Professor Tiefenthal ermittelt – Band 1-3 der beliebten Toskana-Krimireihe - Jens Burmeister - E-Book

Professor Tiefenthal ermittelt – Band 1-3 der beliebten Toskana-Krimireihe E-Book

Jens Burmeister

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Beschreibung

Tödliche Toskana Professor Josef Tiefenthal, der bekannte forensische Archäologe aus Köln, hatte sich alles so erholsam vorgestellt: Erst wollte er auf einem Kongress bei Siena seine neueste sensationelle Entdeckung vorstellen und anschließend das Dolce Vita in der Toskana genießen. Doch dann wird in San Gimignano eine grausam entstellte Leiche gefunden. Der zuständige Rechtsmediziner ist vor dem Trubel des legendären Pferderennens, dem Palio, aus der Stadt geflohen, und so wird Tiefenthal hinzugezogen. Bei der DNA-Analyse der Leiche macht er eine überraschende Entdeckung, die ihn tief in die Ermittlungen hineinführt. Nun ist es vorbei mit der genießerischen Ruhe! Gemeinsam mit der temperamentvollen Commissaria Stella Bernucci setzt Tiefenthal alles daran, den Fall zu lösen und weitere Morde zu verhindern, während in Siena der Palio tobt … *** Trügerische Toskana Ein sensationeller Leichenfund in der Piccolomini-Bibliothek in Siena? Das lässt der Kölner Professor Josef Tiefenthal sich nicht zweimal sagen. Sofort reist er in die Toskana, um seinem Kollegen, dem forensischen Archäologen Ernesto Carnevale bei diesem wissenschaftlichen Rätsel zu helfen und endlich Commissaria Stella Bernucci wiederzusehen. Doch dann liegt Carnevale tot in der Bibliothek und der Verdacht fällt auf Tiefenthal selbst. Gemeinsam mit der Commissaria setzt er alles daran, seine Unschuld zu beweisen, während zwischen den sanften Hügeln der Toskana weitere mysteriöse Morde geschehen. *** Verhängnisvolle Toskana In einem Kiefernwäldchen im Chianti wird eine tote Mountainbikerin gefunden. War es ein Unfall, oder hat jemand die Biologin ermordet? Die Spuren führen Commissaria Stella Bernucci zu einem Weinberg, der durch eine Rebkrankheit zerstört wurde. Was hat die Forscherin hier gesucht? Bernucci braucht die wissenschaftliche Hilfe des forensischen Archäologen Josef Tiefenthal, um den Mord aufzuklären und die Chianti-Winzer vor einer Katastrophe zu bewahren. Doch die Zeit arbeitet gegen die beiden, denn der skrupellose Mörder hat seine Ziele noch längst nicht erreicht.

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Professor Tiefenthal ermittelt – Band 1-3 der beliebten Toskana-Krimireihe

Jens Burmeister studierte Chemie und arbeitete mehr als 25 Jahre in der chemisch-pharmazeutischen Forschung, bevor er sich 2020 als Autor selbständig machte. Er schreibt online den Mittelrhein-Weinführer und ist Mitglied der Verkostungsjurys renommierter Weinmagazine. Seine Kriminalromane und Kurzgeschichten haben meistens einen sowohl wissenschaftlichen als auch kulinarischen Bezug. Den Urlaub verbringt er bevorzugt in Italien und freut sich besonders, wenn ein Chianti in seinem Weinglas funkelt. Der Autor ist verheiratet und wohnt in Göttingen sowie in der Nähe von Köln.

Tödliche Toskana

Professor Josef Tiefenthal, der bekannte forensische Archäologe aus Köln, hatte sich alles so erholsam vorgestellt: Erst wollte er auf einem Kongress bei Siena seine neueste sensationelle Entdeckung vorstellen und anschließend das Dolce Vita in der Toskana genießen. Doch dann wird in San Gimignano eine grausam entstellte Leiche gefunden. Der zuständige Rechtsmediziner ist vor dem Trubel des legendären Pferderennens, dem Palio, aus der Stadt geflohen, und so wird Tiefenthal hinzugezogen. Bei der DNA-Analyse der Leiche macht er eine überraschende Entdeckung, die ihn tief in die Ermittlungen hineinführt. Nun ist es vorbei mit der genießerischen Ruhe! Gemeinsam mit der temperamentvollen Commissaria Stella Bernucci setzt Tiefenthal alles daran, den Fall zu lösen und weitere Morde zu verhindern, während in Siena der Palio tobt …

Trügerische Toskana

Ein sensationeller Leichenfund in der Piccolomini-Bibliothek in Siena? Das lässt der Kölner Professor Josef Tiefenthal sich nicht zweimal sagen. Sofort reist er in die Toskana, um seinem Kollegen, dem forensischen Archäologen Ernesto Carnevale bei diesem wissenschaftlichen Rätsel zu helfen und endlich Commissaria Stella Bernucci wiederzusehen. Doch dann liegt Carnevale tot in der Bibliothek und der Verdacht fällt auf Tiefenthal selbst. Gemeinsam mit der Commissaria setzt er alles daran, seine Unschuld zu beweisen, während zwischen den sanften Hügeln der Toskana weitere mysteriöse Morde geschehen.

Verhängnisvolle Toskana

In einem Kiefernwäldchen im Chianti wird eine tote Mountainbikerin gefunden. War es ein Unfall, oder hat jemand die Biologin ermordet? Die Spuren führen Commissaria Stella Bernucci zu einem Weinberg, der durch eine Rebkrankheit zerstört wurde. Was hat die Forscherin hier gesucht? Bernucci braucht die wissenschaftliche Hilfe des forensischen Archäologen Josef Tiefenthal, um den Mord aufzuklären und die Chianti-Winzer vor einer Katastrophe zu bewahren. Doch die Zeit arbeitet gegen die beiden, denn der skrupellose Mörder hat seine Ziele noch längst nicht erreicht.

Jens Burmeister

Professor Tiefenthal ermittelt – Band 1-3 der beliebten Toskana-Krimireihe

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Tödliche Toskana

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Inhalt

Titelei

Das Buch

Titelseite

Impressum

Tödliche Toskana

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Schlussworte und Danksagungen

Trügerische Toskana

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

Schlussworte und Danksagungen

Pici all’aglione

Verhängnisvolle Toskana

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Schlussworte und Danksagungen

Pollo alla contadina

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Tödliche Toskana

Tödliche Toskana

Motto

»Wahr ist das Meer, wahr ist das Gebirge, wahr der Stein,wahr der Grashalm. Aber der Mensch?Er ist immer maskiert, auch wenn er es nicht will und nicht weiß.«

Luigi Pirandello (1867–1936)

Prolog

Ein beschwingter toskanischer Frühlingstag ging zu Ende. In hellstem Azurblau hatte der Himmel den ganzen Tag über geleuchtet. Nur sporadisch waren fein gewirkte Schäfchenwolken darüber gesegelt, hatten flüchtige Schatten geworfen. Die Temperaturen waren über die Fünfundzwanzig-Grad-Marke geklettert und die Touristen hatten die Altstädte von Florenz, Siena und San Gimignano in Scharen heimgesucht.

Inzwischen hatte der Horizont begonnen, sich in allen nur erdenklichen Rot- und Orangetönen zu verfärben. Von Minute zu Minute entstanden neue, einzigartige Farbkombinationen. Die dunkelgelbe Sonnenscheibe tauchte in den schmutzig roten Dunststreifen, der sich an die Silhouetten der Toskanahügel anschmiegte. Die Zypressen hoben sich wie dunkle Stelen vor dem Hintergrund ab. Wie i-Tüpfelchen auf einem Gemälde, das diese Sehnsuchtslandschaft zelebrierte.

Die beiden Männer, die neben dem staubigen Abschleppwagen ausharrten, interessierte dieses Naturspektakel herzlich wenig. Genauso wenig, wie sie das Schicksal desjenigen Mannes kümmerte, auf dessen Leben man sie angesetzt hatte.

Der größere der beiden Glatzköpfe ließ die Autotür krachend hinter sich zufallen. Er wartete ab, bis eine blaue Ape, der allgegenwärtige italienische Kleinlaster, die Landstraße neben ihnen knatternd passiert hatte. Anschließend nahm er einen klobigen, kolbenförmigen Aufsatz und schraubte ihn mit routiniertem Handgriff auf den Lauf der Waffe. Er drückte den Rücken durch und schulterte das Gewehr. Der kleinere Mann, der neben ihm stand, wirkte unschlüssig, schien auf Anweisungen zu warten. Auch ihm hing eine AK 47 mit Schalldämpfer über der Schulter. Die Waffe, die ihrem Erfinder Michail Timofejewitsch Kalaschnikow zu zweifelhaftem Weltruhm verholfen hatte.

Die beiden trugen verwaschene blaue Jeanshosen und schwarze T-Shirts, die über ihren muskulösen Oberkörpern spannten. Ihre Gesichter waren braungebrannt und wettergegerbt, über die Stirn des Kleineren zog sich eine auffällige Narbe. Donne e motori, gioie e dolori, Frauen und Motoren, Freuden und Schmerzen, verkündete das Tattoo auf dem rechten Arm des Größeren in schwungvollen Lettern. Auf seinem linken Arm prangte die amateurhafte Zeichnung einer barbusigen Domina, die auf einem Motorrad hockte.

»Hier kommt doch kein Schwein vorbei. Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind?«, brummte der Kleine missmutig, hustete und spuckte auf den Boden.

»Hör auf zu quatschen. Kannst dich auf mich verlassen. Ein paar hundert Meter Richtung Norden, genau da ist die Stelle.« Der tätowierte Große zückte ein Smartphone, wischte darüber, tippte darauf herum, nickte zufrieden und ließ das Gerät wieder in der Hosentasche verschwinden. Der Tätowierte voraus, marschierten die Männer schweigend neben der Landstraße über den Grasstreifen, der zu dieser Jahreszeit noch jugendlich grün war.

Abrupt blieb der Große vor einem grauen Klotz am Straßenrand stehen. Er nahm die Kalaschnikow von der Schulter und lehnte sie an den Kasten. Sein Kumpan tat es ihm gleich. Der Große wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Is perfekt hier. Du weißt, er fährt nen roten Cinquecento. Den Rest haben wir ja schon besprochen.«

»Klar. Bin ja nicht bekloppt.«

Die nächsten Minuten vergingen quälend langsam. Dunkelheit legte sich wie ein schwarzes Samttuch über die toskanische Landschaft. Der Kleine mit der Narbe zündete sich mit zittriger Hand eine Zigarette an und erntete dafür einen abfälligen Blick seines Kompagnons.

Endlich blitzte in der Ferne etwas Rotes auf. Der Kleine warf die Zigarettenkippe auf den Boden, trat sie aus, griff hektisch nach dem Gewehr und kauerte sich hinter den Stromkasten. Den Lauf der Waffe auf dem Kasten abgestützt, legte er an. Der andere beförderte derweil ein Fernglas aus seinem Rucksack hervor, schaute hindurch und schüttelte den Kopf. »Das ist ein Renault. Kannst dich wieder hinlegen.« Er ging in die Hocke, biss sich auf die Lippen.

»Merda. Hab ich doch gesagt, dass wir das vergessen können. Gleich ist es zappenduster, dann können wir sowieso nix mehr sehn. Porca miseria!« Der Kleine zündete sich erneut eine Zigarette an.

»Sei nicht so verdammt nervös. Du steckst mich noch an mit deinem Gejammer. War ein Fehler, dass ich dich mitgenommen habe. Hab ich doch gleich gewusst.«

Der Kleine zog den Kopf ein, murmelte etwas Unverständliches.

»Zwanzig Minuten haben wir noch … warte …«

Wieder verging eine Viertelstunde, in der die beiden Männer schweigend vor sich hin brüteten. Doch plötzlich setzte der Große das Fernglas an. »Das ist er. Schnell jetzt!«

Die Männer gingen in die Hocke und legten die Gewehre an. Der rote Fiat Cinquecento kam in gemütlichem Tempo näher. Der Große spannte die Muskeln an, das Auto war jetzt in Sichtweite, er drückte ab. Die Frontscheibe splitterte. Ein zweiter Schuss fiel. »Los, nun mach schon!«, zischte er.

Der Kleine legte den Kopf in den Nacken, schaute nach vorn, visierte das Ziel an und drückte dreimal schnell hintereinander ab. Der rechte Vorderreifen verlor schnell an Luft, der Cinquecento bog nach rechts ab, schlitterte von der Straße und hoppelte den Abhang hinunter. Als er bereits außer Sichtweite war, hörte man ein lautes Krachen.

Die Glatzköpfe standen auf und schulterten ihre Kalaschnikows. Wortlos überquerten sie die Landstraße und gingen in Richtung der Stelle, an der das Auto von der Straße abgekommen war. So weit war es gut gelaufen, aber beiden war nur zu bewusst, dass der unangenehmste Teil ihres Auftrages noch vor ihnen lag.

Erschöpft ließ sich der tätowierte Mann auf einen Granitstein am Rand des Baugrundstücks fallen. Die Morgenluft roch nach frischer Erde. Jetzt zündete auch er sich endlich eine Zigarette an, nahm einen tiefen, genüsslichen Zug. Er beobachtete, wie sein Kompagnon immer wieder mit der breiten Schippe in den Lehmboden stach und die Grube mit hellbrauner Erde zuschüttete. Er schaufelte immer langsamer, auch ihm schienen die Kräfte zu schwinden.

»Wir haben’s gleich. War doch gar nicht so verkehrt, dass ich dich mitgenommen habe«, rief der Große dem Kleinen aufmunternd zu. »Ich bin echt fertig. War ne Plackerei die ganze Nacht.«

»Scheißjob.«

Der Große grunzte nur und verzichtete auf eine Antwort. Er blies Rauchkringel in die Luft, schaute nach Westen, beobachtete, wie sich der Himmel langsam aufhellte. Gleich einer mittelalterlichen Wagenburg zeichnete sich die charakteristische Skyline von San Gimignano gegen den tiefblauen Hintergrund ab, aus der die Geschlechtertürme trutzig aufragten.

Der Kleine warf die Schaufel in hohem Bogen von sich, kam näher, baute sich breitbeinig vor seinem Kollegen auf. »Ho finito. Fertig, du Arschloch.« Er beförderte die Zigarette aus dem Mundwinkel in die Mitte und zündete sie an. »Glaubst du echt, dass den keiner findet? Was ist, wenn die hier plötzlich anfangen zu bauen?«

Der Tätowierte lachte asthmatisch. »Machen die nicht. Du weißt, wie lange italienische Grundstücke vor sich hin schimmeln können, bevor man endlich anfängt zu bauen. Und wenn alle Stricke reißen sollten, haben wir ja auch noch nostre connessioni, unsere Verbindungen.«

»Soso. Connessioni.«

»Aber hallo. Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Na ja, und wenn sie ihn doch finden. So in ein paar Jahren, dann …«

» … werden sie ihren Spaß bei der Identifizierung haben.«

»Ganz genau. Das mit der Säure war ne super Idee. Aber dass du ihm die Zähne rausgebrochen hast, war das nicht ein bisschen übertrieben?« Der Große grinste.

Der Kleine mit der Narbe schnipste die Zigarette lässig weg. »Wollte nur auf Nummer sicher gehen. Die nehmen sie doch immer zur Identifizierung.«

»Da hast du ja mal richtig mitgedacht, Kleiner. Komm, wir müssen los.« Er machte eine Pause. »Mit dem Scheißjob hast du übrigens ausnahmsweise recht.«

Der Kleine hob die zwei Schaufeln vom Boden auf, reichte eine davon dem Großen. »Stimmt«, murmelte er. »Aber für diesen Arsch voll Kohle mach ich wirklich alles.«

In der Toskana hatte ein neuer Frühlingstag begonnen und die beiden Männer waren froh, den prekären Auftrag reibungslos erledigt zu haben. Noch konnte keiner der beiden ahnen, wie schnell die Leiche, die sie soeben vergraben hatten, wieder auftauchen würde.

1. Kapitel

Einen Monat später

Genervt lugte Josef Tiefenthal durch das Taxifenster. Gerade hatte das Auto die Weinhügel des Chianti-Anbaugebietes hinter sich gelassen und passierte nun den Ortsrand von Poggibonsi. Obwohl auf der Autostrada hundertdreißig Stundenkilometer erlaubt waren und der Verkehr sich heute in Grenzen hielt, fuhr der Fahrer nicht schneller als hundert. Was zum Teufel sollte das? Tiefenthal zuckte mit den Schultern, schlug die Beine übereinander, stellte sie nebeneinander, schlug sie wieder übereinander. Diese hektischen Bewegungen waren typisch für ihn. Er machte sie völlig unbewusst. Obwohl ihn wohlmeinende Freunde immer wieder auf diese Marotte hingewiesen hatten, war es ihm trotz aller Bemühungen nicht gelungen, sie sich abzugewöhnen. Und nun, mit inzwischen sechzig Jahren, war er eindeutig zu alt für eine solch tiefgreifende Veränderung seiner Persönlichkeit.

Der Taxifahrer hatte die Seitenscheibe ein Stück heruntergelassen, was ein flatterndes Geräusch im Fahrtwind erzeugte. Im Radio erklang das Solo einer akustischen Gitarre, gefolgt von einer weichen Männerstimme. Santi che pagano il mio pranzo non ce n’è, sulle panchine in Piazza Grande, es gibt keine Heiligen, die für mein Mittagessen bezahlen, auf den Bänken der Piazza Grande, sang der große Lucio Dalla. Tiefenthal summte mit, wippte mit dem Fuß und wurde sogleich ein wenig ruhiger. »Wie lange noch bis zum Resort?«, rief er nach vorne in einem durchaus verständlichen Italienisch.

»Ach, wir sind schon fast da, nur noch eine halbe Stunde, Professore«, sagte der Taxifahrer und drehte sich nach seinem Gast um.

Tiefenthal wedelte unwirsch mit der Hand und bedeutete dem Fahrer auf diese Weise, doch besser wieder nach vorne zu schauen. Der meint bestimmt eine italienische halbe Stunde, dachte er. Wieder stellte der Professor die Beine auseinander, griff in seine roten, strubbeligen Haare, dann nach seinem Laptop, klappte ihn auf und schaltete ihn ein.

Er schaute auf die Uhr. Bereits in eineinhalb Stunden sollte er die internationale Konferenz durch seinen Vortrag eröffnen. Doch vorher musste er unbedingt noch einen Happen essen. Etwas typisch Italienisches, zum Beispiel eine leichte Saltimbocca mit Safranrisotto oder auch gerne eine fleischschwere Lasagne. Bereits bei dem Gedanken lief Tiefenthal das Wasser im Mund zusammen. Er überlegte, welcher Wein zu den beiden Gerichten wohl am besten passen würde. Zur Saltimbocca ein frischer Weißwein und zur Lasagne ein gereifter Chianti?

Nun ja, dachte er, vielleicht sollte ich die Zeit im Taxi besser nutzen, um meinen Vortrag nochmals durchzugehen. Er startete die Powerpoint-Präsentation, klickte sich durch die ersten Folien und konnte ein zufriedenes Grinsen nicht unterdrücken. Mit Sicherheit würde keiner seiner Kollegen eine solche wissenschaftliche Sensation erwarten, wie Tiefenthal sie im Gepäck hatte. Alle würden sie davon ausgehen, dass er einen der üblichen Übersichtsvorträge über die Entwicklung der forensischen Archäologie in den letzten dreißig Jahren halten würde. Selbstverständlich hätte er auch in dieser Hinsicht genug zu erzählen gehabt. Die gewaltigen Fortschritte in der physikalischen, chemischen und molekularbiologischen Analytik hatten zu Erkenntnissen in einer Detailtiefe geführt, die man vor kurzem noch nicht für möglich gehalten hätte.

Aber Tiefenthal wollte mehr. Ihm reichte es längst nicht mehr, der in eingefleischten Fachkreisen bekannte Moorleichen-Spezialist zu sein. Er wollte der Welt eine wissenschaftliche Sensation zu Füßen legen. Und niemandem vor ihm war es bislang gelungen, eine so bahnbrechende Entdeckung für so lange Zeit vor der Öffentlichkeit zurückzuhalten, wie er es geschafft hatte.

Bis zum heutigen Tag.

Während Tiefenthal noch in warmer Vorfreude auf seinen baldigen Auftritt badete, stockte ihm plötzlich der Atem. Er rückte dichter an den Bildschirm heran, ließ die Brille mit den großen runden Gläsern auf die Nasenspitze gleiten, lugte darüber. Ungläubig schaute er auf die Powerpoint-Folie. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Wenn dieser C 14-Wert stimmte, wäre alles umsonst gewesen.

Fieberhaft dachte er nach, wobei er seinen roten Haarschopf malträtierte. Er musste dringend Giulia anrufen, seine italienische Doktorandin, sie hatte die Messung schließlich gemacht. Hektisch griff er zum Smartphone, rief die Nummer des Kölner Labors an, ließ es klingeln. Nach einer halben Ewigkeit knackte es endlich in der Leitung.

»Pronto?«

»Giulia, sind Sie es? Hier ist Tiefenthal. Sie schreiben hier tausend BP, Plusminus hundert. Stimmt das wirklich? Haben Sie das tatsächlich gemessen? Warum weiß ich nichts davon? Was für eine Blamage!«

»Scusi, Signor Professore, wovon sprechen Sie? … Ach, Sie meinen die Radiokarbonmessung?«

»Ja was denn sonst! Ich hab die Folie gerade vor mir auf dem Bildschirm«, rief Tiefenthal aufgeregt ins Telefon. Der Taxifahrer drehte sich erneut um.

»Okay, Okay. Ich schau mal nach, un attimo, Signor Professore.« Tiefenthal hörte ein genervtes Stöhnen, gefolgt vom Umblättern von Seiten. Seine rechte Hand zitterte, so fest umklammerte er jetzt das Smartphone. Sie musste doch wohl verstehen, was hier auf dem Spiel stand!

»Hallo, hören Sie?«, fragte Giulia ins Telefon.

»Ja, was denn nun? Stimmen die Zahlen etwa?« Tiefenthals Stimme überschlug sich.

»Mi dispiace, tut mir leid … Also nein. Es muss natürlich zehntausend BP Plusminus tausend heißen. Genauer konnte ich das leider nicht messen. Entschuldigen Sie bitte meinen kleinen Fehler, Signor Professore, das war keine böse Absicht.«

Kleiner Fehler, was die wohl denkt, dachte Tiefenthal. »Danke Giulia. Wusste ich doch. Und machen Sie das bitte nie wieder, ja? Sie bringen mich noch ins Grab!« Er legte auf.

Das hatte man nun davon, wenn man sich von Ernesto Carnevale, diesem eitlen Gecken, eine Doktorandin aufschwatzen ließ. In der Wissenschaft kam es auf Exaktheit an und eine einzige falsche Zahl konnte einem den Ruf auf Jahre hinaus versauen. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, sank in den Ledersitz des Taxis zurück und schloss die Augen.

Tiefenthal schreckte hoch. Die kräftige Pranke des Taxifahrers hatte ihn an der Schulter gepackt und rüttelte ihn unsanft wach. Mechanisch klappte er den Laptop zusammen, der immer noch auf seinem Schoß lag, schnellte hoch und stieg aus dem Auto. Er streckte sich, ließ die Gelenke knacken und schob die Brille dicht vor die Nase. Flüchtig reichte er dem Taxifahrer seine Kreditkarte und schaute sich um.

Das Resort war ein richtiges kleines Dorf, eine Ansammlung pittoresker, niedriger Häuser, deren Mauerwerk aus hellem Sandstein bestand, durchsetzt von blassroten Ziegeln. Der Eingang zum Haupthaus wirkte unspektakulär, eine Backsteintreppe führte zu einem niedrigen Torbogen. Darüber hing ein Metallschild, das das Logo des Resorts zierte. Den Rest des Anwesens konnte Tiefenthal nur mit weit geöffnetem Mund bestaunen. Hinter ihm lag eine von Pinien gesäumte Straße, die zu einem imposanten Torbogen führte. Diese Allee hatte der Professor gerade eben noch verschlafen. Rechts von ihm breitete sich der gepflegte, weitläufige Golfplatz aus, linker Hand lud ein Garten mit akkurat geschnittenen Büschen zum Verweilen ein.

Der Taxifahrer reichte Tiefenthal ein Kreditkartenlesegerät und forderte ihn ungeduldig auf, seine PIN einzugeben. Abwesend tippte der Professor die Zahlenfolge ein und ließ den Blick über die saftig grünen Hügel hinter dem Golfplatz schweifen. Er registrierte kaum, wie der Taxifahrer ihm seinen Rucksack und seinen bordeauxroten Hartschalenkoffer vor die Füße stellte, einstieg und im Stil eines Rennfahrers den Wagen startete. Schotter und Staub wirbelten auf. Tiefenthal hustete und rieb sich die Augen. Was sollte dieses rüpelhafte Verhalten?

Er hielt inne, schaute dem Taxi gedankenverloren hinterher, das bereits den Torbogen durchfahren hatte. Jetzt fiel es ihm auf. Er hatte vergessen, Trinkgeld zu geben. Er schüttelte den Kopf. So was durfte ihm in seiner Position wirklich nicht passieren. Er nahm sich vor, seine Gedanken in Zukunft besser zusammenzuhalten. Er war schließlich kein zerstreuter Professor!

Der Staub hatte sich inzwischen gelegt. Tiefenthal sog den würzigen Duft ein, der von den Pinien herüberwehte. So also roch er, der große Tag, an dem er der Welt eine wissenschaftliche Sensation verkünden würde. Der Archäologe deutete ein Grinsen an, schulterte den Rucksack und hob den Koffer hoch.

Wenig später betrat Professor Tiefenthal die Terrasse im ersten Stock des Haupthauses. Alles fühlte sich hier nach Urlaub an. Das Ziegeldach über ihm wurde von rohen Holzbalken getragen, die sich auf vier hell verputzen quadratischen Säulen abstützten. Der Blick zwischen den Säulen hindurch in die weite toskanische Landschaft war atemberaubend schön. Auf der Terrasse standen dicht gedrängt quadratische Holztische, an denen jeweils vier Personen Platz hatten.

Leider waren sämtliche Tische bereits besetzt. Anscheinend war der Professor als einer der letzten Tagungsteilnehmer im Resort angekommen. Dabei hatte er sich doch so sehr beeilt, war nach dem Einchecken an der Rezeption nur ganz kurz aufs Zimmer und dann sofort hierhergegangen. Unschlüssig stand er im Eingang. Manche Teilnehmer drehten sich nach ihm um, es wurde getuschelt, einige grüßten ehrerbietig. Ja, man kannte ihn, schätzte ihn und wusste um seine Bedeutung für die forensische Archäologie. Aber das hieß noch lange nicht, dass man ihm deshalb einen Platz am Esstisch uneigennützig überlassen hätte. Tiefenthal machte sich so groß, wie er konnte, um die Lage besser zu überblicken, als er eine Hand winken sah. Höflich grüßte er zurück, bis er erschrocken realisierte, dass an der winkenden Hand eine feucht glänzende Glatze hing. Darunter ein blaues Jackett, weißes Hemd und rote Krawatte. Mit übertriebenem Grinsen winkte die Glatze Tiefenthal herbei. Der Professor biss die Zähne zusammen. Heute schien sein Glückstag zu sein. Erst die Aufregung um die falsche C 14-Messung, dann hatte er vergessen, Trinkgeld zu geben, war zu spät zum Mittagessen gekommen und nun befand sich der einzige Platz, der noch frei war, ausgerechnet neben seinem Lieblingskollegen, wie er ihn bei sich ironisch zu nennen pflegte. Professor Ernesto Carnevale.

Tiefenthal seufzte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich zwischen den Tischen hindurch bis zu dem Kollegen zu schlängeln. Carnevale stand von seinem Stuhl auf, umarmte Tiefenthal und küsste ihn auf beide Wangen. Der Professor ließ das Ritual über sich ergehen, vermied es jedoch, die Intimitäten zu erwidern, und nahm so schnell wie möglich Platz. Flüchtig grüßte er die zwei jungen Frauen, die mit am Tisch saßen, die beiden Professoren jedoch keines Blickes würdigten.

»Herr Tiefenthal, ich habe auf Sie gezählt. Greifen Sie zu, es ist noch genug von der Salami und vom Vitello Tonnato übrig. Ein Gläschen Prosecco gefällig?«

»Ja, gerne«, sagte der Professor kaum verständlich, denn sein Mund war bereits voll von dem Weißbrot, das er gierig in sich hineingestopft hatte. Tiefenthal hatte Hunger. Und Durst wie ein römischer Legionär nach dem Feldzug. Er trank das Wasserglas auf einen Zug leer, griff nach der Salami und registrierte flüchtig den Fenchelgeschmack, der seinen Mund ausfüllte. Rasch beförderte er den Rest des Vitello Tonnato, den Carnevale zu ihm hingeschoben hatte, auf seinen Teller.

Carnevale erhob sein Glas und prostete Tiefenthal zu. »Salute! Auf Sie. Und auf die Sensation, die Sie uns heute präsentieren werden!« Der Italiener grinste unverschämt, ließ strahlend weiße Zähne aufblitzen.

Tiefenthal stockte, schluckte die kaum zerkaute Salamischeibe herunter. Was hatte Carnevale da gerade gesagt? Er zuckte nervös mit den Schultern und rückte die Brille zurecht. Zittrig hob er sein Proseccoglas und prostete zurück. »Salute. Was genau meinen Sie?«, fragte er heiser.

Carnevale lehnte sich zurück.

Tiefenthal bemerkte, dass die einzigen Haare, die auf dem Kopf des Kollegen verblieben waren, dessen Augenbrauen waren.

»Ach, Herr Tiefenthal. Ich hab so meine Verbindungen. Das wissen Sie doch.« Wieder grinste der Kahlkopf und schaute Beifall heischend zu den beiden jungen Frauen, die vermutlich noch studierten. Die blieben davon unbeeindruckt, waren sie doch ohnehin in ihre Smartphones vertieft. »Sie kennen meine Vorbehalte gegenüber der C 14-Methode«, fuhr er fort. Ich hoffe, Sie sind gut vorbereitet, sonst könnte es heute peinlich für Sie werden. Aber sei’s drum, jetzt genießen wir erstmal den Hauptgang.«

Tiefenthal stellte das Proseccoglas ab, ohne einen Schluck getrunken zu haben. Seine Hand zitterte dabei so sehr, dass er aufpassen musste, nichts zu verschütten. Die C 14-Methode war das eine, in dieser Hinsicht hatte er keine Angst vor Carnevale. Aber wie hatte der eitle Kollege Wind von Tiefenthals Sensation bekommen? Hatte er Giulia etwa als Spionin, als Trojanisches Pferd in seine Arbeitsgruppe eingeschleust? Hatte er sie gar dazu angestiftet, den kleinen Zahlendreher zu produzieren, der ihn im Taxi so aus der Bahn geworfen hatte?

Während Tiefenthals Gedanken rotierten, wurde der Hauptgang serviert. Eine goldbraun gebratene Scheibe Saltimbocca alla Romana, umwickelt mit rosigem Speck und garniert mit einem frischen Salbeiblatt. Daneben lag eine eidottergelbe Portion Safranreis, die in der Sonne hell aufleuchtete. Für Tiefenthal wäre dies an normalen Tagen nicht viel weniger als der kulinarische Himmel auf Erden gewesen. Aber anstatt beherzt zuzulangen, stocherte er lustlos in seinem goldgelben Risotto herum. Carnevale hatte es geschafft, ihn in die Defensive zu treiben, noch bevor er mit seinem Vortrag überhaupt begonnen hatte. In Gedanken ging er die Präsentation Folie für Folie nochmals durch und suchte nach Schwachpunkten, die Carnevale hemmungslos ausnutzen könnte.

»Das Saltimbocca hat genau den richtigen Pfiff. Selten habe ich so aromatischen Salbei dazu genossen.« Carnevale schmatzte genüsslich, schaufelte eine Portion Risotto auf die Gabel, schnupperte daran und hielt den Reis prüfend vor sich hin. »Der hätte ein wenig mehr Safran vertragen können. Aber das ist Klagen auf ganz hohem Niveau.« Carnevale zwinkerte Tiefenthal selbstgefällig zu. Er wusste, dass er gerade einen klaren Punktsieg über seinen Kollegen erzielt hatte.

Ein Kellner mit ausgetretenen Lederschuhen sammelte die schmutzigen Teller ein. Der Stapel auf seinem linken Arm hatte sich bereits bedrohlich aufgetürmt. Nun schob er sich zwischen den Tischen hindurch zum Ausgang. Wenn der so weitermacht, kann das noch ewig dauern, bis endlich das Dessert serviert wird, dachte Tiefenthal. So beeindruckend die Kulisse des Resorts war, so sparsam schien man mit dem Einsatz des Personals zu sein. Schade, dass das inzwischen nicht nur in Italien so üblich geworden war. Sinnierend schüttelte Tiefenthal den Kopf.

Wie aus dem Nichts tauchte ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit Dackelfalten und Geheimratsecken hinter Carnevale auf. Tiefenthal schätzte ihn auf Mitte sechzig und fragte sich, wen er da wohl vor sich habe. Wohl kaum einen namhaften Archäologen. Dieses ernste, zerfurchte Gesicht hätte er sich bestimmt gemerkt. Der Dackelfaltige beugte sich zu Carnevale herunter und fasste ihn am Arm. »Ciao, come stai? Ernesto, hast du einen Moment Zeit für mich?«, fragte er mit rauer Stimme.

»Guido! Was für eine Überraschung! Was führt dich hierher? Willst du auch mal wieder ein bisschen Wissenschaft schnuppern? Gute Idee, wenn man schon mal eine so hochkarätige Tagung direkt vor seiner Haustür hat.« Carnevale sprang von seinem Stuhl auf, umarmte und küsste den Überraschungsgast. Der ließ die Liebkosungen ähnlich unwillig über sich ergehen, wie es Tiefenthal kurz zuvor getan hatte.

Die eine der beiden Studentinnen zeigte der anderen den Bildschirm ihres Smartphones. Sie erhoben sich. »Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte die kleinere der beiden mit silberheller Stimme. Dann räumten die ragazze eilig das Feld. Am Dessert schienen sie kein Interesse zu haben.

Der Mann mit dem Vornamen Guido nahm neben Tiefenthal Platz und streckte den Kopf vor. »Du musst mir helfen, Ernesto«, sagte er.

»Un attimo, Dottore Medici. Kennt ihr beiden euch schon? Professor Tiefenthal, weltbekannte forensische Kapazität aus dem römischen Köln. Seine große Liebe sind die Moorleichen. Du solltest seinen Vortrag auf keinen Fall versäumen. Ganz große Wissenschaft!«

Tiefenthal nickte, reichte dem Doktor die Hand quer über den Tisch und erwiderte dessen kräftigen Händedruck. Der Mann wirkte gehetzt und auf unbestimmte Weise deprimiert, aber gutmütig. Er war Tiefenthal auf Anhieb sympathisch.

»Guido Medici, der hochangesehene Rechtsmediziner von Siena«, stellte Carnevale den Gast wichtigtuerisch vor.

Medici, das ist ja mal ein passender Name für einen Mediziner, dachte Tiefenthal. Nomen est omen.

»Jaja, nun lass mal gut sein«, knurrte Medici. »Können wir offen sprechen?« Die Dackelfalten türmten sich auf seiner Stirn auf.

»Na klar, wir sind doch unter Kollegen«, sagte Carnevale.

Medici räusperte sich, verengte die Augen zu Schlitzen, beugte sich über den Tisch. »Okay, Ernesto. Ich mach es kurz«, flüsterte er. »Gestern Nachmittag ist in der Nähe von San Gimignano eine Leiche gefunden worden. Auf einer dieser Baulücken, die ewig lange verwaist waren. Hat wohl keiner damit gerechnet, dass dort plötzlich gearbeitet wird. Aber du hast vielleicht davon gehört, dass sich ein chinesischer Investor in San Gimignano eingekauft hat. Ihm gehört das Grundstück.«

Carnevale nickte, rückte näher an den Tisch heran. Auch Tiefenthal spitzte die Ohren.

»Die Leiche liegt schon bei mir im Kühlfach. Wurde übel zugerichtet. Nichts für Anfänger«, presste Medici hektisch hervor, massierte sich dabei den Nacken.

Tiefenthal war elektrisiert. Vor seinem geistigen Auge sah er eine eingeschlagene Schädeldecke, herausgebrochene Zähne, Folterspuren, die nur der Kenner an der verwesenden Leiche noch entdecken konnte. Ein frisches Mordopfer wäre doch mal etwas ganz anderes als die Jahrtausende alten Moorleichen, mit denen er sich sonst herumschlagen musste. Er war gespannt, was genau Medici von Carnevale wollte.

»Ich gratuliere, Guido. Das sind doch genau die Herausforderungen, die ein alter Hase wie du sucht. Aber warum kommst du damit zu mir? Wie kann ich helfen?« Carnevale grinste, trommelte unruhig mit den Fingern auf dem Tisch.

»Das ist natürlich sehr viel verlangt …« Medici räusperte sich erneut. »Du weißt doch, Ernesto. Seitdem Eleonore nicht mehr da ist, macht das alles hier für mich keinen richtigen Sinn mehr. Ich habe immer meine Pflicht getan, tagein und tagaus. Ich war so fleißig, dass ihr mich hinter meinem Rücken schon il tedesco, den Deutschen, genannt habt. Glaub ja nicht, dass ich das nicht mitbekommen hätte.« Er zwinkerte Tiefenthal zu.

Carnevale schüttelte unwillig den Kopf, erwiderte aber nichts.

»Und bei jedem verdammten Palio von Siena war ich dabei«, fuhr Medici fort. »Nur weil Eleonore das Pferderennen so sehr liebte. Als es ganz schlimm wurde mit dem Krebs …« Er fuhr sich durchs Haar, schaute weg von seinem Gegenüber und in die toskanische Hügellandschaft. »Dabei habe ich das Spektakel die ganze Zeit gehasst.«

»Ich weiß, aber -«, versuchte Carnevale ihn zu unterbrechen.

Medici fiel ihm ins Wort: »Und jetzt so ein brisanter Fall. Ausgerechnet kurz vor dem Palio. Die werden mich nicht in Ruhe lassen. Werden an mir kleben und immer wieder nachfragen, wie es aussieht, ob ich schon was sagen kann. Und ehe ich mich versehe, sind wir mittendrin in den Festivitäten. Meine beiden Wochen im Vier-Sterne-Hotel am Lago di Garda, auf die ich mich schon so lange gefreut habe, kann ich knicken, es sei denn …«

»Jaaaa – was denn?«, fragte Carnevale gedehnt.

»Nun, es sei denn, du würdest mich bei der Analyse der Leiche unterstützen. Ausnahmsweise«, stieß Medici hervor.

»Ich?«, fragte Carnevale gekünstelt. Es war nicht zu überhören, dass er sich mächtig geehrt fühlte. Tiefenthal wunderte sich über dieses Angebot, hatte Carnevale doch bislang in der Wissenschaft nur wenig zustande gebracht. Mal hatte er sich mit den alten Ägyptern befasst, dann wieder den Römern zugewandt. Stets hatte er versucht, irgendeinen wissenschaftlichen Coup zu landen, aber immer, wenn es konkret wurde, waren seine abenteuerlichen Theorien wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen. Ausgerechnet dieser Windbeutel sollte jetzt zur Aufklärung eines brisanten Verbrechens beitragen? Tiefenthal schwante nichts Gutes.

Carnevale tat einen ganz kurzen Augenblick so, als würde er nachdenken, dann nickte er viel zu schnell mit dem Kopf, blickte triumphierend zu Tiefenthal und erhob sich. »Ja, wenn das so ist«, sagte er und strich sein Hemd glatt. »Einen alten Freund werde ich doch nicht im Regen stehen lassen. Die archäologische Wissenschaft wird ein paar Tage ohne mich auskommen müssen. Herr Tiefenthal wird mich hier würdig vertreten.« Carnevale grinste so breit wie falsch und ließ dabei wieder seine weißen Zähne aufblitzen. Ohne weitere Umschweife bedeutete er Medici, mitzukommen, und drängelte sich zwischen den Tischen hindurch Richtung Ausgang.

Der Rechtsmediziner drehte sich im Gehen noch einmal um und warf Tiefenthal einen flüchtigen Blick zu, in dem eine Spur von Bedauern lag, ganz so, als hätte er lieber mit ihm zusammengearbeitet.

Josef Tiefenthal machte eine Pause, schaute vom Podium herunter und überblickte das Publikum, das den schlichten Konferenzsaal des Resorts bis zum letzten Stuhl füllte. Obwohl die Reihen dicht besetzt waren, galt die Aufmerksamkeit keineswegs ungeteilt dem Redner. Einige Wissenschaftler wischten auf ihren Smartphones herum, andere hatten sogar einen Laptop auf dem Schoß und schrieben oder waren im Internet.

Tiefenthal räusperte sich und rückte mit dem Mund ganz dicht an das Mikrofon heran. »Und jetzt möchte ich Ihnen einige unserer neueren Arbeiten vorstellen, deren Implikationen Ihnen nicht entgehen werden.« Er schmunzelte über seine eigenen Worte und drückte auf den Knopf der Fernbedienung.

Sofort erschien auf beiden Leinwänden hinter ihm das gleiche Bild. Man erkannte Fotografien eines mumifizierten Schädels sowie einzelner Knochen. Daneben das Bild einer Gruppe von Männern und Frauen in Gummistiefeln, die sich sichtlich stolz auf ihren Spaten abstützten. Vor ihnen befand sich eine rechteckig ausgehobene Grube, rechts und links neben der Gruppe standen Schubkarren, die mit dunkelbraunen Torfblöcken befüllt waren.

»Es ist dieser engagierten Gruppe des Heimatvereins Bad Zwischenahn zu verdanken, die uns unverzüglich über ihren Fund in Kenntnis gesetzt hat«, sagte Tiefenthal auf Englisch. »So konnten wir sehr schnell und fachgerecht konservieren.« Im Saal wurde es merklich stiller, einige klappten ihre Laptops zu und wandten sich zum Podium hin.

»Eine männliche Leiche, die in zweieinhalb Metern Tiefe gefunden wurde. Die Schädeldecke ist gebrochen, aber wir können noch nicht sagen, ob dies todesursächlich ist.« Tiefenthal atmete hastig, sein Puls stieg. Er machte eine Pause, um seine Nervosität zu bändigen. Langsam und akzentuiert sprach er weiter. »Die Delta-C 13-Isotopenanalyse und die Strontiumanalyse der Zähne stehen noch aus. Aber was wir bereits wissen …« Tiefenthal machte eine Kunstpause und drückte wieder auf die Fernbedienung. Eine Folie erschien, auf der ein Diagramm dargestellt war. Darunter fettgedruckt die Zahlen: Zehntausend BP Plusminus tausend. Ein Raunen durchlief augenblicklich den Saal, gefolgt von aufgeregtem Murmeln. Man tauschte sich eilig untereinander aus. »Sie sehen ja selbst, was das bedeutet, meine sehr verehrten Damen und Herren«, sagte Tiefenthal mit vor Stolz vibrierender Stimme. »Mit hoher Wahrscheinlichkeit und mit aller gebotenen Bescheidenheit haben wir im Kaynhauser Moor die älteste bekannte Moorleiche der Welt gefunden.«

Spontaner Applaus brandete auf. Tiefenthal verbeugte sich und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Er wischte sich über die Stirn. In diesem Moment wusste er, dass er endgültig im Olymp der Moorleichenforschung angekommen war.

Nach getaner Arbeit nahm der Professor einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und genoss den bitteren Nachgeschmack auf der Zunge. Er nickte eifrig und schaute in die braunen Augen der jungen Studentin. »Sie haben absolut recht. Ohne die Heimatvereine, die sich im Torfstechen engagieren, wären wir völlig aufgeschmissen. Beim mechanisierten Torfabbau findet man ja heutzutage keine Leiche mehr. Das geht viel zu schnell und zu effizient. Wir brauchen die, die noch mit dem Spaten buddeln.« Tiefenthal blickte in die Runde der Wissenschaftler, die sich um ihn und den runden Bistrotisch drängten, an dem sie miteinander die Konferenzpause verbrachten. In diesem Moment war Tiefenthal mit sich und der Welt zufrieden. Sein Vortrag hatte genau die Wirkung erzielt, die er sich erhofft hatte.

Etwas vibrierte an seiner Brust. Er griff in die Tasche seines Jacketts und schaute auf das Display des Smartphones. Eilig nahm er ab, murmelte den Umstehenden etwas Unverständliches zu und entfernte sich schnellen Schrittes aus dem Saal. »Barbara, was für eine Überraschung, wie geht es dir, wo bist du?«, sagte er und lief auf eine Gruppe grüner Ledersessel zu, die im Vorraum des Konferenzsaals zum Verweilen einlud.

»Alles gut. Rate doch mal, wo ich bin, Onkel Josef«, antwortete eine helle, etwas quäkende Stimme.

»Nenn mich nicht Onkel. Du weißt, dass ich das nicht mag«, sagte Tiefenthal und grinste. Ihm wurde warm ums Herz. Er ließ sich in den Sessel fallen. »Bist du in Italien? Wo genau?«

»Nicht weit weg von dir. Ich muss schließlich studieren. Wie ist es auf der Tagung?«

»Ist prima gelaufen. Ich hab dir doch von unserem spektakulären Fund im Kaynhauser Moor erzählt. Die Leute hier sind hin und weg … Mein großer Rivale ist schon abgereist, weil er Wichtigeres zu tun hat. Was soll’s … Jetzt vermisse ich fast seine kritischen Fragen. Sind alle viel zu nett zu mir, keiner fühlt mir auf den Zahn. Du weißt doch, ich brauche den wissenschaftlichen Disput wie die Luft zum Atmen. Also, Barbara, wenn du in Florenz bist …« Tiefenthal kratzte sich an der Stirn. »Möchtest du vorbeikommen? Ich würde mich freuen. Ich glaub, hier sind noch ein paar Zimmer frei. Ist wunderschön hier … auch das Essen … Du bist selbstverständlich eingeladen … Was meinst du?« Während er sprach, schlug Tiefenthal die Beine übereinander, machte sie wieder breit, lehnte sich vor und dann wieder zurück.

»Haben die auch veganes Essen? Kann ich da Sport machen? Ich glaube, ich hab schon wieder zugenommen!«

»Ach, Barbara, du spinnst doch, so gertenschlank, wie du bist. Aber ja, wenn es unbedingt sein muss, kannst du hier auch Sport machen. Wie wär’s mit morgen?« Tiefenthal ballte die linke Faust, presste das Smartphone fester ans Ohr.

»Ja, das passt. Abgemacht. Wo genau bist du?«

Tiefenthals Herz machte einen Hüpfer. »Ach, in so einem Resort in der Nähe von Siena. Wenn du nach Siena fährst und einem Taxifahrer sagst, er soll dich in das Resort La Bagnaia bringen, kannst du mich gar nicht verfehlen.«

»Supi – wir sehen uns morgen. Bussi, Lieblingsonkel«, flötete Barbara in Tiefenthals Ohr und legte auf.

Zufrieden schloss der Professor die Augen und fing leise an, die Melodie von Adriano Celentanos »Azzurro« zu summen. So musste er sich wohl anfühlen, der perfekte Tag. Beiläufig dachte er an Carnevale und fragte sich, ob er über die Leiche von San Gimignano wohl jemals wieder etwas hören würde.

2. Kapitel

»E lucevan le stelle«, und es leuchteten die Sterne, schmetterte Stella Bernucci eine Oktave höher als Luciano Pavarotti, der im Hintergrund aus der Box des CD-Players tönte. »Ed olezzava la terra«, und er hat die Erde gerochen, sang sie mit ungeheuer viel Timbre in der Stimme mit. Sie nahm den riesigen, verbeulten Blechtopf vom Herd und goss das dampfende Wasser samt Nudeln in ein Sieb, das sie in der Spüle platziert hatte. Sie ließ das Wasser abtropfen, sang voller Inbrunst weiter, schüttete währenddessen die Tagliatelle in einen kleineren Topf um und vermischte sie mit der Bolognese-Soße. »Matteo! Mangiare!«, rief sie so laut, wie sie konnte, und versuchte, die Klänge der Puccini-Oper, die derweil auf ihren Höhepunkt zusteuerte, zu übertönen.

Sie stellte den Topf an das Kopfende des langen Esstisches, der den Mittelpunkt der Küche bildete und an dem bis zu acht Personen Platz finden konnten. Stella Bernucci liebte ihre Küche, sie liebte ihre Gäste, das Kochen und die italienische Oper. Es war viel zu lange her, dass sie ein paar Freunde eingeladen hatte, um sie in ihren eigenen vier Wänden nach allen Regeln der kulinarischen Kunst zu verwöhnen. Sie sehnte sich nach einem gemeinsamen, unbeschwerten Abend. Bei all der Arbeit, die sie um die Ohren hatte, musste sie aufpassen, nicht zu vereinsamen, ohne es zu bemerken. Bernucci löste den Knoten ihrer Schürze und zog sie über den Kopf.

Luca, der dunkle, selbstbewusste Kater, kam hereinstolziert und presste seinen schlanken Körper gegen ihr Bein. Sie streichelte ihm über den Kopf, er schloss genießerisch die Augen, miaute und blickte gierig nach oben. Schnell senkte er wieder das Haupt und stolzierte weiter. Allem Anschein nach hatte er verstanden, dass die Bolognese-Soße nicht für ihn bestimmt war. Bernucci schaute ihm hinterher. Luca marschierte geradewegs auf Lea zu, die zusammengerollt auf ihrem Lieblingssessel vor sich hin dämmerte. Die beiden waren das perfekte Katzenpaar. Während Luca Haus und Hof wie ein dunkler Wachhund durchstreifte, konnte die hellbraun gemusterte Lea volle Tage schlafend auf ihrem Sessel zubringen. Bernucci war froh, schon vor einigen Jahren raus aus Siena aufs Land in die Gegend von Colle di Val d’Elsa gezogen zu sein. Der alte Bauernhof hatte sowohl Matteo als auch seinem Vater Mario auf Anhieb gefallen. Und für die beiden Katzen war es ohnehin das Paradies auf Erden.

Mario. Bei dem Gedanken an ihren Exmann knüllte Bernucci die Schürze zusammen und warf sie im hohen Bogen auf den übernächsten Stuhl. Es war eine ganze Zeit gut gegangen mit ihnen beiden. Anfangs hatten sie sich leidenschaftlich geliebt. Aber dann, Schritt für Schritt, hatte Mario die Maske abgestreift und seine wahre Natur war zum Vorschein gekommen. Viele sprachen in solchen Fällen ja gerne davon, dass man sich auseinandergelebt hätte. Vielleicht kam so etwas auch vor. Bei Mario und Stella war es aber völlig anders gewesen. Er war eigentlich gleich geblieben, hatte sich nur immer weniger verstellt. Stellas Beruf war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Er hatte gewollt, dass sie sich um die Familie kümmerte und er für den Lebensunterhalt sorgte.

Aber da war er bei Stella Bernucci an der falschen Adresse gewesen. Sie liebte ihre Familie wirklich sehr. Aber ihren Beruf liebte sie mindestens genauso innig. Ihn wollte sie um nichts in der Welt aufgeben – und wenn er noch so stressig war. Sie wischte sich über die Augen und schob die trüben Gedanken schnell beiseite. »Matteo, wo bleibst du denn? Die Pasta wird kalt!«, rief sie genervt und mit fester Stimme.

»Ich komm ja schon«, murmelte ihr Sohn genau in diesem Augenblick und trottete zur Küche herein. Blass sah er aus. Er war unrasiert und hatte dunkle Schatten unter den Augen.

»Komm, setz dich, ich habe dein Lieblingsgericht gekocht.«

»Danke, Mamma, du weißt, dass du das nicht musst.«

»Was ist los mit dir?«

»Nichts, was soll sein?«

»Du brauchst mehr Schlaf, Matteo.« Sie nahm einen großen Löffel von den Tagliatelle und beförderte sie auf seinen Teller. »Ist bestimmt schwer in Florenz, oder? Setz dich nicht selbst so sehr unter Druck.« Bernucci unterdrückte den Impuls, ihrem Sohn zärtlich über die Haare zu streichen, nahm sich ebenfalls eine Portion Nudeln und setzte sich hin. »Du weißt«, sagte sie, nahm eine Gabelportion in den Mund, schmeckte das körnige Rindfleisch und die erfrischende Säure der Tomaten, kaute und schluckte, »dass du mir alles sagen kannst, ja?«

»Ja, Mamma, ich weiß«, antwortete Matteo kurz angebunden und wickelte die Nudeln lustlos um die Gabel. »Das Medizin-Studium ist halt nicht so einfach … Kann ich mal das Operngedudel ausmachen?«

»Wenn es dich stört«, sagte Bernucci mit vollem Mund und schaute auf die Uhr. »Oh, ich seh grad … Ich muss gleich los zu einem Termin in Siena. Das wird ganz schön knapp. Dieser eingebildete Professore ist bestimmt sauer, wenn ich ihn warten lasse.«

Matteo hatte inzwischen die Musik ausgemacht, setzte sich wieder und rieb sich die Augen. »Was denn für ein Professore? Gibt es einen Mordfall an der Uni? Ist etwa ein frustrierter Student Amok gelaufen und hat ein paar nervige Profs und Mitarbeiter über den Haufen geschossen?«, fragte er mit einem gewissen Maß an Interesse in der Stimme. »So wie es bei uns in Florenz zugeht, würde mich das jedenfalls nicht wundern.«

»Nein, nein. Was du schon wieder denkst. Der Professore ist ein Pathologe. Genau genommen ist er ein Archäologe. Na ja, was soll’s. Ich will dich damit nicht belasten. Es geht um den Leichenfund bei San Gimignano. Hast du bestimmt in der Zeitung gelesen.«

»Du weißt, dass ich schon lange keine Zeitung mehr lese.« Matteo schaute seine Mutter mit traurigem Hundeblick an.

Bernucci erwiderte seinen Blick, kniff die Augen zusammen. Sie spürte deutlich, dass ihren Sohn etwas bedrückte. Aber so leid es ihr tat, sie hatte jetzt keine Zeit für mütterliche Fürsorge. Die berufliche Pflicht rief, sie musste los.

Stella Bernucci hasste den Gang in die Rechtsmedizin. Auch nach zwanzig Dienstjahren hatte sie sich noch längst nicht an den Anblick übel zugerichteter Leichen in diesem sterilen Ambiente gewöhnt. Als Anfängerin hatte sie sich regelmäßig übergeben müssen, wenn sie mit den einschlägigen Bildern konfrontiert worden war. Das war inzwischen vorbei. Aber geblieben war ihr grenzenloses Mitleid mit den menschlichen Schicksalen, denen sie im kühlen Obduktionsraum in die Augen schauen musste.

Sie stieß die Tür auf und betrat den grell beleuchteten Raum. Bernucci sah, wie der Professor den Mundschutz abnahm und die grüne Haube vom Kopf streifte. Er kratzte sich an der feuchten Glatze, deckte die Leiche ab und schaute ratlos auf den Seziertisch. Die Kommissarin und der Archäologe waren sich vor ein paar Jahren schon einmal begegnet, als Carnevale bei seinem Freund, dem Rechtsmediziner, zu Besuch war.

»Ciao, Professore Carnevale. Tut mir leid, ich bin etwas zu spät.« Bernucci versuchte ein gewinnendes Lächeln.

Carnevale zuckte zusammen. Er hatte die Kommissarin überhaupt nicht bemerkt. Schnell fing er sich wieder, lächelte übertrieben breit und ließ eine Reihe strahlend weißer Vorderzähne sehen. Er drückte ihr die Hand, küsste sie auf beide Wangen. Bernucci erwiderte die Begrüßung, schob den Professor dann aber sanft von sich weg. »Ich habe gehört, dass Sie übernommen haben, Signor Professore. Aber was ist denn mit Dottore Medici los? Ist er krank?«

»Körperlich nicht. Er ist vor dem Palio geflohen. Das ist nicht so sein Ding.«

»Wie bitte? Das hab ich ja noch nie gehört. Ich freu mich das ganze Jahr über auf die beiden Rennen und bin immer wieder aufs Neue enttäuscht, dass dieses großartige Spektakel nach nur hundert Sekunden schon wieder vorbei ist. Warum um alles in der Welt sollte ein Sieneser davor fliehen?«

»Nun ja … Sie sind für Aquila, hab ich recht?«

Bernucci nickte. »Nobile Contrada dell'Aquila«, sagte sie stolz.

»Und euer Fantino, wie heißt er noch gleich?«

Bernucci stutzte ob der unerwarteten Frage nach dem Jockey ihrer Contrade. »Äh, Gianluca, wieso?«, fragte sie irritiert.

»Ach, richtig, ich erinnere mich. Dieser Gianluca, der kann sich doch keine zehn Sekunden auf einem Pferd halten. Habt ihr euch seine Beinchen etwa nicht angeschaut? Bei uns hat er auch versucht zu landen … Da hat man euch aber schön einen untergejubelt … Also Gründe, dem Palio fernzubleiben, gäbe es in diesem Jahr schon … Zumindest für alle aus Aquila!« Carnevale grinste maliziös.

Bernucci kniff die Lippen zusammen. Sie angelte ihre Sonnenbrille aus dem üppig gelockten schwarzen Haar heraus und ließ sie wie eine Windmühle in der Hand rotieren. Das machte sie immer, wenn sie nervös war. Sie nahm sich vor, später mit dem Capitano von Aquila ein ernstes Wort über den Fantino zu reden. Natürlich wusste sie, dass Carnevale nur provozieren wollte, das gehörte zum Palio schließlich dazu wie der Parmigiano zur Pasta, aber vielleicht enthielt seine Stichelei ja einen Hauch von Wahrheit.

»Sie werden schon sehen, Carnevale. Dieses Jahr werden wir euch zeigen, wo der Hammer hängt. Contrada Sovrana dell'Istriche, die souveräne Contrade des Stachelschweins, wenn ich richtig informiert bin?«

»Sol per difesa io pungo, nur zur Verteidigung steche ich«, antwortete der Professor stolz mit dem Motto seiner Contrade.

»Ihr armseligen Stachelschweine werdet schon sehen, wo ihr bleibt. La forza dell'Aquila! Wir werden euch zermalmen!«, blaffte Bernucci den Professor an und beförderte die Sonnenbrille ins Haar zurück.

Carnevale blieb erstaunt der Mund offen stehen. Mit einem solchen Gefühlsausbruch hatte er wohl nicht gerechnet. Er schien etwas erwidern zu wollen, überlegte es sich aber ganz schnell anders und klappte den Mund wieder zu.

»Was haben wir denn bis jetzt?«, fragte die Kommissarin nun wie verwandelt in professionellem Tonfall.

Der Professor kratzte sich erneut an der Glatze. »Nun ja, in diesem Zustand ist das leider nicht so einfach zu beantworten«, sagte er unsicher.

»In welchem Zustand sind Sie denn gerade?«, fragte Bernucci entrüstet. Langsam riss ihr der Geduldsfaden.

»Ich rede doch nicht von mir! Na schön, sehen Sie doch selbst«, antwortete der Archäologe und schlug das Tuch beiseite, sodass der Kopf des Toten sichtbar wurde. Oder vielmehr das, was davon übrig geblieben war.

Erschrocken legte Bernucci die Hand auf den Mund. Sie würgte die Bolognese-Reste herunter, die nach oben drängten, und schluckte kräftig. Der Schädel des Toten war rabenschwarz, sah aus wie verkohlt. Anstelle der Augen klafften zwei dunkle Löcher, in der Stirn darüber ein weiteres Loch. Verschrumpelte schwarze Lappen standen dort vom Schädel ab, wo einst die Ohren gewesen waren. Kein einziges Haar wuchs mehr auf diesem Schädel. Der Mund stand weit offen, so als wäre er fassungslos über das an ihm begangene Verbrechen. Was Bernucci zusätzlich irritierte, war die gähnende Leere, die sie aus dem verkohlten Mund anstarrte. Was zum Teufel sollte das hier? Wie und warum hatte man den armen Kerl so zugerichtet? Oder war es gar eine Frau? Bernucci schüttelte sich. Eisige Kälte lief ihr das Rückgrat herunter, breitete sich aus bis in die Fußspitzen.

»Ein Mann, so um die dreißig Jahre alt. Plus/minus fünf. Ich tippe auf konzentrierte Säure, so was wie rauchende Schwefelsäure zum Beispiel. Man hat den ganzen Körper damit übergossen. Sehen Sie ja selbst, er sieht aus wie … wie verkohlt.«

»Todesursache?«, fragte Bernucci gereizt und rieb sich die Finger, um sie wieder warm zu bekommen.

»Ganz schwer zu sagen in diesem Zustand. Und ich hatte ihn noch nicht unterm Messer …« Carnevale bleckte die Vorderzähne.

»Ja wie wär´s denn mit dem Loch in der Stirn? Kennt der Herr Professor vielleicht schon das Kaliber?« Bernucci hasste nichts mehr, als mit Amateuren zusammenarbeiten zu müssen. Wie konnte Medici ihr so etwas nur antun? Und dann noch mit der fadenscheinigen Begründung, vor dem Palio fliehen zu müssen?

Carnevale zog unwillkürlich den Kopf ein und antwortete pflichtschuldig. »Es handelt sich eindeutig um ein Einschussloch, da haben Sie völlig recht. Kaliber habe ich noch nicht gecheckt. Das könnte gut die Todesursache gewesen sein … Aber …«

»Jaaa?«, fragte Bernucci gedehnt.

»Nun, Sie wissen, ich als Archäologe gehöre zur historischen Zunft und damals gab es ja noch … nun ja … keine Schusswaffen.«

Bernucci stöhnte auf. Womit hatte sie das verdient? »Was ist mit den Zähnen?«, hakte sie nach.

»Fehlen komplett. Sind vermutlich rausgebrochen worden. Vielleicht, um Beweise zu vernichten? Klingt das nicht nach Mafia? Dem Opfer in den Kopf geschossen, dann Zähne entfernt, mit Säure übergossen und verbuddelt? Könnte es nicht reiner Zufall gewesen sein, dass die Leiche auf dem Baugrundstück gefunden wurde?« Carnevale machte eine Pause. »Was meinen Sie, Commissaria, konnte ich Ihnen zumindest ein wenig helfen?«

Bernucci atmete tief ein und wieder aus, schüttelte langsam den Kopf. »Das reicht nicht, Carnevale. Strengen Sie sich gefälligst ein bisschen an. Ich brauche mehr als das. Der Palio steht vor der Tür. Alle werden von Tag zu Tag nervöser. Der Staatsanwalt sitzt mir im Nacken. Wenn Sie mir bis morgen Abend nicht ein Quäntchen mehr bringen, hole ich Medici eigenhändig aus dem Urlaub zurück, das verspreche ich Ihnen!«

Carnevale wurde blass und klappte den Mund zu. Er spürte wohl, dass Bernucci es ernst meinte. Gleichzeitig schien der Archäologe keine Ahnung zu haben, wie er in diesem aussichtslosen Fall weiterkommen sollte.

3. Kapitel

Ernesto Carnevale zog einen Stuhl heran und ließ sich erschöpft darauf fallen. Er seufzte und vergrub den Kopf in den Händen.

Wie zum Teufel sollte er aus diesem Schlamassel wieder herauskommen? Mit der Commissaria war nicht zu spaßen, das hatte er gemerkt. Wenn er nicht mehr über diese verdammte Leiche herausfände, würde die alte Polizei-Furie ohne zu zögern Guido Medici aus dem Urlaub zurückholen. Und er, Professor Carnevale, wäre bis auf die Knochen blamiert. Das durfte er auf keinen Fall zulassen. Er biss die Zähne aufeinander. Er wusste nur zu genau, dass er wissenschaftlich bislang nur wenig zustande gebracht hatte. Seine Karriere hatte er ausschließlich seinem genialen Verkaufstalent zu verdanken.

Er hatte mehrmals das Thema gewechselt. Die Doktorarbeit hatte er über die Todesursachen bei den römischen Gladiatorenkämpfen geschrieben. Wirklich neu war das selbst zu jener Zeit nicht gewesen. Anschließend hatte er sich an einem absoluten Spezialthema versucht: Morde innerhalb der christlichen Minderheit im alten Rom. Das war an sich eine geniale Idee gewesen, aber viel zu schwer zu erforschen. Nachdem auch das nicht von Erfolg gekrönt gewesen war, hatte er sich vor einigen Jahren den ägyptischen Mumien zugewandt. Am Ende war es nicht wirklich überraschend gewesen, dass er als italienischer Wissenschaftler bei diesem Thema nicht ganz vorne dabei sein konnte. Seiner internationalen Karriere hatte das alles indes nicht geschadet, hatte er es doch stets geschafft, selbst die dürftigsten Ergebnisse brillant zu verkaufen.

Das war seine eigentliche Stärke und gleichzeitig der wunde Punkt der meisten seiner Wissenschaftskollegen. Viele von denen waren wahnsinnig smart, sprühten vor Kreativität und schufteten fleißig wie die Honigbienen. Aber wenn es darum ging, ihre sensationellen Ergebnisse öffentlichkeitswirksam zu präsentieren, dann zeigten sie so viel Charisma wie ein Beamter im Ordnungsamt einer Kleinstadt.

Seinem Verkaufstalent und seinen exzellenten persönlichen Verbindungen hatte Carnevale es zu verdanken, dass er es bis zum Inhaber des Lehrstuhls für forensische Archäologie in Florenz gebracht hatte. Das war eine Leistung, auf die er mit Recht stolz sein konnte. Er war geachtet und der Name Florenz war zugkräftig genug, dass die Studenten ihm in Scharen zuliefen. Und natürlich hatte er finanziell ausgesorgt. Doch wenn er tief in sich hineinhorchte, merkte er, dass ihm all das auf Dauer allein nicht reichen würde. Er wollte auch mal einen lupenreinen wissenschaftlichen Coup feiern können. Einmal auf der Bühne stehen und den Erfolg ohne einen Hauch von schlechtem Gewissen genießen. Und ausgerechnet jetzt, da Medici ihm diese einmalige Gelegenheit, sich zu profilieren, auf dem Silbertablett serviert hatte, ausgerechnet in diesem Augenblick versagte er.

Er presste die Lippen zusammen, stand auf und schob das Leichentuch zurück, sodass der verkohlte Kopf zum Vorschein kam. Sieht aus wie eine Moorleiche, dachte er und stutzte. Natürlich, warum war er nicht gleich darauf gekommen! Wenn man so wie er knietief im Morast steckte und allein nicht mehr herauskam, dann musste man nach jedem Stöckchen greifen. Und war es auch noch so dünn.

Er griff nach seinem telefonino und suchte unter den Kontakten nach der einzigen Nummer, die ihm jetzt noch helfen konnte.

Wenig später rückte Josef Tiefenthal mit der Lupe dichter an die pechschwarze Haut heran, arbeitete sich langsam von den Füßen aufwärts. Er schob den Mundschutz höher und drückte die Wattebäusche tiefer in seine Nasenlöcher. Der süßliche Geruch verwesenden Fleisches war unerträglich. Als er den Unterschenkel der Leiche musterte, hielt er abrupt inne. Schnell griff er in die chromglänzende Schale neben sich, nahm eine Pinzette heraus, zupfte vorsichtig und zog einen winzigen Wurm heraus.

»Was haben wir denn da für ein hübsches Äälchen«, sagte er und beförderte das winzige Tier in ein Glas, das er sofort wieder verschloss. »Nematodenbefall im Unterschenkel«, sprach Tiefenthal in das Diktiergerät und wandte sich dann den Oberschenkeln der Leiche zu.

»Grandioso, ein Würmchen. Das bringt uns ja so richtig weiter!«, maulte Carnevale. Er griff sich an die Glatze, als wollte er sich die nicht vorhandenen Haare raufen, und ließ die Mundwinkel hängen.

»Ruhig Blut, Herr Kollege. Wir gehen ganz systematisch Schritt für Schritt vor, ziehen keine voreiligen Schlüsse und notieren jedes noch so kleine Detail. Wir wollen so viele Informationen wie möglich sammeln. Wir haben schließlich keinen Zeitdruck«, antwortete Tiefenthal in sachlichem Tonfall.

»Wir haben keinen Zeitdruck? Ja, geht's noch? Was ist mit dem Palio, der vor der Tür steht? Und was ist mit dieser Commissaria, die mir im Nacken sitzt?«

Tiefenthal unterdrückte ein Grinsen. Die Commissaria schien den Kollegen mächtig beeindruckt zu haben. Natürlich hatte Tiefenthal mit dem nicht vorhandenem Zeitdruck ein wenig geflunkert. Er musste mit der Obduktion unbedingt fertig sein, bevor Barbara zu Besuch kam, sonst hätte er ja gar keine Zeit für seine geliebte Nichte. Lediglich die Journalisten, die gerade Schlange standen, die konnte er getrost warten lassen. Jeder von denen war scharf auf ein Exklusivinterview mit dem Entdecker der ältesten Moorleiche der Welt. Aber für Tiefenthal war die Sache durch. Er hatte auf der Tagung die wissenschaftliche Öffentlichkeit informiert und das war das Einzige, was für ihn zählte. Dieser Fall hier, diese ganz frisch aus der toskanischen Erde gezogene Leiche, die reizte seinen wissenschaftlichen Ehrgeiz bis zum Äußersten. Medici hatte Carnevale den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt, aber der Kollege hatte vor Nervosität einen Blackout gehabt und fünf Meter am Tor vorbeigeschossen. Tiefenthal hingegen war wild entschlossen, eiskalt zu verwandeln. »Capisco«, sagte er. »Aber das hier ist kein Fall für Anfänger. Wir haben keine Fingerabdrücke, keinen Zahnstatus und mit Sicherheit auch keine Faserspuren mehr. Alles weggeätzt. Der Verwesungsprozess hat bereits eingesetzt, aber unter der Erde ist er sehr stark verzögert, hängt auch extrem von den lokalen Gegebenheiten ab.«

»Außerdem wissen wir ja nicht, wie lange die Leiche über und anschließend unter der Erde gelegen hat«, warf Carnevale ein.

»Völlig richtig. Unter diesen Umständen ist der Todeszeitpunkt kaum zu ermitteln«, antwortete Tiefenthal und merkte, dass er gerade wie einem Studenten gegenüber dozierte. »Ich mach jetzt mal weiter mit der oberflächlichen Schau.«

Über die weggeätzten Genitalien und den wie einen Ballon aufgeblähten Bauch hinweg arbeitete er sich hoch bis zum zahnlosen Mund und zu dem Einschussloch in der Stirn. »Haben Sie den Schusskanal gecheckt?«, fragte er.

Carnevale räusperte sich. »Aber sicher. Ist am Hinterkopf wieder rausgekommen. Fast gerade, nur leicht schräg von unten eingetreten.«

»Na also, das ist doch schon mal was«, sagte Tiefenthal und klang dabei nur wenig überzeugend. »Kaliber?«, schob er hinterher.

»Keine Ahnung.«

Tiefenthal seufzte vernehmlich. »Schieblehre!«, befahl er. Inzwischen hatte Carnevale sich ganz freiwillig zum Assistenten degradieren lassen. Er wühlte geräuschvoll im Hintergrund, zog schließlich triumphierend das Messgerät hervor und überreichte es Tiefenthal mit einem unbeteiligten Gesichtsausdruck.

Tiefenthal setzte die Schieblehre an und pfiff durch die Zähne. »Fünf Komma sechs Millimeter Einschussloch. Schauen Sie doch bitte mal nach, was das sein könnte.«

Carnevale nickte, zog sein Smartphone aus der Tasche und tippte darauf herum.

»Also … bei dem Kaliber fünf Komma vier-fünf mal neununddreißig Millimeter bekomme ich einen klaren Treffer«, sagte Carnevale. Tiefenthal richtete sich auf, schaute erwartungsvoll.

»AK 47. Kalaschnikow.«

»Wow. Das ist doch mal eine Arbeitshypothese«, freute sich Tiefenthal. »Ich fasse zusammen. Der vor uns liegende Leichnam wurde vermutlich mit einer Kalaschnikow erschossen. Ihm wurden die Zähne herausgebrochen, er wurde mit rauchender Schwefelsäure übergossen und dann auf einer Baustelle bei San Gimignano in etwa zwei Metern Tiefe verscharrt. Hört sich mafiös an, es kann aber auch gewollt sein, dass wir genau das glauben. Vielleicht hat uns das Würmchen hier«, er zeigte auf das Glas, in dem der Fadenwurm sich schlängelte, »ja noch mehr zu erzählen.«

»Noch mehr ist gut. Wir wissen zwar ein paar Dinge, aber nichts, was uns weiterbringt«, klagte Carnevale.

Tiefenthal schüttelte den Kopf. »Es hilft nichts. Wir müssen den Leichnam öffnen. Danach sind wir hoffentlich schlauer.«

Carnevale schüttelte sich. »Schaurige Angelegenheit. So was wollte ich immer vermeiden. Das war doch der Grund, warum ich mich aufs Altertum verlegt habe. Alles schön abgelegen und mit Sicherheit nicht mehr stinkig«, sagte er mit Ekel in der Stimme.

»Ich reiße mich auch nicht gerade darum. Aber was muss, das muss.« Tiefenthal streifte sich Latexhandschuhe über und klatschte geräuschvoll in die Hände.

»Lassen Sie uns oben beginnen. Machen Sie doch schon mal die Säge startklar. Bringen wir es hinter uns.« Tiefenthal beugte sich über den verkohlten Kopf des Toten mit dem Loch in der Stirn und setzte behutsam das Skalpell an. Die ersten Schnitte dienten dazu, die Kopfhaut abzulösen. Das war in diesem Fall besonders schwierig, bestand doch die Kopfhaut des Toten aus nicht viel mehr als einer dünnen Kohleschicht, die unter dem Skalpell sofort zerbröselte.