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Trotz Sprachbarriere und gemeiner Witze ziehen jedes Jahr Tausende deutsch-polnische Paare vor den Traualtar. Schon bei der Hochzeit gehen die Probleme los. Wie soll man das zweite Wodkaglas ablehnen, ohne die polnische Seite zu brüskieren? Warum sagt einem niemand, dass man als Bonusmaterial die Mama der Braut mitgeheiratet hat? Dennoch sind deutsch-polnische Ehen haltbarer als deutsch-deutsche. Sind die kulturellen Unterschiede etwa kleiner als befürchtet? Wahl-Pole und »Paartherapeut« Steffen Möller liefert die Antworten – auch für Singles, die noch nie jenseits der Oder waren – und präsentiert einen Glücksratgeber für Paare und solche, die es werden wollen. Er kennt kreative Kosenamen (»Okkupant«), erörtert typische Konflikte (Mittagessenszeit!) und weiß, weshalb ein polnischer Schwiegervater fünf deutsche Handwerker aufwiegt. Und verrät, wie man einer polnischen Partnerin beweist, dass man ein echter Romantiker ist!
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Das Buch, das Sie hier in Händen halten, hieß in der ursprünglichen Ausgabe »Weronika, dein Mann ist da!«. Jetzt liegt es, mit kleinen Aktualisierungen, in einer Taschenbuchausgabe vor. Wer aber ist Weronika? Ist es vielleicht die Frau, deretwegen ich vor mehr als zwanzig Jahren nach Polen ging? Unzählige Male wurde ich ja schon gefragt, ob eine Frau dahintersteckte. Für viele, egal ob Deutsche oder Polen, scheint ein anderes Motiv fast gar nicht vorstellbar zu sein.
Doch meine Antwort lautete immer und ehrlich: Nein, es gab keine Frau; ich fuhr damals wirklich nur aus purer Neugier zu diesem Sprachkurs nach Krakau. Die erste polnische Frau, der ich persönlich begegnet bin, war meine Lehrerin Beata, und wie toll sie war, sieht man daran, dass ich extra für sie ein kleines Kindergedicht auswendig gelernt habe. Aber erst viele Jahre später sahen wir uns wieder und machten eine Fahrradtour, zusammen mit ihrer heutigen Partnerin.
War Weronika dann vielleicht die zweite Polin, die ich kennenlernte? Nein, auch die hieß nicht Weronika, sondern Magda, kam aus Warschau, studierte Mongolistik, wollte zu einem Stipendium nach Ulan-Bator, irrte sich aber, wie sie sagte, in der Himmelsrichtung, und landete plötzlich in Berlin. Sie hatte am Schwarzen Brett der Humboldt-Uni eine Anzeige aufgehängt, dass sie Polnischunterricht gebe, und ich rief sie an, weil ich gerade aus Krakau zurückgekommen war und diese atemberaubende Sprache weiterlernen wollte. Dank Magdas Privatunterricht schaffte ich es tatsächlich, mir die zwölf polnischen Monatsnamen zu merken, ein Vierteljahr dauerte das. Einmal war ihre Mutter zu Besuch und bot mir ein Stück warmen Kuchen an – da fühlte ich mich schon fast verheiratet. Doch dann kam Magdas gutaussehender Freund Marcin nach Berlin und steckte während unserer Unterrichtsstunde mehrmals seinen verstrubbelten Kopf durch die Tür – da war ich wieder solo. Erst vor Kurzem habe ich Magda wiedergesehen, zusammen mit ihrer jüngsten Tochter.
Bis heute habe ich es weder zum staatlich noch zum kirchlich abgesegneten Schwiegersohn gebracht; es gelang mir lediglich, einige Jahre mit einer Warschauerin zusammenzuleben, die für kurze Zeit meine Deutschstudentin war. Die romantischen Einzelheiten dieser Beziehung habe ich bereits in einem früheren Buch ausgebreitet.[1] Doch auch diese Frau hieß nicht Weronika, und da das Buch kein allzu großes Publikumsinteresse hervorrief, zog ich daraus den Schluss, mein Privatleben in Zukunft nicht mehr so hemmungslos auszuschlachten. Lieber erzähle ich die Liebesgeschichten anderer Leute! So bleiben der Welt auch die Details meiner zweiten langjährigen Beziehung mit einer polnischen Staatsbürgerin erspart, die aus dem Umland Warschaus kam (wo man für »Geschirr spülen« nicht das hochpolnische »spłukać« benutzt, sondern das regionale »potoknąć«!).
Ist es ein großer Verlust, wenn ich nicht als Betroffener, sondern meist lieber als Paartherapeut auftrete? Ich denke nicht – von einem Therapeuten will man ja auch nicht unbedingt mit seinem Privatkram belästigt werden. Wo kämen wir hin, wenn der Therapeut seinen Patienten erst mal die eigenen Trennungsgeschichten vorheulen würde? Und so konzentriere ich mich darauf, andere Leute zu Wort kommen zu lassen und höchstens dann und wann einen klugen Kommentar einzuwerfen.
Wer ist nun aber Weronika, die Titelheldin dieses Buches in der Erstausgabe? Die Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Doch es muss eine tolle Frau sein. Vor einiger Zeit spazierte ich durch die Berliner Ackerstraße. An der Ecke Torstraße sah ich einen Zettel, der mit schwarzen Klebestreifen an einer Fußgängerampel angeklebt war.
!Weronika!
Wir hatten an einem Freitag/Samstag das Vergnügen, uns an Bord der MS Hoppetosse über den Weg zu laufen. Im Unterdeck hat es mir großen Spaß gemacht, gemeinsam zu blödeln und hier und da ein paar Sätze Polnisch zu lernen …dann hab ich dir aus Anerkennung eine Pokémon-Karte geschenkt. Es war leider nur eine Psycho-Energiekarte, also nichts, womit du Eindruck schinden kannst. Ich habe dich dann bedauerlicherweise während des Tanzens aus den Augen verloren; jedenfalls würde ich mich sehr freuen, dich wiederzusehen. Und keine Sorge, ich bin auch entschleunigt und bei Tageslicht noch ganz in Ordnung. Wenn du möchtest, kannst du dich melden, unter Tel. 0176-xxxxxxxx
Noch einen schönen Tag!
Tobi
Die MS Hoppetosse ist keins der flach gedrückten Berliner Ausflugsboote, die unter jeder Spreebrücke durchpassen, sondern ein chilliges Partyschiff, das permanent vor Anker liegt und drei Decks mit elektronischer Musik beherbergt. Ich war noch nie da, kann mir die Atmosphäre aber dank Tobis Stilkunst in allen Einzelheiten ausmalen. Er scheint wirklich ein entschleunigter Typ zu sein, dazu noch romantisch und sogar spendabel (die Pokémonkarte). Ich an Weronikas Stelle würde mich sofort bei ihm melden! Doch leider sagt mir eine innere Stimme, dass Weronika seine Suchanzeige nie entdeckt hat, weil sie nur kurz in Berlin war. Falls jemand sie aus Polen kennt – sie soll sich bitte umgehend bei mir melden, ich gebe ihr dann Tobis Telefonnummer. Als Gegenleistung müsste sie mir lediglich verraten, welche polnischen Sätze sie Tobi da im Morgengrauen beigebracht hat. Die Psycho-Energiekarte kann sie dagegen gerne behalten, davon habe ich selbst genug.
Das Partyschiff MS Hoppetosse in Berlin, auf dem Tobi von Weronika seine erste Polnischlektion erhielt
Cover & Impressum
Prolog
I. Teil
Clash der Klischees
1Auf Schmusekurs
Vorurteil über Bord!
Das harte Los der Ehemänner
Faktenhunger
2Vom Charme der Klischees
Deutsche Klischees
Polnische Vorurteile
Die 10 Gebote einer polnischen Ehefrau (nach Peter)
Die untote Wanda
Der lange Schatten des Krieges
Konfrontation mit der Vergangenheit
Ein Nazi im Haushalt?
Das Erfolgsgeheimnis des Kartoffelbauers
Vorurteile helfen im Alltag
3Flirt, Romantik, Erotik
Flirten in Deutschland
Flirten in Polen
Flirt ohne Romantik?
Polnische Ritter
Gibt es deutsche Ritter?
Drama-Queen
Sogar der Klempner ist romantischer …
Romantik nach zwanzig Jahren
Geschenke
4Kennenlernen
Dating mit Hindernissen
Berliner Liebe
Kneipenzufall
Straßenbahnzufall
5Kosenamen
Indiz für Intimität?
Polnische Namensverkleinerungen
Polnische Kosenamen
30 polnische Mädchennamen und ihre Verkleinerungen
30 polnische Jungennamen und ihre Verkleinerungen
Die zehn häufigsten deutschen Kosenamen
Die zehn häufigsten polnischen Kosenamen (alle im 7. Fall)
Private, sehr individuelle Kosenamen deutsch-polnischer Paare
6Warum polnische Frauen und deutsche Männer?
Eine große Theorie muss her
1. Theorie: Wirtschaftliche Absicherung
2. Theorie: Polnische Männer genügen den Ansprüchen der Polinnen nicht
3. Theorie: Polnische Frauen und deutsche Männer sind hübscher
4. Theorie: Deutsche Frauen sind den polnischen Männern zu emanzipiert
5. Theorie: Frauen suchen sich Männer mit Prestige
7Hochzeit
Der magische Sog in Richtung Traualtar
Der Antrag
Standesamtliche Trauung
Terminsuche
Einladungen
Vorehelicher Unterricht
Kleidung
Eine deutsche Hochzeit
Parkplatz, Fotograf und DJ
Kirchliche Trauung
Im Restaurant
Hochzeitsmenü
Tanzen
Bawić się
Wodka
Survival-Tipp
Spiele
Brautstraußwerfen
Hochzeitstorte
Verbesserungstermin
Die DVD
8Statistik deutsch-polnischer Ehen
Genaues Ergebnis unbekannt
Die im Dunkeln sieht man nicht
II. Teil
Klassische Clashes
1Kulinarisches
K-K-K
Essenszeiten
Polnisches Fast Food
Nalewka und Bimber
2Familie
Familienzusammenhalt
Mama statt Mutter
Mit der Mama durch den Tag
Deutsche Schwiegereltern
Polnische Schwiegereltern
Ein polnischer Schwiegervater wiegt fünf deutsche Handwerker auf
3Gastfreundschaft
Der Standardhorror
Tipps für den totalen Gastgeber
Gastfreundschaft oder Sklaverei?
4Sprache
Deutsche Ignoranz
Ausnahmedeutsche
Polen lernen Deutsch
Wären da nicht der, die, das
Deutsche Verben zerhacken und betonen
Korrigieren oder nicht korrigieren
Therapeutische Vorteile der Zweisprachigkeit
Lebenslange Perfektionierung
5Religion
Deutsche in polnischen Kirchen
Religion im Alltag
Katholisch-atheistische Paare
Religionsvergleich
6Ausnahmepaare
Mehr als gefühlt
Wahl des Nachnamens
Akzeptanz bei Eltern und Schwiegereltern
Unterschiede zu den »normalen« Paaren
Haushaltskasse
Weihnachten
7Politik
Kurswechsel der polnischen Politik
Chinesische Kampffilme
Einfluss der Medien
8Gesundheit
Andere Gesundheitssysteme
Kein Vertrauen zu niemandem
Horror vor Kälte
Halbgötter in Krawatte
Nahrungsergänzungsmittel
9Fußball
Ein deutsch-polnisches Match
Zu wem man halten sollte
Zehn Illusionen bezüglich polnischer Ehefrauen (von Peter 1)
10Weihnachten
Natürlich in Polen
Reisevorbereitungen
Vorglühen
Heiligabend
The days after
Tipps für die Feiertage in Polen (von Patrycja)
Tipp gegen den Weihnachts-Blues: Ab in den Baumarkt
Rückfahrt
11Gleichgeschlechtliche Paare
Soll man überhaupt darüber reden?
Wiedersehen mit Rosenkohl
Eine Liebe in Heidelberg
III. Teil
Trash-Clashes
1Im klischeefreien Raum
Wie kahle Pferde
Geschirrschaum
Zu unhöfliche Mails
Verheiratet mit einem Österreicher
Polnisches Multitasking
Deutsche Ungeselligkeit
Müll und Fenster
Mangelnde Fahrpraxis
Polnische Nationalisten
Fernsehen
2Pedanten und Chaoten
Deutsche Pedanten
Polnische Chaoten
3Asertywność
Deutsche können besser Nein sagen
Die strenge Buchhändlerin
Auch eine Studentin darf eine Meinung haben
Gib der Polin immer recht!
4Verhältnis zu Nachbarn
Mittagsruhe
Die Ballade von Pawel und Gawel
5Deutsche Gleichberechtigung
Deutsche Männer werden bald nicht mehr benötigt
6Geiz und Finanzen
Geizig oder sparsam?
Sind die Polinnen verschwenderisch?
7Spontaneität versus Planung
Deutsche Rationalität
Ehefrau zerstört Verhandlungsstrategie
Deutsche Hyperplanung
Polnische Antiplanung
8Kommunikation
9Kaufen oder Mieten
10Angleichung – Germanisierung
Können Kulturen sich verändern?
Essen und Trinken
Germanisierung
Reif fürs Jobcenter
Noch polnisch
Woran sich Polen in Deutschland erkennen
11Angleichung – Polonisierung
Blutwurst
Kleidungsstil
Kirchgang
Denken an den Tod
Gelassenheit
Improvisieren
Probieren geht über Studieren
Osterbräuche
Bei offenem Fenster schlafen und abends duschen
Noch deutsch
12Kinder
Namenswahl
Langform oder Kurzform
Liste identischer Namen
Schwanger
Polnische Ängste
Schule
Benjamins Kampf um sein Kind
Paulinas Kampf um ihr Kind
Märchen über deutsche Jugendämter
Zweisprachige Kinder
Fragen an eine Linguistin
Deutsch Papier, polnisch Herz
Chance auf eine zweite Kindheit
Zehn deutsche Kinderbuch-Klassiker und ihre polnischen Übersetzungstitel
Zehn polnische Kinderbuch-Klassiker und ihre deutschen Übersetzungstitel
IV. Teil
Happy Clash
1Woran Paare scheitern
Statistisches Scheidungsrisiko
Weiche Faktoren und harte Fakten
Zwei Trennungsgeschichten
Trennungsgründe
Drei Tipps für kriselnde Paare
1. Denk an all die anderen Idioten
2. Man suche sich einen gemeinsamen Feind
3. Verliebe dich in das Land deines Partners
2Unerwartete Ähnlichkeiten
Zwei Extrem-Sprichwörter
Gleich und gleich
Deutsch-polnische Ähnlichkeiten
Geografie
Küche
Schrebergärten
Geschichte
Sprache
Gegensätze ziehen sich an
3Let the Glück speak!
Superwoman und Nice Guy
Die Ergänzungsliste
Australien liegt zwischen Poznań und Dresden
Epilog
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Weronikas und Tobis Geschichte hat mich umgehauen. Sie zeigt, wie unbeschwert und romantisch deutsch-polnische Flirts heute ablaufen können. Das ist ja meilenweit entfernt vom uralten Bauer-sucht-Frau-Klischee, das vielerorts noch durch die Köpfe spukt!
Doch Klischees sind zäh, und nach wie vor gilt, dass die Deutschen über kein anderes Land so fiese Witzchen erzählen wie über Polen. Auch die Polen ersparen den Deutschen kaum eine deftige Pointe. Und trotzdem gibt es Hunderttausende deutsch-polnischer Ehen und Partnerschaften.[2] Polnische Frauen waren lange Zeit die beliebtesten ausländischen Ehepartnerinnen deutscher Männer und wurden erst vor wenigen Jahren von Türkinnen auf Platz zwei verdrängt.
Was zieht gewisse Menschen hüben und drüben so stark zueinander hin, dass sie alle Vorurteile über Bord werfen und sich nicht einmal von der politischen Konjunktur abschrecken lassen, die derzeit schlecht ist? Und wie viele dieser Ehen und Partnerschaften scheitern? Ach ja – und warum sind es weit mehr Verbindungen polnischer Frauen mit deutschen Männern als deutscher Frauen mit polnischen Männern?
Das sind komplizierte Fragen, und deshalb möchte ich doch wenigstens kurz erklären, mit welcher Methode ich mich, trotz Ermangelung eines Doktortitels und ohne eigenen Think Tank, an sie herantasten will.
Zum einen kann ich, wie gesagt, auf die Erfahrungen aus zwei langjährigen Beziehungen mit polnischen Frauen zurückgreifen.
Zum anderen hatte ich zeitgleich noch drei andere Ehefrauen, nämlich während meiner fünfjährigen TV-Karriere als Kartoffelbauer Stefan Müller. In der polnischen Fernsehserie »M jak Miłość« (L wie Liebe), die bis zum heutigen Tag läuft, war ich zwar alles andere als ein Frauenversteher, eher ein schwer gehemmter Pechvogel, doch irgendwie gelang es meinem Alter Ego, sich trotz hartem deutschem Akzent in die Herzen von gleich drei TV-Dorfbewohnerinnen (hintereinander) zu daddeln. Ja, es kam so weit, dass der arme Stefan Müller die höchsten Beliebtheitswerte von allen Schauspielern der Serie erzielte und reale Schwiegermütter mir bunte Bonbonkartons, beklebte Streichholzschachteln und Fotos ihrer ledigen Töchter schickten. Von diesen strahlenden Erfolgen werde ich, im Unterschied zu meinem uninteressanten Privatleben, gerne und ausführlich berichten. Waren die Erfolge ausschließlich auf mein überragendes Schauspieltalent zurückzuführen? Nein, sie hatten wohl auch ein bisschen mit den Tricks der Drehbuchautoren zu tun. Diese trieben ein im positiven Sinn abgekartetes Spiel mit den Klischees, die sich in Polen um Deutsche ranken. Hier verbirgt sich eine kluge Strategie, der ich selbst erst ganz allmählich auf die Spur gekommen bin.
2006 brachte ich in Polen ein Buch heraus, das sich um die Kulturschocks eines Deutschen in Polen drehte. Anderthalb Jahre später erschien die deutsche Ausgabe unter dem Titel »Viva Polonia« und verkaufte sich wesentlich besser als die polnische. Woran lag das? Ich wusste es nicht, nahm aber gerne die zahlreichen Einladungen an, die aus Deutschland eintrudelten. Nach vierzehn Jahren polnischer Emigration kehrte ich teilzeitmäßig ins Vaterland zurück und mietete mir sogar eine kleine Wohnung in Berlin, um all die Auftritte zwischen Kiel und Memmingen zu bewältigen. Und irgendwann entdeckte ich die Ursachen für den Verkaufserfolg: Deutschland wimmelte von deutsch-polnischen Paaren, die nach Ratschlägen bezüglich gegenseitiger Kulturschocks suchten! Sie hatten sich während eines Erasmus-Stipendiums, auf einem digitalen Partnerportal oder auch einfach bei C & A in Sindelfingen kennengelernt und saßen nun vor mir, Hand in Hand oder auch mit verschränkten Armen. Häufig kamen sie nach den Veranstaltungen zu mir, um sich ihr Buchexemplar signieren zu lassen. Manchmal passierte es allerdings auch, dass nur eine Polin erschien, während ihr deutscher Gefährte sich fünf, sechs Meter abseits hielt. Warum mied er mich? Regelrecht peinlich wurde die Sache, wenn seine Frau zu ihm hinüberrief: »Uwek, kannst du mal kommen und ein Foto von uns machen?« So mancher Uwe grummelte dann »kein Speicherplatz mehr« und verließ das Theater. Eines Tages begriff ich endlich, was da los war. Ein gewisser Axel, seit Jahren mit einer Polin verheiratet, schrieb mir:
»Das erste Mal habe ich Sie im polnischen Fernsehen so um 2002 gesehen. Mit weitreichenden Folgen, wie zum Beispiel der gefühlten Herabsetzung meiner Person in den Augen meiner Schwiegermutter um 75 Prozent (weil Sie so gut Polnisch sprachen und ich nicht ganz so gut). Ich war so down, dass ich mich mit der Frage zu beschäftigen begann: Braucht man fürs kanadische Nord-West-Territorium ein Einreisevisum?«
Ach so, jetzt wurde mir einiges klarer. Deswegen an dieser Stelle eine herzliche Entschuldigung an alle Ehemänner, denen ich als Vorbild vorgehalten wurde! Es handelt sich durchweg um sympathische, gutaussehende Landsleute, die vor ihrer Eheschließung mit einer Polin schlichtweg nicht wussten, worauf sie sich einlassen. Seither müssen sie Polnisch lernen und ihre Gattin zweimal pro Jahr nach Polen begleiten, an Weihnachten und Ostern. Dort sitzen sie dann, mit einer schweren Kette an den Küchentisch gefesselt, und verstehen kein Wort, wenn die Schwiegermutter alle dreißig Minuten fragt: »No co, kochanie, jesteś jeszcze głodny?« Sie nicken nur höflich – und bekommen prompt die sechste Kelle Bigos auf den Teller geklatscht. Drei Tage lang geht das so, jeder Tag bedeutet ein zusätzliches Kilo auf der Waage. Und wehe, sie versuchen irgendwelche Tricks: »Äh, sorry, ich muss mal kurz eine rauchen.« Sofort sagt die Schwiegermutter in scharfem Ton zu ihrer Tochter: »Was ist denn mit deinem Mann los? Seit wann raucht der denn? Mag er uns nicht? Hat er was gegen Polen?« Die Tochter übersetzt es ihrem Mann – und der sinkt seufzend wieder hinter den Tisch zurück. Schon der Opa war ja damals in Polen, und da möchte der Enkel wirklich nicht noch einmal Ärger machen!
Doch nicht nur langjährige Ehemänner schrieben mir, sondern auch solche, die es erst noch werden wollen. Ein anonymes Beispiel:
»Hallo, zunächst zu meiner Person: Ich komme aus Saarbrücken, bin 42 Jahre alt, und mit Polen verbindet mich rein gar nichts. Ich bin in Göttingen zufällig in Ihre Show gestolpert, weil ich im Hotel neben dem Theater übernachtet habe. Ich war beeindruckt von den Fotos Ihrer drei TV-Ehefrauen. Wo lerne ich solche Frauen kennen? Eine würde mir schon genügen.«
Komischerweise brachten mich solche Anfragen aber noch nicht auf die Idee, ein Buch über die Liebe zwischen Deutschen und Polen zu machen. Stattdessen schrieb ich zunächst einige andere Bücher, zuletzt über meine Warschauer Wahlheimat. Erst als ich eine überraschende Mail meiner alten Freundin Kasia erhielt, dämmerte mir langsam, dass da irgendwo in der Welt eine riesige Marktlücke klaffte. Kasia teilte mir mit, dass sie inzwischen einen Deutschen geheiratet habe, von Warschau nach München gezogen sei und dort ein Internet-Partnerportal betreibe. Als ich sie nach interessanten Fällen fragte, schlug sie mir kurzerhand vor, ein Treffen mit einigen polnischen Freundinnen zu organisieren, die mit deutschen Männern liiert sind. Ich stimmte begeistert zu, und einige Zeit später fand dieses Treffen in einer Münchner Kneipe statt, die natürlich auch einer Polin gehörte. Es erschienen mehr als vierzig Frauen. Ich war der einzige Mann im Saal, abgesehen vom deutschen Ehemann der Wirtin, der mir gelegentlich aus der Küche zuwinkte. Die Diskussion war umwerfend offen, kein Thema wurde ausgespart, das Protokoll umfasst acht Seiten, und ich werde im weiteren Verlauf des Buches immer wieder daraus zitieren.
Vier Wochen später kam es, wiederum dank Kasia, zum umgekehrten Treffen. Diesmal erschienen zwar nur acht deutsche Ehemänner polnischer Frauen, aber das Protokoll des Treffens wurde sogar noch länger. Die Herren erwiesen sich als mindestens genauso mitteilungsbedürftig wie ihre Partnerinnen, sodass ich nach vier Stunden erschöpft abbrechen musste und den Vorschlag machte, eine Münchner Selbsthilfegruppe zu gründen. Ob sie wirklich ins Leben gerufen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Falls weitere Ortsgruppen in Planung sind, komme ich gerne zur Gründungsversammlung.
Am Ende eines langen Diskussionsabends – 42 Polinnen und ich(im Bild sind 35 von ihnen zu sehen)
Am Ende eines noch längeren Diskussionsabends – acht deutsche Ehemänner und ich
Nun hätte eigentlich die Arbeit beginnen können. Ich besaß bereits ziemlich viel Material. Doch in einem Anfall von empirischem Faktenhunger postete ich noch eine Umfrage auf meiner Facebook-Seite. Sie enthielt fünf Fragen, in denen ich deutsche und polnische Partner um ihre Erfahrungen bat. Das Echo war überwältigend. Es hagelte Antworten. Zunächst waren sie noch in einem äußerst handzahmen Stil gehalten, geradezu streberhaft brav. Da konnte man um ein Haar den Eindruck gewinnen, dass alle deutsch-polnischen Partnerschaften in Glückshormonen baden und von magischer Liebe erfüllt unaufhaltsam auf die Goldene Hochzeit zusteuern. Doch ich hatte keineswegs vor, eine reine Wohlfühlbroschüre zu verfassen. Deshalb postete ich auf Facebook gleich noch eine Mahnung: Man solle mir bitte schön kritischere Berichte schicken, denn das Publikum lese nun mal lieber über Hass, Mord und Drama.
Von nun an wurden die Zuschriften interessanter. Einige streiften die Tragödie. Bei der Lektüre musste ich manches Mal heftig schlucken. Manchmal wurde nicht nur der Partner, sondern gleich auch in einem großen Aufwasch die gesamte deutsche oder gesamte polnische Kultur in die Pfanne gehauen. Das ist psychologisch leicht zu erklären. Alle Verlassenen und Verschmähten dieser Welt neigen dazu, nach einem Schuldigen für ihr Pech zu suchen. Nach einer gescheiterten Beziehung können sie meist keinen Sündenbock finden, außer dem Ex-Partner selbst. Doch bei binationalen Partnerschaften liegt die Sache anders. Man kann eine ganze Kultur, ein ganzes Land haftbar machen, Millionen von Menschen in einen Topf werfen – und darunter dann eine sehr heiße Flamme anzünden, die Flamme der Rache. Mancher und manche wird regelrecht zum Hass-Koch.
Auch im eigenen Bekanntenkreis machte ich mich auf die Suche, klopfte an die tränenbeschlagenen Fensterscheiben von Verletzten und Enttäuschten. Ich führte Interviews mit ihnen und protokollierte ihren Frust. Fast allen Unglücklichen musste ich versprechen, strikte Anonymität zu wahren, doch auch manch Glücklicher bat um Namensänderung. Ich sah darin kein Problem, ging es mir doch nicht um journalistische Authentizität. Wichtig war mir allerdings, deutsche und polnische Stimmen möglichst gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Ideal wäre, wenn am Ende des Buchs beide Seiten genau gleich sauer auf mich sind! ☺
Mehr als die Hälfte der im Folgenden zitierten Personen treten unter verändertem Namen auf, einige bestanden aber ausdrücklich auf ihrem Echtnamen. Der besseren Übersichtlichkeit halber sind alle Personen, die zum ersten Mal erwähnt werden, fett gedruckt. Nachnamen habe ich grundsätzlich weggelassen.
Allen meinen Gesprächs- und Korrespondenzpartnern möchte ich herzlich danken – vor allem auch denjenigen, deren Berichte ich aus Platzgründen diesmal leider nicht zitieren konnte. Es ist auf jeden Fall genug Material für einen Fortsetzungsband da …
Nicht alle Menschen sind so gechillt und entschleunigt wie Tobi und Weronika. Sehr häufig stehen zu Beginn einer deutsch-polnischen Liebe immer noch allerlei Vorurteile und Klischees, und zwar in beiden Ländern. Schwer zu sagen, wer da eigentlich die schlimmeren hegt.
Beginnen wir mit den Deutschen.
Eine Zeit lang wollte ich dieses Buch einfach »Meine Frau ist Polin« nennen. Der Titel gefiel mir, weil er ohne Kalauer daherkam. Trotzdem fand ich ihn witzig; er klang wie der Stoßseufzer eines Patienten beim Psychoanalytiker: »Herr Doktor, meine Frau ist Polin.«
Doch mein Berliner Freund Peter sah mich ungläubig an und protestierte scharf. Nein, das Wort »Polin« passe gar nicht in den Titel. So könne man allenfalls ein Buch mit Altherrenwitzen nennen!
Seine Kritik bestürzte mich, denn ich gebe viel auf Peters Urteil. Er hat den siebten Sinn, was subtile Gehässigkeiten gegenüber Polen angeht. Von einer Konferenz im Berliner Auswärtigen Amt kam er einmal ironisch grinsend zurück: »Ich habe mir die Panels angehört und die Leute angeguckt. Wenn deutsche Beamte großartig verkünden, dass sie Geld für Polen geben wollen, geht es in Wirklichkeit nur darum, die Stellung der deutschen Sprache zu stärken. Meinst du, sie wollen wirklich Polen selbst helfen?«
Peter entstammt einer Spätaussiedlerfamilie, ist noch in Oberschlesien geboren, dann aber als kleiner Junge mit seinen Eltern ins Ruhrgebiet gekommen und dort zweisprachig aufgewachsen. Er arbeitet in der Versicherungsbranche und gewinnt Jahr für Jahr einen Preis als bester Berater, weil er nicht nur sympathisch und kompetent ist, sondern auch die in Deutschland lebenden Polen bestens versteht. Dieser riesige Pool potenzieller Kunden wird ja immer noch von den meisten deutschen Firmen und politischen Parteien sträflich vernachlässigt, einmal abgesehen von einer Supermarktkette, bei der es inzwischen eigene Regale mit polnischen Produkten gibt.
Ich fragte ihn, welche Assoziationen er denn bei »Polin« habe. Das Wort sei doch völlig neutral!
Er verzog das Gesicht: »Nee. Ich kann ›Polin‹ nicht ertragen.«
»Hä?«
»Klingt furchtbar.«
Ich schaute ihn verwundert an, und dann erklärte er es mir: An dem Wort hänge eine Klischeelast, die es herunterziehe wie fünfzig Kilo Botox. »Polin« sei kein normales Wort wie »Französin« oder »Italienerin«. Polinnen würden im besten Fall mit Altenpflegerinnen oder Putzfrauen assoziiert. Und im schlechtesten – na ja, ich wisse ja selbst …
Ich widersprach: »Wieso denn? Polinnen haben doch einen glänzenden Ruf! Heinrich Heine hat sie die ›Weichselaphroditen‹ genannt. Karl Millöcker komponierte sogar ›Der Polinnen Reiz ist unerreicht‹.«
»Das war in der Steinzeit. Aber heute wird alles von den Kleinanzeigen in den Boulevardzeitungen überschattet. Lass die Finger von diesem Wort.«
An diesen Tipp habe ich mich, wie man sieht, gehalten, und mich stattdessen bei der Wahl des Buchtitels an meinem aktuellen Bühnenprogramm orientiert.
Auch in Polen gibt es Klischees, und sie sind gerade gegenüber deutschen Frauen recht unfreundlich. Zum Glück wissen es die meisten deutschen Touristen gar nicht und werden es auch bei einem Kurzurlaub in Masuren nicht erfahren. Mir selbst fiel es erst auf, als ich begann, mich für polnische Comedy zu interessieren. Sobald in irgendeinem Sketch eine deutsche Frau auftauchte, hieß sie »Helga« und war eine Mischung aus strenger Gouvernante und behaartem Sexmonster. Während die deutschen Männer im polnischen Kabarett meist als verkappte Nazis herumstiefeln, stehen sie doch immerhin im Ruf, schneidig und gutaussehend zu sein. Die deutschen Frauen dagegen sind angeblich nicht nur hässlich, unweiblich und unter den Achseln unrasiert, sondern gelten darüber hinaus auch als – sexbesessen.
Starke Frauen schüchtern mich ein –das Helga-Denkmal vor dem Bahnhof von Emsdetten
Verantwortlich für dieses reichlich widersprüchliche Klischee ist ein gewisser Zweig der westdeutschen Filmindustrie. In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurden aus der BRD anscheinend vor allem zwei Artikel ins kommunistische Polen geschmuggelt: Filterkaffee und Videokassetten. Jacobs Krönung und »Liebesgrüße aus der Lederhose«, Eduscho und »Reich mir den Stengel, du Bengel«, Tchibo und »Unterm Dirndl wird gejodelt«.
Ist es peinlich, das hier zu erwähnen? Sollte man diese Dinge am besten schamvoll unters Lederhöschen … pardon, unter den Teppich kehren? Nein, seien wir lieber froh und dankbar dafür, dass es auf beiden Seiten deftige Obszönitäten gibt! Dadurch kann eine Atmosphäre wechselseitiger Abschreckung entstehen. Wenn der Pole dem Deutschen mit einem gehässigen Witz kommt, etwa: »Mein Beileid! Ich habe gehört, dein Opa ist im KZ umgekommen – vom Wachturm gefallen!«, dann kontert der Deutsche bissig: »Wie kann man Autos in Luft auflösen? Mit Polenstoffdioxid!« Und sollte der Deutsche dann noch Lust haben, eine Polin als »willig und billig« zu bezeichnen, kann der Pole postwendend fragen, wie es eigentlich dem »Stoßtrupp Sabine« geht. Die Konsequenz: Beide Seiten ersparen sich ihre Witze und bleiben hübsch höflich.
Übrigens beschloss Freund Peter vor Kurzem, mein Buch nun doch zu unterstützen, nämlich mit einigen Berichten aus seinem eigenen Eheleben. Hier sind seine »Zehn Gebote einer polnischen Ehefrau« (von seiner Frau angeblich alle abgesegnet). Ja, solche Meinungsumschwünge sind typisch für ihn. Erst moralisiert er wie ein echter Deutscher, danach schaltet er auf Selbstironie um, wie ein echter Pole.
Du sollst keine anderen Interessen haben außer mir, weder Fußball, Klettern noch Freunde.
Du sollst den Namen deiner Göttin nicht unnütz im Munde führen, zum Beispiel »Bring mir mal Bier aus dem Kühlschrank, oh du meine Göttin.«
Du sollst den Feiertag heiligen, am besten mit Rosen. Konkret handelt es sich um den 14. 2. (Valentinstag), den 8. 3. (Frauentag) sowie meinen Geburtstag, den Geburtstag meiner Mama, unseren Hochzeitstag, die Geburtstage unserer Kinder und Muttertag.
Ehre meine Mutter und meinen Vater.
Du sollst mich nicht schlagen, nicht mal im Scherz.
Du sollst nicht trinken. Wenn du dieses Gebot zehn Jahre lang peinlich genau befolgst, wird es zur Belohnung abgemildert. Dann lautet es: ›Trink nicht zu viel.‹
Was mein ist, sei mein, und was dein ist, sei unser, es sei denn: Schulden und Rechnungen – die sind dein.
Du sollst mich nicht belügen, denn ich erfahre es sowieso. Eine Ausnahme von dieser Regel stellt die Frage nach meinem Aussehen dar.
Begehre nicht meine Freundinnen …
… noch sonst irgendeine Schlampe, die dich anlächelt.
Nun zu einem weiteren polnischen Klischee über Deutsche, das hier nicht fehlen darf. Es geht zurück auf eine mittelalterliche Legende, die in Polen so berühmt ist wie die deutsche Legende von der Loreley, die auf dem Rheinfelsen sitzt und ihr Haar kämmt. Aber so wie in Deutschland wohl niemand erklären könnte, wie die Loreley eigentlich auf den Felsen hochgekommen ist, vermag auch in Polen kaum jemand die Wanda-Geschichte anständig nachzuerzählen. Den meisten Leuten ist nur der Titel der Legende geläufig: »Wanda, die den Deutschen nicht wollte« (Wanda, co nie chciała Niemca). Wohl jeder deutsche Ehemann wurde schon einmal mit diesem rätselhaften Halbsatz konfrontiert, so wie jede Polin in Deutschland sich den Running Gag anhören muss, dass Polen noch nicht verloren sei … was übrigens die erste Zeile der polnischen Nationalhymne ist.
Auch ich stolperte gleich nach meiner Ankunft in Warschau über den ominösen Namen. Eine Lehrerkollegin am Gymnasium fragte mich freundlich, ob ich schon »meine Wanda« gefunden hätte. Meinte sie etwa unsere Kollegin, die schöne Biologielehrerin? Die hieß Wanda, richtig, war aber mindestens zwanzig Jahre älter als ich … seltsam …
Der Ursprung der Legende liegt etwa im Jahr 1200, als sie von einem polnischen Bischof und Chronisten namens Kadłubek aufgeschrieben wurde. Aufgeschrieben? Das klingt so, als hätte er eine alte Überlieferung schriftlich festgehalten. Doch sehr wahrscheinlich hat er sich die ganze Story von Anfang bis Ende ausgedacht. Sein ehrenwertes Ziel war es, dem jungen Volk der Polen einen strahlenden Gründungsmythos zu geben. Und weil zu seiner Zeit noch die Vorstellung herrschte, dass die Polen von den Vandalen abstammten, kam er auf den Namen »Wanda«. Sie sollte die schöne Tochter des Königs Krak sein, des mythischen Gründers von Krakau. Kadłubek dachte sich also quasi den Sequel einer bekannten Sage aus, und das klang so: Als der König starb, folgte Wanda ihm auf den Thron. Dank ihrer weisen Herrschaft gewann sie schnell die Liebe ihrer Untertanen, blieb aber ledig und wies beharrlich alle Bewerber ab. Eines Tages erschienen wieder einmal Abgesandte und hielten im Namen ihres Herrschers Rytygier (Rüdiger) um Wandas Hand an. Wanda erteilte auch ihnen einen Korb. Prinz Rytygier aber ließ sich das nicht gefallen und trug seinen Abgesandten auf, noch einmal in Krakau anzutreten, diesmal mit einer Drohung: Wenn Wanda ihm weiterhin ihre Hand verweigere, werde er ihr Land mit Krieg überziehen! Als die Königin dies vernahm, zog sie sich sorgenvoll in ihre Gemächer zurück, dachte lange nach und verschwand schließlich bei Sonnenaufgang aus dem Schloss. Man fand sie später im Wasser der Weichsel treibend. Sie hatte sich in die Fluten gestürzt, um ihrem Volk eine Katastrophe zu ersparen – und sich selbst die Ehe mit dem Deutschen …
Das legendäre Wanda-Heft von 1938 mit Text von K. Makuszyński und Bildern von M. Walentynowicz
Heute weiß man, dass der Legendenfabrikant Kadłubek von einer falschen Voraussetzung ausging. Die Polen stammen keineswegs von den Vandalen ab, da diese überhaupt kein slawisches, sondern ein ostgermanisches Volk waren. Möglicherweise hatten sie tatsächlich eine Zeit lang an der unteren Weichsel gelebt, zogen aber zur Zeit der Völkerwanderung nach Westeuropa und weiter bis nach Nordafrika. Ihren schlechten Ruf erwarben sie sich durch allerlei Schandtaten bei der Einnahme Roms im Jahr 455. Stand heutiger Forschung ist eher, dass nicht die Polen, sondern die Deutschen von den Vandalen abstammen.
Aber es ist natürlich längst zu spät. Die Wanda-Legende wurde in Polen zum zweitwichtigstenantideutschen Mythos, gleich nach der Schlacht bei Grunwald (Tannenberg), die 1410 zur Abwechslung allerdings tatsächlich stattfand. Im 19. Jahrhundert, im Zeitalter des blühenden Nationalismus, kochte das Wanda-Thema wieder hoch, es entstanden große fünfaktige Theaterstücke, und der tschechische Komponist Antonín Dvořák schrieb 1875 sogar eine Wanda-Oper.
Bis heute wird übrigens in der Nähe von Krakau »Wandas Grabhügel« (Kopiec Wandy) gezeigt, gleich am Ufer der Weichsel. Archäologen ermittelten, dass er vor über tausend Jahren aufgeschüttet wurde. Viel Aufwand für eine Phantomleiche! Fast bin ich verwundert, dass hier von gewissen Politikern noch nicht nachgebuddelt wurde. Ließe sich nicht beträchtliches Kapital daraus schlagen, wenn man Wandas Skelett fände: das berühmteste Opfer der Deutschen? Für zwei Prozent zusätzlicher Stimmen würden manche Leute sogar das Grab von Micky Maus öffnen lassen.
Doch es gibt noch eine andere Geschichte, deren Schatten auf jedes deutsch-polnische Paar fällt, und dieser Schatten ist ungleich länger als der der alten Wanda-Story. Gemeint ist natürlich die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Aus dieser Zeit wäre von unzähligen traurigen Schicksalen deutsch-polnischer Paare zu erzählen, etwa von polnischen Zwangsarbeitern, die verbotene Beziehungen mit deutschen Frauen eingingen und dafür hingerichtet wurden. Wer sich damit näher befassen möchte, sei auf das hochinteressante Buch »(Nie-)poszła za Niemca« (»Sie wollte (k)einen Deutschen«) von Piotr Roguski verwiesen, das 2018 herauskam, bislang leider nur auf Polnisch.
Nach dem Krieg waren deutsch-polnische Paare viele Jahrzehnte lang eine absolute Ausnahme. Das lag an der Abgeschlossenheit Polens hinter dem Eisernen Vorhang, aber auch an den schockierenden Erfahrungen vieler Polen mit den Deutschen während des Krieges. Kasia berichtet, dass ihre Mutter Mitte der Siebzigerjahre als Studentin in Holland arbeitete und sich dabei in einen wunderbaren Mann aus Deutschland verliebte. Sie heiratete ihn aber nicht, weil sie sich nicht vorstellen konnte, ihren Eltern einen deutschen Schwiegersohn zu präsentieren. Als Kasia ihrer Mutter dreißig Jahre später ihrerseits einen deutschen Mann vorstellte, hielt sich deren Begeisterung in Grenzen, doch sperrte sie sich nicht gegen die Beziehung.
Die meisten deutschen Ehepartner werden wohl erst durch ihre polnischen Partner/-innen mit den deutschen Untaten in Polen während des Krieges konfrontiert. Erstaunlicherweise scheinen diese Begegnungen mit der Vergangenheit aber meistens sehr versöhnlich zu verlaufen.
Sylwia fährt jeden Sommer mit ihrem deutschen Mann nach Polen. Dort trinkt er dann Wodka mit ihrem einundneunzigjährigen Onkel, der als Junge gegen Kriegsende gefallene deutsche und sowjetische Soldaten begraben musste. Er schloss Sylwias Mann in sein Herz und erzählte ihm immer von den toten Soldaten. Nach 1989 bemühte er sich darum, dass jemand ihre sterblichen Überreste nach Deutschland brachte. Vor einigen Jahren kam endlich eine Kommission aus Katowice und exhumierte die Toten. Da sagte der alte Onkel zu Sylwias Ehemann: »Na, siehst du, Junge, jetzt haben sie deine Kollegen weggeholt.« Danach lachten beide und tranken zusammen ein Gläschen Magenbitter.
Agnieszkas Großeltern, die in Poznań leben, freuten sich sehr über einen Deutschen in der Familie. »Ja, allen Ernstes: wirklich und gerade über einen Deutschen.« Der Großvater ist nämlich stolz darauf, dass Posen heute in Polen für seine Ordnung und Sauberkeit bekannt ist, und bezeichnet dies als ein Verdienst der Deutschen (Posen gehörte bis 1918 zum Deutschen Reich).
Während der Kriegszeit wäre der Großvater einmal fast von einem deutschen Soldaten erschossen worden. Erst im letzten Moment wurde dem Soldaten von einem anderen Deutschen die Waffe aus der Hand geschlagen, sodass die Kugel in die Wolken ging. Der Großvater erzählte ihrem Mann diese Geschichte, so Agnieszka, um zu zeigen, dass es auch unter den Deutschen Gute und Böse gegeben habe.
Agnieszkas Großmutter wiederum arbeitete vor dem Krieg als Kindermädchen bei einer deutschen Familie (die offensichtlich zu der nach 1918 dagebliebenen deutschen Minderheit gehörte). Gegen Ende des nächsten Krieges, als die Deutschen Richtung Westen flohen, nahmen sie auch ihr Kindermädchen mit. Nach dem Krieg fuhr der Opa hin, um seine Frau zurückzuholen. Er kam zurück, den Kopf voller Eindrücke. In Deutschland habe er nette Menschen angetroffen, ein Fest im Dorf erlebt, große Bierkrüge, alle hätten an den Tischen geschunkelt … Mit der deutschen Familie, bei der die Großmutter einst gearbeitet hatte, wurde noch vierzig Jahre lang Kontakt gehalten. Dieser Verbindung hatte Agnieszka es zu verdanken, dass sie mitten im Kommunismus Pakete aus Deutschland mit hübschen Kleidchen bekam.
Peter (aber nicht mein Berliner Freund, Peter 1, sondern ein mir persönlich unbekannter Peter, den ich ab jetzt Peter 2 nennen werde) berichtet, dass seine Schwiegereltern in einem kleinen Dorf wohnen, in dem die Deutschen im Zweiten Weltkrieg ein Massaker anrichteten. Heute gibt es dort ein großes Museum, das von vielen polnischen Schulklassen besucht wird. Trotzdem gewann Peter von Anfang an den Eindruck, dass die Dorfbewohner kein Problem mit ihm hatten. Eines schönen Sommertages arbeitete er bei großer Hitze unweit der Straße, zusammen mit seinem polnischen Schwager. Sie entfernten Unkraut und stapelten endlose Mengen Holz auf. Da lief ein Nachbar vorbei und sagte spöttisch: »Vor 75 Jahren haben uns die Deutschen zur Zwangsarbeit gezwungen, heute kommt der Deutsche freiwillig und macht die Drecksarbeit.« Peter mag diesen Umgang mit der Geschichte. »Es ist nichts vergessen, wird aber nicht über die Maßen strapaziert.«
So locker der Umgang mit der Geschichte auch ist – die Nazi-Assoziationen funken trotzdem noch in jede deutsch-polnische Partnerschaft hinein, und zwar nicht immer nur ironisch-lustig.
Die Deutsche Barbara beklagt sich: Immer wenn ihrem polnischen Mann etwas nicht passe, komme er sofort mit Nazi-Vergleichen. Schimpfe sie zum Beispiel mit den Kindern, heiße es von seiner Seite sofort, sie solle mit dem SS-Stil aufhören.
Markus: »Ich bin für meine Frau ständig der Nazi. Nazi ist mein zweiter Vorname.« Einmal im Flugzeug lehnte Markus die Frage einer Stewardess, ob er etwas trinken wolle, ein wenig schroff ab (er sah gerade einen guten Film). Sofort kritisierte ihn seine Frau: »Das war jetzt nazimäßig.« Ein andermal wollte er die Polizei benachrichtigen, weil im Treppenhaus ein Obdachloser schlief. Seine Frau warf ihm sofort wieder vor, sich wie ein Nazi zu verhalten. Er ertappt sich manchmal dabei, dass er von einer deutsch-deutschen Ehe träumt. »Ich stell mir das so schön privat vor, ohne jeden Vergleich. Da bin ich dann nur noch der Markus.«