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Dschihad – Heiliger Krieg. Seit dem 11. September 2001 ist dieser Begriff gleichbedeutend mit islamischem Terror und mit der Angst des Westens. Aus Anlass des zehnten Jahrestages von 9/11 dokumentieren Guido Knopp, Stefan Brauburger und Peter Arens, dass der Heilige Krieg keineswegs auf den Islam beschränkt ist. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass die blutigsten Kriege im Namen Gottes von und zwischen christlichen Konfessionen geführt wurden.
Durch die Jahrhunderte – von der Ausbreitung der muslimischen Religion, den Kreuzzügen, der Expansion des osmanischen Reiches, dem von Deutschen angezettelten Dschihad für den Kaiser während des Ersten Weltkriegs bis zu Osama Bin Laden – wird deutlich, wie religiöse Gefühle in Islam und Christentum für politische Zwecke mobilisiert und missbraucht wurden und welchen Einfluss dies auf das Verhältnis der Religionen und Kulturen bis heute ausübt.
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Seitenzahl: 387
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© 2011 by C. Bertelsmann Verlag, München,einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Bildredaktion: Dietlinde Orendi Kartografie: Peter Palm, Berlin Satz, Layout und Repro: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-05648-3V002
www.cbertelsmann.de
Nach dem 11. September 2001 gewann der Begriff »Heiliger Krieg« wie der beklemmende Aktualität. Die Bilder von dem verheerenden Anschlag auf die New Yorker Twin Towers, der fast 3000 Menschenleben forderte, sind von frappierender Symbolkraft. Die von islamistischen Terroristen zu fliegenden Bomben umfunktionierten Flugzeuge erscheinen wie gewaltige Projektile, die in das Herz der westlichen Hemisphäre dringen – so war es von den Urhebern des Anschlags beabsichtigt, so wurde der zerstörerische Akt inszeniert. Die Attentäter und Drahtzieher des Terrornetzwerks Al-Qaida sehen sich als Kämpfer einer »Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen Juden und Kreuzzügler«, seither symbolisiert kein anderer Begriff die Angst des Westens vor der islamischen Welt mehr als das oft missverstandene und missbrauchte Wort »Dschihad«.
Dabei haben hochrangige Islamgelehrte stets darauf hingewiesen, dass der Dschihad keineswegs Synonym für den »Heiligen Krieg« sei, er dulde auch keinen Mord an Unschuldigen und schon gar keinen Terror. Der Begriff, der auf Koransuren zurückgeht, bedeute zunächst »Bemühung, Anstrengung, Streben« im Glauben. Die Tradition unterscheidet den »Großen« Dschihad, das individuelle Mühen des Gläubigen um Gottgefälligkeit, vom »Kleinen«, der gemeinsamen Anstrengung zur Verbreitung des Glaubens und zu seiner Verteidigung gegen Feinde und Ungläubige. Doch die Frage, ob theologische Begriffe schriftgetreu ausgelegt werden, deutet nur auf eine Facette des Problems. Tatsache ist, dass gesellschaftliche, kulturelle und machtpolitische Konflikte immer wieder mit religiösen Formeln aufgeladen wurden – und werden – und dass selbst ernannte »Gotteskrieger« fanatische Gefühle stimulieren, die zu Krieg und Terror führen können. Militante Islamisten stellen den bewaffneten »Heiligen Kampf« gegen Ungläubige als zentralen religiösen Auftrag dar. Sie verdrängen dabei, dass Islam nicht nur »Hingabe zu Gott« bedeutet, sondern auch das Streben zum Frieden. Während die hoch angesehene Al-Azhar-Universität in Kairo in einem religiösen Rechtsgutachten das Camp-David-Abkommen mit dem Gegner Israel im Jahr 1979 für »zulässig« erklärte, wurde der starke Mann im Gottesstaat Iran, Ajatollah Khomeini, nicht müde, zum Dschihad gegen den jüdischen Staat aufzurufen. Militante Islamisten wollen ihren »Heiligen Krieg« weltweit führen.
Gibt es ein Äquivalent im Westen? Sicher kein aktuell vergleichbares. Doch eine Reaktion nach dem Anschlag vom 11. September war in diesem Zusammenhang bezeichnend. Der Präsident der vom Terror getroffenen Supermacht, George W. Bush, sprach, noch ganz unter dem Eindruck der Katastrophe – offenbar unbedacht –, von einem »Kreuzzug«, den es gegen den Terrorismus zu führen gelte. Diese Metapher wurde von Medien weltweit aufgegriffen und gerade von radikalen Islamisten als Bestätigung gesehen, worum es dem Westen eigentlich gehe: um die Unterjochung von Muslimen. Bush rief damit ungewollt Erinnerungen an die »Heiligen Kriege« der Christenheit wach und verlieh dem Konflikt folglich auch aus westlicher Warte eine pseudoreligiöse Anmutung. So ist der Begriff »Kreuzzügler« im islamischen Raum auch heute noch die historische Chiffre für westliche Aggression, Unterwanderung und Besatzung und weckt ähnlich negative Assoziationen wie das Wort »Dschihad« im Westen.
In ihrer fast 1400-jährigen Beziehung wurden bei Christen und Muslimen wiederholt religiöse Gefühle instrumentalisiert und missbraucht. Die Bereitschaft, aggressiv zu sein, war dabei wechselseitig. Gleichsam einer Pendelbewegung vergrößerte mal die eine, mal die andere Seite ihren Machtbereich auf Kosten des Antagonisten: ob bei der frühen Ausbreitung des Islam, zur Zeit der christlichen Kreuzzüge ins »Heilige Land«, bei dessen Rückeroberung durch die Muslime, in den Jahrzehnten der osmanischen Expansion der Frühen Neuzeit oder in der Epoche des Kolonialismus und der Weltkriege.
Weiterhin war und ist zudem von angeblichen »Heiligen Kriegen« oder »Kreuzzügen« die Rede: nach der Gründung des Staates Israel, im noch immer schwelenden Nahostkonflikt, bei den verheerenden Terroranschlägen in New York, den sogenannten Antiterrorkriegen gegen Afghanistan, den Irak und Al-Qaida
Dieses Buch entstand im Kontext der ZDF-Dokumentarreihe »Der Heilige Krieg«, die das wechselseitige Phänomen spiegelt. Warum führten Mächte beider Hemisphären immer wieder Glaubenskriege gegeneinander – obwohl ihre Offenbarungsreligionen den Frieden preisen? Welche historischen Konfliktmomente erfuhren eine religiöse Aufladung – warum und durch wen? Und sind die Schnittmengen beider Interessensphären nicht weitaus größer, als manche historischen Klischees vermuten lassen?
Seit Monaten befindet sich die arabische Welt im Umbruch. Es gibt begründete Hoffnungen auf eine Demokratisierung und neue Impulse zur Lösung des Nahostkonflikts, aber auch Sorgen: Wie viel Nähe oder Ferne zum Westen steckt in den Befreiungsbewegungen, inwiefern könnten islamistische Gruppen an Einfluss gewinnen, wird sich die junge »Arabellion« als resistent gegen fundamentalistische Einflüsse erweisen, wie wirkt sie sich auf die Sicherheitsarchitektur des Nahen Osten aus?
Immer wieder ragt die Geschichte in die Gegenwart. In fünf Kapiteln soll dieses Buch reflektieren, wie über die Jahrhunderte auf beiden Seiten der Glaube für politische Zwecke instrumentalisiert wurde, wie dabei Denkmuster entstanden, die heute noch wirksam sind. Dabei soll es nicht nur um die Frage gehen, was trennte, sondern auch davon die Rede sein, was einte und welche Gemeinsamkeiten es im Kampf gegen jede Form von religiösem Extremismus heute gibt.
Oft schon sah sich die muslimische Welt pauschal dem Vorwurf ausgesetzt, die Ausbreitung ihrer Religion sei von Anfang an eine Geschichte der Gewalt gewesen. Verdankt der Islam seine rasante Verbreitung tatsächlich nur dem militärischen Erfolg seiner Glaubenskrieger? Historiker verweisen auf eine Vielzahl begünstigender Umstände, die der Mission des Propheten und seiner Nachfolger in die Hände spielte – auch jenseits von Waffengewalt, denn mit dem neuen Glauben ging auch eine neue Ordnung der Gesellschaft einher und ein für damalige Verhältnisse fortschrittliches Rechtssystem. Mohammed rief den Dschihad im 7. Jahrhundert aus, um den jungen islamischen Staat auf der Arabischen Halbinsel gegen die heidnischen Beduinen zu festigen. Nach Mohammeds Tod diente der geheiligte Kampf zur Expansion und zur Verbreitung des Islam, der wie das Christentum den Anspruch auf universale Geltung verfocht. Muslimische Krieger setzten im Jahr 711 von Marokko nach Spanien über. In nur zwei Generationen entstand ein Reich, das sich von Innerasien bis an die Pyrenäen erstreckte.
Der weitere Vorstoß nach Norden wurde schließlich von dem Franken Karl Martell in der Schlacht bei Tours und Poitiers (732) gestoppt. Die Kampfhandlungen wurden später zu einem welthistorischen Schlagabtausch von Islam und Christentum stilisiert. Die Zeitgenossen empfanden den Konflikt weit weniger dramatisch, schon gar nicht als Machtkampf zweier Religionen. Tatsächlich bildeten Herrscher beider Glaubensrichtungen immer wieder Koalitionen, wenn es opportun erschien, etwa Karl der Große (der Enkel Karl Martells) mit dem Kalifen von Bagdad Harun ar-Raschid. Wo der Glaube nicht als unüberwindlicher Gegensatz empfunden wurde, blühte auch der kulturelle Austausch.
Der Begriff »Kreuzzug« hat in der islamischen Welt einen ähnlich negativen Klang wie das Wort »Dschihad« in der westlichen. Vierhundert Jahre nach der muslimischen Expansion in der Nachfolge Mohammeds holte das christliche Europa zum Gegenschlag aus. »Gott will es«, lautete die Losung der Palästinafahrer, die sich in Westeuropa sammelten. Die Befreiung des »Heiligen Landes« aus muslimischer Hand galt als Weg zum Erlass von Sündenstrafen. Am Ende der ersten – vom Papst persönlich – sakralisierten Heerfahrt stand die Eroberung Jerusalems (1099). Bei der Erstürmung der Stadt richteten christliche Ritter ein Massaker an, das unvergessen blieb. In einer Rückbesinnung auf den »Dschihad« bündelten muslimische Herrscher nach und nach ihre Kräfte, um die verlorenen Territorien wieder zurückzugewinnen. Das hinderte beide Seiten nicht daran, zwischenzeitlich auch Allianzen einzugehen. Manche christliche Europäer empfanden Bewunderung für die islamische Zivilisation. Zur legendären Figur wurde Sultan Saladin, der zum »Dschihad« gegen die »Franken« aufrief und Jerusalem 1187 für die Muslime zurückeroberte. Anders als die christlichen Ritter verschonte er dabei die Zivilbevölkerung. Auch der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. suchte die Verständigung, der Staufer erwirkte 1229 ohne einen Schwerthieb die Rückgabe Jerusalems an die Christen – durch geschicktes Verhandeln. Die Muslime durften ihre heiligen Stätten weiter ungehindert besuchen, ein historisch einmaliger Vorgang in den Beziehungen zwischen Orient und Okzident.
Die Angst, von den Osmanen unterjocht zu werden, gehörte zu den Traumata des frühneuzeitlichen Europa. Ihre Kriegführung war begleitet von verheerenden Zerstörungen und Plünderungen. Doch wurde die »Türkenfurcht« auch propagandistisch überhöht. Die Kirche bezeichnete die Osmanen als »Erbfeinde der Christenheit« und »Inkarnation des Teufels«, so große Ängste hatte der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der Osmanen bis nach Mitteleuropa wachgerufen.
Mit der Eroberung Konstantinopels 1453 war das Byzantinische Reich endgültig erloschen. Im Kampf um Ungarn geriet der Herrschaftsanspruch Süleymans I. (»des Prächtigen«) in direkte Konfrontation mit dem Reich der Habsburger. 1529 standen die Türken zum ersten Mal vor Wien, konnten die Stadt jedoch nicht erobern. Die Päpste des 16. und 17. Jahrhunderts verfassten Kreuzzugsaufrufe. Eine »Heilige Liga« sollte den Kampf gegen die »Ungläubigen« aufnehmen. 1683 starteten die Osmanen einen erneuten Versuch, nach Mitteleuropa vorzustoßen und Wien zu erobern. Dabei wurden wieder Dschihad-Parolen laut, auch wenn es nach erfolglosen Beutezügen vor allem um militärische Mobilisierung ging. Um die Türken zu stoppen, verbündeten sich auch ansonsten heillos zerstrittene christliche Mächte. Das katholische Frankreich, das eine Übermacht der Habsburger fürchtete, paktierte hingegen mit den Türken. Nach der Niederlage vor Wien wurden die Osmanen tief in den Balkan zurückgedrängt. Obwohl ihr Reich in den folgenden Jahrhunderten seine Weltmachtstellung verlor, blieb das bedrohliche Bild erhalten. Gleichzeitig aber hatte die türkische Präsenz auf europäischem Boden für einen fruchtbaren kulturellen Austausch gesorgt. Gehört die Türkei zu Europa? Die heute mit großer Leidenschaft geführte Diskussion berührt tiefgreifende Identitätsfragen und weckt dabei Erinnerungen an Jahrhunderte wechselvoller Erfahrungen.
Während des Ersten Weltkriegs zeigten sich einmal mehr die Willkür und die Arroganz der Kolonialmächte Europas im islamischen Raum. Vor allem Briten und Deutsche spielten die Konflikte zwischen Arabern und Osmanen gegeneinander aus, um sie für eigene Kriegsziele zu instrumentalisieren. Der Archäologe und Geheimagent Thomas Edward Lawrence forcierte in britischem Auftrag den Aufstand der Araber gegen das mit Deutschland verbündete Osmanische Reich. Anderthalb Jahre dauerte sein Guerilla-Feldzug zur Vertreibung der Türken. Sein Gegner und Pendant auf deutscher Seite war ein nicht weniger schillernder Zeitgenosse, ein Sprössling des Kölner Bankhauses Sal. Oppenheim. Max von Oppenheim sollte die Osmanen im Auftrag des deutschen Kaisers zu einem »Heiligen Krieg« der Muslime gegen die Feinde Deutschlands anstacheln, gegen Frankreich, England und Russland. Im November 1914 verkündete der türkische Sultan tatsächlich den »Dschihad« gegen die Westmächte. Mit deutschen Waffen wurden militärische Operationen durchgeführt, Putsche initiiert, Attentate und Sprengstoffanschläge verübt. Doch gingen die Berliner Dschihad-Pläne nicht auf. Die arabischen Muslime folgten nicht Max von Oppenheim, sondern dem charismatischen Lawrence von Arabien. Der aber sah sich am Ende selbst getäuscht, da die Versprechungen, die er den Arabern im britischen Namen gemacht hatte, vom Empire nicht eingelöst wurden. Die nach dem Krieg von den Siegermächten im Nahen Osten vorgenommene Grenzziehung hatte weitreichende Folgen und schuf Grundlagen für den noch heute andauernden Nahostkonflikt.
Juni 2001: Per Videoband kündigte der selbst ernannte Gotteskrieger Osama bin Laden den Terrorakt an: »Mit einfachen Mitteln und mit unserem Glauben können wir die größte Militärmacht der modernen Zeit besiegen.« Wenige Monate später schlugen seine Gefolgsleute zu. Die Bilder des 11. September 2001 gingen um die Welt, der beispiellose Anschlag veränderte das internationale politische Gefüge. Eine tiefe Kluft zwischen der westlichen und der muslimischen Hemisphäre schien sich aufzutun. Doch sahen maßgebliche islamische Rechtsgelehrte in Bin Ladens Aufruf zum »Heiligen Krieg« eine Anmaßung. Nie zuvor brandmarkten so viele moderate Stimmen aus muslimischen Ländern den willkürlichen Missbrauch des »Dschihad« und verurteilten das beispiellose Verbrechen. Doch bei militanten Islamisten, den Taliban und anderen Terrorgruppen des Nahen Ostens fand Al-Qaida Unterstützung.
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es fundamentalistische muslimische Strömungen, die für die offenkundige ökonomische und politische Rückständigkeit der islamischen Welt vor allem einen Grund sahen: Fremdbestimmung, moralische Unterwanderung und Okkupation durch den Westen. So beschworen etwa die »Muslimbrüder« in Ägypten den »Dschihad« gegen alle äußeren und inneren Mächte, die zu dem angeblichen Verfall beitrugen. Seit der Staatsgründung 1948 galt Israel als Stachel im Fleisch der islamischen Welt. Die Eroberung der Altstadt von Jerusalem im Sechstagekrieg 1967 verschaffte dem jüdischen Staat auch die Kontrolle über heilige Stätten des Islam – aus muslimischer Sicht kann dies als Grund für einen »Dschihad« in Permanenz gelten, bis die Heiligtümer zurückgewonnen sind. Nach dem ersten Golfkrieg 1991 blieben US-Truppen in Saudi-Arabien stationiert. Für radikale Islamisten wie Osama bin Laden wurde diese Präsenz zu einem Stein des Anstoßes – sein Hass richtete sich fortan vor allem gegen Amerika. Die Anwesenheit von US-Truppen auf »heiligem Boden« nahm er als Vorwand für eine Serie blutiger Anschläge, die am 11. September ihren zerstörerischen Höhepunkt erreichten. Der Urheber wurde zehn Jahre danach getötet. Inwiefern sich Al-Qaida wirklich als eine Hydra erweist, bei der neue Köpfe nachwachsen, wenn man den einen abschlägt, ist derzeit noch Spekulation.
Wofür aber steht der 11. September 2001 – war es nur die Tat einiger Extremisten, die sich damit auch in der muslimischen Welt völlig isolierten? Oder handelt es sich um die Zuspitzung eines latent schwelenden Konflikts zweier Hemisphären?
Mitte der 1990er-Jahre hat ein Buch von sich reden gemacht: Clash of Civilizations von Samuel Huntington. Der Autor prophezeite den »Kampf der Kulturen«, den unausweichlichen Konflikt zwischen dem Islam und dem Westen, zwischen Morgenland und Abendland. Nachdem sich der Kommunismus als »Reich des Bösen« verabschiedet hatte, sahen er und andere besonders besorgte Skeptiker die Gefahr, dass nun fundamentalistische Muslime zum Sturm auf die Bastionen des Wohlstands, der Freiheit und der Demokratie ansetzen. Manche islamistischen Scharfmacher geben solchen Annahmen durchaus Nahrung: Al-Qaida-Führer behaupten, die ganze Welt habe sich gegen sie verschworen, also sei die ganze Welt, vor allem die westliche, auch ihr Schlachtfeld.
Nicht wenige Menschen halten daran fest, dass der »Clash« unausweichlich sei, und sie beziehen sich dabei auf tatsächliche oder vermeintliche Erfahrungen aus der Geschichte. Andere Beobachter siedeln den Konflikt eher innerhalb der islamischen Welt an. Der Kampf radikaler Islamisten gegen westliche Okkupation und Bevormundung, gegen den Einfluss fremden Denkens und den Verfall des Glaubens, werde vor allem auf eigenem Boden ausgefochten. Dazu zählt auch die Rückgewinnung »muslimischen Landes« aus den Händen säkularer, korrupter und vom Westen gestützter Regime. Es sei ein Ringen um die Seele des Islam selbst. Ein Kampf, der in Afghanistan, im Irak, in Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan gewonnen oder verloren werde. So fordert der angebliche »Heilige Krieg« von Al-Qaida und anderen »Dschihadisten« in den vergangenen Jahren vor allem Opfer unter Glaubensbrüdern. Männer, Frauen und Kinder, die auf Märkten und anderen öffentlichen Plätzen von den Bomben der Selbstmordattentäter zerrissen wurden. US-Präsident Barack Obama betonte nach der Tötung des »Staatsfeindes Nr. 1« der USA im pakistanischen Abbottabad nicht ohne Grund, dass Bin Laden »kein muslimischer Führer« gewesen sei, sondern ein »Massenmörder von Muslimen«.
So gibt es nur wenige Anzeichen für einen Krieg der Welten. Die Brandherde – vom Bombenterror im Palästinakonflikt über die Anschläge in Afghanistan, im Irak und in Pakistan bis zu den Drohungen Irans an Israel und die Al-Qaida-Aktivitäten in Europa – haben keinen gemeinsamen Ursprung. Die heutige Lage ist vielschichtig und unübersichtlich. In über vierzig Staaten der Erde stellen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung; in etwa der Hälfte von ihnen gilt der Islam, die »Hingabe an Gott«, als Staatsreligion. Zu den islamisch geprägten Ländern zählen einige der reichsten der Welt und einige der ärmsten. Die überwältigende Mehrheit lebt mit den strengen Regeln ihrer Religion und mit ihren Nachbarn in Frieden. Die Neigung, den Islam zu politisieren oder kriegerisch zu propagieren, hängt wesentlich vom herrschenden Regime ab und vom Nährboden für terroristische Strömungen.
Doch stehen die Zeichen nicht längst auf Entspannung? Der »arabische Frühling« markiert eine Zäsur. Eine große internationale Öffentlichkeit nimmt Anteil an dem bewegenden Geschehen. Die Freiheitsbestrebungen zielen auf demokratische Selbstbestimmung und die Verwirklichung von Menschenrechten. Nachdem einige westliche Regierungen manche arabische Despoten allzu lange hofierten, hoffen die unterdrückten Völker nun auf Unterstützung aus dem Westen. Darin liegt eine historische Chance.
Barack Obama hat der islamischen Welt kurz nach seinem Amtsantritt die Hand gereicht und dafür Zuspruch gefunden. In einer weiteren Grundsatzrede im Mai 2011 sprach er auch im Sinne der europäischen Partner, als er zusicherte, für die »universellen Menschenrechte« und den demokratischen Prozess in der Region einzutreten und, wo der Umbruch stattfindet, wie in Ägypten oder Tunesien, umfassende Aufbauhilfe zu gewähren.
Es ist der Moment, den »Dialog der Kulturen« zu intensivieren, das Erbe der Vergangenheit gemeinsam zu reflektieren. Eine solche Kommunikation braucht zuallererst die Bereitschaft, etwas erfahren zu wollen über den anderen. Er bedeutet, neugierig auf das andere sein, sich austauschen über das Gemeinsame und das Verschiedene. Ohne Wissen umeinander kein Verständnis füreinander.
Gegner interkultureller Dialoge gibt es in jeder Gesellschaft. Viel spricht dafür, dass mitunter Gegensätze hervorgehoben werden, die von den Mehrheiten der Völker gar nicht als solche empfunden werden. Die Globalisierung mit ihren immer neuen technischen Durchbrüchen und der verstärkenden Rolle der Medien hat zur Folge, dass die verschiedenen Kulturen schneller und intensiver aufeinander einwirken als jemals zuvor in der Geschichte. Daraus ergeben sich neue Perspektiven: Die Freiheit des Informationsaustauschs macht es möglich, sich gegenseitig zu bereichern. Die jungen Kräfte der »Arabellion« nehmen daran bereits teil. Mit der Perspektive, Bürger einer interkulturellen Zivilgesellschaft zu sein, sollte der Westen jene Kräfte unterstützen, welche für Demokratie, aber auch für Frieden im Nahen Osten eintreten.
Und was bedeutet ein solcher Dialog innenpolitisch? Über die Frage, in welcher Hinsicht der Islam zu Deutschland gehört, kann man sicher historisch debattieren, vor allem aber ist damit eine aktuelle Herausforderung gemeint: Wie viel Einvernehmen gibt es mit Millionen von islamischen Mitbürgern im Bemühen um Freiheit, Toleranz, Pluralismus, Demokratie und Frieden? Gemeinsam gilt es sicherzustellen, dass sich religiöse Normen nicht über Prinzipien der freiheitlichen Verfassung erheben. Dazu zählt auch der Konsens darüber, dass sogenannte »Heilige Kriege«, von wem auch immer sie propagiert oder geführt wurden oder werden, nie heilig waren oder sind und dass sie einer vergangenen Zeit angehören.
Herzlicher Dank gebührt den Autoren und Rechercheuren der Filmreihe, den Mitarbeitern der Buchbeiträge sowie den wissenschaftlichen Fachberatern, die das gesamte Projekt von Anfang an begleiteten und ihre Kenntnisse auch bei der Erstellung und Durchsicht der Manuskripte einbrachten, vor allem den Professoren Nikolas Jaspert, Tilman Nagel, Christoph K. Neumann sowie Dr. Salvador Oberaus und Dr. Guido Steinberg. Es ist unser gemeinsames Anliegen, die Ergebnisse langjähriger Forschung und journalistischer Reflexion einem möglichst großen Publikum verständlich zu vermitteln.