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1942 hatte Stalin eine "Zweite Front" gefordert. Erst im Mai 1943 einigten sich Roosevelt und Churchill auf eine Invasion in der Normandie, ein halbes Jahr später weihten sie die Sowjets in die Pläne ein, die die Spannungen zwischen den Alliierten vorläufig beendeten. Deutsche, Amerikaner, Briten und Franzosen haben in diesem Buch die Geschehnisse von damals erstmals gemeinsam aufgearbeitet: die Landung in der Normandie, das Wunder von Paris, die Schlachten um Monte Cassino und in den Ardennen sowie die Befreiung Deutschlands vom Naziregime. Auf bewährt packende Art erzählt Guido Knopp die Geschichte der Kriegswende; dass sie uns und unsere europäischen Nachbarn immer wieder beschäftigt, zeigt ihre epochale Bedeutung.
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Seitenzahl: 271
Guido Knopp
Die Befreiung
Kriegsende im Westen
Edel:eBooks
Autor
Vorwort
Der längste Tag
Der Kampf um Paris
Die Hölle von Monte Cassino
Die letzte Schlacht
Der letzte Akt
Literaturverzeichnis
Der längste Tag
Der Kampf um Paris
Die Hölle von Monte Cassino
Die letzte Schlacht
Der letzte Akt
Personenregister
Ortsregister
Impressum
Prof. Dr. Guido Knopp, Jahrgang 1948, arbeitete nach dem Studium als Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und als Auslandschef der „Welt am Sonntag“. Von 1984 bis 2013 war er Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte. Seitdem moderiert er die Sendung History Live auf Phoenix. Als Autor publizierte er zahlreiche Sachbuch-Bestseller. Zu seinen Auszeichnungen zählen der Jakob-Kaiser-Preis, der Europäische Fernsehpreis, der Telestar, der Goldene Löwe, der Bayerische und der Deutsche Fernsehpreis, das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und der Internationale Emmy.
Es war eine Befreiung
Und dennoch, die Stunde ist groß – nicht nur für die Siegerwelt, auch für Deutschland – die Stunde, wo der Drache zur Strecke gebracht wird, das wüste und krankhafte Ungeheuer, Nationalsozialismus genannt, verröchelt und Deutschland von dem Fluch wenigstens befreit, Hitlers Land zu heißen«, mit diesen Worten begrüßte der in die USA emigrierte Schriftsteller Thomas Mann die deutsche Kapitulation. Nur wenige seiner Landsleute, die in »Hitlers Land« verblieben waren, mögen damals ähnlich empfunden haben. Für die große Mehrheit der Deutschen allerdings war der 8. Mai 1945 wohl zunächst die Stunde des Zusammenbruchs und nicht die Stunde der Befreiung, wie sich auch die Sieger damals nicht als Befreier der Deutschen, sondern als Befreier von den Deutschen gefühlt haben. Nur eine positive Erfahrung verband Sieger und Besiegte am Ende dieses schrecklichen Krieges: Es war die Erleichterung, überlebt zu haben – einen Krieg, der mehr als 50 Millionen Opfer gefordert und zugleich deutlich gemacht hatte, wozu Menschen fähig sind und was sie ihresgleichen antun können.
Heute, fast 60 Jahre nach Ende des Krieges, hat sich die Sicht auf die Ereignisse von damals sehr gewandelt. Die Besiegten von einst und die Nachgeborenen haben sich lange schon von Hitlers mörderischem Reich losgesagt. Sie sind heute in ihrer großen Mehrheit bereit, die schweren Leiden, die die militärische Niederlage den Deutschen aufbürdete, nicht mehr den alliierten Siegern, sondern vor allem der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzulasten, die diesen Krieg im deutschen Namen und von deutschem Boden aus entfesselte. Und die Sieger von einst haben das Nachkriegsdeutschland als eine friedliche Demokratie kennen gelernt – und ihm allmählich vertraut. Sie sind heute zunehmend bereit, die Deutschen nicht nur als Vollstrecker, sondern auch als Opfer von Hitlers Wahn zu begreifen – nicht nur als Besiegte, sondern auch als Befreite.
Das vorliegende Buch beruht auf den Recherchen für ein Filmprojekt, das die Endphase des Krieges im Westen darstellt. Bislang wurde dieser Krieg in der Regel nur aus nationaler Sicht geschildert. Heute, da die Zeitgenossen hoch betagt sind, ist es an der Zeit, dass einst verfeindete Nationen gemeinsam aufzeigen, was den Zweiten Weltkrieg ausmacht. Noch sind die Menschen, die den Krieg erlebt haben, am Leben und können erzählen, »wie es war«. Und noch haben wir die Chance, ihnen zuzuhören, wenn sie von der Grenzerfahrung ihres Lebens berichten: Deutsche und Amerikaner, Briten und Kanadier, Franzosen und Italiener, Niederländer und Belgier.
Der Befreiung im Westen ging ein jahrelanges diplomatisches Tauziehen unter den Alliierten voraus. Seit Ende 1941 forderte Stalin eine »Zweite Front« im Westen Europas, die die Rote Armee im Osten entlasten sollte. Doch erst bei der Konferenz von Teheran Ende November 1943 sagten Churchill und Roosevelt Stalin eine Invasion für das nächste Frühjahr zu. Das Unternehmen »Overlord«, die alliierte Landung in der Normandie, begann am 6. Juni 1944. Im Morgengrauen erschien die bis zu diesem Augenblick gewaltigste Armada der Weltgeschichte vor der französischen Küste: Rund 200 000 Mann Sturmtruppen, auf viertausend Schiffen verteilt, eroberten die Strände der Normandie, unterstützt durch eine Feuerwalze alliierter Bomber und Kriegsschiffe. An manchen Stränden gelang der Durchbruch ohne größere Verluste, an anderen blieben hunderte von Angreifern im vernichtenden Abwehrfeuer der deutschen Stellungen liegen. Am Ende des »längsten Tages« siegte die alliierte Überlegenheit an Menschen und Material. Die »Zweite Front« war eröffnet, die Befreiung Westeuropas jetzt nur noch eine Frage der Zeit. Hitlers populärster General, Feldmarschall Erwin Rommel, mahnte seinen Kriegsherrn, angesichts des aussichtslosen Kampfes »Folgerungen« zu ziehen, das heißt, den Krieg zu beenden. Doch Hitler blieb bei seiner sturen Durchhalteparole, die er bereits am Abend des 6. Juni ausgegeben hatte: »Hier gibt es kein Ausweichen und Operieren, hier gilt es zu stehen, zu halten oder zu sterben.«
Anfang August brach die deutsche Front in Nordfrankreich zusammen. Der Weg ins Innere Frankreichs, der Weg nach Paris war frei. Für die französische Bevölkerung war es die Stunde der Befreiung. Viele, die unter der deutschen Besatzung gelitten hatten, wollten nun aktiv daran mitwirken, ihre Ketten zu zersprengen. Für das befreite Frankreich unter Führung von General Charles de Gaulle war es zudem eine Frage der nationalen Ehre, die Hauptstadt aus eigener Kraft zu befreien. Am 19. August 1944 – fünf Tage, bevor alliierte Truppen Paris erreichten – griffen dort 20 000 französische Untergrundkämpfer zu den Waffen. Für den deutschen Stadtkommandanten General Dietrich von Choltitz spitzte sich die Situation dramatisch zu. Bis zuletzt hatte er gehofft, die Stadt ohne Kampf räumen zu dürfen. Doch nun befahl ihm Hitler, Paris dürfe »nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen«. Von Choltitz aber zögerte die Ausführung des Befehls immer weiter hinaus – bis es zu spät war. Am 24. August 1944 marschierten reguläre französische Truppen in die Stadt ein, tags darauf ging der Kommandant mit 12 000 deutschen Soldaten in die Gefangenschaft. Während die Pariser ihre Freiheit bejubelten, schäumte Hitler im fernen Rastenburg vor Wut. Sein Befehl, die Stadt zu zerstören, war zum Glück ignoriert worden.
Wie wenig der Krieg ansonsten auf Kulturschätze Rücksicht nahm, zeigte sich an der zweiten großen Invasionsfront des Westen in Italien. Im September 1943 waren alliierte Truppen von Sizilien auf das italienische Festland übergesetzt. Als die neue italienische Regierung, die auf den Sturz Mussolinis gefolgt war, mit den Alliierten einen Waffenstillstand schloss, ließ Hitler die italienische Armee entwaffnen und Italien besetzen. Aus den Soldaten der einst verbündeten Wehrmacht wurden in den Augen der meisten Italiener nun »Besatzer«, aus den Alliierten »Befreier«. 140 Kilometer südlich von Rom errichtete die Wehrmacht eine Verteidigungslinie, um den alliierten Vormarsch aufzuhalten. Die deutsche Schlüsselstellung lag auf dem Berg Monte Cassino, in unmittelbarer Nähe des gleichnamigen Klosters, das als Wiege des abendländischen Mönchtums weltberühmt war. Seit Januar 1944 bestürmten die alliierten Truppen vergeblich die deutschen Stellungen auf dem Klosterberg. Schließlich griff auch die US-Luftwaffe an. Am 15. Februar 1944 wurde das alte Kloster Monte Cassino durch einen amerikanischen Bombenangriff völlig zerstört. Das Kloster sei eine »deutsche Festung«, war den Piloten vor ihrem Einsatz gesagt worden. Ein Irrtum: Tatsächlich befanden sich keine deutschen Soldaten im Kloster, dafür aber etwa 800 Flüchtlinge, alte Männer, Frauen, Kinder – bis zu 300 von ihnen starben. Die deutsche Propaganda sprach von alliierter Kulturlosigkeit und Zerstörungswut, die Alliierten verwiesen auf die unmittelbare Nähe von Kloster und deutschen Stellungen. Doch auch nach der Zerstörung des Klosters dauerte es noch Monate, bis die Schlacht von Monte Cassino entschieden war. Erst am 18. Mai 1944 zogen sich die letzten deutschen Einheiten vom »heiligen Berg« zurück. Der Durchbruch der Alliierten nach Norden war geglückt. Am 4. Juni befreiten die Amerikaner unter dem großen Jubel der Bevölkerung Rom.
Im Unterschied zur Normandie und zum Monte Cassino glich der alliierte Vorstoß über die belgische Grenze bis nach Brüssel hinein mehr einem Triumphzug als einer kriegerischen Unternehmung. In den Städten und Dörfern entlang des Weges stand die belgische Bevölkerung jubelnd Spalier und begrüßte die Befreier mit einem Meer aus Fahnen. Viele britische und amerikanische Soldaten waren nahezu berauscht von ihrem Vormarsch. Das Ende des Krieges schien unmittelbar bevorzustehen. »Weihnachten zu Hause«, hieß die Parole. Doch noch einmal gelang es der deutschen Wehrmacht, den alliierten Vormarsch aufzuhalten. Ein alliierter Großangriff auf den Rhein im September scheiterte spektakulär. 10 000 britische Fallschirmjäger wurden bei dem Versuch, die Brücke von Arnheim zu erobern, eingekesselt. Nur 2000 konnten fliehen, der Rest fiel oder wurde gefangen genommen. Dann, am 16. Dezember 1944, folgte völlig unerwartet der deutsche Gegenangriff: Heimlich hatte Hitler kampfstarke Divisionen von der Ostfront abgezogen und in den Westen verlegt. Die deutsche Ardennenoffensive stürzte die Alliierten in ihre schwerste Krise seit der Landung in der Normandie. Doch als die US-Luftwaffe, nachdem tagelang schlechtes Wetter herrschte, wieder Angriffe flog, wendete sich das Blatt ganz schnell. Die letzte große Schlacht vor der deutschen Grenze ging verloren, widerstrebend musste Hitler den Rückzug befehlen. Die Zeit für den alliierten Angriff auf Deutschland selbst war gekommen.
Anfang März 1945 begann der letzte Akt des Krieges im Westen. Alliierte Truppen erreichten auf breiter Front den Rhein. Der Wehrmacht blieb nur noch ein Ausweg: Alle Brücken sprengen und auf dem Ostufer eine neue Front aufbauen. Doch das Glück kam den Alliierten zu Hilfe. Am 7. März 1945 nahm eine amerikanische Vorhut die intakte Rheinbrücke bei Remagen im Handstreich. Hitler tobte, ließ einige Offiziere hinrichten und setzte alle verfügbaren Kräfte gegen die Brücke in Marsch. Aber der Schaden war irreversibel. Die Amerikaner hatten eine erste Bresche in die Rheinfront geschlagen. Zwei Wochen später fiel diese ganz. Mit über einer Million Soldaten setzten die Alliierten bei Wesel über den Niederrhein. »Die Deutschen sind geschlagen. Jetzt haben wir sie. Jetzt sind sie fertig«, jubelte der britische Premierminister Churchill. Was folgte, war der jämmerliche Abgesang von einem Reich, das tausend Jahre währen sollte und nach zwölf zusammenbrach. Nazideutschland versank in einem Meer von Blut und Tränen. Sein monströses Dasein hing allein von jenem ab, der es geschaffen hatte. Ohne ihn, den Kristallisationspunkt böser Emotionen, war es nur ein Geisterschiff. Mit Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 endete der Spuk. Seine Nachfolger ergaben sich bedingungslos – auf Gnade oder Ungnade. Die meisten Deutschen erlebten die Kapitulation am 8. Mai mit zwiespältigen Gefühlen. Sie waren erleichtert, dass die Bombenangriffe auf die Städte und Dörfer, die Kämpfe und das Töten an der Front ein Ende hatten. Zugleich aber fühlten sie sich als Zeugen und Opfer eines einzigartigen Zusammenbruchs. Die Stunde der bitteren Wahrheit war gekommen – bitter auch deswegen, weil sich nun das ganze Ausmaß der Verbrechen offenbarte, die von Deutschen begangen worden waren. Befreit hingegen fühlten sich die Opfer und Verfolgten des Naziregimes, vor allem die Menschen, die von den Alliierten in den Wochen zuvor aus den Konzentrationslagern befreit worden waren. Für sie wie für elf Millionen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter war Deutschland bis zuletzt das Land gewesen, das Gefangenschaft, Versklavung und Tod bedeutet hatte.
Was bleibt nun als Bilanz des letzten Kriegsjahres im Westen? Für den Kriegsherrn Hitler war der Krieg nicht nur sein eigentliches Staatsziel, er war auch Selbstzweck, und der Überlebenskampf das Gesetz jeder Existenz: der Wahn des Usurpators, für den es nur ein Entweder-oder gab – Siegen oder Untergehen. Er fand genügend Generäle, die ihm folgten. Millionen von Soldaten wurden nicht gefragt, ebenso wenig die Zivilbevölkerung. Gleichwohl erscheinen die Deutschen im Rückblick allenfalls als »Befreite wider Willen«. Sie haben sich nicht selbst von Hitler trennen können (und viele auch nicht trennen wollen) und überließen es den Alliierten, Europa und auch die Deutschen vom braunen Terror zu befreien. In Deutschland hat es nach dem Krieg einige Zeit gedauert, bis sich diese Erkenntnis durchsetzte. Zu sehr hatten viele Deutsche zunächst mit ihrem eigenen Schicksal zu kämpfen; für viele war der 8. Mai zudem nicht End- oder Wendepunkt ihrer persönlichen Leidensgeschichte, sondern erst ihr Beginn. Von den über elf Millionen deutschen Soldaten, die sich bei Kriegsende in Lagern der Anti-Hitler-Koalition befanden, geriet die Mehrheit erst nach der Kapitulation in Gefangenschaft. Die letzten von ihnen kehrten 1956 aus sibirischen Lagern heim. Mehr als 14 Millionen Deutsche verloren durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat, zwei Millionen von ihnen das Leben.
Noch heute fühlen viele Deutsche beim Gedenken an das Kriegsende einen inneren Zweifel und Zwiespalt. War der 8. Mai ein Tag der Befreiung oder der Niederlage? In seiner Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker diese Frage in einer weithin akzeptierten Formel beantwortet: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem Menschen verachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.« Der lange Weg zum 8. Mai 1945 begann am 30. Januar 1933.
Am 6. Juni 1944 begann die größte Operation in der europäischen Kriegsgeschichte: die alliierte Landung in der Normandie. Über 5000 Schiffe, mehr als 40 Heeresdivisionen und die schlagkräftigsten Luftwaffenverbände der Welt traten an, um Frankreich zu befreien und Hitler-Deutschland den Todesstoß zu versetzen. Trotz heftiger Gegenwehr gelang es den Alliierten, an der Kanalküste einen Brückenkopf zu errichten. Nach der Schlacht bei Avranches brach die Front in sich zusammen, der Weg nach Paris war frei.
Dienstag, 6. Juni 1944. Die Morgendämmerung tauchte die weite Heckenlandschaft der Normandie in ein düsteres Licht. Graue Wolken hingen tief. An der Küste peitschte der starke Wind das grünliche Wasser des Kanals zu meterhohen Wellen auf. Seit mehreren Stunden schon standen die deutschen Soldaten in ihren Bunkerstellungen in erhöhter Alarmbereitschaft. Ungewöhnlich heftig waren in dieser Nacht die alliierten Bombenangriffe auf die Befestigungsanlagen des Atlantikwalls gewesen. Seit Mitternacht gab es sehr widersprüchliche Meldungen über die Landung von feindlichen Fallschirmjägern. Es lag etwas in der Luft. Ob wohl die lang erwartete Invasion bevorstand? Immer wieder schauten die deutschen Posten auf die See hinaus. Gegen 5.30 Uhr hatte das lange Warten dann ein Ende. Die gewaltigste Armada der Weltgeschichte tauchte aus dem Dunst auf. Die deutschen Soldaten trauten ihren Augen nicht: Vor lauter Schiffen war kein Wasser mehr zu sehen – so etwas konnte es doch gar nicht geben. »Der Horizont war schwarz vor Schiffen«, erinnert sich Heinz Bongart, der die Invasion am Strand von St. Laurent erlebte.
Kurz darauf blitzte es aus der Riesenflotte auf und ein wahrer Feuerorkan ergoss sich auf die Strandlinie. Schlachtschiffe, Kreuzer und Zerstörer begannen, die deutschen Stellungen sturmreif zu schießen. Tonnenschwere Granaten rissen gewaltige Krater in die normannische Erde, zermalmten Stacheldrahtverhaue, Bunkerstellungen und Laufgräben. Die Erde bebte und es war unvorstellbar, dass irgendjemand in diesem Geschosshagel würde überleben können.
Hinter den Kriegsschiffen zeichneten sich die Silhouetten mächtiger Transporter ab, in ihnen zehntausende kampfbereiter Soldaten. Die Armada war von hektischer Betriebsamkeit ergriffen. Sturmboote wurden von riesigen Kränen zu Wasser gelassen, Patrouillenboote flitzten zwischen den großen Landungsschiffen hin und her und in waghalsigen Manövern kletterten voll gepackte Soldaten von Fallreeps in ihre Landungsboote. Die erste Welle brauste nun mit voller Fahrt auf den Strand zu. Die Invasion hatte begonnen!
Wir mussten die größte Landung unternehmen, die bisher in der Geschichte gegen eine von modernsten Befestigungen starrende Küste durchgeführt worden war, und hinter dieser Küste stand das deutsche Westheer, das seit den finsteren Tagen von 1940 nicht mehr zur Schlacht hatte antreten müssen. General Dwight D. Eisenhower über die Landung in der Normandie
Doch kaum einer der Soldaten, die zur Befreiung Frankreichs und Europas von der Schreckensherrschaft Hitlers zum Kampf angetreten waren, hatte in diesem Augenblick einen Sinn für den historischen Moment. Dicht gedrängt standen die Soldaten in den Sturmbooten. Die schwere See warf sie hin und her. Klatschnass und durchgefroren, waren die meisten seekrank und hofften, nur bald an Land zu kommen, damit die Höllenfahrt endlich ein Ende nehmen würde.
Immer näher schoben sich die Landungsfahrzeuge an die Küste heran. »Utah« und »Omaha« hießen die Strandabschnitte der Amerikaner im Westen der Seine-Bucht. »Gold«, »Juno« und »Sword«, jene der Briten und Kanadier, zwischen Bayeux und Orne-Mündung. Bald hörten die Männer der ersten Sturmwelle nicht nur den Feuerorkan der Schiffsartillerie, sondern auch das dumpfe Dröhnen von Flugzeugmotoren. Über ihren Köpfen bot sich ein atemberaubendes Schauspiel: Aberhunderte von Flugzeugen überflogen die Landungsflotte und stürzten sich auf die deutschen Stellungen. Schwärme von einmotorigen Jagdbombern und zweimotorigen B-26 »Maraudern« griffen immer wieder die Strandlinie an. Über den Wolken flogen die schweren viermotorigen Bomber und warfen ihre todbringende Fracht ab.
Vielleicht würde es doch eine leichte Landung werden, dachte so mancher. Man hatte die Männer zwar auf einen schweren Kampf vorbereitet, aber nach diesem Bombardement, so ihre Hoffnung, müsste es eigentlich ein Leichtes sein, Hitlers Atlantikwall zu durchbrechen. Als die Männer der 1. und 29. US-Infanteriedivision auf den Landeabschnitt Omaha zuhielten, konnten sie nicht ahnen, dass 329 schwere Bomber ihre Fracht aufgrund der schlechten Sicht hinter den deutschen Stellungen abgeladen hatten. »Die alliierten Flugzeuge haben so viele Bomben abgeworfen, dass man glaubte, ein schwarzer Vorhang rauscht auf die Erde nieder. Aber der ganze Regen schlug im Hinterland ein und wir sind von keiner einzigen Bombe getroffen worden«, erinnert sich Heinz Bongart, der im Widerstandsnest 65 direkt an der Steilküste lag. Noch 1000 Meter bis zur Küste. Die GIs konnten jetzt das in Rauch gehüllte Steilufer erkennen, das sich etwa 50 Meter über den flachen Sandstrand erhob. Kein einziges deutsches Geschütz feuerte, kein Maschinengewehr schoss auf sie. Noch 500 Meter – deutlich waren nun die minenbesetzten Vorstrandhindernisse auszumachen, dahinter lag der breite Sandstrand. Nichts rührte sich. Doch dann, als die kleinen Sturmboote noch 400 Meter entfernt waren, eröffnete die deutsche Artillerie aus allen Rohren das Feuer. Granatwerfer bellten, Pak schoss. Als die Landungsboote endlich den Strand erreicht hatten und ihre Rampen herunterließen, steigerte sich das Feuer noch. Im brusthohen Wasser wateten die mit Munition und Ausrüstung schwer beladenen Männer ohne Deckung langsam an Land und boten dabei ideale Zielscheiben. Maschinengewehrsalven mähten hunderte von GIs nieder. Es war ein Inferno.
Freiheit gibt es nicht umsonst! Jemand musste dafür bezahlen. Und diese Jungs taten es. Für uns. Ich bin ihnen dafür bis heute dankbar. Und ich bin überzeugt, sie hätten es wieder getan, um diese Welt von Hitler zu befreien. Roy Stevens, US-Soldat
Die Landung in der Normandie, die Operation »Overlord«, hatte die militärischen und politischen Stäbe der Alliierten seit Jahren beschäftigt. Seit Hitler im Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen hatte, trug die Rote Armee zunächst die Hauptlast des Krieges. Angesichts der gewaltigen Schlachten in den Weiten Russlands erschien der Wüstenkrieg britischer Truppen in Nordafrika wie ein nebensächliches Geplänkel. Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt waren sich dieser Tatsache vollauf bewusst, gaben freilich nur allmählich die Berührungsängste mit dem kommunistischen Regime in Moskau auf. Vorerst wollte man nur Waffen liefern – zu mehr Unterstützung sah man sich nicht in der Lage. Ende Dezember 1941 sprachen sie in Washington zum ersten Mal das Problem der zweiten Front an, wobei Churchill für eine Landung in Nordwestafrika und anschließend in Europa plädierte, während die Amerikaner für eine Landung in Frankreich stimmten. In den folgenden Jahren verschwand das Thema nicht mehr von der Tagesordnung der Beratungen der Großen Drei. Stalin drängte bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf, dass die Westalliierten endlich eine große Landfront im Westen Europas eröffnen müssten. Eigentlich war es dem Diktator immer darum gegangen, dass sich die kapitalistischen Staaten in einem großen Krieg selbst zerfleischen würden, sodass er als lachender Dritter eine leichte Beute würde einbringen können. Doch nun war alles anders gekommen. Die UdSSR befand sich inmitten eines Kampfes auf Leben und Tod mit dem nationalsozialistischen Deutschland, der weite Landstriche verwüstete und jeden Tag abertausende Sowjetbürger das Leben kostete, während die USA und Großbritannien mehr oder minder abseits standen. Es war zu befürchten, das Russland in diesem Kampf ausblutete und stattdessen der Westen als lachender Dritter aus diesem Krieg hervorgehen würde.
Am 19. August 1942 landete zum ersten Mal ein größerer alliierter Truppenverband im deutschbesetzten Frankreich. 6000 kanadische Soldaten sollten den gut befestigten Hafen Dieppe an der Kanalküste erobern und ihn dann im Lauf des Abends wieder räumen. Mit dieser »gewaltsamen Erkundung« sollten die Möglichkeiten einer großen Landungsoperation ausgelotet werden. Das Unternehmen mit dem Decknamen »Jubilee« wurde jedoch ein völliger Fehlschlag. In dem schweren Feuer der Deutschen erlitten die kanadischen Truppen schwere Verluste. Nur 1700 Mann gelang es, sich wieder einzuschiffen und nach England zurückzukommen. Die Übrigen waren gefallen oder in deutsche Gefangenschaft geraten. Für Churchill stand nach diesem Fiasko fest, dass es nicht möglich sein würde, noch 1942 in Frankreich zu landen, so wie dies Ende Mai von Roosevelt zugesagt worden war. Stattdessen besetzten Briten und Amerikaner am 8. November 1942 Marokko und Algerien und verjagten Rommels Truppen bis zum Mai 1943 aus Nordafrika. Der Krieg im Mittelmeer verzögerte die große Landung in Frankreich, mit der dem Deutschen Reich ein entscheidender Schlag versetzt werden sollte. Im Juli 1943 setzten die Alliierten zunächst nach Sizilien und im September auch auf das italienische Festland über. Die Deutschen waren dadurch gezwungen, etliche Divisionen von der Ostfront abzuziehen. Doch der erstrebte große Schlag, der rasch das Ende des Krieges bringen sollte, war dies nicht, da die Alliierten im Spätherbst 1943 von der Wehrmacht für mehr als ein halbes Jahr in Mittelitalien aufgehalten wurden.
Die größte aller Unternehmungen. Winston Churchill über die Landung in der Normandie
Auf der Konferenz von Teheran, die Ende November 1943 stattfand, sagten Churchill und Roosevelt Stalin dann endgültig zu, im Mai 1944 in Frankreich zu landen, es zu befreien und anschließend in das Deutsche Reich einzufallen. Der Countdown lief – alle militärischen Aktionen wurden nun auf die Vorbereitung der großen Landung ausgerichtet. Riesige Konvois schafften hunderttausende amerikanischer Soldaten sowie tausende von Panzern und Geschützen nach England. Sie überquerten den Atlantik praktisch unbehelligt. Die »Grauen Wölfe« – die deutschen U-Boote – konnten den gewaltigen Aufmarsch nicht mehr behindern. Die vormaligen Jäger waren seit Mai 1943 selbst zu Gejagten geworden. Der Atlantik war nunmehr wie eine große Autobahn, auf der der Verkehr planmäßig lief. Bald glichen die südlichen Grafschaften Englands einem riesigen Heerlager – übersät von Kasernen, Materialdepots und Munitionslagern.
Den Deutschen waren die Vorbereitungen der Alliierten natürlich nicht entgangen. Es lag schließlich in der militärischen Logik, dass Briten und Amerikaner versuchen würden, die nur schwach verteidigte Flanke Europas anzugreifen, während die Masse der Wehrmacht in Russland gebunden war. Allen voran fürchtete Hitler diese drohende Gefahr aus dem Westen. Bereits am 14. Dezember 1941 hatte er befohlen, dass vom Nordkap bis nach Biarritz ein neuer »Westwall« gebaut werden solle. Norwegen hielt er für stark gefährdet, sodass in den nächsten Jahren insbesondere hier viele schwere Küstenbatterien errichtet wurden. Hitlers Angst war nicht ganz unbegründet. Norwegen war für den deutschen Erzimport besonders wichtig und verbesserte die strategische Position von Luftwaffe und Kriegsmarine in erheblichem Maß. Und Churchill regte 1942 in der Tat an, Truppen nach Norwegen zu schicken und das Land den Deutschen wieder zu entreißen. Der Plan scheiterte freilich am Widerstand Schwedens, ohne dessen Hilfe man die Operation nicht durchführen zu können glaubte. Wenngleich die meisten Befestigungsanlagen zunächst in Norwegen gebaut wurden, galt spätestens nach dem alliierten Raid auf Dieppe mehr und mehr auch Frankreich als gefährdet.
Der harte und verlustreiche Kampf der letzten zweieinhalb Jahre gegen den Bolschewismus hat die Masse unserer militärischen Kräfte und Anstrengungen aufs Äußerste beansprucht. ... Die Gefahr im Osten ist geblieben, aber eine größere im Westen zeichnet sich ab: die angelsächsische Landung! ... Gelingt dem Feind hier ein Einbruch in unsere Verteidigung in breiter Front, so sind die Folgen in kurzer Zeit unabsehbar. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass der Feind spätestens im Frühjahr, vielleicht aber schon früher zum Angriff gegen die Westfront Europas antreten wird. Adolf Hitler, 3. November 1943
Im August 1942 hatte Hitler angeordnet, dass der neue »Atlantikwall« aus 15 000 Bunkern bestehen sollte. Überall baute die Organisation Todt in den folgenden Jahren mit zwangsverpflichteten einheimischen Arbeitern Bunkeranlagen. Millionen Kubikmeter Beton wurden verbaut. Doch es musste von vornherein ein hoffnungsloses Unterfangen sein, eine 5500 Kilometer lange Küste ausreichend zu sichern. Weder stand hierfür eine ausreichende Zahl an Truppen zur Verfügung, noch war es möglich, genügend Befestigungen zu bauen. Die Frage war somit: Wo würden die Alliierten landen? Wo sollte man die Verteidigungsanstrengungen ballen? Zunächst konzentrierten sich die Deutschen auf den Ausbau der Häfen, die zum vorrangigen Ziel der Invasionstruppen werden mussten. Für einen weiten Vorstoß ins Land benötigten die Angloamerikaner schließlich eine gesicherte Nachschubbasis – und die konnte einzig und allein ein hinreichend großer Hafen bereitstellen. 1943 rückte Frankreich immer stärker in den Mittelpunkt der Invasionserwartungen. Für den Oberbefehlshaber West, Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt, war die gefährdetste Stelle der französischen Küste der Pas de Calais zwischen Boulogne und Dünkirchen. Dort war der Kanal am schmälsten, Landungsboote und Flugzeuge hatten hier den kürzesten Weg zurückzulegen. Außerdem führte vom Pas de Calais aus der schnellste Weg ins Ruhrgebiet – in das industrielle Herz Deutschlands. Auch Feldmarschall Erwin Rommel – im Herbst 1943 übernahm er den Befehl über die Heeresgruppe B, der die Truppen in Nordfrankreich unterstanden – glaubte an eine Landung im Pas de Calais. Schließlich legte auch Hitler den Schwerpunkt der Abwehrbemühungen auf diesen Raum. Im Frühsommer 1944 sollte nämlich aus den dort gelegenen Stellungen das verheerende Feuer der »Vergeltungswaffen« auf London eröffnet werden. Da es gegen die Raketen keine Abwehr zu geben schien, wären die Alliierten, so Hitlers Kalkül, gezwungen, im Pas de Calais zu landen, um die V-Waffen-Stellungen auszuschalten. Genau dort baute man den Atlantikwall also am stärksten aus. Mächtige Küstenbatterien standen hier, die ihre todbringenden Granaten bis nach Südengland feuern konnten. Der Strand war mit Geschützstellungen und Widerstandsnestern gespickt – ein Durchkommen erschien kaum möglich.
Unser Täuschungsplan war clever. Wir wiesen mit dem Finger auf den Pas de Calais, den Ort, wo die Landung am einfachsten gewesen wäre, weil dieser Ort England am nächsten liegt. Sir Carol Mather, Adjutant Montgomerys
Rommel ließ verminte Vorstrandhindernisse errichten, an denen bei Flut angreifende Landungsboote zerschellen sollten. Entschieden sich die Alliierten hingegen, die Invasion bei Ebbe zu starten, müssten sie einen breiten Sandstrand überwinden, wobei sie wie auf dem Präsentierteller dem Feuer der Deutschen ausgesetzt sein würden.
Die Alliierten erkannten rasch den Verteidigungsschwerpunkt der Wehrmacht. Es erschien ihnen kaum ratsam, an diesem gut gesicherten Küstenabschnitt zu landen, zumal es eben auch andere Gründe gab, die gegen den Pas de Calais als Invasionsort sprachen. Die gesamte Nachschublogistik hätte dann auf den kleinen Häfen Dover und Folkestone gelastet, außerdem waren die Strände Wind und Strömung schutzlos ausgeliefert. Bereits im Juli 1943 einigten sich die alliierten Stabschefs daher auf eine Landung in der Normandie. Die Strände waren hier nur schwach verteidigt, bei Westwind schützte die Halbinsel Cotentin die Landungsflotte in der Seine-Bucht. Zudem lag die Normandie zentraler zu den Großhäfen Portsmouth und Southampton an der englischen Südküste, auf die sich die Alliierten vornehmlich stützen wollten.
Als ich zur 29. US-Infanteriedivision kam, wusste ich, welche Aufgabe uns bevorstand. Uns wurde gesagt, dass wir die Speerspitze der Invasion Europas sein würden und dass zwei von drei von uns nicht zurückkommen würden. Harold Baumgarten, US-Soldat
Im Frühjahr 1944 begannen die Vorbereitungen für die Landung. Immer wieder übten die Truppen die Operation, erprobten das Zusammenspiel von Panzern und Infanterie. Fallschirmjäger trainierten die Einnahme von deutschen Batteriestellungen an originalgetreu nachgebauten Modellen. Nichts sollte dem Zufall überlassen sein. Bitteres Lehrgeld hatten die Alliierten bei den Landungen in Sizilien, Salerno und Anzio zahlen müssen. Immer wieder waren hier grobe Fehler unterlaufen, die zu schweren Verlusten geführt und die Operation gefährdet hatten. Man hatte somit wichtige Erfahrungen gesammelt, eine Unternehmung dieser Größe zu koordinieren und zu verhindern, dass ein Chaos entstand.
Ich kann mich erinnern, dass ein paar Tage vor Invasionsbeginn ein Aufklärungsflieger von uns drüben in England angeschossen worden ist. Er hat sich noch über den Kanal retten können und ist in unserem Abschnitt runtergekommen. Wir haben ihn aus dem Flugzeug geholt, und er hat uns dann sofort erzählt, dass die englischen Häfen knallvoll liegen, Schiff an Schiff. Und ich muss ehrlich sagen, wir haben ihm das nicht geglaubt. Wir haben gedacht, der Mann ist durch seinen Abschuss irgendwie verstört. Hans Heinze, deutscher Offizier
Kommandotruppen und Kampfschwimmer erkundeten die Landestrände, Luftaufklärer fotografierten jeden Quadratmeter Küstenlinie und die Résistance versuchte, die deutschen Verteidigungsstellungen auszukundschaften.
Die Alliierten wollten nicht überrascht werden, wenn sie an der Küste der Normandie an Land gingen. Im Frühjahr 1944 begann die alliierte Luftarmada damit, die »Festung Europa« sturmreif zu bomben. Die Küstenbatterien, die Radarstellungen und vor allem die Verschiebebahnhöfe wurden angegriffen. Im Mai 1944 war der Eisenbahnverkehr in Frankreich fast lahm gelegt worden, obwohl die Organisation Todt 18 000 Arbeiter von den Baustellen an der Küste zur Instandsetzung der Schienenwege abzog. Damit fiel die Bahn als Transportmittel für schnelle Truppenverschiebungen praktisch aus. Die deutschen Reserven würden auf den engen Straßen zu den Landeköpfen marschieren müssen.
Im Mai 1944 waren die Vorbereitungen der Alliierten abgeschlossen. Jetzt kam es nur noch auf das richtige Wetter an, und die meteorologischen Anforderungen waren hoch: Die Fallschirmjäger brauchten für ihren nächtlichen Absprung Mondlicht, während die Landungstruppen in der Morgendämmerung bei Ebbe mit auflaufendem Wasser angreifen würden. Am 18. Mai besprach General Eisenhower, der Befehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, mit seinen Beratern die Lage. Zwischen dem 5. und 7. Juni sowie dem 12. und 14. Juni herrschten günstige Mond- und Gezeitenverhältnisse. Eisenhower legte daraufhin den Tag der Invasion auf den 5. Juni 1944 fest. Bereits am 2. Juni 1944 liefen die ersten alliierten Konvois in Richtung Normandie aus. Als zwei Tage später plötzlich das Wetter umschlug, starker Sturm und Regen einsetzte, wurde die ganze Operation abrupt gestoppt, die Schiffe zurückbeordert. Die alliierten Generäle wussten, dass die Landung nur bei ausreichend gutem Wetter gelingen konnte. Chefmeteorologe Group Captain Stagg teilte Eisenhower und seinen Stabschefs am frühen Morgen des 5. Juni mit, dass am Folgetag kurzfristig mit einer Wetterbesserung zu rechnen sei. Daraufhin gab Eisenhower um 3.30 Uhr den endgültigen Angriffsbefehl. Am Morgen des 6. Juni 1944 würden gegen 6.30 Uhr britischer Zeit die amerikanischen und eine Stunde später die britischen Truppen ihren Fuß auf französischen Boden setzen.
Der von der britisch-amerikanischen Kriegführung für die Westinvasion gegen den europäischen Kontinent festgesetzte Termin rückt näher. Ohne uns unter die Propheten mischen zu wollen, sind auch wir der Meinung, dass eine solche Aktion das allgemeine Bild des Krieges in verhältnismäßig kurzer Zeit total verändern könnte ... weil damit zum ersten Mal wieder der Westen aktiv in den Kriegsverlauf eintreten würde. Niemand kann voraussagen, mit welchem Erfolg dies geschehen wird. Joseph Goebbels im Februar 1944 in der Wochenzeitung »Das Reich«
Auf der anderen Seite des Kanals waren sich die deutschen Stäbe darin einig, dass in den kommenden Tagen keine Landung zu befürchten sei. Man hatte die Invasion für den Mai 1944 erwartet – so wie es ursprünglich von den Alliierten auch geplant gewesen war. Bei dem anhaltend schlechten Wetter glaubte man indes, nichts befürchten zu müssen – die kurze Wetterbesserung wurde von den deutschen Meteorologen zwar vorausgesehen, von den höchsten Stäben aber nicht weiter beachtet. So nahm denn das Unheil seinen Lauf. Die deutschen Vorpostenboote liefen in der Nacht zum 6. Juni 1944 wegen des hohen Seegangs nicht aus und Generaloberst Friedrich Dollmann, der Oberbefehlshaber der 7. Armee, hatte für den 6. Juni eine Planübung in seinem Hauptquartier in Rennes angesetzt, zu der alle Divisionskommandeure beordert worden waren. Nicht ahnend, dass sich eine gewaltige feindliche Armada auf seine Streitkräfte zubewegte, wollte er mit seinen Generälen durchsprechen, welche Maßnahmen bei einer feindlichen Luftlandung in der Bretagne zu ergreifen wären. In den entscheidenden Stunden waren die Divisionen im Landeraum also ohne ihre Kommandeure. Selbst Rommel hatte die Schlechtwetterfront ausgenutzt, um einen Kurzurlaub bei seiner Frau in Herrlingen zu machen. Sie hatte am 6. Juni Geburtstag und er wollte den Tag gerne mit ihr verbringen. Es ist schon fast eine geschichtsphilosophische Frage, ob die Abwesenheit so vieler Entscheidungsträger den Lauf der Ereignisse mitbestimmt hat. Sicher ist jedenfalls, dass die Stabschefs in den Hauptquartieren zurückgeblieben waren und die Truppen auch ohne ihre Befehlshaber kämpfen konnten.
Meinem Vater war es äußerst unangenehm, dass er nicht im Hauptquartier war. Er hat dann über die Marine geschimpft und gesagt, diese hätte ihm versichert, der Seegang sei so hoch, dass die Alliierten gar nicht kommen könnten. Wie sich dann herausstellte, sind aus diesem Grunde sogar die deutschen Vorpostenschiffe zurückgezogen worden, sodass das Heer die Invasionsflotte als Erstes bemerkte. Manfred Rommel, Sohn Erwin Rommels