Die nahezu unerschrockenen Fünf - Barbara van den Speulhof - E-Book

Die nahezu unerschrockenen Fünf E-Book

Barbara van den Speulhof

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Beschreibung

Die beste Kinderbande der Welt! »Die nahezu unerschrockenen Fünf« – das sind Tilda, Siri, Linus, Erwin und Fine. In ihrem kleinen Dorf hat die Bande schon für viel Aufregung gesorgt. Linus, das Nesthäkchen, soll sich als Mutprobe in das Haus der alten Wanda schleichen und als Beweis einen Löffel stibitzen. Wanda hat im Dorf einen ganz schlechten Ruf, und es ist strengstens verboten, auch nur einen Fuß auf ihr verwildertes Grundstück am Waldrand zu setzen. Nachdem Linus sich vor Angst fast in die Hose macht, entpuppt sich Wanda jedoch als nette ältere Dame, die ihre Nase schon in alle Winkel der Erde gesteckt hat und Linus' Leidenschaft fürs Kochen und Backen teilt. Als die Fünf schließlich erfahren, dass man Wanda aus ihrem Haus vertreiben will, setzen sie Himmel und Hölle in Bewegung, um Wanda zu helfen. Bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 131

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Barbara van den Speulhof

Die nahezu unerschrockenen Fünf

Mit Bildern von Astrid Henn

FISCHER E-Books

Inhalt

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel

1.Kapitel

»Eine Sensation! So was hat die Welt noch nicht gesehen! Ein zehnjähriger Junge wurde zum Sternekoch gekürt! Ja, Sie haben richtig gehört, meine Damen und Herren! Bitte begrüßen Sie mit einem großen Applaus …«

Die Tür zum Badezimmer flog auf.

»Ach, hier bist du, Linus! Ich hab dich überall gesucht.«

Siri nahm ihrem Bruder den Föhn aus der Hand.

»Hey, gib mein Mikrophon her!«

Linus war stinksauer. Seine Schwester Siri hatte die Fernsehübertragung der großen Preisverleihung unterbrochen. Gleich hätte er, Linus, der Fernsehmoderator, dem jüngsten Starkoch der Welt, ebenfalls Linus, einen Stern für meisterhaftes Kochen verliehen. Und Millionen von Menschen hätten die Übertragung im Fernsehen live mitverfolgt.

Linus kletterte vom Hocker, den er vor das Waschbecken gestellt hatte, um sich selbst im Spiegel sehen zu können.

»Du bist erst neun und nicht zehn«, korrigierte ihn seine Schwester.

»Ich weiß«, sagte Linus. »Aber im Spiel ist das total egal.«

Siri musste ihm recht geben.

»Dann wäre jetzt vielleicht Werbepause?«, schlug sie vor. »Wir müssen nämlich los. Um vier ist Vollversammlung. Die hat Tilda einberufen.«

Okay. Eine Vollversammlung war wichtiger. Das bedeutete, dass sich die Kinder am Dorfplatz, auf der Bank vor dem Gasthof Goldene Linde trafen, um etwas Wichtiges zu besprechen.

Neben Linus und Siri gehörten Fine, Erwin und Tilda dazu. Mehr Kinder gab es nicht in Oberunterlinksrechtshausen, dem Dorf, in dem sie wohnten. Zumindest keine Kinder im richtigen Alter. Mit den Babys und Kleinkindern konnten die Fünf nichts anfangen. Und die älteren Jugendlichen konnten mit ihnen nichts anfangen.

 

Als die Turmuhr viermal schlug, kamen sie am Dorfplatz an. Fine und Erwin warteten schon. Wie Siri und Linus waren sie Geschwister. Fine war zehn, Erwin zwölf Jahre alt.

»Wisst ihr, worum es heute geht?«, wollte Erwin wissen.

Siri schüttelte den Kopf. »Nee, keine Ahnung, was Tilda sich ausgedacht hat.«

Sie setzten sich neben die beiden auf die Bank.

Außer ihnen war sonst keiner auf der Straße. Es war so still, dass man jede noch so kleine Maus hätte husten hören können. Nichts Ungewöhnliches in Oberunterlinksrechtshausen.

Dann aber kündigte sich Tildas Ankunft mit dem Geräusch eines klappernden Schutzblechs an. Wenig später bog sie mit ihrem Fahrrad um die Ecke.

»Sorry, ich bin ein bisschen spät«, sagte sie atemlos. »Ich musste Uropa suchen, der war mal wieder ausgebüxt.«

Der, den Tilda Uropa nannte, war gar nicht ihr echter Uropa. Sie nannte ihn nur so, weil er sonst niemanden hatte, der ihn so nannte. Er wohnte im Haus nebenan, war manchmal etwas verwirrt und machte seltsame Sachen. Mit seiner Gitarre von zu Hause abzuhauen, war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Er sagte dann, er wäre Straßenmusiker und müsste zur Arbeit.

»Und? Hast du ihn gefunden?«, fragte Linus.

»Ja. Jetzt ist er wieder zu Hause. Rutsch mal.«

Linus rutschte ein Stück. Rüber zu Siri. Die saß rechts neben ihm.

Dann rutschte Siri ein Stück. Rüber zu Fine. Die saß rechts neben ihr.

Dann rutschte Fine ein Stück. Rüber zu Erwin. Der saß rechts neben ihr.

Als Erwin ein Stück nach rechts rutschen wollte, war die Bank zu Ende.

Dass er nicht runterfiel, hatte er nur Fine zu verdanken, die ihn geistesgegenwärtig am Ärmel festhielt.

»Danke«, sagte Erwin. »Ich wusste, dass eine kleine Schwester für irgendwas gut ist.«

Für diese blöde Bemerkung hätte Fine Erwin am liebsten von der Bank geschubst.

Tilda lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Ich finde, Linus ist jetzt alt genug.«

Siri, Fine und Erwin machten »Hä?« und meinten damit »Wofür ist er alt genug?«

»Ich finde auch, dass ich alt genug bin!«, freute sich der ahnungslose Linus, dem es einfach nur gefiel, für irgendetwas alt genug zu sein. Immer der Jüngste zu sein, war echt nicht leicht.

Mulmig wurde ihm erst, als Tilda ihm erklärte, dass sie an eine Mutprobe dachte. Dass er eine machen musste, war ihm klar. Zumindest wenn er voll dazugehören wollte. Aber musste das ausgerechnet jetzt sein? Hatte das nicht noch ein bisschen Zeit?

Die anderen vier hatten ihre Mutprobe bereits bestanden.

Tilda hatte sich am Ostersonntag in die Baumkrone der Linde am Dorfplatz setzen und eine Stunde lang Weihnachtslieder singen müssen.

Erwin hatte zehn glitschige Nacktschnecken mit bloßer Hand einsammeln und in Briefkästen stecken müssen.

Fines Aufgabe war ein Klingelstreich gewesen. Pipileicht, hatte sie gedacht, als sie noch nicht wusste, dass sie dafür an Halloween um Mitternacht aus dem Haus schleichen und sämtliche Klingeln im Dorf hatte drücken müssen. Manche Leute hatten übel geschimpft, und die kauzige Henny Eierhals hatte sogar abgenagte Kotelettknochen nach ihr geworfen.

Siri hatte eine Liste mit Fragen bekommen. Die hatte sie Erwachsenen auf der Straße vor der Schule stellen und dabei total ernst bleiben und unschuldig gucken müssen. »Können Sie mir helfen? Ich suche die Sesamstraße.« Oder »Haben Sie meinen Affen, Herrn Nilsson, gesehen?« Oder »Meine Schule ist verschwunden. Ist mein Klassenzimmer vielleicht hier vorbeigeflogen?«

 

»Okay. Ich bin bereit«, sagte Linus schließlich. Es war ihm peinlich, dass seine Stimme dabei zittrig klang. Er räusperte sich und wiederholte mit fester Stimme, was er eben schon gesagt hatte. »Was muss ich tun?«, fügte er hinzu.

Was er tun musste? Tja, das wusste Tilda selbst noch nicht genau. Sie wollte sich bis morgen etwas Passendes überlegen.

In dieser Nacht brauchte Linus zwei Stunden länger als sonst, um einzuschlafen.

2.Kapitel

Tilda steckte die Brotdose in ihre Schultasche, zwirbelte ihre langen dunkelbraunen Locken zu etwas, das aussehen sollte wie ein Pferdeschwanz, und verließ das Haus. Tschüs sagte sie nicht. Es war nämlich keiner mehr im Haus, der ihr zurückgetschüst hätte.

Mario, der Freund ihrer Mutter, war schon um halb sieben gegangen. Jemand von der Lokalzeitung, für die er arbeitete, hatte angerufen. Drei Schweine und fünf Ferkel waren in der Nacht spurlos verschwunden. Mario sollte hinfahren, um die Lage zu checken. Er sollte Fotos und ein Interview machen und dann einen Artikel drüber schreiben.

Tildas Mutter war auf Geschäftsreise. Das war sie oft. Und Tilda beneidete sie darum. Ihre Mutter war an Orten, wo mehr los war als in Oberunterlinksrechtshausen, wo entlaufende Schweine die Sensation des Jahres waren.

 

Siri und Linus warteten vor dem Haus auf Tilda.

»Nach meinen Berechnungen hast du eine Schrittlänge von achtzig Zentimetern«, rief Linus Tilda zu. »Bei einer Entfernung von dreihundertzwanzig Metern von deinem Haus bis zu unserem, brauchst du also insgesamt …«

»Schon gut«, sagte Tilda. »Ich weiß, dass du gut rechnen kannst. Du bist unser Zahlenmeister.«

»Und ein Küchenmeister!«, grinste er und rannte los, die Straße entlang bis fast zum Ende. An einem niedrigen Gartentor stoppte er und drückte auf den Klingelknopf.

»Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig…«, zählte er mit Blick auf die Eingangstür des kleinen weißen Hauses.

Erwin machte auf.

»Yeah! Heute habt ihr nur drei Sekunden gebraucht!«, rief Linus. »Das ist absoluter Rekord!«

Kein Wunder. Erwin und Fine hatten hinter dem Küchenvorhang auf Linus gelauert.

Erwin sprang die drei Stufen von der Haustür zum Gartenweg in einem Satz runter.

Fine, das Mädchen mit den rötlichen schulterlangen Haaren, hüpfte hinterher.

»Beeilt euch!«, ertönte eine Stimme aus der Küche, die eindeutig nach Mama klang. »Der Marienkäfer kommt gerade angeflogen!«

Die Kinder schauten hoch zu dem bewaldeten Hang, auf dem sich eine schmale Straße entlangschlängelte. Dann hörten sie die quäkende Hupe des roten Kleinbusses.

Die Kinder hatten dem Kleinbus den Namen »Marienkäfer« gegeben. Weil er außen rot war und innen eine Marie am Steuer saß. Diese Marie war rund wie ein Käfer und immer gutgelaunt. Gute Laune bedeutete bei Marie auch laute Laune. Das konnte auch anstrengend sein. Vor allem morgens, wenn die Ohren noch nicht wach waren. Trotzdem liebten die Kinder Marie. Sie war lustig. Und damit eine Ausnahmeerscheinung unter den Erwachsenen.

Während der Bus auf das Dorf zufuhr, klebte Tildas Blick an dem einzeln stehenden, etwas windschiefen Haus oben am Hang.

»Jetzt komm, Tilda!«, drängte Siri. »Marie mag es nicht, wenn sie auf uns warten muss.«

Sie flitzten zum Dorfplatz.

Linus war als Erster im Marienkäfer. Als die anderen auf ihren Plätzen waren, zählte er durch.

»… zwei, drei, vier, fünf. Alle da, Marie!«

Marie legte den Gang ein und fuhr los.

»Was würde ich bloß machen, wenn ich dich nicht hätte, Linus?!«, kicherte sie und fing an zu singen. »All you need is love, dadadadada … all you need is love …«

Das war von den Beatles. Marie sang immer was von den Beatles. Das war ihre Lieblingsband. Die Lieder erinnerten sie an früher. Sie sagte dazu »meine schlanke Zeit«. Damals war sie nur halb so dick gewesen und hatte sich auf dem Feuerwehrball in Heinrich Hahn verliebt und er sich in sie.

Das Verliebtsein von Marie und Heinz hatte gar nicht aufhören wollen. Deshalb hatten sie irgendwann geheiratet. Und verheiratet waren sie auch heute noch. Vielleicht lag es daran, weil sie immer was von den Beatles sang. »All you need is love« und so.

Schade, dass die beiden nicht in Oberunterlinksrechtshausen wohnten, sondern in der Kreisstadt.

 

Der Marienkäfer kroch so langsam die Hangstraße hoch, dass die Kinder auch locker hätten nebenherlaufen können.

Tilda tippte Linus auf die Schulter. »Siehst du das Haus da?« Sie deutete auf den Gipfel des Hangs.

Linus nickte.

»Weißt du, wer darin wohnt?«

Linus nickte.

»Sag den Namen.«

Linus schüttelte den Kopf. »Wenn man diesen Namen ausspricht«, flüsterte er, »ist das der Anfang vom Ende.«

Tilda pustete sich eine Locke aus der Stirn. »Ah, ich verstehe. Du traust dich nicht«, stichelte sie.

Aber Linus traute sich wohl. Nachdem er dreimal geschluckt und einmal tief durchgeatmet hatte.

»Sie heißt Wanda. Sie ist eine Hexe, und sie frisst kleine Kinder! Das weiß doch jeder!«

»Was zu beweisen wäre«, schmunzelte Tilda und lehnte sich entspannt zurück. Und plötzlich war sie da. Die Idee für die Mutprobe …

3.Kapitel

Eine alte Frau stand am Fenster des alten Holzhauses und ließ ihren Blick über das Tal schweifen. Ihr langes weißes Haar war hochgesteckt zu einer Art Haarknäuel, das aussah wie ein zerrupftes Vogelnest. Sie trug ein bodenlanges Kleid. So weit wie ein Kartoffelsack, aber viel bunter.

Sie drehte sich um. »Komm, Herr Abendrot.«

Ein weißer Hund von der Größe eines Kalbs hob den Kopf und schaute sie erwartungsvoll an.

»Los, machen wir Frühstück.«

Herr Abendrot stand auf, streckte sich und tappte der Alten hinterher.

»Was wollen wir heute essen?«

Keine Antwort.

In der Küche angekommen, öffnete sie die Tür zur Vorratskammer.

»Wollen wir doch mal sehen. Also, ich hätte anzubieten: marinierte Spinnenbeine, knusprig gebratene Krötenköpfe oder gegrillte Kinderfinger pikant gewürzt.«

Herr Abendrot stellte sich vor seinen Futternapf und machte hungrige Geräusche.

»Ich denke, wir nehmen die Krötenköpfe. Die Kinderfinger sehen so mager aus. Davon wird ein ausgewachsener irischer Wolfshund nicht satt.«

Herr Abendrot knurrte etwas Unverständliches. Möglicherweise hieß das: »Ja, das finde ich auch.«

Eine Katze stolzierte in die Küche und strich der Frau schnurrend um die Beine.

»Haben wir dich mit unserem Gerede über das Essen aufgeweckt, Frau von Morgenstern?«

Die Frau streichelte mit ihrer knochigen, von blauen Adern durchzogenen Hand das Fell der fast schwarzen Katze. Rund um den Hals war das Fell allerdings weiß wie ein Hemdkragen. Sehr vornehm.

Frau von Morgenstern gähnte und zeigte ihre spitzen Zähne. Weniger vornehm.

Als die Frau nach den Futterdosen griff, bimmelte die Schiffsglocke, die draußen neben der Haustüre hing.

»Wer stört am frühen Morgen?«, brummte die alte Frau und schlurfte barfuß durch den dunklen Flur. Die alte Holztür knarzte beim Öffnen. Ziemlich laut und ziemlich gespenstisch. Der Mann in der blauen Uniform wich erschrocken einen Schritt zurück.

»Was fällt der Polizei ein, mich noch vor dem Frühstück zu behelligen?«, blaffte die Frau den Polizisten an. Als der Uniformierte Herrn Abendrot sah, wich er noch einen Schritt zurück. Er stolperte und wäre fast im Rosenbeet gelandet.

»Könnten Sie bitte, ich meine, den Hund. Könnten Sie den eventuell bitte unbedingt jetzt gleich an die Leine nehmen?«, stammelte er und nahm die Mütze vom Kopf.

»Bei mir wird niemand an die Leine genommen«, sagte die Frau und strich dem Hund über den Kopf. »Zumindest keine Haustiere. Mit blitzenden Augen musterte sie ihn von oben bis unten und wieder zurück. »Bei Menschen könnte ich mir das allerdings noch einmal überlegen.«

Der Polizist knetete seine Mütze wie der Bäcker den Brotteig.

»Jetzt mal ehrlich«, lachte die Alte, »vor wem haben Sie mehr Angst? Vor mir oder vor dem Hund?«

»Das weiß ich nicht, also, ich meine, mir wäre wohler, ich meine, wenn Sie, ich meine …«

»Ganz schön anstrengend, Ihnen zuzuhören«, unterbrach ihn die Frau. »Das dauert ja ewig, bis Sie einen Satz rauskriegen. Was wollen Sie?«

Herr Abendrot wuffte.

Der Polizist schnaufte laut und sagte leise: »Dem Bauer Krummbier fehlen die Schweine. Und die Ferkel.«

Herr Abendrot beäugte ihn argwöhnisch.

»Sie sind einfach nicht mehr da. Sozusagen weg. Seit heute Morgen. Und da meinte ich … äh … ich wollte Sie fragen …«

»So, so«, nickte die Alte. »Sie meinen wohl, die alte Schachtel da oben auf dem Hang hat bestimmt Krummbiers Schweine und Ferkel gestohlen. Und jetzt frisst sie sie alle auf.«

Herr Abendrot knurrte.

»Nein, nein!«, winkte der Polizist ab. »Es ist nur … vielleicht haben Sie ja was gesehen. Oder gehört. Das wollte ich nur wissen. Es ist doch seltsam, dass drei Schweine und fünf Ferkel plötzlich weg sind. Wie vom Erdboden verschluckt.«

Die Frau krächzte ein kehliges Lachen.

»Dann wissen Sie ja, wo Sie suchen müssen.«

Der Polizist kuckte ratlos. »Wie meinen Sie das?«

»Graben Sie, mein Lieber! Graben Sie!«

Ihr Lachen ging über in ein glucksendes Husten.

»Wenn der Erdboden die Tiere verschluckt hat, müssen sie dort sein.« Sie lachte, hustete, lachte. »Soll ich Ihnen vielleicht einen Spaten leihen?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, warf sie dem Polizisten die Tür vor der Nase zu. Seufzend brachte der seine Mütze wieder in Form und trottete zu seinem Streifenwagen.

Die Alte ging zurück in ihre Küche.

»Was sagst du dazu, Herr Abendrot? Noch vor dem Frühstück kommt dieser uniformierte Gesetzeshüter und meint, ich habe nichts Besseres zu tun, als Schweine zu klauen. Dabei weiß doch jeder, dass man vor dem Frühstück etwas ganz anderes tun sollte.«

Sie streichelte Herrn Abendrot den Kopf. Sie musste sich nicht mal bücken, so groß war der weißfellige Vierbeiner.

»Weißt du noch, was genau man tun soll?«

Herr Abendrot bellte ein paarmal.

»Fast richtig!«, sagte die Frau. »Sechs Dinge sind es, um genau zu sein. An sechs unmögliche Dinge sollte man schon vor dem Frühstück denken.«

Sie öffnete eine Dose Hundefutter.

»Ich werde Frau von Morgenstern und dir die Geschichte von ›Alice im Wunderland‹ demnächst noch mal vorlesen.«

Das Geräusch des Dosenöffnens übte eine magische Anziehungskraft auf die schwarze Weißhalskatze aus. Sie erschien in der Küche.

»Frau von Morgenstern, wonach ist Ihnen heute? Mäuseschwänzchen in Aspik oder Vögelgulasch auf Kartoffelstampf?«, fragte die Alte.

Mit einem Satz sprang die Katze auf das mittlere Regalbrett in der Vorratskammer und schubste mit ihrer Pfote eine Dose zu Boden. Die Frau hob sie auf und las, was auf dem Etikett stand.

»Aha. Räuberblutwurst. Soll mir recht sein.«

Nachdem sie Hund und Katze versorgt hatte, nahm sie das Buch »Die ganze Wahrheit über Dinosaurier« vom Tisch und ging zur Hintertür. Die führte vom Wohnzimmer aus direkt in den Garten.