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»Amerikas Ikone« DIE ZEIT – Allen Ginsbergs wichtigste Prosastücke, erstmals auf Deutsch. Allen Ginsberg war die große Leitfigur der Beat Generation. Mit seinen Werken sorgte er immer wieder für Kontroversen, indem er Drogen, Sex und Politik direkt thematisierte. Wie konnte aus einem gepeinigten jungen Mann einer der einflussreichsten Intellektuellen und Künstler der Nachkriegszeit werden? Ginsberg hat keine Autobiographie veröffentlicht in der Überzeugung, dass sein Werk alles Wesentliche enthält. Michael Kellner, der Allen Ginsberg selbst kannte, hat die wichtigsten Prosatexte in diesem Band zusammengestellt. Das vielschichtige Porträt, das sich so zusammensetzt, kann nicht alle Lebenswidersprüche auflösen, aber dem bisherigen Bild neue Facetten hinzufügen. Vor allem zeigt es, wie sehr es sich lohnt, sich neu mit Ginsberg und seinem herausragenden Werk zu beschäftigen. Die Prosa liegt erstmals auf Deutsch vor, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Michael Kellner. Mit bislang unveröffentlichten Fotos zum 25. Todestag des Dichters am 5. April 2022.
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Seitenzahl: 342
»Amerikas Ikone« DIE ZEIT – Allen Ginsbergs wichtigste Prosastücke, erstmals auf Deutsch. Allen Ginsberg war die große Leitfigur der Beat Generation. Mit seinen Werken sorgte er immer wieder für Kontroversen, indem er Drogen, Sex und Politik direkt thematisierte. Wie konnte aus einem gepeinigten jungen Mann einer der einflussreichsten Intellektuellen und Künstler der Nachkriegszeit werden? Ginsberg hat keine Autobiographie veröffentlicht in der Überzeugung, dass sein Werk alles Wesentliche enthält. Michael Kellner, der Allen Ginsberg selbst kannte, hat die wichtigsten Prosatexte in diesem Band zusammengestellt. Das vielschichtige Porträt, das sich so zusammensetzt, kann nicht alle Lebenswidersprüche auflösen, aber dem bisherigen Bild neue Facetten hinzufügen. Vor allem zeigt es, wie sehr es sich lohnt, sich neu mit Ginsberg und seinem herausragenden Werk zu beschäftigen. Die Prosa liegt erstmals auf Deutsch vor, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Michael Kellner. Mit bislang unveröffentlichten Fotos zum 25. Todestag des Dichters am 5. April 2022.
Über Allen Ginsberg
Allen Ginsberg, geboren 1926 in Paterson, New Jersey, gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Beat Generation. Seine Texte landeten bei Erscheinen regelmäßig auf dem Index, allen voran sein berühmtestes Gedicht »Howl«. Für seinen Gedichtband »The Fall Of America« erhielt er den National Book Award, außerdem ist er Träger der Goldenen Medaille des National Arts Club. Für seinen Einfluss auf die Entwicklung der Literatur und künstlerischen Freiheit wurde er in die »American Academy and Institute of Arts and Letters« aufgenommen. Er starb 1997 in New York.
Michael Kellner ist ein deutscher Verleger, Buchhändler, literarischer Übersetzer und Fotograf und hat vor allem Texte aus der Beat-Literatur in Deutschland bekannt gemacht, deren Vertreter er persönlich kannte. Für seine Übersetzung des Briefwechsels zwischen Jack Kerouac und Allen Ginsberg »Ruhm tötet alles« erhielt er den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen.
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Allen Ginsberg
Prosa
Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Kellner
Das Problem mit der konventionellen Form (Zeilenanzahl und Form der Strophe festgelegt) ist, dass sie zu symmetrisch, geometrisch, begrenzt und vorgegeben ist – so ganz anders als mein eigener Geist, der keinen Anfang und kein Ende und keine andere festgesetzte Maßeinheit der Gedanken (oder Rede – oder Worte) als sein eigenes unvergleichliches Mysterium kennt – meine »Methode« besteht darin, ihn in einer Form zu beschreiben, die seiner »Erscheinung« so nahe wie möglich kommt – dafür braucht man alle Freiheiten der Komposition beim Abfassen – wodurch die Poesie zum Ausdruck der höchsten Momente des Geist-Körpers geführt wird – mystische Erleuchtung – und den tiefsten Emotionen (durch Tränen – nichts als Liebe) – in den Formen, die ihm tatsächlich am ähnlichsten sind (Tatsachen mystischer Bildwelten) und sich so anfühlen (Rhythmus der tatsächlichen Sprache und Rhythmus der während der direkten Bearbeitung visuellen oder anderen mentalen Tatsachen) – und nicht zu vergessen plötzliche sozusagen geniale Vorstellungskraft oder Erfindung irrealer oder phantastischer Wortkonstruktionen, die wahre Freundlichkeit und Freiheit bekunden – (und auch ihrer Natur gemäß die Erstursache1 ausdrücken) durch das spontane irrationale Nebeneinanderstellen von grandios miteinander verbundenen Dinge, durch den Singsang des Zahnarztbohrers mit Klaviermusik; oder reine Konstruktionen von Unwirklichkeiten, Wasserstoff-Jukeboxen, in möglicherweise abstrakten Bildern (die gebildet werden durch zwei konkrete Dinge, die zunächst aber disparat sind) – man muss immer im Kopf behalten, dass wir uns am Rande des Unbekannten bewegen müssen, uns schreibend auf die Wahrheit zubewegen, die unserer eigenen Wahrheitsliebe nicht zugänglich ist, inklusive der zu vermeidenden Schönheit von Verhängnis, Scham und Peinlichkeit, genau jenem Bereich von persönlicher Selbsterkenntnis (das Einzelne im Detail ist allgemeingültig, nicht vergessen), deren verinnerlichte Konventionen uns davon abhalten, etwas in uns selbst und anderen zu entdecken – Denn wenn wir beim Schreiben im Blick behalten, was das Gedicht sein sollte (oder wie es gemeint war), und uns darin nicht verlieren, dann werden wir im Prozess dessen, was tatsächlich auf einem Tisch liegt, nie irgendetwas Neues über uns erfahren, und wir verspielen die Chance, in unseren Arbeiten zu leben und eine bewohnbare neue Welt zu schaffen, die jeder Mensch in sich selbst entdecken kann, sofern er lebt – nämlich das Leben selbst in Vergangenheit und Zukunft. Deshalb muss der Geist geschult werden, will sagen entfesselt, befreit – um so mit sich zu verfahren, wie er gerade ist, und sich oder seinen poetischen Artefakten kein willkürlich vorgefasstes Muster (formal oder inhaltlich) überstülpen zu lassen – und alle Muster, es sei denn, dass man sie im Augenblick des Verfassens entdeckt – sämtliche Muster, egal, ob erinnerte oder angewandte Muster, sind ihrem inneren Wesen nach willkürlich vorgefasst – wie vernünftig oder traditionell auch immer – unabhängig davon, welche Gesamtheit an ererbter Erfahrung sie auch verkörpern – Das einzige Muster von Wert oder Bedeutung in der Dichtung ist das unmittelbare, individuelle Muster, das für das Erleben des Dichters und des Gedichts im Geist entdeckt wird und während des Schreibens auf einem Blatt Papier entsteht, wie bei Notizen, Bearbeitungen – und in der tauglichsten, genauesten Form zum Zeitpunkt der Abfassung wiedergegeben wird. (»Zeit ist das Wesentliche«, sagt Kerouac.) Dieses persönliche Erleben ist für Leser und Dichter gleichermaßen wertvoll – und natürlich vermittelt es besser und nicht weniger die Wirklichkeit als ein vorab gewähltes Muster, das mit willkürlichem Material aufgefüllt wird, das natürlich das Material verfälscht und verwischt … Wenn der Geist wohlgeformt ist, ist die Kunst wohlgeformt.2
Das Ausmaß an Geplapper und eingebetteten Missverständnissen, das wir erlebt haben – meistens im Namen des guten Geschmacks, moralischer Tugenden oder (die größte Überheblichkeit) zivilisatorischer Werte –, hat mir die Augen geöffnet, was den absoluten Bankrott der Akademie im heutigen Amerika betrifft oder dessen, was sich selbst als Akademie zur Bewahrung der Literatur konstituiert hat. Denn der Feind und philisterhafte Hausherr ist die Akademie höchstselbst. Doch meine Arbeiten werden in 20 Jahren Schullektüre sein oder schon früher – was das betrifft, sind sie es schon längst – nach dem anfänglichen Aufschrei verärgerter Mittelmäßigkeit, die drei Jahre lang währte, bis sie in einem jämmerlichen Gestöhne verklang.
Sie sollten uns, die Dichter, mit denen sie schließlich ihren Lebensunterhalt verdienen, etwas freundlicher behandeln, während wir uns daran vergnügen. Schließlich sind wir Dichter und Romanciers und keine verkappten Marsianer, die versuchen, die Gehirne der Menschen mit Propaganda zu vergiften, die gegen die Erde gerichtet ist. Obwohl das die Konformisten jener Truppe in dieser beat und buddhistischen und mystischen und poetischen Entdeckungsfahrt vielleicht genauso sehen. Und vielleicht ist es ja wirklich so: »Kein Mensch, der nicht arbeitet, um sich selbst überflüssig zu machen, taugt etwas.« – Burroughs.
Die Menschen haben uns zu ernst und nicht ernst genug genommen – niemand interessierte sich dafür, was wir meinten – bloß jede Menge schlechter Journalismus über Beatniks, der sich als großartige Kritik in Zeitschriften gerierte, die die Masse für den Hort der Intelligenz hielt.
Außerdem ist die Dummheit in technischen Fähigkeiten und spirituellen Belangen zum Kotzen. Wie oft musste ich lesen, dass meine Literatur eine Beziehung zu Fearing und Sandburg hätte, proletarischer Literatur, den 1930ern – von Leuten, die meine Langzeile nicht in Verbindung mit meiner offensichtlichen Lektüre brachten: Cranes »Atlantis«, Lorcas »Dichter in New York«, biblischen Strukturen, Psalmen und Klagelieder, Shelleys endlosen Steigerungen, Apollinaire, Artaud, Majakowski, Pound, Williams und mit der amerikanisch-metrischen Tradition, der neuen Tradition des Versmaßes. Und Christopher Smarts »Rejoice of the Lamb«. Und Melvilles Prosagedicht »Pierre«. Und schließlich Rimbauds Geist und Illumination? Muss ich mich auf Fearing reduzieren lassen (der ja durchaus in Ordnung ist) von verlogenen Kritikern, deren einzige Begegnung mit einer Langzeile in Oscar-Wilde-Segmenten von Anthologien besteht? Von intellektuellen Bastarden und Snobs und Maulhelden und Heuchlern, die nie Artauds »Schluss mit dem Gottesgericht« gelesen haben und deshalb auch nicht den Hauch einer Ahnung haben, dass dieses Meisterwerk in dreißig Jahren so berühmt wie »Anabasis« sein wird und in der Tat den Ton für meine frühen Werke setzte? Das sind nichts als Hirngespinste, die sich gegen die falschen Juden von Columbia richten, die vergessen haben, was Schechina3 bedeutet, und so tun, als seien sie Mittelklasse. Muss ich mich von diesen Leuten angreifen und verurteilen lassen, ich, der ich vor zehn Jahren in Harlem Blakes uralte Stimme gehört habe, die mir »Sun-Flower« rezitierte, und die behaupten, ich hätte keine Ahnung von »poetischer Tradition«? Die einzige poetische Tradition ist die Stimme aus dem brennenden Busch. Der Rest ist Müll und wird verschwinden. Falls jemand etwas über Werte hören will, dann, dass ich bereit bin, für die Dichtung zu sterben und für die Wahrheit, die die Dichtung entfacht – und nichts als das in jedem Fall – wie alle Menschen, ob sie das wollen oder nicht –. Ich glaube an die amerikanisch-poetische Kirche.
Und Menschen, die für weniger sterben wollen oder nicht bereit sind, für etwas anderes als ihre zeitweiligen Häute zu sterben, sind dumm und von Illusionen benebelt und hätten besser den Mund gehalten und ihre Stifte weggeworfen, bis der Tod sie etwas Besseres belehrt hätte – und ich habe es gründlich satt einer Nation zu predigen, die keine Ohren hat, den bevorstehenden Donner des Zorns und der Freude zu hören – ebenjene »legendäre verfluchte Nation« – und die geldgeilen Stimmen der Ignoranten.
In der amerikanischen Dichtung und Prosa folgen wir weiterhin der altehrwürdigen Tradition der kompositorischen Selbsterkundung, und ich würde sagen, dass die Zeit historisch gesehen noch nicht reif ist für andere als erste ernsthafte Ansätze, diese natürlichen Strukturen, von denen wir geträumt und geredet haben, zu entdecken. Dennoch kann man schon Verallgemeinerungen zu diesen natürlichen Mustern anstellen – Zeit für die Akademien, sich mit allen technischen Details zu befassen – die grundlegenden Texte, Dichtung und Prosa, die Klassiker der originären Form sind schon geschrieben oder doch kurz davor – man kann so viel von ihnen lernen, und vielleicht sind Verallgemeinerungen möglich, die vielleicht auf »Regeln und Herangehensweisen«, für die Uneingeweihten, die Nicht-Dichter reduziert werden können (um Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was da passiert) – aber der Weg zur kompositorischen Freiheit führt durch das ewige flügellose Tor, dessen Form, so es denn eine gibt, jenseits aller Beschreibung liegt – und trotzdem gibt es ungezählte Bilder davon.
Über Kerouacs Methode kann man keiner unterschiedlichen Meinung sein – es gibt Aussagen (1953) zur Methode, den Umständen des Experiments, das er durchführte, was er darüber dachte, wie er vorging. Er hat damit tatsächlich den Kompositionsbegriff erweitert, die Ergebnisse sind offensichtlich, er hat eine Menge daraus gelernt und ebenso Amerika. Es geht um Tatsachen, die angekündigte Methode, eine abgeschlossene Leistung, über deren Existenz es keine zwei Meinungen geben kann – genau daran war er interessiert, er wollte es machen, er hat es getan – er tut nichts anderes, als sein Interesse (seine Leidenschaft) für den merkwürdigen Handwerker oder Kritiker oder Freund zu beschreiben – einverstanden. Warum wütend werden und sagen, das sei ein »Fehler«? Daran ist nicht mehr falsch, als zu lernen, wie man eine Unterkunft für Schneewittchen baut, nämlich indem man sie baut. Er hat herausgefunden (und das ist selten bei einem Schriftsteller), wie er tatsächlich schreiben will, und so schreibt er denn auch und erklärt das freundlicherweise auch noch.
Bei den meisten Kritikern geht es semantisch an diesem Punkt – sollte oder sollte nicht, ist Kunst oder nicht – bei dem Versuch durcheinander, den Leuten vorzuschlagen, etwas anders zu machen, als sie es grundsätzlich und intelligent machen wollen, wenn sie mit etwas experimentieren, das neu für sie ist (und in diesem Fall für die US-Literatur).
Ich habe auch Ärger gehabt, weil mir jeder gesagt oder unterstellt hat, dass ich nicht so schreiben sollte, wie ich es nun mal tue. Was wollen die alle, soll ich auf eine Art schreiben, die mich nicht interessiert? Denn das ist genau die Art und Weise, die mich an ihrer Dichtung und Prosa nicht interessiert und sie zu einem ewig langen, wirren Durcheinander macht? – alles pseudokünstlerische und mitgeschleppte Regeln und ohne Überraschungen oder schöpferischer Phantasie – was zwangsläufig ihren eigenen trostlosen Charakteren entspricht – denn die meisten von ihnen sind sowieso charakterlose öde Geister, die keine Ahnung haben und auf der Basis oberflächlicher moralischer Prinzipien ins Leere hinein argumentieren – und wenn es dann um die poetischen Fakten der Dichtung geht, dann sind sie viel zu abstrakt – und ich habe in den letzten zwei Jahren gelernt, dass alle Argumente, Erklärungen, Briefe und harscher Protest vergebens sind – sowieso hört niemand zu (nicht nur, was ich sage, was ich meine), alle haben ihr eigenes Süppchen zu kochen. Ich habe, so gut wie ich kann, die prosodische Struktur von »Geheul« erklärt, und noch immer lese ich in Kritiken, sogar wohlmeinenden, dass ich an Form nicht interessiert sei und auch keine habe – sie nehmen einfach keine anderen Formen wahr als die, die sie schon kennen und erwarten und die sie wollen (die meisten von ihnen sind Leute, die selbst keine Gedichte schreiben und keine Vorstellung davon haben, was dazu nötig ist und welche Schönheit sie damit missachten). – Und es ist auch so ermüdend und enttäuschend, dass Kerouac oder ich als »Beat« eingeordnet werden und unsere Kunst als inkohärent, dabei ist die alles andere als das. Letzten Endes.
Aber bisher haben wir uns geweigert, beliebige abstrakte Verallgemeinerungen von uns zu geben, um diese spezielle öffentliche Gier nach Banalitäten zu befriedigen. Vielleicht verliere ich mit diesen Zeilen da gerade etwas die Bodenhaftung. Gelegentlich schreie ich einfach vor Verzweiflung los (oder Gekicher); im Allgemeinen ist das ein Versuch, mit einem Schwachkopf zu kommunizieren. Und Kerouac sagt manchmal »Wow« vor lauter Wonne. Das alles kann man wahrlich nicht »inkohärent« nennen, außer wenn da sprachlastige Verrückte zugange sind, die auf langatmige Verteidigung ihrer eigenen schlechten Prosa angewiesen sind, weil sie davon leben.
Die weiter oben von mir beschriebenen literarischen Probleme sind ausführlich in Dr. Suzukis Essay »Aspects of Japanese Culture« (»Evergreen Review«4) beschrieben und in ihren angemessenen kulturellen Zusammenhang gestellt worden. Warum soll eine Kunst der Spontaneität in der Leere so fremd sein, fremd erscheinen, wenn sie im Kontext der Dichtung und Prosa in den Vereinigten Staaten angewandt wird? Ganz offensichtlich ein Fehlen von intuitiver Tatkraft und/oder Erfahrung mit Klassikern seitens dieser provinziellen Heuchler, die sich selbst als Hüter der Tradition installiert haben und unsere Arbeit beschimpfen. Mittlerweile ist das Publikum einer spießbürgerlichen Gehirnwäsche unterzogen worden. Wie lange es dauern wird, bis das aktuelle Gefühl für die neue Dichtung das derzeitige Schreiben und die unvoreingenommene und wohlwollende Lektüre durchdrungen hat, kann ich nicht einmal erraten und liegt zu diesem Zeitpunkt auch jenseits meiner Hoffnungen. Es holen sich mehr Menschen ihre Vorstellungen aus Besprechungen, Zeitungen und dämlichen akademischen Zeitschriften als aus der Lektüre der unmittelbaren Texte. Wenn man die Seichtheit von Meinungen bedenkt, dann ist meine größte Befürchtung, dass ein Teil unserer Dichtung oder Prosa zu vertraut erscheint und deren Konzept in irgendeiner bekloppten, soziologisch banalen Form anerkannt wird – als perfekt natürliche Konzepte und Beobachtungen, die sie ja auch sind – und auf die gleiche seichte Art behandelt werden, dieses Mal mit viel Wohlwollen, wie sie bisher mit dem entsprechend seichten Widerwillen behandelt wurden. Das wäre dann die völlige Umkehrung von Ruhm. Die Schwierigkeit war immer, den Lebensfunken an sich zu kommunizieren und nicht irgendeine Meinung darüber. Der größte Teil der negativen Kritik bestand bisher in überängstlicher unausstehlicher Meinungsmache in Bezug auf diesen Funken – und der größte Teil der späteren »Kritik« wird sich mit gleichem stumpfsinnigem Interesse diesem Funken zuwenden. Und das ist keine Kunst, nicht einmal Kritik, das ist einfach noch mehr langweiliges stumpfes Blablabla, genug, um einem Dichter den Magen umzudrehen. Eine Art Gehirnkrebs, der diejenigen Menschen befällt, deren Leidenschaften von ihren Meinungen aufgefressen werden, deren Sprache der wilden wunderschönen Gedanken nicht fähig ist, die Dichtung ausmachen.
Die Gehirnwäsche wird nicht aufhören, auch wenn die Arbeit akzeptiert wird und die Leute ebenso ausdruckslos über die Leere, Hipness, ein Drogen-High, Zärtlichkeit, Kameradschaft, spontane Kreativität, spirituelle Beat-Individualität und Sakramentalismus reden, wie sie über die »moralische Vorhersehung« geredet haben (und damit normalerweise einen guten Job und einen vollen Magen meinten, aber keinen Mumm, jedoch die Notwendigkeit herzloser Konformität, und den eigenen Bruder runtermachen wegen der Unbrauchbarkeit der Liebe im Gegensatz zur rechtlichen Vorschrift der Tradition, weil Gottes Reinheit der Vision und folgerichtig die Seelenengel nicht verfügbar sind – oder irgendetwas anderes nicht Erstrebenswertes). Dass diese schrecklichen Monster, die nichts anderes machen, als zu reden, unterrichten, Mist schreiben, der Dichtung im Weg stehen und uns vorwerfen, uns Dichtern, wir hätten keine »Werte«, wie sie es nennen, ist schließlich genug, dass ich kurz davor bin, feierlich zu schwören (ein zweites Mal), es würde nicht mehr lange dauern, bis ich selbst meine Versuche einstelle, kohärent mit der Mehrheit der Akademiker, Massenmedien und dem Verlagsgewerbe zu kommunizieren und sie in ihrer eigenen Suppe aus albernen chaotischen Ideen schmoren zu lassen. SPIESSBÜRGER, HALTET DAS MAUL und LERNT ODER GEHT NACH HAUSE. Aber ach, das werden die Spießbürger nie tun, und sie haben auch nie aufgehört, die hippe Muse zu nerven.
Dass wir eine literarische Revolution in Amerika angestoßen haben, mal wieder, ohne es zu beabsichtigen, einfach dadurch, dass wir Gedichte geschrieben haben – das war einfach unausweichlich. Wir haben ganz sicher gewusst, was wir da taten.
Geschrieben: 1961
Anmerkung des Autors: Damals standen meine Gedichte, Kerouacs Prosa und Gedichte und Burroughs’ Arbeiten unter erstaunlich heftigem Beschuss – keine offenen kritischen Angriffe vonseiten jüngerer Freunde oder älterer Schriftsteller, von denen man hätte erwarten können, dass sie interessiertes Mitgefühl zeigen (Hollander, Podhorez, Kazin, Hentoff, Rexroth, Simpson und Spender fallen mir dabei ein, neben den Zeitschriften »Time« und »Life«) – sondern auch juristische Angriffe. Diverse Verbote von Corso, Kerouac, Burroughs und mir und unseren Arbeiten in »Chicago Review« und »Big Table«, ebenso wie die Prozesse um »Geheul« und »Naked Lunch« und die Angst von New Directions, den kompletten Text von Kerouacs »Visions of Cody« herauszubringen.
Damals hatte ich den Eindruck, dass die Dichtung triumphieren würde, die Texte bleiben, meine Klagen exemplarisch – um für kommende Generationen ein Zeichen zu setzen, welche Niedergeschlagenheit und Trägheit und Feindseligkeit wir zu beackern hatten, zu informieren, betteln, mahnen, Fürsprache einzulegen, um Amerikas Herz zu erobern. Warum? Um einen Kampfbericht gegen die heimische faschistische Militarisierung der amerikanischen Seele zu hinterlassen. Es kam mir vor, dass die Kritiker der Dichtung, indem sie die neue Poesie und die Freiheit von Geist, Verlangen und Phantasie verleugneten, langfristig der Unterdrückung der politischen Freiheit die geistige Bühne bereiteten – einer politischen Freiheit, die sich nur durch unerschrockene, freie, mutige humorvolle Imaginationskraft, offene Denkweise, offene Dichtung, offene Demokratie verteidigen lässt. Die geschlossenen Formen der älteren Dichtung kamen mir wie eine Vogel-Strauß-Politik vor. Mir kam es so vor, als seien die Durchbrüche der neuen Dichtung soziale Durchbrüche, will sagen, politisch auf lange Zeit gesehen.
Ich habe geglaubt und glaube immer noch, dass das Bollwerk individueller libertär-anarchistisch-sexualisierter Gedichte und Prosawerke aus jenen Jahren bis heute – trotz all der Angriffe der Kritiker aus der Mittelklasse – geistige Bomben waren, die immer noch in den jugendlichen Köpfen neuer Generationen explodieren können, selbst wenn Zensur und autoritäre (die moralische Mehrheit) fundamentalistische militärisch-hierarchische »New Order« und neokonservative faschistoide widerliche Reaganomics-Spießbürgertypen jemals die Macht an sich reißen würden. Was sie auch fast schon haben. Daher dieser Titel – Poesie und Politik, abgeleitet von Platon und Pythagoras – Fortsetzung gnostisch-geheimer und politisch unterdrückter Freiheit des Bewusstseins und der Kunst – alte Boheme-Tradition – durch die Existenz vieler erlesener Taschenbücher, zu vieler, als dass sie verbrannt werden könnten. Es wird unmöglich sein, die Uhr wieder zurückzudrehen.
Ich saß in einer wunderbaren Bar, und gegenüber versammelten sich die griechischen Jungs, sie sind freundlich, und die Liebe zwischen Männern ist bei ihnen wie bei Platon, die ganze klassische Szene intakt, völlig ohne Schwuchtelei, eine große Erleichterung zu sehen, dass es wirklich so ist und so gut wie das Ideal, aber real. Obwohl ich mich inzwischen gehemmt fühle und außer ein paar nicht so befriedigenden Affären mit Jungs, die ich wegen Schwanz angebaggert habe, ohne verliebt zu sein, war ich nicht allzu promiskuitiv und lass mich auch nicht allzu sehr ein, aber beobachte die Szene aufmerksam und bin in Gesellschaft von Männern, die ansprechbar sind, was heißt, meine Gefühle sind nicht ausgesprochen schwul, sondern kommen irgendwie aus einer alten menschlichen Liebesgeschichte.
Das wird sowieso ein langer Quatschbrief, kann es also ebenso gut entspannt angehen und zu dem Punkt kommen, der mich beschäftigt, da magst du recht haben, unterbrich mich, was machen wir mit der Politik, Kuba, der menschlichen Geschichte, was sollte ich machen, und was machst du. Ich wusste nicht, dass ich ein solches Ungeheuer für dich bin, ich meine, was deine Achtung betrifft und dein Bewusstsein, allerdings habe ich genau das bei vielen Menschen versucht, das ist das Bild, das ich von mir selbst hatte als Dichter-Freund aufseiten der Liebe und des Wilden-Guten. Das ist das Karma, das ich wollte, ein Heiliger sein. Das habe ich jedenfalls Van Doren erzählt und mich selbst so geträumt; obwohl ich in den Himmel kommen wollte, ohne wie früher einen hässlichen Preis dafür zu zahlen. Prophetie ohne Tod als Konsequenz, kichernd ins Paradies, diesen Traum wollten Peter [Orlovsky] und ich teilen; das war das ideale sanfte Gefühl in Bezug auf Kerouac und andere meiner Helden, Neal, Bill, auch Huncke; und alle, die kapierten, was da abging. Das ist immer noch ein exklusiver Club; und mein Maßstab damals war das Gefühl von persönlichem Genie und Akzeptanz der Fremdartigkeit in Menschen, wie auch ihrer Nobilität; sich aus Konflikten und der Politik herauszuhalten, sich an dostojewskische-shakespearehafte Kenntnisse zu halten, Wissen von Dingen wie Sterblichkeit, Tränen, Vergänglichkeit, Heiligkeit – sich nicht auf die ein oder andere Seite einer Idee zu schlagen, wie gravierend sie auch sei, Bedingtheit und Grenzen aller Urteile und Kritiken zu verstehen, auf den Engel des weiten Bewusstseins in uns zu vertrauen, um jederzeit mit jedem zu sympathisieren und Mitgefühlt zu empfinden, sogar mit Hitler, denn das ist ebenso natürlich, wie es bei Whitman natürlich ist, alle gleichzeitig zu sein, und wie bei Dostojewski die Seltsamkeit aller zu verstehen, auch wenn das widersinnig zu sein oder zu Widersprüchen zu führen scheint; dem Willen, mitfühlend zu bleiben, sogar mit dem Trilling, ebenso wie mit Dieben oder Selbstmördern oder Mördern. All das in der Atmosphäre der Freiheit Amerikas und ihr angemessen, wo wir nicht direkt von Hunger oder Auslöschung bedroht sind; außer im Angesicht und berührt von persönliche Selbstmordtoden, vor denen ich zurückscheue. Insofern waren Bill und Jack dahingehend meine Monster, dass sie die weitherzigen, lustigen Geister waren, in denen ich mein Lebensgefühl wiedererkannte, durch deren Augen ich sah; Jack sagte mir immer wieder, ich sei ein »haariger Verlierer«, schalt meine Versuche, leer zu sein, moralische Grundsätze mit dem Verstand zu regeln, erkannte meine Eitelkeit, auf der Bühne heulen6 zu wollen und ein Held zu sein oder berühmt oder ein Anführer oder Intellektueller, überlegen zu sein durch Verstand-Intelligenz, zu kritisieren, sich auf Politik einzulassen, was in seinen-meinen Augen immer ein vergeblicher Versuch ist, Macht zu erlangen und andere Menschen zu beeindrucken, was letzten Endes immer darauf hinausläuft, um Entscheidungen und Abwicklungen und Unfreundlichkeiten und den Verlust von Empathie mit dem Tod zu betteln, will sagen, wenn man Partei ergreift, macht man sich andere zum Feind und versteht sie nicht mehr; und dann wird man wie sie, ein beschränktes Selbst. Nun ja, das ist auf seine Weise alles ziemlich simpatico und wahr, allerdings habe ich nun mal dieses Bedürfnis, ein Arbeiterführer zu sein, sprich, mit meinem Hintergrund als russisch-jüdischer linker Atheist habe ich mir dies sogar einmal geschworen, auf der Fähre zur Aufnahmeprüfung bei Columbia (und diesen Schwur nie gebrochen), einen ewigen Schwur, dass ich, sollte ich die Prüfung für ein Stipendium bestehen und zum Zuge kommen, ich dieses Ideal nie verraten würde – den Massen in ihrem Elend zu helfen. Zu jener Zeit war ich sehr politisch und erholte mich gerade vom Spanischen Bürgerkrieg, von dem ich im Alter von 11 bis 13 in New Jersey besessen war. Mein Idealismus, Jura zu studieren und plangemäß zu debütieren, wurde zum ersten Mal von L.C. [Lucien Carr] in einer Arbeiter-Cafeteria an der 125th Street bespöttelt und lächerlich gemacht, wo ich mich als schlotternder Columbia-Intellektueller, und beileibe keiner der »harten«, erlebte und in Gegenwart der Arbeiter in der Cafeteria tatsächlich gehemmt und flippig und ängstlich war – was mit meinem Mangel an Lebenserfahrung zu tun hatte und dass ich eine schwule Jungfrau war und überhaupt naiv –, will sagen, ich fühlte mich fremd, als Außenseiter, der einen Superioritätskomplex hatte, mit keinem der Hungerleider ein Gespräch führen konnte, ich war offenbar zu gauche, um so oder so dazuzugehören, und trotzdem hatte ich von mir die Vorstellung, ein Führer dieser imaginären Massen zu sein. Um mehr Erfahrungen zu machen, wandte ich mich dann der Seefahrt zu, arbeitete auf Schiffen und als Schweißer, wurde aus der Uni geworfen und trieb mich mit Lumpenpack und am Times Square herum, putzte Cafeterien und wusch Geschirr, bis ich mir einige äußere Kanten abgeschliffen hatte und in der Welt der Normalos zumindest nicht mehr auffiel, und mit etwa 20 auf diese komplett oder teilweise eingebildeten Errungenschaften stolz war, und obwohl ich ein eleganter Columbia-Typ war und irgendwann in der Lage, mit weniger gebildeten und armen Leuten klarzukommen und den Slang von Jazz und Times Square zu kennen und unterschiedliche soziale Erfahrungen zu machen, jedenfalls mehr als es üblich ist oder war, und mich so von den meisten Jurastudenten unterschied – ohne mitzubekommen, dass die meisten Menschen längst nicht so verrückt wie ich waren und daraus auch nicht wie ich ein Problem machten und auch keine homosexuellen Jungfrauen wie ich waren. Währenddessen entwickelte ich mit Jack ein poetisches Verständnis, wie es ausgereifter nicht sein konnte, las Rimbaud, und mit Burroughs ein Verständnis des Spengler’schen Geschichtsbegriffs und Respekt für die »irrationalen« oder unbewussten Bezirke der Seele und Verachtung für das Gesetz. Etwas, was weiter griff als der formalistische Anarchismus, will sagen, ein Gesetz kann so gut wie nur irgend möglich sein, aber das hat nichts mit den Gefühlen zu tun, wenn jemand deinem Gesetz ausgesetzt ist. Also Misstrauen reinen Kopfentscheidungen gegenüber, Verallgemeinerungen, Soziologie, ein hippes Gefühl plus den Erfahrungen mit Liebe und Drogen, die tatsächlich telepathische Fähigkeiten zur Folge hatten und an meine »mystischen« Erfahrungen heranreichten, will sagen, Gefühle, die jenseits von allem waren, was ich jemals gefühlt hatte. Währenddessen vertraute ich in Bezug auf ein Gefühl von der Richtigkeit des Lebens am meisten Menschen, will sagen, Freundschaft und Anerkennung des Lichts in den Augen der Menschen, und von da an jagte ich Freundschaften nach und idealisierte sie und ganz besonders in der Dichtung, der Manifestation dieses Lichts der Freundschaft, das in allen Menschen verborgen und nur einigen wenigen zugänglich ist.
Ich habe zwar darüber gesprochen, es aber nie komplett beschrieben oder im Kontext der Entwicklung gesehen, jedenfalls war das College dann vorbei, und ich musste sehen, wie ich selbst klarkam, und Jack und Bill machten sich auf ihre Wege hinaus in die Welt – obwohl ich mich mit ihnen durch heilige sanfte lebenslange Bindungen verbunden fühlte – und jene idealistische Liebesgeschichte mit Neal Cassidy endete, weil sie nicht umsetzbar und er verheiratet und im Grunde nicht auf das Gleiche aus war wie ich – eine lebenslange Sex-Seelen-Gemeinschaft – er war zwar willig, aber nicht bereit, in letzter Konsequenz meine schwulen Begierden mitzumachen – jedenfalls begriff ich, dass ich allein war und niemals so geliebt werden würde, wie ich geliebt werden wollte – obwohl ich mit ihm einige großartig leidenschaftliche Liebesbettszenen erlebte, die an Zärtlichkeit alles überstiegen, was mir jemals auf Erden zuteilgeworden war – so dass sich der Verlust noch viel schlimmer anfühlte, wie eine Art permanentes Todesurteil für meine Begierden, so wie ich sie seit meiner Kindheit spürte – ich wollte von jemandem geliebt werden, wollte, dass jemand mich mit der Zärtlichkeit eines Supersandwichs trägt – und lebte damals allein, aß Gemüse und kümmerte mich um Huncke, der zu fertig war, um irgendwo anders zu wohnen – ich nahm mein Blake-Buch zur Hand (wie ich schon sagte, ist das wie beim Alten Seemann, der seine unsinnige Geschichte jedem Gast aufdrängt, dessen er habhaft werden kann) und machte eine klassische halluzinierend-mystische Erfahrung, will sagen, ich hörte seine Stimme, die mir aus der Ewigkeit Weisungen und Prophezeiungen zukommen ließ, meine Seele fühlte sich vollkommen offen an, all ihre Tore und Fenster weit offen, und der Kosmos floss durch mich hindurch, ich durchlebte einen Zustand von offensichtlich völlig verändertem Bewusstsein, der so fantastisch und Science-Fiction-mäßig war, dass ich es hinterher mit der Angst zu tun bekam, allein durch ein geheimes Tor des Universums gestolpert zu sein. Und hatte zwischenzeitlich Gelöbnis Nr.2 abgelegt, fortan und was immer auch Jahrzehnte später noch passieren mochte, diesem Absolut Ewigen X treu zu sein, dem ich durch Bestimmung Auge in Auge gegenübergestanden hatte – in jener Woche sogar mehrfach. Wie immer wurde daraufhin mein soziales Verhalten hektisch, aber ich erkannte, dass ich in Gefahr stand, für verrückt erklärt zu werden – und vielleicht sogar verrückt war (welch ein Horror) – also versuchte ich, Ruhe zu bewahren und mein normales Leben irgendwie weiterzuführen. Der Knacks hatte sich allerdings während der Vision ereignet, als ich einmal den Großen Geist heraufbeschworen hatte und der Große Geist erschien, aber eine Aura von universellem Verhängnis und Tod mit sich brachte, riesig und lebendig, als wäre das Universum selbst zum Leben erwacht, und sich als feindseliges Wesen herausstellte, das mich gefangen hielt und bei vollem Bewusstsein auffressen würde.
Das also waren meine bisher tiefsten Sinnesempfindungen und das Einzige, was ich wirklich weiß. Inzwischen komme ich nicht mehr an ihnen vorbei, und in der einen oder anderen Form sind sie mein Schicksal, was auch immer ich unternehme, ich stoße immer wieder auf die Intensität in neuer Gestalt. Gleichzeitig hatte ich Angst, der Ewigkeit ins Auge zu sehen, war angelockt und ängstlich wie ein Himmelhund7 oder eine Motte von der Flamme. Später irgendwie ähnliche, aber schwächere Erfahrungen und näherungsweise bei fast gleicher Intensität mit Peyotl, Mescalin, Ayahuasca, Lysergsäure, Haschischkonzentrat und Psilocybinpilzen und Stroboskoplampen; ebenso in Phasen der Entspannung oder wenn das Leben sich änderte oder in persönlichen Krisen, die sich allesamt der gleichen endlosen Weite des Bewusstseins öffneten, in der alles, was ich wusste und plante, von der Wahrnehmung eines verborgenen Seins8 hinweggewischt ist.
Danach und aus diesem Grund handle ich bei allen Liebesgeschichten, in der Dichtung und der Politik, im politischen und literarischen Leben und bei allen Reisen oder in Jahren, in denen ich zu Hause bleibe, so spontan wie möglich, ohne Plan, ohne einschränkende Regeln und richtige oder falsche und endgültige Entscheidungen, ohne feste Vorstellungen – soweit überhaupt möglich; und so gerate ich in Spuren, die zu Gewohnheiten führen, die mein Bewusstsein ausdünnen, und bin doch immer so umsichtig, mich selbst zusammenzureißen und zu dichten und eine Nachsendeanschrift zu haben.
Nichtsdestotrotz haben sich ein paar grundsätzliche Regelungen bezüglich meiner Instinkte und Gefühle insofern herausgebildet, dass jegliche Schöpfung und Dichtung als Übermittlung einer Botschaft der Ewigkeit heilig ist und frei von allen rationalen Einschränkungen sein muss; denn Bewusstsein kennt keine Eingrenzungen. Und das führte zu neuen Formen des Schreibens und literarischen Renaissancen und neuen Energien und Gestaltungstechniken – die meisten davon kamen von Kerouac, der sich von jeher die Freiheit nahm, mit seiner spontanen Kunst zu spielen, um die Geheimnisse seiner Erinnerungen mitzuteilen. Und ich erwartete, dass, die Zunahme von Glauben und Toleranz und Empathie vorausgesetzt, ein Anflug von natürlichem elementarem Bewusstsein von Dichtkunst und meinen Aktivitäten ausgehen und dazu dienen würde, andere jenseits meiner Selbst an die ursprüngliche umfassende menschliche Natur zu erinnern und damit ihr Bewusstsein zu berühren, wie zart auch immer, der grundsätzlichen Erhebung des Menschen und meinem Schwur Nr.1 und den Massen in ihrem Leid zu dienen. Aber wenn man dieses Ziel direkt verfolgte, dann, so hatte ich immer das Gefühl, wurde eine oberflächliche Idee daraus, und man verstrickte sich in beschränkte, manchmal unangebrachte Stirnlappen-Urteile, so wie etwa Kerouac davor warnt, wenn er über das klagt, was für ihn mein Einlassen auf die Politik zu sein scheint; und so gesehen hat er da durchaus recht.
Als weitere grundsätzliche Generalisierung stellte sich ein, dass ich schließlich anfing, meinen angeborenen Gefühlen in Sachen Liebe zu vertrauen, was zu der jetzt fast zehn Jahre dauernden Verbindung mit Peter führte, den ich für einen Heiligen der herrlichen Toleranz und Freude hielt – für mich, außergewöhnlich zarter Fahrer eines Krankenwagens, jedenfalls kündigte ich Kerouac seine Anwesenheit in unserem Kreis so an; Jack sah in ihm später einen Wächter an der Himmelspforte, »aber er ist so naiv, dass er jeden einlässt«.
Und so bekam ich, durch Peter und die Poesie und alles vorher Beschriebene, eine gefestigte Identität und ein schöpferisches Leben mit in gewisser Weise grundsätzlichen Ansichten und einigen Vorstellungen, bei denen, soweit es um öffentliche »Erklärungen« geht, ich einfach nur Freiheit des Versmaßes und der Technik der Dichtung fordere, der Gestalt des Geistes zu folgen und Gesetzen (Drogen) bis hin zu einem erweiterten Bewusstsein zu folgen und der Liebe, um der angeborenen Begierde zu folgen.
Allerdings sah ich mich, auf Drogen oder in Einsamkeit, noch immer einer alles verschlingenden Bewusstlosigkeit gegenüber, mir schauderte vor Vereinsamung und Unfruchtbarkeit und keine Frau, die andere Hälfte des Universums, gefunden und Nachkommen gezeugt zu haben, selbstverständliche Unzufriedenheit mit der Unvollkommenheit der Orgasmen, die wir als Männer miteinander haben können, und ich hätte kotzen können, als mir die ganze Identität klar wurde, mit der ich mich mittlerweile umgeben hatte, Dichtung, Peter, mein Selbst, Visionen, Bewusstsein, mein ganzes Leben, alles war dem Verfall preisgegeben durch die Auflösung der Zeit (à la Buddha), von mir separiert und früher oder später würde es, wenn auch unwillentlich, mit meinem toten Körper davongeschafft werden.
Tatsächlich begegnete mir in Peru mit Medizinmännern und auf Ayahuasca etwas, was sich als ein Bild des Todes erwies und mich wieder warnte, so wie zwölf Jahre zuvor in Harlem, dass meine ganze Ich-Haftigkeit nichts als Einbildung war und leer und flüchtig wie die Mücken, die ich in der tropischen Nacht totschlug. Ich hatte mich zwar dem Prinzip der Nicht-Identität verschrieben, jetzt aber Angst, dass mir meine Identität genommen würde, hatte Angst zu sterben – klammerte mich an die verhängnisvollen (ihrer Natur nach kurzlebigen) Freuden verlässlicher Liebe, von Sex, Einkommen, Zigaretten, Poesie, Ruhm, Gesicht und Schwanz – klammernd, verängstigt, in dieser Identität, diesem Körper zu bleiben, sosehr er gerade auch kotzte – und sein Verhängnis als lebendes Monster außerhalb meiner selbst zu erkennen, das mich eines Tages BEI LEBENDIGEM LEIBE FRESSEN würde.
So mit menschlichen Einschränkungen konfrontiert, wandte ich mich von der Ewigkeit ab und wollte der Allen bleiben, der ich war und bin.
Inzwischen voller Angst, weil ich mir vorstellen konnte, dass mein grundsätzliches Verlangen nach Heiligkeit tot und einfach verrückt sein könnte, schrieb ich Burroughs einen langen Brief aus Peru und fragte ihn um Rat – Burroughs, der gerade erst einen erfolgreichen Heroinentzug durchgezogen und sich damit auf sehr reale Art seiner Identitätssucht entledigt hatte, wie den Andeutungen in »Naked Lunch« zu entnehmen ist.
Seine Antwort war: nur zu, weiter in Richtung Weltraum, jenseits des Logos, jenseits der Zeit, jenseits von Ewigkeitskonzepten und Gott und Glauben und Liebe, die ich für mich als Identität aufgebaut hatte – lass von all deinen Botschaften ab, sagte er, ich werde meine auch ablegen.
Dachte dann an die diesjährige Reise gen Osten mit Peter und Gregory, um Bill in Tanger zu besuchen, und traf dort jemanden, der mir fremd war; der mich abwies, insofern es Allen und Bill betraf und alle früheren Bindungen, die sie aufgebaut hatten. Und wenn ich schon Bill nicht kannte, dann kannte ich mich selbst sicher nicht, denn er war in Sachen Toleranz und Freundschaft und wahrer Kunst mein Fels. Und was machte er mit seiner Kunst? Er schnitt sie mit einer Rasierklinge entzwei, als wären das mitnichten heilige Texte, als würde er sämtliche bekannten menschlichen Gefühle zwischen uns zerschneiden, und zerschnitt die Zeitungen, zerschnitt Kuba und Russland und Amerika und machte Collagen; er zerschnitte sein eigenes Bewusstsein und floh, ich meine, so weit wie ihm möglich, aus allem, was ich als seine frühere Identität ausmachen konnte. Und das änderte in gewisser Weise meine Identität, denn die hatte sich durch den permanenten Gedankenaustausch mit ihm aufgebaut. Und Peter und ich durchbrachen plötzlich unsere automatisierte Liebe-Vertrauen-Sucht, in der wir es uns gemütlich gemacht hatten, und schauten einander in die Augen – und da war nichts mehr als zwei Roboter, die Worte absonderten und fickten. Also verschwand er nach Istanbul, und ich blieb in Tanger und kotzte vom Dach.
Jedenfalls waren die Cut-ups von Burroughs eine wichtige technische Sache, aber ich lehnte sie ab und wehrte mich dagegen, denn sie bedrohten alles, wovon ich abhängig war – ich konnte den Verlust von Peter verkraften, aber nicht den von Hoffnung und Liebe; vielleicht konnte ich sogar deren Verlust verkraften, was auch immer sie sein mochten, wenn nur die Poesie blieb, jedenfalls mir, damit ich weiter das sein konnte, was ich sein wollte, ein heiliger Dichter, wenn auch hoffnungslos; allerdings stand die Dichtung selbst einer Bewusstseinserweiterung im Weg. Denn diese bedeutete, jegliches feste Konzept des Selbst abzuwerfen, Identität, Rolle, Ideal, Gewohnheit und Lust. Es bedeutete, die Sprache an sich aufzugeben, Wörter als Träger des Bewusstseins. Es bedeutet sprichwörtlich das Bewusstsein jenseits einer bestehenden Gewohnheit aus Sprache-innere-Gedanken-Monolog-Abstraktion-geistig-Bild-Symbol-mathamatische Abstraktion. Es bedeutet, unbekannte und ungenutzte Regionen des realen Gehirns zu trainieren. Elektronische Geräte, Science-Fiction, Drogen, Stroboskope, Atemübungen, Trainieren, in Musik zu denken, Farben, sich ohne Gedanken auf Halluzinationen einzulassen und sie zu glauben, das neurologisch fixierte Suchtmuster Realität zu verändern. Aber das, dachte ich schon immer, macht doch die Dichtung! Doch die Dichtung, wie von mir praktiziert, beruht darauf, dass man innerhalb der Struktur der Sprache lebt, beruht auf Worten als Träger des Bewusstseins und ist deshalb das Medium eines bewussten Wesens.
Seitdem blase ich Trübsal, behalte meine Abhängigkeit von der Literatur bei, bin aber unsicher, ob noch genug Ich vorhanden ist, um als irgendeine Art von Ginsberg weiterzumachen. Ich kann nichts schreiben, nur Tagebuch und Träume aufzeichnen; ich habe keine Vorstellung, wie der nächste Schritt in Richtung Dichtung aussehen soll, wenn überhaupt – Vielleicht haben wir in der menschlichen oder nicht-menschlichen Evolution einen Punkt erreicht, an dem die Kunst der Worte kalter Kaffee ist, vergangen wie Dinosaurier, die wir hinter uns lassen müssen. Vor zwei Monaten habe ich auch aufgehört, Zeitung zu lesen. Habe ebenso die paranoide Angst abgelegt, ein degenerierter Roboter zu sein, dessen Gedanken unter der Kontrolle des verrückten Schreckgespenst Burroughs stehen. Aber schließlich schien es so (nach Träumen, in denen ich ihn umgebracht hatte), dass er dabei war oder Schritte in diese Richtung unternahm, ein erweitertes Bewusstsein tatsächlich zu praktizieren, das seit den frühen Tagen des mentalen Auseinanderbrechens mit Blake irgendwie auch für mich zu erwarten war und an das ich im Drogenrausch immer wieder erinnert wurde.
Ein Nebeneffekt des Verlusts der Abhängigkeit von Wörtern ist der endgültige Zusammenbruch meiner ehemals monotheistischen Begrifflichkeit von einer heiligen Ewigkeit, einem Gott. Weil diese ganze Begriffsbildung auf die eingefahrenen Fahrspuren von Sprache angewiesen ist. Und eine tatsächliche Erfahrung von Bewusstsein ist nicht mit dem einen zu benennen. Ich nehme an, dass all das in ausgefeilter Form bei Wittgenstein zu finden ist.
Inzwischen trage ich schon seit Monaten eine Dosis von Pilztabletten mit mir herum, war aber bisher zu ängstlich, sie zu nehmen. Warte auf einen Tag, an dem ich diesem DING wieder gegenübertreten oder sein kann. Arbeite weiter mit Sprache, so wie in diesem Brief.
Was kann man in Sachen Kuba unternehmen? Kann die Realität der Welt (so wie wir sie durch unser Bewusstsein kennen, das durch die Hirnrinde kontrolliert wird) verbessert werden? Oder werden wir auf lange Sicht mit Bevölkerungswachstum und steigender Notwendigkeit für gesellschaftliche Organisation und Kontrolle und Zentralisierung und Standardisierung und Verstaatlichung und Beseitigung der verborgenen Kontrolleure der Macht (Kapitalismus) die Menschen dazu verurteilen, in einer unveränderbaren und universellen Realität und ihrer Monopolstellung zu leben (auf materialistischer Ebene) im Einklang mit einem Cortex-kontrollierten Bewusstsein, das die Evolution unseres Seins steuert? Wird das nicht dazu führen, dass diese Evolution zu einem Stillstand führt, der Aufrechterhaltung der eigenen Realität, der Vorstellung davon, ihrer Identität, ihres Logos? Das aber ist kein Problem des Sozialismus, es ist ein Problem der Menschheit. Kann eine gute Gesellschaft geschaffen werden, wie alle bisherigen und gescheiterten Versuche, die auf dem menschlichen Bewusstsein alten Stils beruht? Kann eine riesige Welt voller Menschen sich überhaupt selbst und in Zukunft mit Kommunikationsstrukturen »demokratisch« regulieren, wie sie dem heutigen Bewusstsein geläufig sind und zur Verfügung stehen? Wie entkommt man Erstarrung und Stillstand des Bewusstseins, wenn der menschliche Verstand aus nichts als Wörtern besteht und diese Wörter und ihre Bilder, die von den miteinander verbundenen Netzwerken von Radio Fernsehen Zeitungen Presseagenturen Reden Verordnungen Gesetzen Telefonbüchern Manuskripten verbreitet werden, ständig in jedem Gehirn aufflackern? Wie soll man der zentralisierten Kontrolle der Wirklichkeit der Massen durch die wenigen, die Macht wollen und übernehmen, entkommen, wenn dieses Netzwerk jetzt so miteinander verbunden ist, und den Entscheidungen, die dieses Netzwerk betreffen? Demokratie, so wie früher sentimentalerweise konzipiert, ist inzwischen vielleicht unmöglich (wie die US zeigen), da ein riesiger Feedback-Mechanismus, Massenmedien, unweigerlich jedes Individuum justiert, besonders auf einer unbewussten Ebene. Das gleiche Problem in Russland, China, Kuba.