Plötzlicher Reichtum - Marie Louise Fischer - E-Book

Plötzlicher Reichtum E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Sechs Richtige im Lotto, das Ende aller Sorgen! Wer träumt nicht davon? Für das junge Ehepaar Karsten, das schon seit Jahren Lotto gespielt hat, wird der Traum zur Wirklichkeit. Jetzt hat es geklappt! 2,7 Millionen Mark! Eine neue Welt voller ungeahnter Möglichkeiten öffnet sich. Auf sie wartet ein luxuriöses Leben mit langerträumten Reisen um die Welt und unbegreiflichen finanziellen Freiheiten. Doch statt ihr neues Glück gemeinsam auszukosten, suchen beide auf getrennten Wegen ihr Glück. Jetzt müssen sie feststellen, dass das Leben anders funktioniert als erträumt. Als sie wieder zusammenfinden, ist das Konto um einiges geschrumpft, dafür sind beide um viele Erfahrungen reicher geworden!Marie Louise Fischer wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lektorin bei der Prag-Film. Da sie die Goldene Stadt nicht rechtzeitig verlassen konnte, wurde sie 1945 interniert und musste über eineinhalb Jahre Zwangsarbeit leisten. Mit dem Kriminalroman "Zerfetzte Segel" hatte sie 1951 ihren ersten großen Erfolg. Von da an entwickelte sich Marie Louise Fischer zu einer überaus erfolgreichen Unterhaltungs- und Jugendschriftstellerin. Ihre über 100 Romane und Krimis und ihre mehr als 50 Kinder- und Jugendbücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 70 Millionen Exemplaren. 82-jährig verstarb die beliebte Schriftstellerin am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.-

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Marie Louise Fischer

Plötzlicher Reichtum

Roman

SAGA Egmont

Plötzlicher Reichtum

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1985 by Heyne Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719145

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk  – a part of Egmont www.egmont.com

»Und jetzt, wie jeden Samstagabend … die Ziehung der Lottozahlen!« verkündete die hübsche, gut geschminkte Fernsehansagerin munter, ja, ein wenig neckisch.

Das Ehepaar Karsten starrte auf die Mattscheibe, Knut, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt, sehr angespannt, während Eva sich mit hochgezogenen Beinen in ihre Ecke des Sofas kuschelte.

Die gläserne Glückstrommel war im Bild erschienen. Mit einem verheißungsvollen Lächeln drückte die Moderatorin auf den Schalter.

Nichts geschah. Sie blickte verdutzt, fand aber dann sogleich ihr Lächeln wieder und versuchte es noch einmal.

Die gelben Kugeln mit den 49 Nummern begannen nicht, wie gewöhnlich, in der Trommel zu tanzen, sondern blieben am Boden liegen, ohne sich zu rühren.

»Entschuldigen Sie bitte, es scheint sich um eine technische Panne zu handeln!« Noch einmal betätigte die Fernsehdame den Schalter und blickte dabei verwirrt und hilfesuchend in die Kulissen.

Eva lachte.

»Ich finde das gar nicht komisch«, sagte Knut.

»Das Gesicht, das sie macht!«

Der Notar trat vor. Ein junger Mann, offensichtlich ein Techniker, eilte herbei und machte sich an der kleinen Maschine zu schaffen.

Die Moderatorin bat die Zuschauer lächelnd um Geduld. »Der Schaden wird gleich behoben sein!«

»Das wollen wir aber auch hoffen«, knurrte Knut und zündete sich eine Zigarette an.

»Sei doch nicht so!« bat Eva. »Wenn’s länger dauert, hast du mehr davon.«

»Du hast vielleicht Ideen!«

Eva dachte an die vielen, vielen Samstagabende, an denen sie schon so zusammen vor dem Bildschirm gesessen hatten – wie viele mochten es tatsächlich sein? Sie versuchte es auszurechnen. Seit sieben Jahren waren sie nun verheiratet, und in all diesen Jahren hatten sie kaum je eine Ziehung der Lottozahlen verpaßt. Immer wieder hatten sie diese Minuten der angespannten Erwartung durchlebt, und dann die Enttäuschung, die wie ein Absturz ins Leere war. »Warum tun wir uns das eigentlich an?« fragte sie. »Komm, laß uns schlafen gehen!« Sie kraulte ihm liebevoll den Nacken.

Er ließ es sich, anscheinend mit Wohlbehagen, gefallen, widersprach aber: »Unmöglich! Ich könnte kein Auge zutun.«

Sie beugte sich vor und küßte ihn auf das Ohrläppchen. »Sollst du ja auch nicht gleich!«

Er tätschelte ihr Knie, ohne seine Aufmerksamkeit vom Bildschirm abzuwenden.

Mit einem bedauernden Achselzucken und einem leicht verkrampften Lächeln erklärte die Moderatorin: »Ich versichere Ihnen, daß die Apparatur vor der Sendung noch völlig intakt war. Selbstverständlich haben wir sie geprüft. Es ist unerklärlich, aber die Reparatur scheint nicht so schnell zu gehen, wie wir erhofft hatten. Bitte, haben Sie Geduld! In der Zwischenzeit bringen wir jetzt einen kleinen Film über den Berliner Zoo. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung!«

»Die hat Nerven!« sagte Knut.

»Braucht sie ja auch in ihrem Job. Willst du dir den Film wirklich ansehen?«

»Ich will die Lottozahlen wissen!«

»Na schön. Ich geh’ schon ins Bett.« Eva schwang ihre Beine vom Sofa und stand auf. »Soll ich dir noch ein Bier bringen?«

»Das wäre lieb.«

Eva trug ihr Glas, die leeren Flaschen und den vollen Aschenbecher in die winzige Küche und holte aus dem Kühlschrank eine frische Flasche Pils. Zurück im Wohnzimmer, stellte sie den leeren Aschenbecher auf den Tisch, schenkte ihrem Mann ein und küßte ihn auf die Stirn. »Hoffentlich dauert es nicht zu lange!«

»Das kannst du laut sagen!«

Eva ging in das Schlafzimmer, zog ihr Kleid aus, streifte es über einen Bügel, knöpfte es zu und hängte es zum Lüften nach draußen. Es gehörte zu den wenigen Vorteilen ihrer kleinen Wohnung, daß sie einen Küchenbalkon hatte. Zwar war er nicht groß genug, um zu zweit dort zu sitzen, aber für andere Dinge doch sehr praktisch. Obwohl es kühl war – immerhin war es schon November –, blieb sie einen Moment, nur mit Slip, Strumpfhose und Büstenhalter bekleidet, draußen stehen und atmete tief durch. Auch in manchen anderen Fenstern der alten, mit ihren Rückseiten zueinander in einem weiten Karree stehenden Häuser schien noch Licht. Wie viele andere Menschen mochten, wie Knut, jede Woche aufs neue ein Wunder erhoffen? Am Himmel war kein Stern zu sehen.

Erschauernd trat sie in die Wohnung zurück und schloß die Balkontür.

Später, als Eva im Bett lag, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und auf Knut wartete, versuchte sie, nicht nachzudenken. Sie wußte, daß Grübeln sinnlos war, weil ihre Gedanken die fatale Neigung hatten, sich im Kreis zu drehen, besonders nachts. Es stimmte schon, sie war glücklich mit Knut, daran bestand kein Zweifel. Er war ein guter Ehemann, anständig, verläßlich und um sie besorgt. Es war nicht seine Schuld, daß sie hier in Hilden, einer Kleinstadt, gelandet waren. Tatsächlich hatte es ja auch seine Vorteile, in Hilden zu leben, wenn es auch nicht die große Welt war, von der sie als junges Mädchen geträumt hatte. Es gab zahlreiche Sportplätze, die Stadthalle mit ihrem abwechslungsreichen kulturellen Programm, viele Wirtschaften, den Stadtwald und den Benrather Forst zum Spazierengehen. Außerdem hatten sie hier auch ihre Freunde und den Kegelclub. Sie durfte sich wirklich nicht beklagen.

Nur, daß Knuts Gehalt nicht ausreichte, um sie beide anständig zu erhalten, das war wirklich schlimm. Daß sie täglich nach Düsseldorf fahren und in einem Großraumbüro als Phonotypistin langweilige Briefe tippen mußte. Dabei mußte sie noch froh und dankbar sein, diesen Job überhaupt zu haben. Computer und computergesteuerte Schreibautomaten machten Routinebriefe mehr und mehr überflüssig. Zwar hatte es in dem Industrieunternehmen, für das sie arbeitete, noch keine Entlassungen gegeben, aber Kolleginnen, die ausschieden, wurden nicht mehr durch neue ersetzt, Es war abzusehen, daß der Schreibsaal eines Tages geschlossen werden würde – und was dann?

Hätte sie nur einen richtigen Beruf erlernt, anstatt zu studieren – ausgerechnet Jura, ein so trockenes Fach, daß ihr nach wenigen Semestern die Lust daran vergangen war. Ihre Mutter hatte sie gewarnt, aber nach den Anstrengungen, das Abitur zu schaffen, hatte es sie in die angebliche Freiheit des Studentenlebens gezogen – was für ein Wahnsinn!

Auch von der frühen Ehe mit Knut hatte die Mutter abgeraten. Jetzt dachte Eva: Wäre die Mutter mehr für Knut gewesen, hätte sie vielleicht gar nicht so rasch geheiratet. Aber sie gab sich zu, daß das nicht wahr war. So verliebt war sie damals gewesen und so überdrüssig ihres Studiums, in dem sie nie zu einem Ziel gelangt wäre. Knut war ihr als ein aufstrebender junger Geschäftsmann erschienen. Niemand hatte voraussehen können, daß er würde froh sein können, als kaufmännischer Angestellter bei der kleinen Firma ›Ernst & Stössel‹, Werkzeugbau, in Hilden unterzukommen.

Jahrelang hatte es so ausgesehen, daß er, wenn der Prokurist Habner in Pension gehen würde, nachrücken und Prokura bekommen würde. Alle Hoffnungen hatten sie auf diese Aussicht und die damit verbundene Gehaltserhöhung gerichtet. Aber dann war Robert Hellmann in die Firma eingetreten, Industriekaufmann wie Knut, aber mit einer Ausbildung am Computer und zudem ein Neffe des alten Stössel. Seitdem hatte Knut den Eindruck, daß der andere ihm vorgezogen wurde und daß nicht er, sondern Hellmann Nachfolger Habners werden würde. Das nagte an ihm, zumal Hellmann zwei Jahre jünger war als er.

Eva konnte nicht beurteilen, ob Knuts Befürchtungen begründet waren oder ob er sich die Gefährdung seines beruflichen Weiterkommens nur einbildete. Fest stand jedoch, daß ihr Mann sich seit Hellmanns Eintritt in die Firma geändert hatte. Er hatte seinen Optimismus verloren, an Selbstvertrauen eingebüßt und gab sich rauher, als er war, um hinter einer harten Fassade seinen Kummer zu verbergen.

Diese Sorgen hatten begonnen, ihr Privatleben zu überschatten. Knut war die Vorstellung unerträglich, über kurz oder lang unter dem jüngeren Hellmann arbeiten zu müssen. Eva konnte ihn gut verstehen und hatte ihn überredet, sich bei anderen Firmen zu bewerben. Aber nach vier oder fünf Versuchen – wie Eva meinte, viel zu wenige –, auf die keine oder abschlägige Antworten gekommen waren, hatte er es aufgegeben.

Im Hindämmern wurde es Eva bewußt, daß auch ihre Gefühle für ihn sich unmerklich gewandelt hatten. Früher war er für sie der Fels in ihrem Leben gewesen, von dem sie sich Sicherheit und Geborgenheit versprach. Jetzt hatte sich in ihre Liebe Mütterlichkeit gemischt. Sie hätte alles darum gegeben, ihn vor der bösen Welt beschützen zu können.

›Wie lange das heute dauert!‹ dachte sie. ›Warum kommt er nicht endlich? ‹

Sie überlegte, ob sie noch einmal aufstehen und zu ihm ins Wohnzimmer gehen sollte, war dann aber doch zu müde, rollte sich auf die Seite, schloß die Augen und zog die Knie an.

Als sie seine Hand auf ihrer nackten Schulter spürte, öffnete sie, schon im Halbschlaf, die Arme, um ihn an sich zu ziehen und ihm Trost und Vergessen zu schenken.

»Eva!« stieß er mit einer Stimme hervor, die rauh und fast fremd vor Erregung war. »Eva! Wach auf!« Sein Griff wurde schmerzhaft. »Wir haben im Lotto gewonnen!«

Sie fuhr hoch. »Spinnst du?«

»Nein! Es ist so, wie ich sage! Wir haben sechs Richtige getippt!«

Sie rieb sich wie ein Kind mit beiden Fäusten die Augen. »Du willst mich wohl veräppeln!«

»Es ist wahr, Eva, so glaub mir doch! Mit so etwas würde ich niemals spaßen! Sieh her!« Er hielt einen Notizblock in das Licht der Nachttischlampe. »Das sind die Zahlen, die gekommen sind! Ich hab’ sie mir notiert! Es sind genau unsere Zahlen!«

Immer noch ungläubig starrte Eva auf die Zahlenreihen. Es waren zwei. Die erste zeigte die Zahlen, wie sie gekommen waren, die zweite in numerischer Reihenfolge. »Und du bist sicher, daß du dich nicht vertan hast?«

»Aber Eva, ich bin doch kein Idiot!«

Ihr Gesicht strahlte auf. »Nein, das bist du wirklich nicht!« Sie schlang die nackten Arme um seinen Hals und küßte ihn herzhaft. »Gratuliere, mein Liebling! Das wäre ja wunderbar!«

»Gratulier dir selber und vergiß den Konjunktiv!«

»Den wen?«

»Das Wörtchen ›wäre‹! Es ist, Eva, es ist! Wir haben gewonnen, du und ich! Wir können uns beide gratulieren!«

»Zu schön, um wahr zu sein!«

»Warum bist du nur so mißtrauisch? Statt dich zu freuen, stellst du dauernd alles in Frage.«

»Bitte, sei mir nicht böse!« Sie bedeckte sein Gesicht mit kleinen Küssen. »Ich kann es einfach nicht fassen! Es ist zuviel für mich. Daß uns das geglückt sein sollte!«

»Es ist uns geglückt. Es mußte einfach glücken. Immer dieselben Zahlenreihen, wie ich dir immer gesagt habe. Eines Tages mußten wir einfach drankommen.«

Eva leuchtete das zwar nicht ganz ein, aber sie mochte ihm nicht länger widersprechen oder Zweifel äußern. »Komm ins Bett!« sagte sie und nahm ihm die Brille ab; seine Augen, die hinter den dicken Gläsern an Wirkung verloren, waren von einem tiefen Blau und jetzt, in der Aufregung, ganz besonders strahlend. »Laß uns schlafen!«

»Du glaubst, daß ich das könnte? Ausgeschlossen! Steh lieber auf und laß uns noch einen Schluck trinken! Hast du was Gutes im Haus?«

Eva war von dieser Idee nicht gerade angetan. Sie fand, daß er schon genügend getrunken hatte, und sie hätte sich viel lieber an ihn gekuschelt und mit ihm von der sorglosen Zukunft geträumt, die sich vor ihnen aufgetan hatte. Trotzdem sagte sie:

»Es muß noch etwas von dem alten Cognac dasein, den uns dein Onkel Karl mitgebracht hat. Ich habe ihn hinter den Büchern versteckt.«

»Sieht dir ähnlich! Ich hatte gedacht, die Flasche wäre leer.«

»Ihr hattet bei seinem Besuch ja auch wirklich reichlich gepichelt.« Sie sprang aus dem Bett und stand einen Augenblick nackt vor ihm, ehe sie in ihren Morgenmantel schlüpfte.

Ihre immer noch mädchenhafte Gestalt erregte ihn, und er überlegte kurz, ob es nicht doch die bessere Idee gewesen wäre, zu ihr ins Bett zu gehen. Aber die Erregung über den Hauptgewinn löschte sein Begehren nach Lust und Liebe rasch wieder.

So faßte er sie denn nur sehr sanft um die Taille, küßte sie auf den Hals und flüsterte ihr ins Ohr: »Später!«

»Du tust gerade so, als wenn ich immer nur darauf aus wäre!« protestierte sie mit einem entrüsteten Lachen.

»Bist du es etwa nicht? Eben hast du es mir noch vorgeschlagen!«

»Wenn ich von schlafen spreche, dann meine ich schlafen, heia-heia machen, träumen – nicht das, was du denkst!« Sie gab ihm einen liebevollen kleinen Stoß vor die Brust, schlüpfte an ihm vorbei ins Wohnzimmer und holte die Cognacflasche aus ihrem Versteck.

Er nahm sie ihr aus der Hand und hielt sie prüfend gegen das Licht. »Sollte für einen kleinen Rausch genügen.«

Sie stellte zwei Gläser auf den Tisch. »War es nicht klug, daß ich ihn so gut verwahrt habe?«

»Du weißt, ich mag keine Heimlichkeiten.«

Während ihres Gespräches lief immer noch der Fernseher; man zeigte einen alten amerikanischen Spielfilm. Eva und Knut achteten weder auf den Ton noch auf das Bild, sondern nahmen es nur als Kulisse wahr.

»Hätte ich dir davon erzählt, wäre er längst nicht mehr da.«

»Diesmal will ich dir noch verzeihen, aber in Zukunft – kein Schmugeld mehr oder dergleichen. Ist das versprochen?« Er schenkte die goldbraune, duftende Flüssigkeit ein.

»In Zukunft«, sagte sie und rollte sich in ihrer Sofaecke zusammen, »werde ich das wohl nicht mehr nötig haben. Wieviel, glaubst du, wird es sein?«

»Sehr viel. Mindestens hunderttausend.«

»Bist du sicher?«

»Aber ja! Ich habe dir das doch schon zigmal auseinandergesetzt. Die meisten Leute wählen Zahlen, die irgendeinen Bezug auf ihre Familie haben, Geburtstage und dergleichen. Da das Jahr aber nur zwölf Monate hat und wir als niedrigste Zahl die vierzehn genommen haben, können nach Adam Riese nur wenige ins volle getippt haben.«

Sie nahm ihr Glas vom Tisch und hob es ihm entgegen. »Trinken wir also auf die vollen!«

Sie stießen an und nahmen einen Schluck.

»Das ist was anderes als das ewige Bier!« stellte sie fest.

»Von nun an werden wir uns auch so etwas leisten … sogar Champagner!«

»Was machen wir mit dem vielen Geld? Ein paar Tausender wären leicht unterzubringen. Die gingen schon für eine neue Einrichtung drauf! Aber hunderttausend?«

»Zuerst einmal eine ganz tolle Reise! Ich weiß auch schon wohin!«

»Ja?«

»Auf den Kilimandscharo!«

»Das ist der höchste Berg Afrikas, nicht wahr? Kann man da überhaupt rauf?«

»Man kann, und man braucht noch nicht mal bergsteigerische Erfahrung dazu. Natürlich wird es eine Abenteuerreise, aber das ist ja gerade der Spaß daran. Endlich mal raus aus dieser belämmerten Zivilisation!« Er zündete sich eine Zigarette an und blies Kringel in die Luft. »Ich habe immer schon mal nach Afrika gewollt!«

Sie nippte an ihrem Glas. »Afrika, ja. Wenigstens ist es da schön heiß. Eine Fotosafari, das könnte mich locken. Aber wie kommst du ausgerechnet auf den Kilimandscharo?«

»Bob Hellmann hat einen Treck dorthin gebucht. Er tut sich dauernd damit dicke.«

»Ausgerechnet mit Hellmann willst du eine Abenteuerreise machen?« fragte Eva befremdet. »Ich dachte, du könntest den Kerl nicht leiden?«

»Das hat doch damit nichts zu tun. Wir brauchen das auch gar nicht gemeinsam mit ihm zu machen, sondern ein andermal. Jedenfalls erzählt er, daß noch Plätze frei sind. Mindestens zwölf Personen gehören in so eine Gruppe. Wenn die beisammen sind, soll es losgehen. Irgendwann in der Weihnachtszeit.«

»Weihnachten wäre schon gut«, sagte Eva nachdenklich, »ich möchte wirklich mal über die Feiertage aus dem Mief hier heraus. Aber dann kämen wir natürlich doch mit Hellmann zusammen. Ich muß dir ehrlich sagen, daß diese Vorstellung mich überhaupt nicht reizt.«

»Du kennst ihn ja gar nicht, höchstens vom Sehen.«

»Was du mir tagtäglich von ihm erzählst, genügt mir. Er ist arrogant, unverschämt, taktlos, und es stört ihn nicht im mindesten, daß du dich durch ihn zurückgesetzt fühlst.«

»Stimmt. Im Büro ist er unerträglich. Aber unterwegs wäre das doch ganz was anderes!«

»Wieso? Kann ich nicht finden.« Plötzlich lachte Eva auf. »Himmel, sind wir dumm! Jetzt streiten wir darum, was wir mit einem Geld anfangen sollen, das wir noch gar nicht haben! Hast du je so etwas Blödes erlebt? Warten wir doch erst mal ab!«

»Ein paar Zehntausender müssen drin sein«, beharrte er, »da bin ich ganz sicher.«

»Hoffen wir, daß du recht hast! Dann gibt es Tausende von Möglichkeiten, die zu verbraten. Es muß ja nicht unbedingt ein Trip auf den Kilimandscharo sein. Wie wär’s mit dem Fudschijama? Oder dem Himalaja?«

Er drückte seine Zigarette aus und zog sie in seine Arme. »Erst einmal bin ich jetzt fürs Schlafengehen. Du auch?«

»Ich schon lange.«

In dieser Nacht liebten sie sich mit einer Leidenschaft wie schon seit Jahren nicht mehr, berauscht von Hoffnung und bis zur völligen Erschöpfung.

Am Sonntag schliefen Eva und Knut bis in den Tag hinein und stärkten sich dann mit einem Brunch aus Spiegeleiern mit Speck, Butter, Toast, Marmelade und einer großen Kanne Kaffee.

Erst danach zogen sie sich an, räumten auf und verließen die Wohnung in der Kantstraße. Es war ein regnerischer Tag, und die Wolken hingen tief, aber das machte ihnen nicht viel aus. Sie gingen beide gern spazieren, und in Hilden und Umgebung hatten sie dafür viele Möglichkeiten.

Heute wählten sie den Stadtwald. Natürlich gab es für sie nur ein einziges Thema: ihr Lottogewinn, und was sie mit dem Geld alles anfangen würden. Sie hatten sich inzwischen darauf geeinigt, daß sie mit mindestens fünfzigvielleicht auch hunderttausend Mark rechnen konnten. Auch daß sie sich erst einmal eine große Reise gönnen würden, stand für sie beide fest.

Aber was weiter? Eine neue Einrichtung konnten sie ganz sicher brauchen. Oder sollten sie nicht lieber gleich eine größere Wohnung nehmen? Und wie wäre es mit einem Auto? Für den Alltag brauchten sie keins, denn Knut konnte bis zu seiner Firma zu Fuß gehen. Eva war von der Kantstraße aus in fünf Minuten an der S-Bahn-Haltestelle und mit der S 7 knapp zwanzig Minuten später in Düsseldorf-Wehrhahn. Aber ein Auto wünschten sie sich beide schon lange. Das würde ihnen an den Wochenenden mehr Bewegungsfreiheit geben. Mit einem schicken Auto, so glaubten sie beide, würden sie sich als andere Menschen fühlen und nicht mehr unterprivilegiert sein.

Aber andererseits – würde ein repräsentativer Wagen den Freunden und Bekannten nicht sofort auffallen? Ihren Neid erwecken? Also durfte es nur ein bescheidener Mittelklassewagen sein.

»Oder«, sagte Knut, »sollen wir uns nicht lieber ein Haus am Stadtrand bauen? Mit eigenem Garten? Das wäre doch was!«

Eva lachte. »Bleib auf dem Teppich, Liebling! Für hunderttausend kriegst du heutzutage höchstens eine Gartenlaube!«

»Aber wenn es nun mehr ist?«

»Bitte, bitte, hör auf zu träumen! Hunderttausend reichen uns voll und ganz. Davon könnten wir uns alle Wünsche erfüllen, und sogar noch was in Wertpapieren anlegen. Wozu brauchen wir ein eigenes Haus?«

»Wenn wir erst mal Kinder haben …«

»Aber die haben wir nicht!« Eva hatte sich bei ihm eingehakt und sah ihn von der Seite an. »Oder wünschst du dir welche? Schon bald?«

»Ich weiß nicht«, sagte er unbestimmt, »nicht unbedingt.«

»Na siehst du! Soll ich dir sagen, was ich vorhabe … wenn es mit dem Geld irgendwie hinhaut …«

»Wird schon!« warf er ein.

»…möchte ich eine Berufsausbildung machen! Das bißchen Schreibmaschine, das ich kann, ist einfach zuwenig! Ich weiß, mit fünfundzwanzig anzufangen ist ziemlich spät. Aber besser spät als nie, findest du nicht auch?«

Er runzelte die Stirn. »Was stellst du dir denn so vor?«

»Vielleicht einen Sekretärinnenkurs? Oder eine Ausbildung als EDV-Technikerin? Ich würde mich vorher mal beim Arbeitsamt beraten lassen.«

»Aber, Evchen, wenn wir erst das viele Geld haben, ist das doch gar nicht mehr nötig!«

»Ich finde, doch!«

»Weil deine Mutter dir das immer vorgebetet hat?«

»Sei bloß nicht nachtragend. Das ist ja schon so lange her.«

»Aber es tut dir leid, daß du damals nicht auf sie gehört hast?«

»Das nicht. Nur gebe ich ihr nachträglich recht. Ich hätte nicht studieren, sondern sofort was Vernünftiges lernen sollen … oder spätestens dann, als ich sah, daß aus dem Studium doch nichts wurde.«

Er blieb stehen und sah sie an. »Dann bereust du also auch, mich geheiratet zu haben?«

»Red keinen Quatsch! Natürlich nicht! Nicht eine Sekunde! Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Ich hätte dich heiraten und trotzdem einen Beruf lernen sollen. Das hätte meine Mutter bestimmt finanziert.«

»Genau das wolltest du damals nicht.«

»Und du auch nicht! Aber das war schön dumm von uns.«

»Auch Leute mit einer guten Berufsausbildung sind heutzutage arbeitslos.«

»Ich weiß ja. Ich mache dir auch keinen Vorwurf daraus, daß ich nichts kann. Die Schuld liegt bei mir. Ich habe das alles zu … zu gefühlsbetont gesehen. Nur weil ich mich über Mutters Standpunkt geärgert habe, wollte ich kein Geld von ihr annehmen. Außerdem, fürchte ich, war ich auch einfach zu faul. Ich hatte keine Lust, mich anzustrengen und noch etwas zu lernen. Ich dachte …« Sie stockte.

»Was dachtest du?« hakte er nach.

›Ich dachte: Knut macht das schon!‹ hatte sie sagen wollen, aber gerade noch rechtzeitig erkannte sie, daß er das als eine Kränkung hätte empfinden müssen. »Ich glaube, ich habe damals viel zuwenig gedacht«, erklärte sie statt dessen. »Heute würde ich mich jedenfalls erheblich besser fühlen, wenn ich was Richtiges könnte.«

»Vielleicht gewinnen wir ja genug, daß du überhaupt nichts mehr arbeiten mußt.«

»Unmöglich!«

»Wir könnten ja zum Beispiel das ganze Geld so anlegen, daß wir ein zusätzliches Einkommen davon haben!«

»Und auf die große Reise verzichten? Und auf alles andere, was wir uns jetzt leisten können? Das ist doch nicht dein Ernst!«

Sie bogen um die große Kurve des Hauptweges, als sie das Ehepaar Reiser auf sich zukommen sahen. Unter normalen Umständen wären sie bei ihnen stehengeblieben, hätten sie begrüßt, eine Weile mit ihnen geplaudert und wären dann allein weiter oder aber auch mit ihnen zusammen zurückgegangen. Irene Reiser stand Eva zwar nicht besonders nahe, sie war bekannt für ihre spitze Zunge, aber Fritz Reiser war Knuts bester Freund, und so kamen die beiden Ehepaare häufig zusammen. Diesmal aber winkten sie den Reisers nur von weitem zu und bogen dann, ohne es miteinander abgesprochen zu haben, in einen Seitenweg ein.

»Die hätten uns gerade noch gefehlt!« sagte Knut und zog die Schultern hoch, um gegen den aufkommenden Wind anzukämpfen.

»Ob das nicht zu auffallend war?« fragte Eva.

»Ach was. Kann doch mal vorkommen, daß man keine Lust hat, mit jemandem zu quatschen!«

»Vielleicht nehmen sie jetzt an, daß wir miteinander streiten!«

»Egal, was die glauben. Hauptsache, sie erfahren nichts von dem Geld.«

»Du willst es ihnen nicht sagen?«

»Natürlich nicht. Wo kämen wir sonst hin? Die würden bestimmt versuchen, uns anzupumpen.« Mit einer weit ausholenden Geste fügte er hinzu: »Alle würden das tun! Niemand darf ein Sterbenswort erfahren, hörst du?«

»Ich verstehe schon«, sagte Eva zögernd.

»Aber?«

»Sie werden es doch merken. Daß wir unseren Lebensstil ändern, meine ich.«

»Wir müssen da eben sehr, sehr vorsichtig sein, nicht klotzen, sondern höchstens kleckern.«

»Und wie sollen wir ihnen erklären, daß wir uns plötzlich eine große Reise leisten können? Wo wir doch sonst immer nur mit ’nem ausgeliehenen Campingbus unterwegs waren? Die Reise lass’ ich mir jedenfalls nicht nehmen, sonst freut mich der ganze Gewinn nicht.«

»Darüber habe ich schon nachgedacht. Die Frau von meinem Onkel Karl ist doch neulich gestorben …«

»… und du warst nicht mal auf der Beerdigung!«

»Weil ich es mir nicht leisten konnte, wegen nichts und wieder nichts nach Hamburg zu fahren. Das weißt du so gut wie ich. Außerdem tut es gar nichts zur Sache. Sie kann mir trotzdem was vermacht haben. Komm mir jetzt bloß nicht damit, daß sie selber nichts gehabt haben. Das weiß doch niemand. Jedenfalls ist Onkel Karl mal mit einem schönen Auto bei uns vorgefahren und hat ziemlich großzügig einen ausgegeben. Da haut das mit der Erbschaft schon hin.«

»Und wenn sie dir nicht glauben?«

»Unwichtig. Hauptsache, sie können mir nicht das Gegenteil beweisen.«

»Hoffentlich.«

»Du brauchst nur den Mund zu halten. Dann ist die Sache geritzt. Versprichst du mir das?«

»Natürlich.«

»So natürlich ist das nun auch wieder nicht. Wenn unsereiner mal Glück hat, möchte er es am liebsten in alle Welt hinausposaunen.«

»Ich nicht. Nur meine Mutter möchte ich es schon wissen lassen. Am liebsten würde ich sie besuchen und mit einem Haufen Geschenken überraschen.«

»Wozu das?«

Evas Mutter, Witwe eines Oberstaatsanwaltes, war nach dem Tod ihres Mannes von Düsseldorf nach Bad Reichenhall gezogen, und die Verbindung zu Tochter und Schwiegersohn beschränkte sich auf Postkartengrüße und sehr seltene Anrufe. Knuts Frage hatte also schon ihre Berechtigung.

»Ich möchte ihr einmal imponieren!« platzte Eva heraus.

»Mit einem Lottogewinn? Du tickst wohl nicht richtig! Das ist für sie doch keine Leistung. Ich weiß schon, wie sie uns kommen würde.« Er ahmte eine affektierte Frauenstimme nach: »Nur kleine Leute spielen im Lotto!«

»So spricht sie nicht, und so etwas hat sie nie gesagt!« protestierte Eva.

»Aber so was Ähnliches wird ihr bestimmt einfallen. Du kennst doch ihre Sprüche: ›Dies gehört sich nicht und das tut man nicht! ‹ Sie darf am allerwenigsten von unserem Gewinn erfahren. Ein ausgesucht teures Geschenk zu ihrem nächsten Geburtstag und keine Erklärung, woher wir das Geld haben, das ließe ich mir gerade noch gefallen.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, gab Eva zu, »aber Spaß hätte es mir doch gemacht, ihr gegenüber mal aufzutrumpfen.«

»Vergiß es!«

Eva und Knut liefen und redeten, redeten und liefen, waren aufgeregt wie Kinder, merkten es selber und lachten sich aus. Der befürchtete Regenschauer blieb aus, nur hin und wieder nieselte es leicht. Aber das störte sie nicht. Erst nach Stunden wurden sie langsamer und weniger gesprächig, und dann begann sich endlich auch Hunger bemerkbar zu machen. Normalerweise wären sie jetzt in der Waldschänke eingekehrt, aber heute verzichteten sie darauf, um keinen Bekannten zu begegnen. Der lange Rückweg in die Stadt wurde dann doch sehr mühsam.

In ihre kleine Wohnung in der Kantstraße zurückgekehrt, nahmen sie gemeinsam ein heißes Bad, das sie wieder munter machte.

»Weißt du, was ich jetzt am liebsten möchte?« sagte Eva und kitzelte ihn mit dem großen Zeh auf der Brust. »Was Gutes essen …«

»Hast du denn was da?«

»Steaks natürlich nicht. Aber Spaghetti mit Tomatensauce könnte ich dir bieten. Dazu einen französischen Landwein.«

»Klingt verlockend.«

»Gemütlich essen und dann einfach zu Hause bleiben.«

Er umfaßte ihren Fuß und drückte seine Lippen darauf. »Das ist unmöglich, und du weißt es.«

Sie hatten seit Jahren ein Abonnement in der Reihe A, Schauspiel, für Veranstaltungen in der Stadthalle, ein kleiner Luxus, den sie sich gönnten. Heute abend sollte ›Über allen Gipfeln ist Ruh’‹ von Thomas Bernhard gegeben werden, und sie hatten sich, bevor sie das große Los gezogen hatten, darauf gefreut.

»Wir werden alle möglichen Leute treffen, und du hast selbst gesagt …«

»Unsere Plätze dürfen nicht leer bleiben. Das wäre viel zu auffallend.«

»Und wenn wir die Klüsers bitten würden?«

Das Ehepaar Klüser wohnte auf dem gleichen Stock gegenüber, waren also Nachbarn, aber mehr als zwanzig Jahre älter als sie und nicht mit ihnen befreundet. Man grüßte sich zwar im Treppenhaus, wechselte auch gelegentlich einige Worte, aber zu gegenseitigen Begegnungen war es nie gekommen.

»Mit was für einer Erklärung?« fragte Knut. »Ich bitte dich, Evchen, wir müßten uns einen Haufen Lügen ausdenken. Damit wollen wir doch gar nicht erst anfangen. Nein, wir gehen hin und stehen es durch. Es sind ja nur zwei Pausen, und danach haben wir guten Grund, rasch abzuhauen. Wir müssen ja morgen arbeiten.«

Eva gab nach. Als sie sich mit Spaghetti, Tomatensauce und einem Glas Landwein gestärkt hatten – den Rest der Flasche hoben sie für den späteren Abend auf –, machten sie sich schick.

Eva fand, daß Knut sehr seriös wirkte in seinem dunkelgrauen Anzug mit weißem Hemd und hellgrauer Seidenkrawatte. Es störte sie auch nicht, daß er im Laufe der Zeit ein Bäuchlein bekommen hatte und sein blondes Haar oberhalb der Stirn schütter zu werden begann. Sein Leibesumfang wurde zwar durch die Jacke kaschiert, aber sein Haar konnte er noch so künstlerisch bürsten und kämmen, die Kopfhaut wurde doch sichtbar.

»Ich werde alt«, sagte er unzufrieden zu seinem Spiegelbild.

»Ach was«, widersprach sie zärtlich, »du siehst fabelhaft aus. Wie ein leitender Direktor.«

»Alt«, wiederholte er. »Man könnte denken, ich wäre dein Vater.«

Tatsächlich sah sie, klein und zierlich, mit ihrem kurzgeschnittenen blonden Haar und den großen braunen Augen in dem champagnerfarbenen Rüschenkleid, das sie im Ausverkauf erstanden hatte, trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre wie ein Schulmädchen aus.

»Mir wäre es lieber, ich würde endlich erwachsener wirken«, gestand sie.

»Wenn wir erst das Geld haben, kannst du dir ja ein paar Falten einoperieren lassen!«

Sie lachte. »Und du dir Haare!«

Arm in Arm zogen sie los, in ihren hellen Regenmänteln, die für die Jahreszeit zu dünn waren, er vorsichtshalber mit einem Schirm bewaffnet.

Wie Knut vorausgesagt hatte, standen sie den Abend durch. Zu ihrem Glück wurde in den Pausen nur über die Aufführung und die Schauspielergesprochen, und es fiel niemandem auf, daß sie mit den Gedanken nicht dabei waren.

Vom Stück selber hatten sie jedoch wenig. Sie waren zu aufgeregt, um sich konzentrieren zu können.

Ein einziger Satz blieb Eva im Gedächtnis, ein Satz, den die Frau des Dichterfürsten über ihr romantisch am Waldrand liegendes Heim sagt: »Beinahe unberührt von dem gräßlichen Jetzt!«

Den zitierte sie Knut auf dem Heimweg, aber er verstand nicht, warum sie ihn so komisch fand.

Am Montagmorgen rief Eva in Düsseldorf an und entschuldigte sich bei der Vorsteherin des Schreibsaals wegen Unpäßlichkeit. Knut ging wie immer zu ›Ernst & Stössel‹, obwohl Eva ihn zu überreden versucht hatte, bei ihr zu bleiben; er wollte nicht auffallen. Aber in der Mittagspause aß er nicht, wie gewöhnlich, in der Werkskantine, sondern lief nach Hause, um, wie er vorgab, nach seiner kranken Frau zu sehen.

Eva hatte eine Rindfleischsuppe gekocht, aber er konnte sich nicht zwingen, auch nur einen Löffel davon zu schlucken. Sein Blick wanderte unentwegt von seiner Armbanduhr zum Radio, das mit voller Lautstärke lief.

»Das ist doch sinnlos«, sagte Eva, »du kannst die Zeit nicht vorantreiben. So iß doch wenigstens ein bißchen! Die heiße Suppe wird dir guttun.« Sie löffelte, ohne wirklich etwas zu schmecken.

Er schüttelte stumm den Kopf.

»Du hast auch heute früh nichts gehabt außer Kaffee!« stellte sie vorwurfsvoll fest.

»Hör auf mit deiner ewigen Nörgelei!« fuhr er sie an. »Kannst du denn immer nur ans Essen denken?«

»Ich denke an dich und deine Gesundheit«, gab sie leicht gekränkt zurück.

Endlich kam die Zeitansage. Dreizehn Uhr. Ein Sprecher verkündete die Neuigkeiten des Tages.

»Jetzt!« sagte Eva.

»Sei still!« fauchte er, obwohl es im Radio noch um Weltpolitik ging.

Sie hielten den Atem an, als endlich die Nachricht kam, auf die sie gewartet hatten.

»… und jetzt zu den endgültigen Quoten der fünfundvierzigsten Ziehung der Lottozahlen. Sechs richtige: zwei Millionen siebenhunderttausend Mark …«

»Hurra geschrien!« Eva sprang auf und stieß dabei an den Tisch, so daß die Suppe schwappte. »Fast drei Millionen! Wir haben es geschafft!« Sie lief zu Knut hin, wollte ihn stürmisch umarmen, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. »Was ist los mit dir?« fragte sie erschrocken.

Sein Gesicht war kalkweiß geworden, es wirkte zerfallen. Er hatte die Augen geschlossen.

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn. Seine Haut war eisig kalt und feucht.

Eva wußte nicht, was sie tun sollte. Sie beugte sich über ihn, lockerte die Krawatte und öffnete den obersten Kragenknopf, während sie unentwegt auf ihn einredete. Er gab kein Lebenszeichen von sich. Sie schob ihre Hand unter seine Jacke und spürte das beruhigende Klopfen seines Herzens.

Ihr fiel ein, daß noch ein Rest Cognac in der Flasche sein mußte. Sie setzte ihm die Flasche an den Mund und versuchte, ihm das starke Getränk vorsichtig einzuflößen. Die ersten Tropfen rannen ihm an den Mundwinkeln herab. Eva nahm sich nicht die Mühe, sie abzutupfen. Dann endlich schluckte er, hustete und bekam wieder Farbe.

Er schlug die Augen auf. »Das war zuviel!« krächzte er.

»Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!«

»Tut mir leid, ich … ich weiß auch nicht! Plötzlich dröhnte es in meinem Kopf, und es wurde mir schwarz vor Augen. Ich muß wohl das Bewußtsein verloren haben.«

»Du sahst aus wie ein Toter!«

Er rang sich ein Lächeln ab. »Ist wahrscheinlich passiert, weil ich nichts im Magen hatte.«

»Dann nimm wenigstens jetzt ein paar Löffel!« Eva legte die Handflächen an den Suppentopf. »Soll ich sie dir heiß machen?«

»Laß nur. Ich muß mich erst erholen.« Mit zitternden Händen zündete er sich eine Zigarette an.

Sie zweifelte zwar daran, daß Nikotin das Richtige in seiner Verfassung war, unterdrückte aber eine Bemerkung darüber.

»Ist es denn wahr?« fragte er. »Bitte, sag jetzt nur nicht, daß ich geträumt habe!«

Sie setzte sich auf seinen Schoß. »Es stimmt!« sagte sie mit einem Lächeln, das an Glanz verloren hatte. »Zwei Millionen siebenhunderttausend! Aber wenn ich denke, daß du dabei hättest draufgehen können …«

»Quatsch!« sagte er. »So leicht stirbt man nicht!«

»Es sah eben ganz so aus.«

»Ich weiß, daß ich vollkommen gesund bin. Es ist kaum ein paar Wochen her, daß ich beim Arzt war und meinen letzten Check-up hab’ machen lassen. Aber zwei Milliohen siebenhunderttausend am hellichten Tag können auch den stärksten Mann umhauen. Das wirst du doch zugeben.«

»Besonders, wenn er noch nichts gegessen hat.« Sie füllte seinen Teller auf, nahm ihm die Zigarette aus der Hand und begann, ihn liebevoll zu füttern. »Einen für die Lottofee … einen für den lieben Notar … einen für den Techniker … einen für den, der das Spiel erfunden hat …« Sie unterbrach sich. »Was machen wir bloß mit dem plötzlichen Reichtum?«

»Erst einmal auf unser Girokonto.«

Sie rutschte von seinem Schoß und drückte ihm den Löffel in die Hand. »Jetzt kannst du wohl allein weiteressen. Zwei Millionen siebenhunderttausend Mark! Das halt ich doch im Kopf nicht aus!« Sie begann, unruhig auf und ab zu gehen, obwohl das in dem kleinen, vollgestellten Zimmer nur schwer möglich war. »Wann, denkst du, kriegen wir das Geld?«

»Ich denke, daß sich ein Herr von der Lottozentrale noch heute mit dir in Verbindung setzen wird.«

»Mit mir? Wieso mit mir? Du bleibst doch jetzt zu Hause.«

»Nein, gerade nicht.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Ich muß sofort wieder los. Es wird höchste Zeit.«

»Aber dein Hemd ist bekleckert.«

»Dann ziehe ich eben ein anderes an.« Er stand auf.

Sie lief ihm ins Schlafzimmer nach. »Du wirst doch sowieso kündigen, nicht wahr?«

Er zog seine Jacke aus. »Ja. Aber es darf nicht so auffallend sein. Geht das wirklich nicht in deinen Schädel?«

Sie nahm ihm die Jacke ab. »Bei so viel Geld kommt es doch wirklich nicht mehr drauf an!«

»Es ist jetzt noch wichtiger, daß wir es geheimhalten!« Er legte die Krawatte ab und zog sein Hemd aus. »Wir reden heute abend noch einmal darüber. Bis dahin … zu keiner Menschenseele ein Wort!«

»Wenn du darauf bestehst!«

»Ja, das tu’ ich!«

Sie war in Versuchung, ihm einen raschen Kuß auf seinen nackten Bauch zu drücken, unterließ es aber, da seine Miene ihr verriet, daß er im Moment zu solchen Scherzen nicht aufgelegt war. »Ist versprochen.«

»Laß dich auch von dem Kerl von der Lottozentrale nicht ausholen«, warnte er, »die versuchen das gerne. Sag einfach, daß uns diese Riesensumme völlig überrascht hat und daß wir noch nicht wissen, was wir damit anfangen sollen.« Er hatte das Hemd gewechselt und zog sich die Krawatte über den Kopf.

»Ay, ay, Sir!« Sie reichte ihm die Jacke. »Aber was machen wir nun wirklich mit dem Geld?«

»Wir haben Zeit genug, uns alles in Ruhe zu überlegen.« Er nahm sie kurz in die Arme. »Da fällt mir noch etwas ein! Am besten gibst du ihm falsche Auskünfte.«

»Wozu?«

»Damit niemand drauf kommt, daß wir das sind. Die bringen das ja bestimmt in die Zeitung. Ich seh’s schon vor mir. Junges Ehepaar aus Hilden‹ und so weiter und so fort. Sag ihm, du wärst zwanzig, du siehst ja auch so aus … und ich wäre dreißig. Die prüfen das bestimmt nicht nach. Sag ihm, du wärst Hausfrau und ich … ich wäre Ingenieur.«

»Ach, Knut, bitte, bleib doch und sag du es ihm! Du weißt, ich kann so schlecht lügen.«

»Es ist doch nichts dabei, Evchen!« Er nahm sie bei den Schultern und küßte sie zärtlich. »Denk immer daran, wir haben uns diesen Gewinn redlich verdient, und die Leute vom Lotto und die Pressefritzen und überhaupt niemanden geht es was an, wer wir sind!«

»Du hast sicher recht, Liebling!«

»Wie immer, mein Schatz. Du machst das schon. Ich verlass’mich auf dich.«

Als Knut gegangen war, lief Eva rasch hinunter, um eine Flasche Sherry zu besorgen. Sie wollte dem Herrn von der Lottozentrale etwas anbieten können. Aber als sie die Küche gemacht und das Wohnzimmer in Ordnung gebracht hatte, genehmigte sie sich selber ein Gläschen. Ihr war danach zumute.

Der Anruf kam eine halbe Stunde später. Sie meldete sich.

»Lottozentrale Düsseldorf. Sie sind Frau Eva Karsten?« vergewisserte sich eine fremde Stimme.

»Ja, ja, ich bin es!«

»Sie wissen schon, daß Sie … wenn Sie nichts wissen, setzen Sie sich besser erst einmal hin …«

»Doch, ich weiß Bescheid!«

»Sie haben im Lotto gewonnen … den Hauptgewinn!«

»Ja, ja, ich weiß. Ich bin extra deswegen zu Hause geblieben.«

»Dann bin ich in etwa einer halben Stunde bei Ihnen. Sie haben doch den Lottoschein?«

»Ja, ja, natürlich!«

»Also dann … bis gleich!«

Es dauerte länger als eine halbe Stunde, bis der Herr von der Lottozentrale an der Wohnungstür der Karstens klingelte. Aus lauter Nervosität hatte Eva inzwischen noch einen Sherry getrunken. Aber die Begegnung verlief völlig problemlos.

Der Herr, in gefüttertem Regenmantel und Hut auffällig unauffällig gekleidet, wies sich aus, prüfte den Lottoschein, gratulierte sehr herzlich und ließ sich, nachdem er abgelegt hatte, von Eva zu einem Glas Sherry einladen. Eva war sehr aufgeregt, aber das schadete nicht; es paßte zu ihrer Rolle. Wie Knut vorausgesehen hatte, stellte er einige Fragen, sehr freundlich und im Plauderton und ohne sich Notizen zu machen.

Er schien es auch ganz natürlich zu finden, als sie erklärte: »Wir wissen wirklich noch nicht, was wir mit dem vielen Geld anfangen sollen. Wir sind ganz überwältigt. Nein, ein Haus brauchen wir eigentlich nicht, vielleicht eine größere Wohnung … zuerst aber mal eine schöne Reise!«

Nur als sie erklärte, Hausfrau zu sein, stutzte er etwas.

»Sie arbeiten nicht?« fragte er und sah sich in der kleinen Wohnung um.

»Mein Mann hat es lieber, wenn ich nur für ihn da bin.«

»Aber vorhin am Telefon sagten Sie doch, Sie wären extra zu Hause geblieben …«

Eva wurde rot, aber sie log tapfer weiter. »Das stimmt ja auch! Sonst hätte ich Einkäufe gemacht. Das tue ich immer montags, nach dem langen Wochenende. Sachen zur Reinigung bringen und so.«

»Sie müssen sehr viel Zeit haben.«

»Überhaupt nicht!« Ihr fiel etwas ein. »Ich besuche verschiedene Kurse in der Volkshochschule und muß mich tagsüber darauf vorbereiten. Mein Mann legt Wert darauf, daß ich mich weiterbilde.«

»Na, das werden Sie ja wohl in nächster Zukunft aufgeben.«

»Ich glaube nicht.« Eva lächelte entwaffnend. »Dann hätte der Gewinn mir ja einen Verlust gebracht.« Sie stand auf, um dem Gast zu verstehen zu geben, daß er sie lange genug aufgehalten hatte.

Auch er erhob sich, obwohl er noch nicht ausgetrunken hatte. »Und Sie wollen das ganze Geld auf Ihr Girokonto überwiesen haben? Wäre es nicht zweckmäßiger, dafür ein Sparkonto anzulegen?«

»Vielleicht kaufen wir ja auch gleich Wertpapiere. Das muß ich erst noch alles mit meinem Mann besprechen.« Sie reichte ihm die Hand. »Vielen Dank, daß Sie gekommen sind!«

»Werden Sie weiterspielen?«

»Vielleicht. Nur so zum Spaß. Auf einen zweiten Hauptgewinn zu spekulieren wäre wohl vermessen.«

Als Eva ihn endlich aus der Wohnung hinausbugsiert hatte, atmete sie auf. Aber sie war auch stolz auf sich. Sie war sicher, daß sie ihre Sache gut gemacht hatte.

Vorsichtshalber wollte Knut ein paar Tage warten, bevor er kündigte. Erst wenn das Geld tatsächlich auf seiner Bank, der ›Hildener Sparkasse‹ lag, wollte er diesen entscheidenden Schritt tun. Aber es fiel ihm schwer, sich ganz wie immer zu benehmen.

Er und Robert Hellmann arbeiteten im gleichen Raum an Schreibtischen, die einander gegenüberstanden. Immer, wenn Knut aufblickte, sah er in Hellmanns glattes, sorgloses Gesicht, und stets empfand er dabei Bitterkeit. Er war es gewesen, der den jungen Spund hatte einarbeiten müssen, schon damals mit dem unguten Gefühl, sich einen Konkurrenten mit besseren Chancen heranzuziehen. Heute, zum ersten Mal, schmerzte es kaum noch. Trotz seines schweren Siegelrings, seiner Tweedanzüge und seiner Seidenhemden war Hellmann doch nur ein armes Würstchen im Vergleich zu ihm, Knut Karsten, dem Millionär.

Er zündete sich eine Zigarette an und sagte lässig: »Wissen Sie, Hellmann, ich habe mir was überlegt. Was würden Sie davon halten, wenn meine Frau und ich den Treck zum Kilimandscharo mitmachen?«

Hellmann blickte erstaunt auf. »Sie haben wohl im Lotto gewonnen?«

Knut konnte nicht verhindern, daß ihm das Blut ins Gesicht schoß. »Jetzt hören Sie aber mal!« rief er gereizt.

Hellmann zeigte bei einem versöhnlichen Lachen seine gesunden weißen Zähne. »Sollte ja nur ein Witz sein.«

Knut entspannte sich. »Sie haben einen sonderbaren Humor.«

Hellmann strich sich mit der Hand durch sein dichtes braunes Haar.

»Jedenfalls hab’ ich einen!« erklärte er und fügte anzüglich hinzu: »Was man nicht von jedem in diesem Haus sagen kann.«

»Meinen Sie damit etwa mich?«

»Jeder zieht sich den Schuh an, der ihm paßt.«

»Sie sind reichlich unverschämt.«

»Und Sie reichlich empfindlich.«

Plötzlich lachte Hellmann auf. Es machte ihm immer wieder Spaß, den Kollegen zu reizen, aber dessen Gegenhiebe trafen ihn nie, sondern glitten an seiner sorglosen Selbstsicherheit ab. Deshalb konnte er auch nie wirklich böse sein, während Knut sich giftete.

»Weshalb streiten wir eigentlich? Das ist doch alles Unsinn. Natürlich würde ich mich freuen, wenn Sie mitkommen würden. Es ist doch immer besser, man kennt schon jemanden.«

»Ihr Ernst?«

»Aber ja doch. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen morgen den Prospekt mit.«

»Das wäre nett.«

»Sie sollten sich aber bald anmelden. Mehr als sechzehn Leutchen nehmen die nicht.«

»Ich muß erst noch meine Frau überzeugen.«

»Hoffentlich gelingt Ihnen das rasch« Hellmann wandte sich wieder seinem Computer zu und drückte wie spielerisch auf einige Tasten. »Übrigens, das vorhin mit dem Lottogewinn … es steckt doch ein bißchen Ernst dahinter.«

»Ich habe nicht gewonnen!« behauptete Knut hitzig.

»Das habe ich auch gar nicht im Ernst angenommen. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, … der Trip kostet einen Batzen Geld.«

»Ich habe einige Ersparnisse.«

»Tatsächlich? Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

»Weil ich mit Geld umgehen kann.«

»Hätte ich nie vermutet. Ich dachte immer, Sie wären knickerig, weil Sie nicht genug verdienen.«

»Immer noch mehr als Sie!«

»Ich verdiene ja auch viel zuwenig. Wenn ich nicht ein bißchen Vermögen hätte …« Er zuckte die Achseln. »Nicht auszudenken.«

Nach einer Weile fragte Knut: »Wieviel kostet der Trip …« – er übernahm den Ausdruck von Hellmann, weil er ihm gefiel und irgendwie weltmännisch erschien –»…nun tatsächlich?«

»Über sechstausend pro Nase. Mindestens einen Tausender für Extras müßten Sie noch dazulegen, wenn es hinkommt.«

»Hm, hm«, machte Knut nur.

»Kalte Füße bekommen?« fragte Hellmann mit einem belustigten Zwinkern seiner braunen Augen.

»Bringen Sie mir den Prospekt mal mit, ja?«

»Aber mit Vergnügen.«

Am Abend feierten Eva und Knut ein Fest zu zweit.

Sie hatten groß eingekauft: Wein, Champagner, Whisky, Roastbeef, gebratenes Hähnchen, Palmherzensalat, Pfirsichkompott und frische Brötchen. Sie war dafür eigens nach Düsseldorf gefahren, um nicht beobachtet zu werden.

Im Treppenhaus war sie Frau Klüser begegnet. »Sie schleppen sich aber ab!« hatte die alte Dame mit einem Blick auf Evas schwere Tasche gesagt.

Eva war sich ertappt vorgekommen. »Ich habe mir extra freigenommen, um mal richtig einzukaufen«, hatte sie geschwindelt.

Ihr Gesichtsausdruck hatte Frau Klüser stutzig gemacht. »Mir brauchen Sie doch nichts zu erklären.«

»Natürlich nicht. Man redet doch nur so.«

Von diesem Gespräch erzählte Eva nichts, denn sie wußte, Knut hätte sich gleich wieder Sorgen gemacht. Sie ärgerte sich auch über sich selber, weil sie sich hatte unsicher machen lassen. Es war schwerer, als sie gedacht hatte, ein heimlicher Millionär zu sein.

Statt dessen prahlte sie am Abend damit, wie gut sie mit dem Herrn von der Lottozentrale fertig geworden war.

»Ich hab’s ihm genau gesagt, wie du es gewollt hast! Niemand wird auf uns tippen, auch wenn es in die Zeitung kommt!«

»Bravo, Schätzchen!« Er nahm sie zärtlich in die Arme.

Später setzten sie sich, beide schon in Hausmänteln, an den festlich gedeckten Tisch – Eva hatte zur Feier des Tages sogar Kerzen angezündet – und begannen zu schmausen.

»Schmeckt wunderbar!« sagte Knut und spülte einen Bissen Hähnchen mit Weißwein hinunter – Chablis Grand Cru 1976, den Eva sich von einem beflissenen Verkäufer hatte empfehlen lassen.

»Stell dir nur vor, so was können wir jetzt alle Tage essen!«

»Das denn nun doch lieber nicht. Auf die Dauer ist mir deine gute Hausmannskost lieber, besonders wenn du Zeit hast, dich an den Herd zu stellen.«

»Ich finde so ein Tischlein-deck-dich, auf dem man alles nur noch garnieren muß, wunderbar!«

»Zur Abwechslung, ja!« Er kostete von den Palmherzen. »Übrigens … ich habe heute mit Hellmann gesprochen. Er bringt mir morgen die Prospekte mit. Vom Kilimandscharo-Trip.«

»Und wie hat er es aufgenommen?«

»Natürlich hat er versucht, mich zu verarschen. Wie es so seine Art ist. Aber der kann mich doch mal!«

»Du willst immer noch allen Ernstes mit diesem Typen zusammen verreisen?«

»Warum denn nicht?«

»Ich weiß nicht, Knut, ich habe so das Gefühl, du willst ihm etwas beweisen. Aber das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen. «

»Warum denn nicht?«

»Weil es Quatsch ist! Ihr seid doch keine kleinen Jungens mehr.«

»Du spinnst dir was zusammen. Ich will bloß rauf auf den Kilimandscharo, ob mit Hellmann oder ohne, das ist mir ganz schnurz.«

»Hoffentlich.«

»Wenn du erst den Prospekt liest, wirst du schon sehen, was mich daran so reizt.«

»Ich bin wahnsinnig gespannt.«

Sie aßen und tranken, redeten und schmiedeten Pläne.

»Du, ich habe mir was ausgerechnet!« sagte Eva. »Wenn wir von den zwei Millionen siebenhunderttausend erst mal zweihunderttausend ausgeben … für unsere Reise, für Anschaffungen und all so was …« Sie unterbrach sich. »Zweihunderttausend müßten doch genügen, um alle unsere Wünsche zu erfüllen?«

»Soviel brauchen wir gar nicht.«

»Aber gehen wir mal davon aus. Dann bleiben uns immer noch zwei Millionen fünfhunderttausend. Wenn wir die in festverzinslichen Wertpapieren zu zehn Prozent anlegen … da es soviel Geld ist und da wir es nicht auf die Schnelle unterbringen müssen, klappt das sicher. Dann bekämen wir im Jahr zweihundertfünfzigtausend Mark Zinsen. Ziehen wir Versicherungen und die Steuern davon ab, bleibt uns, über den Daumen gepeilt, immer noch die Hälfte, das sind doch so etwa zwölftausend Mark im Monat. Davon könnten wir in Saus in Braus leben und tun, was uns gefällt.«

Er hatte ihr mit gerunzelter Stirn zugehört. »Ich wußte gar nicht, daß du so ein Finanzgenie bist.«

»Ich hab’s einfach mal durchgerechnet. Nur so«, erklärte sie fast entschuldigend.

»Klingt gar nicht dumm!« gab er zu. »Aber was stellst du dir unter einem Leben in Saus und Braus vor?«

»Im Winter Ski fahren, im Sommer segeln und surfen, uns in der Welt herumtreiben und immer da bleiben, wo es uns gefällt. Vielleicht auch Tennis spielen lernen und golfen.«

»Ein sehr sportliches Programm.«

»Das ist mir nur gerade so als erstes eingefallen. Wir könnten genauso gut in Kultur machen, die Bayreuther Festspiele besuchen oder die Salzburger, mal eine Saison in Berlin oder London oder New York verbringen.«

»Dazu hättest du also Lust?«

»Ich stell’s mir herrlich vor, ganz ungebunden zu sein.«

»Aber das ergibt doch keinen Sinn.«

»Natürlich tut es das. Einfach so zu leben, wie es einem Spaß macht, stell’ ich mir herrlich vor.«

»Ich glaube, daß uns das schon bald zum Hals heraushängen würde.«

»Riskieren wir’s doch einfach! Lassen wir es drauf ankommen! Wenn es uns langweilig wird, können wir ja was anderes anfangen. Wir können dann immer noch das Kapital angreifen.«

»Sei mir nicht böse, Evchen«, sagte er, »aber ein Leben als Frührentner reizt mich nicht besonders.«

»Frührentner!« wiederholte sie. »Was für ein Ausdruck! Klingt ja bescheuert!«