Queen of Blood and Night - Yvonne Westphal - E-Book

Queen of Blood and Night E-Book

Yvonne Westphal

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT!  Unsere Liebe wurde aus der Nacht geboren und in Blut geschrieben. Doch einer von uns wird sie nicht überleben. Für alle Leser:innen von Tracy Wolff und Marie Niehoff Alyssa Ferrara hat es satt, nach den Regeln ihres patriarchischen Vaters zu leben. Obwohl das Erbe ihrer Familie auf ihr lastet, kämpft sie gegen die alte Ordnung. Als sie auch noch den geheimnisvollen Lincoln kennenlernt, gerät sie in einen Sog aus Machtkämpfen und Verlangen. Je mehr Wahrheiten sie dabei enthüllt, desto tödlicher werden uralte Intrigen, die schon bald Blut fordern. Die Frage ist nur, wessen Blut? Lincoln Gabriel lebt für die Nacht. Nur in der Finsternis kann er vergessen, dass seine Familie am Abgrund steht. Bis er auf die atemberaubende Alyssa trifft, mit der er sich lebendiger fühlt denn je. Als die Straßen von Portland in Blut ertrinken, werden Familienbande enthüllt, die die beiden zu erbitterten Feinden in einem Kampf zwischen Lebenden und Toten machen. Und nur einer von beiden kann ihre Liebe überleben … Auftakt der prickelnden New Adult Vampir Romance – verführerisch, verboten, gefährlich  

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Dieser Roman beinhaltet potentiell triggernde Inhalte. Eine Aufzählung folgt am Ende des Romans.

© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Cornelia Franke

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Triggerwarnung

Playlist

Motto

1 Schlafen ist was für Tote

Alyssa

2 Zwischen Himmel und Hölle liegt nur das Leben

Lincoln

3 Die morbide Faszination

Alyssa

4 Vorsicht, bissig!

Lincoln

5 Sehe ich aus wie ein verdammtes Törtchen?

Alyssa

6 Kein Grund, gleich den Kopf zu verlieren

Lincoln

7 Biss im Morgengrauen

Alyssa

8 Date mit dir oder mit mir?

Lincoln

9 ›Gut‹ liegt nicht im Auge des Betrachters

Alyssa

10 Was ist höllisch sexy und beißt sich an dir fest?

Alyssa

11 Nur weil du von den Toten auferstanden bist, bist du nicht gleich tot

Lincoln

12 Geschüttelt, nicht vom Donner gerührt

Lincoln

13 Wut beschreibt meinen Zustand nicht annähernd

Alyssa

14 Du siehst aus, als könnte ich einen Drink vertragen

Alyssa

15 Gehen eine Prinzessin und ein Bettler in eine Bar

Lincoln

16 Mordlust ist auch eine Lust

Alyssa

17 Und du dachtest, ich wäre der Böse?

Lincoln

18 Wenn du kein Mensch bist, was bist du dann?

Alyssa

19 Ein Fehler kommt selten allein

Alyssa

20 Vampire, die bellen, beißen auch

Alyssa

21 Brennt die Sonne so oder ist das meine Seele?

Lincoln

22 Nenn deinen Blutrausch, wie du willst

Alyssa

23 Ein Band aus goldenem Licht und nachtschwarzem Abgrund

Lincoln

24 Wer nur glaubt, was er sehen und anfassen kann, glaubt an die falschen Propheten

Alyssa

25 Der Geschmack von Schokolade

Lincoln

26 Wie man einen König Schachmatt setzt

Alyssa

27 Da bekommt der Begriff Schwiegermonster eine völlig neue Bedeutung

Lincoln

28 Wenn Vampire zum Tanz laden, hast du besser Feuer im Blut

Lincoln

29 Es heißt nicht umsonst Blutrausch

Alyssa

30 Romeo und Julia sind ein Scheiß gegen diese Tragödie

Lincoln

31 Bauernopfer im Königsspiel

Alyssa

32 Ein Missgeschick der Natur

Lincoln

33 Eine Ausgeburt der Gewalt

Alyssa

34 Eine Gräueltat aus Hass und Blut

Lincoln

35 Von Gottkomplexen und Mutterinstinkten

Lincoln

36 Die Königin von Blut und Nacht

Alyssa

37 Tote aufwecken

Lincoln

38 Jäger und Gejagte

Alyssa

39 Nur kurz jemanden ermorden

Lincoln

40 Wo gebissen wird, da rollen Köpfe

Alyssa

41 Aus der Nacht geboren und in Blut geschrieben

Alyssa

Danksagung

Triggerwarnungen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für alle, die mit Liebe und Geduld in den Schatten Wunder vollbringen,selbst wenn niemand hinsieht. Ihr seid wertvoll.

Für Cornelia, Alex und Paula,die dieser Geschichte aus Liebe das Herz herausgerissen haben,

und für Nadja, Melli und Aileen,die es mit Mut und Geduld wieder zusammengesetzt haben.

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Elemente und Beschreibungen. Dazu gehören unter anderem Alkoholkonsum, physische und psychische Gewalt, Folter sowie Tod nahestehender Personen. Zu deiner Sicherheit findest du eine Auflistung potenziell triggernder Kapitel am Ende des Buchs. Wir wünschen uns für dich das beste Leseerlebnis.

Deine Yvonne

und das PIPER Verlagsteam

Playlist

Foreigner – LEDGER

Just One Yesterday (feat. Foxes) – Fall Out Boy

It Won’t Kill Ya (feat. Louane) – The Chainsmokers

Total Eclipse of the Heart – Bonnie Tyler

Sweet Dreams – Marilyn Manson

Carnival of Rust – Poets of the Fall

Angels Fall – Breaking Benjamin

Call Me – Shinedown

Careless Whisper – Seether

https://spoti.fi/3T7wBWc

Geboren aus der Nacht und geschrieben in Blut

führt uns die Erlösung aus der Dunkelheit.

– VD 1, Heilige Schrift des Propheten

1 Schlafen ist was für Tote

Alyssa

Die Oktobernacht ist eisig und schmeckt nach Blut und Tod.

Letzteres könnte daran liegen, dass wir uns gegen schäbiges Mauerwerk drücken wie gesuchte Verbrecher. Was wir gewissermaßen sind, selbst wenn mein einziges Verbrechen daraus besteht, die Regeln ein wenig zu dehnen, um Beweise für meine Theorie zu sammeln. Und ein bisschen Spaß zu haben. Die Nacht ist schließlich noch jung.

Ich hülle mich tiefer in die Kapuze meines schwarzen Capes und konzentriere mich auf mein inneres Zentrum, wie immer, wenn ich die Außenwelt ausblenden will – oder muss. Eigentlich ist Portland eine schöne Stadt. Atemberaubende Wälder ringsum, sanfte Regentage und saubere Luft – zumindest, wenn man nicht durch eine stinkende Gasse schleicht.

Die Gedanken meiner besten Freundin sind indes ein einziges wirbelndes Chaos. Als wir unser Ziel erreichen, dringt ihre rastlose Hitze bis zu mir, während sie ungeduldig auf den Fußballen wippt.

»Heilige Güte, ich verdurste! Wie lange dauert das noch? Und warum noch mal nehmen wir den Hintereingang? Ich hoffe so was von, dass die Drinks es wert sind. Ich kann’s kaum erwarten, mir den Ersten zu genehmigen.«

»Lucy«, zische ich, halb belustigt, halb besorgt. »Lass es mich nicht bereuen, dich mitgenommen zu haben.«

Kichernd wirbelt sie zu mir herum, wobei ihre Kapuze leicht verrutscht und ihre roten Locken hervorblitzen. »Ach, Süße, ich mach nur Spaß. Du weißt doch, ich würde dir bis in den Tod folgen. Und wenn der Laden wirklich so gute Drinks hat, mache ich es sogar gern. Ich sterbe vor Durst.«

Ich will den Kopf über meine unverbesserliche Freundin schütteln, aber ich muss gleichzeitig mein schlechtes Gewissen unterdrücken. Denn die Wahrheit ist: Wir stehen am Hintereingang, weil ich nicht hier sein dürfte.

»Denk daran, was ich dir gesagt habe: Wir sehen uns nur um. Wenn mich jemand erkennt, machst du dich aus dem Staub, okay? Ich will nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst.«

Lucy streicht mir eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Kapuze gelöst hat, und umarmt mich fest. Ihre Hitze bringt mich fast um. »Mach dir um mich keine Sorgen, Alyssa. Ich werde eine Menge Spaß haben – und wenn du meinen Rat willst, solltest du dir den auch gönnen, bevor sie dich wieder einfangen … Spürst du eigentlich schon was?«

Unwillkürlich versteife ich mich in unserer Umarmung. Sie spricht vom Blutrausch, der die vollen Kräfte von Jungvampiren entfesselt und sie nach der anschließenden Blutweihe zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft macht. Denn ja, das sind wir: Vampire.

Aber nein, leider spüre ich rein gar nichts.

»Kein unbändiger Durst oder Hitzewallungen?«, fragt sie nach. »Vielleicht ist es bei dir auch anders? Immerhin musste sich dein Organismus nicht erst umstellen. Vielleicht nimmst du es subtiler wahr. Wie ein Kribbeln?«

Oder vielleicht werde ich nie einen Blutrausch haben, denke ich bei mir. Aber ich spreche es nicht aus. Sogar Lucy hat ihn schon seit ein paar Tagen und wird ihn in spätestens zwei Wochen überstanden haben, und sie ist halb so alt wie ich.

Es ist grausam, die einzige Anomalie unter Anomalien zu sein.

Bevor ich weiter darüber nachgrübeln kann, wird die Tür ruckartig nach außen geöffnet, sodass ich Lucy zurückreiße und instinktiv meine Fangzähne ausfahre. Schlagartig bebt die Luft vor Basswellen, die vom unteren Ende der schmalen Treppe heraufpulsieren wie Blut aus einer geöffneten Schlagader.

Doch es ist bloß einer der Türsteher auf dem Weg zu seiner Raucherpause. Dieser hier ist ein hochgewachsener Mann in einem einigermaßen gut sitzenden Anzug, mit schwarzem Pferdeschwanz und akkurat getrimmtem Bart. Er ist kein Vampir. Ich spüre seinen Herzschlag und höre seine Gedanken, als wären es meine eignen.

Es sind obszöne Gedanken, die noch obszöner werden, als er unsere ewig jungen Züge mustert.

»Müsstet ihr nicht längst schlafen, ihr zwei Hübschen? Es ist schon nach Mitternacht.«

Ich höre Lucys amüsierte Reaktion bis hierher: Er hält uns für jünger als einundzwanzig? Vielleicht sollten wir ihm verraten, wie alt wir wirklich sind, Aly.

Bevor Lucy etwas erwidern kann, zeige ich ihm unsere derzeitigen Ausweise, die uns als dreiundzwanzig deklarieren.

»Schlafen ist etwas für Tote«, sage ich und lächle.

Er lacht leise. »Tut mir leid, Mädels. Wenn ihr vorne abgewiesen wurdet, kann ich auch nichts für euch tun.«

Mir gefällt der Blick nicht, mit dem er Lucy mustert. Doch sie erwidert ihn mit dem süßesten Lächeln, seit Gottes Engel vom Himmel fielen. »Du könntest uns trotzdem reinlassen, weil wir so nett fragen?«, gurrt sie.

Ich spüre einen Hauch ihres Willens in ihrer Stimme, doch er ist nicht stark genug, um Wirkung zu zeigen. Vielleicht ist sie vom Durst benebelt. Unsere Fähigkeiten gegen Menschen einzusetzen, ist ohnehin nicht der richtige Weg. Ich will die Menschen nicht unterdrücken wie mein Vater, sondern mit ihnen koexistieren.

Ihnen unseren Willen aufzuzwingen, ist da eher kontraproduktiv.

Ich trete vor, während er sich gegen die Wand lehnt und eine Zigarette hervorholt. Die letzte aus der verbeulten Schachtel. Neben ihm schließt sich die schwere Feuerschutztür behäbig. Wir könnten hindurchschlüpfen, ohne dass er dies bemerken würde, aber auch das wäre ein Ausnutzen unserer Fähigkeiten.

»Was ist für mich drin?«

Ich halte ihm einen Hundert-Dollar-Schein unter die Nase. »Du könntest dir neue Zigaretten kaufen«, schlage ich vor. »Oder deinem kleinen Sohn ein Geburtstagsgeschenk.«

Er hält inne. Sein Herzschlag beschleunigt und die Wärme, die sich in seine Gedanken und seinen Blick schleicht, beweist mir, dass das, was ich hier tue, das Richtige ist. Niemand ist nur herzensgut oder nur verdorben, nicht einmal Heilige sind ohne Fehler und selbst der Teufel war einst ein Engel.

»Los, rein mit euch.«

Euphorie flutet mich, weil mein Plan funktioniert hat. Ich habe ihn umgestimmt, ohne ihn zu manipulieren. Gedankenlesen ist im Graubereich, oder? Bevor ich ein schlechtes Gewissen bekomme, fokussiere ich mich auf die Umgebungsgeräusche. Autoreifen rollen über den regenfeuchten Asphalt, totes Laub weht kratzend über die Bürgersteige. Menschen lachen, atmen, treten frierend von einem Bein auf das andere. In der Ferne heult eine Polizeisirene, irgendwo bellt ein Hund.

Der Türsteher hält uns die Stahltür auf, bevor sie sich klickend schließen kann, und ich stecke ihm den Schein in die geöffnete Zigarettenschachtel. Er kann das Geld besser gebrauchen als ich.

»Danke«, murmelt er, während wir durch die Tür schlüpfen.

Sofort werden wir von bassgeschwängerter Dunkelheit verschluckt, die mit jeder Treppenstufe, die wir hinabsteigen, dichter wird, bis ich sie förmlich schmecken kann. Süßlich, schwer und metallisch. Ich wusste es! In diesem Club verkehren eindeutig Vampire. Durst lässt mein Zahnfleisch kribbeln, meine Euphorie wird abgelöst von Neugierde, gepaart mit Vorfreude und …

Sex.

Alles hier verströmt Dekadenz, Lust und Sünde, angefangen von der verwinkelten Architektur mit den samtig-roten Wandbezügen, bis hin zur indirekten Beleuchtung. Die antiken Wandlampen könnten ein Vermögen wert sein, wenn es Originale sind.

Blutroter Nebel wabert über der Tanzfläche, auf der sich Dutzende von Körpern tummeln.

Überall tanzen, lachen und flirten Menschen, als gäbe es kein Morgen. Ihre Energie ist geradezu elektrisierend, als Dutzende ihrer Gedanken und Empfindungen über mich hereinbrechen. So also fühlt es sich an, zu feiern.

So fühlt es sich an, zu leben.

Während ich meinen mentalen Schutzschild hochziehe, um die Eindrücke auf ein erträgliches Maß zu justieren, quietscht Lucy vor Begeisterung und dreht sich im Kreis wie ein Kind an Weihnachten – im Körper einer Verführerin und mit Blutdurst in den Augen.

»Scheiße, Aly, ich glaube, ich bin im Himmel!«

2 Zwischen Himmel und Hölle liegt nur das Leben

Lincoln

Gleißendes Licht schießt mir ins Gesicht wie Säure. Es blendet nicht nur, es brennt mir geradezu die Augäpfel weg.

»Was zur Hölle, Kyle?«, zische ich, obwohl ich eigentlich sehr viel deftiger fluchen will. Im letzten Moment beiße ich mir auf die Zunge, weil nur erbärmliche Typen aus der Unterschicht fluchen. Ich bin nicht erbärmlich.

Kichernd knipst mein bester Freund die kleine Taschenlampe aus, die stets an seinem Schlüsselbund hängt, genau wie ein Kugelschreiber, weil dieser Kerl überall etwas zum Schreiben braucht.

»Sorry, wusste nicht, dass du gegen Licht allergisch bist. Das war das optische Signal, dass du seit sieben Minuten und dreiunddreißig Sekunden frei hast, also lass uns endlich abhauen. Sonst beginne ich die fünfte Staffel Supernatural ohne dich.«

Er grinst schief, dann schiebt er seine rahmenlose Brille zurück auf die Nase. Mit seinem strubbeligen, rötlichen Haar und den Hosenträgern über einem Button-down-Hemd passt er so wenig in diesen Elite-Club wie ein Reggae-Song in eine Gruft.

»Sorry, bin gleich so weit …« Wir haben zwar schon alle Staffeln zweimal durch, aber irgendwie ist es unser Ding geworden, am Wochenende mit den Winchester-Brüdern paranormale Wesen zu jagen. Ich werfe einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Wenn ich es schaffen kann, die Stunde vollzumachen, sind das locker hundert Dollar mehr – je nach Trinkgeld.

Es ist Samstag – genauer gesagt mittlerweile Sonntag – und wie immer ist das Scarlet rappelvoll. Ich frage mich ungefähr zehn Mal pro Schicht, was die Leute an den überteuerten Drinks und diesem Edelschuppen finden. Aber ich beschwere mich nicht, denn das Trinkgeld ist top und die Einrichtung der Hammer. Allen voran die goldgerahmten Spiegel entlang der Bar, die aus dem Schlafzimmer König Ludwigs XIV. höchstpersönlich stammen könnten und mir erlauben, den gesamten Club zu überblicken. Ich schätze die Spiegel auf französisches Rokoko, spätes achtzehntes Jahrhundert, vielleicht älter.

Genauer könnte ich es bestimmen, wenn man mich endlich zu diesem Studium in Kunstgeschichte zulassen würde.

Ich schüttle den Gedanken ab, während ich der Kundin mit den faszinierend dunkelgeschminkten Katzenaugen ihre Bloody Mary über den Bartresen schiebe. Ihr Augenaufschlag ist noch hypnotischer als ihr eng anliegendes Metallic-Outfit, und als ich ihren Blick auffange, legt sie den Kopf schief und lächelt sehr eindeutig.

Schöne Brüste und schöne Zähne, nicht schlecht.

Selbst Kyle starrt sie an wie eine Erscheinung. Doch ich nicke ihr bloß unverbindlich zu und widme mich wieder der Campari-Großbestellung aus dem VIP-Bereich. Egal, welchen Kick sie heute sucht, sie wird bestimmt fündig zwischen all den schweißglänzenden Körpern unter dem blutroten Nebel, der dem Club die surreale Atmosphäre eines Gothic-Romance-Musikvideos verleiht.

Als ich Kyle wieder ansehe, kritzelt er sich mit gehetztem Blick etwas auf die Handfläche.

»Wo ist dein obligatorisches Notizbuch?«, necke ich ihn und recke den Hals, aber sein Gekrakel ist schwieriger zu entziffern als verwitterte Holzinschriften. Dann schließt er ohnehin die Faust und schiebt sich die Brille zurück auf die Nase.

»Vergessen«, murmelt er, bevor er mich mit forschem Blick fokussiert. »Geht’s dir gut? Kopfweh oder so?«

Irritiert wische ich den Tresen. »Nein, alles bestens. Wieso?«

Er nickt. »Kanntest du die Frau von eben?«

Der Lappen in meiner Hand hält inne, als ich Kyle ernst ansehe. Was sind das für Fragen? »Nein, das war eine Kundin. Wieso?«

Jetzt grinst er so breit, dass seine Augen hinter der rahmenlosen Brille zu Schlitzen werden. »Weil ihr euch so intensiv angestarrt habt. Ich war kurz davor, einzuschreiten, damit du nicht über das arme Mädchen herfällst.«

Die Spannung löst sich, lachend werfe ich den Lappen neben sein Glas. »Spinner. Nur zu deiner Information: Das arme Mädchen war eine junge Frau und die meisten Frauen können sich selbst retten.«

Typisch für meinen verpeilten besten Freund verschränkt er die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich auf dem Barhocker gefährlich weit nach hinten. »Was ist aus der Jungfrau in Nöten geworden, die auf ihren Ritter auf dem weißen Pferd wartet?«

Ich verziehe so heftig das Gesicht, als hätte ich in die Zitronenscheibe gebissen, die ich gerade schneide.

»Oh, Nöte hat sie viele und Ritter kann man immer gebrauchen«, gurrt plötzlich eine sinnliche Stimme neben uns. »Nur Jungfrau ist sie nicht mehr. Ist hier noch frei?«

Wie vom Donner gerührt starren Kyle und ich auf die Rothaarige, die sich keine Handbreit neben ihm weit über den Tresen lehnt.

»Hi, ich bin Lucy. Und du?« Sie streckt ihm die Hand hin, aber er ist zu beschäftigt damit, sie anzustarren.

Ich grinse in mich hinein. Kyle wird nicht jeden Tag von so selbstbewussten Frauen angequatscht, die obendrein zum Sterben schön sind.

Um ihm noch etwas Zeit zu verschaffen, seine Gedanken zu sortieren, ziehe ich ihre Aufmerksamkeit auf mich, indem ich das Kinn hebe. »Willkommen an meiner Bar, Nicht-Jungfrau mit eventuellen Nöten. Was darf’s für dich sein?«

Als sie ihre Aufmerksamkeit auf mich verlagert und mich aus schmalen Augen mustert wie eine Katze ihre nächste Beute, beginnt mein Nacken zu kribbeln. Entweder versuchen ihre Gedanken gerade, hinter meine Stirn zu sehen – oder mich auszuziehen.

Shit, jetzt versuchen meine Gedanken dasselbe.

In der Sekunde greift sie ungeniert über die Theke hinweg und schnappt sich die Orangenspalte, die ich gerade geschnitten habe.

Kein Problem, bedien’ dich ruhig.

Sie grinst breit, während sie hineinbeißt. Ich stelle ihr den Campari hin, den ich gerade garnieren wollte, und mixe einen neuen für die Bestellung aus dem VIP-Bereich.

»Behalt ihn, aber trink nicht alles auf einmal.«

»Uuuh, er ist nicht nur heiß wie die Hölle, sondern auch verantwortungsbewusst! Machst du dir Sorgen, dass ich einen über den Durst trinke?«

Ich überhöre den ersten Teil ihres Satzes, als Kyle auf seinem Barhocker zusammenschrumpft, und zucke bloß mit den Schultern. »Die Dosis macht das Gift.«

Sie lässt nicht locker. »Wenn du es sagst, Professor.« Ihr Blick ist weiterhin verstörend intensiv. Meine Augen huschen zu Kyle, der sich immer noch nicht gerührt hat.

»Kyle Benowitz.« Ich stelle geräuschvoll einen starken Wodka Lemon vor ihm ab, den er nicht bestellt hat, und lenke damit ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn. »Er ist hier der nächste Professor. Hat mich in der Schule hängen lassen, weil er zwei Klassen übersprungen hat, und schreibt schon seine Doktorarbeit.«

Während ich noch nicht mal mit dem Studium angefangen habe …

Lucys Augen blitzen, als sie sich abermals meinem besten Freund zuwendet. Jede ihrer Bewegungen ist so geschmeidig wie die eines Panthers, jedes ihrer Worte so betörend wie das einer Sirene. »Wenn das so ist, Professor Kyle Benowitz. Wann wurdest du das letzte Mal flachgelegt?«

Er spuckt in seinen Drink. Ich wische grinsend den Tresen.

»War nur Spaß. Was studierst du denn?«, kichert Lucy und endlich kriegt Kyle die Zähne auseinander. Wenn Kyle über alte Bücher erzählen kann, ist er voll in seinem Element. Und Lucy hängt geradezu an seinen Lippen. Na also.

Gern geschehen, Kumpel.

Ich lasse den Blick aus Gewohnheit zum Spiegel gleiten, bewundere die Goldornamente, betrachte die sinnlich wogenden Körper auf der Tanzfläche. Da durchzuckt mich ein elektrischer Schlag, als hätte ich in eine Steckdose gefasst – ausgelöst von dem Augenpaar, das mich vom anderen Ende des Raums aus ansieht. Festhält. Einsaugt.

Sofort lehne ich mich über die Theke, suche und finde die Frau, zu der das Augenpaar gehört. Es ist fast so, als würde sich der Blutnebel eigens dafür teilen, um die Sicht auf sie freizugeben.

Was natürlich völlig absurd ist. Luft hat keinen Willen.

Ich blinzle nicht.

Sie auch nicht.

Sie steht mindestens zwanzig Meter weit weg, tief in den wabernden Schatten, aber ich sehe sie so deutlich, als stünde sie direkt vor mir. Ich erkenne sogar ihre Augen, die so unfassbar blau sind, fast violett, wie ein Meer aus Kornblumen auf einer Waldlichtung im blutroten Dämmerlicht.

Und für einen Moment fühlt es sich fast so an, als würde die Welt in ein Vakuum gesogen, in dem es nur noch sie gibt. Diese Augen. Diese Frau. Ich höre mein Blut in den Ohren rauschen, spüre, wie Adrenalin durch meine Adern pumpt und ein mir unbekannter Instinkt die Kontrolle übernehmen will. Eine irrationale Mischung aus Begeisterung, Begierde und Verdammnis, die mich gleichzeitig verstört und …

Irgendjemand schiebt sich durch die Menge und unterbricht unseren Blickkontakt. Die Clubmusik wird wieder lauter, das Basswummern löst das hohle Schlagen meines Herzens ab. Ich blinzle und sehe – was zur Hölle? – in die Augen meiner Schwester.

Anna?, formen meine Lippen, während ich die Spiegelung der antiken Wandleuchten auf ihrem blonden Pferdeschwanz betrachte, den sie wie immer hoch am Hinterkopf trägt. Das Tattoo, das sich von ihrem Oberarm bis zur Seite ihres Halses schlängelt, passt perfekt zu ihrer Amazonen-Optik, genauso wie die schwarze Korsage.

Sie zeigt mit zwei Fingern auf ihre eigenen Augen, dann auf die teuren Flaschen hinter mir, was ich übersetze mit: »Weniger fremde Frauen angaffen, mehr arbeiten!«

Jetzt bin ich derjenige, der unbeeindruckt eine Augenbraue hebt, was ungefähr bedeutet: Lass du dich lieber mal wieder zu Hause blicken!

Ohne ihre Reaktion abzuwarten, widme ich mich dem Flaschenregal und lausche halb dem Gespräch von Lucy und Kyle. Dennoch ertappe ich mich dabei, wie mein Blick zum Spiegel huscht, auf der Suche nach violettblauen Augen. Der Nebel ist wieder so undurchdringlich, dass alles hinter der Tanzfläche in Schemen und Schatten verschwimmt.

»Tja, ich muss los. War nett! Danke für den Drink, Lincoln.« Lucy schiebt drei Scheine zu mir, bevor sie vom Barhocker rutscht. »Bye, Professor Kyle Benowitz.«

Irritiert zähle ich nach. Zwanzig Dollar und – ich lege den Kopf schief. Eine Visitenkarte? Lädt sie mich etwa zu sich nach Hause ein?

»Hast du ihr meinen Namen gesagt?«

»Wie?« Kyle blinzelt mich an, völlig neben der Spur. Seine Augen sind glasig, sein Blick verklärt, als er Lucy nachsieht.

»Sie hat Lincoln zu mir gesagt.«

»So heißt du ja auch.«

Ich verenge die Augen. Ja, aber woher weiß sie das? Kyle sieht immer noch aus wie Newton, nachdem er das Gesetz der Schwerkraft entdeckt hat, also spare ich mir eine weitere Nachfrage.

»Heilige Scheiße, Linc …! Ich glaube, ich bin verknallt. Bist du jemals jemand so Perfektem begegnet?«

Ja, vor dreißig Sekunden. Leider am anderen Ende des Raums.

»Ich meine, Heilige Scheiße!«, wiederholt Kyle völlig durch den Wind. So etwas nennt man wohl ›schockverliebt‹. Passiert den meisten mit vierzehn, aber da hat Kyle vermutlich das Alte Testament aus dem Altgriechischen übersetzt, oder so.

Mein Handy vibriert und ich ziehe es heraus. Eine Nachricht von Anna.

Anna: Kleiner Bruder, wir müssen reden! Beende endlich deine Schicht und triff mich in 10 Minuten vor dem Hinterausgang. Und sag Kyle, er soll auf sein verdammtes Handy gucken und drangehen, wenn ich ihn anrufe!

»… schwöre bei Gott, ich würde sofort alles stehen und liegen lassen, wenn dieses perfekte Wesen dafür auf ein Date mit mir geht«, beteuert Kyle gerade in sein halb leeres Glas.

Ich beschließe, ihm die Nachricht meiner Schwester nicht zu überbringen. Vermutlich will sie nur, dass er wieder eine ihrer Hausarbeiten für die Uni schreibt. Anna wird es überleben, wenn Kyle erst in ein paar Stunden antwortet. Stattdessen schiebe ich ihm seinen Wodka Lemon hin, der immer noch halb voll ist. Die meisten Dinge sind sehr viel einfacher, als unsere Angst uns oft einreden will.

»Trink den und dann frag sie nach einem Date. Was kann schlimmstenfalls passieren? Sie sagt nein. Dann kommst du zurück und ich spendiere dir einen zweiten gegen den Herzschmerz. Hast du sie nach ihrer Nummer gefragt?«

Ein neuer Gast kommt an den Tresen. Während ich seine Bestellung aufnehme, rauft sich Kyle mit beiden Händen die rötlichen Haare. »Gott, ich bin so ein Vollidiot. Natürlich nicht!« Er sinkt in sich zusammen, als der Analyst in ihm übernimmt und alles zerdenkt. »Ach, vergiss es. Selbst wenn ich ihre Nummer hätte, wie kann ein Loser wie ich jemals bei so einer Frau landen? Ich kann sie unmöglich in meine winzige Studentenbude einladen, das wäre viel zu peinlich und – Warte mal, wie machst du das eigentlich? Du wohnst bei deiner Mom und bist … na ja …«

Er bricht ab und ich weiß nicht, ob ich dankbar oder frustriert sein soll. Ich bin: am Arsch. Seit meine Mom vor ein paar Jahren im Krankenhaus einen schlimmen Fehler gemacht hat und nicht nur ihren Job als Nachtschwester verlor, sondern auch jeglichen Rückhalt in unserer Nachbarschaft. Von heute auf morgen waren wir das moderne Äquivalent von mittelalterlichen Geächteten. Anna und ich mussten die Schule wechseln und Mom wurde nicht mal mehr als Aushilfe irgendwo eingestellt. Seitdem leben wir drei Stadtteile weiter, aber es fühlt sich an wie auf einem anderen Kontinent, in dem alles winzig und heruntergekommen ist und die Sonne niemals scheint.

Anna ist schon nach einem Jahr ausgezogen, aber ich konnte Mom nicht im Stich lassen. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie die Nachtschichten in einem 24-Stunden-Kiosk um die Ecke, ihr Gehalt ist so mickrig, dass ich wiederum zwei Jobs habe.

Ich hatte all meine Hoffnungen darauf gesetzt, dieses Semester endlich an der University of Oregon angenommen zu werden. Neustart. Freiheit. Doch sie haben mich erneut abgelehnt, obwohl ich mittlerweile – nach drei Jahren Berufserfahrung im historischen Holzhandwerk – fast überqualifiziert bin.

Das ist kein Zufall mehr. Irgendjemand hat noch eine Rechnung mit unserer Familie offen. Tja, und deswegen bin ich immer noch Barkeeper.

»Du bist kein Loser, bloß, weil du intelligent und nett bist, Kyle.« Ein Teil von mir würde gerne ergänzen, dass Dinge wie Aussehen, Wohnungsgröße oder Kontostand Oberflächlichkeiten sind, die keine Rolle spielen. Aber das Leben hat mich etwas anderes gelehrt.

Kopfschüttelnd schiebe ich den Gedanken beiseite und ringe mir ein Lächeln ab, während ich in meiner Hosentasche herumtaste. Dann müssen wir unseren sonntäglichen Serienmarathon eben wann anders abhalten.

»Weißt du, was der Trick ist, Kyle? Du lädst sie nicht zu dir ein.« Ich halte ihm die Karte mit Lucys Adresse hin. »Sie muss dich zu sich einladen.«

3 Die morbide Faszination

Alyssa

Der Club ist atemberaubend. Alle sind damit beschäftigt, zu tanzen, zu trinken und zu sündigen, als gäbe es kein Morgengrauen. Die Musik übertönt das meiste, doch die Luft ist erfüllt von atemlosen Seufzern, gedämpften Lustschreien und gierigem Stöhnen. Ich muss mich buchstäblich daran erinnern, zu atmen, während ich fasziniert beobachte, wie die Menschen Spaß haben und tanzen. Mit anderen Menschen und mit Vampiren.

Ich hatte also recht!

Ihre Faszination für uns ist größer als ihre Furcht oder ihr Hass.

Mir kommt die Passage aus dem Evangelium in den Sinn, die mein Vater zitiert, wenn er untermauern will, dass Menschen und Vampire natürliche Feinde seien.

Nichts fürchten die Menschen mehr als den Tod

Außer ihre eigene Vergänglichkeit. Und uns.

Unsere Existenz ist ihre größte Obsession

Und unser Tod ihre einzige Rettung.

Blut verlangt nach Blut.

– VD 12, Heilige Schrift des Propheten

Was mein Vater dabei stets ignoriert, ist der Kontext des Verses. In dem Absatz geht es nicht um einen Aufruf zum Blutvergießen, sondern um eine Beschreibung des komplexen, teilweise widersprüchlichen und höchst faszinierenden menschlichen Geistes. Ja, wir sind ihre Angst vor Tod, Schmerz und Krankheit, manifestiert durch ihre kreative Schöpfungskraft. Aber vor allem sind wir ihre morbide Faszination für das ewige Leben und unvergängliche Schönheit. Und genau diese Gründe sind es, aus denen wir unbemerkt unter ihnen leben können.

Warum das System funktioniert, ohne dass unsere Existenz publik wird? Aus demselben Grund, aus dem es im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch Drogenkartelle, Menschenhandel und Zwangsarbeit gibt: die simple Mischung aus Abhängigkeit, Machtrausch und Angst.

Vampirbisse machen süchtiger als die stärkste Droge, unsere bloße Präsenz verschafft jedem das Gefühl, wichtig und mächtig zu sein. Und unser entfesselter Wille verbreitet genug Angst, dass selbst diejenigen, die über diese beiden Gründe erhaben sind, keinen Ungehorsam wagen.

Zufrieden mache ich mir ein paar mentale Stichpunkte und merke mir einige Gesichter der Vampire, die hier verkehren, für eine spätere Recherche potenzieller Mitstreiter. Abermals huscht mein Blick zu den Spiegeln an der Bar, wo Lucy kichernd neben einem Rotschopf sitzt. Denn ja, natürlich haben wir ein Spiegelbild. Wieso sollten wir auch nicht, unsere Körper existieren und selbst unser Blut zirkuliert, wenn auch sehr, sehr langsam. Meine Cousine Cassandra hat es mir früher wie einen sehr langen Winterschlaf erklärt, nur, dass wir überhaupt nicht schlafen müssen. Trotzdem ist unser Metabolismus auf ein Minimum heruntergefahren. Genug zum Leben, zu viel zum Sterben. Deswegen können Vampire auch nicht auf natürliche Weise sterben.

Gerade will ich mich in Bewegung setzen, als mich ein Blitz vom Scheitel bis zur Fußsohle durchfährt.

Augen aus Bernstein und Jade erwidern meinen Blick, und für einen Moment wird die Welt still und mein Herzschlag viel zu laut. Ich versinke in erstarrtem Feuer und verliere mich in verwunschenen Wäldern. Der junge Mann, zu dem die Augen gehören, reißt den Blick vom Spiegel los und lehnt sich über die Theke, um mich direkt anzusehen. Athletische Muskeln spannen sich unter dem schlichten Shirt, seine Körperhaltung strahlt Unerschütterlichkeit aus. Und alles zusammen ist gleichermaßen beängstigend und berauschend.

Er weicht meinem Blick nicht aus, senkt nicht demütig die Lider wie jeder andere. Sondern hält ihm stand. Hält mir stand.

Begeisterung peitscht durch meine Glieder, vorsichtig taste ich nach seinem Geist, neugierig darauf, wie seine innere Stimme klingt und die Welt durch seine Augen aussieht.

Ich finde … nichts.

Warum finde ich ihn nicht? Zu viele Eindrücke um mich herum? Zu viel Entfernung zwischen uns?

Ist er womöglich kein Mensch?

Und warum rieselt plötzlich Eiswasser in meinen Nacken?

»Hast du den ganzen weiten Weg auf dich genommen, um einen Barkeeper zu betören?«, wispert eine tödlich-süße Stimme neben mir. Zu dicht neben mir.

Wie gelähmt verharre ich, während meine Augen nach rechts wandern. Sofort erkenne ich meine älteste Cousine.

Cassandras Zähne blitzen auf, als sie lächelt. Ihre dunkel umrahmten Katzenaugen lassen ihre Iriden hypnotisch grün erscheinen, ihr Metallic-Jumpsuit schmiegt sich wie eine zweite Haut um ihren Körper. Und ihr Tonfall sagt mir, dass die Tochter der Sicherheitskonsulin meines Vaters nicht zu ihrem Vergnügen hier ist. Er ist scharf wie eine Silberklinge.

Wie hat sie mich gefunden?

Cassandra hebt eine geschwungene Augenbraue. »Es ist mein Job, Dinge zu finden, Liebes. Antworten. Intrigen. Geheimnisse.« Ein vielsagender Blick. »Oder leichtsinnige Prinzessinnen.«

Ihre Stimme ist leise, für alle Umstehenden in der lauten Musik unhörbar, doch ich verstehe jedes Wort.

»Ich bin nicht leichtsinnig«, entgegne ich zerknirscht. »Ich recherchiere. Dieser Club ist der Beweis dafür, dass eine Koexistenz möglich ist! Hier mischen sich Vampire und Menschen.«

»Sie mischen sich nicht, die Vampire nähren sich von ihren natürlichen Wirten. Das ist ein Unterschied.«

»Vampire sind keine Parasiten«, widerspreche ich.

Cassandra hebt eine dunkle Braue. »Sondern? Bevorzugst du neuerdings die orthodoxe Bezeichnung? Raubtier und Beute?«

»Nein, ich bevorzuge die evangelistische Bezeichnung: Symbionten«, stelle ich klar. »Sie sichern unsere Existenz, dafür sichern wir ihren Wohlstand.«

Ob in Nachtclubs, und Blutbanken, die unsere Nahrungszufuhr gewährleisten; den Geldinstituten, denen wir seit Jahrhunderten unsere Familienfinanzen anvertrauen; oder den Auktionshäusern und Museen, zu dessen größten Primärquellen, Gönnern und Klienten wir zählen – und nicht zu vergessen die Menschen, die sich uns als Nahrungsquelle zur Verfügung stellen, ob als Mätressen oder Blutspendende. Warum auch nicht? Wir bezahlen sie fürstlich und behandeln sie gut. Die Mätressen in unserem eigenen Haus verdienen mehr Geld als Edelprostituierte für Superreiche – und haben weitaus besseren Sex. Vampire sind gute Liebhaber, denn nichts schmeckt so süß wie das Blut eines erregten Menschen während des Orgasmus. Leider tun die meisten Menschen das nicht freiwillig, sondern unter Zwangsmanipulation oder Gedankenkontrolle.

Menschen brauchen uns genauso sehr wie wir sie. Ohne Vampire gäbe es noch mehr Kriminalität, Drogensucht und Armut, weniger Kultur und historische Überlieferungen – und weitaus weniger Spaß.

Nachdem ich geendet habe, sehe ich meine Cousine erwartungsvoll an. Sie muss doch einsehen, dass die evangelistischen Thesen einer Symbiose ohne Manipulation stichhaltig sind!

Cassandra teilt diese Auffassung nicht. Meine Cousine ist durch und durch orthodox, indoktriniert von ihrer Mutter und den restlichen Konsuln meines Vaters. Unbeeindruckt nimmt sie einen langen Schluck aus dem hellroten Getränk in ihrer Hand. Warte, ist das etwa Tomatensaft?

»Bloody Mary«, erklärt sie, obwohl ich meine Gedanken nicht wissentlich mit ihr geteilt habe. Sofort verstecke ich meinen Geist hinter den Schutzmauern und verstärke sie so sehr, bis die dröhnende Musik nur noch ein fernes Echo ist. Wieder seufzt Cassandra. »Und genau deswegen hast du nichts unter Menschen verloren, Alyssa. Du bist zu offen, zu neugierig. Zu unvorsichtig.«

»Ich bin sehr wohl –«, fahre ich auf, doch sie spricht einfach weiter, als wäre meine Meinung nicht von Belang.

»Du denkst, es reicht, dich gegen die Reizüberflutung der Menschen abzuschirmen? Weißt du, der Nachteil daran ist, dass du dich damit auch gegen alles andere abschirmst. Ich hätte dir vorhin mitten auf der Tanzfläche den Hals brechen können, ohne, dass du mich bemerkt hättest.« Ein Schauer fährt mir über den Rücken, denn ich habe sie tatsächlich erst bemerkt, als sie mich angesprochen hat. »Mit wem bist du hier? Lucy?«, wechselt sie das Thema, bevor ich widersprechen kann.

Sofort verstärke ich die Mauer, bis ich außer meinem eigenen Atem nichts mehr höre. Ich werde Lucy nicht ans Messer liefern. »Allein«, behaupte ich.

Cassandra verengt die katzenartig geschminkten Augen. Ich spüre sie am Rande meines Bewusstseins, aber wenn die Großmeister meines Vaters mich eines gelehrt haben, dann, meinen Geist zu schützen.

»Na schön. Zurück zu meiner Frage.«

Du hast drei Fragen gestellt, seit du hier aufgetaucht bist, erinnere ich sie stumm. Zum Teil, weil meine Fangzähne vor Frust hervorstehen und ich den Mund nicht öffnen will. Jedoch vor allem, um ihr zu zeigen, dass ich ihr zumindest mental weit überlegen bin und senden kann, ohne meine schützende Barriere fallenzulassen.

Außer, wenn ich es nicht kann, wie vorhin bei dem Barkeeper…

Anstatt mir Anerkennung für meine Fähigkeiten zu zollen, nickt Cassandra bloß.

»Ob du ihn betört hast.«

Sofort kribbelt meine Haut beim Gedanken an den Halbgott hinter der Bar, dessen sündiger Sex-Appeal bis hier reicht.

›Betören‹ nennen wir den subtilen Einsatz unserer mentalen Manipulationsfähigkeiten, mit denen wir Menschen vorübergehend in Verzückung versetzen, ähnlich einer starken Verknalltheit oder einem Drogenrausch, damit sie zulassen, dass wir von ihnen trinken. Sie ist nur von kurzer Dauer und endet spätestens nach dem Biss, bei dem unser Gift gewisse Rezeptoren im Gehirn blockiert, sodass es zu einem kurzzeitigen Gedächtnisverlust kommt, wie bei einem Filmriss durch zu viel Alkohol.

Es liegt kaum eine Messerschneide zwischen Betörung, Obsession und Verdammnis. Es ist leicht, einen Menschen zu betören. Es ist schwierig, seine Abhängigkeit zu kontrollieren. Und es ist unmöglich, seine Seele zu retten, wenn sie uns restlos verfallen ist. Der einzige Ausweg ist Tod, Wahnsinn oder Wandlung.

– VD 756, Heilige Schrift des Propheten

Für gewöhnlich bin ich kein Fan von Betörung, denn unser Prophet hat recht, sie kann viel zu schnell in Abhängigkeit enden.

Ich schüttle die Gedanken ab und setze einen unbeteiligten Gesichtsausdruck auf, von dem ich hoffe, dass er meine Faszination nicht preisgibt. »Nein.«

Bis auf die Tatsache, dass ich seinen Blick bis in die Zehenspitzen gespürt habe … Das ist mir noch nie passiert. Er ist anders als die meisten hier, und dass ich noch nicht weiß, ob das Angst oder Begeisterung in mir auslöst, macht ihn noch interessanter.

Wieder spüre ich Cassandras wachsamen Blick auf mir und ihren Geist am Rande meines Bewusstseins.

»Es hat nicht funktioniert, oder?«

Woher weiß sie das?

Ich beschließe, endlich aus der Defensive auszubrechen, straffe die Schultern und bohre meine Augen fest in ihre. Eine der obersten Regeln der orthodoxen Schule: Schau nie als Erster weg. Wie im Tierreich: Der Leitwolf starrt seinen Gegner nieder, bis dieser sich unterwirft. Wegsehen ist Schwäche. Aber ich bin nicht schwach, ich darf nicht schwach sein.

Stärke ist hingegen, Wissen gezielt vorzuenthalten, Wahrheiten zu verschleiern – und verfängliche Fragen zurückzuspielen. Ich entscheide mich für Letzteres: »Warum interessiert dich das so, Cassandra? Hast du etwa versucht, ihn zu betören und es hat nicht funktioniert?«

Jetzt stiehlt sich ein Lächeln auf ihr ebenmäßiges Gesicht und zum ersten Mal erinnert sie mich wieder an die Vampirin, die immer wie eine große Schwester für mich war. »Ach, zur Hölle, Aly. Ich mag deinen klugen Kopf – wenn du ihn mal einsetzt.« Endlich lässt sie ihre feindselige Ausstrahlung fallen. »Wann ist diese ganze Staatspolitik so verflucht kompliziert geworden? Versprichst du mir, dass du auf demselben unauffälligen Weg gehst, wie du gekommen bist, wenn ich dir verspreche, deinen kleinen Ausflug nicht meiner Mutter zu berichten?«

Als ich nicke, könnte mein Grinsen den Raum erhellen.

Wir umarmen uns fest und jetzt lasse auch ich meinen mentalen Schild fallen. Sofort dröhnt die Musik in meinen Ohren, sodass ich nachjustieren muss.

»Es wird mit der Zeit besser«, beschwichtigt mich Cassandra, der mein Zusammenzucken nicht entgangen ist. »Drink? Ist nicht übel, der Typ kann was.«

Ich verziehe angewidert das Gesicht. Es ist mir ein Rätsel, wie manche Vampire immer noch Lebensmittel zu sich nehmen, wo doch alles nach Pappe und Staub schmeckt. Alkohol ist spaßig, weil wir ebenfalls den Effekt spüren, genau wie die Wirkung bestimmter Teesorten und Heilkräuter. Aber Tomatensaft geht eindeutig zu weit.

Allerdings wäre ein Drink die ideale Gelegenheit, ihm näherzukommen …

»Du hast es also bei ihm versucht und es hat nicht funktioniert «, stelle ich fest.

Cassandra grinst, nicht nur aus Stolz auf meine Antwort, sondern auch auf eine verruchte Art, die mir sagt, dass ich mitten ins Schwarze getroffen habe. »Vielleicht.«

Ein leises Brodeln regt sich in meinem Bauch, das ich schnell niederringe.

»Wieso willst du das wissen, Alyssa? Willst du ihn etwa für dich beanspruchen?«

»Fragst du mich als Aly oder als die Tochter meines Vaters?«, hake ich misstrauisch nach. Ich will nicht noch eine Lektion von ihr.

»Als Aly.«

Sofort entspanne ich mich. »Natürlich nicht, ich beanspruche niemanden. Mit welchem Recht sollte ich das tun?«

»Geburtsrecht?«, fragt Cassandra rhetorisch. »Immerhin bist du die Tochter deines Vaters und mir fallen auf Anhieb ein Dutzend Gründe ein, aus denen ich ihn dir überlassen müsste – und da ist nicht der offensichtlichste dabei.« Sie zuckt mit den Schultern. »Dein Vater würde es tun.«

Schlagartig verfinstert sich meine Miene. »Ich bin nicht mein Vater«, sage ich mit derart endgültiger Bestimmtheit, dass Cassandra kurz die dunkel geschminkten Lider senkt.

»Also gleiches Recht für alle?« Ihr raubtierhaftes Grinsen entblößt eine Reihe makelloser Zähne, und bei ihrem Anblick regt sich unwillkürlich etwas in mir. Etwas, das allein bei der Vorstellung von ihr und dem Sexgott hinter der Bar ein kleines Blutbad anrichten möchte.

Völlig irrational, ich weiß. Ich kenne ihn nicht einmal – wenn man den seltsamen Moment vorhin außen vorlässt, in dem sich das Universum auf ihn und mich reduziert zu haben schien.

Cassandras Schnurren unterbricht mein Gedankenchaos. »Keine Regeln? Keine Fesseln? Also … zumindest keine beim Wettkampf.«

Okay, streichen wir ›klein‹. Es wäre definitiv ein größeres Blutbad. Aber ich glaube an eine neue Weltordnung der Gleichstellung, ohne Gottkönige und alberne Prophezeiungen. Also muss ich da jetzt durch.

Mit Mühe ringe ich die Bestie in meiner Brust nieder und zwinge ein Lächeln auf meine Lippen. »Keine Zwänge«, bestätige ich.

Unsere Blicke bohren sich so fest ineinander, dass mein äußeres Sichtfeld zu flimmern beginnt. Da ist nur noch Cassandras goldener Teint und ihre kaffeebraun gesträhnte Mähne, genauso durchdringend und schön wie die griechische Sagengestalt, deren Namen sie trägt.

Cassandra starrt geschlagene sechs Sekunden zurück. Dann hebt sie die Mundwinkel und ihr Glas.

In dem Moment stößt Lucy zu uns – im wahrsten Sinne des Wortes, als sie mir fast ihren Ellenbogen ins Gesicht rammt. Ich weiche ihrer feuerroten Lockenpracht in jahrelanger Übung aus. Lucilla ist die jüngste von uns, aber meine beste Freundin seit Kindertagen, und das nicht nur, weil ihre Eltern die wichtigsten Vertrauten meiner Eltern sind.

»Hi, Cassandra! Was machst du denn hier?« Unsere Cousine antwortet nicht, wofür ich ihr dankbar bin, also greift Lucy nahtlos unseren Gesprächsfaden auf: »Fesselspiele? Ich bin dabei! Um wen geht’s?« Sie trällert so laut, dass es mit Sicherheit der ganze Club hören kann.

»Um Lincoln Gabriel«, antwortet Cassandra in angemessenerer Lautstärke.

Ich halte inne. Woher kennt sie seinen Namen?

Blöde Frage, es ist buchstäblich ihr Job, alles zu wissen.

Lincoln Gabriel.

Ich schließe kurz die Augen, um dem Namen mit allen Sinnen nachzuschmecken. Allein der Klang jagt ein Prickeln durch meinen Körper und elektrische Spannung über meine Haut. Und wieso stellen sich meine Nackenhaare auf, als wäre ich nicht mehr allein?

Unauffällig lasse ich den Blick zum Spiegel schweifen, finde jedoch nichts. Keine schwelenden Augen. Kein gefährliches Lächeln in diesem unfassbar sexy Gesicht. Keine sündige Ausstrahlung, die nicht in diese Welt zu passen scheint. Hinter der Bar steht jetzt eine Frau.

Die einzigen Blicke, die auf mir ruhen, sind die von Cassandra und Lucy. »Ist was?«, frage ich irritiert.

»Ja. Du sagst seinen Namen, als wäre er die Offenbarung«, teilt Cassandra mir mit.

Ich habe seinen Namen ausgesprochen? Laut? Ich muss dringend an meiner Konzentration arbeiten!

Entschlossen lasse ich den Blick durch den Club gleiten. Suchend. Jagend. Aber nicht findend. Im Halbdunkel der Tanzfläche betören sich Seelen, in den Wandnischen bewegen sich ekstatische Leiber. Es riecht nach Sex, Lust und Blut, und ich verstehe den Reiz, den das Scarlet auslöst. Der Begriff ›Blutrausch‹ wurde geradezu für diesen Club erfunden, in dessen Winkeln man seinem Durst freien Lauf lassen kann.

Ich streife einige Augenpaare, die mich verstohlen angestarrt haben, jedoch schnell den Blick senken. Ein paar andere starren ungeniert weiter. Das gefällt mir deutlich besser. Mitten in diesem Gedankengang fällt mir auf: Lincoln Gabriel hat nicht weggesehen. Abermals verliere ich mich in der prickelnden Erinnerung an seinen Blick. Seinen Körper. Seine Aura.

Da tanzt Lucy mich an und schmiegt die Arme um meinen Hals. »Warum so ernst, Aly? Entspann dich. Der Club ist voll, such dir jemanden aus, hab Spaß. Carpe Noctem! Heute Abend bist du frei!« Cassandra räuspert sich, doch Lucy hört sie nicht. »Im Ernst, Süße: Wann hast du das letzte Mal direkt von einem Menschen getrunken?«

Schlagartig wird meine Kehle trocken. Die Erinnerung ist über sechzig Jahre her, doch ich sehe sie deutlich vor meinem inneren Auge. Schmecke ihr würzig-scharfes Blut auf der Zunge, voll von früherem Selbstbewusstsein und neuer Verzweiflung. Das war in Paris. Seitdem habe ich nicht einmal die Mätressen angerührt, die meine Eltern in unserem Haus halten, sondern ausschließlich von Blutbanken gelebt. Wie eine Vorstufe der Puristen, die vollständig auf Blut verzichten – und damit auch auf alle vampirischen Kräfte.

Lucy zieht mich so dicht an sich, dass ihre Hitze auf mich übergeht. Als ihre vollen Lippen nur noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt sind, ist plötzlich alles Tollpatschige an ihr verschwunden und ihre Stimme die reinste Verführung.

Und dann flüstert sie so leise, dass sich meine Nackenhärchen aufstellen: »Was ist, wenn du noch keinen Blutrausch hast, weil du nie von einem Menschen trinkst? Schnapp ihn dir, bevor es jemand anders tut. Ich zum Beispiel.«

Das Kribbeln im Nacken schwillt zu einem ausgewachsenen Feuersturm an. Lucy grinst breit, dann drückt sie ihre sinnlichen Lippen auf meine und schnappt sich ihre Tasche von unserem Stehtisch. Sie hinterlässt einen Hauch von bitter, süß und salzig. Auch ein Getränk von der Bar?

»Und nun entschuldigt mich, ich muss wirklich was trinken. Wartet nicht auf mich!«

Sie verschwindet und lässt mich mit trockener Kehle und heißem Verlangen zurück. Abermals muss ich an schwelende Augen und sündige Lippen vor aufgereihten Barflaschen denken, die mein Herz nicht so aus dem Takt bringen sollten, wie sie es tun.

Tja, ich schätze, es gibt nur eine Lösung für beide Probleme. Ich stoße mich vom Tisch ab, um mir diesen Barkeeper vorzunehmen.

»Ich bin auch weg. Danke noch mal, wir sehen –«

Der Rest meines Satzes geht in einem erschrockenen Laut unter, als ich buchstäblich gegen einen großen Körper pralle.

Wie ist der dahin gekommen, und warum habe ich seine Aura nicht bemerk…?

Jeder Gedanke verliert seine Bedeutung, als ich auf eine breite Brust starre, deren Muskeln sich geradezu obszön definiert über dem Kragen des ausgewaschenen Shirts abzeichnen. Nur die Lederjacke wirkt teuer, und sie schmiegt sich perfekt an seine athletische Figur, sodass ich den Drang bekämpfen muss, die Hand auszustrecken und über seine Brust zu streichen. Also, über die Jacke!

»Hoppla. Vorsicht. Du könntest dich verletzen.« Seine Worte lassen meinen Nacken prickeln, doch seine Stimme lässt meine Seele vibrieren. Rau und dennoch sanft, wie eine in Samt gewickelte Klinge.

Starke Hände umfassen meine Ellenbogen und halten mich fest, während mich ein überwältigender Duft aus Pinienwäldern, dunklem Amber und etwas Verbotenem einhüllt wie der schwarze Umhang der Nacht, wie eine sündige Versuchung und gleichzeitig wohlige Vertrautheit.

Langsam, wie in Zeitlupe schweift mein Blick über einen sehnigen Hals bis zu einer Kieferlinie, an der man sich schneiden könnte. Zu Augen wie erstarrter Bernstein und verwunschene Waldlichtungen.

Wie funktioniert Atmen noch mal?