R.O.M. (Band 3) - Im Tempel des Bösen - Christian Tielmann - E-Book

R.O.M. (Band 3) - Im Tempel des Bösen E-Book

Christian Tielmann

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Beschreibung

Drei Freunde. Unheimliche Geschehnisse. R.O.M. In Rom geschehen unheimliche Einbrüche: Immer nachts. Immer übers Dach. Immer trifft es Unschuldige. Meander und Olivia beschleicht ein schlimmer Verdacht. Steckt ihr Freund Remus dahinter, der sich immer merkwürdiger verhält? Oder vielleicht der unheimliche Gott, dem Remus seit Neuestem aufs Wort gehorcht?

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Inhalt

Der Tempel

Veiovis

Der Auftrag

Rom ohne Remus

Remus gegen Rom

Verschwunden

Besuch

Stürmische Nacht

Kalter Braten

In der Falle

Mut und Geduld

Schwer verletzt

Erwischt

DER TEMPEL

Remus war kein Gott. Er war noch nicht mal ein Priester.

Trotzdem wusste er, dass diese Gabe auf dem Altar vor dem Tempel der Göttin des Ackerbaus für ihn bestimmt war. Marcus Mercurius, ein reicher Römer, der für den Kaiser arbeitete, legte fast jeden zweiten Tag dieses Frühstück für ihn auf den Altar.

An diesem Morgen dampfte Remus der Duft frischen Brotes aus dem Bündel entgegen. Marcus Mercurius war so klug gewesen, die Mahlzeit in ein Tuch einzuschlagen, denn es regnete. Remus verschwand in eine der engen Seitengassen.

Er hörte Schritte hinter sich. Verflixt!

Wurde er verfolgt?

Remus sah sich um. Da war jemand. Ein Schatten. Hatte der ihn am Tempel der Ceres gesehen? Blitzschnell bog Remus in eine noch kleinere Gasse ab. Er wartete. Er hörte Schritte. Er rannte weiter, bog rechts ab und wieder rechts, sodass er einmal im Kreis lief. Endlich hatte er seinen Verfolger abgeschüttelt. Oder war da doch noch jemand?

Er versteckte sich hinter den Säulen seines kleinen Lieblingstempels und wartete.

Wenn der Schatten ihm gefolgt war, müsste er ihn bald kommen sehen. Aber es kam niemand.

Remus wartete noch eine Weile. Der Regen wurde stärker. Diesen Tempel benutzten die Römer nicht mehr. Deshalb mochte Remus ihn so gern. Hier konnte er sich in Ruhe aufhalten und war sicher, nicht erwischt zu werden.

Remus’ Magen knurrte so laut, dass er erschrak. Das konnte man ja fast bis zum Forum hören. Er musste dringend frühstücken. Er huschte in den Tempel.

„Hallöchen, Kollege!“, raunte er dem Götterstandbild zu. Remus kannte den Gott nicht. Und so verstaubt, wie er war, schien er schon lange nicht mehr verehrt zu werden.

„Hast du auch so einen Hunger?“, fragte Remus das Götterstandbild.

Der Gott schwieg. Natürlich.

Remus hockte sich auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an den Sockel, auf dem die Götterfigur stand, und öffnete das Essensbündel.

Frisches Brot, Feigen, Käse und Oliven. Marcus wusste wirklich, was ihm schmeckte.

Remus wandte sich grinsend zu dem Gott und verbeugte sich. „Ich würde dir ja was abgeben. Aber du müsstest schon ‚Bitte‘ sagen.“

Er wartete kurz.

Die Figur machte keinen Mucks.

„Na, dacht ich mir’s doch. Wir verstehen uns. Du magst keine Feigen.“

Remus sah durch den Türspalt nach draußen. Der Regen prasselte auf die Straße. Es war nicht gerade angenehm, im Regen durch Rom zu laufen, wenn man kein richtiges Zuhause hatte wie Remus. Und dass er kein Zuhause hatte, war nicht alles. Er kannte nicht mal seine Eltern. Von seinem richtigen Namen ganz zu schweigen. Er war, seit er denken konnte, ein Sklavenjunge gewesen. Und zwar bei dem fürchterlichsten Herrn in Rom: Sestertius. Der hatte ihn zwar zum besten Fassadenkletterer ausgebildet und ihm Lesen und Schreiben beigebracht. Aber er hatte ihn auch mehr als einmal unbarmherzig ausgepeitscht. Und als Remus sich schließlich geweigert hatte, in seinem Auftrag weiterhin bei reichen Römern einzubrechen, hatte er ihn fast totgeschlagen. Doch Remus konnte entkommen. Und nun musste er immer auf der Hut sein, damit ihn Sestertius oder einer seiner Leute nicht entdeckten. Was ihm sonst blühen würde, versuchte Remus sich lieber nicht vorzustellen. Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Das gilt auch, wenn man ständig auf der Flucht ist.

Als die Sonne über die sieben Hügel Roms kroch, ließ der Regen endlich nach. Remus versteckte die Reste seines Frühstücks hinter dem Sockel des Gottes. „Pass gut drauf auf, Kumpel!“, flüsterte er. „Und iss mir nicht alles weg! Ich komme wieder.“

Dann schlich er sich aus dem kleinen Tempel. Er sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. War da doch noch jemand um die Ecke gehuscht? Irgendetwas stimmte nicht.

Andererseits hatte Remus den süßen Geschmack der Feigen auf den Lippen.

Das wird ein herrlicher Tag werden, dachte er. Dann rannte er die Straße hinunter.

Etwa zu dieser Zeit rannte auch Olivia los. Remus’ Freundin hatte die wilde Haarmähne wie jeden Morgen mit einem blauen Band gebändigt. Mit dem Wachstäfelchen in der Hand sauste sie eilig zum Säulengang nahe des Forums, in dem ihr Lehrer Schreihalsius seine Schulstunden abhielt. Sie war spät dran.

„Olivia! Wann lernst du endlich, rechtzeitig aufzustehen?“, keifte ihr Lehrer los, als sie sich auf die Stufen setzte. Die anderen waren schon alle da. Claudia, Sabine, Niobe und die hochnäsige Lydia hatten schon zwei Reihen griechischer Buchstaben ins Wachs geritzt. Neben ihnen saßen die Jungs und grinsten fies. Olivia sah sie gar nicht an. Sie wusste nicht, warum bis auf zwei Ausnahmen alle Jungs in ihrem Alter ziemlich bescheuert waren. Und diese zwei Ausnahmen waren ihre Freunde Remus und Meander. Auf beide konnte sich Olivia verlassen, wie man sich nur auf beste Freunde verlassen kann. Sie waren die dicksten Freunde der größten Stadt der Welt. Sie waren R wie Remus, O wie Olivia und M wie Meander – und das ergab zusammen R.O.M.!

Nur waren weder Remus noch Meander in Olivias Klasse. Remus war entschieden zu arm und Meander war entschieden zu reich für Schreihalsius.

Da schrie Schreihalsius und riss sie aus ihren Gedanken:

„Guter Mensch!“

Die Klasse murmelte: „Agathos.“

„Marktplatz?“

„Agora.“

Dieses dämliche Griechisch, dachte Olivia. Das würde sie sich niemals merken können.

„Olivia! Was gibt es da zu träumen?“, herrschte Schreihalsius sie an. „Was heißt Marktplatz auf Griechisch?“

„Agora“, wiederholte Olivia und grinste frech. Nun kniff der kleine Schreihalsius die Augen zusammen und rief: „Und die nächsten drei Vokabeln will ich nur von Olivia hören! Und zwar flott!“

Olivia schwitzte. Trotz der Morgenkühle nach dem erfrischenden Regenguss. So wie Schreihalsius guckte, würde das eine richtig schwere Abfrage werden. Der Lehrer war ein Grieche. Der konnte diese verflixte Sprache natürlich fließend sprechen.

Da bellte Schreihalsius schon los: „Name, Leben, Ordnung!“

„Ono… Onoma“, stammelte Olivia. Das hieß Name, das hatte sie sich gemerkt. Das Wort für Leben lag ihr auf der Zunge, aber sie kam nicht drauf. Und von Ordnung verstand Olivia eh nichts. Egal, ob auf Griechisch, Latein oder Ägyptisch.

Schreihalsius pumpte eine ordentliche Ladung Luft in seine Brust, um einen besonders lauten Brüller auszustoßen, als plötzlich jemand hinter ihr flüsterte. „Leben heißt Psyche. Ordnung heißt Taxis!“

„Psyche, Taxis!“, sagte Olivia schnell. Und sie wisperte zurück: „Danke, Remus!“

Die Stimme, die sie gehört hatte, gehörte eindeutig ihrem Freund. Sie sah sich unauffällig um. Und tatsächlich grinste Remus hinter der Säule hervor.

Olivia sah wieder nach vorn zu Schreihalsius. Er musste doch zufrieden sein … aber er machte überhaupt kein zufriedenes Gesicht. Er guckte gar nicht zu Olivia, sondern an ihr vorbei. Zur Säule, hinter der Remus sich versteckt hatte. Dann legte er den Zeigefinger an die Lippen. Die Schüler wurden mucksmäuschenstill. Schreihalsius schlich sich an.

„Ist da etwas?“, sagte Olivia besonders laut.

Remus kapierte blitzschnell. Er rannte am wütenden Lehrer vorbei, der ihn an der Tunika packen wollte. Aber Remus wich ihm geschickt aus, sprang auf einen Mauervorsprung und schwang sich auf das Vordach, unter dem Schreihalsius unterrichtete.

„Du schon wieder! Bleib stehen, du Lump!“, schrie der Lehrer. „Du musst bezahlen! Wenn du Griechisch lernen willst, dann bezahl gefälligst dafür!“

Remus grinste vom Dach herunter. Da sagte er in fließendem Griechisch: „Da kannst du lange warten, Schreihalsius! Wenn du Geld von mir willst, musst du mich schon fangen.“ Er zog den Kopf zurück.

Die Klasse hielt es nicht mehr auf den Bänken. Alle wollten den Jungen sehen, der so geschickt wie eine Eidechse an Wänden hochklettern konnte.

Aber als sie auf die Gasse kamen, war Remus schon längst verschwunden.

Schreihalsius sah Olivia zornig an. „Du nichtsnutzige Göre! Richte deinem Freund aus, dass ich ihm die Ohren langziehe, wenn ich ihn noch mal erwische.“

Olivia schüttelte den Kopf. „Was ist schon dabei, wenn Remus uns ein bisschen zuhört?“

„Bezahlen!“, schrie Schreihalsius. „Der Lümmel soll Schulgeld bezahlen! Oder meint ihr, dass ich euch Dummköpfe zum Vergnügen unterrichte?“ Schreihalsius pumpte wieder Luft in seine Brust. Aber irgendwie schien ihm nichts mehr einzufallen, was er Olivia noch an den Kopf werfen konnte.

Für den dritten im Bunde begann der Morgen entspannter. Meander hatte nach dem Frühstück in der kleinen Bibliothek seiner Eltern Unterricht.

Er hockte mit einem Wachstäfelchen auf einer Bank. Neben ihm saß seine kleine Schwester Aurelia und vor ihnen lief ihr Lehrer Besserwisskrates auf und ab und versuchte, ihnen die Regeln ihrer eigenen Sprache beizubringen. Irgendwie war es schon seltsam, dass ausgerechnet ein griechischer Sklave zwei römische Kinder mit einer Lateinstunde quälen durfte. Und Besserwisskrates war unerbittlich. An diesem Vormittag wurde gepaukt, was das Zeug hielt.

Plötzlich kamen Boten ins Haus gestürzt. Sie rannten durch den Säulengang und riefen nach Meanders Vater. „Publius Petronius! Komm schnell zur Baustelle!“

Der Architekt Publius Petronius eilte aus seinem Arbeitszimmer. Er trug nur am linken Fuß eine Sandale und guckte ausgesprochen verwirrt. „Was ist passiert?“

Die beiden Boten keuchten und als sie wieder zu Atem kamen, redeten sie gleichzeitig los.

„Stopp!“, rief Meanders Vater. „So verstehe ich überhaupt nichts. Erzähl du!“ Er zeigte auf den linken Boten.

„Die Straßendecke an der Baustelle ist eingebrochen.“

„Was? Wie konnte das passieren?“

„Wissen wir nicht. Aber es ist da jetzt ein Loch auf dem Platz hinter dem Tempelchen.“

„Hinter welchem Tempelchen?“, fragte Publius ziemlich genervt. Rom war voller großer, riesengroßer, kleiner und klitzekleiner Tempel.

„Er meint den alten Tempel von diesem Gott, am Hügel“, sagte der andere Bote.

„Genau! Hinter dem der Dingsbums ist …“

Meander und Aurelia lauschten mit größtem Interesse. An eine Lateinstunde war nicht mehr zu denken. Das Geschrei vor der Bibliothek war einfach viel zu groß.

Besserwisskrates trat aus der Bibliothek und sagte: „Entschuldige, wenn ich mich einmische, Herr.“

Meander freute sich. Dieser Morgen verlief ganz nach seinem Geschmack. Jetzt war sogar sein Lehrer mit den Geschäften seines Vaters beschäftigt. Mit ein bisschen Glück würde er noch vor dem Mittagessen schulfrei bekommen und konnte sich mit Remus und Olivia treffen.

Sein Vater hob eine Augenbraue und musterte seinen teuersten Sklaven. Er gab eine Menge Geld für den Unterricht aus. Meander wusste, dass er und seine Schwester Aurelia nur das Beste bekommen sollten. Das galt für die Stoffe ihrer Tuniken ebenso wie für die Mahlzeiten und natürlich den Hauslehrer. Auch wenn sein Vater alle Lehrer für Nervensägen hielt. Aber manchmal war Besserwisskrates mit seinem Wissen sehr hilfreich. „Sprich!“

„Offensichtlich ist hier die Rede vom Platz hinter dem Tempel des Veiovis.“

„Des was?“, fragte Publius nach.

„Es ist der Platz am Fuß des Kapitols, an dem der Goldschmied Grymion wohnt. Bei dem du die Brosche für deine Frau gekauft hast.“

„Lauf doch einfach mit, Besserwisskrates. Dann kannst du meinem Vater zeigen, wo es ist“, schlug Meander vor.

Aber Publius Petronius winkte ab. „Schon gut, schon gut, ich weiß, wo ich hinmuss.“ Er sah die beiden Boten ernst an. „Niemand verletzt?“

„Bislang nicht, Herr.“

„Also gut. Geht zurück und sagt, dass die Bauarbeiten gestoppt werden sollen, bis ich da bin.“

Die Boten verschwanden. Und Besserwisskrates wandte sich Meander und Aurelia zu. „Das wäre geklärt. Kommen wir zurück zur Grammatik!“

VEIOVIS

Irgendetwas war anders. Irgendetwas war merkwürdig. Irgendetwas war nicht gut. Das merkte Remus gleich, als er zwei Wochen später kurz nach Sonnenaufgang in den kleinen Tempel trat. Aber er konnte selbst nicht sagen, was es war. Es war nur ein Gefühl.

Remus war früh aufgestanden, wie jeden Morgen. Er hatte mutter- und vaterseelenallein auf dem Dach des Jupitertempels gesessen und Rom von oben betrachtet. Dann hatte er sich sein Frühstück vom Altar der Ceres geholt und war in das verlassene Tempelchen am Fuß des Kapitols gegangen. Remus warf dem Götterstandbild sein lässiges „Hallöchen!“ zu. Plötzlich wusste er, was merkwürdig war. Er erstarrte. Es war das Standbild. Es hatte sich verändert.

Er war sich sicher, dass der rechte Arm des Gottes noch am Vortag einfach heruntergehangen und der Zeigefinger auf den Boden gedeutet hatte. Jetzt aber war der Arm etwas angehoben und der Finger zeigte auf Remus’ Füße.

„Jupiter, steh mir bei!“, entfuhr es ihm, obwohl er eigentlich nicht so recht an die Kraft und Macht der Götter glaubte. Aber so genau konnte man es ja nie wissen … Sein Freund Meander war sich zwar sicher, dass es keine Götter gab und dass das alles nur Hokuspokus war. Und Meander war in den meisten Dingen des Lebens wirklich gut unterrichtet. Aber wer konnte schon sicher sein, ob diese Götter, so alt wie sie waren, nicht doch irgendwie Macht über das Leben der Menschen hatten?

Remus schüttelte sich. Egal, ob man nun an Götter glaubte oder nicht – eine Götterfigur aus Marmor konnte sich nicht bewegen.

Remus schluckte. Er legte die in ein Tuch eingewickelten Früchte auf den Boden und betrachtete die Götterfigur genau. Hatte sich da jemand einen Scherz erlaubt und den Arm versetzt? Im dumpfen Licht der Morgendämmerung, das durch die Türöffnung in den kleinen Tempel fiel, konnte Remus nichts Verdächtiges erkennen.

Da geschah es.

Mit einem steinernen Kratzen öffnete der Gott seine Augen einen Spaltbreit! Zwei Lichtstrahlen drangen aus den Öffnungen.

Remus stockte der Atem.

Was war das?