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Über zweieinhalb Jahrzehnte nach seinem Welt-Bestseller HITLERS HELFER porträtiert Guido Knopp in seinem neuen Buch nun die Mächtigen eines Reiches, das den Frieden in Europa mehr denn je bedroht: PUTINS HELFER. Sie halten ihren Herrscher an der Macht und profitieren allesamt von ihm. Es sind Oligarchen wie Roman Abramowitsch, die von der Nähe zum Diktator profitieren; routinierte Apparatschiks wie Sergej Lawrow, die als Sprachrohr ihres Herrn zu dienen haben - oder Kyrill der Erste, der als Patriarch von Moskau seine Kirche zum Erfüllungsgehilfen einer Diktatur macht. Sie alle sind die Träger einer Tyrannei, die sich längst nicht nur nach innen richtet, sondern mittlerweile auch nach außen.
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Seitenzahl: 356
Cover
Inhalt
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Einleitung
Der Schattenkrieger – Jewgeni Prigoschin
Der Apparatschik – Sergej Schoigu
Der Finanzier – Roman Abramowitsch
Der Gefolgsmann – Dmitri Medwedew
Das Sprachrohr – Sergej Lawrow
Der Patriarch – Kyrill I.
Der Brandstifter – Wladimir Solowjow
Bibliographie (Auswahl)
Personenregister
Über das Buch
Über zweieinhalb Jahrzehnte nach seinem Welt-Bestseller HITLERS HELFER porträtiert Guido Knopp in seinem neuen Buch nun die Mächtigen eines Reiches, das den Frieden in Europa mehr denn je bedroht: PUTINS HELFER. Sie halten ihren Herrscher an der Macht und profitieren allesamt von ihm. Es sind Oligarchen wie Roman Abramowitsch, die von der Nähe zum Diktator profitieren; routinierte Apparatschiks wie Sergej Lawrow, die als Sprachrohr ihres Herrn zu dienen haben – oder Kyrill der Erste, der als Patriarch von Moskau seine Kirche zum Erfüllungsgehilfen einer Diktatur macht. Sie alle sind die Träger einer Tyrannei, die sich längst nicht nur nach innen richtet, sondern mittlerweile auch nach außen.
Über den Autor
Prof. Dr. Guido Knopp war jahrzehntelang der Chefhistoriker des ZDF. Er gilt als der wohl populärste Historiker Deutschlands. Sein Name ist untrennbar verbunden mit erfolgreichen TV-Formaten wie DIE DEUTSCHEN, HISTORY und HITLERS HELFER, die allesamt auch internationale Buch-Bestseller wurden. Er ist zudem erfolgreicher Publizist und Fernsehmoderator. Vor allem durch seine Einschätzungen zu zeitgeschichtlichen Themen, wird er gerne als kompetenter Experte befragt.
GUIDO KNOPP
in Zusammenarbeit mit Mario Sporn
P U T I N SH E L F E R
Die Hintermänner der russischen Diktatur
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Originalausgabe Copyright © 2023/2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln Textredaktion: Burkard Miltenberger, Berlin Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven von © Alamy Stock Photo: Wirestock, Inc. Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-7517-4851-3
Sie finden uns im Internet unter luebbe.de Bitte beachten Sie auch: lesejury.de
Dieses Buch widme ich Christopher Knopp. Er weiß, warum.
Über den Diktator dieser Jahre ist schon viel geschrieben worden. Putin ist das Synonym für einen Mann, in dem sich allzu viele allzu lange getäuscht haben. Ein Tyrann, der seine wahre Botschaft erst am Ende offenbart hat: Krieg, Gewalt und Terror. Aber wer sind seine Paladine, Träger und Garanten seiner Herrschaft, Mächtige in einem Reich, das nach 1945 den Frieden in Europa mehr denn je bedroht?
Putins Helfer halten ihren Herrscher an der Macht – und profitieren allesamt von ihm.
Als schwerreiche Millionäre und zum Teil auch Milliardäre sind sie Träger einer Kleptokratie, die die russische Gesellschaft zerfrisst. Es sind nicht jene »Silowiki« aus Geheimdienst und Armee, die das Verständnis eint, dass Angst und Repression die einzig wirksamen Rezepte zur Kontrolle ihrer Herrschaft sind. Es sind vor allem Oligarchen wie Roman Abramowitsch, die trotz allem von der Nähe zum Diktator profitieren; routinierte Jasager wie Sergej Lawrow, die als willfähriges Sprachrohr ihres Herrn zu dienen haben; Kyrill I., der als Patriarch von Moskau seine Kirche zum Erfüllungsgehilfen einer Diktatur macht. Sie alle sind die Träger einer Tyrannei, die sich längst nicht nur nach innen richtet, sondern auch nach außen.
Er hat ganz sicher die erstaunlichste Karriere aller Hintermänner Putins aufzuweisen: JEWGENIPRIGOSCHIN – von den Strafanstalten Leningrads, in denen er neun Jahre absaß, bis zum milliardenschweren Kriegsherrn. In der Zwischenzeit war er am Anfang in der Petersburger Glücksspielszene tätig, eröffnete ein Edelrestaurant, in dem Wladimir Putin verkehrte. »Putins Koch«, so sein Spitzname, erhielt die Lizenzen zur Essensversorgung von Kasernen, Schulen, Kindergärten und Krankenhäusern – landesweit. Ein getreuer Diener seines Herrn – auch, als er eine schon bestehende Gruppierung neu organisierte und bezahlte: die Petersburger Troll-Armee.
Sie wurde aktenkundig, als sie sich im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 für Donald Trump einsetzte. Noch wichtiger war die Gründung der »Gruppe Wagner«, deren Söldner nicht nur in Afrika, sondern nun vor allem in der Ukraine eine mörderische Schneise der Verwüstung schlagen. Am Ende stand die Selbstauflösung und, gemeinsam mit dem Chef, das zumindest zeitweise Exil in Belarus.
»Wer nicht mit Lawrow reden will, muss mit Schoigu reden.« Dieser populäre Spruch zeigte lange die Bedeutung der Armee, seit SERGEJSCHOIGU die Befehlsgewalt übernommen hat. Dabei hat Putins Apparatschik selber keinen Wehrdienst absolviert. Zu Jelzins Zeiten hatte er sich hochgedient – zum Minister für Katastrophenschutz. Aus der rückständigen Truppe machte er als Verteidigungsminister, so schien es, eine hochgerüstete schlagkräftige Streitmacht. Doch beim Überfall auf die Ukraine versagte die russische Armee, die immer wieder Teile der eroberten Gebiete aufgeben musste. So halten sich in Moskau hartnäckig Gerüchte, nach denen bedeutende Mittel, die für die Ausrüstung der Truppe bestimmt waren, von Schoigus Vertrauten in diverse Immobilien gesteckt wurden – ein Vorgehen, das in der russischen Kleptokratie zum System gehört. Dennoch galt der wortkarge Mann aus Tuwa lange Zeit als Putins Buddy. Regelmäßig streiften die beiden durch die Taiga, russische Staatsmedien stets an ihrer Seite: Putin und Schoigu beim Kräutersammeln für den Tee, Putin und Schoigu in gleichen Lederfelljacken im Geländewagen, Putin und Schoigu am Lagerfeuer. Eine wahre Bromance. Mittlerweile hat sich das Verhältnis abgekühlt. Misserfolg verzeiht der Herrscher nicht. Dennoch braucht er seinen Schoigu.
Er ist der Inbegriff des Oligarchen. In den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit trickreichen Beteiligungen an russischen Rohstoff-Unternehmen Milliardär geworden, war ROMANABRAMOWITSCH um die Jahrtausendwende Wegbereiter und Finanzier des Wechsels von Jelzin zu Putin. So ging es weiter: Wenn Putin Geld brauchte, wandte er sich zuerst an Abramowitsch. Nicht unbedingt zur Freude dieses Oligarchen machte Putin ihn 2000 zum Gouverneur des Autonomen Kreises der Tschuktschen im hintersten Sibirien, nur durch die Beringstraße von Alaska getrennt – ein Amt, aus dem er erst nach wiederholtem Drängen 2008 entlassen wurde. Roman Abramowitsch betätigte sich vor allem in London. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er als Käufer und Finanzier des Fußballvereins FC Chelsea bekannt. Weltweit besaß er über 70 Immobilien, zwei Jachten und mehrere Flugzeuge – was nach dem Einmarsch in die Ukraine meist beschlagnahmt wurde. Heute hat Abramowitsch neben der russischen auch die portugiesische und israelische Staatsbürgerschaft. Doch er hält sich mittlerweile wieder meist in Moskau auf – in Putins Dunstkreis.
Er ist der Gefolgsmann der ersten Stunde: Seit DMITRIMEDWEDEW in St. Petersburg noch in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts mit Putin zusammentraf, hat er seine Karriere und sein ganzes Leben an das verehrte Idol gebunden – als Leiter von dessen Verwaltung, als sein Wahlkampfmanager, später als Ministerpräsident und sogar, vier Jahre lang, als Putins Platzhalter, als Präsident der Russischen Föderation. Auf diesem Wege ist er reich geworden – steinreich. Alle Hoffnungen des Westens, dass er eine liberalere Variante russischer Herrschaft verkörpern könne, sind zerstoben. Mittlerweile zeigen seine irrationalen und unflätigen Äußerungen über »den Westen« und vor allem über die kämpfende Ukraine das wahre Gesicht des Dmitri Medwedew – als Putins williger Pudel.
Wenn es einen internationalen Preis für institutionelles Lügen gäbe – SERGEJLAWROW wäre Favorit. Die Chuzpe, mit der Putins Außenminister die absurdesten Äußerungen vertritt, ist beispiellos. Etwa im Februar 2022: »Russland wird die Ukraine niemals angreifen!« Oder: »Hitler hatte auch jüdisches Blut.« Ohne eigene Ambitionen, im Dunstkreis seines Herrn noch mächtiger zu werden, gibt Lawrow amtsgetreu jahrein, jahraus das Sprachrohr Putins. Hauptbotschaft seit dem Überfallkrieg: Der Einmarsch in die Ukraine sei ja nur eine »militärische Spezialoperation«. Keiner verkörpert die großrussische Ambition des Kreml so lautstark wie er. Dabei ist der Sohn eines Armeniers und einer Russin international so erfahren wie keiner seiner Amtskollegen. Seit fünf Jahrzehnten im diplomatischen Dienst, hat er alle möglichen Stationen durchlaufen – inklusive der einflussreichen Tätigkeit als Botschafter bei den Vereinten Nationen. Er ist kaltblütig, zynisch, Putin bedingungslos ergeben – und findet mitunter Vergnügen darin, seine Gesprächspartner öffentlich zu demütigen. Insgeheim jedoch, so heißt es, wagt er, über seinen Herrn milde zu spotten: Putin habe nur drei enge Vertraute: Iwan den Schrecklichen, Peter den Großen und Katharina die Große.
KYRILL I. ist der Patriarch von Moskau und damit Oberhaupt der gesamten russisch-orthodoxen Kirche. Als er noch Wladimir Gundjajew hieß, war er aktiver Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes KGB: ein waschechter Agent. Das verbindet ihn mit Putin. Seit seiner Wahl zum Patriarchen vertritt Kyrill strikt konservative Werte, er geißelt den Feminismus als »gefährliches Phänomen« und sieht in der Legalisierung der Homo-Ehe ein Zeichen für den bevorstehenden Weltuntergang. Als enger Verbündeter Putins bezeichnete er dessen Präsidentschaft als »Wunder Gottes«. Dabei profitiert Kyrill von der Verbindung zu Putin ganz persönlich. Sein Privatvermögen wird auf bis zu acht Milliarden Euro geschätzt – inklusive einer Reihe von Palästen, Datschen und einer Maybach-Luxuslimousine. In Putins Überfall auf die Ukraine sieht er einen Kampf des Guten gegen das Böse. Und so befand die Neue Zürcher Zeitung: Auf Kyrill kann Putin sich verlassen.
WLADIMIRSOLOWJOW ist sicherlich der schlimmste Scharfmacher in der Riege der Kremlpropagandisten. Obwohl er in den 1990er-Jahren in den USA als Dozent gelehrt hatte, hetzt er in seinen TV-Sendungen auf zum Teil unflätige Weise gegen den Westen. Der Vater von acht Kindern, den seine Propagandadienste reich gemacht haben, nannte Hitler einen »sehr mutigen Menschen« und verherrlichte den italienischen Faschismus Mussolinis. Der Einpeitscher des Kreml suggeriert, Russland sei ein »auserwähltes Volk«, das bei einem Atomkrieg »in den Himmel« käme, während der Rest der Welt einfach krepieren würde. Er beschimpft Bundeskanzler Olaf Scholz als »Schweinehund« und »Drecksau« und droht Deutschland mit Raketen, die »bis nach Berlin« reichten. Gleichwohl er der Besitzer von Villen am Comer See ist, die freilich längst konfisziert sind, agitiert Solowjow gegen die »verkommene EU«. Für Putin, der ihn mehrfach ausgezeichnet hat, ist er der unverzichtbare Aufhetzer einer russischen Bevölkerung, die keine echten Nachrichten erhält – oder nicht erhalten will.
Prigoschin, Schoigu, Abramowitsch, Medwedew, Lawrow, Kyrill, Solowjow – sieben typische Karrieren der Elite eines Reiches, das sich selbst als Gegner, ja als Feind des Westens sieht. Sie sind die Hintermänner von Putins Diktatur – ob einer dieser sieben oder ein ganz anderer dem Herrscher eines Tages nachfolgt, wird uns die Geschichte lehren.
Da steht er, haarlos, angetan mit einem erdbraunen Kampfanzug, auf dem Appellhofplatz inmitten eines russischen Straflagers in der Oblast Mari El. Um sich Gefangene: Mörder, Diebe, Vergewaltiger. Es ist Jewgeni Prigoschin, Chef der ominösen »Gruppe Wagner«. Er braucht Rekruten, Nachschub für die Front in der Ukraine, denn da bröckelt es. Er verspricht den Männern, die ihm lauschen, fast Unglaubliches: die Freiheit – wenn sie sich verpflichten, ihm und seiner Gruppe nur ein halbes Jahr zu dienen. Jeden Monat gibt es einen Sold im Wert von 1 000 Dollar, mindestens, beim Einsatz noch ein bisschen mehr. Und natürlich gebe es, so tönt Prigoschin, Regeln: Alkohol und Drogen seien verboten, Vergewaltigungen auch – wobei er gleich selber einschränkt: »Doch Fehler passieren!« Am wichtigsten aber sei: »Wer desertiert, wird erschossen!« Er beschließt den Appell mit den Worten: »Der dritte Weltkrieg ist ausgebrochen. Ihr habt jetzt die Chance, euch aufseiten Russlands daran zu beteiligen!«
Es war ein weiter Weg von jenem Mann, der nach neun Jahren Haft wegen Raubüberfällen und der Beihilfe zu Kinderprostitution 1990 das Gefängnis in Leningrad verließ (noch hieß die Stadt so), hin zu jenem Milliardär, der mit Rückendeckung seines Präsidenten höchstpersönlich Kämpfer rekrutierte.
Jewgeni Prigoschin stammt aus einer armen Familie und wollte eigentlich Profi-Skifahrer im Langlauf werden. Doch in seinen Zwanzigern geriet er auf die schiefe Bahn und wurde 1981 zu 13 Jahren Haft verurteilt, von denen er neun absaß. Mit einigen Kumpanen hatte er mit gerade 18 Jahren eine Frau überfallen, um ihre Stiefel und goldenen Ohrringe zu stehlen.
Die Jahre in der Unterwelt von Leningrad und mehr noch im Gefängnis haben ihn geprägt. Auch wenn er selbst kein ausgesprochener Mafioso war, so wusste er doch, wie man, ohne bei der Staatsmacht anzuecken, in der wilden Jelzin-Zeit Geschäfte machen kann.
Und das tat er. Es waren die Jahre eines ungehemmten Kapitalismus. Prigoschin verkaufte Hotdogs und eröffnete mehrere Imbissbuden. »Den Senf haben wir bei mir in der Küche gemischt, dort hat Mama auch die Einnahmen gezählt, im Monat habe ich 1 000 Dollar verdient, das war ein ganzer Berg an Rubeln«, erinnert sich Prigoschin in dem einzigen Interview, das es dazu von ihm gibt, an diese Zeit. In dem Milieu aus Sicherheitsmilizen, Mafiabossen, Geheimdienstlern, Spionen und Ex-Sträflingen fühlte sich Prigoschin wohl. Später war er dann mit alten Kumpels aus dem Knast in der St. Petersburger Glücksspielszene tätig. In der Stadtverwaltung für die entsprechenden Lizenzen zuständig: Wladimir Putin. Denn der war in seiner Eigenschaft als stellvertretender Bürgermeister der Millionenstadt bestrebt, den Zufluss von sogenanntem Schattengeld für die Bedürfnisse des Bürgermeisteramts zu sichern. Das Wirtschaftsleben von St. Petersburg wurde in jener Zeit zu mindestens zwei Dritteln von der organisierten Kriminalität kontrolliert. Und die staatlichen Behörden passten sich der Lage an. Dabei kam es zu Dienstleistungen, die damals üblich waren, zum Beispiel der Verkauf von Antiquitäten zu vielfach überhöhten Preisen. Das lief folgendermaßen ab: Ein Unternehmer wollte einen lukrativen Auftrag von der Stadt. Der Beamte gibt ihm beiläufig die Visitenkarte eines ganz bestimmten Antiquitätengeschäfts, das zufälligerweise einem guten Freund von Putin gehörte: Ilja Traber, genannt »Der Antiquar«. Der Unternehmer kauft dort für eine Million Dollar einen einzigartigen Tisch aus der Zeit der Zarin Katharina. Tatsächlich war es ein sowjetisches Modell für vielleicht 60 Dollar. Doch das war egal. Denn nun erhielt der Unternehmer vom Bürgermeisteramt der Stadt St. Petersburg eine Lizenz, deren Wert den des Tisches aus der Zeit der Zarin Katharina um ein Mehrfaches überstieg.
Wir dürfen also annehmen, dass die segensreiche Verbindung zweier ehrgeiziger Männer schon in den 1990er-Jahren begann. Gesichert ist, dass Prigoschin mithilfe diverser Investoren bald ein richtiges Lokal aufmachte, das binnen kurzer Zeit zu einem Hotspot in St. Petersburg geriet: Staraja Namoschnja, die Alte Zollstation, direkt gegenüber der Kunstkammer. Das erste Edelrestaurant der Newa-Metropole. Ein Restaurant der Extraklasse für Kunden, die es nach Prigoschins Worten leid waren, immer nur Schnitzel mit Wodka zu bestellen. Im Herbst 2002 habe ich es selbst einmal besucht. Es war nicht Michelin-verdächtig, aber doch sehr gut. Noch exklusiver geriet Prigoschins zweites Restaurant, das er auf einem Schiff vor den Ufern der Newa eröffnete: New Island.
Und es war ein Glücksfall für den vormaligen Sträfling, dass im Jahre 2000 der frischgebackene Präsident Wladimir Putin zusammen mit dem japanischen Premierminister Mori dieses Restaurant besuchte und Gefallen an dem dienstfertigen Inhaber fand. Denn, so der später inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny, »der Chef bewirtete Putin persönlich und zog so Aufmerksamkeit an. Er freundete sich zunächst mit Putins Fahrer an, dann mit dessen Leibwächter, und dann wurde er so eine Art Hofnarr«. Prigoschin selbst beschreibt es etwas anders: »Er hat gesehen, dass ich mich nicht scheue, den hohen Gästen persönlich die Teller zu reichen, waren sie doch bei mir zu Gast.«
Von da an lief es bestens für Prigoschin: Putin schleppte weitere Staatsgäste wie Jacques Chirac und Georges W. Bush mit in die Alte Zollstation und erteilte dem eifrigen Helfer den lukrativen Auftrag, Feste für ihn selbst auszurichten. So entstand der Spitzname, mit dem sich unser Held sprichwörtlich machte: Putins Koch.
Denn nun erhielt der Koch, an dem der Präsident Gefallen gefunden hatte, so viele Aufträge, dass er ein eigenes Unternehmen gründete: die Concorde AG. Erst wurde er damit wohlhabend, nach ein paar Jahren steinreich. Denn er sammelte die öffentlichen Aufträge wie schlichtere Gemüter Briefmarken. Er bewirtete in St. Petersburg nicht nur weitere Staatsgäste Putins, sondern durfte sogar das Geburtstagsfest des Präsidenten kulinarisch ausrichten. Und die Concorde AG bekam immer mehr lohnende Aufträge von staatlichen Behörden – nicht nur etwa für das neu geschaffene St. Petersburger Wirtschaftsforum, sondern auch für Schulen, Kindergärten und Kasernen. So wurde Prigoschin gleichsam zum Proviantmeister der russischen Streitkräfte. Zu Beginn der 2010er-Jahre lieferten seine mittlerweile 22 Firmen 90 Prozent der Verpflegung an die Kasernen. Das waren Aufträge im Wert von über einer Milliarde Dollar jährlich. Und unser Held verpflegte darüber hinaus nicht nur den nationalen Katastrophenschutz (der unterstand bekanntlich Schoigu), sondern auch die kommunale Wohnungsverwaltung in Hunderten von russischen Garnisonsstädten, später auch die Krankenhäuser. Und schließlich landeten selbst die Aufträge zum Bau neuer Garnisonsstädte ausschließlich bei Prigoschin. Der damals noch nicht inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny befand: »Er ist der wichtigste Mann für die russische Armee nach dem Verteidigungsminister.« Da war Prigoschin längst schon Milliardär.
Die Qualität der Verpflegung für öffentliche Einrichtungen war freilich häufig unterirdisch. Prigoschins Firmen lieferten nicht nur die Nahrungsmittel, sondern bereiteten diese auch zu und stellten sie als Mahlzeiten bereit. Lebensmittelkontrolleure fanden immer wieder Verstöße wie zu geringe Mengen, abgelaufene Produkte oder vielfach billige Ersatzstoffe. Und das waren noch die ungefährlicheren Missetaten. So fanden sich in den Portionen von Prigoschin gefährliche Bakterien wie Escherichia coli, Staphylococcus aureus und Salmonellen, aber auch Würmer, Käfer, Schaben sowie Plastikteile und menschliche Haare. Bei Kontrollen von Prigoschin-Betrieben seien zudem völlig verdreckte Küchen, Köche ohne Gesundheitszeugnis und falsch gelagerte Lebensmittel entdeckt worden, schrieb ein noch unabhängiges russisches Internetportal. Tausende von Kindern, Soldaten und Krankenhauspatienten erkrankten so im Lauf der Jahre. Einen ausgewachsenen Skandal erregten Prigoschins Firmen im Dezember 2018, als in sieben Moskauer Kindergärten die Ruhr ausbrach. 127 Kinder fingen sich die schwere Durchfallkrankheit ein, nachdem sie Hüttenkäse gegessen hatten. Im Januar 2019 erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow die Epidemie für beendet. Sanktionen für Prigoschin gab es nicht. Der Mann war offenkundig sakrosankt.
Wir dürfen wohl mit Recht vermuten, dass Putins Koch bei der Vermehrung seines Wohlstands zweigleisig fuhr. Öffentliche Massenverpflegung so billig herzustellen, dass in der Summe möglichst viel Profit heraussprang – auf Kosten der Qualität und letztlich der Gesundheit.
Auf der anderen Seite hatte er den Ehrgeiz, bei besonderen Events das Beste vom Besten aufzutischen. Denn da ging es um das Essen der Elite. Und so gelang es ihm zum Beispiel, das einzig lizenzierte Restaurant im russischen Parlament zu begründen.
Inzwischen war der Koch so reich geworden, dass er nun die Vollendung seines Privatlebens vorantrieb. Mittlerweile hatte er eine junge Apothekerin geheiratet, Lyubov Prigoschina, die ihm zwei Kinder gebar: Polina und Pawel. Auch die Ehefrau erwies sich als geschäftstüchtig. Sie erwarb, wohl mit den Mitteln ihres Mannes, eine Kette von Boutiquen in St. Petersburg, errichtete dort ein »Schokoladenmuseum«, kaufte ein Wellnesscenter und besitzt ein populäres Boutique-Hotel: das »Crystal Spa and Residence«, das 2013 den begehrten »Perfect Spa Project Award« gewann. Und das alles ist nur ein Ausschnitt aus ihren zahlreichen geschäftlichen Aktivitäten.
Eine ähnliche Laufbahn schwebte offenbar der Tochter Polina vor. Im zarten Alter von zehn (!) Jahren machten ihre Eltern sie zur Geschäftsführerin der »Sporthorses Management GmbH«. Und zwar im deutschen Winsen an der Luhe. Zweck der Gesellschaft war die »Durchführung von Turnieren, Ausbildung im Reitbereich sowie der Betrieb eines Verkaufsstalles«. Dies alles war offenkundig auch zur Zukunftssicherung des reitbegeisterten Mädchens gedacht – doch der Betrieb wurde 2014 im Umfeld des russischen Angriffs auf die Krim eingestellt. Später machte die nun 15-jährige Polina mit wiederholten Verkehrsverstößen von sich reden. Wegen wiederholter Geschwindigkeitsübertretungen erhielt Jewgenis Tochter Geldstrafen aufgebrummt. Nebenbei gefragt: Wieso darf eine 15-Jährige in Russland Auto fahren?
Angesichts der zahlreichen Vergünstigungen, die Prigoschin von Putin erhielt, lag es nahe, dass er seinem Patron auf andere Weise Gefallen erwies. Einen wertvollen Dienst leistete er dadurch, eine schon bestehende Gruppierung neu zu organisieren und besser zu bezahlen: die Petersburger Troll-Armee. Trolle, die im Internet die Sicht der russischen Regierung verbreiteten, hatte es seit Anfang des 21. Jahrhunderts und des Machtantritts von Putin schon gegeben. Doch erst im Vorfeld des russischen Einmarschs auf die Krim wuchsen die Bedeutung und der Aktionsradius der Trolle spürbar.
Der offizielle Name der von Prigoschin beherrschten Troll-Fabrik lautete unverfänglich »Agentur für Internet-Forschung«. Unter diesem Namen wurde die Firma am 26. Juli 2013 bei den russischen Behörden registriert. Sie logierte im Petersburger Bezirk Olgino in der Uliza Sawuschkina 55. Im angelsächsischen Raum firmierten ihre Angestellten rasch als die »Trolls from Olgino«.
Wer waren diese Trolle? Recherchen diverser Journalisten ergaben, dass es sich dabei in der Anfangszeit um einige Hundert meist junge Leute, oft Studenten, handelte, die mit durchschnittlich 41 000 Rubel monatlich entlohnt wurden – anfangs immer in bar. Das waren 750 Dollar und erheblich mehr als das klassische russische Durchschnittseinkommen. Wer solide Fremdsprachenkenntnisse besaß und etwa die Internetseiten von CNN und BBC mit Kommentaren überfluten konnte, erhielt nahezu das Doppelte.
Eine ehemalige Mitarbeiterin der Troll-Armee berichtete später, wie sie zu dem Job gekommen war. Sie meldete sich auf eine Anzeige in einem Petersburger Lokalblatt, in der es hieß, dass »kreative Schreiber für Online-Projekte« gesucht würden. Beim Vorstellungsgespräch im Dezember 2014 erfuhr sie, dass dabei vor allem politische Texte erwünscht waren, Kurznachrichten mit Schlüsselwörtern, die vorgegeben wurden: Positiv zu kommentieren waren Begriffe wie »Putin«, »Donbass« oder »Krim«, negativ zum Beispiel »Kiewer Junta«, »NATO« und »Obama«. Die Bewerberin nahm den Job an und war für ein paar Monate – im Sold Prigoschins – folgsame Soldatin der Troll-Armee, bis sie entnervt das Weite suchte. Denn die Anforderungen waren hart: 150 regierungsfreundliche Kommentare pro Schicht entsprachen dem Soll, dazu zählten auch Beleidigungen der ukrainischen Regierung und rassistische Kommentare zum damaligen US-Präsidenten Obama. Viele ihrer früheren Kollegen, so die Insiderin, waren eigentlich wenig an Politik interessiert. Sie übten diesen Job des Geldes wegen aus. Auch ein paar »verzweifelte Rentner« seien dabei gewesen. Während der russischen Präsidentschaftswahlen 2018 erhielten Prigoschins Schreiber detaillierte Anweisungen, wie sie über Wladimir Putin zu berichten hätten. Sie sollten die Botschaft verbreiten, dass nur er als Präsident infrage komme. Weitere interne Dokumente belegen, dass Prigoschins Trolle etwa im Jahre 2019 Dossiers über möglichst sämtliche oppositionelle Aktivisten in St. Petersburg anlegten. Aus einer Budgetübersicht ging hervor, dass allein im November 2019 umgerechnet 4 300 Euro für eine »Spezialrecherche« mit dem Namen »Sobol« aufgewendet wurden. Es ging dabei um Ljubow Sobol, eine enge Mitkämpferin des standhaften Oppositionellen Alexej Nawalny, der damals noch auf freiem Fuß war. Der Kreml wollte sie auf keinen Fall zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament zulassen. Prigoschins Trolle diskreditierten sie nach Kräften, leider mit Erfolg. Das russische Magazin Forbes hatte sie noch 2011 als »Heldin des Jahres, die kaum einer kennt« gewählt. Nachdem Sobol 2021 zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt wurde, ging sie vernünftigerweise ins Ausland.
Nach Aussagen eines anderen Ex-Trolls zählten Herabwürdigungen von Oppositionellen wie Alexej Nawalny, der kremlkritischen Band Pussy Riot oder des damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zum Tagesgeschäft. Um ihre IP-Adressen zu verbergen, verwendeten die Angestellten Proxy-Server. Wer sich etwa auf amerikanischen Webseiten trollte, sollte natürlich nicht etwa den Amerikanern Russland näherbringen. »Wir hatten das Ziel, die Amerikaner gegen ihre eigene Regierung einzustimmen, Unruhe zu verursachen, Unzufriedenheit zu verursachen, die Beliebtheit von Obama zu senken.«
Während des Krieges in der Ukraine seit 2014 waren im deutschsprachigen Internet prorussische Kommentare in der Überzahl, obwohl die veröffentlichten Meinungen befragter Bürger sowie die Überzeugungen von Politikern und Journalisten dem entgegenstanden. Die in deutschen Internetforen verbreitete Lesart des Krieges spiegelte nicht die Meinung der Bevölkerung. Tatsächlich hielt nach demoskopischen Erhebungen die Mehrzahl der Befragten Russland für den Hauptschuldigen des Krieges in der Ukraine. Nur 20 Prozent der befragten Deutschen teilten damals die Sicht des Kreml. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte Strategiepapiere der Petersburger Troll-Armee, die belegten, dass Trolle angehalten wurden, die Kommentarseiten großer Nachrichtenportale mit prorussischen Meinungen zu füllen oder Debatten in sozialen Netzwerken zu stören. Internationale Medien wie der Guardian und das Forbes-Magazin berichteten von ähnlichen Problemen. So wurde in den aus St. Petersburg gelenkten Kommentaren die Schuld an dem Konflikt »ukrainischen Faschisten«, der CIA oder der NATO zugewiesen. Eine russische Beteiligung wurde entweder bestritten oder durch Vorwürfe an das »Regime in Kiew« gerechtfertigt. Immerhin bekannten zahlreiche westliche Journalisten, dass ihre Berichterstattung dadurch beeinflusst wurde, weil sie sich vor hasserfüllten Reaktionen auf ihre Artikel fürchteten. So gesehen, war dies ein makabrer Erfolg der Petersburger Troll-Armee.
Hochtourig aktiv war die St. Petersburger Troll-Fabrik im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA2016. Putin war daran gelegen, dass Donald Trump die Wahl gewann. Nach ernst zu nehmenden Berichten hat der russische Geheimdienst Trump schon Jahre vorher bei einem Moskau-Besuch in seiner verwanzten Hotelsuite gefilmt – im Tête-à-Tête mit bezahlten russischen Damen. Dies machte ihn, sofern dieses Gerücht stimmt, erpressbar und in Putins Lesart entsprechend gefügig.
Folglich unterstützten Prigoschins Trolle Trump bereits im Vorwahlkampf, in dem der Kandidat Putin gepriesen und die NATO für obsolet erklärt hatte. Die Trolle nutzten Fake Accounts in den sozialen Medien, um Trump zu pushen und seine Gegenkandidatin Hillary Clinton zu diskreditieren. Auf dem Höhepunkt der Kampagne kamen, nach einer späteren Untersuchung des US-Senats, monatlich über 6 000 Einträge in sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, YouTube und Instagram aus St. Petersburg. So veröffentlichte in der Hochphase des Wahlkampfs im Oktober 2016 Wikileaks, gefüttert von Prigoschins Trollen, den Mailverkehr zwischen Hillary und ihrem Wahlkampfleiter John Podesta. Darin fanden sich zum Beispiel Vorschläge, mit welchen Journalisten die Clinton-Kampagne möglichst positive Geschichten über die Kandidatin lancieren könne. Die Veröffentlichung schadete Hillary Clinton immens.
Doch am intensivsten bearbeiteten Prigoschins Trolle die Bevölkerungsgruppe der schwarzen Wähler. Der Geheimdienstausschuss des US-Senats befand im Jahre 2020: »Keine einzelne Gruppe von Amerikanern wurde von den Mitarbeitern der IRA (Internet Research Agency, englischsprachige Bezeichnung für die St. Petersburger Trolle) mehr ins Visier genommen als die Afroamerikaner.« So verbreitete ein Video auf YouTube die skurrile Nachricht, Hillary Clinton habe vom Ku-Klux-Klan eine Wahlkampfspende über 20 000 Dollar erhalten. Die IRA habe versucht, mit gezielten Falschinformationen die schwarzen Wähler vom Gang zur Wahlurne abzuhalten, da viele von ihnen prinzipiell mit den Demokraten und damit Hillary Clinton sympathisierten. Das gelang zwar nur bedingt, doch der knappe Wahlsieg Trumps war Beleg für das später geäußerte Resümee der New York Times, die Petersburger Trolle hätten die Wahl entscheidend beeinflusst. Das Fazit zog im Jahre 2022 Jewgeni Prigoschin selbst: »Wir haben uns eingemischt, wir tun es, und wir werden es weiter tun.« Damit gab er endlich zu, dass der gegen ihn erlassene Strafbefehl in den USA berechtigt war.
Und wenn wir schon bei Bekenntnissen sind: Ebenfalls recht spät, im Februar 2023, hat Prigoschin offen zugegeben, dass er höchstselbst das Mastermind der Petersburger Troll-Fabrik ist: »Ich hatte die Idee, ich habe sie geschaffen, und ich habe sie lange betrieben.« Und nicht nur das: In dieser Stellungnahme hat Prigoschin erstmals zugegeben, dass er auch einer zweiten Troll-Fabrik unter die Arme greift. Die »Cyberfront Z« tauchte kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Internet-Universum auf, sie hat mittlerweile über 100 000 Follower und verherrlicht russische Kriegserfolge. Prigoschin selbst bezeichnet sie als »Gruppe patriotischer Blogger«. Sie agieren aus einem seiner Büros heraus und treffen sich gerne in einem seiner Restaurants.
Wie aber kam Prigoschin, der heute vor allem als unbestrittener Chef der Söldnergruppe Wagner Bekanntheit erlangt hat, zu dieser Einheit? Einer Einheit, die heute eine hochprofessionelle Struktur aufweist, mit einem eigenen Stab, zwei Bereichen für Logistik und Kommunikation und sogar einem eigenen Flugabwehrregiment. Einer Einheit, in deren Führungsgremien Männer sitzen, die vormals beim Geheimdienst FSB, dem Militärgeheimdienst GRU oder der Polizeieinheit OMON dienten. Einer Einheit, die von der Ukraine über zahlreiche afrikanische Staaten wie Libyen und Sudan bis hin nach Venezuela russische Interessen durchsetzt.
Urknall war ein Vortrag des südafrikanischen Söldnerführers und früheren südafrikanischen Offiziers Eeben Barlow auf dem St. Petersburger Wirtschaftsforum 2010, das Jewgeni Prigoschin, wie wir ja wissen, verköstigte. Barlow faszinierte wenigstens die anwesenden Russen mit der verwegenen Idee, bei Auslandseinsätzen »Illegale« einzusetzen, um im Falle des Scheiterns »mögliche Probleme zu minimieren«. Als 2012 Waleri Gerassimow zum russischen Generalstabschef ernannt worden war, griff er die Idee sofort auf und trug sie Putin vor. Der frühere Geheimdienstmann erwärmte sich dafür und überlegte mit dem Generalstabschef, wer denn ein solches Unternehmen gründen solle. Die Wahl fiel bald auf Jewgeni Prigoschin, der, unterstützt vom Präsidenten, in St. Petersburg ja schon die Troll-Fabrik zum Erfolg geführt hatte. Putin wollte keinen Offiziellen aus der allerersten Reihe mit dem Vorhaben betrauen. Prigoschin sträubte sich zunächst, das Ganze schien ihm zu riskant, beugte sich dann aber bald dem Plan, zumal die Finanzierung, zunächst aus dem Etat der Streitkräfte, gesichert war. Doch er bedingte sich zumindest aus, dass er nach außen hin nicht in Erscheinung treten musste. Diese Rolle übernahm Dmitri Utkin, damals noch Geheimdienstoffizier der russischen Armee. Utkin hatte, und das war für einen Russen ungewöhnlich, eine morbide Vorliebe für gewisse Formen und Symbole aus der Nazizeit. Tätowiert mit Siegrunen der Waffen-SS und einem Reichsadler mit Hakenkreuz auf der Brust, verdingte er sich 2013 bei den Paramilitärs des »Slawischen Korps«, das in Syrien das Regime von Baschar al-Assad verteidigte. Registriert war dieses Korps seltsamerweise in Hongkong – wohl auch, weil private Militärunternehmen in Russland eigentlich per Gesetz verboten waren. Aber darum kümmerte sich tatsächlich keiner. 2014 war Utkin Kommandant einer eigenen Einheit, die sich nach schweren Verlusten schließlich auflöste. Aus den Resten entstand, so die Legende, die »Gruppe Wagner«.
Wir wissen heute, dass das »Slawische Korps« schon eine Vorform der »Gruppe Wagner« war, zu der sich Utkin nun auch offiziell bekannte. Er war es, der den Namen auswählte, hatte doch sein Idol Adolf Hitler einen Lieblingskomponisten namens Richard Wagner, der dafür wahrlich nichts konnte.
Es versteht sich, dass die Gruppe Wagner nicht nur in der Anfangszeit enge Verbindungen zum russischen Militärgeheimdienst GRU unterhielt, denn Utkin selbst war dort lange tätig gewesen. Unter den ersten Kämpfern, die er rekrutierte, waren vor allem ehemalige Soldaten der russischen Armee, aber auch ausländische Kräfte, zum Beispiel Serben, von Beginn an mit dabei.
Die Zählung von bekannt gewordenen Todesfällen ergab, dass frühere Gefreite und junge Offiziere bis hin zum Oberstleutnant für die Gruppe Wagner kämpften. Was sie lockte, war vor allem das Geld. Die Besoldung eines Angehörigen der Gruppe Wagner lag, zumindest in der Anfangszeit, bei rund 1 400 US-Dollar pro Monat für den Dienst in einer russischen Basis und 4 300 Dollar für den Kampf in Syrien, dem ersten Einsatzort.
Das Training, so ein ehemaliger Kämpfer, dauerte bis zu zwei Monaten und entsprach professionellen Standards. In den Anfangsjahren war die Gruppe Wagner rechtlich in Argentinien registriert, denn – wir erinnern uns an das Slawische Korps – bis 2017 waren private Militärunternehmen in Russland offiziell verboten. Die Teilnahme an bewaffneten Konflikten auf dem Gebiet eines anderen Staates wurde nach Paragraph 359 des russischen Strafgesetzbuches mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet. Und auf das Bewerben, Trainieren und Finanzieren einer solchen Gruppe standen sogar bis zu 15 Jahre Gefängnis. So verstießen Putin und Prigoschin gegen eigene Gesetze. Ganz offiziell und staatlich legitimiert setzen auch westliche Mächte wie die USA schon seit Jahren Söldner ein – zum Beispiel Angehörige der Firma »Blackwater« im Irakkrieg.
Utkins Söldner hatten schon bei der Annexion der Krim im Jahre 2014 ihre Finger mit im Spiel, und auch in den selbst erklärten Republiken Donezk und Luhansk war er tätig. Berichten zufolge sorgte er in den Reihen der Separatisten für »Ordnung« im russischen Sinne und beseitigte unbotmäßige Führer der »wilden Milizen«.
Erste Kämpfer der Gruppe Wagner tauchten ab Mitte August 2015 in den russischen Versorgungsbasen Tartus und Hmeimim in Syrien auf, um das Regime des Putin-Freundes Assad zu stützen. Es waren in der Hochzeit ihres Einsatzes wohl an die 2 500 Kämpfer, die Utkin kommandierte und Prigoschin finanzierte. Sie nahmen an mehreren Einsätzen vor allem gegen den Islamischen Staat (IS) in Syrien teil und trainierten Assads Truppen. Innerhalb der Gruppe Wagner war auch eine serbische Einheit aktiv, die unter dem Befehl des bosnischen Serben Davor Savicic (Kampfname »Elvis«) stand, der schon im jugoslawischen Bürgerkrieg aufseiten der brutalen »Arkan Tigers« gekämpft und eine mörderische Spur hinterlassen hatte. Jetzt war er Utkins enger Freund.
Auch wenn sich die russische Beteiligung am Krieg in Syrien vor allem auf den Luftkampf konzentrierte, so fielen nicht zuletzt die Wagner-Söldner immer wieder auch in Bodenkämpfen auf. Sprichwörtlich war ihr Einsatz bei der endgültigen Rückeroberung der legendären Stadt Palmyra, die von der Dschihadistenmiliz IS schon einmal eingenommen, wieder aufgegeben und nun endgültig verlassen wurde. Sie gehört zum Weltkulturerbe der UNESCO und beherbergt unschätzbare Kunstwerke, die von den Islamisten des IS zum Teil zerstört wurden. Die Wagner-Söldner, ausgerüstet mit russischen Panzerhaubitzen und T90-Panzern, kämpften bei der Rückeroberung in vorderster Linie. Assads Truppen rückten erst dahinter nach. Das wirkte in der Heimat: Obwohl die Existenz einer privaten Söldnergruppe nach wie vor geleugnet wurde, erhielten Utkin und sein Stellvertreter Andrej Troschew am »Tag der Helden des Vaterlandes« im Kreml goldene Medaillen.
Und nicht nur das: Präsident Putin ließ sich mit beiden Männern ablichten. Dies war gleichsam die inoffizielle Anerkennung der Gruppe Wagner, die es offiziell nicht geben durfte. Die Einnahme der historischen Oasenstadt Palmyra wurde im russischen Staatsfernsehen enthusiastisch gefeiert. Das Orchester des St. Petersburger Mariinski-Theaters spielte unter Leitung des kremlnahen Waleri Gergijew – bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges Chefdirigent der Münchner Philharmoniker – im Amphitheater der Ruinenstätte klassische Weisen, Wladimir Putin wurde aus dem Kreml zugeschaltet. Sein Jugendfreund Sergej Roldugin spielte ein Cello-Solo. »Eine wunderbare humanitäre Aktion«, freute sich der Kremlchef. Die Botschaft lautete: Ohne Russland geht in Syrien nichts.
Es waren freilich nicht nur historische Stätten, die die Wagner-Kämpfer zurückeroberten, sie hatten auch handfeste wirtschaftliche Ziele wie Öl- und Gasquellen im Blick. Zu deren Ausbeutung hatte etwa das russische Unternehmen Evro Polis Verträge mit der syrischen Regierung abgeschlossen und ließ die Quellen nun von Utkins Söldnern bewachen. Chef von Evro Polis, wie praktisch: Jewgeni Prigoschin. Wir dürfen davon ausgehen, dass Prigoschin diese und andere Einnahmen aus Syrien auch zur weiteren Finanzierung der Söldnergruppe Wagner nutzte.
Rund um den Militäreinsatz der Wagner-Söldner auf dem Kampfplatz Syrien häuften sich im Lauf der Jahre Meldungen von Kriegsverbrechen. Als Beispiel unter vielen steht ein Video aus dem Jahre 2017, das CNN erreichte: Russisch sprechende uniformierte Männer schlagen mit einem Vorschlaghammer auf ihr Opfer, das am Boden liegt, ein. Sie schießen auf den jungen Mann, der sich blutend windet, quälen ihn mit Messerstichen, grölen Schimpfworte, hören dabei Rockmusik. Einer trennt schließlich mit einem Spaten den Kopf vom Rumpf des Opfers, übergießt den Körper mit Benzin und ruft, das sei ein Barbecue. Der Körper brennt, die Täter posieren vor der Handykamera mit dem abgeschnittenen Kopf.
Es ist ein grauenhaftes Bild. Journalisten konnten einen der Täter identifizieren: ein Mitglied der Söldnergruppe Wagner. Auch das Opfer ist inzwischen identifiziert: Hinterbliebene erkannten ihn als Mohamad A., einen jungen Syrer, der zwangsweise zur syrischen Armee eingezogen worden war und desertieren wollte. Sie forderten Gerechtigkeit: Die russische Justiz sollte die vom russischen Staat entsandten Söldner zur Verantwortung ziehen. Die Strafanzeige gegen mindestens einen der beteiligten Täter wegen Folter und Mord wurde von mehreren Organisationen unterstützt: dem Syrian Center for Media and Freedom of Expression, der französischen Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme und der Moskauer Memorial-Stiftung. Doch alle Anfragen und Eingaben blieben unbeantwortet. Im Gegenteil: Der Vorschlaghammer wurde in der Kommunikation der Wagner-Truppe zum Symbol für die Gewaltbereitschaft der Söldner.
Ein Söldner hat sich in der Zwischenzeit öffentlich geäußert. Marat Gabidullin war von 2015 bis 2019 Mitglied der Gruppe Wagner. In seinem Buch über das Söldnerdasein verliert er kaum ein Wort über Kriegsverbrechen, sondern beklagt vornehmlich die Korruption, die in der Gruppe herrsche: »Ich hatte lange Zeit die Sorge, dass das Unternehmen von zwielichtigen Leuten betrogen wird. Erst später habe ich verstanden, dass die Gruppe Wagner ohne Korruption gar nicht existieren kann. Es ist ein Teil ihres Wesens.« Und er verteidigte natürlich seine früheren Kameraden: »Aus den sadistischen Ausrutschern einzelner Menschen lässt sich nicht auf alle Söldner schließen.« Die Angehörigen der Opfer werden das wohl anders sehen.
Gewiss ist es nicht die Hauptaufgabe der Wagner-Söldner, wahllos zu morden. Doch ihr Kerngeschäft ist, die Drecksarbeit für den Kreml zu erledigen, mit allen Mitteln. Und nicht wenige ihrer Kämpfer gehen in Krisensituationen rücksichtslos auch gegen Zivilisten vor. Das war vor allem in etlichen afrikanischen Staaten so, wo Prigoschin mit dem Einverständnis der dortigen Regierungen seine Männer einsetzte. Auf dem Höhepunkt der Einflussnahme 2020 waren es wohl insgesamt 23 Staaten zwischen Mittelmeer und Kap der Guten Hoffnung, wo die Wagner-Kämpfer wacklige Regierungen gegen irgendwelche rebellierenden Verbände unterstützten – und die Bodenschätze ausbeuteten. Ein Beispiel war die Zentralafrikanische Republik, eines der ärmsten Länder der Welt. Wie es dort aussieht, zeigt ein Blick auf die offizielle Seite des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland, die ich hier kommentarlos zitiere:
»Es gibt im gesamten Land andauernd sehr hohe Sicherheitsrisiken und Kampfhandlungen. Das Konfliktgeschehen ist stark dynamisch, und weite Teile des Landes stehen nicht unter staatlicher Kontrolle. Militärische Auseinandersetzungen sind jederzeit möglich, auch in der Hauptstadt. Es gibt Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe, auch gegen Zivilisten und durch Sicherheitskräfte. Es kann landesweit zu Protesten und Demonstrationen und in deren Folge zu gewaltsamen Ausschreitungen (…) kommen. Staatliche Autoritäten reagieren harsch und teils unberechenbar sowohl auf jegliche vermeintliche Unterstützung bewaffneter Gruppen als auch auf fehlerhafte Anmeldungen und Dokumente und vermeintlich fehlende Genehmigungen. Vermeiden Sie auf jeden Fall Handlungen, die entsprechend ausgelegt werden können.«
Möchte jemand in einem solchen Lande leben? Das war die Zentralafrikanische Republik nach sechs Jahren Herrschaft unter reger Mithilfe der Gruppe Wagner. Denn die hatte zumindest den von der Regierung kontrollierten Teil des Landes fest im Griff. Wenn der Präsident Faustin-Archange Touadéra durch die Hauptstadt Bangui fuhr, wurde er von Wagner-Kämpfern bewacht. Ohne die russische Unterstützung wäre das Regime längst von den meist muslimischen Rebellen besiegt worden. Die Wagnerianer nutzten all die Freiheiten, die sie erhielten, zur Ausbeutung der reichen Bodenschätze, über die das Land verfügt: vor allem Gold, Diamanten, Tropenhölzer und Uran. Das russische Unternehmen, das all das leistete, hieß Lobaye Invest. Eine weitere Firma, First Industrial Company, kümmerte sich um Produktion und Import von Bier und Schnaps. Und hinter beiden stand, o Wunder, Jewgeni Prigoschin. Um die Bevölkerung in den regierungstreuen Gebieten für sich zu gewinnen, nutzten die Russen alle medialen Möglichkeiten. So präsentierten sie im Stadion von Bangui den jubelnden Zehntausenden einen hochprofessionell gemachten Spielfilm, der den heldenhaften Kampf der Gruppe Wagner gegen die muslimischen Rebellen zeigte, verteilten Hunderte von russischen Fahnen, die anschließend geschwenkt wurden, und verschenkten Tausende von T-Shirts, auf denen das Wappen von Wagner mit dem Leitspruch kombiniert war: »Je suis Wagner!«
Auf der Kehrseite all dessen standen Hunderte von Menschenrechtsverletzungen, die Prigoschins Leute vor allem an Zivilisten begingen. So berichtete die Witwe eines Diamantenhändlers europäischen Journalisten von der Ermordung ihres Mannes durch Wagner-Söldner. Dieser wurde auf dem Rückweg von der Mine nach Hause von Russen angehalten, die sein Gepäck durchsuchten und seine Diamanten konfiszierten. Dann wurde er geschlagen und erschossen. Und das war nur ein Fall von vielen. Die UN-Expertengruppe über illegale Söldnereinsätze berichtete von »Massenhinrichtungen, willkürlichen Festnahmen, Folter bei Verhören, Verschwindenlassen, Zwangsvertreibung der lokalen Bevölkerung, Angriffen auf zivile Einrichtungen, Verletzungen des Rechts auf Leben und zunehmende Angriffe auf humanitäre Akteure«. Und lokale Medien schilderten, dass die fremden Kämpfer die Schweine der Bauern erschießen und vertilgen, Mädchen vergewaltigen, Häuser verwüsten, auch Motorräder stehlen und nur gegen Geld wieder hergeben würden. Drei prominente russische Journalisten, die auf den Spuren der Gruppe Wagner in die Zentralafrikanische Republik gereist waren, wurden auf ihrer Drehreise von Söldnern ermordet. Ein weiterer russischer Journalist, der dazu eigene Recherchen angestellt hatte, wurde in Moskau mit Medikamenten vergiftet.
Auf dem Russland-Afrika-Gipfel am Schwarzen Meer im Jahre 2019 machte Putin klar, unter welchem, freilich unausgesprochenen, Motto die Beziehungen zu stehen hatten: Waffen gegen Rohstoffe. Und einige labile Regimes bezogen nicht nur Waffen, sondern jene Männer, die sie dann bedienen sollten, gleich auch mit.
Beispiel Sudan: Hier sollten Prigoschins Söldner den damaligen sudanesischen Präsidenten Umar al-Baschir in seinem Kampf gegen den Südsudan unterstützen. Im Gegenzug bekam die Gruppe Wagner die Erlaubnis, die Minen für Gold, Uran und Diamanten so zu »schützen«, dass sie von russischen Unternehmen, die teilweise Prigoschin unterstanden, geschürft werden konnten. Es ging vor allem um das Gold, das von Prigoschins Leuten über Port Sudan nach den Vereinigten Arabischen Emiraten verschifft wurde, denn dort gab es keine Zollprobleme.
Am Ende landete es in den Tresoren der Russischen Staatsbank. Und Prigoschin erhielt natürlich seinen beträchtlichen Anteil. Auch die Militärregierung, die nach dem Sturz von al-Baschir die Macht ausübte, bediente sich der Söldner. Dass es auch in diesem Kampf zu Menschenrechtsverletzungen an Zivilisten kam, überraschte niemanden. Überdies geht aus den in der »Welt« veröffentlichten »Wagnerleaks« hervor, dass Prigoschins Männer im Sudan im April 2021 ein Budget von rund 300 000 Dollar für politische Einflussnahme nutzten, unter anderem zur Finanzierung – und das hieß Bestechung – der Medienunternehmen »Khartoum Star«, »Radio Africa« und »Sudan Daily«. Der starke Mann im Lande, General Mohammed Hamdan Daglo, sagte am Vorabend des russischen Überfalls auf die Ukraine: »Russland hat das Recht, sein Volk und seine Bürger in Übereinstimmung mit dem Gesetz und der Verfassung zu verteidigen.«
Beispiel Libyen: Hier gab es nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi zwei Gruppen, die um die Macht im Staate rangen. Im Westen in der Hauptstadt Tripolis die von der UNO und etlichen westlichen Mächten unterstützte Regierung, im Osten die von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und vor allem von Russland unterstützte Gruppe um den Militärkommandeur Chalifa Haftar. Es versteht sich, dass die russische Hilfe vor allem in der augenscheinlichen Präsenz der Gruppe Wagner bestand und die Ausbeutung der Ölquellen in den Landesteilen, die Haftar unterstanden, vor allem von Prigoschins Männern vorgenommen wurde.
Im Februar 2020 gelangten investigative Reporter der BBC in den Besitz eines Computers, der zuvor von Angehörigen der Gruppe Wagner bedient worden war. Darauf fanden sich Hinweise auf zahlreiche Menschenrechtsverbrechen, wie die Ermordung von Gefangenen und unbewaffneten Zivilisten sowie die Platzierung von Landminen in Wohngebieten. Berichterstatter der UNO erklärten zudem, dass Migranten aus dem Süden, die durch Haftars Landesteile Richtung Küste zogen, regelmäßig Opfer von Vergewaltigung und Folter würden. Prigoschins Männer operierten in ganz Afrika in völliger Rechtsfreiheit.
So auch in Mali. Hier herrschte seit dem Jahre 2020 eine Militärjunta. Im Kampf gegen islamistische Gruppen der al-Qaida und vor allem des IS waren unter anderem Soldaten aus Frankreich und Deutschland im Lande stationiert. Doch deren Beziehungen zur Junta verschlechterten sich in dem Maße, wie nun auch in Mali Kämpfer der Gruppe Wagner einsickerten. Als die Sticheleien und Verbote der Regierung drastisch zunahmen, zogen die Franzosen entnervt die Reißleine und verließen das Land. In ihr aufgegebenes Camp zog prompt die Gruppe Wagner ein. Auch der endgültige Abzug der Bundeswehr war nur eine Frage der Zeit. Die malische Junta setzte nun ganz auf die Gruppe Wagner.
Und auch hier erleben wir das schon bekannte Muster. Auf der einen Seite erhielt der Oligarch Prigoschin lukrative Rechte zur Ausbeutung von Rohstoffquellen, auf der anderen Seite setzten seine Söldner die Interessen der Regierung mit aller Härte durch. »Sie töten Zivilisten und geben den malischen Sicherheitskräften durch ihre bloße Anwesenheit grünes Licht, ihren schlimmsten Neigungen nachzugehen«, erklärte Michael Shurkin, Direktor im Atlantic Council. In den Kampfgebieten berichteten und berichten Frauen von zahlreichen Fällen von Folter und Vergewaltigungen. Bei der Verfolgung islamistischer Kämpfer machten die Söldner, Augenzeugenberichten zufolge, oftmals keinen Unterschied zwischen bewaffneten Gegnern und unschuldigen Zivilisten. In der knapp 10 000 Einwohner zählenden Stadt Moura trieben malische Soldaten und Prigoschins Söldner im März 2022 mehr als 300 Männer in der Stadt zusammen und töteten sie. Ein Massaker besonderer Art: Denn nur wenige der Opfer waren Islamisten, die weitaus meisten unschuldige Zivilisten.
Victoria Nuland vom US-Außenministerium erklärte: »Diese Kräfte sind nicht an der Sicherheit der Menschen in Mali interessiert, sondern nur daran, sich selbst zu bereichern und das Land auszuplündern.« Der Kampfeinsatz der Wagner-Söldner dauert an. In Mali wie in anderen prekären Staaten Afrikas geht es nicht nur um die Sicherung des Einflusses von Russland, sondern auch um Einnahmen, die Jewgeni Prigoschin braucht, um einen anderen Krieg zu finanzieren: den Kampf der Wagner-Söldner in der Ukraine.
Diese waren schon seit dem Jahre 2014