Pippa, die Elfe Emilia und die Käsekuchenschlacht - Barbara van den Speulhof - E-Book

Pippa, die Elfe Emilia und die Käsekuchenschlacht E-Book

Barbara van den Speulhof

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Beschreibung

Ein humorvolles Buch über Freundschaft, Streit, Kuchen und Versöhnung – frisch, saftig und so lecker wie ein Stück Käsekuchen! Freunde finden ist nicht leicht, aber manchmal sind sie ganz in der Nähe und wollen nur entdeckt werden! Eine kleine aufgeweckte Elfe kann dabei ganz schön hilfreich sein. »Pippa spielt noch mit Puppen«, ruft Pippas nervige Banknachbarin Inga ganz laut in die Klasse, als sie Emilia in Pippas Ranzen entdeckt. Elfe Emilia bringt Pippa auf die Senf-im-Schuh-Rache. Blöderweise wird Pippa dabei von ihrer Lehrerin ertappt. Zur Strafe soll Pippa etwas Nettes für Inga tun und Inga für Pippa. Als beide einen Käsekuchen mitbringen, kommt es in der Klasse zur großen Kuchenschlacht und zum Glück auch bald zur großen Versöhnung …

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Seitenzahl: 144

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Barbara van den Speulhof

Pippa, die Elfe Emilia und die Käsekuchenschlacht

Mit Bildern von Regina Kehn

FISCHER E-Books

Inhalt

Geschichten müssen erlebt werden. [...]Gegrillte GlückswürmchenVon Pechwürmchen gebissenAlleinsige AlleinsigkeitRock’n RollstuhlHicksaufMittelscharfe RacheRucke di Guh, Senf ist im SchuhDer beste Käsekuchen der WeltFreundschaft geht durch den MagenZweiundzwanzig begossene PudelFrei fliegende BücherFräulein Zuckerwatte lernt backenDas Glück ist ein BadeseeViele Gründe zu feiern

Geschichten müssen erlebt werden. Sonst sind es keine.

Pippa, 9 Jahre

 

Geschichten sind wie Blumensamen. Du musst sie säen, damit sie wachsen und groß und stark werden. So wie ich.

Emilia, 741 Jahre

 

Geschichten sind toll. Vor allem, wenn man selbst drin mitspielen darf.

Inga, 9 Jahre

Eins

Gegrillte Glückswürmchen

»Glückswürmchen! Schau nur, Pippa, da fliegen Glückswürmchen! Lass uns rausgehen und sie aufessen!« Emilia rannte aufgeregt auf der Fensterbank hin und her.

Unwillig guckte ich von meinem Buch hoch und sah nach draußen.

»Erstens heißen die Dinger Glühwürmchen. Zweitens esse ich keine Käfer, und drittens ist es gleich halb zehn in der Nacht.«

»Auch nicht, wenn Glückswürmchen fliegen?«

»Nein, auch nicht, wenn Glühwürmchen fliegen!«

»Und wir essen sie auch nicht?«

»Nein.«

»Auch nicht gegrillt? Mit Kräuterbutter und Baguette?«

»Nein!«

»Mit Ketchup?«

»Nein, nein, nein!«, presste ich heraus und versuchte, nicht so laut so schreien, wie es dem Ärger in mir recht gewesen wäre. »Emilia, bitte. Ich versuche, mich zu konzentrieren!« Ich deutete auf das aufgeschlagene Tagebuch vor mir. »Ich hab mein Ehrenwort gegeben, alles aufzuschreiben, was wir zusammen erleben.«

»Pah! Dafür müssen wir erst einmal etwas erleben. Sonst kannst du ja gar nichts schreiben!«, rief sie und sprang von der Fensterbank auf meinen Schreibtisch und dann auf mein Bett. Sie stapfte und stolperte über meine dicke Daunenbettdecke ans andere Ende zum Nachttischschränkchen. Bei einem Wesen, das nicht größer ist als dreißig Zentimeter, sieht das aus, als würde es sich durch Tiefschnee kämpfen.

»Wir könnten die Uhr einfach umstellen. Auf … na sagen wir … auf halb sieben!« Ihr Finger zeigte auf meinen Wecker. »Halb sieben abends ist noch Draußen-unterwegs-Zeit.«

»Emilia, du nervst. Wenn wir die Uhr zurückstellen, dann dreht das noch lange nicht die Zeit zurück. Sei doch bitte einmal vernünftig!»

Emilia sauste über das Bett zurück und kletterte die kleine Leiter hoch, die ich für sie dort aufgestellt hatte. Nun stand sie auf meinem Schreibtisch und stemmte die Hände in die Hüften.

»Ich bin nicht ver-nymph-tig. Ich bin nämlich keine Nymphe, sondern eine Elfe! Falls du das schon vergessen hast, Pippa la Pipp!«

Meinen Namen hatte Emilia so feucht ausgesprochen, dass ich mir das Gesicht mit einem Taschentuch abwischen musste.

Ja, es stimmt. Emilia ist eine Elfe. Von kleiner Größe, aber mit der Durchsetzungskraft einer ganzen Fußballmannschaft. Wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist es unmöglich, es dort wieder herauszuholen. Mein Vater würde das »einen starken Willen« nennen.

Ich sagte: würde. Denn weder mein Vater noch meine Mutter oder meine drei Brüder kennen Emilia, die Elfe. Sie kennen nur Emilia, die Puppe. Nur bei mir und bei Oma Dotti ist sie eine lebendige Elfe. Bei anderen Leuten tut sie so, als wäre sie eine Puppe. Sie wird steif und hält die Luft an. Das kann sie gut. Schließlich hatte sie 741 Jahre Zeit, es zu üben. So alt ist sie nämlich, obwohl man ihr das Alter nicht ansieht.

Emilia habe ich von Oma Dotti geschenkt bekommen. Und die ist eigentlich nicht meine richtige Oma. Ich habe sie bei einem Malkurs kennengelernt, den meine Mutter im Altersheim gegeben hat. Sie ist 81 Jahre alt, sitzt im Rollstuhl und ist immer sehr lustig, obwohl sie nicht mehr laufen kann. Sie ist die lustigste Oma, die ich kenne. Deshalb habe ich sie adoptiert. Zumindest in Gedanken. Obwohl ich schon zwei richtige Omas habe. Aber eine, die so ist wie Oma Dotti, darf man sich einfach nicht entgehen lassen.

Damals, als sie mir Emilia geschenkt hat, sagte sie, sie könne sich nicht mehr so gut um sie kümmern, wie sie es verdient hätte. Jetzt verstehe ich, was sie gemeint hat, als sie sagte, sie wäre ein wilder Feger.

Sie ist ein wilder Feger. Das merke ich jeden Tag. Heute auch.

»Nein. Wirklich. Nein. Wir gehen nicht raus zum Glückswürmchen-Grillen, Emilia«, sagte ich und versuchte, genauso entschlossen zu schauen, wie sie es immer tat, wenn sie sich durchsetzen wollte.

»Ach, du mit deinem blöden Vernünftigsein!« Sie spuckte diesen Satz regelrecht aus, und ich hielt mir vorsorglich das Taschentuch vors Gesicht.

»Du redest schon genauso wie die Erwachsenen. Das ist ein schlimmer Fehler. Zu viel Vernunft kann krank machen. Sogar erwachsene Menschen. Das Gesicht friert ein, und man kann nicht mehr lachen. Auch wenn man es sich noch so sehr wünscht.« Beleidigt ließ sie sich auf die Fensterbank plumpsen. »Chronische Übervernünftisitis heißt die Krankheit. Dagegen helfen weder Tabletten noch Spritzen.«

Auf Emilias Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, und ihre Augen begannen gefährlich zu funkeln. Sie sprang auf und rannte auf mich zu.

»Da hilft nur die weltberühmte emilianische Kitzeltherapie!«

Sie war so schnell, dass ich mich nicht mehr verstecken konnte. Mit ihren kleinen Händchen kitzelte sie mich zuerst unter dem Kinn und dann unter den Armen. Schnell zog ich mein Kinn nach unten und presste meine Arme an den Körper. Aber das half nichts. Ich musste lachen. Ich lachte mich kringelig, bis ich zusammen mit Emilia vom Stuhl plumpste und auf dem Fußboden landete.

»Hör auf! Hör auf!«, war das Einzige, was ich herausbrachte.

»Dann gehen wir aber raus!«, rief sie.

Ich bekam fast keine Luft mehr.

»Nur, wenn du mich in Ruhe lässt!«, giggelte ich.

»Ja! Ich hab gewonnen! Meine Therapie war erfolgreich! Die Patientin ist geheilt!«, jubelte sie und ließ endlich von mir ab.

Ich musste ein paarmal tief durchatmen. In der Zeit hatte Emilia schon ihren Koffer unter dem Bett hervorgeholt.

»Zimtundzucker muss mit«, sagte sie. »Sie muss pinkeln.«

Das hätte ich fast vergessen. Zimtundzucker ist Emilias Katze und wohnt in ihrem rot-weiß-gepunkteten Koffer. Heute Abend hatten wir sie noch nicht rausgelassen. Auf keinen Fall durfte sie in mein Zimmer pinkeln. Mama hat nämlich Haustiere verboten. Es gäbe eine Katastrophe, wenn sie Zimtundzucker entdecken würde.

»Gut, dann gehen wir. Aber leise!«, ermahnte ich Emilia, die schon ungeduldig an der Tür wartete. Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten, öffnete in Zeitlupentempo die Tür, streckte meinen Kopf hinaus und wagte einen Blick nach links und rechts. Es war niemand im Flur zu sehen. Die Zimmertüren meiner Brüder waren geschlossen, nur durch das Schlüsselloch von Pillepalles Tür konnte ich einen schwachen Lichtschein erkennen. Pillepalle heißt normalerweise Paul, und er ist der älteste meiner drei Brüder. Er ist schon zwölf und mitten in der Pubertät, sagt Mama. Seit er da drin ist, hat er Pickel im Gesicht. Deshalb nenne ich seinen komischen Zustand lieber Pickeltät, und ihn selbst nenne ich Pickel-Paul. Aber nur, wenn er es nicht hört. Ich will nicht, dass er sauer wird, weil er meistens ein ganz netter großer Bruder ist.

Ich nahm Emilia auf den Arm und den Koffer in die Hand. So bepackt schlich ich mich zu Pillepalles Tür und lugte durch das Schlüsselloch. Ich sah einen Teil seines Betts und eine hochgehaltene Autozeitschrift. Über dem Heft schauten ein paar fette Haarsträhnen heraus. Klar, Pillepalle träumte wieder einmal von seinem ersten eigenen Auto.

Ich ging zur nächsten Tür. Durch das Schlüsselloch konnte ich außer reiner Dunkelheit nichts sehen. Jannik und Julius, meine Zwillingsbrüder, schliefen also schon. In unserer Familie nennen wir sie die Jottjotts, weil man sie kaum auseinanderhalten kann, so ähnlich sehen sie sich. Und wenn einer ist wie der andere, brauchen sie keine zwei Namen. Da genügt einer völlig.

Auch ich hätte eigentlich längst schlafen müssen. Neun Uhr abends musste ich spätestens im Bett sein. Aber seit Emilia bei mir wohnte, war daran nicht mehr zu denken. Wenn Mama oder Papa so gegen halb neun in mein Zimmer kamen, um mir gute Nacht zu sagen, lag ich im Bett und machte ein Braves-Mädchen-Gesicht. Kaum waren sie verschwunden, stand ich wieder auf und setzte mich an den Schreibtisch, um meine Erlebnisse mit Emilia aufzuschreiben. In den ersten Tagen war das Aufschreiben eher wie eine Pflicht gewesen, später machte es mehr und mehr Spaß. Trotzdem muss ich alle warnen, die vorhaben, eine Elfe bei sich aufzunehmen, sie sollten sich das vorher gut überlegen. Elfen halten einen wach, sie stellen einem das Leben auf den Kopf, und sie bringen einen ständig dazu, Dinge zu tun, die man sich ohne sie nicht getraut hätte. Das kann schön anstrengend sein. Aufregend ist es allemal. So wie heute Abend.

»Wir müssen sehr leise sein, Emilia. Schaffst du das?!«, fragte ich flüsterleise. »Pillepalle ist noch wach, er darf uns nicht hören.«

Sie nickte stumm, aber so heftig, dass ihr ein paar Strähnen ihrer brötchenblonden Haare über die Augen fielen.

Auf Zehenspitzen schlich ich mit ihr auf dem Arm die Treppe runter. Dabei durfte ich nicht auf die Mitte der Holzstufen treten, sonst würden sie knarzen. Die dritte und siebte von oben musste ich ganz auslassen, die machten auch beim Drauftreten am Rand Geräusche.

Unten angekommen, schlüpfte ich in meine Gummistiefel, öffnete die Tür und ging hinaus in die kühle Nachtluft. Ich hoffte, meine Eltern würden mich nicht erwischen. Emilia zappelte auf meinem Arm. Ich ließ sie runter und warf dabei einen verstohlenen Blick rüber zum Mama-und-Papa-Haus. Im Wohnzimmer war die Stehlampe eingeschaltet, und gleichzeitig flackerte es bläulich. Das bedeutete: Der Fernseher war an. Ich nahm an, dass die beiden vor der Glotze saßen und vielleicht sogar schon eingeschlafen waren.

Wir wohnen in einem alten Bauernhof, obwohl wir keine Bauern sind. Mein Papa ist Lehrer, und meine Mama ist Kunstmalerin. Der Hof besteht aus drei Gebäuden. Im Haupthaus schlafen Mama und Papa. Dort sind auch die Küche, das Wohnzimmer, das große Badezimmer und das Arbeitszimmer von Papa. Daneben ist das kleine Haus, in dem wir Kinder wohnen. Das mit den knarzenden Treppenstufen. Das dritte Gebäude ist eine alte Scheune, wo die Fahrräder, der Campingbus und jede Menge Gerümpel untergebracht ist. Kaputte und alte Möbel, die Papa irgendwann einmal reparieren will. Deshalb nennen wir die Scheune auch die Möbelklinik. Dann gibt es noch einen Pavillon, in dem Mama ihre Bilder malt. Sie braucht zum Kunstmachen ihre Ruhe. Der Pavillon zählt nicht zu den Gebäuden, weil er fast nur aus Glas ist. Neben Ruhe braucht Mama nämlich auch das richtige Licht.

Emilia öffnete ihren Koffer. Zimtundzucker sprang miauend heraus. Sie lief auf mich zu, machte einen krummen Buckel und schaute mich vorwurfsvoll an. Ich hatte das Gefühl, dass ich schuld war am späten Rausgehen. Emilia stürmte gleich auf die Wiese hinter dem Haus, wo sie die Glühwürmchen gesehen hatte.

»Ich wusste es doch!«, rief sie und drehte sich suchend im Kreis. »Die Glückswürmchen sind weg!«

Darüber war ich froh, obwohl ich nicht geglaubt habe, dass Emilia sie wirklich aufgegessen hätte.

Zimtundzucker erledigte ihr Geschäft unter einem Busch und schien danach zufrieden. Ganz im Gegensatz zu Emilia.

»Wir müssen sie suchen, die Glückswürmchen!«, rief sie so laut, dass ich Angst bekam, Mama und Papa könnten sie hören.

»Nein, wir gehen jetzt wieder rein«, entschied ich und versuchte, auch mit leiser Stimme streng zu klingen.

»Aber dann entgeht uns das Glück!«, meckerte Emilia. »Wenn sich ein Glückswürmchen auf deine Nase setzt und dir einen Kuss gibt, dann hast du 200 Jahre Glück. Weißt du das etwa nicht?!«

Ich seufzte. Manchmal war es echt schwierig, mit einer Elfe zu leben.

»Ach, du willst mir doch nur einen Bären aufbinden!«, sagte ich.»

Sofort kreischte Emilia los. »Ein Bär? Wo? Hilfe!«

Sie rannte auf mich zu und streckte ihre Arme nach oben. Ich nahm sie hoch. »Das sagt man doch nur so«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Einen Bären aufbinden heißt nur, dass man etwas erzählt, das nicht stimmt und …«

Sie unterbrach mich mit einem herzzerreißenden Jammergeheule. »Du glaubst also, dass ich lüge!«

Ihr Schluchzen schüttelte ihren ganzen Körper. Ich drückte sie fest an mich, um sie zu beruhigen.

»Nein, natürlich nicht. Ich meine nur, dass du … dass du … vielleicht ein bisschen geflunkert hast«, versuchte ich mich rauszureden.

»Und jetzt flunkerst du!«, stieß sie aus.

Irgendwie hatte sie recht.

Und noch eine Warnung: Elfen sagen immer, was sie denken. Auch wenn einem das nicht gefällt. Daran muss man sich gewöhnen.

»Komm, lass uns wieder nach oben gehen.« Zimtundzucker sprang freiwillig in den Koffer. Ich klappte ihn zu, nahm ihn in die Hand und schlich mich zurück zum Kinderhaus.

»Weißt du, Emilia, es ist doch schon so spät. Ich müsste längst schlafen. Morgen ist Schule. Und Mama sagt: Um neun Uhr ist Zapfenstreich.«

Emilia saß auf meinem Arm und schaute mich mit großen Augen an. »Zapfenstreich? Was ist denn das nun wieder? Zapf-en-streich«, wiederholte sie langsam murmelnd. So als würde sie sich das Wort auf der Zunge zerschmelzen lassen wie ein Täfelchen Vollmilchschokolade. Noch bevor ich antworten konnte, hatte sie sich schon selbst eine Antwort ausgedacht. »Ah! Ich weiß! Zapfen streicheln! Du meinst bestimmt Tannenzapfen! Tannenzapfen streicheln. Das ist ein komisches Draußen-unterwegs-Spiel, aber bestimmt lustig! Ja, lass uns rüber in den Wald gehen!«

O nein! Auf welche Idee hatte ich sie denn jetzt schon wieder gebracht?

Hier kommt eine weitere Warnung: Elfen haben manchmal verrückte Einfälle. Sie denken sich Dinge aus, die einem selbst nie in den Kopf gekommen wären. Und dann wollen sie auch meist noch, dass man macht, was ihnen eingefallen ist. Man muss sich in Überredungskunst üben, um sie davon abzubringen. Oder sehr hartnäckig sein. An diesem Abend übte ich mich in Hartnäckigkeit und versuchte, Emilia die Sache zu erklären: »Zapfenstreich bedeutet nur so was wie Ende, Schluss, Finito. Deshalb gehen wir jetzt ins Bett. Basta.«

Ich öffnete die Tür zum Kinderhaus und streifte an der Garderobe meine Gummistiefel von den Füßen. Dabei ließ ich Emilia runter, und sie kletterte die erste Stufe nach oben.

»Ich hab’s doch gewusst. Du bist viel zu vernünftig«, murrte sie. »Du wirst bald auch diese schlimme Krankheit bekommen. Und kein Arzt auf der Welt wird dich gesund machen können. Da bin ich ganz, ganz, ganz sicher«, schnaufte sie und zog sich mit beiden Händen Stufe für Stufe nach oben.

»Ich hab ja dich«, flüsterte ich und folgte Emilia. »Du bist die beste Ärztin auf der ganzen Welt.«

Emilia hörte mich nicht, oder sie wollte mich nicht hören. So genau weiß man das bei Elfen nie. Sie können das Hören so schnell einstellen wie das Atmen, wenn jemand kommt, der das Elfengeheimnis nicht kennt.

 

Wenig später lagen wir nebeneinander im Bett. Es war fast zehn Uhr. Bevor ich einschlief, sausten mir die Gedanken in so rasender Geschwindigkeit durch den Kopf, als würden sie Achterbahn fahren.

Emilia war unzufrieden, weil der Tag für sie langweilig gewesen war. Das behauptete sie zumindest. Sie brabbelte leise schimpfend vor sich hin, aber ich hörte nicht hin. Ich überlegte, was ich morgen alles machen wollte. Ich musste weiter in mein Elfentagebuch schreiben. Das hatte ich schließlich Oma Dotti versprochen, als sie mir Emilia übergeben und das kleine leere Buch geschenkt hatte. Meine Freundin Annalena wollte ich anrufen, Oma Dotti vielleicht ein Bild malen und mit der Post schicken … Da fiel mir ein: Ich hatte heute nur einen Teil meiner Hausaufgaben gemacht, konnte mich aber ums Zerplatzen nicht mehr daran erinnern, was ich vergessen hatte. Ausgerechnet die Aufgaben hatte ich an diesem Tag nicht aufgeschrieben. Mein Kopf war komplett hausaufgabenleer, alles, was ich hatte, war ein ungutes Gefühl und ein schlechtes Gewissen.

Zwei

Von Pechwürmchen gebissen

Meinen Wecker überhörte ich am nächsten Morgen. Nicht zu überhören waren dafür meine Brüder, die auf dem Flur hin- und herrasten und unverständliche Sätze brüllten. Mir kam es vor, als wären sie heute lauter als sonst.

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich alles wie durch einen Schleier. Ich hatte nicht zu Ende träumen können, und ich fühlte mich, als hinge ein Traumvorhang über meinem Gesicht.

Zu gern hätte ich gewusst, ob Emilia wirklich – von Glühwürmchen übersät – nachts zu leuchten angefangen hätte wie eine Laterne und ob sie mich verlassen hätte, um mit den Käfern in einem Land zu leben, in dem Glühbirnen und Glühäpfel an Bäumen wuchsen.

Aber der Traum war weg, und der Tag war da. Und deshalb sah ich bloß Emilias finster dreinschauendes Gesicht neben mir, auf dem nicht der Schimmer eines Leuchtens zu erkennen war.

Leider konnte ich sie nicht fragen, warum sie so schaute oder ob sie vielleicht schlecht geschlafen hatte. Denn die Tür flog auf und Pillepalle stand im Zimmer. »O Menno, Pippa, du hast schon wieder verpennt. Los, raus jetzt. Jannik geht’s schlecht. Der braucht einen Arzt.«

Mein großer Bruder war erst halb angezogen. Seine Jeans hing ihm noch fast in den Kniekehlen, sein rotes Lieblings-T-Shirt hielt er in der Hand.

Ich sprang so schnell aus dem Bett, dass mir fast schwindelig wurde. »Was ist los? Ich hab doch gerade gehört, wie die Jottjotts rumgebrüllt haben.«

»Quatsch. Nur Julius und ich haben gebrüllt. Jannik liegt im Bett und jammert«, zischte Pillepalle und lief hinaus. Da hörte ich auch schon, wie Mama die Treppe raufgelaufen kam.

»Pippa, Paul und Julius, ihr zieht euch an und macht euch für die Schule fertig. Die Pausenbrote liegen auf dem Küchentisch. Ich kümmere mich um Jannik.«