlich auch über Rotnem und Tanya Genada...
»Uff!«, machte Rotnem und zog damit Tanyas Aufmerksamkeit auf sich.
Rotnem stand vor der zentralen Steuereinheit und hatte die Abdeckung gelöst. Die Anordnung, die darunter zum Vorschein kam, war für Tanya dermaßen verwirrend, dass ihr schwindelte.
»Was ist los? Geht es doch nicht so, wie du es dir vorgestellt hast?«
»Im Gegenteil: Jede zentrale Steuereinheit hat offenbar direkten Zugang zum Bordgehirn.«
»Wie meinst du das?«
»Nun, es gibt kaum merkliche Impulse von dort. Eine Standverbindung, wenn man so will. Allerdings nur noch einseitig, weil ich die Resonanz durch die Steuereinheit hier unterbunden habe. Hätte ich das getan, ohne dass vorher die Verbindung beschädigt gewesen wäre, hätte ich einen Schiffsalarm ausgelöst.«
»Wie bitte? Und das merkst du erst jetzt?«
»Ja, Tanya, erst jetzt! Aber wir hatten ja das Glück, dass eben die Verbindung vorher defekt war. Also fiel es nicht auf. Darauf basiert übrigens auch meine Idee, falls du dich erinnerst.«
»Ja, tu ich, aber verlange jetzt nicht so etwas wie Begeisterung!« Tanya deutete in die Runde. »Was, wenn du einen Fehler machst und das Ganze aus dem Ruder läuft? Schau dir die Ladung an. Wenn die lebendig wird, dann gnade uns Gott!«
»Das würde wahrscheinlich auch nicht viel nützen, wenn Gott uns Gnade gewährt«, murmelte Rotnem sarkastisch. Dann beugte er sich vor und legte sich in voller Länge auf die Steuereinheit. Zu allem Übel zog er auch noch die Handschuhe seines Raumanzugs aus und steckte sie in dessen Außentaschen.
Tanya tastete unwillkürlich nach ihrem geschlossenen Helm. Sie hatte längst für einen Druckausgleich zwischen der Helmluft und der umgebenden Atmosphäre gesorgt, aber trotzdem würde sie es nie und nimmer wagen, den Helm zu öffnen. Immerhin war die umgebende Atmosphäre absolut steril, was man von der Helmatmosphäre nun einmal nicht erwarten konnte. Mit jedem Ausatmen würde sie die umgebende Luft mehr infizieren. Die Mikroben, die jeder Mensch mit sich herumtrug, würden sich wahrscheinlich in der Sterilität, die hier herrschte, rasend schnell vermehren. Sie war biologisch nicht vorgebildet genug, um das abschätzen zu können. Aber vielleicht gab es hier irgendwo besondere Alarmeinrichtungen, die das Auftreten von Mikroben meldeten? Dann könnte ein Wächterrobot einmal vorbeischauen, um nach dem Rechten zu sehen.
Tanya schüttelte wieder einmal den Kopf, um die pessimistischen Gedanken endlich loszuwerden. Es nutzte allerdings nichts. Ihr Blick heftete sich auf Rotnem. Sie konnte nicht sehen, was er tat. Hatte er sich auf irgendeine Weise mit der Zentraleinheit kurzgeschlossen?
Jetzt begriff sie es: Ja, kurzgeschlossen, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn seine Hände hatten sich verändert und sich mit der Zentraleinheit an ganz bestimmten Stellen verankert. Wahrscheinlich war er jetzt mit der Zentraleinheit wirklich zu einer Einheit verschmolzen, und als solche versuchte er, sich beim Bordgehirn einzuschleichen.
Plötzlich meldete sich Tanyas Instinkt. Sie hatte das Gefühl, auf der Stelle losrennen zu müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber Rotnem in diesem Zustand einfach im Stich lassen?
Und vielleicht irrte sich ihr Gefahreninstinkt ja auch?
Rotnem war schließlich ein Kyborg, wobei der kleinste Anteil von ihm noch organisch war. Vor rund zweitausend Jahren hatte es sein Leben gekostet, beziehungsweise hätte es, wenn man ihn eben nicht mit einem Roboterkörper verbunden hätte. Dieser Roboterkörper war innerhalb der seitdem verstrichenen Zeit immer wieder modifiziert worden und befand sich somit auf dem höchsten Stand der Technik. Obwohl hier, im Paralleluniversum, nicht alles so funktionierte wie dort, wo sie her kamen, konnte man dennoch sagen, dass Rotnem jedem normalen lebenden Organismus extrem überlegen war. Eben auch hier.
So versuchte Tanya, sich selbst zu beruhigen. Es gelang ihr jedoch nicht: Das ungute Gefühl wuchs und würde bald in eine regelrechte Panikattacke münden. Jetzt glaubte sie auch nicht mehr daran, dass ihr Instinkt sie täuschen könne. Wann war das jemals zuvor geschehen?
»Rotnem!«, schrie sie, und es machte ihr nichts aus, dass es ziemlich hysterisch klang. »Wir müssen hier weg! Verdammt, Rotnem, hörst du mich?«
Er musste sie hören – ihre Stimme, die in seinem Helm widerklang. Doch er reagierte nicht. Er lag da, quer über der Steuereinheit, als sei er tot.
Tanya sprang vor und packte ihn, um ihn zu rütteln. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Er fühlte sich an wie ein schwerer Klumpen Metall.
Sie schaute durch die Helmscheibe auf sein Gesicht, das sie halb sehen konnte. Er hatte die Augen weit aufgerissen, und diese Augen schienen das Grauen zu sehen. Er war aber nicht in der Lage, sich selbstständig wieder von der Steuereinheit zu lösen.
Da war Tanya endgültig sicher, dass die Hackerattacke schiefgelaufen war.
Als sei es ein verabredetes Zeichen, flackerte in diesem Moment auch noch die Beleuchtung. Gleichzeitig erfüllte die Halle ein tiefes Brummen, als würden irgendwelche Aggregate anlaufen. Es war die Energieversorgung der Steuereinheiten. Tanya war davon überzeugt.
»Verdammt, was hast du getan, Rotnem?«, schrie sie ihren Kameraden an und versuchte abermals, ihn wegzuziehen.
Vergeblich.
Dann erst kam sie auf den Gedanken, erst eine seiner Hände aus der Verbindung zu lösen und dann die zweite. Beides gelang ihr sogar erstaunlich leicht. Aber es war bereits zu spät: Die gesamte Halle erwachte zu unheimlichem, bedrohlichem Leben. Die Kryotanks vibrierten.
Tanya schaute hinüber, zu den allernächsten, und was sie sah, ließ sie ein abgrundtiefes Stöhnen ausstoßen: Die Insektoide wurden geweckt, und dieser Weckvorgang lief mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit ab! Wenn sie das mit allem verglich, was sie jemals über Kryoschlaf gehört hatte, erschien es ihr völlig unmöglich, aber es war schließlich nicht das erste Mal, dass die San-dir-umer, die diese Technik entwickelt hatten, eine gigantische Überlegenheit unter Beweis stellten.
»Rotnem, wir müssen abhauen, ehe es zu spät ist!«, schrie sie verzweifelt, weil sie es immer noch nicht über das Herz brachte, ihn einfach im Stich zu lassen und nur sich selbst zu retten.
Aber sogar dazu wäre es zu spät gewesen, denn die kleineren Insektoiden, zwischen einem halben und zwei Metern groß, waren bereits dabei, ihre Tanks zu verlassen.
Erst jetzt wurde Tanya bewusst, dass diese Tanks anscheinend nach oben offen waren. Oder hatten sie sich gerade erst geöffnet, während der Weckvorgang noch lief?
Und die größeren und übergroßen Monstren würden auch bald so weit sein.
Die Strecke jedoch, die sie zu Fuß zurücklegen musste, um zum rettenden Ausgang zu gelangen, war viel zu groß. Das war auch für eine durchtrainierte Survival-Spezialistin wie sie nicht mehr zu schaffen.
Da dachte sie endlich an die Möglichkeiten ihres Schutzanzugs und schaltete den Schutzschirm ein. Resignierend wurde ihr dabei bewusst, dass es auch zum Flug in die Freiheit inzwischen zu spät war. Sie würde an den vielen Angreifern nicht vorbeikommen. Falls sie es nicht schaffen sollten, ihren Schutzschirm zu knacken, würden sie Tanya zumindest aufhalten.
»Verdammt!«, entfuhr es da Rotnem, und er bewies damit, dass er inzwischen wieder zu sich gekommen war.
»Was hast du bloß angestellt?«, schrie Tanya ihn an.
Doch er antwortete nicht, sondern schaute sich nach einem Ausweg um. »An der Wand entlang, rasch!«, befahl er und sprang bereits vor.
Tanya hätte nie und nimmer mithalten können. Sie hatte schließlich nur zwei menschliche Beine und keine Roboterbeine. Rotnem sah das ein und schnappte sich Tanya einfach, wie eine Puppe. Er lief ein paar Meter mit atemberaubender Geschwindigkeit an der Wand entlang und schaltete dann seinen eigenen Schwerkraftmotor dazu. So waren sie natürlich wesentlich schneller.
Auf halber Hallenhöhe flogen sie zum Durchgang, der sich allerdings im nächsten Augenblick verdunkelte – genauso, wie Tanya es bereits vorausgesehen hatte. War Rotnem diese Möglichkeit entgangen?
Rotnem konnte gerade noch im letzten Augenblick abdrehen: Auch in der zweiten Halle waren die Monstren erwacht und aus ihren Tanks gesprungen, und irgendwie hatten alle Insektoide nur auf eines Appetit: Auf sie beide!
Rotnem flog zur Hallendecke. Sie klatschten dort oben auf.
»He«, machte Tanya, »da gibt es ja eine Schwerkraft!«
»Ja, mir fällt es jetzt ebenfalls erst auf«, bestätigte Rotnem. »Wir müssen einfach nur an die Wände springen. Dann können wir diese auf und ab marschieren. Und das trifft auch auf die Decke zu, die jetzt für uns zum Boden wurde.«
Was im ersten Augenblick wie ihre Rettung erschienen war, entpuppte sich jetzt jedoch als tödliche Falle, denn auch die befreiten Insektoide hatten diese Möglichkeit erkannt und strömten förmlich die Wände hoch, aus allen Richtungen kommend, um die Decke und somit die auserkorenen Opfer zu erreichen.
»Das Schiffsgehirn«, erläuterte Rotnem. »Es hat mich entdeckt – und wusste sofort Bescheid. Es hat begriffen, dass wir unerkannt eingedrungen sind und die Wächterroboter lahmgelegt haben. Und es weckte sofort die Insektoide. Irgendwie hat es die Möglichkeit, sie über die Steuereinheiten gewissermaßen fernzulenken. Ich habe keine Ahnung, wie es das macht. Vielleicht gehört es zur Sicherheitsprogrammierung? Vielleicht dient es auch dazu, die Insektoide jederzeit im Griff zu behalten, falls sie einmal durch eine Störung von allein erwachen sollten.«
Eigentlich viel zu viele Worte in einer Situation, wo dafür absolut keine Zeit war, doch Tanya war für die Erklärung dennoch dankbar, während sie ihren Strahler zog und sich Rücken an Rücken mit Rotnem aufstellte.
Der Kyborg war auch für die Insektoide ein durchaus ernst zu nehmender Gegner. Aber ob das reichte, bei einer solchen Übermacht?
*
Tanya Genada und Rotnem warteten nicht, bis die Angreifer sie erreicht hatten, sondern lediglich, bis sie die Reichweite beim größten Wirkungsgrad ihrer Strahlwaffen erreichten, um dann gezielt zu schießen.
Die beiden Blaster waren mit ihren Schutzschirmen synchronisiert und durchdrangen sie von innen problemlos. Dabei spien sie Tod und Verderben, doch die Angreifer waren so zahlreich, dass es Tanya eher anmutete, als wolle sie mit einer Stecknadel bewaffnet einen kompletten Ameisenhügel erobern. Vor allem gingen die Insektoide nicht etwa planlos vor. Tanyas anfängliche Vermutung, dass sie übereinander herfallen würden beim Erwachen, erwies sich als falsch. Sie wurden wohlüberlegt gesteuert. Dahinter steckte also das Bordgehirn, laut Rotnem, und dieses hatte eine schier unvorstellbare Kapazität, sonst hätte es nicht selbständig ein solches Schiff steuern können.
Tanya bekam den Eindruck, sich in einer Art Körper zu befinden anstatt in einem Riesenraumschiff, und diese angreifenden Insektoide wurden in ihrer Vorstellung auf einmal zur Immunabwehr gegen eingedrungene Viren, nämlich gegen sie und Rotnem. Sie waren ja in der Tat wie eine Krankheit eingedrungen, unsichtbar, unmerklich. Bis Rotnem diesen Fehler begangen und unbeabsichtigt das Gehirn auf die Infektion aufmerksam gemacht hatte. Und jetzt ging das Immunsystem mit allen verfügbaren Mitteln gegen sie vor.
Wahrscheinlich waren auch schon Wächterroboter unterwegs, aus Gangbereichen, in denen Rotnem sie noch nicht deaktiviert hatte. Die Insektoide mussten sie gar nicht töten. Sie mussten sie nur aufhalten, sie an der beabsichtigten Flucht hindern.
So, wie es allerdings aussah, würde mehr daraus werden als nur eine Behinderung der Flucht: Die Angreifer kamen von allen Seiten, und Tanya gewann die unangenehme Überzeugung, dass ihre Schutzschirme letztlich nur ein eher schwacher Schutz sein würden. Sie schoss zwar im Sekundentakt einen nach dem anderen ab, doch diese Angreifer wurden immer größer, immer mächtiger, immer stärker und immer schneller.
»Nein!«, hörte Tanya sich verzweifelt schreien und konnte nichts dagegen tun.
»Tanya!« Rotnems Stimme. »Da unten geht was vor!«
»Hier oben auch!«, konterte sie mit letztem Galgenhumor und versuchte, den Angriff eines haushohen Krabbeltieres abzuwehren, das sie an eine Küchenschabe erinnerte. Mit ein paar wenigen gezielten Schüssen war dem Tier jedoch nicht beizukommen. Es schien mindestens ein Dutzend Leben zu besitzen und würde sie im nächsten Moment erreichen, obwohl sie gewissermaßen aus allen Rohren schoss.
»An der Steuereinheit!«, rief Rotnem.
Tanya hatte keine Möglichkeit, darauf etwas zu sagen, denn ein vorschnellender Tentakel traf ihren Helm, trotz Schutzschirm, der aufgrellte wie eine plötzlich brennende Seifenblase, und ließ ihn von der Wucht des Aufpralls aus der Verankerung reißen. Ohne Schutzschirm, das war Tanya im gleichen Moment klar, hätte der mächtige Tentakel ihr glatt den Kopf abgerissen.
Im nächsten Augenblick atmete sie die umgebende Atmosphäre ein, und da erst erkannte sie den infernalischen Gestank, den die Insektoide ausströmten. Es raubte ihr schier den Atem – oder lag das eher an dem zweiten Tentakel, der sich um ihre Taille schlang, während der Schutzschirm vollends erlosch und seitlich des Riesenmonsters kleinere Insektoide auftauchten und sich anschickten, sie anzuspringen.
»Aus!« Tanya wusste später nicht mehr zu sagen, ob sie dieses Wort laut ausgestoßen hatte oder ob es nicht doch nur ein Gedanke gewesen war. Aber im gleichen Moment stoppte die Angreiferfront.
Tanya schoss in die Augen des Riesenmonsters und schaffte es sogar, mit einem Schuss aus ihrem Blaster den mächtigen Tentakel zu durchtrennen, der sie gepackt hielt. Der Griff lockerte sich.
Und dann zog sich die gesamte Angreiferfront sogar ein Stück zurück. Außer dem Riesenmonster, das grässliche Laute von sich gab, während es verendete.
Die Angreifer erschienen irgendwie ... verunsichert. Sie rempelten sich jetzt gegenseitig an.
»Da unten, Tanya, sieh doch!«, schrie Rotnem.
Tanya hörte es, obwohl sie keinen Helm mehr hatte. Rotnem hatte es so laut geschrien, dass seine Stimme aus seinem eigenen Helm hervordrang und den Umgebungslärm sogar noch übertönte.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass er es tatsächlich geschafft hatte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Als er dabei erkannte, dass sie keinen Raumhelm mehr hatte, öffnet er seinen eigenen Helm. Das hieß, dieser klappte einfach nach hinten und schob sich zu einer schmalen Linie an der Halskrause zusammen.
Jetzt erst folgte Tanya seinem Blick nach unten. Was wollte Rotnem eigentlich?
Da war eine auf diese Entfernung mit unbewaffnetem Auge nicht gut sichtbare Gestalt, die mit einem glänzenden Etwas die zentrale Steuereinheit bearbeitete und damit offensichtlich in Fetzen schlug. Aha, das hatte die Störung verursacht? Damit waren anscheinend die Steuerungsbefehle für die Insektoide unterbrochen worden. Aber wieso hatte eines der Monster sich an der Steuereinheit zu schaffen gemacht, womöglich um sie zu zerstören? Das ergab doch gar keinen Sinn. Oder?
»Das – das ist kein Insektoide, sondern – sondern ... ein Mensch!«, ächzte Rotnem, der natürlich mit seinen Roboteraugen das Bild nahe genug heranzoomen konnte, um genaue Einzelheiten zu erkennen. »Und der Typ benutzt ... ein Schwert!«
»Wie bitte, ein Schwert?« Tanya hielt im ersten Anflug Rotnem für total übergeschnappt. Vielleicht hatte er bei der virtuellen Begegnung mit dem Bordgehirn einen psychischen Schaden erlitten?
Doch ihre Augen verengten sich unwillkürlich zu schmalen Schlitzen. Leider stand ihr die optische Einheit des Raumhelmes nicht mehr zur Verfügung. Überhaupt schien ihr Raumanzug Schaden genommen zu haben, weil es nicht nur keinen Schutzschirm, sondern auch keinerlei Anzeigen mehr gab, die dreidimensional jetzt vor ihr hätten erscheinen können.
Sie konnte nur eine mehr oder weniger diffuse Gestalt sehen, irgendwie menschenähnlich und gekleidet in eine Art bodenlanges Mönchsgewand mit über den Kopf gezogener Kapuze. Und diese Gestalt ließ das Schwert jetzt gegen die Angreifer zischen, die ihr zu nahe kamen. Damit war sie offensichtlich effektiver als Rotnem und Tanya mit ihren Strahlern. Das war nämlich ein ganz besonderes Schwert, denn es zerteilte die Chitinpanzer wie sprichwörtliche Butter.
Die Angreifer wurden unsicher, jetzt, wo sie nicht mehr zentral gesteuert wurden. Aber es war immer noch dieser tödliche Angriffswille in den Insektengehirnen verankert. Sie griffen an, jetzt nicht nur die Gestalt dort unten, sondern auch wieder hier oben Tanya und Rotnem.
Als diese jedoch wieder schossen, hatte das zum ersten Mal echte Wirkung: Es schreckten einige Angreifer zurück, von ihrem eigenen Selbsterhaltungstrieb dazu genötigt. Dabei kamen sie nachrückenden Angreifern in die Quere, die darauf aggressiv reagierten.
»Wir müssen uns einen Weg freischießen!«, schrie Rotnem durch den Lärm und deutete vage in eine bestimmte Richtung. »Dort, in der Ecke, dort sind die wenigsten Angreifer.«
Das konnte Tanya zwar selber nicht erkennen, aber sie vertraute Rotnem.
Sie schossen beide auf die Insektoide, die in mannigfaltiger Form herbeikrabbelten, mit schnappenden Scheren und peitschenden Tentakeln. Da gab es Greifklauen, die so aussahen, als könnten sie Steine zermalmen, und Fresswerkzeuge, die nicht minder gefährlich und stabil wirkten. Tanya schoss vor allem auf die Facettenaugen. Teilweise waren diese zwar gepanzert, aber für ihre Blasterschüsse war das kein Hindernis.
Zu dem unerträglichen Gestank, den die Insektoide sowieso schon ausströmten, kam auch noch beizender Qualm von verbranntem Chitin. Tanya dachte, dass sie vielleicht eine Rauchvergiftung umbringen würde, ehe die Insektoide überhaupt dazu kamen, sie zu zerfleischen und sich einzuverleiben, aber als sie in die Lücke zwischen den Angreifern eintauchten, wurde die Luft ein wenig besser. Immerhin so viel, dass sie eben keine Rauchvergiftung mehr befürchten musste.
Da hatte sie jetzt die ganze Zeit über sicherheitshalber den Helm auf dem Kopf behalten, und ausgerechnet jetzt, wo dies dringend nötig gewesen wäre, besaß sie diesen Helm gar nicht mehr!
Zähneknirschend schoss sie um sich und beeilte sich dabei, nicht den Anschluss an Rotnem zu verlieren. Bis sie die rettende Ecke erreicht hatten. Dort war es in der Tat ruhiger. Das hatte Rotnem durchaus richtig erkannt. Und jetzt reichten ihre Schüsse auch aus, um sich die Angreifer weit genug vom Hals zu halten, die immer unruhiger wurden und allmählich begannen, sich gegenseitig zu bekämpfen. Wenn das so weiter ging, würden sie bald völlig das Interesse an ihren Opfern verloren haben.
Tanya schaute in die Richtung der Zentraleinheit. Der Typ im Mönchsgewand. Wo war er? Sie konnte sich die Augen schier aus dem Kopf schauen, aber nichts mehr dergleichen sehen.
Doch da, dort unten war mehr Unruhe. Ein regelrechtes Angreiferknäuel, in das Bewegung kam. Da blitzte etwas umher, wie elektrische Entladungen. Dabei war es nur Licht, das sich in dem Metall des seltsamen Schwertes spiegelte. Der »Kampfmönch«, wie Tanya ihn insgeheim nannte, teilte mächtig aus, und dabei bewegte er sich dermaßen geschickt und schnell, dass dies keineswegs mehr menschlich genannt werden konnte.
Vielleicht ebenfalls ein ... Kyborg?
»Wo, um alles in der Welt, kommt dieser Typ her?«, fragte sie sich laut.
»Wenn ich das bloß wüsste!«, meinte Rotnem tonlos. »Ich dachte erst, ich spinne. Du weißt ja, ich war ja sozusagen kurzgeschlossen mit dem Borgehirn. Ich kann dir sagen, das war für mich die Hölle. Es hätte mich nicht gewundert, wäre ich darüber verrückt geworden. Inzwischen kann ich mich kaum noch daran erinnern, was überhaupt in diesen Sekunden ablief. Klar, das Bordgehirn wollte mich vernichten. Wenn du mich nicht gerettet hättest ... Du hast mich doch gerettet, oder?«
»Klar, habe ich!« Tanya verteilte ein paar gezielte Schüsse, weil es nötig war. Erst dann sprach sie weiter: »Aber das ist doch völlig absurd: Wir dringen in einem Paralleluniversum in einem unbekannten Sonnensystem in ein Raumschiff unbekannter Bauart ein ... Um am Ende auf so einen Typen zu treffen, der deiner Meinung nach wie ein Mensch aussieht?«
»Er sieht nicht nur so aus, sondern ist auch einer, glaube mir. Er ist kein Prupper und schon gar kein Gro-paner.«
»Aber, ich bitte dich, Rotnem, das ist doch völlig unmöglich!«
»Nun, vielleicht wirst du ihn bald selber fragen können? Er befindet sich augenscheinlich auf dem Weg zu uns.«
»Was?« Und dann sah Tanya es selber. Es war auch nicht zu übersehen, denn der Typ kämpfte sich mit seinem blitzenden Schwert eine Schneise durch die Angreifer, die mehr und mehr das Interesse an Rotnem und Tanya verloren, um sich bald nur noch ihren eigenen Artgenossen und jenem Einzelkämpfer zuzuwenden.
»Auf jeden Fall hat er uns den Hintern gerettet!«, murmelte Rotnem. »So viel steht jedenfalls fest. Wäre er nicht gewissermaßen aus dem Nichts aufgetaucht und hätte die Steuereinheit zerstört, wären wir längst Geschichte.«
»Aber mit einem Schwert?«, fragte Tanya, immer noch fassungslos. Und dann wurde ihr bewusst, welchen Fehler sie selbst begangen hatten, denn sie hätten sofort auf die Steuereinheit schießen müssen, um die Befehle an die Insektoide zu unterbinden. Stattdessen hatten sie lediglich versucht zu fliehen.
Auch Rotnem war das inzwischen bewusst geworden, denn er sagte: »Auf jeden Fall hat er das getan, was wir sträflich versäumt haben!«
»Der Lebensretter aus dem Nichts – auch noch in einer Mönchskutte und bewaffnet mit einem Schwert, das sogar durch Metall schneidet. Das ist so grottig unglaubwürdig schlecht, dass man damit niemals eine überzeugende Story aufbauen könnte.«
»Aber wir schreiben hier keinen Roman, Tanya, sondern das hier ist die Wirklichkeit!«, erinnerte sie Rotnem lapidar. »Und du weißt ja, die Wirklichkeit ist meistens fantastischer, als es sich auch der verrückteste Autor ausdenken kann!«
Sie brauchten nicht mehr zu schießen. Die Insektoide waren jetzt nur noch miteinander beschäftigt. Sie mussten allerdings aufpassen, ihnen dabei nicht in die Quere zu kommen.
Und dann war der »Mönch« nahe genug, dass Tanya sein Gesicht erkennen konnte.
Und sie erkannte es in der Tat.
»Max Nergaard!«, entfuhr es ihr, und es schwindelte ihr dabei unwillkürlich, zweifelte sie doch endgültig an ihrem Verstand.
*
»Wie hast du ihn genannt?«, hörte sie die Stimme von Rotnem wie aus weiter Ferne. »Max Nergaard? Was bedeutet das? Kennst du etwa diesen Menschen?«
»Und ob!«, bestätigte Tanya Genada zerknirscht.
Für einen Augenblick sah es so aus, als hätte sich Max Nergaard freigekämpft, aber das erschien wie die berüchtigte Ruhe vor einem alles vernichtenden Sturm, weil sich im nächsten Moment sämtliche Insektoide in seiner Umgebung schlagartig auf ihn warfen. Gemeinsam. Das war eine Masse, gegen die er auch mit seinem wirbelnden Schwert nicht mehr ankam. Zwar konnte er sich kurz freikämpfen, aber dann schwappte die Angreifermasse wieder gnadenlos über ihm zusammen.
Tanya konnte jetzt, wo sich das nahe genug abspielte, deutlich sehen, dass diese eigenartige Mönchskutte ihn zwar wirksam schützte, aber wie lange noch?
Abermals tauchte er für Sekundenbruchteile aus der wimmelnden Masse auf, die sich nach allen Kräften bemühte, ihn zu zerfetzen. Er schlug jetzt sogar seine Kapuze zurück. Ein hochgewachsener, äußerst muskulöser Mann, der nicht für einen Sekundenbruchteil so etwas wie Erschöpfung zeigte – und dennoch letztlich unterliegen würde. Das wurde jetzt offensichtlich. Deshalb griffen Tanya und Rotnem mit ihren Blastern endlich ein.
Ihre Unterstützung war zwar alles anderes als großartig, aber sie schafften es zumindest, dass Max Nergaard wieder genügend Spielraum bekam, um sich wieder freikämpfen zu können. Endlich schreckten weitere Angreifer vor ihm zurück. Sie waren sich wieder gegenseitig ins Gehege gekommen und verloren dadurch anscheinend das Interesse an Max Nergaard, um sich lieber ihren Artgenossen zuzuwenden.
Er sprang vor und gelangte in die jetzt wieder ruhige Ecke, wo Tanya und Rotnem auf ihn warteten.
»So sieht man sich wieder, Tanya Genada, nicht wahr?« Sein Atem war nicht im Geringsten beschleunigt, trotz des Kampfes auf Leben und Tod, der hinter ihm lag.
»Was, um alles in der Welt, machst du denn hier, Max Nergaard? Und wie, bei den Göttern des Universums, bist du hierher gekommen?«
Tanya wartete seine Antwort erst gar nicht ab und wandte sich an Rotnem.
»Der Kerl ist die personifizierte Pest! So einer taucht immer dann auf, wenn man es am wenigsten erwartet!«
»Und dann ausgerechnet in einem parallelen Universum – an Bord eines Riesenraumers, um uns zu retten? Und das alles rein zufällig?«, zweifelte Rotnem.
Max Nergaard tat peinlich berührt. Er winkte mit beiden Händen ab. »Hört zu, Leute, ich weiß, das wirkt absolut unglaubwürdig, aber wir haben nicht viel Zeit, denn sicherlich sind die Wächterroboter unterwegs hierher. Klar, Rotnem, du hast alle auf unserem potenziellen Fluchtweg ausgeschaltet, aber es gibt auch in den anderen Sterngängen welche, die das Bordgehirn längst in Marsch gesetzt hat. Sie müssten jeden Augenblick hier auftauchen, allein schon, um die Insektoide zu befrieden, bevor sie sich allesamt gegenseitig eliminiert haben.«
»Nein!«, rief Tanya aus. »So einfach mache ich es dir nicht, Nergaard: Warst du das, der uns beobachtet hat?«
»Ja, ich war das. Ich kann mich gewissermaßen unsichtbar machen, falls du das meinst. Dabei kam ich dir allerdings zu nahe. Ich wusste ja nicht, dass du inzwischen latent PSI-begabt bist.«
»Wie, PSI-begabt? Ich? Das ist nur ein wacher Instinkt, mehr nicht!«
»Egal, wie du es nennst, Tanya, aber ich habe mich weiter zurückgezogen, um dich nicht unnötig zu beunruhigen.«
»Aber wieso, verdammt noch eins, hast du dich vor uns versteckt und uns so heimlich beobachtet, dass nicht einmal Rotnem es merkte?«
»Woher kennst du überhaupt meinen Namen?«, mischte sich Rotnem an ihrer Seite ein. »Nur vom Belauschen?«
»Nein, ich weiß, dass du ein prupperischer Kyborg bist!«, bekannte Max Nergaard. »Xybrass hat mich hergebracht und hier abgesetzt. Seitdem bin ich an Bord, um auf euch zu warten. Xybrass meinte, Ken Randall würde auftauchen. Dem hätte ich mich natürlich sofort zu erkennen gegeben. Aber Tanya ...? Die hätte mich erst erschossen und dann erst gefragt, was ich hier will!«
»In der Tat!« Tanya knirschte bedrohlich mit den Zähnen.
»Was auch immer zwischen euch steht, dass du ihn sogar umgebracht hättest«, meinte Rotnem vorwurfsvoll, »anscheinend hätte Ken Randall mehr Vertrauen zu ihm gehabt?«
»Dieser Typ hier ist gewissermaßen ein Kollege, aber einer von der Konkurrenz – von der schlimmsten Konkurrenz, die man sich denken kann. Ken und ich sind Survival-Spezialisten bei Mechanics Inc. Und dieses menschliche Krebsgeschwür hier beim Konzern MAFIA. Verstehst du? MAFIA!«
»Nein, keine Ahnung«, gab Rotnem zu. »Jedenfalls irgendeine Konkurrenz. Aber ist nicht inzwischen klar, dass die Erde gar nicht mehr unter der Herrschaft der Konzerne steht, sondern längst von diesen Kyphorern erobert wurde? Was spielen da solche alten Geschichten überhaupt noch für eine Rolle?«
»Genau meine Rede!«, nickte Max Nergaard. »Zumal ich euch beiden nachweislich das Leben gerettet habe. Und könnten wir jetzt endlich von hier abhauen, ehe es zu spät ist?« Max Nergaard wandte sich um, ohne noch eine Antwort abzuwarten, und rannte los.
Tanya konnte sich zwar nach wie vor nicht beruhigen über die Begegnung mit ihm, aber sie schloss sich zähneknirschend an, und auch Rotnem folgte.
»Keinen Schwerkraftantrieb!«, warnte er dabei. »Nicht nur wegen Max Nergaard, sondern auch, weil unsere Schwerkraftantriebe geortet werden könnten. Wir wollen dem Biogehirn nicht zeigen, wo wir uns gerade befinden. Es soll ruhig annehmen, dass es den Insektoiden gelungen ist, uns auszuschalten.«
Das leuchtete Tanya ein. Sie gehorchte. Obwohl sie gar nicht wusste, ob der Schwerkraftantrieb ihres beschädigten Anzugs überhaupt noch funktionieren würde.
Sie mussten sich auf jeden Fall zu Fuß einen sicheren Weg zwischen den kämpfenden Insektoiden hindurch suchen und so zunächst die Nachbarhalle erreichen. Hoffentlich wurde nicht ausgerechnet der Durchgang zu ihrem Fluchtgang verstellt.
*
Wäre der Ausgang in das Gangsystem nur versperrt gewesen, hätte das noch ein geringeres Problem für sie bedeutet. Aber es kam noch viel schlimmer: Die ersten Wächterroboter tauchten dort auf!
Diese schossen mit Lähmungsstrahlern auf die Insektoiden. Keiner von ihnen sollte zu Schaden kommen. Sie sollten wohl anschließend wieder in ihre Tanks gesteckt werden.
»Planänderung!«, rief Max Nergaard und deutete vage in eine völlig andere Richtung, ungefähr dem Ausgang, den sie hatten benutzen wollen, gegenüberliegend. »Dort drüben gibt es einen größeren Durchgang, der wohl der Beladung oder auch Entladung dient.«
»Ja, richtig«, erinnerte sich Rotnem laut. »Das hatte ich auch schon angenommen. Aber meinst du wirklich, wir könnten jetzt noch diesen wesentlich größeren Durchgang benutzen, trotz des Bordalarms?«
»Ja, denn es gibt auch einen kleineren Durchgang!«, trumpfte Max Nergaard auf.
»Du scheinst dich hier ja bestens auszukennen!«, versetzte Tanya angriffslustig.
»Ich hatte ein wenig Vorbereitungszeit, um mich umzusehen. Allerdings ohne über die Möglichkeiten von Rotnem zu verfügen.«
»Aber du musst dennoch hier eingedrungen sein, in diese Halle, sonst wüsstest du nichts von einem Durchgang dort drüben!«, warf ihm Rotnem vor.
»Nun ja, ich habe natürlich auch so meine Möglichkeiten«, antwortete Max Nergaard ausweichend, um sogleich hinzuzufügen: »Kommt jetzt!«
Sie rannten über die Hallendecke in Richtung ihres Ziels. Die Schwerkraftverhältnisse waren jedoch so, dass ihnen die Hallendecke wie ein Boden vorkam – und die Kryotanks mit den dazwischen kämpfenden Insektoiden bildeten jetzt für sie die Decke.
Tanya schaute nicht gern hin, weil es ihr jedesmal schwindlig wurde, wenn sie das sah. Alles erschien im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf gestellt, und sie hatte dabei prompt das Gefühl, jeden Augenblick abstürzen zu müssen, aber sie konnte es trotzdem nicht vermeiden, sich immer wieder zu vergewissern, ob man schon auf sie aufmerksam geworden war.
Bisher noch nicht, denn die eindringenden Wächterroboter waren viel zu sehr mit den Insektoiden beschäftigt. Sie würden sich hoffentlich erst auf die Suche nach den Flüchtlingen machen, wenn diese genügend Abstand gewonnen hatten.
Tanya erreichte keuchend ihr Ziel. Seltsam, Max Nergaard zeigte nach wie vor keinen beschleunigten Atem. Rotnem, als Kyborg, sowieso nicht.
Tanya schaute Max Nergaard an. Er sah so aus, wie sie ihn im Gedächtnis hatte. Trotzdem erschien er ihr verändert, und das nicht nur, weil er in einer Art und Weise gekämpft hatte, wie man es nur als unmenschlich bezeichnen konnte. Was war inzwischen mit ihm passiert? Ob er nicht doch so etwas wie ein Kyborg geworden war? Und dann fiel ihr wieder ein, was er gesagt hatte. Der Außerirdische Xybrass hatte ihn hierher gebracht?
Rotnem hatte den Durchgang geöffnet, den sie nun passieren konnten. Deshalb konnte sie darüber nicht länger nachdenken.
Sie flohen gemeinsam weiter. Hinter sich schloss Rotnem wieder.
»Das Bordgehirn wird nicht bemerken, dass wir diesen Weg genommen haben«, erklärte er zuversichtlich.
Nun gut, dachte Tanya zerknirscht. Und: Wir werden sehen!
*
Dass sein Scheitern als Hacker des Zentralgehirns nicht nur für Rotnem und seine Begleiter Auswirkungen hatte, ahnten sie nicht. Dabei waren die Folgen noch weitreichender: Das Biogehirn der CHAMÄLEON bemerkte es zuerst und schlug sogleich Alarm, um die Besatzung darauf aufmerksam zu machen.
Ihre Blicke zuckten hinüber auf den Hauptschirm, auf dem das Riesenraumschiff mit den vielen Einschusslöchern zu sehen war.
Das Biogehirn begründete seinen Alarm: »Die messbaren Energiewerte steigen sprunghaft an. Sie scheinen das gesamte Schiff zu erfassen. Ich gebe zu bedenken, dass die Isolierung des Schiffes dermaßen wirkungsvoll ist, dass es an ein Wunder grenzt, wenn überhaupt so etwas wie Energieemissionen scanbar sind. Dieser plötzliche Anstieg kann nichts Gutes bedeuten.«
»Tanya und Rotnem«, entfuhr es Ken Randall. »Sie sind aufgeflogen!«
»Verdammt!«, nuschelte Yörg Maister. »Aber wenn die Energiewerte so sprunghaft steigen ... Nur wegen zwei Eindringlingen?«
»Es ist, wenn ihr den Vergleich erlaubt«, meldete sich das Biogehirn, »als wäre das Schiff aus einem langen, langen Schlaf erwacht, um sich gegen seine Frevler zu wenden und sich eventuell sogar zu rächen.«
»Aber ein ganzes Schiff gegen zwei einzelne Eindringlinge?«, blieb Yörg Maister skeptisch.
Randall winkte ab: »Wie dem auch sei: Was bewirkt das alles? Ich meine, in welcher Form geht das Riesenschiff gegen die beiden vor?«
Das Biogehirn antwortete nicht sofort. Es schien erst noch weitere Scanergebnisse abzuwarten.
Juan de Costa mischte sich ein: »Vergesst nicht, wir haben die Raum-Zeit-Störungen im Zentrum des Sonnensystems, gefährlich nahe am Zentralgestirn, im Verdacht, ein Tor zum abgeschotteten Sektor zu sein! Der Riesenraumer war möglicherweise auf dem Weg dorthin, als er von dem Forschungsschiff aus Gro-pan angegriffen wurde. Zwar gelang es dem Riesenraumer noch, das Forschungsschiff zu vernichten, doch der Notrufsender überstand die Vernichtung und sendete ein Notsignal, das von Tanya beziehungsweise Rotnem ausgeschaltet wurde.«
»Worauf willst du hinaus?«, erkundigte sich Ken Randall.
»Na, ist doch ganz einfach: Falls der Riesenraumer in der Lage dazu ist, wieso hat er seinen Flug nicht fortgesetzt nach dem Abschalten des Notsignals? Ich meine, er hat vielleicht nur damit gezögert, weil durch das Notsignal jederzeit Hilfe hier hätte auftauchen können, und der Riesenraumer wollte nicht ausgerechnet dann dabei beobachtet werden, dass er die Störung als Weltentor benutzt.«
»Leuchtet ein – einerseits«, überlegte Ken Randall laut, und dann schlussfolgerte er messerscharf: »Wir haben allein mit unserer Anwesenheit verhindert, dass der Riesenraumer weiterflog. Und jetzt würde er uns angreifen, hätte er noch ein funktionierendes Waffensystem. Zumindest nach außen hin kann sich der Riesenraumer nicht mehr verteidigen – und natürlich auch nicht angreifen. Jetzt sind Rotnem und Tanya entdeckt. Der Riesenraumer wird davon überzeugt sein, dass sie zu uns gehören, und dies als tätlichen Angriff einstufen.«
»Die Energieemissionen haben einen Höchstwert erreicht«, berichtete das Biogehirn. »Das kann nur bedeuten, dass das gesamte Schiff höchste Alarmstufe hat. Zwar gibt es keine äußeren Verteidigungsmittel mehr, aber das heißt noch lange nicht, dass die inneren fehlen. Das Letzte, was wir von Rotnem und Tanya erfahren haben, war, dass es im Innern praktisch keine Beschädigungen gibt. Zumindest waren für die beiden zu diesem Zeitpunkt keinerlei Beschädigung erkennbar.«
»Das Riesenschiff in Bereitschaft – über Jahre hinweg«, murmelte Ken Randall nachdenklich. »Dann wurde der Notruf abgeschaltet, wahrscheinlich in dieser Zeit das Einzige, was es davon abhielt weiterzufliegen. Wir bemühen uns inzwischen vergeblich, Kontakt aufzunehmen. Aber unsere Anwesenheit hat keinerlei Veränderung bewirkt...«
»Keine Änderung, die für uns feststellbar gewesen wäre«, korrigierte das Biogehirn ungerührt.
»Ja, klar«, lenkte Ken Randall ein, »aber das ist nicht der springende Punkt: Wenn das Schiff jetzt erst sozusagen aus seinem Schlaf erwachte, dann ergibt das trotzdem keinerlei Sinn für mich. Klar, irgendwie wurde die Besatzung oder auch nur die Zentraleinheit auf die Eindringlinge aufmerksam, und allein schon die entsprechende Sicherheitsprogrammierung zwingt das Schiff zum Reagieren. Aber dann gleich in einem solchen Maß – und das, nachdem es auf uns überhaupt nicht reagiert hat?«
»Da gibt es nur eine Erklärung, die mir in den Sinn kommt«, meinte Yörg Maister lapidar. »Rotnem kann sich doch in Computersysteme einhacken, nicht wahr? Und er hat versucht, sich in die Zentraleinheit einzuschleichen! Das hat zu dieser Überreaktion geführt.«
»Nach meiner Wahrscheinlichkeitsrechnung«, meldete das Biogehirn, »ist diese Möglichkeit am größten. Soll ich genaue Zahlen nennen?«
»Nein, geschenkt!«, rief Ken Randall schnell. Er wandte sich Yörg zu: »Du bist auch nach meiner Meinung auf dem richtigen Weg. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Das Schiff hat deshalb in einer Art Schlaf verharrt und nicht auf uns reagiert, weil das Zentralgehirn etwas beim Beschuss abbekommen hat. Die ganze Zeit über blieben die weniger komplizierten Systeme aktiv. Vielleicht ein energetischer Schock oder etwas Ähnliches? Es könnten auch mehrere gewesen sein, verursacht durch den Strahlenbeschuss, als der Forschungsraumer von Gro-pan sämtliche Waffensysteme zur äußeren Verteidigung ausschaltete?«
»Wahrscheinlichkeit: sogar hundert Prozent!«, kommentierte das Biogehirn ungefragt.
Ken ließ sich davon nicht ablenken: »Und durch den Versuch Rotnems, das Zentralgehirn zu erobern, erwachte dieses erst wieder mehr oder weniger vollständig! Und deshalb jetzt das, was wir als Überreaktion interpretieren.«
»Der Riesenraumer würde sofort das Feuer auf uns eröffnen, wäre er dazu noch in der Lage«, meldete sich das Biogehirn wieder zu Wort.
»Logisch«, nuschelte Yörg, »denn er muss unter allen Umständen die Hintertür zum abgeschotteten Sektor geheim halten. Sonst ist die Abschottung nichts mehr Wert.«
»Aber haben wir nicht schon angenommen, dass man, wenn überhaupt, eine Art Schlüssel für einen solchen Hintereingang benötigt?«, warf Janni van Velt ein.
»Auch wenn der Riesenraumer davon ausgehen kann, dass wir diesen Schlüssel nicht besitzen, sonst hätten wir ihn längst benutzt ...«, hub Ken Randall an und ergänzte: »... wird er jetzt alles daran setzen, dass wir unsere Erkenntnis nicht weitergeben können. Wir haben noch kein Funksignal abgesendet nach außerhalb des Sonnensystems. Ergo müssten wir jetzt einfach nur vernichtet werden.«
»Aber wie – ohne Waffen?«, wunderte sich Mario Servantes.
Das Biogehirn hatte die Antwort schon parat: »Durch Selbstvernichtung! Wir stehen vielleicht nahe genug, dass sich die Zentraleinheit des Schiffes ausrechnen kann, ob es reicht, uns auszuschalten, oder nicht?«
»Selbstvernichtung?«, echote Yörg verblüfft. »Nach all den Jahren, die der Raumer hier im Orbit ausgeharrt hat, jetzt doch die Selbstaufgabe?«
»Was bleibt ihm anderes übrig?«, fragte Mario Servantes.