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Das Manual präsentiert eine umfassende, übersichtliche und flexibel anpassbare Therapieeinheit für die strukturierte Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die von den Autoren entwickelte und evaluierte Psychiatrische Kurz-Psychotherapie (PKP) eignet sich sowohl für die Richtlinienbehandlung durch Psychologische Psychotherapeuten und -therapeutinnen als auch als Einzel- und Gruppentherapie in Klinik, Praxis und in der Suchtberatungsstelle. Die Leistungen können in jedem Setting abgerechnet werden. Im integrativen Manual wird der verhaltenstherapeutische Ansatz um eine systemische und psychodynamische Perspektive ergänzt.
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Seitenzahl: 162
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Die Autoren
Prof. Dr. phil. Dr. med. Serge K.D. Sulz
Serge K. D. Sulz gründete 2000 die Fachambulanz für Alkoholabhängigkeit des Centrums für Integrative Medizin (CIPM) in München. Er übertrug das Konzept der Strategisch-Behavioralen Therapie auf die Suchtbehandlung mit besonderer Betonung der Förderung der Emotionsregulation und der Gestaltung stabiler Beziehungen. Er ist Professor an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und für Psychotherapeutische Medizin – Psychoanalyse, als Psychologischer Psychotherapeut und als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut ist sein Wirken neben der Therapie von Suchtkrankheiten vor allem auf die Therapie von Angst, Zwang, Depression und somatoformen Störungen ausgerichtet.
Dipl.-Psych. Julia Antoni
1992–1998 Studium der Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 1996–1997 Grundausbildung in Klientenzentrierter Gesprächsführung. 1998–2001 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin mit Fachrichtung Verhaltenstherapie an der JLU Gießen. Weiterbildung als Supervisorin am IFT München. 1998–2005 Therapeutin in der »salus klinik Friedberg«. 2005–2012 Einrichtungsleitung der Condrobs Übergangswohngemeinschaft Eglharting. Seit 2012 leitende Psychologin der CIP Fachambulanz (früher Suchtambulanz CIPM) und des Comedicum Landshuter Allee (früher CIPM) in München. Lehrtätigkeit und Supervision für die CIP Akademie. Lehrtätigkeit und Supervision für das IFT im Rahmen der »GVS-Weiterbildung zum/r Sozialtherapeuten/in Sucht«. Lehrtätigkeit für das vfkv-Ausbildungsinstitut.
Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Richard Hagleitner
1995–2000 Studium der Psychologie an der Universität Innsbruck/Österreich. 2000–2010 Promotion an der Universität Innsbruck zum Thema »Evolutionsbiologische Aspekte maskuliner und femininer Sexualstrategien«. Ab 2001 bis 2007 Ausbildung zum Verhaltenstherapeuten in München und ab 2007 bis 2017 an der CIP Fachambulanz (früher CIPM Suchtambulanz) Leitung von Gruppen zur ambulanten Alkoholentwöhnung. Jetzt tätig als Psychologischer Psychotherapeut für Kinder, Jugendliche und Erwachsene am Comedicum in München. Lehrtätigkeit und Supervisior für die CIP Akademie. Ausgebildet in Pesso-Boyden-System-Psychomotor (»Pesso-Therapeut«).
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-036833-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-036834-7
epub: ISBN 978-3-17-036835-4
mobi: ISBN 978-3-17-036836-1
Vorwort
Einführung in das Thema Alkohol – zuerst etwas Hintergrundwissen
1 Einführung in den PKP-Therapieansatz der Alkoholabhängigkeit
1.1 Das Konzept der Psychiatrischen Kurz-Psychotherapie (PKP) mit Therapie-/Sprechstundenkarten
2 PKP-Therapiemodul 1: Patientenaufnahme
3 Die PKP-Therapiemodule
4 Symptomtherapie – Säule 1 der Therapie
4.1 Symptomverständnis und Symptomtherapie
4.2 Das Motivationsstadium – von der Absichtslosigkeit zur entschiedenen Abstinenz
4.3 Hilfs- und Ressourcenanalyse – Wer und was kann mir wie helfen?
4.4 Analyse der Entstehung meiner Alkoholkrankheit
4.5 Verhaltensanalytisches Interview
4.6 Wie die Überlebensregel die Reaktionskette beeinflusst
4.7 Symptomtherapie – Abstinenzerhalt
4.8 Was hält die Alkoholkrankheit aufrecht?
4.9 Zielorientierung und Zielannäherung
4.10 Rückfallprophylaxe
5 Fertigkeitentraining – Aufbau von Kompetenz
5.1 Soziale Kompetenz und Handlungskompetenz
5.2 Emotionen nicht mehr vermeiden – Emotionsregulation optimieren
5.3 Kommunikative Kompetenz und Beziehungs-Kompetenz
5.4 Kognitive Kompetenz (Metakognition und Mentalisierungsfähigkeit) und Entscheidungskompetenz
5.5 Körper-Kompetenz (Entspannung, Bewegung, Ernährung, Sexualität)
5.6 Selbständigkeitstraining
5.7 Primärer Selbstmodus, sekundärer Selbstmodus und deren Integration
5.8 Spirituelle Kompetenz
6 Vom Überleben zum Leben – von der dysfunktionalen Überlebensregel zur Erlaubnis gebenden Lebensregel
6.1 Zentrale Bedürfnisse
6.2 Die zentrale Angst – Grundform der Angst
6.3 Dysfunktionale Persönlichkeitszüge
6.4 Die bisherige Überlebensregel formulieren
6.5 Entgegen der Überlebensregel handeln
6.6 Die neue Erlaubnis gebende Lebensregel
7 Entwicklung der Persönlichkeit
8 Paartherapeutische Sitzungen
9 Gruppentherapeutische Sitzungen
10 Familientherapeutische Sitzungen
Literatur
Alkoholabhängigkeit ist nach der Depression die zweithäufigste psychische Erkrankung. Dennoch hat es viele Jahre gedauert, bis sie als Indikation ambulanter Psychotherapie in den Psychotherapie-Richtlinien anerkannt wurde. So wie jede PsychotherapeutIn mindestens ein Drittel depressive Patienten hat, müsste sie demnach auch mindestens ein Viertel Patienten mit Alkoholabhängigkeit in Behandlung haben. Dann wäre das erreicht, was notwendig ist, um dieser Erkrankung gerecht zu werden und den betroffenen Menschen die ihnen zustehende Hilfe zu gewährleisten. Doch dem stehen immer noch machtvolle Kräfte entgegen: Das beginnt damit, dass die Verantwortlichen im Gesundheitsbereich immer noch überzeugt sind, dass Alkoholabhängigkeit nur in einer Fachklinik behandelt werden kann. Und kein Alkoholabhängiger will in eine Suchtklinik. Es geht damit weiter, dass alkoholkranke Menschen ihre sie beschämende Krankheit vertuschen wollen und auf keinen Fall freiwillig in Behandlung gehen. Sie tun das erst dann, wenn offenbar wird, dass sie ohne Behandlung den Rest dessen verlieren, was sie zum Leben brauchen. Deshalb benötigt es die koordinierte Motivationsarbeit von Hausarzt, Angehörigen und eventuell Arbeitgeber. Und zuletzt sind auch Widerstände bei den niedergelassenen PsychotherapeutInnen gegen die Behandlung dieser Menschen vorhanden. Sie mögen diese Menschen nicht. Und einen Menschen, den ich nicht mag, kann ich auch nicht erfolgreich psychotherapeutisch behandeln. Und wenn sie doch bereit sind, einen Patienten in Therapie zu nehmen, dann fehlt ihnen sowohl die störungsspezifische Therapiekompetenz als auch die Erfahrung mit diesen Patienten. Es ist nicht selten, dass ein alkoholkranker Mensch nur wegen Depression behandelt wird und seine Suchterkrankung nicht zum Thema der Therapie wird.
Es gibt zwar sehr gute Fachbücher für Suchttherapeuten. Und es gibt sehr gute Ratgeber für alkoholabhängige Patienten und deren Angehörige. Es fehlt aber eine Brücke zu den »Allgemein-TherapeutInnen«, also zu denjenigen, die alle psychischen Krankheiten behandeln und nicht spezialisiert sind. Das vorliegende Buch will diese Brücke bauen. Es soll aber eine doppelte Brücke sein. Es geht auch darum, den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mehr in diese Behandlung einzubinden. Schon die Psychiatrische Kurz-Psychotherapie PKP, die die Autoren dieses Buches vor fast 15 Jahren zu entwickeln begannen, sollte Psychiater in dem Sinne einbeziehen, dass sie sofort in ihrer Sprechstunde erste systematische Therapieschritte einleiten. Dazu dienten die PKP-Sprechstundenkarten (Sulz et al. 2012a, b). Das Wort kurz ist hier weniger im Sinne von einer kleinen Zahl von Therapiesitzungen gemeint, vielmehr geht es darum, dass in einem 20 Minuten Setting in der Sprechstunde oder in der Krankenhaus-Visite die notwendige therapeutische Intervention durchgeführt werden kann. Diese Behandlung kann deshalb auch außerhalb der sogenannten Richtlinien-Psychotherapie erfolgen.
Dieses Buch soll PsychotherapeutInnen und Psychiatern die Möglichkeit geben, qualifizierte Behandlungen der Alkoholabhängigkeit durchzuführen. Dies kann als Einzeltherapie und/oder als Gruppentherapie in der Richtlinienbehandlung oder in der Sprechstunde bzw. Visite durchgeführt werden. Eine Kleingruppe mit vier Teilnehmern kann sehr effektiv sein und die Mühe der Einzeltherapie erheblich verringern.
Das Buch enthält die State-of-the-Art-Konzepte der Alkoholismusbehandlung. Diese elementaren Interventionen werden in eine individuelle Fallkonzeption eingebunden. Zentral ist der Aufbau von Therapiemotivation, unter anderem durch die Technik der »motivierenden Gesprächsführung«. Es folgt der Balanceakt zwischen dem Eingestehen der Hilfsbedürftigkeit und der Wahrung des Selbstwertgefühls. Dieser erste Teil der Behandlung mündet in einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, die die Basis für die bevorstehende umfangreiche Arbeit ist. Affektregulierung und Steuerungsfähigkeit werden nun stufenweise entwickelt, sodass sowohl eigene Bedürfnisse befriedigt werden können, als auch ein guter Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen möglich wird. Diese Entwicklungsschritte brauchen Zeit, weshalb eine Kurzzeittherapie nur der Anfang sein kann.
Inzwischen ist auch das Interesse von Fachkliniken für Alkoholabhängigkeit gewachsen. Wir werden immer wieder zu Vorträgen und Workshops eingeladen. Und es wird berichtet, dass unser Konzept von Patienten und TherapeutInnen sehr gern angenommen wird.
Wir bedanken uns bei der Lektorin des Kohlhammer-Verlags Frau Brutler für die sehr gute Betreuung und Begleitung. Und wir bedanken uns bei unseren Patienten, die uns das gelehrt haben, was wir hier weitergeben wollen.
Serge Sulz, Julia Antoni und Richard Hagleitner
im Januar 2020
Wir greifen auf die Informationen des Alkohol Atlas Deutschland 2017 zurück. Er wurde vom Deutschen Krebsforschungszentrum herausgegeben (Schaller et al. 2017).
Wir beginnen mit der Alkoholwerbung. Anders als in anderen Bereichen wird nicht mit der Qualität und den guten Eigenschaften der Produkte, also der Getränke geworben. Vielmehr handelt es sich um Image-Werbung. Es werden Fotos und Videos gezeigt, auf/in denen Menschen sich sehr wohl fühlen und der Betrachter sich identifizierend auf gleiche Weise wohl fühlen kann.
Es werden so viele Werbekanäle wie möglich benutzt: Sportveranstaltungen, Film und Fernsehen, soziale Medien. Über 500 Mio. Euro werden jährlich dafür ausgegeben.
Betrachten wir zuerst, was bei der Aufnahme von Alkohol im Körper des Menschen geschieht. Er wird zu 80 % vom Darm und zu 20 % vom Magen aufgenommen. Wo am meisten Blut hinfließt, entfaltet sich am schnellsten die Wirkung des Alkohols: im Gehirn. Die maximale Wirkung erreicht er nach einer Stunde. Wer gut gegessen hat, spürt den Alkohol nicht so schnell. Kohlensäurehaltige Alkohol-Getränke gelangen schneller in den Blutkreislauf (Sekt). Aspirin beschleunigt ebenfalls die Alkoholaufnahme. Da der Wasseranteil im Körper von Frauen geringer ist, kommt es bei Ihnen zu höheren Alkoholkonzentrationen. Dies trifft auch auf ältere Menschen und übergewichtige Menschen zu.
5 % des Alkohols werden unverändert ausgeatmet (Alkoholfahne) oder über Nieren und Haut ausgeschieden. 5 % werden schon im Magen abgebaut, die restlichen 90 % in der Leber. Zuerst entsteht das giftige Acetaldehyd, das krebserregend sein kann. Daraus entsteht Essigsäure und Acetyl-Coenzym A als Abbauprodukte.
Viele wollen wissen, wie schnell Alkohol abgebaut wird. Das sind 0,15 Promille pro Stunde. Die Rechnungen sind nicht ganz einfach, weil im Handel der Alkoholgehalt eines Getränks in Volumen Prozent angegeben wird, während in der Medizin in Gramm und Kilogramm gemessen wird. Ein Promille ist 1 g Alkohol pro Kilogramm Blut. Bei Männern ist der Blut-Alkoholgehalt die in Gramm aufgenommene Alkoholmenge geteilt durch das 0,7-fache des Körpergewichts. Im Internet gibt Angebote zur schnellen Berechnung. Eine kleine Flasche Bier (330 ml) enthält 12,3 g Alkohol. Ein Glas Wein (100 ml) enthält 8,8 g und ein Gläschen Weinbrand (20 ml) enthält 6 g. Ein Alcopop (275 ml) enthält 12,8 g. Die angegebene Menge Bier ergibt 0,2 Promille, der Wein 0,14 Promille und der Schnaps 0,1 Promille.
Wie wirkt Alkohol im Gehirn? Das Wohlgefühl entsteht über die Bindung an Rezeptoren wie GABA-, Glutamat-, Serotonin- und Acetylcholinrezeptoren. Der Dopaminspiegel wird erhöht, wodurch vermehrt Endorphine verfügbar sind. So tritt gleichzeitig Entspannung, Stressabbau und Stimulierung ein.
Ein leichter Rauschzustand besteht ab 0,5 Promille (Sehen und Hören sind dabei schon schlechter, Risikobereitschaft und Reizbarkeit können erhöht sein).
Ein mittlerer Rauschzustand besteht ab 1,0 Promille (lustig oder niedergeschlagen; Sprache, Gleichgewicht, Reaktionsfähigkeit und Orientierung sind schlechter).
Wir unterscheiden vier Vergiftungsstadien:
Insgesamt nennt der Alkoholatlas Minderung bis Verlust von Kritikfähigkeit, Selbstkontrolle, Gedächtnis, Reaktionsfähigkeit, Sehfähigkeit, Motorik, Gleichgewichtssinn, Orientierungssinn, Sprechfähigkeit, Enthemmung, Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Euphorie, Betäubung, Erregung, Angst, unangemessenes Sexualverhalten (ungewollte Schwangerschaften), Unfälle, Verge-waltigungen, Straftaten, Gewalttaten.
Es gibt Krankheiten, die direkt durch Alkohol verursacht werden:
• Alkoholkrankheit
• Pellagra
• Pseudo-Cushing
• Polyneuropathie
• Myopathie
• Kardiomyopathie
• Gastritis
• Lebererkrankung (Fettleber, Leberzirrhose)
• Pankreatitis
• Embryopathie
• Abhängigkeit
• Entzugssyndrom.
Bei über 200 weiteren Erkrankungen erhöht Alkohol das Erkrankungsrisiko erheblich.
13.000 Krebs-Neuerkrankungen waren im Jahr 2010 auf Alkoholkonsum zurückzuführen (deutscher Alkoholatlas 2017). Vor allem besteht ein erhöhtes Risiko, an Krebs der Speiseröhre, der Leber und des Darms zu erkranken. Dies kann durch fehlerhafte DNA-Methylierung geschehen. Auf die krebserregende Wirkung des Alkoholabbauprodukts Acetaldehyd wurde bereits hingewiesen. Indirekt über eine Beeinflussung der Hormonwirkung erhöht sich die Gefahr, an Brustkrebs zu erkranken (1,4-faches Risiko).
Hoher Alkoholkonsum der Schwangeren führt zum Fetalen Alkoholsyndrom mit lebenslangen körperlichen und psychischen Störungen für das Kind.
Bei Jugendlichen kommt es zu einer Abnahme des Gehirnvolumens und einer Verminderung der grauen Substanz (Anteriorer Cingulärer Cortex, Präfrontaler Cortex, Hippocampus, Nucleus accumbens, Kleinhirn). »Wer vor dem 15. Lebensjahr mit dem Trinken von Alkohol beginnt, hat eine viermal so hohe Wahrscheinlichkeit, abhängig zu werden als diejenigen, die erst ab 20 Jahren mit dem Trinken beginnen« (Alkoholatlas 2017, darin: Kapitel 2.6).
Somatische, psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol sind nach der Herzinsuffizienz die zweithäufigste Diagnose in der Bevölkerung. 2,3 % aller Todesfälle wurden im Jahr 2012 auf Alkoholkonsum zurückgeführt.
ICD 10 definiert Alkoholabhängigkeit so:
1. Ein starkes Verlangen oder ein Zwang, Alkohol zu konsumieren
2. Schwierigkeit, Beginn, Beendigung und Menge des Konsums zu kontrollieren
3. Es sind zunehmend größere Mengen Alkohol erforderlich, um eine Wirkung zu erreichen
4. Entzugserscheinungen, wenn weniger oder kein Alkohol mehr getrunken wird
5. Trotz Folgeschäden wird der Alkoholkonsum fortgesetzt
6. Andere Interessen werden immer mehr zugunsten des Alkohols vernachlässigt.
Das abhängige Verhalten wird erlernt
a) durch die direkten positiven wohltuenden Wirkungen (positive Verstärkung)
b) durch das Beenden von negativen Gefühlszuständen (negative Verstärkung).
Genetische, körperliche und soziale Faktoren begünstigen die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit. Wenn ein Elternteil alkoholabhängig ist, ist das Risiko eines Kindes um das 4–5-fache erhöht.
Mäßiger und regelmäßiger Alkoholkonsum an sich macht aber nicht süchtig.
Junge Menschen und Männer allgemein werden häufiger alkoholabhängig. Die Statistik von 2012 ergab, dass es in Deutschland 1,7 Millionen Alkoholabhängige gibt. Zwei Drittel sind Männer.
Rauschtrinken (binge drinking), d. h. fünf oder mehr Gläser Alkohol pro Tag, wird für den Zeitraum der letzten 30 Tage von 37 % der erwachsenen Männer angegeben. Bei Frauen sind es 16 %. Einmal im Monat haben 20 % Frauen und 28 % der Männer einen Rausch, einmal pro Woche sind es 6 % der Frauen und 14 % der Männer. Alkohol im Straßenverkehr bleibt bis 0,5 Promille straffrei, wenn keine Fahrunsicherheit festgestellt wird. Wer mit 0,3 Promille Fahrunsicherheit aufweist, wird bestraft. Dies gilt auch für Radfahrer. Bei 20 % der Bevölkerung liegt ein problematischer Alkoholkonsum vor. Wegen der noch anhaltenden Gehirnentwicklung sollten Jugendliche überhaupt keinen Alkohol trinken.
Unser Gesundheitssystem wird jährlich mit 40 Mrd. Euro Kosten wegen schädlichen Alkoholkonsums belastet. Hinzu kommen dreimal so hohe Kosten für die Wirtschaft wegen alkoholbedingten Produktionsausfalls (120 Mrd.). Dagegen nimmt der Staat jährlich nur drei Mrd. Euro durch Alkoholsteuern ein.
Alkoholprävention kann durch Verhältnis-Prävention geschehen (Änderung der Alkoholkonsum begünstigenden gesellschaftlichen Verhältnisse wie die Einschränkung von Alkoholwerbung, Abgabeverbote und Steuererhöhungen) oder Verhaltensprävention (Veränderung des Trinkverhaltens durch Aufklärung und Beratung) erfolgen.
Der Therapie der Alkoholabhängigkeit widmet sich dieses Buch. Allgemein herrscht auch bei Ärzten und anderen Gesundheitsberufen die Überzeugung vor, dass Alkoholabhängigkeit immer stationär behandelt werden muss. Das ist nicht der Fall. Sowohl in Fachambulanzen für Alkoholkranke als auch in psychotherapeutischen Praxen kann die Alkoholabhängigkeit behandelt werden.
Alle Beteiligten (Patienten, Hausärzte, Internisten, Chirurgen, Psychiater, Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychologische Psychotherapeuten und Medizinischer Dienst der Krankenkassen) scheuen sich davor, die Notwendigkeit einer Alkoholismus-Therapie festzustellen. Oder sie ignorieren sie völlig. Das kostet unsere Gesellschaft jährlich große Summen und es kostet jährlich sehr viele Menschenleben. Dies entspricht der Grundhaltung: »Ein Trinker ist ein charakterloser Mensch und selbst schuld an seinem Schicksal. Da ist eine Krankenbehandlung nicht angezeigt.« Selbst wenn eingestanden wird, dass es sich um eine behandlungsbedürftige Krankheit handelt, wird abgewunken: »Er will sich ja nicht helfen lassen. Er gibt nicht einmal zu, süchtig zu sein. Außerdem werden ja alle rückfällig.«
Dabei kann mit niederschwelligen Angeboten wie der PKP (Psychiatrische Kurz-Psychotherapie) ein Anfang gemacht werden, der mit viel Geduld immer wieder eingefädelt wird. Sie ist wie eine Angelschnur, die immer wieder ausgeworfen wird, bis der Fisch anbeißt. Allerdings mit dem gegenteiligen Ergebnis. Denn ein frühzeitiger Behandlungsbeginn kann ein Leben retten.
Unstrukturierte Arztgespräche können in systematische 20-minütige Therapie-Interventionen umgewandelt werden. Sprechstunden- bzw. Therapiekarten helfen als Fortsetzungsserie dabei, dass von Gespräch zu Gespräch thematisch der roter Faden der Therapiestrategie beibehalten wird.
Das PKP-Konzept baut auf dem 3-Säulen-Modell der Strategischen Kurzzeittherapie (Sulz 1994, 2012c, 2017a) auf:
1. Symptomtherapie
2. Fertigkeitentraining
3. Schemaanalyse: Überlebensregel
Den flexiblen Einsatz der drei Säulen zeigt Abbildung 1.1 ( Abb. 1.1).
Abb. 1.1: Das Drei-Säulen-Therapieprinzip der PKP (Sulz 2017c, S. 124)
Dieser verhaltenstherapeutische Ansatz ist im Wesentlichen integrativ, weil er immer wieder eine systemische und eine psychodynamische Perspektive einnimmt. PKP kann im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung eingesetzt werden oder als psychiatrisches Gespräch in der Psychiatrie-Praxis, aber auch als Arztgespräch auf der Station der Klinik. Darüber eignet sie sich einerseits für die Richtlinienbehandlung durch Psychologische Psychotherapeuten und andererseits als Gruppentherapie in Klinik, Praxis und in der Suchtberatungsstelle. Damit können die Leistungen in jedem Setting abgerechnet werden.
Für die Anwendung von PKP können
a) ein Manual in Form eines A4-Ringbuchs (Sulz et al. 2012a)
oder
b) Sprechstunden-/Therapiekarten (Sulz et al. 2012b)
zu Hilfe genommen werden.
Einige Therapieeinheiten können durch Co-Therapeuten durchgeführt werden. Obwohl ein zuverlässig verfügbarer Bezugstherapeut unverzichtbar ist, können die Therapiesequenzen an andere Therapeuten weitergegeben werden – wie bei der Stabübergabe in der Leichtathletik.
Der nächste Therapeut kann genau da fortsetzen, wo der letzte aufgehört hat bzw. wo die PKP-Gruppe aufgehört hat.
Die Reihenfolge muss nicht zwingend eingehalten werden, sondern kann ganz individuell auf den einzelnen Patienten eingestellt sein. Im Lauf der Behandlung entsteht ein Selbsthilfebuch für den Patienten, das dieser auch weiterhin für sich verwenden kann. Auch die Dokumentation der Therapie auf Therapeutenseite ist auf diese Weise gegeben.
Dieses Konzept wurde in der Suchtambulanz des Centrums für Psychosomatische Medizin CIPM (heute co-medicum) in München erarbeitet, erprobt und wird seit vielen Jahren und weiterhin dort angewandt – heute überwiegend als Gruppentherapie.
Theoretischer Hintergrund ist die affektiv-kognitive Entwicklungstheorie, die sowohl als Störungstheorie als auch als Therapietheorie dient.
Sie geht davon aus, dass im Vorschulalter elterlicherseits die kindlichen Grundbedürfnisse (Willkommensein, Geborgenheit, Sicherheit, Liebe, Beachtung, Verständnis, Wertschätzung, Selbstwirksamkeit, Selbstbestimmung, Grenzen, Fördern, Herausfordern, Vorbild, kindliche Erotik und ein Gegenüber) nicht befriedigt wurden und dass sie – die Eltern – das Kind zudem Bedrohungen aussetzten, die zu zentralen Ängsten führten (Vernichtungsangst, Trennungsangst, Kontrollverlustangst, Liebesverlustangst, Gegenaggressionsangst, Hingabeangst). Seine Frustration durfte das Kind nicht durch Wut kundtun. So war es in einer ausweglosen Situation, zumal es seine Affekte noch lange nicht steuern konnte. Es bildete eine im Erwachsenenalter dysfunktional werdende Überlebensregel, als implizites nicht-bewusstes motivationales Schema, das so heißen könnte:
• Nur wenn ich immer der Beste und perfekt bin,
• und wenn ich niemals Wut zeige und mich wehre,
• bewahre ich mir Willkommensein und Liebe,
• und verhindere Alleinsein und Vernichtung.
Dem Patienten wird geholfen, das Gebot und Verbot in eine Erlaubnis zu verwandeln. Denn diese Überlebensregel hat zur Symptombildung geführt. Sie hat wehrhaftes Verhalten gestoppt, zum Nachgeben gezwungen und eine Reaktionskette hervorgerufen, die den Griff zum Alkohol notwendig gemacht hat (Beispiel):
• Situation: Ehefrau und Schwiegereltern werten ihn massiv ab.
• Primäre Emotion: Wut
• Primärer Handlungsimpuls: Wut zeigen, wirksam wehren
• Überlebensregel verbietet das, indem sie die Folgen vor Augen führt: Liebes- und Beziehungsverlust
• Sekundäres Gefühl: Ohnmacht, Wertlosigkeit
• Vermeidungsverhalten: schluckt die Wut herunter und gibt nach
• Symptombildung: Griff zum Alkohol.
Bezüglich des thematischen Ablaufs der Therapie können wir bei PKP sechs Therapiestrategien