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In seinem Essay "Politics and the English Language" beklagt George Orwell die Verflachung und Verkommenheit der politischen Sprache in England. Er argumentiert, dass politische Schreibweisen dazu neigen, komplexe Ideen und Gedanken in einfache, leere Floskeln und Phrasen zu verwandeln. Dies führt nicht nur zu einer Verminderung der kritischen Denkfähigkeit, sondern auch zu einem Verlust der sprachlichen Vielseitigkeit und Klarheit. Orwell plädiert daher für eine Rückbesinnung auf die Grundlagen der klaren und präzisen Sprache, die es ermöglicht, komplexe Ideen und Gedanken auszudrücken und zu diskutieren. Nur so kann politische Sprache ihren Zweck erfüllen und die Öffentlichkeit informieren und beteiligen.
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Seitenzahl: 53
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POLITIK UND DIE ENGLISCHE SPRACHE
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POLITICS AND THE ENGLISH LANGUAGE
(Deutsche Übersetzung - Englisches Original)
by George Orwell (1946)
Übersetzung Heike Wolf (2022)
Copyright© Aureon Verlag GmbH
POLITIK UND DIE ENGLISCHE SPRACHE
POLITICS AND THE ENGLISH LANGUAGE
Die meisten Menschen, die sich überhaupt mit dem Gegenstand befassen, würden zugeben, dass sich die englische Sprache in einem schlechten Zustand befindet, aber man geht allgemein davon aus, dass wir durch bewusste Handlungen nichts dagegen tun können. Unsere Zivilisation ist dekadent und unsere Sprache – so wird behauptet – wird unausweichlich ebenfalls ein Opfer des allgemeinen Kollapses. Daraus folgt, dass jeder Kampf gegen den Missbrauch von Sprache ein sentimentaler Archaismus ist, wie das Bevorzugen von Kerzen gegenüber elektrischem Licht oder Droschken gegenüber Flugzeugen. Dem liegt der halb bewusste Glaube zugrunde, dass Sprache ein natürliches Gewächs ist und nicht das Instrument, das wir für unsere eigenen Zwecke formen.
Nun, es ist offensichtlich, dass der Verfall einer Sprache letztlich politische und wirtschaftliche Gründe haben muss: er liegt nicht einfach nur am schlechten Einfluss dieses oder jenes einzelnen Autors. Aber eine Wirkung kann zu einer Ursache werden, welche die eigentliche Ursache verstärkt und dieselbe Wirkung in intensivierter Form hervorruft, und das kann sich endlos so fortsetzen. Ein Mann beginnt vielleicht zu trinken, weil er sich als Versager fühlt, und versagt dann noch vollständiger, weil er trinkt. Das ist in etwa dasselbe, das der englischen Sprache passiert. Sie wird hässlicher und ungenauer, weil unsere Gedanken töricht sind, aber die Schlampigkeit unserer Sprache macht es uns einfacher, törichte Gedanken hervorzubringen. Der Punkt ist, dass der Prozess umkehrbar ist. Modernes Englisch, insbesondere geschriebenes Englisch, ist voller schlechter Angewohnheiten, die sich durch Imitation ausbreiten und vermieden werden können, wenn man bereit ist, sich die notwendige Mühe zu machen. Wenn man diese Angewohnheiten loswird, kann man klarer denken und klarer zu denken ist ein notwendiger erster Schritt in Richtung der politischen Regeneration: somit ist der Kampf gegen schlechtes Englisch nicht albern und nicht ausschließlich die Aufgabe von Berufsautoren. Ich werde darauf in Kürze zurückkommen und hoffe, dass bis dahin die Bedeutung dessen, was ich hier gesagt habe, klarer geworden ist. In der Zwischenzeit stelle ich Ihnen fünf Beispiele vor, wie die englische Sprache momentan gewohnheitsmäßig geschrieben wird.
Diese fünf Passagen wurden nicht ausgewählt, weil sie besonders schlecht wären – ich hätte wesentlich schlechtere zitieren können, wenn ich gewollt hätte – sondern weil sie mehrere jener geistigen Laster veranschaulichen, unter denen wir derzeit leiden. Sie sind ein wenig unterdurchschnittlich, aber als Beispiele ziemlich repräsentativ. Ich nummeriere sie, damit ich mich auf sie beziehen kann, falls nötig.
1. Ich bin tatsächlich nicht sicher, ob es nicht zutreffend ist zu sagen, dass der Milton, der einst einem Shelley des siebzehnten Jahrhunderts nicht unähnlich erschien, sich nicht, aufgrund einer in jedem Jahr bitterer werdenden Erfahrung, dem Gründer jener Jesuitensekte mehr entfremdet hatte, den er um nichts in der Welt tolerieren konnte.
Professor Harold Laski (Essay in Freedom of Expression)
2. Vor allem können wir nicht eine Batterie einheimischer Idiome verschwenden, die eine ungeheuerliche Zusammenstellung an Vokabeln vorschreiben, wie das „sich mit etwas abfinden“ für „tolerieren“ oder „in Konfusion bringen“ für „verwirren“.
Professor Lancelot Hogben (Interglossia)
3. Einerseits haben wir die freie Persönlichkeit: sie ist per definitionem nicht neurotisch, denn sie hat weder Konflikte noch Träume. Ihre Wünsche, soweit vorhanden, sind durchschaubar, denn sie entsprechen einfach dem, was institutionell anerkannt und deshalb in ihrem Bewusstsein präsent ist; ein anderes institutionelles Muster würde ihre Zahl und Intensität ändern, ihnen wohnt wenig inne, das natürlich, nicht reduzierbar oder kulturell gefährlich ist. Andererseits aber ist diese soziale Verbindung selbst nichts als die gegenseitige Reflektion dieser sich selbst schützenden Integritäten. Rufen Sie sich die Definition von Liebe in Erinnerung. Ist es nicht genau das Abbild eines Kleingeistes? Wo findet sich in dieser Spiegelhalle ein Platz für Persönlichkeit oder Fraternität?
Essay über Psychologie in der Politik (New York)
4. All die ‘guten Leute’ aus den Gentlemen’s Clubs und all die rasenden faschistischen Führer, vereint in ihrem gemeinsamen Hass gegen den Sozialismus und animalischer Panik angesichts der steigenden Flut der revolutionären Massenbewegung, haben sich provokativen Handlungen zugewandt, widerlicher Aufwiegelung, mittelalterlichen Mythen aus vergifteten Brunnen, um ihre eigene Zerstörung proletarischer Organisationen zu legalisieren und in der aufgewühlten Bourgeoisie chauvinistischen Eifer für den Kampf gegen den revolutionären Weg aus der Krise wachzurufen.
Kommunistisches Flugblatt
5. Wenn diesem alten Land ein neuer Geist eingeflößt werden soll, gibt es eine dornige und umstrittene Reform, die angegangen werden muss, und zwar die Vermenschlichung und Galvanisierung der BBC. Zaghaftigkeit in dieser Hinsicht wird Geschwüre und Verkümmerung der Seele verraten. Das Herz Englands mag zwar gesund und stark schlagen, aber das Gebrüll des britischen Löwen ist gegenwärtig wie bei Bottom aus dem Sommernachtstraum – so sanft wie ein Taubenküken. Ein lebensstrotzendes neues England kann sich nicht weiter vor den Augen oder eher Ohren der Welt durch die verweichlichte Trägheit von Langham Place verleumden lassen, welche sich schamlos als ‚Standardenglisch‘ maskiert. Wenn die Stimme Englands um neun Uhr gehört wird, ist es wesentlich besser und unendlich weniger lächerlich, wenn man hört, wie die Hs authentisch verschluckt werden, als das gegenwärtige hochnäsige, aufgeblasene, verklemmte, lehrerinnenhafte schelmische Blöken unbescholtener, schamhaft kreischiger Jungfern!
Leserbrief in der Tribune
Jede diese Passagen hat ihre eigenen Fehler, aber abgesehen von vermeidbarer Hässlichkeit haben sie alle zwei Eigenschaften gemeinsam. Die erste ist Abgestandenheit der Metaphorik, die zweite Mangel an Präzision. Der Autor hat entweder eine Botschaft und kann sie nicht ausdrücken, oder er sagt unabsichtlich etwas anders oder es ist ihm fast egal, ob seine Worte etwas aussagen oder nicht. Diese Mischung aus Vagheit und reiner Inkompetenz ist die ausgeprägteste Eigenschaft moderner englischer Prosa, insbesondere bei jeder Art von politischem Text. Sobald bestimmte Themen aufkommen, schmilzt das Konkrete in das Abstrakte und niemand scheint in der Lage zu sein, sich Redewendungen einfallen zu lassen, die nicht abgedroschen sind: Prosa besteht immer weniger aus Worten, die wegen ihrer Bedeutung gewählt wurden, und immer mehr aus Sätzen, die wie Teile eines vorfabrizierten Hühnerstalls zusammengesteckt werden. Unten liste ich mit Anmerkungen und Beispielen verschiedene Kniffe auf, mit denen die Arbeit der Prosaerstellung regelmäßig unterlaufen wird.