Portrait des Managers als junger Autor - Philipp Schönthaler - E-Book

Portrait des Managers als junger Autor E-Book

Philipp Schönthaler

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Beschreibung

Der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs wird verehrt als Manager, Visionär und Kultfigur, aber eigentlich war er ein begnadeter Geschichtenerzähler : Kaum einer war geschickter darin, die Entwicklung einer Firma und ihrer Produkte zu einer Story zu machen, die man gern weitererzählt. Heute wird die Methode des Storytelling in Managementkreisen als neue Zauberformel der Vermittlung gehandelt: "Storytelling ist ein trojanisches Pferd für Zahlen und Fakten." Doch was passiert, wenn die Wirtschaft mit dem ausschmückenden Erzählen auf eine Ressource zurückgreift, die eigentlich der Literatur entstammt? Entsteht hier eine neue Art der Poesie, werden Manager gar zu Autoren? Ausgehend vom Phänomen des Storytelling untersucht Philipp Schönthaler das Verhältnis von Wirtschaft und Literatur und plädiert für ein Schreiben, das sein Selbstverständnis aus der Überschneidung beider Sphären gewinnt.

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Portrait des Managers als junger AutorZum Verhältnis von Wirtschaft und LiteraturEine Handreichung

Fröhliche Wissenschaft 074

Philipp Schönthaler

Portrait des Managersals junger Autor

Zum Verhältnis von Wirtschaftund LiteraturEine Handreichung

Inhalt

I. Im Herzen des Storytellings, neun Skizzen aus Theorie und Praxis

Take your time

Es lebe der König

Zwei Künstler in Paris

Sympathiezauber

Ein Bericht für die Aktionäre

Veränderung aus Gewohnheit

Ein neues Herz

Kopf und Zahl

We really love working here

Erzählen, ein Portrait

33 Story-Statements

II. An den Rändern des Storytellings, neun Skizzen im Abgleich zur Literatur

Objects in the mirror

Trennungsschmerz

Royalties

Die einsame Kammer

Tote Hunde

Ungesattelt

An die Werkzeuge, in die Fabriken

Für eine neue Wirkungstheorie

Der Löwe

Anmerkungen

Agenturfront am Sunset Boulevard, Los Angeles

Die Erzählung schert sich nicht um guteoder schlechte Literatur: sie ist international,transhistorisch, transkulturell, und damiteinfach da, so wie das Leben.

Roland Barthes

Es ist mir eine Ehre, bei Eurer Abschlussfeieran einer der weltbesten Universitäten dabeizu sein. Ich selbst habe keinen Universitätsabschluss.Ehrlich gesagt bin ich einem Studienabschlussnie so nahe gekommen wie in diesemMoment. Ich will Euch heute drei Geschichtenaus meinem Leben erzählen. Mehr nicht.Keine große Sache. Nur drei Geschichten.

Steve Jobs, Die ersten Worte der Ansprache an Studienabgänger der Stanford Universität am 12. Juni 2005

I.Im Herzen des Storytellings,neun Skizzen aus Theorie und Praxis

TAKE YOUR TIME – Erzählen und Management, im Storytelling Management gehen beide Begriffe ein Bündnis ein, das einer Begründung bedarf. Im Management herrscht Pragmatismus, es geht um Rationalisierungsprozesse, Entscheidungsfindungen und zielorientiertes Handeln, am Ende zählt die Bilanz. Die Erzählung fordert dagegen einen eigenen Atem, Wesentliches steht neben Nebensächlichem, Fakt neben Fiktion, ihre Botschaft ist im besten Fall mehrdeutig. Insbesondere läuft die Ökonomie der Erzählung, die immer auch der Zerstreuung dient, dem Beschleunigungsgesetz der technologischen Moderne entgegen, von dem Unternehmen unmittelbar betroffen sind. Die Beschreibung des Philosophen Hans Blumenberg, dass Geschichten erzählt werden, um Zeit und Furcht zu vertreiben, antwortet daher kaum auf die Sorge von Managern, deren Entscheidungs- und Handlungsgrundlage die Zeitnot ist. Der Alltag des Managers ist eng getaktet, dominiert von Unterbrechungen und Vielfalt, mit urchaus paradoxalen Folgen: »Zum Zeitmanagement fehlt mir die Zeit«, resümiert ein Manager, der mit Coaches, Trainern und Handbüchern das Problem bearbeitet hat.1

Das narrative Management tritt trotz allem nicht defensiv auf. Im Gegenteil, es empfiehlt die Erzählung als privilegierte Kommunikationsform für Organisationen. Und in der Tat sprechen die Namen der internationalen Konzerne und Institutionen, die mit Storytellingmethoden gearbeitet haben, für sich: IBM, Nike, Ford, Shell, Coca-Cola, Weltbank, Federal Express, Tipp-Ex, Danone, Renault; Procter & Gamble schrieb über lange Jahre den Posten eines Corporate Storyteller aus, und bei Microsoft steht derzeit Steve Clayton als Chief Storyteller einem Team von 25 Erzählern vor – ein Projekt aus dem Jahr 2015 beinhaltete einen Science-Fiction-Erzählungsband, für den der Konzern amerikanische Science-Fiction-Autoren engagierte … und auch die Liste in Deutschland steht dem in kaum etwas nach: Deutsche Post World Net, Siemens (in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München), T-Mobile, Bosch, voestalpine Stahl, F.A.S.T. (Gesellschaft für angewandte Softwaretechnologie).

In einem Unternehmen wie F.A.S.T., das mit der Geschwindigkeit die Ideologie der digitalen Medien im Namen trägt, stellt sich die Frage nach der Verträglichkeit der Erzählung mit neuen Informationsund Kommunikationstechnologien in zugespitzter Form. Eingesetzt wurde die narrative Methode bei F.A.S.T. zur Umstrukturierung interner Kommunikationsprozesse sowie im Projektmanagement. Mittlerweile gehört die Münchner GmbH zu Cirquent, einem Beratungshaus für IT und technologisch unterstützte Organisationsprozesse; dieses gehört seit 2012 wiederum zu NTT Data, einem japanischen Unternehmen, das den kompletten Zahlungsverkehr mit Kreditkarten in Japan aufgebaut hat und als Vorreiter im Umgang mit Big Data auftritt. Folgt man der einschlägigen Literatur, dann gewinnt das Storytelling seine Legitimation gerade dort, wo die Geschwindigkeit der digitalen Informationsflüsse zu hoch ist, Datenmengen die kognitiven Kapazitäten des menschlichen Gehirns sprengen und die bereitgestellten Daten zu abstrakt bleiben, als dass ihr Nutzwert sich ohne Weiteres identifizieren ließe. Der Rückgriff auf das Erzählen als tradierte Praxis ist darin keiner Verlegenheit geschuldet, sondern den ›harten‹ Kriterien des Managements: Effizienz und Effektivität. Gerade weil die digitalen Informationstechnologien die Auffassungsgabe und den Rhythmus des menschlichen Kognitionsvermögens übersteigen, lösen neue Medien alte nicht einfach ab, sondern integrieren diese. Weder Technikskeptizismus noch Regress noch Nostalgie: Das Erzählen schlägt die digitale Kommunikationstechnologie auf ihrem eigenen Feld der optimierten Informationsverarbeitung und -zirkulation.

ES LEBE DER KÖNIG – Erzählungen regeln seit je her den Umgang mit Komplexität. In dieser Funktion werden sie neuerdings für moderne Gesellschaften attraktiv, die sich grundsätzlich durch Ausdifferenzierungsprozesse definieren. Folgt man etwa dem französischen Soziologen und Philosophen Jean Baudrillard, dann ist die spätkapitalistische Gesellschaft im Zuge der Digitalisierung und Virtualisierung – vorneweg der Finanzwirtschaft – seit den Siebzigerjahren sogar in ein Stadium der Hyperkomplexität eingetreten. Das Aufkommen des Storytellings lässt sich demnach auch als Reaktion auf neue Unübersichtlichkeiten verstehen. Denn die Erzählung weist eine perfekte Komplexitätsstufe auf, die die kritische Schwelle ›reiner‹ Daten, die im Zeitalter der Information stetig anwachsen und als solche ohne eigenen Wahrheitswert ebenso schwer konsumier- wie erinnerbar bleiben, überschreitet und den gigantischen Geschwindigkeitsund Abstraktionsgrad des elektronischen Informationsflusses zugleich unterschreitet. Zwar fällt der quantitative Informationsgehalt von Erzählungen vergleichsweise gering aus, im Gegenzug erzeugen sie aber hohe Identifikations- und Integrationskräfte: Weil die Erzählung als Medium des Wissens nur wenige Prozesse der Spezialisierung durchlaufen hat, bildet sie eine hoch anschlussfähige, in ihren Zugangsbedingungen niederschwellige Kommunikationsform.

Im Hinblick auf den Zusammenschluss von Erzählung und Management ist es vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass der Umgang mit Komplexität bereits in der Funktion des Managers angelegt ist. Seine Existenz verdankt er fortschreitenden Rationalisierungs- und Ausdifferenzierungsprozessen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Krise führt, die meist als Kommunikationskrise beschrieben wird. Mit der Entstehung großer Betriebe wird die Organisation der Arbeit zu einem eigenständigen Problem. Der neue Posten des angestellten Managers soll in dieser Situation die Folgeprobleme moderner Großunternehmen auffangen; innerhalb beschleunigter Produktions- und Distributionsabläufe gehören dazu an erster Stelle Koordinations- und Kommunikationsaufgaben. Für die Figur des Managers folgt daraus, dass er ein Produkt von Komplexität ist, während seine Aufgabe gleichzeitig in der Bewältigung von Komplexität besteht. In dieser Funktion greift er auf die Erzählung zurück, weil er weiß, dass gerade innerhalb unübersichtlicher und auf Geschwindigkeit ausgerichteter Kommunikationsstrukturen der »wichtigste Erfolgsfaktor des Unternehmens der Mensch« ist, wie die Organisationswissenschaftlerin und Narrata-Consult-Beraterin Karin Thier in ihrem BuchStorytelling. Eine narrative Managementmethodeerklärt.2Das Storytelling ist als Kommunikationstechnik überall dort überlegen, wo Menschen als affektive und kognitive Wesen in Informations- und Kommunikationskreisläufe involviert sind.

Genau diese Erfahrung machte der Geschäftsführer der F.A.S.T. GmbH: »F.A.S.T. ist ein stark projektgetriebenes Unternehmen, deshalb ist es für uns essenziell, auch das weiche Wissen innerhalb der Projektarbeit zu nutzen und ständig zu verbessern. Doch hierfür hatten wir bisher keine Methoden.« Diese Ansprüche erfüllt nun das Storytelling: »Ich könnte mir vorstellen«, so der CEO weiter, »dass Storytelling zukünftig ein fester Bestandteil des KVP [kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, P. S.] im Rahmen des Qualitätsmanagements nach ISO 9001 werden könnte. F.A.S.T. möchte jedenfalls auch künftig mit der Storytellingmethode weiterarbeiten.«

Die Storytellingliteratur führt an diesem Punkt zu einem verblüffenden Befund. Der Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin hatte den mündlichen Erzähler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nochmals emphatisch beschworen, um ihn endgültig der Vergangenheit anheimzugeben. Information und Erzählung sind für Benjamin miteinander unvereinbar; die Information geht mit einem Begehren nach Faktizität und Nachprüfbarkeit einher und treibt der Erzählung und ihrem auf lebensweltlichen Erfahrungen gründenden Wahrheitsanspruch den Geist aus. Benjamin kommt daher zu dem Urteil, dass die anbrechende Informationsgesellschaft das Ende von Erzähler und Erzählung einläuten muss.3Achtzig Jahre nach Benjamins Diagnose weist das Storytelling in eine gegenläufige Richtung, um von einer Rückkehr des mündlichen Erzählers zu künden – und zwar im Herzen der Informationsproduktion.

ZWEI KÜNSTLER IN PARIS – Noch immer übt Hans Christian Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider« seinen Reiz auf uns aus. In erster Linie rührt dies wohl daher, dass es den regressiven Impuls nach der Enthüllung einer ›nackten‹ Wahrheit befriedigt, zumal wir es in der Erzählung mit einem Herrscher zu tun haben, der das Wohl seines Volkes gering schätzt. Im Märchen wird dieser Drang durch das ›unschuldige‹ Kind vertreten, das die Nacktheit des Kaisers und damit auch die Intriganz des Hofstaats in aller Öffentlichkeit entlarvt.4Zwar gibt es eine weitere Position und Lesart, die mit den Webern paktiert. Andersens Erzähler denunziert die Weber jedoch durchweg als Betrüger und gleicht darin dem Kind, das auf eine eindimensionale Wahrheit drängt. Letztlich entfaltet auch er sein narratives Gewebe aus dem einzigen Grund, den Kaiser in seiner Nacktheit vorzuführen und wiederholt derart, was er den Webern, die dem Kaiser ihre Künste feilbieten, vorwirft: Die fiktive Textur des Märchens stellt den Kaiser in seinem raffinierten Arrangement in ähnlicher Weise bloß wie die Textilien der Weber. Anders als die Weber verkennt Andersens Erzähler dabei jedoch die zwei Körper des Kaisers, dessen Macht als symbolische unsichtbar bleibt und allein aufgrund sozialer Anerkennungs- und Abhängigkeitsdynamiken wirksam wird. Aus der Sicht der Weber sind Kind und Erzähler daher dumm, weil sie sich gegenüber den imaginären und fiktionalen Ursprüngen und Strukturen politischer und institutioneller Macht blind zeigen. Die fiktiven Gewänder der Weber lösen dagegen tatsächlich ein, was sie versprochen haben: Sie sind nicht nur kunstvoll, sondern überführen denjenigen, der über ein mangelndes Urteilsvermögen verfügt, Reales von Symbolischem zu scheiden – in diesem Fall Kind und Erzähler in ihrer Blindheit für die symbolische Verfasstheit der Macht. Das Märchen weist jedoch eine weitere Phase auf, sie besteht in der eigentümlichen Tatsache, dass aus der Enthüllung des Kaisers nichts folgt: »Nun muss ich aushalten, bis die Prozession vorüber ist!«, sagt sich dieser nach seiner Bloßstellung und beißt die Zähne zusammen. Die Zeremonie nimmt ihren Gang, das Ende des Märchens bleibt offen.

Andersens Geschichte handelt von der Funktionsweise politischer und symbolischer Macht, sie lässt sich aber ebenso auf den Bereich der Unternehmensführung übertragen. Dies legt zumindest eine Erzählung aus dem – an Anekdoten reichen – Dunstkreis Steve Jobs’ nahe. Die Episode datiert aus dem Vorabend der New Economy, der Macintosh-Computer steckt noch in der Entwicklung, nur eine Generation zuvor war das kalifornische Santa Clara County hauptsächlich für seine Obstplantagen und Trockenpflaumen bekannt, nicht als Silicon Valley.

In der Managementliteratur wird die Begebenheit oft und gern als Nachweis der charismatischen Führungsqualitäten des Ausnahmetalents zitiert, das wie kein anderes die Versprechen der neuen Technik verkörperte. Tatsächlich gewinnt man aber den Eindruck, dass in dieser Episode ein anderer, John Sculley, die Fäden in der Hand hält und dass er dabei lediglich dem Script von Andersens Märchen folgt – nicht um Unternehmensgeschichte zu schreiben, sondern um seinem Ruf als »Marketingzauberer« gerecht zu werden.

Im Rückgriff auf Andersens Märchen gilt es dabei lediglich zu begreifen, dass die drei beschriebenen Phasen einer Illusionsstiftung, Enthüllung und prekären Passage zwischen diesen beiden Stadien, die bei Andersen statisch nebeneinander stehen und auf verschiedene Personengruppen verteilt sind, tatsächlich einen einzigen, in seiner Chronologie dynamischen Prozess bilden, der eine simple Kette darstellt: Desillusion – Passage – Illusion. Als Illusionsmaschine fußt diese Kette auf der Einsicht, dass sich eine Illusionsstiftung wirkungsvoll nur auf dem Boden einer vorgängigen Desillusion vollzieht. Weil der symbolische Wert eines Produkts (bzw. von Macht) nicht nur auf einer Differenz basiert (Kaiser vs. Bürger, Marken- vs. No-Name-Produkt), sondern gleichzeitig auf einer Hierarchie, lässt sich der Akt einer symbolischen Wertstiftung am einfachsten über eine Enthüllung bewerkstelligen – in der Warenwelt mag sich diese auf ein Vorläufermodell beziehen, das durch ein neues ersetzt werden soll und jetzt deshalb als mangelhaft identifiziert wird, sie kann sich aber ebenso auf die Konkurrenz oder abstrakte Werte beziehen. Wenn sich der PepsiCo-Vizepräsident und Marketingfachmann Sculley als zukünftiger CEO von Apple in die beschämende Position des nackten Kaisers begibt, um den Technologiekonzern mit seinem Gründungsheld wirkungsvoll ins Rampenlicht zu rücken, dann demonstriert er, wie sich jene Illusionsmaschine, für die Andersen die Blaupause liefert, wirkungsvoll in Gang setzen lässt. Mitunter wird die Anekdote lediglich auf das Bonmot Steve Jobs’ reduziert, die Episode verlangt es jedoch, detaillierter geschildert zu werden. Denn wie bei Andersens Webern hängt mit der Erstellung eines narrativen Gewebes auch hier alles vom Akt der Verzauberung ab, nicht der anschließenden Entzauberung, die Jobs’ Aussage auf einen nackten Sinn festlegen wollte. Die Episode ist folgende:5

Ende 1982 sucht Apple einen neuen CEO, der amtierende Mike Markkula hatte diesen Posten nur interimsweise angetreten und will endgültig aussteigen. Steve Jobs ist nach allgemeinem Übereinkommen noch nicht reif, die Firma selbst zu führen, ist aber mit der Rekrutierung betraut. Er schießt sich schließlich auf John Sculley ein, der mit »The Pepsi Challenge« die »Cola-Kriege« erstmals für PepsiCo entschieden und den Konzern wenige Jahre zuvor zeitweise zur Nummer eins der Softdrink-Industrie gemacht und damit vor Coca-Cola platziert hatte. Sculley ist von dem Charismatiker Jobs ebenfalls angetan, wiegelt jedoch ab. Einem ersten Besuch von Sculley in der Apple-Zentrale an der Westküste folgt eine Begegnung in New York, Jobs stellt dort den neuen Lisa-Rechner vor, nach einem Zwischenstopp im Hotel Carlyle wechselt man anschließend gemeinsam ins Four Seasons. Sculley erklärt Jobs seine Marketingerfolge: Mit der »Pepsi-Generation«-Kampagne verkaufe er kein Produkt, sondern einen Lebensstil und eine positive Weltsicht. Die beiden scheiden kurz vor Mitternacht, Jobs ist begeistert, er hat nach eigener Aussage soeben einen der »aufregendsten Abende seines Lebens« verbracht. Es folgen weitere Treffen, bei denen sich die beiden weiter annähern, Jobs besucht Sculley in Greenwich auf dessen neuem Landsitz, er bestaunt die 300 Pfund schweren Eichentüren und die eklektische Privatbibliothek. Anschließend fahren sie im Mercedes SL 450 zur Pepsi-Niederlassung. Die beiden Konzerne könnten gegensätzlicher kaum sein: Der gefürchtete CEO von Pepsi, Donald Kendall, pflegte bei Sitzungen zu dieser Zeit noch den Brauch, sich von einem schwarzen Butler in weißem Jackett auf einem Silbertablett Pepsi im Kristallbecher servieren zu lassen, zwischen den geschürzten Lippen eine Havanna. Mit den Konzernen prallen zwei Welten aufeinander, elitäres Fortune-500-Establishment hier, hippieske Garagenökonomie dort, noch die Monteure erfüllen bei Pepsi einen Dresscode, der dem Apple-Management vollkommen fremd ist. Das entscheidende Treffen findet schließlich im März 1983 statt, Sculley, der aus wohlhabenden Verhältnissen der Upper East Side Manhattans stammt – seine Mutter hatte als Matrone das Haus niemals ohne weiße Handschuhe verlassen –, führt Jobs ins Metropolitan Museum, er will prüfen, ob sich »das Wunderkind«, an das er sich in den ersten Sätzen seiner fünf Jahre später erscheinenden Autobiografie als »mein engster Freund, mein Seelenverwandter, mein ständiger Begleiter« erinnern wird, im Umgang mit den alten Meistern von ihm belehren lässt: eine Voraussetzung, sollte Scully tatsächlich als CEO bei Apple Jobs’ Vorgesetzter werden. Auf den Museumsbesuch folgt ein Spaziergang, und hier wird Sculley schließlich vertraulich und verrät, dass er in seinem Urlaub gerne am linken Seineufer in Paris sitzt und zeichnet; wäre er kein Manager und Marketingexperte geworden, dann Künstler. Von der Kunstbetrachtung hat Sculley das Thema beiläufig auf die Kunstproduktion gebracht und siehe da: Endlich finden sich die beiden, kann sich Jobs doch ebenso am Ufer jenes sagenumwobenen Flusses vorstellen: Wäre er kein Computerentwickler geworden, er würde heute als Dichter in Paris leben, beichtet er dem musischen Brausegetränkunternehmer.

Die beiden besuchen Colony Records, einen Plattenladen in der 49. Straße, und schlendern anschließend zu Fuß den ganzen Weg zurück zum San-Remo-Gebäude an der Ecke Central Park West und 74. Straße, wo sich Jobs ein Apartment erwerben will. Auf der Terrasse fällt nun jener entscheidende Satz, mit dem Jobs Sculley laut Anekdote gewinnt. Dieser Satz trifft den »Marketingzauberer« von PepsiCo wie »ein Schlag in den Magen« und wird in der Managementliteratur als Nachweis von Jobs’ unvergleichlichem Charisma als Führungskraft und Visionär angeführt: »Willst Du den Rest deines Lebens Zuckerwasser verkaufen, oder willst du eine Chance, die Welt zu verändern?«

Mit Hilfe von Andersens Märchen lässt sich die Komödie einfach entschlüsseln und gliedern. Zunächst sind die Rollen klar verteilt: Jobs spielt das vorlaute Kind, das auf das zeigt, was alle wissen: Pepsi ist kein Lifestyle, keine Weltsicht, sondern Zuckerwasser. Sculley mimt die undankbare Rolle des Kaisers und lässt sich bereitwillig bloßstellen, das Selbstlob über seine Marketingstrategie, die das genaue Gegenteil verkündete, ist noch nicht verklungen. Mit diesem Schauspiel befriedigen Sculley und Jobs in ihrer Story die regressiven Wünsche ihres Publikums nach einer Enthüllung und simplen Wahrheit: Es gibt sie noch, die guten Dinge, wir können vom symbolischen Wert der Produkte abstrahieren und ihren Gebrauchswert einwandfrei bestimmen.

Als Paar (Künstler und Dichter) nehmen die beiden aber zugleich die Rolle der Weber ein, die wissen, dass Unternehmen und Waren der tatsächliche Wert aus der symbolischen Zuschreibung erwächst. Nun zählt nicht länger der Gebrauchs-, sondern der symbolische Wert. Auch deshalb muss im vorliegenden Fall die Begegnung der beiden entsprechend ausstaffiert werden, bevor Jobs die beiden – widersprüchlichen – Positionen (Kind und Weber) in nur einem Satz vereinen kann, um Pepsi als Zuckerwasser zu disqualifizieren und Apple gleichzeitig als Weltveränderungsprojekt zu inthronisieren. In Jobs’ Satz verdichtet sich jene Kommunikationsstrategie, in die Sculley ihn kurz zuvor im Four Seasons eingeweiht hatte: Wenn du erfolgreich sein willst, darfst du keine Produkte verkaufen, du musst einen Lifestyle verkaufen, eine positive Weltsicht. Die Kunst Sculleys besteht darin, dass er zulässt, sich von Jobs bloßstellen zu lassen. Freilich kann er im Voraus darauf spekulieren, dass er in der neuen Position bei Apple wieder rechtmäßig ins Amt gesetzt wird.

Die Arbeitsbeziehung zwischen Sculley und Jobs währt nur kurz, Sculleys ingeniöse Kommunikationsstrategie, die Jobs perfektionieren wird, wirft aber selbst noch ein Licht auf den zweifelhaften Stand des derzeitigen Nachfolgers von Steve Jobs, Tim Cook. Als Cook am 9. September 2014, zu diesem Zeitpunkt ist er bereits vier Jahre CEO, eine »neue Generation« von Produkten vorstellt – den Höhepunkt bildet die neue Apple Watch, mit dem die »einflussreichste Technologiefirma der Welt« das »nächste Kapitel inApple’s story« eröffnen will, so Cook in seiner Ansprache –, sinkt der Kurs des Konzerns bis zur Schließung des Aktienmarkts am Abend um 0,38 Prozent. Dass sämtliche Beobachter von den Anlegern bis zu den Fans, von den Finanzbis zu den Lifestyle-Magazinen in Cook nur den blassen Wiedergänger Jobs’ erkennen wollen, macht deutlich, dass Cook bei Apple weniger mit einem technologischen als vielmehr einem kommunikativen Problem zu kämpfen hat. Und in der Tat: Der Anspruch der »revolutionären Innovation«, die ein neues Kapitel in Apples Geschichte eröffnen soll, klingt wenig glaubwürdig, kommt sie doch in exakt jenen Gewändern daher, mit denen Jobs sich als Ikone stilisieren ließ. Die Bühne des Flint Center im kalifornischen Cupertino, die Cook für die Präsentation der Apple Watch wählt, ist jene, auf der Jobs 1984 den Macintosh-Computer lancierte und Apples Erfolg global begründete; noch Cooks Geste des Turnschuhpredigers, beide Arme siegreich im Lobpreis der eigenen Produkte erhoben, zitieren Jobs. Die »revolutionäre Erfindung« der Uhr führt Cook mit »One more thing« ein, jener Floskel, die Jobs geprägt hat, um seine neuen Produkte lapidar anzukündigen. Schließlich kann man in einem exklusiven Interview mit Cook zur Einführung der neuen Uhr erfahren, dass Jobs’ Büro im vierten Stock der Konzernzentrale genauso erhalten ist, wie vor dessen Tod, selbst das Namensschild der Lichtgestalt ziert noch die Tür: Die Revolution wird mumifiziert.