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Kann es für diese Liebe eine zweite Chance geben? Der prickelnde Roman »Dirty like Ash« von Yvonne Westphal jetzt als eBook bei dotbooks. Country-Sängerin Jade steht kurz vor dem Durchbruch in Nashville – ein Traum, für den sie alles in Sweet Springs zurückgelassen hat. Dass ausgerechnet jetzt das Haus ihres Onkels zwangsversteigert wird, ist eine Katastrophe. Dass der Höchstbietende kein Geringerer ist als ihr durchtriebener Ex, ein Albtraum. Und dass ihr Herz in seiner Nähe immer noch wild flattert, könnte alles zerstören. Denn niemand weiß, wer Jade Darling wirklich ist. Niemand … außer Ash. Drei Dinge, mit denen Handwerker Ash Probleme hat: Gesetze befolgen, seine vorlaute Klappe halten – und die Finger von Jade lassen. Für ihn steht fest: Er wird sie zurückerobern. Selbst, wenn sie ihn ruinieren würde … Denn Liebe, Lovesongs und große Träume haben immer ein Happy End, oder? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die Small Town Second Chances Romance »Dirty like Ash« von Yvonne Westphal ist der zweite Roman in ihrer »Kentucky Love«-Reihe, in der jeder Band unabhängig gelesen werden kann. Für Fans von Elsie Silver und Lucy Score. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Country-Sängerin Jade steht kurz vor dem Durchbruch in Nashville – ein Traum, für den sie alles in Sweet Springs zurückgelassen hat. Dass ausgerechnet jetzt das Haus ihres Onkels zwangsversteigert wird, ist eine Katastrophe. Dass der Höchstbietende kein Geringerer ist als ihr durchtriebener Ex, ein Albtraum. Und dass ihr Herz in seiner Nähe immer noch wild flattert, könnte alles zerstören. Denn niemand weiß, wer Jade Darling wirklich ist. Niemand … außer Ash.
Drei Dinge, mit denen Handwerker Ash Probleme hat: Gesetze befolgen, seine vorlaute Klappe halten – und die Finger von Jade lassen. Für ihn steht fest: Er wird sie zurückerobern. Selbst, wenn sie ihn ruinieren würde … Denn Liebe, Lovesongs und große Träume haben immer ein Happy End, oder?
»Dirty Like Ash« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Yvonne Westphal schreibt romantisch-schlagfertige Geschichten über Bad Boys mit Herz und classy Girls mit Biss. Ihr Debütroman erreichte auf Anhieb die Top Ten beim LovelyBooks Community Award. Weitere beliebte Romances folgten.
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Bei dotbooks veröffentlichte Yvonne Westphal ihre »Kentucky Love«-Reihe mit den Romanen »Hot Like Clay« und »Dirty Like Ash«, die auch im Hörbuch und Print bei SAGA Egmont erhältlich ist.
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eBook-Ausgabe April 2024
Copyright © der Originalausgabe 2023, 2024 Yvonne Westphal und SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München (www.erzaehlperspektive.de).
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Paulina Ochnio unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)
ISBN 978-3-98952-069-1
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Yvonne Westphal
Dirty Like Ash
Roman. Kentucky Love 2
dotbooks.
für Alex,
die Powerfrau mit der Powerstimme.
Du warst schon immer mein größter Fan.
Ich bin deiner.
Hell On an Angel – Brantley Gilbert
Tough – Kellie Pickler
All Shook Up – Elvis Presley
Rockstars – Kane Brown
Kick It In the Sticks – Brantley Gilbert
Chocktaw County Affair – Carrie Underwood
Small Town Boy – Dustin Lynch
Musik, Martini und Sex sind am besten, wenn sie schmutzig sind.
Mit diesem Gedanken tröstete ich mich über meine Unfähigkeit hinweg, einen sauberen Reim für den Abschluss meiner Strophe zu finden. Vielleicht, weil ich noch nicht ganz wach war.
Heilige Scheiße! Oder vielleicht, weil die Tür gerade mit einer Wucht aufkrachte, als würde eine Horde Orks in mein Hotelzimmer einfallen.
»Raus aus den Federn, Darling! Die Sonne lacht, der Tag wird – Huch! Du bist ja schon wach.«
Ich hörte buchstäblich, wie der Körper meiner Managerin eine Vollbremsung machte. Nicht, weil ich eine so lebhafte Fantasie besaß, obwohl das durchaus der Fall war. Und auch nicht, weil ihre Knochen dabei knackten – obwohl auch das möglich wäre. Die Frau war siebenundvierzig und hatte einen BMI von sechzehn.
Sondern, weil ihre zweihundert Armreifen rasselnd aneinanderschlugen. Die aufgehende Augustsonne flutete die Hotelsuite, als drei Vorhänge gleichzeitig zurückgezogen wurden. Und weil nicht einmal die gottgleiche Cassandra Gold drei Arme hatte, waren wohl mindestens zwei weitere Leute mit in den Raum gekommen.
Gut, dass sie mir abgewöhnt hatte, nackt zu schlafen.
Ich blinzelte auf das Papier mit den halbfertigen Songzeilen, das den plötzlichen Spalt Sonnenlicht grell reflektierte, und versuchte, den Gedanken festzuhalten.
Drinking cheap whiskey thinking ’bout you …
It was rough and true … if I only knew … pushing through …
»Fuck …« Kopfschüttelnd strich ich ein paar Reime durch.
»Das habe ich gehört, Darling!«, rief Cassandra vom anderen Ende des Raums, woraufhin ich den Kopf einzog. Eine der goldenen Regeln in meinem neuen goldenen Käfig war, nicht zu fluchen.
Jade Darling ist »Everybody’s Darling«.
»Das Licht ist hier vorne wohl am besten«, bestimmte Cassandra mit der Eleganz einer ägyptischen Pharaonin, und schon wurde einer der schweren Barockstühle über den Teppich geschoben. »Ihr habt eine Stunde, um neun ist der Fototermin. Denk dran, Jade, direkt im Anschluss ist das Interview, um eins der Soundcheck und um zwei …«
»… die Aufnahme-Session.« Grinsend drehte ich mich auf dem Polsterstuhl zu ihr um und tippte mit dem Hotelbleistift gegen meine Stirn. »Alles hier oben drin.«
Cassandra breitete die Arme aus wie eine gönnerhafte Königin. »Und deshalb bist du mein bestes Pferd im Stall.«
»Oh! Und ich Dummerchen hatte gedacht, das wäre, weil ich gut singe, härter arbeite als jeder andere und –«
Mir seit dreieinhalb Jahren den Arsch aufreiße, wollte ich ergänzen, aber ich hielt im letzten Moment die Luft an. Nicht fluchen.
Cassandra lachte. »Darling, wenn du nicht singen könntest wie das uneheliche Kind von Tina Turner und Elvis, würdest du immer noch in den Honky Tonks dieser Stadt Teller waschen.«
Ich verkniff mir jegliche Widerrede, indem ich erneut die Luft anhielt, während sie mich in ihrer Patschuliduft-Umarmung erstickte. Klappte jedes Mal. Wer keine Luft bekam, konnte auch nichts sagen.
Singen ist Silber – Schweigen ist Gold. Das war die erste Regel, die ich von Cassandra Gold über das Musikbusiness gelernt hatte.
Verdammt noch mal, Gold, Baby!
Sie gehörte zwar nicht zu den ganz Großen, aber ihre Website wies alle großen Country-Musiklabels als Klienten aus, und sie hatte früher bei Curb Records mit Größen wie Johnny Cash und LeAnn Rimes gearbeitet. Testimonials auf ihrer Website nannten sie die Königsmacherin von Nashville. Und ich war – trotz meines für diese Branche fast schon zu fortgeschrittenen Alters von siebenundzwanzig Jahren – ihre neue Prinzessin kurz vor der Krönung.
Was vermutlich erklärte, warum ich heute in einem Bett geschlafen hatte, das breiter war als lang. Scheiße, ich hätte eine Orgie darin feiern können – was ich natürlich nicht getan hatte. Ich war jetzt ein braves Mädchen. Eines, das die Nacht im luxuriösesten Hotel von Nashville verbracht hatte und heute ihr erstes Cover-Shooting haben würde!
Ich war wirklich hier. Das hier war echt. Stylisten morgens um acht, Pressetermine um zehn und Aufnahme-Sessions am Nachmittag. Keine Kellnerjobs und Kellerbühnen mehr.
In weniger als vier Monaten würde nach drei Jahren harter Arbeit und dreihundert Litern Blut, Schweiß und Tränen meine erste Maxi-CD erscheinen. Noch kein volles Album, aber ganze fünf Songs, und nicht nur als Online-Streaming, sondern auf einer CD. Zum Anfassen!
Zu sagen, dass ich nervös war, wäre ungefähr so untertrieben wie die Aussage, Michael Jackson sei ein passabler Sänger gewesen.
»Ist das schon wieder ein neues Unkraut?« Cassandras Blick musterte die mannshohe Zimmerpflanze, die ich gestern beim Bummeln im Farmer’s Market ergattert hatte. Einer der unzähligen Vorteile einer Großstadt: Es gab immer Neues zu entdecken.
»Das ist ein Gummibaum. Gut fürs Raumklima – und gut für die Stimme!«, schob ich schnell nach, damit sie ihn mir ließ.
Und meine Mom hätte ihn geliebt, fügte ich in Gedanken hinzu und schickte eine imaginäre Kusshand zum Himmel. Der Garten unseres Häuschens war immer meine Oase gewesen, und ich hatte es geliebt, dass in unserem winzigen Haus vor lauter Zimmerpflanzen kaum Platz für Möbel gewesen war.
Jetzt schob ich den Gedanken beiseite und setzte mich endlich vor dem Stylisten-Paar auf den Barockstuhl. Beide begannen augenblicklich mit ihrer Arbeit. Die Frau scheitelte und bürstete meine dicken Naturlocken, der Mann suchte in seinem Make-up-Koffer nach dem passenden Ton, probierte eine Nuance, dann noch eine, und eine dritte. Zugegeben, mein Teint war nicht alltäglich. Mein Vater war Däne gewesen, so hell, wie man nur sein kann. Meine Mutter Amerikanerin mit brasilianischen Wurzeln. Das Ergebnis: Ich. Mit diesem undefinierbaren Teint, irgendwo zwischen Jennifer Lopez und Zendaya. Nicht so außergewöhnlich, dass ich angefeindet wurde – meistens jedenfalls. Aber außergewöhnlich genug, um das Interesse von Cassandra Gold geweckt zu haben, der Muräne unter den Haien, die das Musikfischbecken dominierten.
Na gut, machten wir uns nichts vor. Sie war eher wie meine Zuhälterin, denn streng genommen war das Showbusiness nichts anderes als moderne Prostitution. Du opferst deinen Körper, deine Seele und alles, was dir jemals wichtig war, für den Ruhm, von Menschen geliebt zu werden, die du nicht mal kennst. Bis irgendjemand kommt, der besser, schöner, jünger, anders ist als du. Dann kriegst du einen Zusammenbruch und arbeitest noch härter, bis die glorreichen fünf Minuten wieder dir gehören.
Wer sich so etwas freiwillig antat? Hier, ich. Jade Darling, geboren als Madeleine Jade da Rosa. Ich hatte buchstäblich alles dafür aufgegeben.
Und ich würde es wieder tun.
Deswegen grollte ich Cassandra nicht, wenn sie meine Termine schichtete wie Cannelloni in eine Auflaufform. Ich protestierte nicht, wenn sie mich in viel zu elegante Kleider oder viel zu züchtige Blusen steckte, damit mein braves Image Schlagzeilen in Musikmagazinen machte. Und ich beschwerte mich nicht, wenn sie meinen Ernährungsplan diktierte, damit die Blusen auch mal bauchfrei sein konnten. Dabei fand ich keineswegs, dass ich dick war. Ich war höchstens ein bisschen zu klein für mein Gewicht.
Trotzdem schob ich mir schnell noch eine Handvoll Popcorn von meinem gestrigen Hotel-Heimkinoabend in den Mund, bevor sie die Schüssel wegnehmen konnte. Gesalzenes Popcorn mit Karamell-Topping war meine größte Schwäche.
Na ja, eine von vielen.
Ich kaute möglichst langsam, um den Stylisten nicht zu sehr dabei zu behindern, die Foundation aufzutragen. Er benutzte ein Schwämmchen, das sich kühl und feucht anfühlte. Ich mochte Schwämmchen am liebsten.
Noch lieber mochte ich es, gar kein Make-up zu tragen. Aber dann sah man meine Sommersprossen – ja, die Natur war manchmal seltsam –, und Sommersprossen waren laut Cassandra nur bei zarten Rothaarigen süß. Ich war nicht rothaarig – es sei denn, man zählte dunkles Kastanienbraun zu Rot. Ich stemmte mich gegen das Ziepen, während die Stylistin meine Naturlocken zu einer Frisur zerrte, die am Ende vermutlich aussehen würde, als wäre ich gerade erst aufgewacht. Warum man dermaßen viel Aufwand betrieb, damit etwas am Ende natürlich aussah, würde ich nie verstehen. Musste ich aber auch nicht. Ich war für das Singen und Songwriting zuständig, Cassandra für das Marketing.
Was mich daran erinnert …
»Hast du zufällig einen schmutzigen Reim auf ›Nur du‹?«, fragte ich Cassandra, während der Stylist meinen Kopf festhielt, um mir einen Lidstrich zu ziehen. Cassandra stand am Schreibtisch und las in Dokumenten, die sie mitgebracht hatte. Ein neuer Vertragsentwurf?
»Sehe ich etwa aus wie ChatGI?«
»Es heißt ChatGPT, und ich würde nie eine KI für Songtexte nutzen.« Ich kicherte, räusperte mich aber sofort, als der Stylist konzentriert den Eyeliner-Stift absetzte. »Shit, sorry.«
Er blinzelte überrascht. Und ich ärgerte mich über mich selbst. Wie lautete die goldene Regel? Genau: Klappe halten.
Und verdammt noch mal nicht fluchen!
Keine schlechte Presse. Keine Skandale. Kein Tratsch. Vor allem kein Tratsch. Nichts beendete eine Karriere schneller als die falschen Gerüchte über dich, egal wie viel Talent du hast oder wie hart du arbeitest.
»Sorry«, murmelte ich noch mal.
Stille. Dann raunte der Stylist: »Tattoo.«
»Hä? – Ich meine, wie bitte?«
Ungebeten wurde mir heiß. Wie von selbst huschten meine halb geschlossenen Augen zu seinen Händen. Ich sah schlanke Finger, aber keine Tattoos.
Zumindest nicht in der Realität.
Vor meinem inneren Auge sah ich eine Menge davon. Buchstaben auf Fingerknöcheln, Seemannsknoten auf sehnigen Unterarmen, Diamanten und Spielwürfel auf muskulösen Rippenbögen, die mir genauso vertraut waren wie mein eigener Körper.
Ich kniff die Augen zusammen, um die Bilder loszuwerden.
Mist. Der Stylist musste schon wieder innehalten, diesmal mit dem Lidschatten. Ich hielt die Luft an, um mich nicht zum dritten Mal zu entschuldigen. Und, um die letzten Erinnerungen fest in der Kiste mit dem Aufkleber »Zerbrechlich – bitte vorsichtig … oh, schon kaputt!« zu verschließen, in die ich sie verbannt hatte, als ich meiner Heimat den Rücken gekehrt hatte.
Die Kiste konnte ich erfolgreich verschließen.
Der heiße Knoten im Bauch blieb.
»Ein schmutziger Reim für ›Nur du‹«, erklärte der Stylist überflüssigerweise.
Nicht hilfreich. Der heiße Knoten zog sich enger. Er hatte ja keine Ahnung, wie schmutzig.
Ich war versucht, das Wort trotzdem für die Songzeile zu benutzen. Aber dann würde der Text in eine ganz andere Richtung abdriften, Cassandra würde ausflippen, mir im besten Fall einen weiteren Benimmkurs aufbrummen und mich im schlimmsten Fall zurück auf die Straße setzen.
Nein.
Ich schüttelte den Kopf. Schon wieder mussten der Stylist und die Hairstylistin innehalten. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Cassandra die restliche Post in ihrer Handtasche verstaute.
»Ich muss los. Du kommst klar, Jade? Vergiss nicht die Antworten, die wir geprobt haben. Ach, und …«, ich wappnete mich für die Bombe, die meine Managerin immer nach diesen zwei unschuldigen Wörtchen platzen ließ, »Bobby Blake ist in der Stadt. Ich habe euch einen Tisch reserviert, du gehst doch mit ihm aus, oder?«
Ich atmete beherrscht durch. Bobby Blake war der Sohn von Jeffrey Blake, der zurzeit Southern Hill Records leitete. Das Label, bei dem Cassandra mein nächstes Album unterbringen wollte. Mein richtiges Album.
Ich zögerte. »Bobby Blake ist ein …«
»Überheblicher Schnösel ohne Talent, ich weiß.«
Mein Blick huschte zu dem Stylisten, doch der ließ sich keine Regung anmerken. Profi. Ich biss mir auf die Zunge.
Langweiliges Weichei, hatte ich sagen wollen. Stattdessen lächelte ich bloß, während Cassandra fortfuhr: »Aber er ist ein heißer Draht zu Southern Hill. Und wir mögen’s heiß, nicht wahr?«
Ich blendete alles aus, konzentrierte mich nur auf mein Ziel. Ein Vertrag bei Southern Hill Records. »Klar, kein Problem, ich treffe mich mit ihm.«
Cassandra grinste. »Das ist mein Mädchen.«
Du meinst wohl Pferd.
»Ich habe dir übrigens die Post der letzten Woche in deine Wohnung gebracht.«
Damit meinte sie das Gästezimmer über der Garage ihres Bruders Clifford, in dem sie mich vor knapp einem Jahr einquartiert hatte, damit ich die zwei Kellnerjobs aufgeben konnte. Immerhin musste ich dort keine Miete zahlen und konnte mich komplett aufs Singen konzentrieren.
Ich wollte gerade nicken, da ließ sie bereits die zweite Bombe platzen: »Ach, und: Um die Angelegenheit in Kentucky habe ich mich bereits gekümmert. Mein Beileid für den Tod deines Onkels.«
»Beweg dich nicht, Kleines, sonst wird das hier ’ne Riesensauerei.«
Tracy biss sich begeistert auf die Unterlippe, während ich meine Atmung kontrollierte und mich noch weiter über sie beugte.
Sie lag ausgestreckt auf dem Bartresen.
Angezogen.
Während ich ein Kartenhaus auf ihrem Bauch platzierte, auf dessen Etagen bereits zwei gefüllte Shotgläser thronten.
»Wenn es danebengeht, musst du es ablecken«, kicherte sie.
Amüsiert schüttelte ich den Kopf, während ich die letzten Karten mit der Präzision eines Chirurgen aneinanderstellte. »Das kann dein Freund machen.«
Aber nicht, bevor ich ihn kennengelernt und zur Seite genommen hatte. Tracy war siebzehn, über vier Ecken mit mir verwandt, und heute war ihr Geburtstag. Mir kam der Gedanke, dass ich mit einunddreißig Jahren fast doppelt so alt war wie sie, und wie jedes Mal schockierte mich die Erkenntnis, dass ich nicht mehr einundzwanzig war.
»Du weißt, dass ich keinen Freund –«
»Shhht!«, raunte ich, bevor ich erfolgreich das letzte Glas platzierte.
Scheiße, ich sollte Geld für so was nehmen.
Ich zog die Hände zurück, woraufhin ein paar Fotoblitze zuckten. Kurz darauf sammelte ich die drei Gläser ab und schaffte es, dass kaum ein Tropfen auf Tracys gehäkeltem Top landete.
Jubelrufe, Beifall, Klatschen. Die Leute rasteten förmlich aus, und mein Grinsen reichte bis zum Mond, als ich mich tief verbeugte, bevor ich Tracy vom Tresen half.
Meine ganz persönliche Bühne. Scheiß auf die großen Stadien dieser Welt, ich brauchte bloß Sweet Springs. Wenn ich mir das oft genug einredete, glaubte ich es bestimmt irgendwann.
Tracy landete fest auf den flachen Absätzen ihrer Boots, bevor sie gleich zwei der Gläser aus meiner Hand nahm und eines davon herunterkippte. Ich verbot es ihr nicht. Heute war ihr Geburtstag, abgesehen davon gab es hier auf dem Land kaum jemanden, der nicht schon mit sechzehn seinen ersten Vollrausch gehabt hatte.
»Danke, Ash! Darüber werden die Leute ein Jahr lang reden.«
»Zwei. Immerhin leben wir hier am Arsch der Welt.« Ich zwinkerte ihr zu, bevor sie sich wieder unter ihre Gäste mischte. Kaum, dass sie sich umgedreht hatte, fiel das Lächeln aus meinem Gesicht, und ich packte Mike am Kragen. Er war erst achtzehn, aber schon fast so groß wie ich.
»Wenn du ihr noch mal so auf die Brüste glotzt, ohne sie vorher auf ein Date einzuladen, kriegen wir zwei Ärger. Verstanden?«
Heftig nickend hob er die Arme. Ich ließ ihn los.
»Danke. Ich war kurz davor, ihn mir selbst vorzuknöpfen.« Diese Worte kamen von der Inhaberin der Ranch, Tess Davis, die prompt um den Tresen herumkam und sich auf den Barhocker neben mir fallen ließ. »Nette Show, Crawford. Ich gestehe, ich habe gewettet, du würdest eine Sauerei veranstalten.«
»Wenn du eine Sauerei haben willst, musst du es nur sagen.«
Lachend ließ Tess den Blick durch ihren vollbesetzten Pub wandern. Sie hatte vor zwei Jahren die alte Pferde-Ranch übernommen und mit neuem Konzept wieder erfolgreich gemacht. Das schienen alle Mitglieder des Davis-Clans zu können: aus Scheiße Geld machen. Grinsend hob ich das Shotglas, das Tracy mir überlassen hatte.
»Ich bin froh, dass sie dich nicht wieder eingesperrt haben«, sagte Tess da.
Ich schluckte bitteren Alkohol, verdrängte das Unbehagen und verschloss meine eigene Erleichterung darüber hinter einer ironischen Maske. »Ach, die hätten mich sowieso einen Tag später zurückgegeben. Und wie geht’s dir?«
Sie akzeptierte den Themenwechsel. »Ganz gut, jetzt, da Jax das Racing-Event wieder veranstalten will. Den Umsatz brauche ich nämlich wirklich. Hast du gehört, was Arthur letzte Woche nach der Kirche …?«
Eine kurze Abfolge sonniger Gitarrennoten dröhnte aus den Lautsprechern, und innerhalb von einem Vierteltakt verwandelte sich der Tequila in meinem Bauch in ätzende Säure.
»Steve …« Ich warf dem Barkeeper einen drängenden Blick zu. Er glotzte mich bloß an wie ein Auto, das am falschen Bahnhof stand.
Tess unterbrach ihr Geplauder und stapfte um die Bar herum, plötzlich von dem hitzigen Temperament erfasst, das ebenfalls alle Familienmitglieder des Davis-Clans besaßen. Zwei Takte später war der Song durch einen Bruce-Springsteen-Klassiker ersetzt.
»Danke.«
»Hab ich nicht für dich getan«, schnaubte sie. »Du solltest das in den Griff kriegen. Es ist vier Jahre her.«
Dreieinhalb.
Ich wollte etwas erwidern, wofür sie mich vermutlich ohrfeigen würde, aber da war Tess schon durch die Schwingtür in den angrenzenden Personalraum verschwunden.
Schulterzuckend schenkte ich mir aus der Tequilaflasche nach.
»Ex-Freundin?«, fragte da eine sinnliche Stimme von der Seite. Ich starrte die Frau an, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Und das wollte etwas heißen, denn in einer Kleinstadt mit knapp zehntausend Einwohnern kannte jeder jeden und dessen Oma.
»Nope«, antwortete ich, weil sie sicherlich nicht die Frau im Radio meinte, sondern die, die gerade den Abgang des Jahres hingelegt hatte.
»Single?«, fragte sie weiter.
Ich drehte den Barhocker zur Seite, um sie genauer zu betrachten. Sie trug ein heißes Businesskostüm, das mich unwillkürlich an Clays Frau erinnerte.
»Kommt drauf an«, erwiderte ich. »Und selbst?«
Sie zuckte in einer kalkuliert verführerischen Geste mit den Schultern. »Ich habe heute eine langjährige Beziehung beendet.«
»Shit. Mein Beileid.«
Jetzt grinste sie unverhohlen. »Ist okay. War nicht meine.«
Doppel-Shit. Sie war die Art von Frau, von der man sich fernhalten sollte, vor allem, wenn man am nächsten Morgen die wichtigste Unterschrift seines Lebens leisten würde. Das Engelchen auf meiner Schulter wusste das.
Das Teufelchen ließ mich auf die Steampunk-Uhr hinter der Bar blicken. Kurz nach zehn. Kurz diskutierten wir drei, das Engelchen verlor, und wie immer winkte ich der vernünftigen Entscheidung zu, während ich sie vorbeiziehen ließ.
»Zweimal, was sie hatte«, bestellte ich bei Steven. Sie bedankte sich für die Einladung.
»Und was machst du so?« Ich ließ den Blick erneut über ihr makelloses Businesskostüm wandern. »Anwältin?«
Wenn ja, würde ich mir das hier vielleicht doch noch mal überlegen. Von Anwälten hatten wir in der Stadt genug für ein ganzes Jahrtausend gesehen.
»Immobilienmaklerin.«
Ich blinzelte, ließ mir jedoch keine Regung anmerken. Wie praktisch, dass ich morgen früh einen Haufen Häuser besitzen würde. »Interessant. Kaufen oder verkaufen?«
»Beides. Grundstücke kaufen, Häuser verkaufen. Ich dachte, das könnte dich interessieren, Ash Crawford. Ich habe gehört, du bist gut darin, Häuser zu bauen.«
Babe, ich bin in einer ganzen Menge Dinge gut.
Ich drehte mich ihr vollends zu. »Nenn mich Ash.«
»Nina. Nina Bowmaker.«
Wir schüttelten uns die Hand. Und dann begann sie zu erzählen, was sie hier vorhatte. Und es fühlte sich an, als hätte ich endlich mal die richtigen Karten auf der Hand.
Zwanzig Minuten, halb geschmiedete Pläne und einen Haufen Shots später klingelte mein Handy.
»Sekunde, Nina.« Ich angelte es aus der Hosentasche und musste ein Stöhnen unterdrücken. »Devin.«
»Hey, Mann. Tut mir leid für die späte Störung.«
»Tut’s dir nicht.«
Er lachte. Eigentlich freute es mich immer, seine Stimme zu hören, schließlich war er mein Cousin und einer der coolsten Typen, die ich kannte. Leider – oder besser gesagt, zum Glück – war er Deputy beim hiesigen Sheriff’s Office, hatte mich ein paar Mal zu oft vor dem Gefängnis bewahrt und deswegen ungefähr dreihunderttausend Gefallen bei mir offen.
»Ich brauche deine Hilfe. Bist du nüchtern?«
Ich kniff ein Auge zu und zählte die leeren Shotgläser vor mir. »Ich bin funktionstüchtig.«
Er zischte ärgerlich. »Es ist Donnerstag!«
»Entspann dich, ich bin auf Tracys Geburtstag. Bestimmt sitze ich nicht allein in ’ner Bar und gebe mir die Kante, um mein beschissenes Leben zu vergessen und ’ne heiße Braut abzuschleppen.«
Sagte er, und warf der heißen Braut neben sich an der Bar einen Blick zu.
Nina kramte lächelnd in ihrer Handtasche.
»Ich schicke jemanden vom PD, der dich abholt.«
»Wenn es Zane ist, bringe ich dich um.« Falls der nicht vorher mich umbrachte. Deputy Zane Hopkins und ich … wir waren so ein bisschen wie Tom und Jerry, nur ohne Blumen.
»Ich kann keine Personalwünsche stellen. Sei froh, dass du nicht zu Fuß kommen musst. Ich brauche Hilfe bei den Kontrollen vor der Stadt. Zu viele Leute, die aus Mexiko zurückkommen. Du könntest die Jugendlichen übernehmen.«
Seufzend massierte ich mir den Nacken. Nein, noch mehr Jugendliche mit illegalen Substanzen brauchten wir wirklich nicht in der Stadt. Wieso nur ging Devin immer davon aus, dass ich die am besten geeignete Person war, um mit den Kids zu sprechen? Ich war ja selbst noch zwölf.
Okay … vielleicht war das der Grund.
»Du solltest anfangen, mich für den Scheiß zu bezahlen, Devin.«
»Ich glaube, ich bezahle dich ungefähr mit vierundzwanzig Stunden pro Tag, die du frei herumlaufen kannst«, schoss er zurück.
Punkt für ihn. »Ich bin bei Tess auf der Ranch.«
»Ich sage den Jungs vom PD Bescheid. Danke, Ash. Bis gleich.«
Stöhnend legte ich auf und ließ den Kopf hängen, bis mir zu lang gewordene Haarsträhnen in die Augen fielen. Ich hatte das noch nicht wirklich raus, sie alle auf einmal in das Haargummi zu kriegen. Ich könnte natürlich auch einfach mal wieder zum Friseur gehen.
Ninas Blick folgte meiner Hand, als ich mir das Deckhaar aus dem Gesicht strich. Ich hatte schon oft beobachtet, wie Frauen auf längere Haare reagierten. Vielleicht verspürten sie denselben Drang, ihre Finger darin zur Faust zu ballen, wie Männer.
»Geänderte Abendpläne?«, fragte sie. Als ich entschuldigend nickte, griff sie nach meinem Handgelenk.
»Alles klar, kein Grund, gleich hier über mich herzufallen.«
Sie warf mir einen amüsierten Blick zu, dann drehte sie einen teuer aussehenden Kugelschreiber auf und schrieb ihre Telefonnummer und eine Adresse zwischen meine Tattoos auf meine Haut. »Komm vorbei, wenn du fertig bist, dann können wir über einen Rahmenvertrag sprechen und …«
Den Rest des Satzes ließ sie unausgesprochen. Ich verstand ihren sinnlichen Blick trotzdem.
Worauf du wetten kannst.
Acht Stunden zuvor
Mein Onkel ist gestorben.
Mein Onkel ist gestorben.
Mein Onkel ist …
Meine Stimme brach.
Ich wandte mich von dem Mikrofon ab und atmete tief durch. Keine Ahnung, wie ich den Interviewtermin heute Vormittag überlebt hatte, nachdem Cassandra diese Bombe hatte platzen lassen. Ich wusste nicht einmal mehr, was ich alles gesagt hatte.
»Scheiße …«
Josh und Chris am Regiepult tauschten einen Blick. Ob wegen meines Fluches oder meiner Unfähigkeit, eine gerade Songzeile zu singen, wusste ich nicht. Reiß dich zusammen, Maddie!
Ich presste die Augen zu und die Studio-Kopfhörer auf meine Ohren, um mich auf den Song zu konzentrieren.
Ich liebte die Melodie und den Rhythmus. Warum fühlte ich dann nichts außer dem Drang, in Tränen auszubrechen? Vielleicht waren Cannelloni-Termine doch zu viel für eine Nachricht vom Tod eines nahen Verwandten.
»Sorry, Jungs. Können wir vielleicht kurz –?«
»Macht nichts, du hattest sowieso zu viel Vibrato drin«, unterbrach mich Chris, der Audio-Producer meiner Maxi-CD.
Entrüstet öffnete ich die Augen wieder. Das Vibrato war die leicht schwingende Dissonanz der Stimme, wenn man einen Ton länger hielt. Eigentlich war das eines meiner Markenzeichen.
»Einfach noch mal, du schaffst das.« Chris ließ den Zeigefinger kreisen, und Josh spielte die Passage noch mal ein.
Ich schüttelte den Kopf. »Aber ist das Vibrato nicht genau das, was wir wollen?«
»Nein.« Jetzt war es Josh, der Tontechniker, der antwortete. »Da können wir keinen High Pitch drüber legen, und ohne ist deine Stimme zu kratzig fürs Radio.«
Mir klappte der Mund auf. Danke für die Feinfühligkeit. Zum Glück bin ich ein Roboter und brauche keine menschliche Zuwendung! Wer wäre Tina Turner ohne ihr kratziges Timbre gewesen? Joan Jetts »Bad Reputation« ohne kratziges Vocal-Fry? Sollte in Zukunft vielleicht lieber Siri Songs aufnehmen? Wenn ich mir einige Pop-Hits so anhörte, waren wir da schon jetzt gefährlich nahe dran.
»Sorry!«, widersprach ich eindringlicher. »Aber ist das nicht …«
»Darling.« Chris seufzte. »Wir verbrennen hier drin pro Stunde sechshundert Dollar, also wie wärs? Du kümmerst dich ums Singen, wir kümmern uns um den Sound, und später können wir darüber diskutieren, was du davon hältst.«
Er machte eine auffordernde Geste.
Und ich … besann mich auf die goldenen Regeln des Showbusiness, schluckte meine fluchlastige Widerrede hinunter und setzte ein Lächeln auf, das hoffentlich nicht wie ein Zähnefletschen aussah. »Klar.«
Ich überlebte die Aufnahme des Songs, wie ich den Interviewtermin heute Vormittag überlebt hatte: irgendwo zwischen dumpfem Nebel und automatisierten Körperfunktionen.
Mein Onkel war tot. Der letzte lebende Verwandte, den ich noch gehabt hatte. Na ja, der Einzige, der von meiner Existenz wusste. Ich hatte meiner Mutter nie einen Vorwurf gemacht, dass sie nie versucht hatte, Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen. Doch jetzt gerade, ohne sie und Onkel Pedro, fühlte ich mich verdammt einsam auf der Welt.
Josh und Chris tauschten noch einen Blick, bevor Josh sein Mikro aktivierte. »Okay, Darling. Fünf Minuten Pause, bevor wir den nächsten Song aufnehmen.«
Ich hasste es, wenn Männer mich Darling nannten, als würde ich ihnen gehören.
Andererseits … das war nun mal jetzt mein Name.
Jade »Everybody’s Darling« war das neue Sternchen am Country-Himmel. Sie war höflich, kultiviert und absolut harmlos. Das Problem war nur … sie war nicht ich. Maddie da Rosa war kein bisschen von dem, was Cassandra ihr – mir! – angedichtet hatte.
Verdammter Mist!
Das rot leuchtende Aufnahme-Schild über der Studiotür erlosch, als Josh und Chris die Regiekabine verließen, und ich sank auf den ausladenden Ledersessel, der besser gefedert war als die meisten Betten, in denen ich jemals geschlafen hatte.
Vor allem das Bett bei Onkel Pedro. Er war zurück nach Brasilien gegangen, als ich noch klein gewesen war, und hatte immer allen erzählt, dass er irgendwann ein reicher Mann werden würde.
Stattdessen hatte er mir nun einen Haufen Schulden hinterlassen, und ein winziges Haus am Arsch der Welt in Sweet Springs, dessen einziger Wert die sentimentalen Kindheitserinnerungen waren, die ich damit verband.
Es war das Haus, in dem ich mit meiner Mutter gelebt hatte, bevor sie gestorben war. Immerhin hatte er das nie verzockt.
Ich liebte das Haus, und ich wollte es behalten. Ich wollte das Besteck, auf das Mom so stolz gewesen war. Die Gardinen, die sie selbst gehäkelt hatte. Die alten Platten auf dem Dachspeicher. Und die Erinnerungen an meinen Dad, den ich nur von den Fotoalben im Keller kannte. Ich wollte den Garten mit der Reifenschaukel und den schiefen Orchesterklang der nahen Musikschule, wenn im Sommer die Fenster offen standen. Dieses Haus war das Einzige auf der Welt, das wirklich mir gehörte. Das Einzige, das mich an meine Mom erinnerte.
Die Sache hatte nur einen Haken. In dem behördlichen Schreiben, das Cassandra bereits, ohne mich zu fragen, beantwortet hatte, stand klar: Wenn ich das Haus übernehmen wollte, musste ich auch Pedros Schulden übernehmen. Vierhunderttausend Brasilianische Real. Das waren knapp achtzigtausend Dollar.
Du hast doch einen Knall, titi!
Ich hasste es, dass Cassandra das Erbe und damit auch das Haus abgelehnt hatte. Aber sie hatte recht: So viel konnte ich nicht zurückzahlen. Tage wie heute – Luxus-Hotels, Stylisten und Pressetermine – gaben mir die Illusion, ich hätte es geschafft.
Bloß, um mich in Momenten wie diesen wieder auf den brutalen Boden der Tatsachen zu reißen. Ich rutschte noch tiefer – buchstäblich, als ich von dem Sessel auf den flauschigen Teppich glitt, aus den Sandalen schlüpfte und die Zehen in die weichen Fasern grub.
Wieso nur war es so verflucht schwer, erfolgreich zu werden?
»Scheiße, Jadie, wenn es leicht wäre, könnte es jeder.«
Ich blinzelte, als mir auffiel, dass das nicht meine Worte waren.
Und dann blinzelte ich noch mal, als ich daran dachte, was der Mann, dessen Worte das waren, tun würde.
»Nach den verfickten Sternen greifen, Babycake.«
Ich konnte fast seine tiefe Stimme dabei hören, sein träges, unendlich breites Grinsen sehen. Seine Nähe schmecken. Eilig schob ich die Gedanken an Ash Crawford tief in die Scherbenbox, sammelte mein Selbstmitleid und mich vom Boden des Aufnahmestudios auf und schob mir die Kopfhörer über, noch bevor Josh und Chris zurückkamen.
»Bereit, Darling?« Chris stellte eine halb leere Flasche Cola neben sich auf den Boden.
Ich hob einen Daumen, während ich mich in den Rhythmus der Songstelle eingroovte, an der wir stehen geblieben waren.
Baby, ich wurde verdammt noch mal bereit geboren.
»Ja. Danke, dass ihr gewartet habt.«
»Kein Ding. Goldie Bennett war gerade draußen, und wir haben die Gelegenheit genutzt, um unsere Selfies mit ihr aufzufrischen.« Josh zwinkerte mir zu, bevor er den Regler hochschob, der meine Stimme aus dem Song herausfilterte, damit ich mich nicht doppelt hörte.
»Jade, Darling! Ist das zu glauben?«
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich knapp eine Stunde später geschafft, aber glücklich aus dem Aufnahmeraum stolperte. Das war Goldie Bennett! Ihre glockenhelle Stimme schallte wie die einer Sirene durch den Flur, als sie mit ausgebreiteten Armen auf mich zustürmte, als würden wir uns schon ewig kennen. Hinter ihr folgte eine ganze Entourage aus PR-Managerin, zwei Assistenten und einem Typen, der – warte, filmte der sie etwa gerade mit einer Kamera auf einem Schwebestativ? Uns?
Ich schaffte es gerade noch, den Mund zuzuklappen, bevor sie mich in eine überschwängliche Umarmung zog. In echt war sie noch viel überwältigender als auf ihren Postern und Plattencovern.
Goldie Bennett war eine Legende. Sie war acht Jahre älter als ich und mit ihren fünfunddreißig Jahren auf dem Zenit ihrer Karriere. Was mir einmal mehr verdeutlichte, dass ich mit siebenundzwanzig schon fast zu alt war, um noch wirklich erfolgreich zu werden. Goldie war mein Vorbild, mein Idol – und der Grund, aus dem ich es vor knapp vier Jahren überhaupt gewagt hatte, meine jämmerliche Heimatstadt zu verlassen und ohne Plan und Geld nach Nashville zu kommen. Sie hatte es damals genauso gemacht. Und natürlich war Goldie Bennett auch nicht ihr echter Name, denn niemand interessierte sich für Nancy Bennett. Jeder hatte eine Nancy Bennett in der Nachbarschaft, wieso sollte man da ihre Platten kaufen?
Außerdem: Das Image des bodenständigen Country Girls von nebenan war schon von zu vielen anderen Sängerinnen besetzt.
Also war aus der netten, etwas verpeilten Blondine Nancy Bennett die Sexbombe Goldie Bennett geworden. Aufregend genug, um Aufsehen zu erregen, aber durch den bodenständigen Nachnamen nahbar genug, um den dringenden Wohlfühlfaktor zu erhalten, der Country so erfolgreich machte.
Dasselbe, was mein Name tat. Meine Managerin verstand ihr Handwerk.
Everybody’s Darling. Keine Skandale, keine derben Widerworte, keine tiefen Ausschnitte. Die Frauen sollten keine Angst haben, dass ich ihre Männer stehlen würde, und die Männer sollten sich nicht schämen müssen, wenn sie meine CD-Cover stundenlang anstarrten.
»Ich konnte mir die Chance nicht entgehen lassen, das neue Sternchen am Country-Himmel endlich persönlich zu treffen«, rief Goldie begeistert. »Dein neuer Song geht ja förmlich durch die Decke! Hast du den selbst geschrieben?«
Hitze schoss mir in die Wangen. »Wieso …?« Meine Stimme klang, als hätte ich eine Kröte verschluckt.
»Oh, du würdest dich wundern, wie viele Künstler ihre Songs nicht selbst schreiben.«
Ich blinzelte. »Schreibst … du deine Songs selbst?«
Goldie zog die gepuderte Nase kraus, als wäre die Frage absurd – was sie zugegeben auch war. Schweigen ist Gold!
Glücklicherweise hatte ich keine Zeit, mich für diesen Fehltritt zu schämen, weil sie erneut meine Schultern umfasste. »Oh, Darling, sieh dich an. Ich liebe deinen aufregenden Teint. Und dazu deine rauchige Stimme! Die Magazine haben recht, du wirst eine Legende.«
Machte sie Witze? Das hier war Goldie fucking Bennett, die mich eine Legende nannte?
»Ich habe auch gehört, du datest niemand Geringeren als Bobby Blake! Äh … Darling, was genau tust du da?«
Ich rieb mir über die Stelle am Oberarm, in die ich gerade gekniffen hatte. »Sorry, ich musste mich kurz kneifen, um sicherzugehen, dass das hier echt ist«, gestand ich. »Ich meine: Heilige Scheiße, Goldie fucking Bennett!« Der Schmerz setzte ein, ich rieb mir erneut über den Arm. »Scheiße, das tut echt weh.«
Sie lachte wieder, jetzt noch eine Spur begeisterter. »Hey, du fluchst ja richtig! In den Interviews wirkst du immer so … harmlos.«
Mein Lächeln verrutschte. Ja, diese Sache mit meinen Manieren. Wenn Cassandra das herausfand, war ich geliefert. Filmte diese Kamera gerade wirklich alles?
Goldie schien meine Panik zu bemerken, denn sie hakte sich bei mir unter wie eine alte Freundin. »Keine Sorge, ich werd’s keinem erzählen. Wir haben doch alle unsere schmutzigen Laster, oder? Apropos schmutzig: Magst du ihn?«
»Wen?«, fragte ich, während ich mich in Gedanken auf die verdammte Scherbenkiste setzte, damit der Deckel mit meinen sehr schmutzigen Lastern fest verschlossen blieb.
»Bobby Blake!«
Die Kiste rückte in den Hintergrund, weil ich meine nächsten Worte mit Bedacht wählen musste. In einer Branche, in der jeder jeden kannte und jedes falsche Wort deinen Karrieretod bedeuten konnte, war Smalltalk ein Minenfeld. »Nun ja, er ist … nett?«
Goldie hielt sich damenhaft eine Hand vor den Mund, um ihr Lachen zu verbergen. »Ist sie nicht goldig? Darling, du bist nett. Er ist ein verschlagener Mistkerl. Brave Mädchen wie du müssen Angst vor Typen wie ihm haben.«
Ich hoffte inständig, dass mein Lächeln echt aussah. Denn die Wahrheit war: Ich war kein braves Mädchen. Und verschlagene Mistkerle konnte ich fast so gut spielen wie die Saiten einer Gitarre.
»Du willst also einen Vertrag bei Southern Hill.«
Bobby Blake legte einen Arm über die Lehne der schreiend roten Sitzbank, als würde ihm der Laden gehören.
Es war ein stylisher Steak- und Burgerladen, in dem es erstaunlich viel Privatsphäre gab. So gingen also die Reichen und Berühmten essen. Ich hob den Blick lange genug von der Speisekarte, um meinem erzwungenen Date argwöhnisch ins Gesicht zu sehen. Er war auf derbe Südstaaten-Art attraktiv, mit einem etwas zu breiten Kiefer, hoher Stirn und wachen, hellgrauen Augen, deren intensiver Blick sich hervorragend auf dem Cover seines ersten Albums machte – womit er mir etwas voraus hatte. Ich konnte verstehen, warum sein Vater ihn als Star etablieren wollte. Ich konnte auch verstehen, warum Leute ihn für arrogant oder verschlagen hielten. Erstaunlicherweise fand ich das überhaupt nicht. Seine Augen hatten eine herzliche Wärme, die nicht viele Menschen besaßen.
Ich sah wieder auf die Speisekarte. »Du sagst das, als wäre das etwas Schlechtes.«
»Mh, gibt Besseres. Du passt nicht rein.«
Ich hob die Brauen. Wegen seiner Worte, und weil dieses Filetsteak hundertsiebzig Dollar kostete! Hatte Cassandra gesagt, dass sie zahlen würde? Ich konnte schlecht von Bobby verlangen, dass er mich einlud. Zur Sicherheit entschied ich mich für den Caesar’s Salad, obwohl ich liebend gern den Burger mit doppelt Käse probiert hätte.
»Weil ich nicht die typische Blondine vom Land bin?«
Er schnalzte mit der Zunge. »Ich spreche nicht von deiner Hautfarbe. Du bist nicht so … skrupellos. Austauschbar. Dir könnte keiner einen beliebigen Kommerz-Song vor die Nase setzen und dich bitten, ihn wie eine leere Hülle zu performen.« Ich blinzelte, überrascht über diese seltene Häufung von negativen Äußerungen. Normalerweise überschlug sich jeder mit Lob und Begeisterung für andere, weil niemand irgendwo anecken wollte. Mir kam in den Sinn, wie herzlich Goldie mich heute empfangen hatte. Ich hatte mich gefühlt wie eine Königin, weil ich von einer Göttin berührt worden war.
»Nicht alle sind übel. Goldie ist nett«, hielt ich dagegen.
»Nett.« Bobby sah aus dem Fenster, schüttelte den Kopf. Ein Kellner kam und nahm unsere Bestellung auf. Bobby bestellte genau den Burger, auf den ich ein Auge geworfen hatte. »Hat nichts mit ihr oder sonst wem zu tun. Ist eben das Business. Macht dich kaputt. Wart’s ab, Darling.«
Jetzt war ich es, die sich grinsend vorlehnte. »Du musst nicht in Halbsätzen sprechen, weißt du? Falls dir irgendjemand gesagt hat, dass das männlich und gefährlich klingen würde: tut es nicht. Es klingt einfach nur dämlich.«
Bobby starrte mich an, und ich zweifelte kurz an meiner geistigen Gesundheit. Hatte ich Bobby »Southern Hill Records« Blake gerade ernsthaft ins Gesicht gesagt, dass er dämlich und unmännlich war?
Bobby blinzelte. Dann prustete er los und spuckte dabei fast in sein Bierglas, was auch mich zum Lachen brachte. »Wenn’s nach meinem Ex-Manager-Team geht, lege ich mir ’nen breiten Texas-Akzent und Schnäuzer zu.« Er zwinkerte. »Deswegen ist es auch mein Ex-Manager-Team.«
Wie er so darüber plauderte wie über ein Basketballspiel, war mit einem Mal das Eis gebrochen. Bobby war erfrischend normal in einer Branche voller Oberflächlichkeit. Ich verdrehte mitfühlend die Augen. »Ich weiß genau, was du meinst. Mir hat meine Managerin verboten, zu fluchen.«
»Du fluchst?«, fragte er begeistert.
Oh, Mist. Ich kräuselte schuldbewusst die Nase und nahm einen Schluck von meiner Cola, von der ich plötzlich wünschte, sie wäre auch ein Bier. »Also, Jade Darling flucht natürlich nicht«, rettete ich mich mit der Art allgemeiner Aussagen, die Cassandra mir beigebracht hatte. Und die auch Goldie heute benutzt hatte …
»Natürlich.« Er zwinkerte verschwörerisch. »Dein echter Name?«
»Du redest schon wieder in Halbsätzen«, klärte ich ihn auf.
»Und du lenkst vom Thema ab.«
Ertappt.
Kopfschüttelnd zerpflückte ich meine Serviette und starrte durch das Tischtuch hindurch in die Vergangenheit zwischen rostigen Traktoren, staubigen Landstraßen und gestohlenen Küssen im hohen Gras. Das Besteckklirren und Restaurantgerede verblasste zu Grillenzirpen und Wind in wogenden Wiesen, und zu dem heiser geraunten Spitznamen, den ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört hatte. Babycake.
»Jade?«, holte mich Bobbys Stimme in die Gegenwart zurück.
»Mein Name ist albern, okay?«
»Alberner als Bobby Blake? Wie ein Sechsjähriger? Wohl kaum.« Er zog eine Grimasse, und ich musste lächeln.
»Na schön, aber nur, wenn du es niemandem erzählst.«
Da lehnte er sich vor. »Ich verrate dir jetzt mal was, Darling: Verlass dich niemals auf Schwüre, die die Leute sowieso für den richtigen Betrag oder die richtige Gelegenheit brechen. Du hast nur Macht über jemanden, wenn du seine Geheimnisse kennst, und du gibst jemandem Macht über dich, wenn er deine Geheimnisse kennt. Merk dir das. Du kriegst im Austausch eines von meinen Geheimnissen, dann haben wir uns gegenseitig am Arsch. Deal?«
Wow, das war ein unerwarteter Rat. Ich verdrängte den Gedanken an den Mann, der mein größtes Geheimnis kannte, und ließ die malträtierte Serviette los. »Da wo ich herkomme, nennen mich die Leute Maddie. Von Madeleine. Mein voller Name ist Madeleine Jade da Rosa.«
»Madeleine?« Bobby kicherte. »Wie die kleinen französischen Kuchen?«
Fuck.
»Ja, wie die verdammten kleinen Kuchen.«
Babycake.
Ich wusste nicht, warum ich ihm das erzählte. Vielleicht, weil er mir etwas über sich erzählt hatte. Vielleicht auch, weil es schön war, überhaupt mit jemandem ein Gespräch zu führen, bei dem es nicht um Termine, Benimmregeln und Deadlines ging. Als ich hergekommen war, hatte ich mich mit einer Kellner-Kollegin angefreundet, Hailey. Aber dann hatte ich den Vertrag bei Cassandra und einen normalen Tagesrhythmus bekommen, während sie immer noch den Nachteulen-Modus der Gastronomiebranche lebte. Und als meine ersten zwei Singles dann immer häufiger in Streaming-Rotations aufgetaucht waren, hatte sie sich zunehmend von mir abgeschottet.
»Gewöhn dich besser dran, Darling. Es ist einsam an der Spitze«, hatte Cassandra gesagt. Ich wünschte, sie würde nicht immer recht behalten.
»Da Rosa … Da-r-ling«, schlussfolgerte Bobby nickend. »Guter Name. Und wo ist dieses da, wo du herkommst?«
»Kentucky.«
»Ah, Bluegrass State. Viel von gehört. Pferde, NASCAR, Moonshine.«
»Na ja, da gibt’s schon ein bisschen mehr«, widersprach ich, obwohl ich selbst nicht wusste, warum ich meine Heimat verteidigte, die ich immerhin freiwillig verlassen hatte.
»Oh, da kommt die Löwin raus und schickt das Honiglamm in den Feierabend«, grinste Bobby. »Hast du da etwa jemanden?«
»Wird das hier ein Verhör?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust, als könnte ich dadurch die ungebetenen Bilder des Mannes unterdrücken, den ich gehabt und verlassen hatte – oder die Reaktion meines Körpers auf ihn.
Bobby ließ sich nicht beirren. »Familie?«
Shit. Jetzt spukten ganz andere Bilder in meinem Kopf, von meiner Mutter im Garten, meinem Onkel, der mich auf der Reifenschaukel anstieß. Ich wandte den Kopf ab, aber zu spät: Tränen schossen mir in die Augen.
»Jade?« Sofort klang Bobbys Stimme besorgt.
»Alles gut«, sagte ich schnell und blinzelte hoch zur Decke, damit die Mascara nicht verlief, falls sie nicht wasserfest war. »Nein, keine Familie mehr. Meine Mom ist vor vier Jahren gestorben und letzten Monat …«, ich holte tief Luft, »auch mein Onkel. Ich habe es erst heute erfahren.«
Bobbys Blick wurde mitfühlend. »Verdammt, das tut mir leid.«
»Danke.« Ich lächelte im missglückten Versuch von Galgenhumor. »Dafür habe ich jetzt entweder ein marodes Haus und einen Haufen Schulden oder aber kein Haus und keine Wurzeln mehr. All meine Erinnerungen sind da drin.«
Ich hätte das Haus nicht so kurz nach Moms Tod verlassen sollen, ohne wenigstens ein paar ihrer Sachen mitzunehmen.
»Warum fährst du nicht hin? Holst raus, was dir wichtig ist, und lässt das Haus Haus sein?«, fragte Bobby, als ich ihm den Inhalt des Schreibens erklärt hatte.
»Weil das illegal ist?«
Bobby zuckte mit den Schultern. »Ich würd nachts einsteigen. Wie alt ist der Brief? Kleine Countys sind langsam, vielleicht ist die Zwangsversteigerung noch nicht durch.«
Ich glotzte ihn an. Nicht, dass ich nicht schon verbotene Dinge getan hatte, aber das hier war … offiziell! Für so etwas ging man ins Gefängnis, oder?
Trotzdem begann ein winziger Teil in meinem Hinterkopf zu arbeiten, während der größte Teil lautstark tausend Gegenargumente vorbrachte, angefangen damit, dass Sweet Springs mehr als drei Fahrstunden entfernt lag und ich kein Auto besaß; dass ich eine Karriere vor mir hatte und meine Managerin es merken würde, wenn ich heute nicht in der Garagenwohnung ihres Bruders aufkreuzen würde. Ganz zu schweigen von all den Gründen, die mit A anfingen, drei Buchstaben hatten und mein persönliches Synonym für »Herz in Scherben« waren.
»Ich könnte alibimäßig behaupten, dass du bei mir schläfst«, schlug Bobby vor. Ich schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich habe abgeschlossen, und ich werde die Vergangenheit nicht wieder aufrollen. Genug von mir. Was ist mit dir, Bobby Blake? Hat dich dein Vater in weiser Voraussicht als Alliteration getauft oder –«
»Robert«, erriet er meine Gedanken. »Nenn mich Rob. Ich hasse Bobby, ich bin schließlich kein Kleinkind mehr.«
»Aber?«
Er hob eine Braue, als ob die Antwort offensichtlich wäre. Und verdammt, das war sie. Bobby Blake war eingängig, schrie förmlich nach Country und ließ sich hervorragend vermarkten. Genau wie Jade Darling. Vielleicht hatte er recht mit diesem ganzen oberflächlichen Scheiß der Branche. Frustriert blies ich die Wangen auf.
Unser Essen kam.
»Und was ist nun dein Geheimnis?«, fragte ich, nachdem der Kellner wieder weg war und ich seinen mit leckeren Käsekalorien beladenen Teller anschmachtete – obwohl mein Salat fantastisch aussah.
»Ich wollte das hier eigentlich nie.«
»Musik?« Das Hähnchenstück plumpste von meiner Gabel.
Er nickte. »Ich will ein Unternehmen gründen. Karl und ich arbeiten schon an einem Plan.«
»Karl?«
»Mein Manager, Karl Greene. Er ist neu auf die Manager-Seite gewechselt, aber er weiß, was er tut. Und vor allem will er meine Vision von mir selbst verwirklichen, und nicht seine.«
Ich nickte, während ich versuchte, Salat, Hähnchen und Parmesan gleichzeitig auf eine Gabel zu spießen. »Und was ist deine Vision?«
»Gesellschaftliche Themen so zu verpacken, dass sie selbst der Letzte versteht. Umweltschutz, Rassismus, Waffengewalt. Ich will mehr als nur die Massen bespaßen. Was in der Welt verändern.«
»Aber Musik verändert etwas«, widersprach ich leidenschaftlich – mit vollem Mund! Schnell hielt ich mir eine Hand vors Gesicht, schluckte und ergänzte: »In jeder Sekunde machen wir mit unseren Songs das Leben von irgendjemandem besser, singen seinen Schmerz weg, schreiben den Soundtrack zum schönsten Date seines Lebens, machen seine Autofahrt zu einer fetten Party und seine einsamen Nächte ein wenig erträglicher.«
Bobby sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern. »Verdammt, du bist wirklich eine von den Guten, Darling.«
Ich sank zurück gegen die Polsterlehne, unschlüssig, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung war, während er in den Innentaschen seiner Lederjacke herumtastete.
»Ich sag dir was: Ich sorge dafür, dass dein Name bei den richtigen Leuten bei Southern Hill Records landet, und du versprichst mir, dass du dich nicht von dieser Branche kaputtmachen lässt, okay? Behalte diese Leidenschaft. Lass dir nicht deine Seele aussaugen wie die ganzen Zombies mit goldenen Stimmbändern da draußen. Denn zu meiner großen Verwunderung mag ich dich. Mist, ich hab keinen Stift dabei, du?«
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich ihm einen Stift reichte. »Ich mag dich ebenfalls mehr, als ich dachte, Rob Blake.«
Er legte ein CD-Booklet auf den Tisch, in dem ich das Cover seines ersten Albums erkannte, und schrieb seine Nummer auf den hellen Himmelbereich des Farbfotos. »Schreib mir, wenn du was brauchst. Und räum verdammt noch mal das Haus aus, sonst wirst du es bereuen. Brauchst du eine gute Mietwagenfirma?«
Nicht dein beschissener Ernst …
Natürlich war es Zane Hopkins, der mich abholte. Ich widerstand dem Drang, meinen hochprozentigen Mageninhalt auf seine Stiefel zu entleeren, und setzte das mörderisch freundlichste Lächeln seit Norman Bates auf, während der bullige Deputy ausstieg, um mit mir auf Augenhöhe zu sein.
Funktionierte nicht mal annähernd, obwohl er die Hühnerbrust aufplusterte und beide Daumen in seine Gürtelschlaufen hakte, um mir seinen Revolver zu präsentieren.
»Crawford!« Ich ignorierte seine Selbstgefälligkeit, während er mich gemächlich von oben bis unten musterte, als würden wir nicht seit zwanzig Minuten am anderen Ende der Stadt erwartet. »Dieselbe armselige Erscheinung wie eh und je, wie ich sehe: zugedröhnt, abgerissen und ungepflegt«, kam er zu seinem Urteil.
Ich verkniff mir ungefähr dreitausend Erwiderungen, einschließlich derer, dass Haarlänge nichts mit Körperpflege und Kleidungsstil nichts mit Wohlstand zu tun hatte, denn ich wusste aus Erfahrung, dass ihn ein gelassenes Lächeln weitaus mehr auf die Palme brachte als ein Wutausbruch. Bonus: Es brachte mich nicht hinter Gitter. »Kommt da noch mehr Weisheitsgrütze, oder können wir los?«
Er schnaubte bloß und öffnete die hintere Tür für mich.
Die. Hintere! Als wäre ich ein beschissener Sträfling auf dem Weg zur Untersuchungshaft. Nicht, dass ich das nicht schon zweimal gewesen wäre.
»Wenn du mitfahren willst, fährst du hinten.« Ich hasste die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme. Aber noch mehr hasste ich, dass ich nichts dagegen tun konnte. Widerstrebend rutschte ich auf den Rücksitz und musterte das klaustrophobische Gitter, das die Vordersitze vom Rücksitz trennte.
»Willst du mir auch Handschellen anlegen, oder sparst du dir die Bondage-Spielchen heute fürs Bordell auf?«
Ich hielt ihm die Hände hin, wohl wissend, dass er sich strafbar machte, wenn er mir ohne triftigen Grund Handschellen anlegte.
Er knurrte bloß und schlug die Tür so hart zu, dass ich den Kopf wegziehen musste, um keinen Nasenbeinbruch zu riskieren. Mein Knie kam nicht so glimpflich davon, ich zischte unterdrückt.
Das schien ihn aufzuheitern, denn als er so schwungvoll einstieg, dass der Wagen wackelte, frohlockte er: »Ich wusste ja, dass ihr schon immer arme Schlucker wart, aber hätte nicht gedacht, dass du dir nicht mal mehr ein Taxi leisten kannst!«
Ich kratzte mich mit dem Mittelfinger am Kinn. »Tja, was soll ich sagen? Taxifahrer sind leider nicht dumm genug, mich kostenlos mitzunehmen.«
Sein stahlgrauer Blick im Rückspiegel zuckte zu mir, seine Nasenflügel blähten sich. Ich schob die Hände in die Jackentaschen und sah betont gelangweilt aus dem Seitenfenster. Die meisten Häuser waren bereits dunkel, die Straßen glitten schemenhaft dahin. Hin und wieder blendeten mich Scheinwerfer, wenn wir auf den Kreuzungen einem Auto begegneten, und jedes Mal bohrte sich das gleißende Licht geradewegs in mein Hirn.
Das würde morgen einen üblen Kater geben. Heute waren verhältnismäßig viele Fahrzeuge unterwegs, offenbar kamen tatsächlich viele erst so kurz vor Ende der Sommerferien zurück aus dem Süden. Jeder, der nach Louisville, Lexington oder noch weiter nördlich nach Cincinnati oder Indianapolis wollte, kam über die Landstraße bei Sweet Springs, wenn die Interstates verstopft oder wegen eines Unfalls gesperrt waren. Wenn wir Glück hatten, machten ein paar von ihnen in Pipers Pension oder auf Tess’ Ranch halt.
Beim zehnten Paar Scheinwerfer gab ich es auf und lehnte den Kopf mit zusammengekniffenen Augen gegen die Nackenstütze.
»Weißt du, vielleicht sollte ich dich in ein Röhrchen pusten lassen und auf Alkohol testen.« Als ich ein Auge öffnete, sah ich sein ekelhaftes Grinsen im Rückspiegel. »Oder auf Drogen. Wie geht’s denn deiner Mutter so?«
Ich ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass sie zitterten. Worte konnten nicht beschreiben, wie gern ich diesem Kerl aufs Maul hauen wollte. Leider hinderte mich nicht nur das Gitter des Polizeiwagens daran, sondern die simple Tatsache, dass er ein staatlich vereidigter Polizist war und ich ein ehemaliger Gefängnissträfling.
Die Tatsache, dass er ein sadistisches Arschloch war und ich bloß ein Junge aus der falschen Familie, interessierte in einer Welt voller Paragrafen und Vorurteile niemanden. Er hatte die Marke, ich nicht. So einfach war das.