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Die Praxis der Sol-Gel-Technologie" nun auch als eBook. Anhand von 61 Beispielen aus der Praxis erläutert der Autor Gerhard Jonschker die theorethischen Grundlagen der Sol-Gel und Nanotechnologie. Dies macht das eBook zu dem Lehrbuch für praxisorientierte Anfänger schlechthin. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den zahlreichen Beispielen aus der Patentliteratur mit begleitenden Erläuterungen und Interpretationen des Autors.
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2014
Vincentz Network GmbH & Co KG
Gerhard Jonschker
Praxis der Sol-Gel-Technologie
Umschlag: Heiko Stahl/VN
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
Gerhard Jonschker
Praxis der Sol-Gel-Technologie
Hannover: Vincentz Network, 2012
FARBE UND LACK EDITION I
© 2012 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover
Vincentz Network, Plathnerstraße 4c, 30175 Hannover, Germany
Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.
Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.
Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern:
Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany
Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029
E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de
Satz: Vincentz Network, Hannover
ISBN 978-3-86630-829-9
eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net
FARBE UND LACK EDITION
Gerhard Jonschker
Praxis der Sol-Gel-Technologie
Dies ist kein herkömmliches Kolloidchemie/Sol-Gel-Lehrbuch. Es gibt viele exzellente Klassiker auf dem Gebiet, die man nicht noch einmal schreiben muss. Dieses Buch soll vielmehr ein Leitfaden für die praktische Arbeit sein und beschreitet dabei einen ungewöhnlichen Weg.
Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf Praxisbeispielen aus der Patentliteratur mit begleitenden Erläuterungen und Interpretationen. Theoretische Grundlagen werden dabei so wenig wie möglich und so viel wie nötig vorangestellt.
Als Anfänger in der Sol-Gel- und Nanotechnologie hat es mich immer gestört, dass in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Büchern und der Patentliteratur kaum praxisrelevante Hinweise zu finden sind, warum nun gerade dieses Edukt, jenes Lösemittel und genau dieser Katalysator verwendet wird.
Ich habe mir ein Buch für den praxisorientierten Anfänger gewünscht, das mir an Hand von konkreten Rezepturen für die üblichen Fragestellungen eine Ausbildung in Sol-Gel- und Nanotechnologie ermöglicht. Im Laufe meiner derzeit 21 Jahre Sol-Gel-Praxis habe ich kein solches Buch gefunden, deshalb ist das Ihnen vorliegende Buch mein Versuch, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Die Erläuterung und Interpretation der ausgewählten 61 Praxisbeispiele sind nicht von den Autoren der Beispiele autorisiert und geben daher nicht unbedingt deren Meinung wieder. Sie zeigen vielmehr meine persönliche Sichtweise, die von der eigenen Laborerfahrung geprägt ist. Sie kann und will nicht vollständig und allumfassend sein, sondern soll auf einzelne Aspekte hinweisen und theoretische Grundlagen in der praktischen Anwendung erläutern. Die 61 Beispiele wurden dazu in der Regel nicht wörtlich übernommen, sondern für die Darstellung in diesem Buch zur besseren Lesbarkeit gekürzt und überarbeitet.
Solch ein Buch ist ein Spagat. Ein Praxisleitfaden soll schnell und pragmatisch zu einem Grundverständnis und zu umsetzbaren Lösungen führen. Die dazu notwendigen Vereinfachungen sind aus meiner Sicht die Voraussetzung für eine schnelle Lesbarkeit unter dem Ergebnisdruck industrieller oder institutioneller Forschung. Wo immer es möglich und angebracht ist, wird daher zur Vertiefung und Vollständigkeit auf weiterführende Literatur verwiesen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen, Lernen und beim Sammeln von praktischen Erfahrungen mit diesem Buch. Ich hoffe, dass Sie darin die Freude spüren können, die mir die Laborarbeit und die Fertigstellung des Buchs gemacht haben und sich dadurch inspirieren lassen.
Anregungen und Kritik zu dem Buch sind willkommen und können an die Adresse [email protected] gerichtet werden.
Gerhard Jonschker
Heppenheim, Januar 2012
Patentrecht und Haftungsausschluss
Die Besonderheit dieses Buches ist sicherlich die Menge an Rezepturen und erläuterten Fallbeispielen. Diese sollen die theoretischen Hintergründe verdeutlichen und somit helfen, das erworbene Wissen praktisch umzusetzen.
Die Quellen der Beispiele sind in den meisten Fällen Patentschriften. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit dem Abdruck der Beispiele und der Erläuterung/ Interpretation der Formulierungen zu Lehr- und Lernzwecken in diesem Buch keine Erlaubnis zur kommerziellen Nutzung durch den Käufer oder Leser des Buches einhergeht.
Des Weiteren stellen der Abdruck und die Erläuterung von Beispielen aus Patenten in keiner Weise eine Aufforderung zur Verletzung der Rechte der Patentinhaber dar.
Daher die Bitte: Respektieren Sie geistiges Eigentum und klären Sie bitte vor einer Kommerzialisierung Ihrer Produkte ab, ob Sie Rechte von Patentinhabern oder -nutzern verletzen. Der Autor und der Verlag weisen ausdrücklich darauf hin, dass sich aus der Nichtbeachtung dieser Hinweise gravierende finanzielle und strafrechtliche Folgen für den Patentverletzer ergeben können.
Eine Haftung des Autors und/oder des Verlags für alle Folgen einer Nichtbeachtung dieses Hinweises und/oder der gesetzlichen Regelungen wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
1Was ist Sol-Gel- und Nanotechnologie?
1.1Definitionen und Begriffe
1.2Rückblick und Aktuelles
1.2.1Nanotechnologie als Teil unseres Lebens
1.3Nanotechnologie in der Lackentwicklung
2Herstellung von Nanomaterialien
2.1Top-down-Verfahren
2.2Bottom-up-Verfahren
2.2.1Nanoteilchensynthese in der Gasphase
2.2.2Nanoteilchensynthese in der Flüssigphase
2.2.2.1Ostwaldreifung
2.2.2.2Hydrolyse
2.2.2.3Kontrollierte Fällung/Peptisation
2.2.2.4Ionentausch
2.2.2.5Hochtemperatur-Flüssigphasensynthese
2.2.2.6Elektrolyse
2.2.2.7Mikroemulsionsverfahren
2.3Kommerzielle Quellen
3Eigenschaften und Verarbeitung von Nanopartikeln
3.1Agglomeration von Nanopartikeln
3.2Strukturviskosität – nützliche Agglomerate
3.3Stabilisierung von Nanoteilchen gegen Agglomeration
3.3.1Elektrostatische Stabilisierung
3.3.2Sterische Stabilisierung
3.3.2.1Redispergierbare Nanopulver
3.3.3Elektrosterische Stabilisierung
3.4Nanoteilchen in Bindemittelharzen
3.4.1Organische Bindemittel
3.4.2Wasserbasierte Bindemittel
4Anwendung von Nanopartikeln in der Lackpraxis
4.1Licht und Farbe
4.1.1Deckvermögen, Transparenz und Teilchengröße
4.1.2Nanoskalige Pigmente
4.1.3Interferenzpigmente
4.1.4IR-Absorption
4.1.5UV-Absorption
4.2Verbesserung der Kratzfestigkeit von Lacken
5Nanotechnologie zur Bindemittelherstellung – der Sol-Gel-Prozess
5.1Anorganische Netzwerkbildner
5.1.1Hydrolyse und Kondensation
5.1.2Katalysatoren von Hydrolyse und Kondensation
5.1.3Wasserquellen im Sol-Gel-Prozess
5.1.4Wasserfreie Sol-Gel-Techniken
5.1.5Lösemittel
5.1.6Metallverbindungen im Sol-Gel-Prozess
5.1.6.1Silan/Metalloxid-Mischsysteme
5.2Netzwerkwandler
5.2.1Silsesquioxane/POSS
5.3Organische Netzwerkbildner
5.3.1Organofunktionelle Silane
5.3.2Silan-funktionelle Lackbindemittel
5.4Formulierung von Sol-Gel-Beschichtungen
5.4.1Lösemittelhaltige Formulierungen
5.4.2Wasserbasierte Formulierungen
5.4.3Lagerstabilität von Sol-Gel-Formulierungen
5.4.4Pulverlacke mit Sol-Gel-Technologie
5.4.5Lackadditive für Sol-Gel-Formulierungen
5.4.6Verträglichkeit mit organischen Bindemitteln
6Beschichten, Trocknen und Verdichten
6.1Vorbehandlung von Oberflächen
6.2Beschichten mit Sol-Gel-Materialien
6.3Anwendungsbeispiele von Sol-Gel-Beschichtungen
6.3.1Hochtemperaturbeständige Beschichtungen
6.3.2Farbige und pigmentierte Sol-Gel-Beschichtungen.
6.3.2.1Anorganische Pigmente
6.3.2.2Organische Pigmente und Farbstoffe
6.4Strukturierte Sol-Gel-Beschichtungen
6.5Kratzfeste Beschichtungen
6.5.1Abriebfestigkeit
6.6Easy-to-clean/Antihaft-Beschichtungen
6.6.1„Lotus-Effekt“-Beschichtungen
6.7Antifingerprint-Beschichtungen
6.8Hydrophile Beschichtungen
6.8.1Superhydrophile Beschichtungen
6.9Brechungsindexsteuerung von Sol-Gel-Beschichtungen
6.10Korrosionsschutz
6.11Antistatik-Beschichtungen/leitfähige Beschichtungen
6.12Antibakterielle Beschichtungen
6.13Barriere-Beschichtungen
6.13.1Pigmente
7Toxikologie und Sicherheitsaspekte
8Resümee
9Verzeichnis der Beispiele
10Literatur
Danksagung
Lebenslauf
Index
Bezugsquellen
Laut Ostwald stellen „Die Kolloide … ein nur aus praktischen Gründen abgegrenztes Gebiet aus der kontinuierlichen Reihe der dispersen Systeme dar“.
Definitionen sind wichtig, damit man über ein Thema ohne Missverständnisse kommunizieren kann. Bei der Sol-Gel- und Nanotechnologie erscheint dies besonders nötig, denn sie ist kein eigenständiges Themenfeld, sondern berührt interdisziplinär nahezu alle Naturwissenschaften, von der Chemie, über die Werkstoff- und Ingenieurtechnik, bis hin zur Medizin.
Das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) definiert Nanotechnologie wie folgt: „Nanotechnologie beschreibt die Herstellung, Untersuchung und Anwendung von Strukturen, molekularen Materialien, inneren Grenz- und Oberflächen mit mindestens einer kritischen Dimension oder mit Fertigungstoleranzen unter 100 nm. Allein aus der Nanoskaligkeit der Systemkomponenten resultieren dabei neue Funktionalitäten und Eigenschaften zur Verbesserung bestehender oder Entwicklung neuer Produkte und Anwendungsoptionen“ [3].
Abbildung 1.1: Orientierungshilfe zum Vergleich der Größenordnung von Nanopartikeln
Abbildung 1.2: Wichtige Definitionen von Nanomaterialien
Der zweite Satz der Definition ist sehr wichtig, weil er die Nanotechnologie von den vielen Produkten abgrenzt, bei denen Nanopartikel oder Nanostrukturen zufällig entstehen, oder bei denen die enthaltenen Nanopartikel nicht relevant für den Produktnutzen sind. Nanotechnologie beinhaltet also die Erkenntnis über Struktur-Eigenschaftsbeziehungen und daraus folgend eine absichtliche Herstellung von geeigneten Strukturen im Nanometermaßstab.
Damit wird auch klar, dass die Nanotechnologie kein definierter Markt und keine präzise zu beschreibende Industrie ist. Nanotechnologie ist vielmehr ein künstlich geschaffener Dachbegriff für verschiedene Materialien und Arbeitstechniken, sowie einfach die Beschreibung einer Größenordnung in der Material- und Technologieentwicklung.
Der Sol-Gel-Prozess ist ein Teilaspekt der Nanotechnologie. Er beschreibt die Herstellung von Nanoobjekten, wie z.B. Partikel, und deren nasschemische Verarbeitung zu nanostrukturierten Materialien. Ein Prozessschritt dabei umfasst die Verfestigung der flüssigen Nanoteilchendispersion (Sol) durch interpartikuläre Kräfte zum Gel.
Als Orientierungshilfe sind in Abbildung 1.1 Nanopartikel im Vergleich zu anderen Technologien und Stoffen dargestellt. Die graue Schattierung zeigt den in der Praxis relevanten Größenbereich der Sol-Gel- und Nanotechnologie. Weitere wichtige Definitionen sind in Abbildung 1.2 aufgeführt. Abbildung 1.3 illustriert eine Auswahl an Nanoobjekten und nanostrukturierten Materialien.
Problematisch ist, dass fast jeder Werkstoff bei ausreichend detaillierter Untersuchung Oberflächenstrukturen oder Bestandteile im Nanometermaßstab aufweist. Daher resultiert auch der zweite Satz in der Definition, dass bei einem Nanowerkstoff ein besonderes Eigenschaftsprofil durch die Nanostruktur hervorgerufen wird (vgl. „Toxikologie und Sicherheitsaspekte“ Kapitel 7).
Abbildung 1.3: Illustrierung unterschiedlicher Formen von Nanomaterialien
Man kann sich nicht effektiv über Nanotechnologie verständigen, ohne einige weitere wichtige Begriffe zu klären. Hier helfen uns einige deutsche Normen. Nach ISO TC 24/SC 4, TC 146, TC 209 sind:
Partikel:
Sehr kleines Stück einer Substanz mit definierten physikalischen Grenzen
Aggregat:
Ansammlung fest gebundener oder verschmolzener Partikel, deren resultierende Oberfläche wesentlich kleiner als die Summe der berechneten Oberflächen der Bestandteile ist.
Agglomerat:
Ansammlung schwach gebundener Partikel oder Aggregate, in der die resultierende Oberfläche ähnlich der Summe der Oberflächen der einzelnen Bestandteile ist.
Der Begriff „Monodispers“ als Gegenteil von „Polydispers“ bezeichnet eine Gruppe von Partikeln, die bezüglich Größe und Form einheitlich sind. Ein Grenzwert für die erlaubte Schwankungsbreite existiert nicht, zweckmäßig erscheint aber etwa ein Wert von ±10 %. Monodispersität ist in vielen Fällen vorteilhaft, da durch die Größenhomogenität eine präzisere Kontrolle der Eigenschaften möglich wird. Das ist zum Beispiel bei transparenten Nanokompositen essenziell, um Trübung durch einen Anteil an größeren Teilchen zu verhindern.
Nano- und Sol-Gel-Technologie ist nicht neu, sondern wird seit Jahrhunderten zur Herstellung von Werkstoffen benutzt. So ist zum Beispiel das Goldrubinglas einer der ältesten Nanowerkstoffe. Im 17. Jahrhundert hat Kunkel diese Technologie wiederentdeckt, die auch schon den Sumerern ca. 700 v. Chr. zugeschrieben wird [4].
Die rote Farbe entsteht durch nanoskalige Goldteilchen, die meistens durch Zugabe von SnO2 zur Glasschmelze gegen Agglomeration stabilisiert wurden. Wissenschaftlich hat Zsigmondy 1900 monodisperses Gold beschrieben [5].
Ein anderes Beispiel sind Kohlenstoff-Nanoröhrchen, die in den mehrfach gefalteten, kohlenstoffreichen Stählen japanischer Schwertschmiede gefunden wurden. Nanotechnologie wurde in diesen Beispielen allerdings ohne Kenntnis der Struktur-Eigenschaftsbeziehungen angewandt. Die Diskussion geht dahin, nur wissentlich und absichtlich hergestellte Materialien mit Nanostrukturen der Nanotechnologie zuzuordnen. Taniguchi prägte den Begriff „Nanotechnologie“ für diese Art der Anwendungen 1974 [6].
Jahrzehnte vorher schon beschrieb Ostwald „Die Welt der vernachlässigten Dimensionen“ in einer Vorlesungsreihe um 1910. Er konzentrierte sich dabei auf den Größenbereich von Materialien zwischen 1 bis 100 nm, die Stoffe, die nicht mehr durch herkömmliche Filter zurückgehalten werden können, die Kolloide. Er meinte im Jahr 1927: „Es ist eine Klage, dass schon jetzt die Kolloidchemie zu einem fast unübersehbaren Wissenschaftsgebiet geworden ist.“ Noch heute ist sein Buch eine faszinierende Lektüre in der auch erste kommerzielle Anwendungen beschrieben werden [7].
Einen entscheidenden Durchbruch für die Popularität der Nanotechnologie lieferten unter anderem die Arbeiten von Schmidt, die sich mit der Synthese und Anwendungen von organisch modifizierten, anorganischen Materialien befassten [8, 86].
Diese als Ormocere, Ormosile oder Nanomere bezeichneten Werkstoffe öffneten durch die Verbindung zwischen organischer und anorganischer Chemie eine neue Welt an Möglichkeiten für die Werkstoffsynthese. Einige davon werden in diesem Buch besprochen.
Man kann Nanotechnologie gar nicht aus dem Weg gehen, denn Nanotechnologie ist ein universelles Bauprinzip der Natur, ohne das es auch uns nicht gäbe. Es lohnt sich, einen Blick auf gewollte und zufällige Berührungspunkte in unserem täglichen Leben zu werfen, um das Wesen der Nanotechnologie besser verstehen und die Bandbreite der Nanotechnologie besser einordnen zu können.
Ein typischer Tagesablauf
Morgens duschen wir uns in der Nanometer dünn beschichteten, leicht zu reinigenden Duschkabine, ziehen anschließend den schmutzabweisend beschichteten Schlips und die mit Silber-Nanopartikeln geruchshemmend imprägnierten Socken an. Zur Arbeit fahren wir auf benzinsparenden Reifen, die mit nanostrukturiertem Ruß und Siliciumdioxid verstärkt sind.
Auf dieser Fahrt in unserem Auto mit durch Nanopartikeln besonders kratzfester Lackierung, produzieren wir Abgase, die durch Katalysatoren mit nanoskaligen Edelmetallen gereinigt werden und trotzdem noch nanoskaligen Ruß enthalten. Auf der Arbeit angelangt, nutzen wir einen Prozessor auf der Basis neuester 45 nm Technologie. Nach getaner Arbeit entspannen wir uns bei einem Tennismatch, natürlich mit einem durch Carbon-Nanotubes verstärkten Schläger. Zuhause lesen wir danach bei Kerzenschein das Buch von Michael Chrichton „Prey“, in dem es um einen wild gewordenen Schwarm von Nanoorganismen geht, die die Welt in einen grauen Schleim verwandeln. Während dessen atmen wir die von der Kerzenflamme produzierten Nanopartikel ein. Während des Zähneputzens mit einer Zahncreme, die mit Nano-Apatit unsere empfindlichen Zähnen remineralisiert, schauen wir dann im Spiegel auf die perfekteste Nanomaschine – uns selbst, denn die meisten Prozesse in unserem Körper laufen auf Nanometer-Ebene ab [9].
Abbildung 1.4: Wandel von „Breakthrough“-Technologien in der öffentlichen Wahrnehmung
Marktpotenzial der Nanotechnologie
Die Berichte und Schätzungen über das aktuelle und zukünftige Marktpotenzial der Nanotechnologie wurden im Herbst 2011 vom BMBF im nano.DE-Report 2011 zusammengefasst. Sie überbieten sich geradezu in Euphorie und weichen trotzdem um Milliardenbeträge voneinander ab [10–12]. Warum eigentlich?
Die Nanotechnologie ist, wie bereits ausgeführt, kein eigenständiger Wirtschaftszweig, daher ist es schwierig, eine Grenze zu ziehen. Heutige Computerchips sind zweifelsfrei Nanotechnologe, unübersehbar wirbt Intel mit der „45 nm-Prozessorarchitektur“. Welcher Umsatz ist nun der Nanotechnologie zuzuschreiben – der des Chips, des Motherboards oder der des Computers? Je nach Beantwortung dieser Frage schwankt das Marktpotenzial der Nanotechnologie signifikant.
Vom ganzen Computer ist auf jeden Fall nur ein kleiner Teil Nanotechnologie, aber eben der entscheidende. Das wirft die Frage auf, wie man mit Nanotechnologie Umsatz und Ergebnis generiert. Ein früherer Arbeitskollege hat das die „Nano-Falle“ genannt, in die an Nanotechnologie interessierte Materialhersteller geraten können [13].
Als praktisches Beispiel sei eine leichter zu reinigende Beschichtung auf Duschabtrennungen angeführt. Aus den typischen Rohstoffen berechnet, aus denen solche Beschichtungen aufgebaut werden, ergibt sich bei 100 nm Beschichtungsdicke ein Materialauftrag von ca. 0,1 g/m2 mit Materialkosten von ca. 2 bis 5 € bei einer zu beschichtenden Oberfläche von ca. 10 m2. Ein Endkunde allerdings muss mit Aufpreisen von bis zu 250 € pro Dusche rechnen. Damit wurde eine Wertschöpfung von ca. 25.000 €/kg Nanobeschichtung erzielt, die erst einmal beim Hersteller der Dusche anfällt.
Es dürfte schwer sein, als Materiallieferant ein signifikantes Stück dieser Wertschöpfung zu erhalten, wenn nicht Markteintrittshürden Wettbewerber davon abhalten, ein ähnliches Material anzubieten. Als Resultat bleibt der Großteil der Wertschöpfung bei den Endproduktherstellern, obwohl die Entwicklung einer Nanotechnologie-Beschichtungslösung mit erheblichem Aufwand und wirtschaftlichen Risiken verbunden sein kann.
Diese und weitere Probleme bei der Markterschließung nanotechnologischer Innovationen haben dazu geführt, dass die ambitionierten Prognosen für die marktwirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie nicht erfüllt wurden.
Mittlerweile ist ein realistischerer Umgang mit dem Thema zu beobachten. Nicht mehr die Nanotechnologie selbst, sondern der bezahlbare und tatsächlich honorierte Kundennutzen steht im Fokus.
Diese Situation ist jedoch nicht spezifisch für die Nanotechnologie. Alle signifikanten technischen Innovationen lösen zu Beginn Euphorie über die „grenzenlosen Möglichkeiten“ aus. Mit der Zeit entwickelt sich dann ein Verständnis dafür, dass nicht die Technologie an sich verkaufbar ist, sondern nur ökonomisch sinnvolle Problemlösungen für einen zahlenden Kunden.
Die Folge ist, dass die hohen Erwartungen nicht erfüllbar sind und sich Enttäuschung über das kommerzielle Ergebnis einstellt. Nach und nach setzt sich dann die Anwendung der technologischen Innovation in Produkten durch und es entwickelt sich ein „Market Pull“ für die nun möglichen Problemlösungen. An diesem Punkt steht Nanotechnologie heute.
In der Lackentwicklung wird Nanotechnologie schon seit langer Zeit genutzt. Viele Pigmente weisen Teilchengrößen im Nanometerbereich auf und wasserbasierende Beschichtungsstoffe bestehen aus nanometergroßen Polymertröpfchen. So verwundert es auch nicht, wenn der Verband der deutschen Lackindustrie (VdL) die Aussichten der Nanotechnologie wie folgt beschreibt: „Die Nanotechnologie ist eine Schlüsseltechnologie der Zukunft und erfährt auch im Bereich der Lacke und Farben eine wachsende Bedeutung. Die Verbesserung von herkömmlichen Lacken und die Erschließung neuer Funktionen von Beschichtungsstoffen mit Hilfe der Nanotechnologie werden in den nächsten Jahren zunehmen“ [352].
Bevor man Nanomaterialien in der Lackentwicklung nutzen kann, müssen sie erst einmal hergestellt werden. Die Möglichkeiten und Probleme dabei werden in dem Kapitel 2 behandelt.
„Der kolloide Zustand ist ein allgemein möglicher Zustand der Materie“ schrieb Wolfgang Ostwald schon 1922. Nanotechnologie beschreibt nur eine Größenordnung, deshalb können grundsätzlich nahezu alle Materialien in eine nanoskalige Form gebracht werden. Bei der Herstellung von Nanomaterialien gibt es drei kritische Erfolgsfaktoren, die in Abbildung 2.1 dargestellt sind.
Die Herstellung von Nanomaterialien mit definierten Spezifikationen gestaltet sich in vielen Fällen deshalb schwierig, da die zu Grunde liegenden Struktur-Eigenschaftsbeziehungen nicht bekannt sind und durch aufwändige Versuchsreihen ermittelt werden müssen. Sind die Nanoteilchen hergestellt, müssen sie vor Agglomeration geschützt werden, damit ihre besonderen Eigenschaften nutzbar bleiben.
Der dritte wesentliche Punkt ist die Adaption von Nanomaterialien an die Umgebung. Nanomaterialien werden in der Regel nicht direkt in der Umgebung hergestellt, in der sie später eingesetzt werden und der Transfer in die Zielmatrix erfordert meist eine geeignete Oberflächenmodifizierung.
In den folgenden Kapiteln beschäftigen wir uns schrittweise mit den kritischen Faktoren, beginnend mit der Herstellung. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Nanopartikel herzustellen. Etwas salopp ausgedrückt: Entweder man macht dabei etwas Großes klein oder etwas ganz Kleines größer. Diese Ansätze der Nanomaterialentwicklung werden als Top-down- und Bottom-up-Ansatz bezeichnet.
Abbildung 2.1: Kritische Erfolgsfaktoren bei der Herstellung von Nanomaterialien [14]
Abbildung 2.2: Top-down- und Bottom-up-Ansatz bei der Herstellung von Nanomaterialien
Bei den Top-down-Verfahren werden größere Strukturen durch Energieeintrag, zum Beispiel Mahlen, zu kleineren Strukturen aufgebrochen. Um die neu geschaffenen Oberflächen vor Agglomeration zu schützen, werden erhebliche Mengen an Oberflächenmodifikatoren benötigt. Zur Herstellung von 20 nm großen Partikeln können bis zu 15 Masse%, bezogen auf die Menge der Nanopartikel benötigt werden, bei kleineren Nanopartikeln sind es durch die größere Oberfläche noch viel mehr.
Während des Mahlens steigt der Energiegehalt des Systems durch die Grenzflächenenergie der neu geschaffenen Oberflächen ständig an, bis die Tendenz zur Oberflächenver-
Abbildung 2.3: Oberflächenmodifikatoren sind notwendig, um die Agglomeration der gebildeten Nanopartikel beim Mahlen zu vermeiden
Abbildung 2.4: Aufnahmen von Zirkonoxid-Dispersionen nach unterschiedlich langer Mahldauer in einer Hochenergiemühle kleinerung durch Agglomeration so stark ist, dass durch längeres Mahlen keine weitere Verkleinerung der Teilchengrößen mehr erzielt werden kann.
Quelle: Bühler AG
Ein weiterer Nachteil der Top-down-Verfahren ist der hohe Energie- und Zeitaufwand. Zur Herstellung einer Nanoteilchendispersion aus einem agglomerierten, gröberen Pulver werden Perlmühlen mit mehreren Kilowattstunden Leistungsaufnahme benötigt, die bis zu 10 Stunden lang die gröberen Agglomerate zerteilen. Dabei besteht immer auch die Gefahr der Verunreinigung durch Abrieb aus dem Mahlbehälter und den Mahlkugeln.
Beispiel 1:
Herstellung einer Dispersion von ZrO
2
-Nanopartikeln aus einem ZrO
2
-Pulver durch Mahlen
[
15
]
400 g ZrO
2
(z.B. „ZrO
2
/TZ-O“ von Tosoh, Oberfläche 14 m
2
/g) werden mit 60 g 3,6,9-Trioxadecansäure in 800 ml Wasser für 30 min. gerührt. Die Mischung wird anschließend in einer Rührwerkskugelmühle („Drais Perl Mill PML-H/V“, Zirkonsilikat-Mahlkugeln 0,3 bis 0,4 mm Durchmesser) im Kreisverfahren mehrere Stunden gemahlen. Nach ca. 5 bis 7 h entsteht eine Dispersion mit ca. 70 nm ZrO
2
-Teilchen.
Oberflächenmodifikatoren verhindern Agglomeration
Der entscheidende Punkt beim Mahlvorgang ist die sofortige Belegung der neu gebildeten Oberflächen mit einem Oberflächenmodifikator, um die Agglomeration zu verhindern. Trioxadecansäure ist solch ein Modifikator mit ausgeprägter Affinität zu Metalloxidoberflächen, der auch bei Synthesen von anderen Oxiden, wie z.B. Indium-Zinnoxid (ITO) zum Einsatz kommt.
15 bis 20 Gew.-% an Oberflächenmodifikator, bezogen auf die Masse an Nanoteilchen, ist ein üblicher Wert. Diese Menge an organischer „Verunreinigung“ wird bei der weiteren Prozessierung des Nanoteilchens mitgeschleppt und muss gegebenenfalls später entfernt werden. Bei der Verwendung von Mahlverfahren sollte immer auch die Möglichkeit der Verunreinigung durch den Behälter und die Mahlkugeln berücksichtigt werden.
Beispiel 2:
Herstellung einer ITO Indium-Zinnoxid-Nanoteilchendispersion [16, 17]
40 g Indium(III)chlorid (0,63 mol wasserfrei), 18 g Zinn(IV)chlorid × 5 H
2
O und 5,6 g Caprolactam werden in 1400 ml Wasser unter Rühren gelöst. Die klare Lösung wird auf 50 °C erwärmt und unter heftigem Rühren 105 ml Ammoniumhydroxidlösung (25 %ig) zugetropft und 24 h gerührt. Nach der Zugabe von weiteren 280 ml Ammoniumhydroxidlösung wird der gebildete Niederschlag abzentrifugiert.
Das Pulver wird im Vakuumtrockenschrank bei 190 °C getrocknet, dann fein gemörsert und in einem Formiergas-Ofen bei 250 °C 1 h getempert. Es resultiert ein dunkelblaues Pulver.
25 g eines Gemisches aus 50 Gew.-% Ethylenglycol, 50 Gew.-% Diethylenglycolmonobutylether und 5,6 g 3,6,9-Trioxadecansäure werden zu 75 g des ITO-Pulvers gegeben und 2 h in einer Mörsermühle gemahlen. Danach ergibt sich eine dunkelblaue, hochviskose Suspension, die für ca. 20 min. in einem 3-Walzenstuhl homogenisiert wird. Durch Abtrennen der Lösemittel erhält man ITO-Pulver, die sich z.B. in Ethanol auf eine Teilchengröße unter 20 nm redispergieren lassen. Die Primärteilchengröße liegt bei ca. 10 nm, die spezifische Oberfläche bei 70 m
2
/g.
Aus diesen Pulvern lassen sich Sol-Gel-Schichten applizieren, die bei einer Filmdicke von 400 nm bei einer Einbrenntemperatur von 550 °C auf Glas eine Transmission > 90 % und einen Flächenwiderstand von 160 Ω
2
realisieren können.
Abbildung 2.5: Trioxadecansäure ist ein chelatisierender Oberflächenmodifikator für viele Nanopartikel
Nanopartikel durch kontrollierte Fällung herstellen
Bei der Herstellung von Nanopartikeln über eine kontrollierte Fällungsmethode kommt es darauf an, die Bildung von nicht mehr aufbrechbaren Aggregaten zu vermeiden. Eine Möglichkeit besteht darin, schon während der Fällung Oberflächenmodifikatoren einzusetzen, um die neu geschaffenen Oberflächen direkt zu belegen und so Agglomeration und Aggregation zu vermeiden.
Der Einsatz von Caprolactam im Ausführungsbeispiel 2 ist so ein Fall. Die Cofällung des Indium-Zinnhydroxids führt zu einem Niederschlag aus agglomerierten Nanopartikeln, die durch Caprolactam redispergierbar bleiben und in ihrem weiteren Wachstum begrenzt werden. Ein weiterer Effekt von Oberflächenmodifikatoren bei der Fällung ist die Kontrolle der Primärteilchengröße. Durch das Verhältnis von Oberflächenmodifikator zur Menge an Produkt kann bei ausreichend starker Oberflächenadsorption die Teilchengröße verändert werden (vgl. Abbildung 3.18 S. 52) [62].
Zur Dispergierung von getemperten Nanoteilchenagglomeraten, wie es hier zum Zweck der Kristallisation durchgeführt wurde, sind starke Scherkräfte, wie z.B. im 3-Walzenstuhl notwendig. Analog zum Mahlen müssen die neu geschaffenen Oberflächen direkt durch Oberflächenmodifikatoren belegt werden, um erneutes Agglomerieren zu vermeiden. Trioxadecansäure ist hier ein sehr effektiver Modifikator, der mit der Carbonsäurefunktion und den Ethersauerstoffatomen mit der Nanoteilchenoberfläche wechselwirkt.
Bei der Synthese findet in einem ersten Schritt die Lösung, Verdünnung und Erwärmung von Indium- und Zinnchlorid statt. Unter diesen Bedingungen erfolgt bereits eine Hydrolyse und die Bildung von Chloridionen-stabilisierten Keimen (vgl. Tabelle 2.2, S. 25). Ob dieser Schritt die spätere Produktqualität bestimmt, ist nicht bekannt, wichtig ist es zu verstehen, dass bei der Nanopartikel-Synthese auch „Kleinigkeiten“, wie das Verdünnen einer Salzlösung mit Wasser, eine entscheidende Rolle in der Synthese spielen können.
Bei Bottom-up-Verfahren werden Nanoteilchen durch physikalische oder chemische Prozesse aus kleineren Einheiten (Atome, Ionen, Moleküle) hergestellt. Eine grobe Einteilung kann durch die Phase vorgenommen werden, in der die Synthese abläuft. So unterscheidet man Gas-, Flüssig- und Festphasenprozesse. Tabelle 2.1 zeigt Beispiele einiger bekannter Bottom-up-Verfahren.
Tabelle 2.1: Physikalische und chemische Verfahren zur Herstellung von Nanopartikeln [18]
Physikalische Prozesse
Chemisch reaktive Prozesse
Gasphasenprozesse
PVD LASER-Verdampfung Plasmaverfahren Drahtexplosion
Flammpyrolyse CVD Heißwandreaktoren
Flüssigphasenprozesse
Lösen und Wiederausfällen in Lösemitteln Lösen in superkritischen Gasen und Entspannen
Kontrollierte Fällung Sol-Gel-Prozesse Elektrochemie
Festphasenprozesse
Ausscheidungen in Gläsern und Metallen beim Abkühlen (z.B. Goldrubin)
Reaktivmahlen
[
18
]
Bei Bottom-up-Verfahren werden in einem ersten Schritt die Komponenten des herzustellenden Nanomaterials in eine gasförmige oder gelöste Form gebracht. Das kann z.B. durch Auflösen in einem Lösemittel, oder Einwirken von Energie erreicht werden. Übersättigung führt zur Bildung von Keimen, die aggregieren und zu größeren Strukturen wachsen (vgl. Abbildung 2.8 , S. 26).
Zu diesem Zeitpunkt ist es entscheidend, ob die gebildeten Nanoteilchen durch Oberflächenmodifikatoren vor Agglomeration und Aggregation geschützt werden können. Einmal gebildete größere Cluster sind in späteren Verarbeitungsprozessen nur schwer wieder zu separieren.
Abbildung 2.6: Allgemeines Schema der Nanopartikelherstellung durch Bottom-up-Verfahren
Durch die bei Gasphasenprozessen hohen Prozesstemperaturen können vor Agglomeration und Aggregation schützende Oberflächenmodifikatoren erst zu einem Zeitpunkt eingesetzt werden, zu dem die Prozesstemperatur unter die Zersetzungstemperatur organischer Komponenten gefallen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind die Agglomerate und Aggregate in der Regel aber schon ausgebildet. Es müssen daher große Anstrengungen unternommen werden, um aus den produzierten Nanopulvern eine auf Primärteilchengröße dispergierte Formulierung herzustellen.
Das bekannteste Beispiel eines Gasphasenverfahrens zur Nanopartikelherstellung ist sicherlich die Hydrolyse von SiCl4 in der Knallgasflamme zu den pyrogenen Kieselsäuren („Aerosil“, „HDK“), deren hoch aggregierte Struktur die Grundlage ihres Anwendungsspektrums als Verdicker oder Antiabsetzmittel darstellt (vgl. Abbildung 3.4, S. 40).
Werden organische Oberflächenmodifikatoren bei Synthesen, die in der Flüssigphase stattfinden, von Beginn an eingesetzt, kann die Agglomeratbildung unterbunden werden. Daher lassen sich kleine Teilchengrößen und agglomerationsfreie Produkte sehr viel einfacher darstellen. Dies wird besonders deutlich, wenn man wie in Abbildung 2.7, ein durch Gasphasenverfahren (Flammpyrolyse) und ein durch Flüssigphasenverfahren (kontrollierte Fällung) hergestelltes ZnO miteinander vergleicht.
Deutlich sind im linken Bild die versinterten, größeren Teilchen zu erkennen, während rechts im Bild kleine, vereinzelte Nanoteilchen ohne Agglomerate sichtbar sind.
Wird die Löslichkeit eines Stoffes im Reaktionsmedium überschritten, beginnt eine Keimbildung, gefolgt von Wachstum, Aggregation und Bildung eines schwerlöslichen Niederschlags.
Das lernt man schon im Grundpraktikum Chemie: Mischt man BaCl2 und Na2SO4, so entsteht ein weißer Niederschlag von BaSO4. Was im Chemiepraktikum gefürchtet war, ist in der Nanotechnologie das Ziel, nämlich die Herstellung kolloidaler Niederschläge, die durch Filter nicht zurückgehalten werden können.
Abbildung 2.7: Elektronenmikroskopische Aufnahmen von nanoskaligem Zinkoxid aus der Gasphasensynthese (links) und aus der Flüssigphasensynthese (rechts)
Tabelle 2.2: Möglichkeiten der Nanoteilchenherstellung in der Flüssigphase
Übergeordnetes Prinzip
Ausführungsform
Beispiel
Y wird durch X verdrängt
kontrollierte Fällung durch Bildung schwerlöslicher Niederschläge aus MeX Hydrolyse durch Erwärmen oder Verdünnen einer konzentrierten Salzlösung Hydrolyse von organischen Resten im Sol-Gel-Prozess
BaSO
4
aus BaCl
2
und Na
2
SO
4
TiO
2
-Herstellung aus TiOCl
2
oder TiOSO
4
[
19
]
SiO
2
-Stöber Synthese (vgl.
Beispiel 3
)
Y wird entfernt, X nimmt den freien Platz ein
Chemische Zersetzung von Y durch eine Redoxreaktion/Elektrolyse Thermische Zersetzung von Y Ionentausch von Y gegen X
ZrO
2
-Herstellung aus ZrOCl
2
an Ir-Elektroden Cr
2
O
3
aus Cr-acetat (vgl.
Beispiel 19
) Kieselsolherstellung (vgl.
Beispiel 5
)
Es gibt viele Verfahren zur Herstellung von Nanoteilchen, die aber alle auf einfache Grundprinzipien zurückzuführen sind. Wenn ein Nanoteilchen der Zusammensetzung MeX aus einer Ausgangsverbindung MeY hergestellt werden soll, so muss Y durch X ersetzt werden. Dies kann in verschiedenen Ausführungsformen geschehen.
Bei der Nanopartikel-Herstellung in der flüssigen Phase wird eine übersättigte Lösung hergestellt, woraus sich durch Bildung von schwerlöslichen Spezies Keime bilden, die wachsen und aggregieren. Die folgenden Punkte müssen dabei beachtet werden.
Kritische Keimbildungskonzentration
Im Gegensatz zu den gasförmigen Verfahren werden die reaktiven Spezies nicht durch Verdampfen, sondern durch chemische Reaktionen erzeugt. Der für die Produktqualität im Sinne der Dispergierbarkeit entscheidende Unterschied zwischen Verfahren in der Gas- oder Flüssigphase besteht in der Möglichkeit, lösliche oberflächenmodifizierende Stoffe einzusetzen und zu jedem Zeitpunkt Keimbildung und -wachstum zu steuern.
Durch die ansteigende Konzentration des nanoskalig herzustellenden Stoffs wird zuerst die Sättigungskonzentration überschritten, wobei es durch eine kinetische Hemmung noch nicht zur Bildung von Keimen kommt. In diesem übersättigten Bereich bestimmt die kritische Keimbildungskonzentration den Wert, ab dem die Keimbildungsgeschwindigkeit messbar wird [20, 21].
Keimbildungsphase
Durch die Keimbildung wird der Lösung Material entzogen und die Konzentration schließlich so stark herabgesetzt, dass sie wieder unter die kritische Übersättigung fällt. Den Zeitraum zwischen dem Über- und Unterschreiten der kritischen Keimbildungskonzentration bezeichnet man als Keimbildungsphase, nach der sich die Wachstumsphase anschließt und so lange andauert, bis die Übersättigung vollständig abgebaut ist (vgl. Abbildung 2.11: Die Trennung zwischen Keimbildung und Keimwachstum ist wichtig für die Herstellung monodisperser Nanoteilchen.).
La Mer[21] hat das Verständnis dieser Abläufe mit seinem Modell geprägt. In der Idealvorstellung der Keimbildung geht man von einer homogen übersättigten Lösung aus, bei der an jedem Ort des Systems gleiche Bedingungen vorherrschen. Ab der kritischen Übersättigung setzt Nukleation ein, durch die die Konzentration der gelösten Species sinkt, bis die kritische Übersättigung wieder unterschritten wird. Unterhalb dieser Konzentration verbraucht sich der Rest an schwerlöslichen Spezies durch Wachstum der Keime. Abbildung 2.8 illustriert diesen Zusammenhang [5].
Abbildung 2.8: LaMer-Modell der Keimbildung aus homogen übersättigter Lösung [21]
Abbildung 2.9: Zusammenhang zwischen Keimstabilität und Oberflächenspannung
Bei der Keimbildung kommt es zu einem Gleichgewicht von Keimbildung und -auflösung. Die Lage des Gleichgewichts bestimmt im weiteren Reaktionsverlauf die Größe und die Anzahl der gebildeten Partikel.
Das Schicksal eines gebildeten Keims hängt davon ab, ob der Energiegewinn aus der Gitterenergie größer ist, als die aufzubringende Oberflächenenergie für die neu geschaffene Partikeloberfläche. So lange ∆G für die Keimbildung positiv ist, sind die gebildeten Keime instabil und lösen sich wieder auf. Erst wenn die resultierende freie Enthalpie der Keimbildung negativ wird, entstehen stabile Keime, die weiter wachsen.
Während die Gitterenergie eine weitgehend fixe Größe ist, kann die Oberflächenenergie durch Additive, Lösemittel und Modifikatoren beeinflusst werden. Wird sie gesenkt, entstehen schneller stabile Keime, wie aus Abbildung 2.9 ersichtlich ist. Eine schnellere Bildung stabiler kleiner Keime bedeutet gleichzeitig für das Endprodukt eine kleinere Teilchengröße (vgl. Abbildung 3.18, S. 52). Auch die Übersättigung spielt eine wichtige Rolle. Liegt die Stoffmengenkonzentration unter der kritischen Keimbildungskonzentration, ist das Auflösen des Keims wahrscheinlicher, während bei höheren Konzentrationen die freie Energie des Keimes ständig abnimmt und der Keim schließlich bei negativem ∆G thermodynamisch stabil wird und weiter wächst [22].
Einfluss der Temperatur bei der Keimbildung
Durch Temperaturerhöhung wird die kritische Keimbildungskonzentration schneller überschritten und eine größere Anzahl von Keimen im Vergleich zu niedrigeren Temperaturen gebildet. Die zum Keimwachstum zur Verfügung stehende Stoffmenge des Systems verteilt sich auf viele Keime, deshalb entstehen kleinere Teilchen.
Daher gilt die Regel: Temperaturerhöhung führt zu kleineren Partikeln. Praktische Anwendung findet diese Regel bei der Stöber-Synthese von SiO2-Nanopartikeln (vgl. Beispiel 3, S. 30). Bei identischer Zusammensetzung kann die entstehende Teilchengröße beim Stö-ber-Prozess allein durch Wahl der Temperatur der Edukte in einem weiten Bereich von z.B. 15 bis 800 nm verändert werden [23, 24, 66].
Abbildung 2.10: Die weitere Entwicklung der Keime und damit die Struktur des entstehenden Partikels sind abhängig von der kolloidchemischen Stabilität im Reaktionsmedium (vgl. Kapitel 3.3.1)
Die Struktur des entstehenden Nanopartikels wird entscheidend durch die kolloidchemische Stabilität (vgl. Kapitel 3.3 „Stabilisierung von Nanoteilchen gegen Agglomeration“) der Keime im Reaktionsmedium geprägt. Stabile Keime wachsen durch Abscheidung von Reaktionsprodukten, während instabile Keime durch Aggregieren zu größeren Gebilden wachsen. Die Kieselsol-Herstellung (vgl. Beispiel 5, S. 32) findet unter Bedingungen stabiler Keime statt, während im einstufigen Stöber-Prozess durch die hohe Temperatur und Ionenstärke der Reaktionsmischung instabile Keime entstehen.
Einfluss der Keimbildungsrate
Abbildung 2.11: Die Trennung zwischen Keimbildung und Keimwachstum ist wichtig für die Herstellung monodisperser Nanoteilchen
Das Resultat sind unterschiedliche Partikelmorphologien und daraus resultierend unterschiedlicher Materialeigenschaften, wie z.B. Dichte oder Porosität.
Eine Voraussetzung zur Vermeidung von Niederschlag und zur Bildung von kolloidalen Dispersionen ist, dass die Edukte, bzw. gelösten Stoffe verbraucht sind, solange die aus den Keimen gebildeten Partikel noch nanoskalig sind. Dies kann durch eine möglichst kurze Keimbildungsperiode und damit hohe Keimbildungsrate erreicht werden. Dies trägt überdies dazu bei, dass die entstehenden Keime eine ähnliche Größe aufweisen und somit zu monodispersen Sole wachsen können. Partikel können aus den Keimen durch Anlagern von Reaktionsprodukten oder durch Aggregation entstehen [25].
Zur Herstellung monodisperser Partikel wird in der Literatur die strikte Trennung von Keimbildungs- und Keimwachstumsphase empfohlen [5]. Daher sollte die Nukleationsphase so kurz wie möglich ausfallen, um Keime einheitlicher Größe zu erzeugen. Wenn dann die Keime gezielt durch Zugabe weiterer Edukte wachsen sollen, so muss deren Konzentration stets unterhalb der kritischen Übersättigungskonzentration liegen, um erneute Keimbildung und damit Polydispersität zu vermeiden (vgl. Beispiel 3, S. 30).
Liegen in einer Dispersion stark unterschiedliche Teilchengrößen vor, so kann man Ostwaldreifung beobachten. Die kleinsten Partikel lösen sich auf, und es kommt zur Abscheidung des gelösten Materials auf den größeren Partikeln. Eine Ursache für die Ostwaldreifung ist die Abhängigkeit der Löslichkeit eines Stoffs vom Krümmungsradius der Partikel. Die Ostwaldreifung ist in der analytischen Chemie auch unter der Bezeichnung „Alterung unter der Mutterlauge“ bekannt und wird zur Verbesserung der Filtrierbarkeit von feinen Niederschlägen genutzt (z.B. Bariumsulfat) [26].
Eine möglichst kurze Nukleationsphase setzt eine schnelle, homogene und vollständige Mischung der Reaktanden voraus. Dies ist in der Praxis meistens nicht der Fall, da die Reaktionsgeschwindigkeit oft schneller als die Mischgeschwindigkeit der Reaktanden ist und daher schon an der Eintropfstelle die Reaktion vollständig abläuft.
Kritische Parameter bei der Keimbildung
Setzt man, wie bei der Reaktion von Ionen, eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit voraus, ergeben sich die in Abbildung 2.13 dargestellten Möglichkeiten in Abhängigkeit des Verhältnisses der Mischgeschwindigkeit zur Keimbildungsgeschwindigkeit.
Daher ist bei der Synthese von monomodal verteilten Partikeln darauf zu achten, dass die Mischgeschwindigkeit stets größer als die Keimbildungsgeschwindigkeit ist. Normale Rührapparaturen können das nicht immer leisten. Daher wurden Verfahren entwickelt, die eine intensive Durchmischung in kürzester Zeit ermöglichen, wie zum Beispiel der „Microjet High Gravity-Reaktor“ [27] oder die „Controlled Double Jet Precipitation“ [28]. Beispiele für die Synthese von TiO2 und CuO mit dem High Gravity-Reaktor finden sich hier: [29, 30]. Da der Einsatz solcher Reaktortypen nicht immer möglich ist, muss bei der Verwendung von „normalen“ Rührapparaten in hoher Verdünnung gearbeitet werden, um Niederschlag und unkontrollierte Agglomeration zu vermeiden.
Auch extern eingebrachte Stoffe können als Keime bei der Nanoteilchenherstellung wirken (vgl. Kapitel 4.1.3 „Interferenzpigmente“). Daher ist beim Umgang mit und der Herstellung von Kolloiden Sauberkeit besonders wichtig. Jedes Staubkorn ist ein potentieller Keimbildner.
Abbildung 2.12: Kritische Parameter bei der Keimbildung
Abbildung 2.13: Abhängigkeit der Teilchengrößenverteilung von der Misch- und Keimbildungsgeschwindigkeit
Besonderes Augenmerk muss auf die Verunreinigung des Systems durch Elektrolyten gelegt werden. Eine Fällung von BaSO4 aus BaCl2 und Na2SO4 erzeugt neben dem gewünschten Produkt BaSO4 auch NaCl, welches als Salzfracht die hergestellten Kolloide destabilisiert (vgl. Kapitel 3.3.1 „Elektrostatische Stabilisierung“). Wenn eine einfache Peptisierung durch Entfernung der Salzfracht (z.B. Waschen mit demineralisiertem Was-ser) nicht infrage kommt, müssen alternative Ba2+ oder SO42--Quellen gesucht werden, die das System weniger destabilisieren.
Die Grundlagen der Hydrolyse von wässrigen Salzlösungen kennt jeder Chemiker aus dem Chemiepraktikum. Werden Lösungen von zum Beispiel ZnCl2 oder FeCl2 gekocht, beziehungsweise verdünnt, so entstehen nach einiger Zeit Niederschläge von Zink- oder Eisenhydroxid, da OH--Ionen die Chloridionen verdrängen. Kommerziell wird dieses Prinzip bei der Herstellung von TiO2-Pigmenten, z.B. nach dem Sulfatverfahren, eingesetzt. Details zu diesem Verfahren findet man unter anderem in den Übersichtsartikeln von Matijevic [31, 32].
Die Hydrolyse von Metall- und Siliciumalkoxiden ist einer der Kernbereiche des Sol-Gel-Prozesses. Die Grundlagen dieser Reaktionen werden in Kapitel 5 „Nanotechnologie zur Bindemittelherstellung – Der Sol-Gel-Prozess“ erklärt.
Beispiel 3:
Herstellung einer SiO
2
-Dispersion über den Stöber-Prozess
[
33
]
Es wird eine Wasser/NH
3
/Methanol-Mischung, bestehend aus 13,5 g (0,75 mol) Wasser, 6,4 g (0,38 Mol) NH
3
und 64,4 g (1,4 mol) Ethanol hergestellt und auf 40 °C thermostatisiert. 4,2 g (0,02 mol) Tetraethoxysilan, ebenfalls auf 40 °C thermostatisiert, werden möglichst schnell unter gutem Rühren zugegeben. Es entsteht ein Sol aus SiO
2
-Partikeln mit 58 nm Durchmesser.
Zu diesem Sol werden parallel tropfenweise 5,9 l der Wasser/NH
3
/Methanol-Mischung und 650 g (3,1 mol) Tetraethoxysilan gegeben. Die Zugabe wird so abgestimmt, dass die Zugabe beider Komponenten zur gleichen Zeit endet. Es entstehen SiO
2
-Partikel einer Größe von 3,1 µm mit einer Standardabweichung von 1,3 %.
Einflussfaktoren auf die Keimstabilität
Während bei der Kieselsolherstellung (vgl. Beispiel 5, S. 32) eine Lösung von metastabiler Siliciumsäure Si(OH)4 durch Ionentausch aus Natriumwasserglas hergestellt wird, nutzt der Stöber-Prozess die alkalisch-ammoniakalische Hydrolyse und Kondensation von Organoalkoxisilanen (vgl.: Kapitel 5.1.2 „Hydrolyse und Kondensation).
Bei den Reaktionsbedingungen läuft die Hydrolyse, besonders aber die Kondensation sehr rasch ab und es werden innerhalb von Sekunden viele SiO2-Keime generiert. Diese aggregieren dann zu größeren Nanoteilchen. Durch Variation der Temperatur kann die entstehende Teilchengröße erhöht und verringert werden. Je höher die Reaktionstemperatur, desto kleiner die Teilchen.
Während der pH-Wert bei der Kieselsolherstellung sauer ist und erst das Produkt auf einen alkalischen pH-Wert eingestellt wird, läuft der Stöber-Prozess im alkalischen pH-Bereich ab. Ein weiterer entscheidender Unterschied ist die Ionenkonzentration. Während beim Kieselsolprozess durch Ionentausch ein weitgehend ionenfreies Medium erzeugt wird, ist die Ionenstärke beim Stöber-Prozess durch das zugesetzte Ammoniumhydroxid deutlich höher. Das hat Konsequenzen für die Keimstabilität.
Bei beiden Prozessen werden in einem ersten Schritt Keime erzeugt, die dann entweder weiterwachsen oder aggregieren können. Das Kieselsolverfahren begünstigt eher das Wachsen der Keime, während das Stöber-Verfahren das Aggregieren der Keime begünstigt. Die Strukturen der SiO2-Partikel sind somit auf nm-Ebene unterschiedlich.
Beim Stöber-Aufwachsverfahren dienen in einem ersten Schritt hergestellte SiO2-Teilchen als Substrat für neugebildete Keime. Patchwork-artig baut sich ein immer größer werdendes SiO2-Partikel auf, während beim Kieselsolverfahren eine weitere Keimbildung möglichst unterdrückt wird, da die Keime durch Aufwachsen von Siliciumsäure kontinuierlich wachsen.
Bei der Peptisation wird in einem ersten Schritt ein Niederschlag aus einem schwerlöslichen Salz erzeugt. Der Niederschlag besteht aus Agglomeraten von Nanoteilchen, die aufgrund der hohen Ionenstärke der Lösung nicht kolloidal stabil dispergiert bleiben konnten.
Solange der Niederschlag von einer Mutterlauge hoher Salzkonzentration umgeben ist, können die Nanopartikel nicht vereinzelt werden. Bei der Peptisation wird der Niederschlag so lange gewaschen, bis die Salzfracht entfernt ist und wieder die Voraussetzungen für eine stabile kolloidale Dispersion vorliegen.
Oft geht an diesem Punkt der Niederschlag spontan wieder kolloidal in Lösung, meistens muss jedoch durch eine pH-Wert-Verschiebung ein optimales Zetapotenzial eingestellt und/oder ein Oberflächenmodifikator zugegeben werden (vgl. Kapitel 3.3.1 „Elektrostatische Stabilisierung“). Scherkräfte, zum Beispiel durch intensives Rühren, begünstigen und unterstützen den Prozess.
Beispiel 4:
Herstellung einer kolloidalen ZrO
2
-Dispersion durch Peptisierung
[
34
]
Unter intensivem Rühren werden zu 1 l einer 0,5 M Zirkoniumoxichlorid-Lösung 335 ml 3 M Ammoniak-Lösung gegeben. Es fällt ein weißer Niederschlag aus, der mit Hilfe einer Glasfritte abfiltriert wird. Der Niederschlag wird mehrfach in deionisiertem Wasser redispergiert und wieder abgenutscht, bis das ablaufende Wasser einen stabilen pH-Wert von ca. 7 aufweist.
Der Filterkuchen wird in einer Konzentration von 0,5 mol/l in Wasser dispergiert und mit HCl versetzt, so dass das HCl/Zr-Verhältnis 0,1 beträgt. Die Mischung wird in einem Autoklav mit Teflon-Rührbehälter bei 165 °C für 6 h gerührt. Die kolloidale ZrO
2
-Dispersion wird dann mit einer Cellophan-Membran für 7 d gegen deionisiertes Wasser dialysiert. Die fertige Dispersion monokristalliner Partikel weist einen pH-Wert von 4,5; ein Zetapotenzial von 30 bis 40 mV, einen Feststoffgehalt von 6 % und einen Partikeldurchmesser von 10 nm auf.
Stabilisieren einer kolloidalen Lösung
In diesem Beispiel wird ein frisch gefällter Niederschlag durch Entfernen der Salzfracht und nachfolgende elektrostatische Stabilisierung peptisiert, d.h. kolloidal in Lösung gebracht.
Bei der Fällung von ZrOCl2 mit Ammoniak entsteht NH4Cl als Salzfracht. Die dadurch hohe Ionenstärke der Lösung verringert die Reichweite des abstoßenden elektrischen Potenzials der Partikeloberfläche. Dadurch kann keine kolloidale Dispersion entstehen und es bilden sich Agglomerate, die als Niederschlag ausfallen. Wird die störende Salzfracht entfernt, bevor sich feste interpartikuläre Bindungen ausgebildet haben, können die gebildeten Partikel wieder redispergiert werden (vgl. Abbildung 3.11).
Stabile Dispersionen werden aber nur dann erhalten, wenn das Zetapotenzial der Partikel auf einen ausreichend hohen Wert, d.h. >20 mV, gebracht wird. In dem Beispiel dient HCl dazu, eine für die Stabilisierung ausreichende Ladung auf der Partikeloberfläche zu erzeugen.
Sollen kristalline Teilchen erzeugt werden, ist in der Regel eine Temperaturbehandlung notwendig. Können keine hochsiedenden Lösemittel eingesetzt werden, muss diese Temperaturbehandlung im Autoklav stattfinden.
Gemäß der Übersicht in Tabelle 2.2 können Nanopartikel auch dadurch hergestellt werden, dass stabilisierend wirkende Anionen oder Kationen durch Ionentausch entfernt werden. Die entstehenden Hydroxide kondensieren dann bei geeigneten Reaktionsbedingungen zu den Oxid-Nanopartikeln.
Kieselsol-Herstellung
Ausgehend vom wasserlöslichen Natriumsilikat werden die Na+-Ionen während des Ionentauschs durch H+-Ionen ersetzt. Es entsteht intermediär die hochreaktive Siliciumsäure Si(OH)4, die dann in einem ersten Schritt zu SiO2-Keimen kondensiert. Durch weitere Zugabe von frisch ionengetauschtem Silikat wächst der Keim kontrolliert bis zu einer gewünschten Größe.
Abschließend wird durch Zugabe von NaOH wieder ein basischer pH-Wert eingestellt, der zu einem hohen Zetapotenzial führt und die kollodiale Dispersion stabilisiert (vgl. Kapitel 3 „Eigenschaften und Verarbeitung von Nanopartikeln“).
Entscheidend bei dem Verfahren sind niedrige Feststoffgehalte, damit die entstehenden Keime nicht schon vorzeitig aggregieren. Das würde zu polymodaler Teilchengrößenverteilung führen, die meist unerwünscht ist.
Viele Variationen sind zu diesem Prozess denkbar. Statt einer kontinuierlichen Zugabe kann zum Erreichen von engerer Partikelgrößenverteilung auch gezielt zuerst die Keimdispersion durch Kochen einer abgetrennten Fraktion des ionengetauschten Silikats hergestellt und anschließend das Wachstum der Keime durch Zutropfen weiteren Silikats eingeleitet werden.
Die Konzentration und die Temperatur bestimmen die Keimanzahl, -größe und Größenverteilung. Höhere Feststoffgehalte als 3 % führen leicht zu inhomogener Teilchengrößenverteilung oder auch zu Niederschlägen.
Neben den kugelförmigen Kieselsolen sind auch ketten- oder hantelförmige Kieselsole zugänglich. Durch Zugabe von geringen Mengen an 2-wertig geladenen Ionen (z.B. Ca2+, Mg2+) werden die in einem ersten Schritt gebildeten Kugeln kontrolliert zu längeren Gebilden „verklebt“ [37, 38].
Herstellen von Wassergläsern
Alkalisilikate werden durch Schmelzen, gefolgt von Auflösen von Gemischen aus Alkalicarbonaten und Sand hergestellt. Es gilt die Regel, dass mit sinkender Alkali- und Feststoffkonzentration der Polymerisationsgrad der Silikate in Wasserglaslösungen ansteigt. „Standardwassergläser“ mit SiO2/Na2O-Verhältnissen von ca. 2 bis 3 bestehen nur zu einem geringen Teil aus Oligomeren und zum größten Teil (ca. 90 %) aus großen Silikat-Anionenverbänden polymerer und hochpolymerer Kieselsäure. Beim Verdünnen einer Wasserglaslösung setzt eine Gleichgewichtsverschiebung hin zu höheren Polymerisationsgraden ein, die letztendlich innerhalb von Tagen bis Monaten zum Ausfällen von SiO2 führt [39, 40]. Wassergläser können daher auch als Nanodispersionen von SiO2 mit Alkaliionen als Stabilisatoren beschrieben werden.
Eine Methode, die in jüngerer Zeit besondere Beachtung gefunden hat, ist die Nanoteilchensynthese durch die thermische Zersetzung von Salzen oder metallorganischen Verbindungen. In hochtemperaturbeständigen Lösemitteln, die gleichzeitig als Oberflächenmodifikatoren für die entstehenden Nanoteilchen wirken, werden Edukte solange erhitzt, bis sich die Anionen oder die thermolabilen organischen Gruppen zersetzen und sich die entsprechenden Oxide bilden [41, 42].