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Alle Sorgen vergessen … Die Ereignisse der letzten Wochen stärken Mayas Wunsch, alles hinter sich zu lassen, und eine lange Reise anzutreten. Endlich allein sein, endlich all die großen Orte auf ihrer Liste abhaken. Der Plan scheint perfekt, doch dann taucht überraschend Elias auf und bringt alles durcheinander. Mit seinem schiefen Lächeln zwängt er sich an ihre Seite – und in ihr Herz. Schnell merkt Maya, dass das Glück, nach dem sie sucht, nicht in Amerika, sondern schon längst an ihrer Seite ist. Wenn da nicht die Schatten ihrer Vergangenheit wären, die das Licht der Gegenwart bedrohen … Der zweite und abschließende Teil der Pictures-Reihe von Jules Melony.
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Seitenzahl: 430
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© 2019 Amrûn Verlag
Jürgen Eglseer, Traunstein
Covergestaltung: Kim Leopold, ungecovert - Buchcover und mehr
Lektorat: Susanne Pavlovic, Textehexe
Songtext von The Flatulinees mit freundlicher Genehmigung
Alle Rechte vorbehalten
ISBN epub – 978-3-95869-340-1
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amrun-verlag.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für alle, die noch auf der Suche nach etwas oder jemandem sind.
She likes to party hard.
She likes to get drunk with her friends.
She loves to dance to rock 'n' roll.
She loves playing in her band.
She loves it all night long, but she hates to find an end.
And in the end we have to carry her home again.
Ohrmelodie
Back in Black - AC/DC
Born To Be Wild – Steppenwolf
Livin’ On A Prayer – Bon Jovi
Work for It – Lower Than Atlantis
Home – Nickelback
Rock And Roll All Nite – KISS
Carry on Wayward Son – Kansas
Don’t Rely On Me - DeeCRACKS
Troublemaker – Green Day
You Give Love A Bad Name – Bon Jovi
Too Punk for You – The Sewer Rats
Dance, Dance – Fall Out Boy
Yesterday – Joe McMahon
Adam Angst - Punk
Nobody Can Save Me – Linkin Park
Nothing Else Matters – Metallica
You Messed My Head Up – DeeCRACKS
Sorry Seems To Be The Hardest Word - Elton John
Good Times Bad Times – Led Zeppelin
So Long – Donots
Rockaway Beach – Ramones
Missing You – The Flatulinees
Stop The Clocks – Donots
Hallelujah – Jeff Buckley
Don’t Wanna Go – The Flatulinees
Prolog
»Nein, nein, nein!«, stöhnt Elias, während er haareraufend durch sein Apartment rennt. Er wirft alles in den Koffer, was er in die Finger bekommt. Seine zotteligen blonden Locken stehen in alle Richtungen ab und wippen schwungvoll beim Gehen. Seine Stirn glänzt feucht.
Die Rollos hat er bereits runtergelassen, den Wohnungsschlüssel bei Nate und Skye abgegeben und seinen geliebten schwarzen Porsche 911 Carrera Cabriolet sicher im Autohaus geparkt. Er wird ihn vermissen. Die 370 PS, den tiefschwarzen Metallic-Lack und die bequemen Sportsitze. Oft hat er in Gedanken durchgerechnet, wie viel Aufwand er hätte, wenn er ihn mitnehmen würde. Doch es wäre völliger Unsinn. Er kann sich in Amerika ein Auto mieten.
Elias kennt nicht einmal Mayas Pläne. Skye hat ihm nur verraten, dass der erste Stopp wohl in Kalifornien sein wird. Es war ein Leichtes, herauszufinden, dass sie ein Ticket für L.A. hat. Er kann sich allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, warum sie unbedingt dorthin möchte. Außer Hitze und noch mehr Hitze wird es dort nichts zu sehen geben.
Er flucht.
Wieso muss sie ausgerechnet jetzt das Weite suchen? Sie weiß selbst genauso gut wie er, wie gefährlich die momentane Lage ist. Es ist naiv und verantwortungslos, jetzt verreisen zu wollen. Hinter jeder Ecke könnte einer dieser Idioten auf sie lauern. Ihr Vater Diego de Angelis hat sich viel zu viele Feinde gemacht, als dass Maya das einfach so unter den Teppich kehren könnte.
Elias versucht, den überfüllten Koffer zu schließen, indem er sich mit seinem gesamten Gewicht drauf wirft.
Nachdem er ihn endlich besiegt hat, packt er seinen Rucksack, den er als Handgepäck nutzen will.
Er greift nach seinem Flugticket. Es liegt leicht und gleichzeitig schwer in seinen Händen. »Los Angeles International Airport«, liest er laut vor und stöhnt. Maya muss verrückt sein, eine andere Erklärung hat er nicht.
Ein letztes Mal beäugt er den leicht verbeulten Koffer und überprüft in Gedanken, ob er auch alles dabei hat. Wahrscheinlich wird er sowieso irgendetwas vergessen haben, aber dann muss er es sich eben kaufen. Es ist ja nicht so, als würde man ihm nicht genug Geld für diesen Job geben.
Vielleicht wäre er ihr auch freiwillig nachgereist, denn Maya fängt an, ihm ans Herz zu wachsen. Mit ihren schwingenden, dichten Locken, ihrem außergewöhnlichen Kleidungsstil und ihrer niedlichen Art, ständig verärgert zu sein. Die Tattoos auf ihrer Haut … Elias muss schlucken. Sie bringt ihn ganz durcheinander. Tag für Tag erinnert er sich an ihren Geruch. Der prickelnde Duft, der ihn an einen Einsatz in Italien denken lässt, an frischgepresste Limonen und ans Meer. Ihre beschleunigte Atmung, wenn sie in Rage ist, und an ihre Lippen, die ihn küssen. Es wäre verrückt, diese Chance davonfliegen zu lassen und dieses Mädchen aus den Augen zu verlieren, nur weil sie das andere Ende der Welt so viel spannender findet. Er wünscht sich, Maya würde sich mehr für ihn interessieren und nicht für irgendwelche Punkte auf der Weltkarte. Wobei es auch zu den Dingen gehört, die er an ihr toll findet. Ihre Entschlossenheit, ihr Temperament, ihren Sturkopf und die unersättliche Abenteuerlust. Maya lenkt ihn ab. Von seinen Sorgen, von Jocelyn und von seiner Arbeit.
Draußen hupt ein Auto. Vermutlich Nate, der ihn jetzt nach Frankfurt zum Flughafen fährt. Elias schaut ein letztes Mal auf seine große Uhr im Wohnzimmer, ehe er hinausgeht und die Haustür hinter sich abschließt.
Nate lehnt lässig am Wagen. Elias hasst es, mit ihm im Auto zu sitzen. Generell ist es ihm lieber, wenn er selbst am Steuer sitzt und nicht jemand anderes. Die meisten sind ihm viel zu ungeschickt und wissen gar nicht wie es ist, ein Fahrzeug so richtig zu beherrschen. Das Kribbeln in den Fingern, das Adrenalin in den Adern. Die Geschwindigkeit spüren. Es ist für ihn das beste Gefühl, das es gibt. Elias hat gerne die Kontrolle. Er ist schon lange keine Rennen mehr gefahren, obwohl er es so sehr vermisst. Aber nach Janoschs Unfall hat er sich geschworen, den Rennanzug an den Nagel zu hängen.
Elias‘ Beine fühlen sich träge an, als wollten sie ihn nicht tragen, sondern davon abhalten, diesen Job zu machen. Ist es wirklich bloß ein Job? Auf jeden Fall wird es eine Erleichterung sein, denn dann ist er weit weg von all seinen Problemen. Weg von Jocelyn.
»Ich fahre«, bestimmt Elias, nachdem er Nate begrüßt hat. Er hievt seine Taschen ins Auto.
Nate schaut ihn grimmig an. »Vergiss es. Ich habe vor, im Ganzen in Frankfurt anzukommen.«
Elias erwidert seinen Blick und verschränkt die Arme vor der Brust. »Dann kommen wir nicht rechtzeitig an.«
Nate seufzt ergeben. Elias weiß, dass er schon gewonnen hat. Er kennt seinen besten Freund viel zu gut und weiß, dass Nate in diesem Punkt nicht gewinnen kann. Er wirft Elias die Autoschlüssel zu.
»Hast du etwas von Jocelyn gehört?«, fragt Nate, während er sich anschnallt. »Oder von Hendrik? Wissen sie, dass du das Land verlässt?«
Der Gedanke an die Frau und seinen ehemaligen guten Kumpel, die ihm sein Herz in tausend Teile zerbrochen haben, bringt ihn dazu, sich fest an das Lenkrad zu krallen.
»Elias?«, bohrt Nate nach. »Hast du ihnen was gesagt?«
»Nein«, brummt er. »Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Hendrik wird es bestimmt schon von Julien gehört haben. Ist mir doch egal.«
Der Wagen setzt sich in Bewegung. Den Blick stur auf die Straße gerichtet, sagt keiner von den beiden ein weiteres Wort. Die Anspannung liegt spürbar in der Luft.
Das hat er nach all den Jahren nicht verdient. Elias dachte wirklich, Jocelyn käme mit seiner ständigen Abwesenheit klar. Damit, dass er ständig zu wichtigen Einsätzen eingeteilt wurde und Jocelyns Freunde sowie ihre Familie nie die ganze Wahrheit erfahren durften. Falsch gedacht, stattdessen ließ sie sich von einem seiner besten Freunde trösten. Und Elias war der Trottel, der ihr mit seinem Job alles finanziert hat: ihre Shoppingtrips, die Cocktailabende mit ihren Mädels und den blöden Schmuck zu Geburtstagen und Weihnachten. Elias hat sich bitterlich in seiner Verlobten getäuscht. Die Wut kocht noch immer in ihm. Scham und Enttäuschung haben tiefe Spuren in seinem Herzen hinterlassen. Er hätte es gleich ahnen müssen, dass sie nie im Leben die Richtige sein kann. Im Nachhinein betrachtet, haben Hendrik und Jocelyn sich schon vorher viel zu gut verstanden. Jocelyns falsches Spiel hätte ihm viel eher auffallen müssen. Spätestens, als sie sich ständig geweigert hat, mit nach Irland zu reisen, sondern lieber Zeit mit ihren Mädels verbringen wollte. Stattdessen hat er sich ständig vor seiner Familie gerechtfertigt.
Er ist mehr als froh darüber, dass sie ihre Stelle als Juliens Sekretärin von heute auf morgen gekündigt hat. Nur dieser selbstverliebte Arsch von Hendrik ist noch da. Wahrscheinlich ist Jocelyn bei diesem Arschlochuntergekommen, den sie in Elias‘ Apartment gevögelt hat. Sie braucht sich nie wieder blicken zu lassen. Sein Job ist alles, was jetzt zählt, alles, was er noch hat. Er wird sich nie wieder so von einer Frau beeinflussen lassen.
Nie wieder.
Er ist glücklich darüber, dass er Jocelyn und ihre versnobten Freunde, die alle meinten, sie seien was Besseres, nur weil sie Medizin oder Jura studiert haben, nie wiedersehen muss. Er ist ein verdammter Agent, die können ihn niemals das Wasser reichen, doch das konnte er ihnen ja schlecht sagen.
Manchmal fragt er sich, was passiert wäre, wenn er Jocelyn nicht mit diesem Idioten in seinem Bett erwischt hätte, wenn er nicht früher als geplant nach Haus gekommen wäre. Ob sie es ihm irgendwann gebeichtet hätte? Wäre er auf andere Art und Weise dahintergekommen? Wären sie noch zusammen, wenn er sie beide nicht hochkant vor die Tür gesetzt und Hendrik nicht krankenhausreif geprügelt hätte? Lange hatte er noch auf eine weitere Chance gehofft, aber dann kam Maya und er legte endlich seine Lederkette mit dem Verlobungsring ab, die er noch seit der Trennung um den Hals trug. Keine zweite Chance. Er wird Jocelyn niemals verzeihen können.
Vielleicht hat Julien auch wegen der Spannung, die zwischen Elias und Hendrik herrscht, darauf beharrt, dass unbedingt Elias der aufgeweckten Maya folgen soll. Hendrik ist zwar nicht mehr im Außenteam von Elias und Nate, aber sie sind dennoch weiterhin Arbeitskollegen. Und Elias‘ Abmahnung, die er wegen der Prügelei kassiert hat, trägt auch nicht zu einem guten Arbeitsverhältnis bei. Die Grundstimmung ist gestört. Jedes Mal, wenn Elias in dieses verräterische Gesicht blicken muss, kocht die Wut in ihm hoch. Er ist froh, dass Julien so in Ordnung ist. Woanders wäre er hochkant rausgeflogen.
Ziemlich schnell hatte Julien alle nötigen Dokumente für die Reise besorgt; Krankenversicherung, Visum, Arbeitserlaubnis und Waffenschein. Er ist bestens ausgestattet.
Elias weiß, dass es ihm guttun wird, sich auf ein Abenteuer einzulassen. Eine Reise, während der Maya ihn ablenken wird. Hoffentlich hat er auch an alles gedacht.
»So ein Mist! Was tun wir hier eigentlich?«, flucht Elias plötzlich genervt und Nate zuckt zusammen.
»Schau nach vorne, Mann!« Nate hält sich nervös am Türgriff fest. Elias sieht Nate grimmig an. Nach all den Jahren der Freundschaft hasst Nate es noch immer, wenn Elias so richtig Gas gibt. »Warum hält Skye sie nicht ab? Sie unterstützt dieses Himmelfahrtskommando auch noch«, schimpft Elias und schüttelt den Kopf.
»Du weißt besser als ich, wie dickköpfig die beiden sind. Ich bin bloß froh, dass Skye nicht auf die Idee kommt, mitzufliegen.«
»Dann würdest du wenigstens auch mitziehen«, erwidert Elias und lacht. Er hat ihm das alles schließlich eingebrockt.
»Ich musste gestern den ganzen Scheiß von Skye alleine die Treppen runter und wieder hoch schleppen, wir fliegen nirgendwo hin.«
Elias erwidert Nates glückliches Grinsen. »Ich habe dich gewarnt«, witzelt Elias.
»Gewarnt wovor? Vor dem Zusammenziehen? Verflucht, damit sie in meinem Bett aufwacht, würde ich diese Kisten sogar bis ans Ende der Welt schleppen«, witzelt Nate lachend.
»Das ist ganz schön schnulzig, Nate.«
»Ich bin verloren, Elias, vollkommen verloren«, sagt Nate und seufzt theatralisch.
»Ich weiß, verdammt, und ich auch. Wenn kein Lebenszeichen mehr kommt, dann schwöre ich, hat Maya mich umgelegt.«
»Sie wird vollkommen ausflippen«, mutmaßt Nate.
»Worauf habe ich mich bloß eingelassen?«
»Bleib am Leben, Kumpel«, scherzt Nate und stellt den Musikplayer an. Metallica dröhnt durch die Boxen. »Und wenn nicht, hoffe ich, dass ich in deinem Testament stehe.« Elias lacht, denn Nate war schon immer scharf auf seinen Carrera, doch viel zu geizig, sich selbst so ein Teil zu kaufen. Obwohl er es locker könnte.
»Du bekommst mein Auto nicht!«
»So dankst du mir also für all unsere Jahre? Ich bin schwer enttäuscht!«, erwidert Nate gekränkt.
»Wenn ich das hier überlebe, dann kauf´ ich dir einen eigenen Wagen, als Hochzeitsgeschenk für dich und Skye«, verspricht Elias.
»Ich werde dich daran erinnern«, antwortet Nate.
Nicht mehr viel Zeit, bis der Flug geht. Es gibt kein Zurück mehr. Wenige Stunden Autofahrt trennen ihn noch von der großen Reise. Er lenkt den Wagen auf die Autobahn und drückt das Gaspedal voll durch.
Er ist bereit.
Frankfurt, Deutschland
Ein Abschiedsbild. Skye und ich am Flughafen.
In Skyes Augen erkenne ich die Trauer, in meinen die Freude.
Eins
Einen Flug buchen und das Land verlassen: Check. Greencard: Check. Krankenversicherung: Check. Ich hake endlich diese Punkte von meiner To-do-Liste ab. Immer und immer wieder habe ich sie bloß angeschaut. Nun bin ich meinen Zielen ganz nah.
»Hast du an alles gedacht?«, fragt mich Skye und reißt mich von meiner Liste hoch.
»Jap«, antworte ich selbstsicher. »Ich bin alles tausend Mal durchgegangen.« Wir sitzen in einem Zug in Richtung Frankfurt. In ein paar Stunden geht mein Flug nach L.A. und ich könnte aufgeregter nicht sein. Auf meinem Schoß balanciere ich einen kleinen Notizblock, in dem ich mir die wichtigsten Reisedaten notiert habe.
»Du siehst ganz schön blass aus«, meint Skye und mustert mich besorgt. »Geht’s dir gut?«
»Mir ist ein bisschen übel vom Zugfahren«, weiche ich aus. Dass ich große Angst vor dieser Reise habe, obwohl ich sie mir gleichzeitig so sehr wünsche, erwähne ich nicht. Skye wäre nur unbegründet besorgt.
»Du kannst immer noch hierbleiben«, sagt sie mit belegter Stimme, als hätte sie mich durchschaut. Natürlich weiß sie, dass ich Angst habe.
Seit Tagen zittere ich nun auf diesen besonderen Moment hin und weine mit Skye um die Wette, weil wir zum ersten Mal seit Jahren längere Zeit getrennt sein werden. Abgesehen von dem verrückten Trip nach Loch Ness. Diesmal wissen wir wenigstens, dass es uns gut geht, und müssen uns keine Sorgen um den anderen machen. Denn genau das ist das Ziel dieser Reise: Hakuna Matata.
»Willst du es dir nicht nochmal anders überlegen?«, fragt Skye und wischt sich die Tränen von den Wangen, die schon wieder verräterisch aus ihren Augen rollen.
»Süße … ich muss es tun. Wenn ich es jetzt nicht mache, dann nie«, sage ich, nicht mehr ganz so sicher, und unterdrücke ansammelnde Tränen. Tränen, die für weit mehr stehen als nur für den Abschied von meiner besten Freundin. Tränen, weil mein Vater mich mein Leben lang belogen hat. Tränen, weil ich meinen Job so sehr hasse, dass ich ihn einfach hingeschmissen und ein für alle Mal gekündigt habe. Nach der Abmahnung hätte ich ohnehin kaum noch Chancen gehabt, so richtig erfolgreich zu werden. Und eigentlich bin ich auch nur Polizistin, weil mein Vater, der nun das Gefängnis nur noch von innen sieht, es so gewollt hat. Eltern wollen immer nur dein Bestes. Völliger Quatsch in meinem Fall. Wenn das bei meinem Vater bedeutet, die Tochter in ein schmutziges Schmiergeldgeschäft einschleusen zu wollen, um Gerichte mit sehr großen Geldern zu bestechen. Nein, danke. Das ist alles andere als das Beste. Tränen, weil Elias mich belogen hat. Es mag zwar sein Job sein, aber er hätte mit offenen Karten spielen sollen, bevor es zu spät war - bevor wir miteinander geschlafen haben und ich schon dachte, es könne vielleicht ernst mit uns werden. Bevor ich meinen Job riskieren und ihn festnehmen musste, um Skye zu finden. Tränen, weil ich schon lange nicht mehr weiß, wer ich überhaupt bin und wo ich hingehöre. Tränen, weil ich verdammt nochmal Angst habe, vor dem, was vor mir liegt, und vor allem Tränen, weil ich mich wahnsinnig darauf freue. Das Einzige, was meine Tränen wirklich wert ist, ist wohl der letzte Punkt.
Kurz denke ich darüber nach, eine Tränenliste anzufangen, um vor Augen zu haben, welche Tränen wirklich wichtig in meinem Leben sind. Denn neunzig Prozent davon verdienen es nicht. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Wortlos singe ich in Gedanken Don‘t Cry von Guns N‘ Roses, um mich zu beruhigen.
»Aber ich werde dich so vermissen«, schnieft Skye nun und unterbricht meinen stillen Singsang.
»Ich dich doch auch! Du und Nate, ihr könnt mich doch besuchen kommen und außerdem ... ich werde ja nicht für immer weg sein«, betone ich und hoffe, dass sie nicht hört, wie unsicher ich bin. Ich weiß nicht, was auf dieser Reise passiert. Aber sollte ich jemals vollständig ankommen, weiß ich nicht, ob ich wieder zurückfinde. Ob ich je nach Deutschland zurück will. Im Moment, möchte ich einfach nur noch weit weg und alle Sorgen hinter mir lassen, in der Hoffnung, sie würden einfach in der Luft verpuffen. Seit die Greencard in meinen Händen ist, weiß ich sowieso nicht mehr, was ich wirklich möchte. Auswandern? Reisen? Urlaub? Ist es ein Lebewohl für immer?
Ich habe keine Ahnung.
Eine Stunde später sind wir angekommen und stehen jetzt vor dem Unvermeidbaren - den endgültigen Abschied. Meine Beine werden weich und meine Haut kribbelt, als stünde sie unter Strom. Wenn ich daran denke, gleich in einem Flugzeug Richtung Kalifornien zu sitzen, wird mir schon ganz schlecht.
Manchmal möchte man Dinge im Leben unbedingt, aus voller Kraft, aus voller Überzeugung, obwohl man schreckliche Angst davor hat, welche Veränderungen sie mit sich bringen. Auch ich habe diese Angst.
Skye kramt in ihrer Tasche und zieht ein kleines Paket raus. »Das ist ein kleines Abschiedsgeschenk, damit du an mich denkst. Mach es aber erst im Flugzeug auf, sonst muss ich noch mehr weinen!«
Gerührt nehme ich es entgehen; es ist relativ klein und in buntem Papier verpackt. Ich stecke es in meine Tasche. »Danke! Das hättest du aber nicht -«
»Aber ich wollte!«
Wir schauen uns einen Moment an. Keine von uns will sich trennen, keine will den ersten Schritt machen. Aber wir müssen.
Ich muss.
»Komm her!« Skye schluchzt und auch ich kann die Tränen nun nicht mehr unterdrücken. Ich schließe sie in eine innige Umarmung. Ein letztes Mal atme ich ihren vertrauten Duft ein, spüre meine beste Freundin.
»Pass auf dich auf.«
»Das werde ich. Aber du auch, hörst du? Halte Nate im Auge«, rate ich. Ich konnte ihn zwar ein bisschen kennenlernen, aber so ganz traue ich ihm nicht. Haben solche Agenten nicht immer irgendein Geheimnis? Das ist ihre Natur, ihre Identität. Oder nicht? »Wenn er dir das Herz bricht, komme ich sofort zurück.« Ich zwinge mich zu einem Lächeln.
Sie schaut mich nachdenklich an. »Ich hoffe, du findest es«, sagt sie, ohne auf meine Aussage einzugehen.
»Hm?«
»Was auch immer du da draußen suchst. Ich hoffe sehr, dass du es findest, Maya. Und wage es ja nicht, ohne Fotos wiederzukommen! Postkarten möchte ich auch. Und -«
»Ich werde dich schon nicht vergessen, Skye!«, unterbreche ich sie lächelnd und verdränge damit ein wenig die dunklen Gedanken in mir. Und auch sie bringt zum ersten Mal seit Tagen ein fröhliches Gesicht zustande. Wir fallen uns ein letztes Mal in die Arme. Skye schießt ein Abschiedsfoto mit ihrer Sofortbildkamera und reicht mir das Bild. Wir geben uns einen Beste-Freundinnen-Kuss und dann muss ich los. Ich muss mich trauen, ihn endlich zu tun. Den ersten eigenständigen Schritt meines Lebens. Und es fühlt sich so verdammt richtig an.
»Ich liebe dich!«, sagt sie.
»Und ich liebe dich, du Biest!«, erwidere ich lächelnd. Ehe sie nur noch ein kleiner Fleck in der Menschenmasse wird. Ehe sie vollkommen verschwunden ist. Ehe ich der Welt ein großes Hallo sage.
In ein Flugzeug steigen, Fensterplatz ergattern: Check.
Ich mache es mir bequem und schaue auf das Glas Sekt in meiner rechten Hand, welches mir die Stewardess gerade gebracht hat. Von jetzt an werde ich nicht mehr verzichten und stattdessen das Leben genießen.
In meiner Tasche wühle ich nach meinen Kopfhörern. Mein Blick fällt auf die Tageszeitung. Warum hab ich mir die nochmal gekauft, bevor wir losgefahren sind? Ein großes Foto meines Vaters ist auf der Titelseite.
Erfolgsjurist hinter Gittern – kann man niemandem mehr trauen?
Auf Seite 5 erfahren Sie mehr über Diego de Angelis. Wer ist Freund, wer Feind?
Angewidert stopfe ich das Schmuddelblatt zwischen die Sitze. Können diese dämlichen Journalisten nicht endlich Ruhe geben? Ständig belagern sie meine Mutter, mich und unser Haus. Jeden Tag eine weitere Lüge in der Zeitung, jeden Tag ein neues Foto. Ich hasse es.
Zum Glück hat meine Mutter nicht lang überlegen müssen, als ich sie nach meinem Sparbuch gefragt habe. Meine Eltern haben mein Leben lang so viel eingezahlt, dass ich wahrscheinlich nie wieder arbeiten müsste, und sie weiß, dass ich das jetzt brauche. Abstand zwischen meinen Vater, dem Skandal und mir. Es tut mir ein bisschen leid, sie alleine zu lassen, aber sie möchte nicht mit. Vielleicht ist stille Trauer ihre Art, damit klarzukommen.
Jetzt habe ich das Ersparte und kann tun und lassen, was ich will. Ich wage es erst gar nicht, daran zu denken, woher das viele Geld wirklich kommt. Da auch nicht nachzuweisen war, dass es wirklich Schmiergeld ist, kann man es uns nicht wieder wegnehmen. Fakt ist, es ist nun meins. Und ich werde es zum Fenster rauswerfen, so gut ich kann. Ich stecke mir die Kopfhörer in die Ohren und schalte Born to Be Wild von Steppenwolf in voller Lautstärke ein, ehe ich versuche, mich im Sitz zu entspannen.
Draußen ist ein lebhaftes Geschehen von Menschen, Flugzeugen, Koffern ... und dem Leben. Menschen, die ankommen – Menschen, die gehen. Alle auf der Suche nach etwas. Genau wie ich. Doch wonach suche ich überhaupt? Nach Glück oder gar Liebe? Nach einem Abenteuer oder einem Mann? Nach Freiheit? Nach guter Musik?
Der Herbst ist hier schon so weit fortgeschritten, dass es langsam ganz schön frisch wird. Ich spiele an meiner schwarzen Netzstrumpfhose herum, die ich unter einem bequemen Lederrock trage. Darüber ein kuscheliger Pullover mit dem Schriftzug der Rolling Stones. Mit der anderen Hand trommele ich im Rhythmus des Songs mit und wippe leicht mit dem Kopf.
Musik heilt - vergessen sind all die Tränen. Ich muss nach vorne sehen. Die grauen Gedanken hinter mir lassen und der Sonne entgegenlaufen. Ich seufze. Wenn das bloß so einfach wäre.
Nun geht es von Frankfurt aus stolze zwölf Stunden nach Los Angeles. Dort werde ich Evan Matthews treffen, den Boss von Black Light Records, einem großen Musiklabel. Mein Herz macht einen Satz. Mit ein bisschen Glück fange ich dort bald als Praktikantin an. Und wenn nicht, habe ich immer noch Plan B in der Tasche ... Aber erstmal hoffe ich nun auf diese Chance, der großen Musikszene ganz nah zu sein. Was zieht man da eigentlich an? Darüber mache ich mir später Gedanken. Jetzt heißt es erstmal: Kopf ausschalten.
Ich hole Skyes Geschenk aus meinem Rucksack. Sorgsam fahre ich mit meinen Fingern das Paket entlang. Skye konnte Geschenke noch nie gut einpacken, doch dieses hier ist perfekt. Sie muss sich sehr viel Mühe gegeben haben. Vorsichtig trenne ich das Klebeband. Normalerweise bin ich jemand, der Geschenke sofort aufreißt. Keine Rücksicht, das Papier wird doch sowieso weggeschmissen. Aber jetzt nicht. Es wäre falsch, es einfach so zu zerpflücken.
Es ist ein kleines Buch, das Cover zeigt eine Weltkarte im Retro-Stil. Vorne ist ein Text in Schnörkelschrift »I haven’t been everywhere but it’s on my list.«, das andere ist ein kleiner Karton, der eine gelbe Instax-Kamera enthält. Ach, Skye.
Auf dem Deckblatt steht außerdem das Wort »Reisetagebuch«. Ich schlage das Buch auf. Ein kleiner Brief ist beigelegt. Dann kommt ein Steckbrief. Beim Durchblättern entdecke ich leere Seiten, Rahmen für Bilder sind hauchfein aufgezeichnet und ebenso kleine Linien für Notizen.
Meine Lippen beben, weil ich kurz davor bin, erneut zu weinen. Skye hat mir ein Tagebuch geschenkt. Ein Buch, um Erinnerungen zu sammeln. Platz für Fotos und für meine Notizen, sie hat an alles gedacht. Ich öffne den Brief.
Liebe Maya,
Damit du mich nicht vergisst und vor allem, damit du für mich ein paar Fotos sammeln kannst, habe ich dir dieses Buch gekauft. Ich finde, es ist eine Art Verbindung zwischen uns beiden. Etwas, das ich liebe: Fotos. Etwas, was du liebst: Notizen. Ich freue mich schon auf den Moment, in dem wir zusammen durch dieses dann gefüllte Buch blättern können.
Pass auf dich auf.
Skye.
Gerührt drücke ich den Brief an meine Brust. Sie wird mir fehlen. Das Buch ist wunderschön und die Idee einfach perfekt. Ich muss mir unbedingt Kleber für die Bilder besorgen. Mit einem Lächeln verstaue ich Kamera und Tagebuch in meiner Tasche.
Es wird eine tolle Reise.
Keine Sorgen mehr, nur ich und die große, weite Welt.
Der Gedanke verpufft, weil sich jemand neben mich setzt. Ich hatte gehofft, dass dieser Platz leer bleiben würde. Ich drehe meinen Kopf in Richtung des Mannes, nur um dann einen imaginären Schlag in die Magengrube zu bekommen. Meine Träume verschwinden mit einem Blinzeln.
Das darf nicht wahr sein!
Ich reiße mir die Kopfhörer so schnell herunter, dass sie mir auf den Schoß fallen.
»Elias?«, stottere ich vollkommen schockiert. Er schaut mich mit seinen wunderschönen grünen Augen, die mir viel zu vertraut sind, entschuldigend und gleichzeitig sehnsüchtig an. Sein frischer Duft, den ich zu gut kenne, weht zu mir und mir wird augenblicklich schlecht, weil es zu viele Gefühle hervorruft. Was tut er hier? Seine Haare stehen wild in alle Richtungen ab, ein Zeichen, dass er gestresst ist, weil er sich dann immer durch die Haare fährt.
»Nein!«, sage ich entsetzt. Er sitzt nicht wirklich mit mir im Flugzeug ... das kann nicht sein Ernst sein!
Ein Traum, ich träume bloß!
Ich kneife die Augen zusammen und atme tief ein. Als ich sie wieder öffne, ist er immer noch da.
»Es tut mir leid, Bienchen«, flüstert er.
Ich will aufspringen, merke dann aber, dass ich bereits angeschnallt bin. Mir bleibt die nötige Luft weg, um ihn anzubrüllen.
»Du steigst jetzt sofort wieder aus.« Ich spucke die Worte förmlich zu ihm. Er muss es einfach! Er kann doch nicht … er muss sofort hier raus. Doch die Türen sind schon geschlossen. Nein!
»Das geht nicht. Es sei denn, du vergisst deine verrückte Idee und bleibst bei mir in Bremen.«
»Bei dir?«, frage ich hysterisch. Ich werde ihm etwas antun. Ich schwöre, wenn er nicht sofort dieses Flugzeug verlässt, werde ich höchstpersönlich zum Piloten gehen und sagen, dass wir ihn aus dem Fenster werfen müssen.
»Maya, ich weiß, dass …«
»Es ist mir verdammt nochmal egal, was du glaubst zu wissen. Relevant ist nur, dass du sofort die Biege machst, sonst trete ich deinen Arsch selbstständig hinaus.« Und als würde das Schicksal es schlecht mit mir meinen, kommt just in diesem Moment die Durchsage, dass es losgeht.
»Verdammt!«, fluche ich verzweifelt.
»Du brauchst Schutz!«, flüstert er beschwichtigend. Die Leute neben uns schauen schon zu uns rüber.
»Ich kann auf mich selber aufpassen!« Am liebsten würde ich ihm das Sektglas über den Kopf ziehen. Oder ihn bewusstlos schlagen. Hauptsache, ich muss diese dümmlichen, niedlichen Grübchen nie wieder sehen. Warum folgt er mir, warum tut er mir das an? Reicht ihm nicht, dass er mir bereits das Herz gebrochen hat? Muss er nun auch noch auf den Scherben rumtreten? Seit Skye im Krankenhaus lag, konnte ich ihm gezielt aus dem Weg gehen. Obwohl er versucht hat, mich anzurufen und abzufangen, haben wir uns seit Wochen nicht gesehen. Durch die Journalisten am Haus kam er nicht an mich ran.
»Beruhige dich doch bitte.«
»Beruhigen? Pah! Wenn du glaubst, dass ich zulasse, dass du mir folgst, dann hast du dich getäuscht!«, sage ich patzig.
Maya, denk an seine Polizeimarke. Denk an seine glänzende Marke, die ihm auf die Stirn geklebt werden sollte. Und an all die Lügen, die er dir aufgetischt hat. Denk an den Ring, der eigentlich an seinem Finger sitzen sollte! Mein Kinn zittert.
»Du brauchst Personenschutz, Maya. Sie werden hinter dir her sein. Du weißt, mit welchen Männern dein Vater Geschäfte gemacht hat und wie gefährlich die sind!«, erinnert er mich.
»Ja, allerdings, da du mich ja so umfassend darüber informiert hast. Nachdem du mich ausspioniert und beschattet hast! Monatelang! Und sogar mit mir geschlafen hast, nur um an Informationen zu kommen!«, schreie ich beinahe. Nun schauen auch die Leute in den anderen Sitzreihen zu uns rüber.
»Das stimmt doch so nicht!« Auch er wird lauter.
Ich liebe es, wenn er wütend wird. Dann bildet sich eine kleine Falte zwischen seinen Augen. Und manchmal stehen seine Haare dann noch mehr ab, als sie es sonst schon tun. Als würden sie seine Stimmung reflektieren. Anzeichen dafür, dass auch er Grenzen hat; Elias ist eigentlich nicht schnell aus der Fassung zu bringen.
Ich bin echt nicht normal, oder vielleicht auch zu verknallt in diesen Kerl.
»Und wie das stimmt!« Er fährt sich mit einer Hand durch seine strubbeligen, havannablonden Haare und lehnt sich im Sitz zurück. »Ich komme mit, basta. Glaub mir, ich würde viel lieber hierbleiben, anstatt mit dir um die Welt zu reisen.« In seiner Stimme schwingt Unsicherheit mit. Lügt er vielleicht? Will er vielleicht sogar weg von hier? Und wenn schon, nicht mit mir!
»Wir werden nicht zusammen um die Welt reisen! Träum weiter!«, sage ich, drehe mich zum Fenster und setze meine Kopfhörer wieder auf.
Sein »Das werden wir ja sehen«, kann ich gerade noch verstehen. Das muss ein Albtraum sein. Wie komme ich aus dieser Sache wieder raus? Wie kann sich in nicht mal fünf Minuten alles zum Schlechten wenden? Ich wusste von dem Auftrag, davon, dass er mir folgen soll. Natürlich hat die Polizei es mir gesagt und selbstverständlich habe ich gelacht und es ignoriert. Insgeheim habe ich gehofft, Julien Blanc übertreibt mit dieser Anordnung. Ich hätte nie geglaubt, dass Elias tatsächlich annehmen würde. Schließlich habe ich ihm mehr als deutlich gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll.
»Das werden sie nicht machen«, meinte ich zu Skye. Sie oder Nate müssen ihm die Abflugzeit verraten haben. Seitdem die beiden zusammen sind, stecken die doch eh unter einer Decke. Wortwörtlich. Dieses Pärchen-Loyalitäts-Ding. Deshalb hat Nate uns nicht gefahren. Vermutlich hat er Elias hergebracht und Skye hat zu Tarnungszwecken die Zugfahrt vorgeschlagen.
Diese Verräter.
Dass Elias das Angebot angenommen hat, wundert mich nicht. Ihm wird bestimmt viel dafür gezahlt. Mein Herz schmerzt, wenn ich an den Augenblick zurückdenke, als es in tausend Splitter zerbrochen ist. An den Tag, als die Lügen die Bombe zum Explodieren gebracht haben und ich in Elias moosgrüne Augen geschaut habe, während er mir die Wahrheit gesagt hat. Ich ahnte es schon von dem Moment an, als Julien Blanc ins Spiel kam. Während Elias plötzlich routinierte Bewegungen mit der Waffe in seinen Händen ausgeführt hat, die ein normaler Bürger normalerweise in solchen Situationen nicht macht. Er hat wie ein Schoßhündchen auf Blanc gehört. Die Bestätigung für meine Vermutung kam dann, als ihm die entsprechenden Worte über seine Lippen kamen - eine leise Entschuldigung.
Worte, die alles zerstört haben. Ich war kurz davor, mich richtig auf das einzulassen, was zwischen uns war. Seine Verlobte zu vergessen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Doch dann ist alles explodiert.
Als wir schon längst in der Luft sind, hoffe ich immer noch, dass ich gleich aus diesem Albtraum aufwache. Wie soll ich denn glücklich werden, wenn der Mann, der mir mein Herz gebrochen hat, neben mir sitzt?
Obwohl ich mit meiner Familie ständig verreist bin, habe ich furchtbare Schwierigkeiten mit Reiseübelkeit. Elias dagegen scheint keine Probleme zu haben, er hat sich entspannt zurückgelehnt.
Eine der beiden Flugbegleiterinnen kommt auf uns zu. Die beiden haben uns schon tuschelnd beobachtet. Sie trägt eine Uniform in blauweiß mit einem silberfarbenen Halstuch. Wahrscheinlich ist sie total scharf auf Elias. Ihre Haare sind zu einer perfekten Hochsteckfrisur gestylt und sie hat zu viel Make-up im Gesicht. Die blonde Tussi hat einen langen Hals und sieht unendlich arrogant aus. Ihre Beine unter dem viel zu kurzen Rock sind glatt und glänzend. Ich wünschte, ich hätte auch solche Beine. Ich stelle meine Musik leiser. Kann dieser Tag noch schlimmer werden?
»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit? Möchten Sie etwas zu trinken? Ein Glas Champagner vielleicht?«, säuselt sie höflich und schaut dabei Elias und nicht mich an. Hallo, ich sitze hier auch! Ich werfe ihr einen finsteren Blick zu, den sie nicht mal registriert.
Elias schaut ihr erst kurz ins Gesicht, ehe sein Blick dann an ihr hinab wandert und an ihren Beinen hängenbleibt. Seine Mundwinkel zucken. Ernsthaft jetzt? Die Frau räuspert sich und ihr Gesicht wird rosig. Es ärgert mich. Gut, ich habe keinen Anspruch auf ihn, aber er könnte ja wenigstens Anstand zeigen. Und so toll ist sie nun auch wieder nicht.
»Ich wüsste da eine Menge, was ich gebrauchen könnte«, raunt er ihr zu und - hat er jetzt wirklich auch noch gezwinkert? Will er diesen Flug nicht überleben? Ich drücke meine Zähne schmerzend fest aufeinander.
»Da ließe sich etwas einrichten«, erwidert sie. Gar nicht sexy, Mädel, überhaupt not! Doch Elias lässt sich nicht beirren. Er mustert nun ihren Ausschnitt, der nur ein bisschen von ihrem Dekolleté preisgibt. Nicht zu viel, aber so, dass es in das Bild eines Stewardess-Outfits passt. Wie hat seine Verlobte diesen Lüstling nur ausgehalten? Wieso tue ich mir das an? Denkt er eigentlich, er kann mit jeder Frau spielen? Nicht mit mir! Dem mach ich einen Strich durch die Rechnung.
Ich lehne mich zu Elias rüber und lege meine Hand auf seinen Oberschenkel, ehe ich meine Finger dann langsam tippelnd Richtung Schritt wandern lasse. Seine Augen werden groß und sein Körper spannt sich an. Nun habe ich seine volle Aufmerksamkeit.
»Ich denke, wir nehmen Bier, oder, Schatz?« Ich klimpere mit meinen Wimpern und werfe ihm einen verliebten Blick zu. Es ist zwar furchtbar früh und ich werde dieses Bier niemals trinken, aber der Coolness halber ignoriere ich meinen flauen Magen. Dann grinse ich die Flugbegleiterin an, die soeben aus ihrer Verlegenheit erwacht ist. Elias‘ Blick ruht nun auf meiner Hand und mein ganzer Körper steht unter Strom. Ich mache es bloß, um ihn die Tour zu vermiesen. Er ist mir egal. Es ist reine Rache. Jawohl.
»Gibt es auch Äpfel?«, will Elias wissen.
»Ja, die haben wir, Bier leider nicht«, erklärt die Nervensäge. Auch sie fixiert meine Hand und starrt damit unbeirrt zwischen seine Beine. Ich ärgere mich, dass er immer so enge Hosen trägt.
»Dann lieber doch einen Champagner, wir mögen es sowieso lieber etwas härter«, antworte ich grinsend. Sie wird verlegen und das Professionelle fällt von ihr ab. Elias‘ Mund steht überrascht einen Spalt offen, er fixiert immer noch meine Hand. Ich male kleine Kreise mit dem Zeigefinger auf die Innenseite seines Oberschenkels.
»O-ok-okay«, stottert sie und wendet sich endlich ab. Als sie außer Sichtweite ist, ziehe ich meine Hand zurück und Elias erwacht aus seiner Starre. Ich grinse ihn stolz an.
»Fahr die Krallen ein, Kätzchen«, raunt er mir zu. Seine Mundwinkel zucken amüsiert. Er hat mich durchschaut.
»Tz«, erwidere ich bloß. Ich lehne mich zufrieden in meinen Sitz zurück.
Elias‘ Augen werden schmal, er schaut mich eigenartig an. »Sei froh, dass wir gerade unter Menschen sind, Maya. Zur Hölle sei froh.«
Ich wende mein Gesicht zum Fenster und versuche, meinen eigenen Körper unter Kontrolle zu bringen. Hoffentlich merkt er nicht, wie schnell mein Herz gerade schlägt.
Der restliche Flug verläuft leider nicht ganz so schön. Der Champagner steigt mir sofort in den Kopf, weil ich zuvor nichts gefrühstückt habe, aus Angst, mich im Flugzeug übergeben zu müssen. Ich habe nicht nur starke Kopfschmerzen, mir ist auch noch schrecklich schlecht. Wahrscheinlich bin ich völlig grün im Gesicht.
Elias hat kein Wort mehr verloren, seit die Flugbegleiterin die Getränke gebracht und ihn dabei nicht mal mehr angesehen hat.
Mission erfüllt.
Nun ist er extrem unruhig und rutscht ständig im Sitz hin und her. Schlägt die Beine übereinander, dann streckt er sie wieder aus. Rauft sich durchs Haar, lehnt sich vor und wieder zurück.
»Maya«, fleht er nun. Ich erwidere seinen Blick, verlagere mein Gewicht.
»Hm?«, antworte ich, woraufhin er die Stirn kräuselt. Seine Haare sind so durcheinander wie noch nie zuvor. Ich grinse leicht bei dem Anblick.
Er beugt sich zu mir rüber. »Bist du sauer?«, murmelt er leise in mein Ohr. Ein Kribbeln zieht sich vom Nacken meinen ganzen Körper hinab.
»Nein, Elias.« Meine Stimme ist fest.
Er lehnt sich zurück und schaut mich prüfend an. »Geht’s dir nicht gut?«, will er wissen und klingt ehrlich besorgt. Ich schüttele schwach den Kopf.
»War er zu hart vorhin?«
Ich reiße entsetzt die Augen auf und schaue mich um, ob das vielleicht jemand gehört hat.
»Elias! Nicht so laut!«, zische ich.
»Was denn? Ich frage doch bloß, ob der Alkohol dir nicht bekommen ist. Was hast du denn schon wieder gedacht?« Er grinst wissend.
»Nein, ich meine, ja. Mir ist schlecht.« Ich lege meine Hand auf meinen Magen, als würde dies etwas bewirken können.
»Komm her«, flüstert er sanft. Was denn jetzt schon wieder? Als ich ihn fragend ansehe, verdreht er die Augen und greift nach meinen Schultern. Dann drückt er sie leicht, aber bestimmend in Richtung Oberschenkel. Für einen kurzen Moment dreht sich alles um mich. Doch als ich meinen Kopf auf seinen Beinen bette und die Knie zur Brust ziehe, entspanne ich mich sofort ein bisschen.
»Versuch ein bisschen zu schlafen.« Er streicht meine Haare beiseite und krault dann mit seinen Fingerspitzen meinen Nacken. Ich sollte das hier nicht zulassen. Keine seiner Berührungen. Doch wie könnte ich nicht?
Ich schließe meine Augen und versuche gleichmäßig zu atmen. Zum Glück sind es nur noch wenige Stunden, bis wir endlich da sind. Entspannen. Ein Ding der absoluten Unmöglichkeit, denn Elias‘ Hände wandern nervös über meinen Kopf, meinen Bauch, meine Arme und sogar über meine Wangen.
In vollkommener Geborgenheit genieße ich seine sanften Berührungen.
Es fühlt sich an, als seien bloß Minuten vergangen, bis Elias mich weckt. Das Flugzeug setzt zum Landeanflug an und ich beiße mir vor Wut auf die Lippen. Ich habe tatsächlich den größten Teil der unglaublichen Aussicht auf Kalifornien verpasst.
»Geht’s dir besser?«, will er wissen. Das tut es tatsächlich. Ich strecke meine müden Beine aus und gähne. Wie aufs Kommando fängt mein Magen an zu knurren. Elias grinst zufrieden. Nicht mehr lange, da können wir auch schon aussteigen. Es verläuft hier alles so chaotisch und schnell, dass ich doch heimlich froh bin, nicht alleine zu sein. Ich wäre in diesem Flughafen total verloren gewesen. Doch Elias dirigiert uns von A nach B, als kenne er alles wie seine Westentasche.
Nachdem wir endlich unsere Koffer bekommen haben, möchte ich nur noch etwas essen und schnell in ein Bett fallen. So ein langer Flug schafft einen bis ins Mark. Auch das Nickerchen hat zwar geholfen, aber ich bin völlig erschlagen und meine Beine schmerzen höllisch. Elias dagegen sieht aus, als würde er vor Energie überlaufen. Wie macht er das bloß?
Wir verlassen den Airport durch den Haupteingang und prompt schießt uns die trockene Hitze von L.A. entgegen.
Ich liebe es jetzt schon. Meine Taschen plumpsen auf den Boden und ich bleibe staunend stehen.
»Wow!« Tränen treten in meine Augen, weil ich mich so sehr freue. Ich habe es wirklich getan. Ich bin in Amerika. Am anderen Ende der Welt.
Ich schnappe mir die Kamera, die Skye mir geschenkt hat, und laufe zu einem der großen Schilder. Ich positioniere mich so, dass man mich und den Namen Los Angeles International Airport deutlich erkennen kann. Dann schieße ich ein Foto. Ich hebe meine Hand zu einem Peace und grinse über beide Ohren. Elias schleppt unsere Taschen hinterher, um sich anschließend neben mich zu quetschen. Ich mache noch ein Foto.
»Ich muss Nate ein Bild schicken, als Lebenszeichen.« Er greift um meine Taille, nimmt sein Handy und stellt die Frontkamera ein. Kurz überlege ich, ob ich das kommentieren soll, entscheide mich dann aber dazu, diesen schönen Moment nicht zu zerstören, und grinse in die Kamera.
Während Elias eine Nachricht ins Handy eintippt, vermutlich eine WhatsApp an Nate, hänge ich mir die Kamera um den Hals und schnappe mir meine Taschen. Dann halte ich Ausschau nach einem Taxi.
Gerade als ich eines entdecke, klingelt sein Handy. Er grinst das Display an. »Jo!«, spricht er hinein und hält es keine Sekunde später wieder einen halben Meter von seinem Ohr entfernt. Er verzieht das Gesicht. »Was treibt ihr da?« Er rollt mit den Augen und schüttelt dann seufzend den Kopf. »Ja, wir sind gerade angekommen. Das Wetter ist fantastisch - was? Ja, die ist neben mir und sieht ziemlich …«, ich funkle ihn böse an, »… heiß aus.« Ich boxe ihn gegen die Schulter.
»Ist das nicht furchtbar teuer, hier zu telefonieren?«, frage ich. Ein Anruf muss ein Vermögen kosten.
»Mach dir darüber mal keine Sorgen.«
»Wie du meinst.«
Er wendet sich wieder von mir ab und lauscht. »Nee, ich denke wir werden uns erstmal ein Hotel suchen und was essen, wir sind total platt, Nate«, fährt er fort.
Wir werden uns ein Hotel suchen?
Eigentlich hatte ich vor, im nächstgelegenen Motel unterzukommen.
Es vergehen ein paar Minuten, in denen er eine Reihe von kargen Antworten von sich gibt, ehe er sich versteift und beinahe brüllt. »Was? Das ist ein schlechter Scherz, oder? Ich fasse es nicht! Was hast du dann gemacht?«
»Elias?«, frage ich vorsichtig. »Alles okay?« Doch er winkt bloß ab.
»Das bedeutet doch nur wieder Ärger! Sorg´ dafür, dass sie zurückfliegt! Meinetwegen mit Gewalt!«, verlangt Elias. Was bringt ihn denn so in Rage? »Ja, verdammt. Pass bloß auf sie auf, die baut doch einen Unsinn nach dem anderen! Sie soll gefälligst zurück nach Hause und sich brav um ihr Studium kümmern!.« Es vergehen noch einige Wortwechsel, bis er auflegt. Er starrt sein Handy so wütend an, dass ich schon fast damit rechne, er würde es auf den Boden werfen. Doch stattdessen steckt er es ein.
»Elias?«, frage ich erneut.
»Schon gut. Es ist nichts Besonderes, bloß meine nervige Schwester, die mal wieder keinen Bock auf ihr Medizinstudium hat und mich in Deutschland besuchen wollte. Komm, ich brauche unbedingt Bier und ein bequemes Bett.« Er greift nach dem Großteil des Gepäcks und eilt zügig zum nächsten Taxi. Ich schnappe mir den Rest und sprinte mit einem flauen Gefühl im Magen hinterher.
Los Angeles - Kalifornien, USA
Erster Tag in L.A.
Elias und ich, als wir gerade angekommen sind.
Obwohl ich so wütend bin, lächle ich auf dem Foto.
Zwei
»Ich gehe ganz sicher nicht mit dir auf ein Zimmer!« Ich stemme die Hände in die Hüften. Mein Augenlid zuckt, so wütend bin ich. Elias seufzt und die Rezeptionistin sieht mittlerweile genervt aus.
»Jetzt mach hier nicht so einen Aufstand. Du tust ja beinahe so, als sei ich ein Fremder!«, brummt er.
»Oh, das bist du auch! Schließlich hast du schon oft genug gelogen!« Elias schüttelt lediglich den Kopf und wendet sich mit Schlüsselkarte und Gepäck zu den Aufzügen.
»Es ist sonst nichts mehr frei!«
»Dann schlaf du doch woanders«, zicke ich ihn an. Da ich heute so früh aufgestanden bin, ist die Müdigkeit auch schon so weit fortgeschritten, dass ich keine Lust habe mich noch weiter zu streiten. Oder gar ein anderes Hotel zu suchen. Mir bleibt schlichtweg keine andere Wahl, als mit ihm aufs Zimmer zu gehen. Mit schweren Schritten folge ich ihm. Nachdem wir den Flughafen verlassen haben, habe ich wirklich gedacht, ich könnte Elias abhängen.
Endlich angekommen packe ich schnell das nötigste aus und verkrieche mich im Badezimmer, um zu duschen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Wir hocken nun in einem schicken Hotel in L.A., wir – Elias und ich.
Nachdem der ganze Raum von Dampf durchzogen ist, stelle ich die Dusche ab, ziehe ich mir ein Lieblingsschlafshirt von Nirvana - mit dem großen gelben Smiley - an und krieche unter die Bettdecke. Elias hat uns Sandwichs besorgt, während ich schon sämtliche Schlachtpläne durchgegangen bin, wie ich ihn wieder loswerden könnte, aber keiner hätte auch nur den Hauch einer Chance gehabt. Schließlich habe ich es hier mit einem verdammt guten Cop zu tun. Ich schaue auf seine breiten Schultern, die in einem marineblauen T-Shirt stecken. Auf seine trainierten Arme und seine Finger, die gerade auf die Tasten seines Laptops tippen. Die Stimmung zwischen uns ist furchtbar erdrückend. Eigentlich wollte ich meine Reise damit beginnen, laute Musik zu hören und auf eine wunderbare Zukunft hinträumen. Zwar sitze ich nun in einem eleganten Zimmer mit Blick auf den Pool und fühle mich wie ein Hollywoodstar, aber Elias passt nicht so ganz in die Vorstellungen, die ich von L.A. hatte.
Doch nichts da. Er klebt wie Sekundenkleber an mir. Vielleicht sollte ich versuchen, Lutz zu erreichen? Doch kann er mir überhaupt helfen? Er ist ja nicht einmal mehr mein Chef. Gegen Julien Blanc wird wohl auch er nicht ankommen. Außerdem habe ich ihm eine Menge Ärger eingebrockt, als ich Elias als Geisel genommen habe. Obwohl dieser das nie bestätigt hat.
Jetzt habe ich den Salat – und Elias an der Backe. Entweder schaffe ich es, ihn noch an irgendeiner Ecke loszuwerden, oder ich fliege wieder nach Hause. Oder ich reise mit Elias. Der Gedanke daran, Tag für Tag an seiner Seite zu sein, lässt einen stechenden Schmerz in meinem Herzen zurück.
Ich kritzle ein paar Notizen zu Dingen, die ich unbedingt in den Staaten essen möchte, auf meinen Block und starre immer wieder ungewollt zu dem Kerl am Schreibtisch rüber. Ich blättere die aktuelle Seite um und fange eine neue Liste an.
Elias loswerden.
Punkt Eins: Ihn ans Bett binden und dann den nächsten Flieger – egal wohin – nehmen. Punkt Zwei: Ihn betrunken machen und dann siehe Punkt Eins. Punkt Drei: Mit dem kitschigen Lampenschirm erschlagen. (Beachte: strafbar!!! )
Ich seufze. Gibt es denn keine harmlose, schnelle und einfache Art einen über eins-achtzig großen Kerl loszuwerden? Punkt Vier: Das Personal bestechen und ihn ins Zimmer einsperren. Vielleicht sollte ich auch Skye anrufen, wobei ihr der Wachhund an meiner Seite bestimmt sehr recht ist.
»Maya Biene!«, sagt Elias und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Ich löse meine Beine, die bis eben im Schneidersitz steckten und strecke sie auf dem Bett aus.
»Nenn mich nicht so!«, zische ich und er rollt mit den Augen. Er hat sich halb über die Stuhllehne gebeugt und stützt nun sein Kinn auf seinen Armen ab.
»Was ist denn schon wieder?«, frage ich etwas ruhiger.
»Ich habe dich gefragt, warum du unbedingt zuerst nach L.A. wolltest.« Geht das wieder los. Dieses Gespräch hatte ich dutzendfach schon mit Skye geführt.
»Warum nicht?« Ich ziehe die Schultern hoch. Los Angeles ist eine gewaltige Stadt. Dass ich mich bei einem Label beworben habe, weiß nicht mal Skye. Ihr wäre sonst sofort klar gewesen, dass ich nicht so schnell wiederkomme.
»Hat es keinen bestimmten Grund? Ich meine, wenn ich eine Amerikareise plane, würde ich doch eher als erstes nach New York fliegen, oder an einem schönen Strand oder so.«
»Ja, klar, um Mädels in Bikinis zu begaffen!« Diesmal rolle ich mit den Augen. Er grinst neckisch. »Außerdem gibt es hier einen Strand.«
»Dann könnte ich dich im Bikini betrachten«, sagt er mit vibrierender Stimme und auf meinen Armen macht sich Gänsehaut breit. Er steht auf und kommt rüber. Ich winkle die Beine abwehrend an. Er starrt mir konzentriert in die Augen, während er auf mich zukommt.
Bloß nicht schwach werden, Maya.
Er blinzelt nicht mal. Ich kenne diesen doofen, süßen Blick bei ihm. Diesem Ausdruck bin ich damals verfallen, aber nochmal tappe ich nicht in diese Falle. Vielleicht sollte ich den Spieß einfach mal umdrehen. So tun als ob und ihn dann fallen lassen. Dann wäre ich ihn sicher los.
»Geh weg ...«, flüstere ich warnend.
»Maya«, flötet er fröhlich. Elias setzt sich an die Bettkante und legt seine Hand an meine nackte Wade.
Seine Hand fährt mein Bein hoch und ich wehre ihn nicht ab. Schlag seine Hand weg, sagt mein Kopf, und komm ihm niemals wieder zu nahe. Doch mein Herz verlangt das Gegenteil. Es sagt, reiß ihm die Kleider vom Leib und vergiss dich in seinen grünen Augen, die nach endlosem Frühling aussehen.
»Punkt drei? Wirklich?« Ich bin so perplex und abgelenkt, dass ich gar nicht begreife, was er meint, bis ich seinem Blick auf meinen Notizblock folge.
»Das geht dich nichts an!«, sage ich und klappe meine Notizen zu.
»Da steht mein Name, natürlich geht es mich etwas an.« Seine Hand verharrt auf meinem Oberschenkel. Sie schneidet sich brennend in meine Haut.
»Ich habe das Los entscheiden lassen«, sage ich, um abzulenken.
»Ein Los?«
»Ja, ich habe alle Reiseziele auf Zettel geschrieben und in ein Glas getan. Dann habe ich mich betrunken und eines gezogen«, erkläre ich.
»Wieso hast du dich deshalb betrunken?«
»Weil ich sonst niemals danach einfach ein Flugticket gekauft hätte!«
Das ist doch völlig einleuchtend. Es war ein fantastischer Abend. Mittags war ich beim Prozess meines Vaters, danach habe ich Lutz die Kündigung in die Hand gedrückt. Abends habe ich dann Tequila gekauft und die Zettel geschrieben. Als die Flasche halb leer war, habe ich Lotto gespielt und Kalifornien, LA gezogen. Das Flugticket zu kaufen, hat sich so verdammt richtig angefühlt, sogar am nächsten Morgen, als der Tequila mich schon längst wieder allein zurückgelassen hatte.
»Das ist verrückt«, sagt er grinsend.
»Manchmal muss man etwas riskieren.«
»Indem man sich betrinkt und einen Flug bucht?«, fragt er und streicht mit seinen Fingern über meinen Arm. Ich versuche das Kribbeln zu ignorieren.
»Ganz genau«, sage ich ernst.
Elias grinst über beide Ohren. »Und wenn du den Nordpol gezogen hättest? Steht der auf deiner Liste?« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Natürlich stand der Nordpol nicht auf meiner Liste. Dort ist es viel zu kalt.
»Dann hätte ich mir neue, sehr warme Klamotten gekauft.« Ich winke ab. »Wir sollten schlafen.« Ich rutsche von ihm weg und ziehe mir die Decke bis zur Nase, ehe ich mich auf der Seite zusammenrolle.
»Das sollten wir auf jeden Fall.« Er schmunzelt.
»Nein. Richtig Schlafen«, brumme ich genervt.
Erinnerungsfetzen aus dieser einen Nacht schwirren sofort vor meinen Augen und schnell blinzle ich sie weg. Ich darf daran nicht denken.
Am besten nie wieder.
Irgendetwas blockiert meine Bewegung, sodass ich mich nicht umdrehen kann. Ein schwerer Arm hat sich um meine Taille gelegt und weckt mich auf.
Ich bring ihn um.
»Elias.«
Er rührt sich nicht, natürlich nicht. Er schläft tief und fest und hängt an mir wie ein Klammeräffchen. Ich halte Ausschau nach irgendeinem Gegenstand, den ich als Waffe benutzen kann.
Ich spüre seine flachen Atemzüge im Nacken, die für prickelnde Gänsehaut sorgen. Seine linke Hand liegt auf meinem nackten Bauch. Mir wird heiß. Wie ist die unter mein Shirt gekommen? Wieso liegt sein anderer Arm unter meinem Kopf?
Er wird diesen Morgen definitiv nicht überleben - dafür sorge ich.
»Elias!«, knurre ich. Er bewegt sich leicht, aber nur um sein Gesicht in meinen Haaren zu vergraben. Seine Stirn presst sich gegen meine Halsbeuge.
Ganz ruhig, Maya. Wenn du ihn auf der Stelle umbringst, landest du im amerikanischen Knast.
Ich versuche, mich aus der Umklammerung zu befreien, doch bei jeder meiner Bewegungen, schließen sich seine Arme Stück für Stück fester um mich. Gestern Abend habe ich ihm klar und deutlich gesagt, dass ich in diesem Bett schlafen werde. Alleine. Und er hat sich mit dem kleinen Sofa zufriedengeben. Jetzt begreife ich, dass es alles nur Schau war. Dieser Idiot. Wahrscheinlich hat er absichtlich am Laptop gehangen, bis ich eingeschlafen bin, nur um sich dann zu mir ins Bett zu legen. Der Duft seines Eau de Toilette steigt mir in die Nase. Warum muss er auch noch so verboten gut riechen? Und das rund um die Uhr?
»Maya«, raunt er mir ins Ohr und ein Schauder überkommt mich. Seine Hand wandert höher und kitzelt meine Haut. Ich stehe vollkommen unter Strom. Ich greife nach seiner Hand, um sie aufzuhalten.