Planetenroman 63 + 64: Die Stadt der Zukunft / Der Narrenturm - Thomas Ziegler - E-Book

Planetenroman 63 + 64: Die Stadt der Zukunft / Der Narrenturm E-Book

Thomas Ziegler

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Beschreibung

MAMMA-1 ist eine computergesteuerte Stadt aus Biokunststoff, eine Modellmetropole, die darauf ausgerichtet ist, den Wünschen ihrer Bewohner weitestgehend nachzukommen. Die Stadt scheint perfekt zu sein, doch als der Großversuch mit speziell ausgewählten Testpersonen beginnt, verwandelt sie sich in ein Tollhaus ... Sonderbare Charaktere bewohnen das Galactic Center, einen Büroturm in Terrania: Famos O'Hack, der Denkfabrikant, Lukas Lorrimer, Leiter eines interkosmischen Ehevermittlungsinstituts, und Kargenoris Pan, ein Detektiv, der von Zeitspionen bedrängt wird. Sie und andere Typen machen aus dem Gebäude den Narrenturm ... Diese beiden Romane zeigen die absurd-humoristische Seite des Schaffens von Thomas Ziegler, eines Schriftstellers, dessen Karriere bei PERRY RHODAN leider viel zu kurz währte.

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Band 63/64

Die Stadt der Zukunft

Der Narrenturm

Thomas Ziegler

Cover

Rückentext

Die Stadt der Zukunft

Siedeln auf fremden Sternen?

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

Nachwort

Der Narrenturm

Terra in Gefahr

Erster Teil

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Zweiter Teil

1.

2.

3.

4.

Dritter Teil

1.

Nachwort

Vorschau

Impressum

Das Absurde im Realen

MAMMA-1 ist eine computergesteuerte Stadt aus Biokunststoff, eine Modellmetropole, die darauf ausgerichtet ist, den Wünschen ihrer Bewohner weitestgehend nachzukommen. Die Stadt scheint perfekt zu sein, doch als der Großversuch mit speziell ausgewählten Testpersonen beginnt, verwandelt sie sich in ein Tollhaus ...

Sonderbare Charaktere bewohnen das Galactic Center, einen Büroturm in Terrania: Famos O’Hack, der Denkfabrikant, Lukas Lorrimer, Leiter eines interkosmischen Ehevermittlungsinstituts, und Kargenoris Pan, ein Detektiv, der von Zeitspionen bedrängt wird. Sie und andere Typen machen aus dem Gebäude den Narrenturm ...

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch

Die Stadt der Zukunft

Die Stadt der Zukunft

Siedeln auf fremden Sternen?

Im Großen und Ganzen ist die frühe Geschichte der menschlichen Expansion ins Weltall eine Erfolgsgeschichte. Terra erschloss sich im Laufe weniger Jahrhunderte einen vergleichsweise großen Kernsektor in einer Kugel von etwa 5000 Lichtjahren Durchmesser (von denen die inneren 2000 als Kernbereich zählten und immer noch zählen). Weiter entfernte Kolonien waren möglich, doch gab es kein systematisches Programm zur Planung solcher »Exklaven«.

Historiker werten die Ereignisse in den dreißiger Jahren des 25. Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung als einen Wendepunkt in der bislang streng expansionistischen Haltung Terras. Bis dahin sieht man eine nahezu ungebrochene Linie von der Besiedelung der vergleichsweise winzigen Oberfläche der Erde, hinaus zu den Planeten des Sonnensystems, den Sternen der Milchstraße und – sofern man die militärischen Operationen hinzunimmt – sogar zu anderen Galaxien wie dem Andromedanebel oder den Magellanschen Wolken.

Selbst in der Zeit, in der die Erde galaxisweit als vernichtet galt, wurde weiter expandiert. Das Imperium wuchs, und mit ihm wuchsen seine Macht und die Hoffnung der Menschen.

Die Dolanangriffe des Jahres 2437 änderten all dies. Sie brachten das Solare Imperium an den Rand der Vernichtung, sie verwüsteten Terra. Die Regierung des Imperiums musste akzeptieren, dass historische Größe nicht ausreichte, um einen Führungsanspruch zu rechtfertigen. Fortan galt die Sicherung des bislang Erreichten als die neue Grundforderung, nicht mehr die bedingungslose Ausdehnung. In den Jahrhunderten nach dem Krieg gegen die Ulebs, als das Solare Imperium langsam zerfiel, wurde dies immer deutlicher.

Terra und das Solsystem sahen eine Entwicklung fort von der schieren Quantität, der Sucht nach dem Großen, die in reinem Gigantomanismus erstarrt war und von den Zeitkonditionierten vielleicht gerade deshalb zerschlagen worden war, hin zu neuen Formen menschlichen Zusammenlebens, der Verbesserung der Umwelt, der Entwicklung neuer, humaner Technologien und der Schöpfung von Philosophien, von Bewusstseinshaltungen, die der veränderten Situation angemessen waren.

Man besann sich wieder auf den eigenen Heimatplaneten, auf die Welten des eigenen Sonnensystems. Neue Formen des Wohnens und Zusammenlebens wurden entwickelt. Die Konstruktion von Habitaten im Erdorbit erhielt frische Impulse, und es gab erste Programme, die Meere in Umwelt schonender Form als Wohnraum zu nutzen. Dazu zählen die auf dem Meeresgrund angelegten Tasei-Städte ebenso wie die weiträumigen Plattformen der OZEANIA-Modulhabitate.

Darüber hinaus gab es auch andere Entwürfe. Einige davon waren außergewöhnlich, manche wirken auf den heutigen Betrachter absurd ...

Hush now baby, don't cry

Mama's gonna make all of your nightmares come true

Mama's gonna put all of her fears into you

Mama's gonna keep you right here under her wing

She won't let you fly but she might let you sing

Mama will keep baby cosy and warm

Ooooh baby ooooh baby oooooh baby

Of course Mama'll help to build the wall

Pink Floyd

The Wall

1.

Wie an jedem Morgen, wenn Anatol Hurwitzka erwachte und die Gespenster seiner Träume im frischen Morgenlicht verblassten, warf er zunächst einen Blick auf die Digitalanzeigen seiner vollelektronischen Hochspannungs-Kakerlaken-Falle. Er seufzte erleichtert auf. Das Grünlicht glomm, und das stromführende Metallnetz mit der Hundert-Solar-Note in der Mitte war leer.

Anatol Hurwitzka lächelte grimmig.

Sie haben es also nicht gewagt, sagte er sich. Natürlich nicht. Sie wissen, was sie erwartet. Einem altgedienten Veteranen der Raumflotte kann niemand etwas vormachen. Vor allem keine extragalaktischen sechzehnbeinigen Kakerlaken.

Hurwitzka war ein kleiner Mann mit eisgrauen, kurzgeschorenen Haaren und viel zu großen Füßen; sein Gang war watschelnd, seine Stimme rau wie nach einer durchzechten Nacht, und aus nostalgischen Gefühlen trug er nur lindgrüne Maßanzüge, die den Uniformen der Flotte zum Verwechseln ähnlich sahen.

Und er hatte nicht vierzig Dienstjahre lang auf einem gottverlassenen Hinterwäldlerplaneten Wache geschoben und die Stellung für das Imperium gehalten, um sich nach seiner Pensionierung das Ruhegeld von einem intelligenten Riesenkakerlak kürzen zu lassen.

Vor einem Jahr hatte Anatol Hurwitzka keinen Sinn mehr darin gesehen, auf Bulls Welt einen unfertigen und nie benutzten Raumhafen zu bewachen, und den Dienst quittiert, um sich in Zukunft nur noch der Aufzucht kürbisgroßer Mutantentomaten zu widmen. Auf der vierzehn Quadratmeter großen Terrasse seines Sonnenseite-Apartments im 97. Stock eines Wohnturms an der Peripherie Terranias hatte er die mutierten Tomatensamen gesät und das Zeitrafferwachstum der Stauden verfolgt.

Am ersten Tag waren sie groß wie Gänseblümchen.

Am zweiten Tag erreichten sie bereits eine Höhe von einem halben Meter.

Am dritten Tag trennten nur noch zehn Zentimeter sie vom Boden der höhergelegenen Terrasse.

Am vierten Tag erfolgte der Angriff der Kakerlaken.

Hurwitzka zweifelte keinen Moment daran, dass extragalaktische Kakerlaken für die völlige Vernichtung seiner Tomatenzucht verantwortlich waren. Wer sonst, so fragte er sich, wer sonst konnte ein Interesse daran haben, einem in Ehren ergrauten Veteranen den Terrassengarten zu zerstören? Und wer sonst besaß die technischen Mittel, ein dreihundert Meter über dem Erdboden gelegenes Tomatenfeld förmlich zu desintegrieren?

In der Nacht vor dem Angriff hatte ein Sturm die Straßen von Terrania leergefegt, doch Hurwitzka war nicht so naiv anzunehmen, dass der Sturm für das Verschwinden der Stauden verantwortlich war.

Schließlich empfing er schon seit Wochen psionische Signale aus den Tiefen des Weltraums. Meistens kam der Kontakt zustande, wenn er schlief oder ein bis fünf Gläser zuviel von diesem köstlichen Vurguzz getrunken hatte. Die psionischen Signale überbrückten die Abermillionen Lichtjahre zur Erde in Nullzeit und stammten von einem extragalaktischen Wesen, das sich Großimperator Wurgog der Zweite nannte und ein sechzehnbeiniger Kakerlak war.

Wurgog II. manifestierte sich in unregelmäßigen Abständen, um ihn über den neuesten Stand der Invasionsvorbereitungen zu informieren – aus reiner Gehässigkeit, wie Hurwitzka vermutete.

Der Angriff auf seine Balkonterrasse und die Atomisierung der jungfräulichen Tomatenstauden, so wusste Hurwitzka mit absoluter Sicherheit, konnte nur Auftakt für weit grausigere Dinge sein.

Wurgog II, der Herr der extragalaktischen Kakerlaken, plante nichts Geringeres, als die Milchstraße samt der Erde zu erobern, die Menschheit zu versklaven und Hurwitzka um seine redlich erworbene Pension zu bringen.

»Großer Gott«, brabbelte Hurwitzka, als er sich aufrichtete und die vollelektronische Hochspannungs-Kakerlaken-Falle ausschaltete, »es ist schrecklich. Diese Last! Der einzige Mensch, der von der bevorstehenden Invasion weiß ... und niemand glaubt mir!«

Ein helles Summen ertönte.

Mit einem Fluch griff der Veteran unter das Bett und tastete nach dem Kodegeber. Er fand das Schaltgerät, berührte einen Sensorknopf, und an der Stirnseite des Schlafzimmers schälten sich die Umrisse eines Holowürfels heraus. Das pausbäckige Gesicht Dr. Luskers erschien. Der schwarzhaarige Mann zwinkerte Hurwitzka zu.

»Hallo, Anatol«, sagte Dr. Lusker, »was macht die Invasion? Sind die Käfer inzwischen gelandet?«

»Kakerlaken«, erwiderte Hurwitzka. Eine Unmutsfalte erschien auf seiner Stirn. »Es sind Kakerlaken, und sie kommen aus einer weit entfernten Galaxis und beobachten uns schon seit Jahrhunderten. Außerdem haben sie sechzehn Beine und nicht die geringsten Skrupel. Die Angelegenheit ist ganz und gar nicht spaßig, Doktor. Aber die Behörden schweigen. Dreiundfünfzig Rohrpostbriefe habe ich schon an den Großadministrator persönlich geschrieben. Ohne Ergebnis. Die letzten drei kamen sogar mit dem Stempel Empfänger unbekannt verzogen zurück.«

»Ein Skandal«, nickte der Psychiater. »Sagen Sie, Anatol, wann schauen Sie wieder bei mir vorbei? Ich habe Sie letzte Woche vermisst. Wir alle haben Sie vermisst. Die ganze Gruppentherapie ist nur die Hälfte wert, wenn Sie nicht da sind. Die reizende Adea Turpitz befürchtet schon ...«

»Diese alte Schachtel ist verrückt«, unterbrach Hurwitzka. »Sie leidet unter Halluzinationen, ist Ihnen das eigentlich klar? Hören Sie, Doktor, mich geht es ja nichts an, was Sie aus ihrem Leben machen, aber diese Turpitz ist kein Umgang für Sie. Wer hinter jeder Fußleiste einen Siganesen lauern sieht, der gehört in eine Klinik. Beherzigen Sie meinen Rat, Doktor. Wenn die Kakerlaken erst einmal gelandet sind, dann ...«

»Äh, nun, unterhalten wir uns doch in meiner Sprechstunde weiter, Anatol«, fiel ihm der Psychiater hastig ins Wort. Er warf einen Blick auf sein Armbandchronometer. »Wie wäre es mit übermorgen? Um elf Uhr? Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Hurwitzka. »Allerdings kann ich nicht garantieren, dass Wurgog der Zweite bis dahin stillhalten wird. Etwas Großes ist im Gang, Doktor. Vielleicht sind die Invasoren schon unter uns. Wir müssen wachsam sein, oder wir sind erledigt.«

»Ich halte die Augen offen, Anatol«, versicherte Dr. Lusker. »Also bis übermorgen.«

Er unterbrach die Verbindung, und der Holowürfel löste sich auf.

In Gedanken versunken streifte Hurwitzka einen lindgrünen Morgenmantel über und watschelte in die Automatenküche, um sich Frühstück zu machen. Es war kurz nach acht. Das Sonnenlicht des neuen Tages flutete über die Straßen und Dächer von Terrania. Die spiegelglatte Oberfläche des Goshun-Sees im Norden glitzerte wie ein riesiger Diamant, aber Hurwitzka hatte kein Interesse an der Schönheit des Naturschauspiels, sondern Hunger. Er bestellte über das Küchenterminal Proteinflocken, Geschmacksrichtung Kiwi, mit frischer Echtmilch und eine Tasse koffeinfreien Ersatzkaffee.

Kurze Zeit später öffnete sich die Ausgabeklappe des Servoschachts, und Hurwitzka griff nach dem Frühstückstablett und trug es in das Wohnzimmer.

Ein Zischen ließ ihn zusammenfahren; ein Zischen wie von Dampf, der einem Ventil entwich.

Er sah zur Rohrpostanlage. Argwöhnisch musterte er die Kapsel, die in den Auffangkorb gefallen war. Und plötzlich klopfte sein Herz schneller. Eine Botschaft des Großadministrators, der Hurwitzkas Warnungen über die drohende Invasion der Kakerlaken endlich beherzigt hatte? Der Einberufungsbefehl der Flotte mit der Ernennungsurkunde zum Oberbefehlshaber der terranischen Streitkräfte?

Hastig stellte der Veteran das Tablett auf den ovalen Perlmuttisch, eilte zum Korb und presste den Sensorknopf der Rohrpostkapsel.

Fanfaren schmetterten, gefolgt von den tiefen Tönen einer Tuba.

Dann formte sich einen Meter vor Hurwitzkas Nasenspitze ein Holofeld aus der Luft. Dreidimensionale Lettern wurden sichtbar.

NEU!

ZWEI MONATE UNBESCHWERTEN URLAUB

IN DER PARADIESISCHEN ABGESCHIEDENHEIT

DER FINNISCHEN SEEN

UND ZEHNTAUSEND SOLAR TASCHENGELD

FÜR DEN URLAUB IN DER

Stadt der Zukunft

GRATIS!

FONEN SIE WHISTLER – VIDKOM 122 322 122

Ein erneuter Fanfarenstoß, und die Holoprojektion verschwand.

Hurwitzka blinzelte.

Ein Frösteln überlief seinen Rücken, als er plötzlich begriff. Herr im Himmel, dachte er entsetzt. Das ist es. Das ist das Signal. Hinter dieser Anzeige können nur die Kakerlaken stecken. Es ist abscheulich, aber diese Extragalaktiker scheinen bereits Whistler unterwandert zu haben. Und jetzt versuchen sie, hilflose Bürger der Erde in die Einsamkeit der finnischen Wälder zu locken, um sie dort in Sklaven zu verwandeln. Wenn nichts geschieht, werden wir alle als Zombies enden.

Eine andere Erklärung ist nicht möglich.

Nur die Kakerlaken können so verrückt sein und einem für einen kostenlosen zweimonatigen Urlaub auch noch zehntausend Solar in die Hand drücken. Und seit wann mischt Whistler, die Robot-Fabrik, im Tourismusgeschäft mit? Heilige Milchstraße, ist so etwas eigentlich legal?

Hurwitzka ballte die Fäuste.

Ein Lächeln teilte seine Lippen.

Er hatte einen Entschluss gefasst. Diese Kakerlaken, dachte er, haben einen Fehler gemacht. Sie unterschätzen mich.

Hurwitzka nickte grimmig.

Was die Extragalaktiker konnten, das konnte er schon lange. Er würde sie unterwandern und die Invasion von innen heraus vereiteln.

Mit einem Ruck fuhr er herum, hastete zum Video und gab dem Gerät die Nummer von Whistler ein.

Das lächelnde Kunstgesicht einer Computersimulation wurde sichtbar.

»Whistler-Aktion Schöner wohnen in der Stadt der Zukunft«, drang eine rauchige Stimme aus dem Lautsprecher des Videos. »Wir freuen uns über Ihr Interesse, Bürger, und bitten Sie um Angabe Ihrer ID-Kennziffer. In zwei Wochen erhalten Sie Bescheid, sollten Sie zu den glücklichen Gewinnern gehören. Weiteres Informationsmaterial ist unter Vidkom 122 322 122 6 erhältlich. Bitte, sprechen Sie jetzt.«

Anatol Hurwitzka räusperte sich.

2.

Ulga O'Hail schob den Kopf unter die elektrostatische Frisierhaube und drückte die Programmtaste Dauerwellen. Ein feines Knistern wurde hörbar und erfüllte wie das Gewisper von Zwergenstimmen den Wohnraum des Antigravapartments. Der Geruch von Ozon hing in der Luft; stechend und metallisch, aber nicht kräftig genug, um das Moschusaroma der Schönen Hände zu übertünchen.

»Und weißt du, Mashmir«, plapperte Ulga O'Hail aufgeregt, »was dieser Arkonide dann noch zu mir gesagt hat? Er hat gesagt, dass ich ...«

»Was kann ein Arkonide schon von sich geben?«, knurrte Mashmir Gulf und sah von der druckfrischen Telefax-Ausgabe der Terrania News auf. »Diese Arkoniden sind alle dekadent. Blutarme Burschen mit roten Augen und nichts als Stroh im Kopf. Ich bin noch keinem Arkoniden begegnet, der auch nur ansatzweise in der Lage war, einen vernünftigen Satz zu formulieren.«

»Aber Mashmir«, sagte Ulga nachsichtig, »du bist doch noch nie einem Arkoniden begegnet ...«

»Den Sternen sei Dank!« Gulf nickte.

»Nun, wie dem auch sei, dieser reizende arkonidische Prinz sagte zu mir, dass ich ...«

Gulf unterbrach seine Befristete Ehefrau erneut. »Wenn du mich fragst«, erklärte er und wedelte mit der Telefax-Zeitung, »ich finde es ziemlich verdächtig, dass dir dieser Arkonidenhäuptling so ohne weiteres dieses unmögliche Grünzeug geschenkt hat. Ich meine, der Transport von M 13 zur Erde muss doch Unsummen verschlungen haben. Ich möchte zu gern wissen, was dahintersteckt. Vielleicht wollte er das Zeug nur loswerden. Vielleicht ist es gefährlich.«

Gulf schielte zu den Schönen Händen hinüber, die in einem riesigen Kunststoffkübel neben dem Durchgang zum Korridor standen; ein Gewirr biegsamer Pflanzentriebe, die in handförmigen Blättern ausliefen. Die Blätter glänzten fettig von den Verdauungssekreten, die auch Quelle des Moschusaromas waren. Während Gulf die Schönen Hände ansah, krümmten sich die pflanzlichen Finger und formten ein O.

»Dieses Gewächs ist mir nicht geheuer«, bekräftigte Gulf. »Ich wage schon gar nicht mehr, den Raum zu verlassen.«

Ulga O'Hail lächelte mild. Sie war eine kleine, mollige Frau im fortgeschrittenen Alter und wie Gulf Staatspensionärin. Ihr Gesicht besaß stets einen Ausdruck nachsichtiger Freundlichkeit, der Gulf mehr erbitterte als alles andere.

Wie kann ein Mensch ständig lächeln?, fragte sich Gulf verdrossen. Das ist doch nicht normal.

Das Knistern der elektrostatischen Frisierhaube nahm zu. Ulgas glattes Haar wurde unter dem Einfluss des Kraftfelds immer lockiger.

»Du kennst diesen Arkoniden nicht einmal«, sagte Gulf. »Und wer sagt dir, dass dieses Grünzeug tatsächlich von Arkon stammt und nicht von irgendeiner gefährlichen Welt mit menschenfeindlicher Flora?«

Ulga seufzte. »Die Schönen Hände ernähren sich von Pflanzensporen. Sie fangen mit den Blättern die Sporen aus der Luft. Sie mögen kein Fleisch. Und sie sind empfindlich. Man darf nicht schlecht von ihnen denken, hat der Arkonide gesagt. Man muss sie mögen, sonst gehen sie ein. Und der Arkonide hat gesagt, dass sie mich mögen. Deshalb hat er sie mir geschenkt.« Sie lächelte entzückt. »Weißt du, was er dann noch gesagt hat, Mashmir? Er hat gesagt ...«

»Wahrscheinlich war er ein Gärtner«, sagte Mashmir giftig. »Ein dekadenter arkonidischer Gärtner, der harmlosen Bürgern diebische Pflanzen in die Wohnungen schmuggelt und sie so ausplündert. Diese Hände! Schau dir die Hände an! Das kann kein Zufall sein.«

»Aber Mashmir«, wies ihn Ulga sanft zurecht, »er war doch ein Gast von Ilonore. Glaubst du, dass Ilonore Gärtner zu ihren Cocktailpartys einlädt? Traust du ihr das zu?«

»Ich traue ihr jede Schandtat zu«, knurrte Gulf.

»Und er war ein Prinz«, fügte die Frau hinzu. »Ein Kristallprinz. Stell dir vor, ein Nachfahre Atlans. Ist das nicht entzückend?«

Gulf schnaubte. »Alle Arkoniden sind Nachfahren Atlans. Schließlich hat der Bursche zehntausend Jahre Zeit gehabt, um sich fortzupflanzen.«

Ulga schaltete die Frisierhaube aus. Ihr Haar fiel in perfekten Dauerwellen bis knapp auf die Schultern. »Aber Mashmir«, sagte sie, »Atlan hat doch den Großteil dieser zehntausend Jahre in seiner Tiefseekuppel hier auf der Erde geschlafen.«

»Geschlafen?«, echote Gulf. »Zehntausend Jahre lang? Das übertrifft ja meine schlimmsten Vermutungen. Diese Arkoniden sind eine verdammte Bande dekadenter Faulenzer.«

Er hob die Telefax-Zeitung vor das Gesicht und zeigte ihr so, dass er im Moment nicht beabsichtigte, das Gespräch fortzusetzen.

Ulga O'Hail seufzte wieder, aber das nachsichtige Lächeln auf ihrem Gesicht blieb. Sie berührte mit der Fingerspitze eine Sensortaste des Apartmentterminals, und die Frisierhaube verschwand wieder in der Wand.

Der weiche Bodenbelag dämpfte ihre Schritte, als sie zur breiten Fensterfront des Wohnzimmers ging. Der mannshohe mutierte Gummibaum neigte sich ihr zärtlich zu. Sie blieb neben ihm stehen und sah schweigend nach draußen, während sie die goldenen Blätter des Gummibaums streichelte.

Unter ihr lag das Blau des Atlantischen Ozeans. Der Himmel war wolkenlos und so azurn wie das Meer, und kein Vibrieren, kein Schwanken oder Motorengedröhn deutete darauf hin, dass das Antigravapartment zusammen mit zwei Dutzend weiteren Wohnzellen tausend Meter über der Meeresoberfläche schwebte. In der Ferne, dicht über dem Horizont, driftete ein weiteres scheibenförmiges Gebäude auf seinem Antischwerkraftfeld dem euroasiatischen Kontinent entgegen.

Die Klimaanlage umfächerte ihr Gesicht mit der salzigen, kühlen Meeresluft.

»Ein herrlicher Tag«, murmelte Ulga.

»Pft«, machte Mashmir Gulf. »Ich wette, dass es regnen wird. Spätestens in einer Stunde.«

»Und diese Luft ...«, fuhr die Frau versonnen fort.

»Es stinkt.« Gulf senkte die Zeitung wieder. »Nach totem Fisch und Salz. Aber du wolltest ja unbedingt dieses Jahr in der Luft wohnen. Gott, ich habe ständig das Gefühl, dass wir in der nächsten Sekunde abstürzen.«

Ulga ignorierte ihn. Sie betrachtete den Topsidischen Efeu, der in silberner und violetter Pracht das große Fenster umrankte. Wenn man die Blätter berührte, spürte man ein Pochen, und gelegentlich hörte man Geraune und Gekichere, dem Lärm einer Party ähnlich, den man durch eine dicke Wand gedämpft vernahm. Der Topsidefeu gehörte zu Ulgas Lieblingen unter den knapp achtzig verschiedenen Pflanzen, die das Wohnzimmer, den Korridor, die beiden Mehrzweckräume und selbst die Nasszelle des Antigravapartments in einen exotischen Dschungel verwandelt hatten.

Ulgas Blick glitt weiter, zu dem ertrusischen Schlinggras, das in einer Ecke wie ein purpurroter, verfilzter Haarschopf von der Zimmerdecke hing. Bleistiftdicke Wurzelstränge führten vom knolligen Herz des Schlinggrases zu dem Wasserschälchen, das auf dem Boden stand. Das Habmichlieb, ein Mimikry-Gewächs von der galaktischen Eastside, das auf einem Holzhocker neben dem Terminal stand, war zur Zeit mit einer Nachbildung von Mashmirs Kopf beschäftigt.

Andächtig verfolgte Ulga, wie sich die Gesichtszüge ihres Befristeten Ehemannes immer mehr herausformten; die fliehende Stirn, die buschigen Brauen über den tief in den Höhlen liegenden Augen, die platte Nase, der wulstige Mund ...

Ulga dachte melancholisch an die glückliche Zeit zu Beginn ihrer Beziehung zurück, in der sie ihn liebkosend »Mein Neandertaler« und Mashmir sie »Mein Sumpfdotterblümchen« genannt hatte. Doch dies war schon Jahre her, und Ulga hatte sich bereits entschlossen, ihren Ehekontrakt nicht weiter zu verlängern.

Wie hässlich und grob war Mashmir doch im Vergleich zu der Schönheit und Zartheit ihrer Pflanzen. Liebe zu ihren pflanzlichen Freunden erfüllte sie, und wie immer, wenn es die Liebe eines Menschen spürte, beendete das Habmichlieb seine Mimikry und begann in allen Farben zu schillern.

Doch Ulgas Liebe galt all ihren Gewächsen: den klatschhaften Flüsterrosen aus der Kleinen Magellanschen Wolke; dem Laufenden Moos, das im Korridor hin und her trottete; der akonischen Zuckerstaude, aus deren geöffneten Poren ein bräunlicher Saft tropfte, süßer als Honig und klebriger als Leim, eine Todesfalle für jedes Insekt; und den vielen anderen bunten, großen und kleinen Blumen, Pflanzen und Zimmerbäumen aus allen Winkeln der Milchstraße.

Ulga liebte die Pflanzen, und die Pflanzen liebten sie. Nicht ohne Grund gehörte sie dem Solaren Aktionskreis zur Förderung des harmonischen Zusammenlebens von Mensch und Pflanze und der Initiative Grüner Wohnen an.

Der mutierte Gummibaum an ihrer Seite wackelte heftiger, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Für einen sonderbaren Moment hatte Ulga das Gefühl, dass die beiden knollenähnlichen, schwarzen Verdickungen am oberen Teil seines Stammes Augen waren. Augen, die sie zärtlich ansahen.

Mashmir Gulf grunzte, und Ulga drehte den Kopf.

Das Laufende Moos, ein honigfarbenes, kissenförmiges Gewächs auf Dutzenden kurzer Wurzelstränge, schoss an den Schönen Händen vorbei ins Wohnzimmer, umrundete mehrmals Mashmirs Schwebsessel und verschwand dann hinter dem Terminal.

»Gott steh mir bei«, knirschte Gulf, »aber was zuviel ist, ist zuviel. Es macht mich ganz krank, wenn ich sehe, wie dieses verrückte Unkraut durch unsere Wohnung rast. Muss das sein? Kannst du dir nicht wie jeder normale Mensch eine Geranie auf der Fensterbank halten? Außerdem vermisse ich mein Armbandchronometer.« Gulf warf den Schönen Händen einen misstrauischen Blick zu. »Es sollte mich nicht wundern, wenn dieses arkonidische Ungeheuer dabei seine Finger im Spiel hat.«

Die Blätter der Schönen Hände ballten sich zusammen. Sie sahen jetzt wie Fäuste aus.

Gulf ächzte erstickt.

»Hast du das gesehen?«, zeterte er. »Dieser missratene Grünkohl droht mir! Es ist unglaublich. Nicht einmal in seinen eigenen vier Wänden ist man mehr sicher. Und was tut die Regierung dagegen? Nichts. Hier steht es.« Er schwenkte den Telefax-Bogen. »Rhodan fliegt wieder einmal in der Galaxis herum und wird in der nächsten Woche einen Staatsbesuch bei den Swoon machen. Diese Swoon sehen wie Gurken aus. Wie Gurken. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Früher hätte man das Kollaboration genannt. Heute bezeichnet man es als Diplomatie. Und was ist die Folge?«

Der untersetzte Mann beugte sich in dem Sessel nach vorn und fuchtelte mit den Händen. Seine Füße baumelten dreißig Zentimeter über dem Boden.

»Ich werde dir sagen, was die Folge ist«, fuhr er grimmig fort. »Die Folge ist, dass sich diebische Gewächse in den Wohnungen anständiger Bürger einnisten, jeder dahergelaufene arkonidische Faulpelz sich als Kristallprinz ausgibt und die Cocktailpartys unserer besten Freunde Tummelplätze für kriminelle Gärtner sind. Früher war das ganz anders. Da gab es noch ...«

Ein Summton erklang und hinderte Gulf, seine Befristete Ehefrau über die weiteren Vorzüge der guten alten Zeit aufzuklären.

»Wer kann das sein?«, fragte Ulga O'Hail.

»Na, wer schon?«, fauchte Gulf. »Dein Patenkind natürlich. Wer besitzt sonst die Frechheit, mich in aller Herrgottsfrühe bei der Lektüre meiner Zeitung zu stören?« Er reckte den Kopf und sagte: »Empfang.«

Die Mikrofone des Apartmentcomputers fingen den Kodebefehl auf. Ein holografisches Feld formte sich in Augenhöhe vor Gulfs Schwebsessel und enthüllte das plastische Abbild eines sonderbaren Wesens.

Das Wesen ähnelte einem weißen, flachen Pudding mit vier Stielaugen. Die Oberfläche des Puddings kräuselte sich nervös, und die lidlosen Glubschaugen schwankten wie betrunken auf den knapp fünfzig Zentimeter langen Stielen hin und her.

Das Wesen war ein Matten-Willy von der Hundertsonnenwelt. Hassewass 756, eine der zahllosen Kinderschwestern des posbischen Zentralplasmas, machte Urlaub auf der Erde, und zu Gulfs Missvergnügen hatte sich Ulga um die Urlaubs-Patenschaft für den Matten-Willy beworben.

Gulf verzog den Mund.

Was ihn anging, so bestand der einzige Unterschied zwischen dem Matten-Willy und dem grauenhaften Laufenden Moos darin, dass Hassewass 756 sprechen konnte; ansonsten waren beide gleich abscheulich.

Er neigte den Kopf und entdeckte den Translator zwischen den stummeligen Pseudopodien an der Unterseite des Matten-Willys.

»Ich grüße Sie, meine menschlichen Freunde«, sagte der Matten-Willy. »Was für ein herrlicher Tag, nicht wahr?«

»So?«, machte Gulf angriffslustig. »Ich sehe nicht, was an diesem Tag herrlich sein soll. Außerdem wird es bald regnen.«

Die kräuselnden Bewegungen des amorphen Protoplasmakörpers wurden heftiger; wie Wellen bei einem aufziehenden Sturm.

»Nun«, entgegnete Hassewass eifrig, »natürlich gibt es keine objektiven Kriterien für Schönheit. Der Standpunkt des Betrachters ist selbstredend rein subjektiver Natur, und was für den einen schön ist, das ist für den anderen hässlich, und was dem einen reizvoll erscheint, mag den anderen langweilen, obwohl auch das Hässliche seine schönen Aspekte hat und das Schöne seine hässlichen Seiten besitzt. Zudem ist das Sein der Dinge ständigem Wechsel unterworfen; psychologische, physikalische und metaphysische Einflüsse veranlassen das statische Sein zum progressiven Werden, und im Werden offenbaren sich alle Aspekte des Seins. Somit ist es völlig unerheblich, wie etwas ist, denn wenn etwas ist, dann ist es früher oder später alles, weil das Potenzial, alles zu sein, dem Sein durch das Werden verliehen wird. Es kommt folglich nur darauf an, dass etwas ist, denn wenn nichts ist, dann ist nur das Nichts, und das Nichts ist das einzige Etwas, das weder schön, noch hässlich, weder reizvoll, noch langweilig, sondern einfach nichts ist ...«

»Ich verstehe nicht«, unterbrach ihn Gulf mürrisch, »was das mit diesem Tag zu tun hat.«

Er verfolgte aus den Augenwinkeln, wie das Laufende Moos hinter dem Terminal hervorkam. Die Myriaden von winzigen transluziden Blättern knisterten wie brennende Holzscheite, während das Moos für einen Moment unschlüssig verharrte und dann plötzlich an ihm vorbeiraste und zurück in den Korridor schoss. Dort nahm es seine ruhelose Wanderung wieder auf.

»Ah«, seufzte der Matten-Willy, »Ihre Gesellschaft ist so anregend, Mashmir. Und natürlich auch Ihre, schönste Ulga.«

Ulga O'Hail kicherte entzückt. »Sie sind wieder so charmant, Hassewass.«

»Aber«, sprach das Protoplasmawesen weiter und wedelte mit den Stielaugen, »ich rufe Sie nicht an, um mit Ihnen zu philosophieren. Ich brauche Ihren Rat, und zwar ...«

»Wie reizend!«, flötete Ulga und schlug glücklich die Hände zusammen. »Haben Sie sich endlich entschlossen, die trostlose Kahlheit Ihres Apartments mit dem lebendigen Grün ...«

»Nein, nein, ein Missverständnis«, wehrte Hassewass 756 hastig ab. »So sehr ich auch Ihr Engagement für die Verbreitung pflanzlicher Lebensformen bewundere – es ist mir unmöglich, auch nur eines dieser Wesen in meiner Nähe zu dulden. Pflanzen brauchen Pflege, aber ich brauche Urlaub. Zwanzig irdische Jahre lang habe ich auf der Hundertsonnenwelt das Zentralplasma gepflegt. Selbst für einen Matten-Willy ist das zuviel.«

Gulf beobachtete, wie das Laufende Moos auf der Türschwelle verharrte, und er hatte das unbehagliche Gefühl, dass es ihn abschätzend taxierte. Die Schönen Hände bogen sich aufgeregt und griffen nach dem Moos, doch wie ein Blitz jagte es davon.

»Ich habe eine Einladung erhalten«, erklärte der Matten-Willy. »Ich soll auf Kosten von Whistler zwei Monate Urlaub in einem neuentwickelten urbanen Wohnmodell verbringen, und ich wollte Sie fragen ...«

»Auf Kosten von Whistler?«, echote Gulf. »Da muss ein Haken bei der Sache sein. Ich gehe jede Wette ein, dass es sich dabei nur um einen Trick der skrupellosen Werbeabteilung dieser Robotfirma handelt. Ich kenne diese Burschen. Wenn man erst einmal in ihren Klauen ist, lassen sie einen nicht mehr los, bis man für hunderttausend Solar kybernetischen Schrott gekauft hat. Diese Burschen sind vollkommen amoralisch. Reicht man ihnen den kleinen Finger, nehmen sie gleich den ganzen Arm. Hören Sie, Hassewass, die Welt ist schlecht, und wenn man hier auf Terra nicht verdammt auf der Hut ist, wird man übers Ohr gehauen, ehe man weiß, wie einem geschieht. Ich sage: Hüten Sie sich!«

Der Matten-Willy senkte enttäuscht die Stielaugen. »Sie meinen also, ich sollte diese Einladung ablehnen? Trotz der zehntausend Solar, die ich und zwei von mir noch auszuwählende Begleiter obendrein bekommen?«

»Nun«, entgegnete Gulf aalglatt, »andererseits wäre es im höchsten Maß unverantwortlich, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen.« Seine Augen funkelten. »Aber Sie brauchen Hilfe, Hassewass, Schutz, fachkundige Beratung von Leuten, die sich mit den Schattenseiten des irdischen Lebens auskennen. Außerdem interessiere ich mich praktisch schon von Geburt an für neue Wohnmodelle, und diese Antigravapartments sind mir auf die Dauer einfach zu unsicher.

Top, Hassewass, Sie können mit uns rechnen!«

Ulga schluckte. »Aber Mashmir«, protestierte sie, »wie stellst du dir das vor? Ich kann unmöglich meine empfindsamen Lieblinge zwei Monate lang allein lassen. Und in Prag werde ich nächste Woche zum Grüner-Wohnen-Kongress erwartet. Ganz davon abgesehen, was heißt eigentlich neues urbanes Wohnmodell?«

»Davon verstehst du nichts«, knurrte Gulf, und er dachte an die zehntausend Solar.

Für zehntausend Solar, sagte sich Gulf grimmig, würde ich sogar Urlaub in einem Gemüsebeet machen.

Ulga sah hilfesuchend das Hologramm des Matten-Willys an. »Hassewass, so sagen Sie doch etwas. Das kommt alles so plötzlich, und wo soll das denn sein? Auf der Erde? Oder irgendwo im Weltraum?«

»Auf der Erde«, antwortete der Matten-Willy bereitwillig. »In einer terranischen Provinz namens Finnland. Ich kann Ihnen die Unterlagen telefaxen. Sie werden begeistert sein. Stellen Sie sich vor, wir können erleben, wie die Kinder Ihrer Kinder wohnen werden und ...«

Gulf grunzte. »Ich mag keine Kinder«, unterbrach er. »Kinder machen Lärm. Sie quengeln und verkleben alles mit Anti-Karies-Kaugummi. Nur Verrückte würden eine Stadt für Kinder bauen. Früher hätte niemand auch nur daran zu denken gewagt. Früher ...«

Das Laufende Moos sauste auf seinen flexiblen Wurzelsträngen in das Wohnzimmer, machte einen Satz und sprang Gulf ins Gesicht. Gurgelnd verstummte er und begann wild um sich zu schlagen.

»Das arme Ding«, murmelte Ulga O'Hail zärtlich. »Es hat Durst. Und es mag dich, Mashmir. Ist das nicht herrlich?«

3.

Bertholm Shark strich nervös über sein schütteres Haar und beobachtete über den Rand seines Knockout Special die beiden Blues am Nebentisch der Bar.

Die Köpfe der beiden Extraterrestrier von der galaktischen Eastside erinnerten an übereinandergelegte Suppenteller, die auf elastischen Stangenhälsen hin und her schaukelten. Die Mundöffnungen in den Hälsen klappten ununterbrochen auf und zu und produzierten zwitschernde Laute.

Wie zwei schwatzhafte Nachtigallen, dachte Shark in Erinnerung an seinen Besuch im Zoo von Terrania.

Draußen vor der getönten Fensterfront der Bar wälzte sich ein dichter Strom Passanten über den Thora Boulevard, der Prachtstraße in der City der irdischen Hauptstadt. Buntgemischte Völkerscharen aus allen Winkeln der bekannten Milchstraße; riesenhafte Ertruser, vierschrötige Epsaler, topsidische Echsenabkömmlinge, Matten-Willys von der Hundertsonnenwelt, Akonen aus dem Blauen System, bärtige Springerkapitäne und wie menschliche Panzer daherstampfende Überschwere, Aras und Arkoniden, Weganer und Plophoser ... Menschen, umweltangepasste Kolonisten, humanoide und nicht-humanoide Extraterrestrier in friedlichem Flanieren vereint, ein Bild von papageienhafter Farbenpracht und exotischer Schönheit.

Shark nippte an seinem Knockout Special. Irritiert verfolgte er, wie am Tisch der Blues aus der Klappe im konisch erhöhten Zentrum der Tischplatte zwei flache Schüsseln rutschten. Die Mahlzeit in den Schüsseln erinnerte auf den ersten Blick an grün und violett gestreifte Karotten; an Karotten mit winzigen Armen und Beinen. Eine der Früchte krabbelte die Wölbung der Schüssel hinauf, sprang auf den Tisch und eilte mit watschelnden Schritten zum Rand. Ehe sie auf den Boden springen und sich in Sicherheit bringen konnte, hatte einer der Blues sie gepackt und in den Mund geschoben.

Shark schluckte.

»Du hast ein zu gutes Herz, Bertie«, erklärte der tragbare Eheberater. »Im Geschlechterkampf kommt es nicht darauf an, mit den gleichen Waffen zurückzuschlagen, sondern dem Gegner immer zuvorzukommen. Ohne den Willen zum Sieg ist jeder Beziehungskrieg schon von vornherein verloren. Ich will dir etwas sagen, Bertie: Eiris wird dich fertigmachen, wenn du dir nicht endlich deine verdammten Skrupel abgewöhnst. Was ist mit dir los?«

Der tragbare Eheberater war ein metallicfarbener Kasten von der Größe einer Zigarettenschachtel. Er stand vor Bertholm Shark auf dem Tisch und blinkte aufgeregt mit seiner Diodenleiste; grün, rot, gelb, dann wieder rot.

Shark blinzelte.

»Ich will geliebt werden«, murmelte er. »Das ist alles. Mehr verlange ich gar nicht, verstehst du?«

Der tragbare Eheberater pfiff höhnisch. »Bist du ein Mann oder eine Memme, Bertie?«, entgegnete er. »Eiris treibt dich in den Wahnsinn, und du faselst etwas von Liebe. Wach endlich auf! Hättest du schon früher auf mich gehört, müsstest du jetzt nicht hier in dieser Spelunke sitzen und deinen Verstand in Schnaps ertränken. Was dir fehlt, ist eine vernünftige Strategie und ein tüchtiger Schuss Gnadenlosigkeit.«

Shark senkte bedrückt den Kopf.

Die Blues am Nebentisch, stellte er aus den Augenwinkeln fest, hatten ihre Mahlzeit offenbar unterschätzt. Die gestreiften Karotten sprangen scharenweise auf den Boden und watschelten in alle Richtungen davon. Die Blues setzten ihnen nach.

»Kannibalismus«, sagte Shark mit schwerer Zunge. »Warum greift niemand ein?«

»Lass dich nicht täuschen, Bertie«, erklärte der tragbare Eheberater. »Diese Gnurgha besitzen nur ein Scheinleben; einfache motorische Impulse. Der Kochvorgang setzt chemische Energie frei, die in Bewegung umgewandelt wird. Aber lenk nicht ab. Wir sprachen über Eiris. Ich schätze, dein Hauptproblem ist diese Wahnidee.«

»Wahnidee?«, echote Shark. Er konnte seine Aufmerksamkeit immer noch nicht von den fliehenden Früchten abwenden. Die Blues zwitscherten, während sie ihrer Mahlzeit nachjagten, sie mit Plastikstäbchen aufspießten und in den Mund schoben.

»Die Wahnidee«, erläuterte der tragbare Eheberater, »dass du sie liebst. Das ist keine Basis für eine richtige Ehe, Bertie. Liebe führt nur zu Komplikationen. Liebe im Geschlechterkampf ist wie eine Granate ohne Zünder. Verstehst du, was ich meine?«

»Nein«, sagte Shark. »Ich verstehe ganz und gar nicht, was du meinst. Ich befürchte, du bist defekt. Ich habe dich nicht gemietet, um Krieg zu führen, sondern um meine Ehe zu retten. Ich brauche einen Rat. Ich brauche Hilfe.«

»Jeder braucht Hilfe, Bertie.« Das Diodengefunkel wurde hektischer; die Farben wechselten in immer schnellerer Folge. »Das Problem ist, dass jeder etwas anderes unter Hilfe versteht. Außerdem hast du in den letzten beiden Monaten so gut wie nicht auf mich gehört. Wie könnte es dir dann besser gehen? Deine Situation ist nur so desolat, weil du nicht auf mich hörst. Wir hätten dieser Schlampe schon längst das Genick gebrochen, wenn du ...«

»He, he«, machte Shark, »du sprichst von meiner Frau.«

»Falsch«, korrigierte der tragbare Eheberater. »Ich spreche von deiner Feindin. Bei allen Sternen, Bertie, du steckst bis zum Hals in einem Krieg und du hast es noch immer nicht bemerkt.«

Bertholm Shark fuhr mit dem Handrücken über seine Stirn. Er schwitzte. Und ihm war übel. Um ihn drehte sich alles. Er hatte seit Tagen nicht geschlafen, sondern einen verzweifelten Kampf gegen die Elektrischen Mücken geführt, die Eiris in sein Schlafzimmer geschmuggelt hatte. Gestern Abend hatte er es nicht mehr ausgehalten und war in die Stadt gefahren.

Seitdem trank er.

Die Alien Bar am Thora Boulevard war seine sechste Station, und vermutlich auch seine letzte, wenn er seinen körperlichen Zustand bedachte, aber tragischerweise sah er keine Möglichkeit, nach Hause zurückzukehren.

Vermutlich, dachte Shark düster, hatte Eiris inzwischen den Korridor vermint; der einzige Teil ihrer Wohnung außer der Automatenküche, der noch von ihnen gemeinsam benutzt wurde.

Er machte eine fahrige Handbewegung.

»Aber was soll ich tun?«, fragte er. »Dies ist doch kein Zustand. Ich bin nur noch ein Nervenbündel. Ich halluziniere und trinke zuviel. Soll ich mich von Eiris trennen? Ist das die einzige Möglichkeit, die mir bleibt?«

Der Eheberater pfiff warnend.

»Trennung bedeutet Kapitulation, Bertie. Ich habe mich nicht von dir mieten lassen, um mit dir zu kapitulieren. Wir müssen diesen Krieg gewinnen.«

Unwillkürlich fragte sich Shark, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, für die Konstruktion der kybernetischen Eheberater gebrauchte Mikrochips aus den solaren Abwehrsatelliten zu verwenden. Irgendein findiger Geschäftsmann, erinnerte er sich, hatte nach der letzten Modernisierung die veralteten Computerbausteine von der Regierung aufgekauft und mit ihnen die Steuerelektroniken kybernetischer Automaten des täglichen Bedarfs ausgerüstet.

Natürlich war das »veraltet« nur relativ zu verstehen. Was für militärische Zwecke zu langsam reagierte, zu wenig kompakt war, konnte unter zivilen Voraussetzungen jedem vergleichbaren Produkt standhalten.

Zudem war es das Programm, das zählte.

Obwohl Shark inzwischen gewisse Zweifel verspürte. Für seinen Geschmack besaß der tragbare Eheberater zu martialische Vorstellungen. Ihm schien es, als ob sich die integrierten Schaltkreise trotz des anderen Programms noch nicht von ihrer Vergangenheit als Zielsucher eines schweren Transformgeschützes gelöst hatten.

Oder hatte der Eheberater doch Recht? War die Beziehung zwischen ihm und Eiris Deligado nur noch mit dem Begriff »Krieg« zu umschreiben und allein unter Anwendung gnadenloser Gewalt zu lösen?

»Und wir werden ihn gewinnen«, fuhr der tragbare Eheberater fort. »Aber zunächst, Bertie, musst du dich dazu entschließen, meine Ratschläge anzunehmen. Bist du dazu bereit?«

Bertholm Shark äugte trunken in das halb geleerte Glas Knockout Special. Das alkoholische Mixgetränk war dunkelblau, und in der Flüssigkeit funkelten wie mikrokosmische Fixsterne gekühlte Kristalle; synthetische Geschmacksstoffe, die dem Knockout Special sein typisches Fruchtaroma verliehen.

Während Shark in das Gefunkel starrte, hatte er eine Vision. Er sah Eiris im Glas, eine Miniatur seiner Befristeten Ehefrau. Eiris war klein und rundlich, ohne dick zu sein, an den richtigen Stellen proportioniert, und ihr Lächeln war das Lächeln der Mona Lisa. Allerdings trug sie in dieser Vision ihr Haar streichholzkurz.

Mit leichtem Schuldbewusstsein dachte Shark an den Elektrischen Haarteufel, den er vor drei Wochen auf Drängen des tragbaren Eheberaters in Eiris' Bett versteckt hatte. Zwar hatte Eiris den Automaten entdeckt und kurzgeschlossen, ehe er sie kahlscheren konnte, wie es beabsichtigt gewesen war, aber Shark hatte die unerfreuliche Episode noch immer deutlich vor Augen.

Schließlich war Eiris danach auf die Idee mit den Elektrischen Mücken verfallen, und seitdem hatte er Nacht für Nacht mit den quälenden Mikroautomaten zu kämpfen.

»Manchmal«, sagte Shark undeutlich, »manchmal habe ich den unbestimmten Eindruck, als ob mich jeder Schritt näher an die Katastrophe heranführt. Ich meine, bist du wirklich sicher, dass deine Strategie erfolgversprechend ist?«

Der Eheberater blinkte indigniert.

»Mein Programm«, erklärte er, »verbietet mir jeden Fehler. Wie alle Maschinen bin ich perfekt. In meinen Dateien sind über acht Millionen Bits soziologischer, psychologischer und waffentechnischer Informationen gespeichert. Über mein Telefaxsystem stehe ich in ständiger Verbindung mit sämtlichen Großcomputern Whistlers und sogar mit NATHAN, der Großpositronik auf dem Mond. Meine Ratschläge werden weder von Gefühlen, noch von biologisch bedingten Unvollkommenheiten beeinflusst.«

Die roten und gelben Dioden erloschen; nur noch die grünen leuchteten im schnellen Rhythmus auf.

»Bertie, du musst Vertrauen zu mir haben«, bat der kybernetische Automat. »Bisher haben sich über einhundert Millionen Bürger des Solaren Imperiums der Hilfe tragbarer kybernetischer Eheberater anvertraut. Unsere Erfolgsquote ist hundert Prozent. Wir haben bisher noch jedes Problem gelöst.«

Shark fuchtelte mit den Händen.

»Schön und gut, aber deine Methoden wirken ein wenig unkonventionell. Ich meine, wie können Eiris und ich uns wieder näherkommen, wenn unsere Auseinandersetzungen immer weiter eskalieren? Sie hat die Grenze zwischen ihrem und meinem Wohnbereich mit Allergie-Minen gesichert. Sie hat meine Rohrpostanlage angezapft und übelriechende Aromastoffe hineingeblasen. Wir unterhalten uns nur noch per Telefax. Alles, was ich in den letzten Monaten von ihr gesehen habe, waren eine Handvoll gedruckter Zeilen.«

Der tragbare Eheberater pfiff schrill.

»Hättest du meine Anweisungen befolgt und das elektrische System ihres Wohnbereichs kurzgeschlossen«, erwiderte er, »dann müsstest du dir jetzt keine Gedanken über unverschämte Telefax-Briefe machen. Wie ich immer sage, du bist einfach zu weich.«

»Aber ich liebe sie doch«, wandte Shark ein.

»Liebe«, formulierte der tragbare Eheberater spitz, »ist ein äußerst unzuverlässiger biochemischer Prozess. Um eine Beziehung zwischen zwei Menschen zu festigen, bedarf es weit stärkerer Mittel. An die Stelle hormonell erzeugter deckungsgleicher Interessen muss das eherne Band pekuniärer Verbundenheit treten.«

Shark versuchte, einen Sinn hinter den nebulösen Worten des Eheberaters zu erkennen, während er gleichzeitig mit grausiger Faszination das Treiben der letzten Karottenfrucht erfolgte.

Der violett und grün gestreiften Karotte war es gelungen, die beiden Blues abzuschütteln. Sie verbarg sich hinter dem Sockel eines Barhockers, überschattet von der mächtigen Gestalt eines Unithers, der mit seiner Rüsselnase eine Eiweiß-Methylalkohol-Mischung aus einem Sektkübel schlürfte. Die beiden Blues krochen im Hintergrund der Bar noch immer auf dem Boden herum; ihre Essstäbchen hielten sie wie Dolche in den Händen.

Shark blinzelte erneut. Täuschte er sich, oder hatte ihm die Gnurgha-Frucht tatsächlich zugewinkt? Großer Gott, dachte er, ich halluziniere schon wieder. Zuerst Eiris im Glas Knockout Special und jetzt eine um Hilfe winkende außerirdische Karotte.

»Pekuniäre Verbundenheit?«, wiederholte er und starrte das glatte, blitzende Gehäuse des tragbaren Eheberaters an.

»Gemeinsam geteilte Geldgier«, erläuterte der Automat.

»Aha«, machte Shark, »was das betrifft, so hat Eiris das Geld und ich die Gier. Ist das Verbundenheit genug? Oder fällt das mehr in die Kategorie Abhängigkeit?«

Die Karotte winkte erneut. Kein Zweifel, Shark täuschte sich nicht. Die Gnurgha-Frucht meinte ihn. Er starrte sie an und tippte fragend mit dem Zeigefinger auf seine Brust. Wie auf ein Signal hin watschelte das karottenähnliche Gebilde hinter dem Sockel hervor und näherte sich geduckt Sharks Tisch. Die Blues bemerkten nichts davon; sie waren in eine Auseinandersetzung mit einem Ertruser verwickelt. Offenbar erregte ihre unkonventionelle Essweise inzwischen das Missfallen der anderen Gäste.

»Abhängigkeit«, bestätigte der Eheberater, »das ist es. Hör zu, Bertie, das ist tatsächlich dein Problem. Du bist ein armer Schlucker, und Eiris ist eine millionenschwere Pralinenfabrikantin. Unter derart ungünstigen Voraussetzungen kann eine Beziehung nur im Unglück enden.

Insgeheim leidest du daran, finanziell von ihr abhängig zu sein, und sie argwöhnt, dass du nur des Geldes wegen mit ihr zusammen bist. Spannungen sind deshalb unausweichlich. Unser erster Schritt muss es demnach sein, eure Beziehung auf eine völlig neue Grundlage zu stellen.«

Shark hörte nur mit halbem Ohr zu.

Die Gnurgha-Frucht hatte seinen Stuhl erreicht. Neben seinem rechten Fuß verharrte sie und wedelte ungeduldig mit den beiden oberen Gliedmaßen ihrer insgesamt zwölf tentakelähnlichen, fingerlangen Extremitäten.

Was wollte sie von ihm? Aber konnte sie überhaupt etwas von ihm wollen? Bildete er sich nur ein, dass ihre motorischen Bewegungen einen Sinn ergaben?

»Hör mir zu!«, pfiff der Eheberater. »Du hast einen Wendepunkt deines Lebens erreicht, Bertie, und das sollte dir eigentlich ein wenig Interesse wert sein.«

Die Blues kehrten zögernd an ihren Tisch zurück. Die beiden Augenpaare an ihren Tellerköpfen – eines vorn, eines hinten – musterten forschend das Innere der Bar.

»Sprich weiter«, sagte Shark.

Er spürte ein Zupfen an seinem Hosenbein, aber er wagte nicht, den Kopf zu senken, aus Furcht, dass seine Einbildung ihm noch weitere Streiche spielte.

»Vor allem«, fuhr der Eheberater fort, »ist es wichtig, Eiris das Gefühl zu geben, dass du nicht auf ihr Geld angewiesen bist. Und was wäre besser dazu geeignet, als ein erbitterter Kleinkrieg? Damit signalisierst du ihr, dass du frei und unabhängig bist. Außerdem wird ihr klar, dass sie mit ihrem Geld nicht alles kaufen kann.«

Shark runzelte skeptisch die Stirn. Aber der Alkohol trübte sein Urteilsvermögen, und das ständige Zupfen an seinem Hosenbein irritierte ihn zu sehr, als dass er seine Gedanken sammeln und das vage Gefühl des Zweifelns in Worte fassen konnte.

Der tragbare Eheberater blinkte ungeduldig.

»Andererseits fungiert euer Geschlechterkampf als emotionales Bindemittel. Selbst wenn sämtliche Gefühle erlöschen, wird Eiris noch an dich denken. Sie wird sich alle Mühe geben, dir das Leben zur Hölle zu machen; sie wird deine Nähe suchen und dich als Teil ihres Lebens sehen, denn inzwischen ist es ihr oberstes Ziel, dich zu rädern, zu vierteilen, in Stücke zu schneiden und bei lebendigem Leib zu grillen.«

»Mein Gott!«, stieß Shark hervor. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Wie kommst du eigentlich darauf, dass du damit meine Ehe rettest?«

Das Zupfen an seinem Hosenbein wurde heftiger. Einer der Blues starrte ihn an. Der Blick des Tellerkopfes glitt tiefer, verharrte. Ein zwitschernder Laut entfuhr dem Halsmund. In der blaubepelzten Hand funkelte plötzlich das spitze Essstäbchen.

»Gemach, gemach«, wiegelte der tragbare Eheberater ab. »Wir haben es also geschafft, die unsicherste Basis aller zwischenmenschlichen Beziehungen – die Liebe – auszumerzen und durch eine vielfach stärkere Grundlage zu ersetzen – durch den Hass.«

»Fantastisch«, murmelte Shark. Misstrauisch verfolgte er, wie der Blue von seinem Stuhl glitt und lautlos auf ihn zu schlich.

»Natürlich«, sagte der Automat auf dem Tisch, »ist Hass nur ein Provisorium. Das Endziel ist, wie schon bemerkt, pekuniäre Verbundenheit. Kurz, du musst dafür sorgen, dass du zu Geld kommst und dich Eiris auf gleicher Ebene nähern kannst.«

Shark kicherte hysterisch.

»Seit meiner Geburt versuche ich, zu Geld zu kommen«, entgegnete er. »Ich ...«

Er brach ab. Die Gnurgha-Frucht war mit einem waghalsigen Satz auf den Tisch gesprungen, und das Essstäbchen des Blues bohrte sich in Sharks Unterschenkel. Er schrie auf. Der Blue zwitscherte schrill. Das karottenähnliche Gebilde auf dem Tisch zerbrach plötzlich in zwei Teile, und aus dem gestreiften Gewebe schälten sich die Umrisse eines winzigen Mannes.

Der Mann war grünhäutig und trug die miniaturene Ausgabe einer Uniform der USO. Er lächelte Shark verzerrt an und zog aus den Falten des Gnurgha-Gewebes einen winzigen Antigrav-Gürtel hervor.

»Tut mir leid«, brüllte der Siganese. Er brüllte, aber seine Stimme war fein, fast piepsend. »Keine Zeit für Erklärungen. Ich bin einem gewaltigen Lebensmittelskandal auf der Spur. Irgendjemand schmuggelt plophosische Stangengurken zur Erde und tarnt sie als Swoon-Touristen. Der Zoll wird um Millionen betrogen!«

Er hantierte an dem miniaturisierten Antigrav-Gürtel, löste sich von der Tischplatte und verschwand in einem Luftschacht in der Decke.

»Mein Gott«, sagte Shark wieder.

Der Blue kehrte zwitschernd und gestikulierend an seinen Tisch zurück.

Shark stürzte den letzten Schluck Knockout Special hinunter, schob seine Kreditkarte in den Zahlschlitz des Tischterminals und gab die Kodeziffer für einen weiteren K.O.-Mix ein. Sekunden später öffnete sich die Ausgabeklappe des Tischkegels und ein neues mit blauer, funkelnder Flüssigkeit gefülltes Glas erschien.

»Dir bleibt keine andere Wahl«, nahm der tragbare Eheberater den Gesprächsfaden wieder auf. »Du musst zu Geld kommen. Meine ganze Strategie hängt davon ab. Und deine Zukunft. Außerdem musst du an die weitere Finanzierung deines Privatkriegs mit Eiris denken. Von meiner Mietgebühr ganz zu schweigen.«

Shark schnaubte.

»Ich habe dir vertraut«, sagte er anklagend. »Du hast versprochen, dass alles gut wird. Du hast versprochen, dass Eiris auf den Knien angerutscht kommt, wenn ich deine Ratschläge befolge. Und was ist daraus geworden? Eine Katastrophe. In ihrem letzten Telefax-Brief hat Eiris gedroht, eine Mauer durch unsere Wohnung zu ziehen.«

»Aber das ist doch fantastisch!«, frohlockte der Automat. »Das bedeutet, dass sie an dir hängt, Bertie. Wenn du ihr gleichgültig wärst, hätte sie schon längst eure gemeinsame Wohnung verlassen. Meine Strategie war also ein voller Erfolg. Wenn du zu Geld kommst ...«

»Ich komme nie zu Geld«, sagte Shark deprimiert. »Ich habe keine Talente, keinen Ehrgeiz, keine Arbeitsmoral. Alles, was ich habe, ist ein hübsches Gesicht, ein sportlicher Körper und eine charmante Art.«

Der tragbare Eheberater blinkte.

»Keine Bange, Bertie«, beruhigte er Shark. »Ich habe bereits einen Ausweg gefunden. Dank meiner engen Verbindungen zu den kybernetischen Systemen der Robotfirma Whistler bin ich darüber informiert, dass Whistler Testbewohner sucht.«

»Testbewohner?«, echote Shark.

»Für ein urbanes Großprojekt«, fuhr der Automat fort. »Whistler hat eine vollelektronische Stadt entwickelt, die alle Vorteile des normalen Großstadtlebens in sich vereint und alle Nachteile ausschalten soll. Um festzustellen, ob das Konzept den Belastungen der Praxis standhält, sucht Whistler achttausend Versuchspersonen für einen Langzeittest von zwei Monaten Dauer. Kost und Logis sind gratis, außerdem gibt es zehntausend Solar bar auf die Hand. Ist das nicht großartig?«

»Pft«, machte Shark. »Was sind schon zehntausend Solar? Das reicht kaum, um meine Schulden zu decken.«

»Sie sind zumindest ein Anfangskapital«, erwiderte der Eheberater. »Und du könntest über deine Erlebnisse ein Buch schreiben. Dadurch kommst du nicht nur zu Geld, sondern auch zu literarischem Ruhm. Eiris' Psychoprofil deutet darauf hin, dass sie Ruhm sogar noch mehr schätzt als Geld.«

Shark bewegte mürrisch den Kopf.

»Es gibt bestimmt Millionen Bewerber«, vermutete er. »Warum sollte Whistler ausgerechnet mich nehmen? Und diese zwei Monate bedeuten zwei Monate Trennung von Eiris. Gott, wer weiß, vielleicht lernt sie in der Zwischenzeit irgendeinen windigen Burschen mit einem hübschen Gesicht, einem sportlichen Körper und einer charmanten Art kennen, der ihr den Kopf verdreht.«

»Keine Sorge.« Der Eheberater blinkte wieder rot, grün und gelb. »Ich werde dafür sorgen, dass Eiris dir in diese Stadt der Zukunft folgt. Wenn sie glaubt, dass du dich dort mit irgendeiner Schlampe vergnügst, hält sie nichts mehr, und Whistler ... Nun, ich weiß zufällig, dass Whistler ganz verrückt nach Leuten dieser Art ist.«

»He«, rief Shark. »Wie meinst du das?«

Der tragbare Eheberater pfiff.

»Nicht der Rede wert«, wiegelte er ab. »Überlass alles nur mir. Dann werden wir diesen Krieg auch gewinnen. Wir schießen diese Schnepfe sturmreif. Wir machen sie so fertig, dass nicht einmal Atomstaub von ihr übrigbleibt. Wir ...«

Der tragbare Eheberater pfiff und klickte. Die Dioden erloschen. Der Automat hatte sich abgeschaltet.

Shark seufzte. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, den Mietvertrag nicht weiter zu verlängern und ohne die Hilfe des Automaten sein desolates Verhältnis zu Eiris wieder in Ordnung zu bringen. Aber der Eheberater hatte recht. Ihm blieb keine andere Wahl mehr. Er war schon zu weit gegangen, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen.

4.

Der Himmel war blau und fast wolkenlos; strahlender Sonnenschein lag wie ein Gespinst aus hauchdünner Seide über dem Grün der endlosen Wälder und dem stillen, klaren Blau der zehntausend Seen.

Gene Milwony III. sah sich verstohlen im verglasten Rund des Gleiters um. Die klare Frische des jungen Tages ließ die Konturen scharf hervortreten und die Gestalten der Männer und Frauen wie Schattenrisse vor dem endlosen Blau des Firmaments erscheinen.