Rache am Neusiedler See - Lukas Pellmann - E-Book

Rache am Neusiedler See E-Book

Lukas Pellmann

5,0

Beschreibung

Ein humorvoller Kriminalroman aus dem Burgenland. Eigentlich hatte Ex-Polizist Nikolaus Lauda am Neusiedler See nur ein Versteck auf seiner Flucht vor der deutschen Mafia gesucht. Doch aus der Verlegenheitslösung ist inzwischen ein Daueraufenthalt geworden. Er nimmt kurzfristig einen Job bei der ortsansässigen Reederei an und soll als Sicherheitsbeauftragter die erste Kreuzfahrt auf dem Neusiedler See begleiten. Als dann ein prominenter Passagier spurlos auf dem Schiff verschwindet, findet sich Lauda in einem neuen Fall wieder, der ihn an seine persönlichen Grenzen bringt.

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Buecherwurm1910

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Auch der zweite Band von Lukas Pellmann ist wieder sehr interessant und auch informativ, da wir dieses Mal eine Rundreise um den Neusiedler See erleben. Im Zuge dieser muss Nikolaus Lauda gleich zwei Morde aufklären und das Ende wartet mit einem Cliffhanger auf. Ich freue mich auf den dritten Teil.
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Lukas Pellmann wurde 1979 in Essen geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er studierte Geschichte und Politikwissenschaft und arbeitete jahrelang als Journalist. Seit 2015 hat er mehrere Kriminalromane sowie einen Roman veröffentlicht. Daneben schreibt er unter anderem Kurzgeschichten mit Usern von derstandard.at, organisiert Fotoausstellungen mit der Wiener Instagram-Community und bloggt auf booksinvienna.at.

www.lukaspellmann.at

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: shutterstock.com/TTstudio

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Christiane Geldmacher, Textsyndikat Bremberg

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-118-8

Originalausgabe

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Für den kleinen Buben, der von den anderen Kindern gemobbt, gehänselt und verdroschen wurde und der sich deshalb in Geschichten und Phantasiewelten geflüchtet hat, die ihm so unendlich viel bedeuten

Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um umzukommen.

Frei nach Johann Wolfgang von Goethe

Prolog

Er kannte das Gefühl, sich nicht rühren zu können. Er hatte mal in einer »Tatort«-Episode ein Entführungsopfer gespielt. Bei den Dreharbeiten hatte er auf einer Matratze gelegen, mit verbundenen Augen und auf dem Rücken gefesselten Händen. Das ganze Drumherum am Filmset hatte damals dafür gesorgt, dass er sich mehr wie bei einem Räuber-und-Gendarm-Spiel vorgekommen war. Und natürlich hatte er das mit dem Fesseln mit einigen Gespielinnen auch beim Sex mal ausprobiert. Wobei er es in diesen Situationen stets bevorzugt hatte, wenn er in der Position des Aktiven, also des Fesselnden, gewesen war.

Das Gefühl der hinter seinem Rücken fixierten Hände war also nicht neu für ihn. Doch die Intensität, mit der der Kabelbinder in seine Haut schnitt, das hatte eine andere Qualität. Und damals bei dem Dreh war er auch noch etliche Jahre jünger gewesen, seine Haut geschmeidiger und widerstandsfähiger. Mit dem Knebel in seinem Mund, einem Stofffetzen oder was immer es war, konnte und wollte er sich ebenso nicht anfreunden. Aber, so ehrlich musste er zu sich selbst sein, auch der Knebel war es nicht, der ihm am meisten Angst machte. Hier, in diesem kleinen Lagerraum, inmitten von Gulaschkonserven, Haltbarmilch und Toilettenpapier. Am stärksten versetzte ihn in Unruhe, dass er – anders als damals am Filmset – keine Augenbinde trug. Dass er sah, wer ihm da gegenüberstand. Denn er wusste aus zahlreichen Büchern, Filmen und True-Crime-Podcasts: Bekam das Opfer jene Person zu Gesicht, die für die Entführung verantwortlich zeichnete, bedeutete dies meist nichts Gutes.

»Wir können doch gemeinsame Sache machen. Wenn wir uns zusammentun, hat er keine Chance!«, hatte er um Gnade gebeten, bevor ihm der Knebel verpasst worden war.

»Ich lasse dich noch ein bisschen am Leben, damit du darüber nachdenken kannst, warum du dich in dieser misslichen Situation befindest«, hatte sein Gegenüber gesagt und ihn allein gelassen.

Na gut, vielleicht war dieser Satz noch beunruhigender als die fehlende Augenbinde.

Elf Stunden zuvor

So kann’s gehen im Leben

Ein Kampf auf Leben und Tod. Die beiden hatten sich ineinander verkeilt. Aus der Entfernung war nicht auszumachen, wo der eine den jeweils anderen erwischt, ihn fixiert hatte. Aber selbst für Außenstehende war klar: Da meinten es zwei sehr ernst. Todernst. Das Wetter passte für eine solch dramatische Auseinandersetzung. Die Hitze trieb selbst den unbeteiligten Zuschauern die Schweißperlen auf die Stirn und an all jene Stellen des menschlichen Körpers, die man im Hochsommer besser in einen Mantel des visuellen Schweigens hüllte. In den vergangenen Tagen sorgte der von den Hängen des Leithagebirges herabwehende Wind für ein angenehmes Seeklima. Doch heute verriet die spiegelglatte Oberfläche des schlammigen Wassers, dass dem Wind die Puste ausgegangen war. Die Hitze hatte wieder die Oberhand gewonnen.

Das Gekeife der Kontrahenten wurde hin und wieder vom Lärm der Kinder übertönt, die auf der anderen Seite der schmalen Seeenge im Ruster Seebad ihren sommerlichen Freuden frönten, nicht ahnend, dass es ein paar Meter weiter ums nackte Überleben ging. Die beiden Gänseriche drehten sich im Kreis, schlugen fast schon Purzelbäume und kämpften verbissen weiter, hackten sich die Schnäbel gegenseitig in die befiederten Körper und peitschten aufgeregt mit den Flügeln. Ich wusste natürlich nicht, ob es sich wirklich um zwei männliche Gänse oder um anderes Federvieh handelte. Um meine ornithologischen Kenntnisse war es auch nach acht Monaten am Neusiedler See, davon nun schon vier Tage in Castles Seehütte im Schilf, nicht zum Besten bestellt. Macht mal langsam, dachte ich mir. Ihr habt noch euer ganzes Leben Zeit, euch wie zwei wild gewordene liebestrunkene Teenager an die Gurgel zu gehen. Doch sie hörten nicht auf mich.

Ich beobachtete das Schauspiel aus meiner exquisiten horizontalen Position. Es hätten nur ein quietschbunter Cocktail mit Schirmchen und dazu säuselnde Karibikklänge gefehlt, und schon hätte ich mich wie im Urlaub gefühlt. Dabei war ich ja eigentlich hier, um auf Castles Schilfhütte aufzupassen. Es waren gerade mal vierzig Meter hinüber bis zum Steg der Ruster Segelschule. Nicht weit von dort hatte mir im letzten November die Taxiprucknerin zum ersten Mal den See gezeigt. Es war ein stürmischer Tag gewesen, der Wind hatte das niedrige Wasser des Steppensees ordentlich aufgewühlt. Es war der Tag meines Abschieds aus Rust gewesen. Oder hätte zumindest dieser Tag werden können.

Stattdessen knotzte ich nun auf einer Liege auf dem Steg einer Schilfhütte herum und beobachtete die stolzen Gänsemannsbilder dabei, wie sie sich balgten, als ob es kein Morgen geben würde. Der Showkampf, der sich entweder um Brotkrumen oder um das Besteigen einer Gänsedame gedreht haben dürfte, endete erst, als ein – für Neusiedler-See-Verhältnisse – riesiger Kahn durch die Ruster Bucht pflügte, begleitet von einem ziemlich beeindruckenden Tuten. Da staunten die beiden Ganter und ich nicht schlecht, als wir das Ding erblickten. Im vorderen Bereich des Schiffes schwangen sich Zwischen- und Oberdeck in die Luft. Der weiß-blaue Anstrich sah nigelnagelneu aus, und das Schiff war festlich in den Farben Schwarz, Weiß und Grün geschmückt. Ungefähr so mussten auch die Amerikadampfer behangen gewesen sein, die im 19. Jahrhundert ihre Passagiere samt all deren Hoffnungen und Ängsten von Hamburg oder Birmingham aus in Richtung Westen geschippert hatten. Wenigstens die Eisberge der Transatlantikroute sollten dem Schiff im Neusiedler Hochsommer erspart bleiben.

Erst jetzt bemerkte ich den Schriftzug zwischen Ober- und Zwischendeck, der auf jene Reederei verwies, der das Schiff gehörte: »Seereisen Plünder«. Ich verwarf all meine guten Wünsche für die Passagiere sofort wieder. Sollte der Kahn doch elendig absaufen.

Bella schien vom durchdringenden Tuten des Schiffes in ihrem Schönheitsschlaf gestört worden zu sein. Meine treue Begleiterin kam durch die Schiebetür ins Freie auf den Steg getrottet und besah sich den Aufruhr. Die beiden Ganter hatten einen Gang runtergeschaltet, belauerten sich aber nach wie vor wie zwei Boxer, von denen keiner den ersten Schritt aus der Deckung wagen wollte. Am Heck des Schiffes war deutlich dessen Name zu sehen: MS Maximilian. Wie gesagt, elendig auf Grund laufen sollte das Ding.

»Kannst wieder reinmarschieren, Kameradin, hier draußen verpasst du nichts«, sagte ich zu Bella und ließ das Schiff Schiff sein. Ich tätschelte ihr über das Kopferl, streichelte das wuschelige braune Fell ihres Körpers. Es tat gut, ihre Körperwärme zu spüren. Nicht weil mir im Neusiedler Sommer hätte kalt sein können, sondern in zwischenmenschlicher Hinsicht. Sie sah mich mit ihren Murmelaugen an, und ihr gutmütiger Blick verriet mir, dass gerade ganz ähnliche Gedanken durch ihren Kopf gingen. Oder vielleicht hatte sie auch einfach nur Hunger. Der Sonnenschein und meine Streicheleinheiten schienen jedenfalls verlockender zu sein als das stickige Innere, und so leistete sie mir weiterhin Gesellschaft.

Die Schilfhütte gehörte Castle Moser, einem Ruster Weinbauern. In den Tagen zuvor war es zu mehreren Vandalismusfällen gekommen. Jugendliche waren im Verdacht gewesen, nachts mit einer Zille von Hütte zu Hütte gefahren zu sein, um Graffitis an die Wände der edlen Seebehausungen zu sprühen. Castle wollte seiner Hütte dieses Schicksal ersparen und dachte, in Bella und mir die richtigen Beschützer für sein Anwesen gefunden zu haben. Unsere Aufgabe bestand großteils darin, anwesend zu sein. Das sollte ausreichen, so die Idee, damit die Jugendlichen einen Bogen um sein schnuckeliges Seeanwesen machen würden. Der Plan war im Großen und Ganzen aufgegangen, die beiden Täter waren tags zuvor von einem Patrouillenboot der Polizei auf frischer Tat ertappt worden. Statt der im Verdacht stehenden b’soffenen Jugendlichen hatten sich die Täter als Anhänger einer radikalen Ökobewegung entpuppt, die der Verbauung des Neusiedler Sees entgegenwirken wollten. Da hätten sie sich lieber mal eine der neuen schicken Chaletanlagen ausgesucht anstelle von Schilfhütten, die seit Generationen an Ort und Stelle standen. Bellas und mein Auftrag war also beendet, und im Lauf des Tages würden wir wieder ins Bahnhofsheiserl ziehen. Schade eigentlich.

Als ich von der Toilette zurück auf den kleinen Steg kam, hatten meine Augen größte Mühe, sich wieder an das grelle Licht der Sonne zu gewöhnen, deren Strahlen sich auf der glatten Oberfläche des Sees spiegelten. Kein Wellenschlag war zu sehen, auch die Wellen der MS Maximilian waren längst verebbt. Bella fläzte sich neben der Sonnenliege und ließ eine Pfote lässig vom Steg hängen. Der See hätte jedoch einen Jahrhundertwasserhöchststand benötigt, um mit seinem kühlenden Nass ihre Pfotenspitze zu erreichen.

Meine Augen brauchten also ein bisserl, um sich an das gleißende Licht zu gewöhnen. Meine Ohren hingegen, die funktionierten tadellos. Und so vernahm ich Motorengeräusche, die sich langsam unserem Vorposten hier im Ruster Schärengarten näherten. Ich nutzte meine rechte Hand als Sonnenschutz, und als ich die Lider meiner Augen einen Schlitz weit öffnete, sah ich nun auch den Ursprung des Lärms. Eine schmale Zille mit Außenbordmotor. Selbst mit meinen zugekniffenen Augen identifizierte ich bereits von Weitem, wer das kleine Boot steuerte. Bella hob ihren müden Kopf. Als auch sie die Steuerfrau erkannte, begann sie aufgeregt und freudig zu schwänzeln.

»Schönen guten Tag«, rief die Taxiprucknerin, nachdem sie den Motor abgestellt hatte und die letzten Meter über das Wasser zum Landungssteg unserer Hütte glitt. »Hab ich euch eh net g’weckt?«

Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach eins. »I wo«, erklärte ich und winkte zum Gruß. »Wir sind Frühaufsteher«, fuhr ich fort, was nicht ganz gelogen war. Denn die Gelsen machten einem hier das Leben zur Hölle, wenn man als Schilfhüttenneuling Anfängerfehler beging, auf die die kleinen Biester nur lauerten. Zum Beispiel wenn man nachts aus Versehen die Tür samt dazugehörigem Insektengitter nicht wieder richtig verschloss, nachdem man Bella schlaftrunken auf ihre kleine, unwürdige Hundetoilette gelassen hatte, die auf der Holzveranda stand. Zudem hatte in den ersten beiden Nächten mitunter ohrenbetäubender Lärm vom Hafenbecken zu uns herübergedröhnt. Meine nächtliche Nachschau hatte ergeben, dass wieder mal eines der Schlammabsaugboote aktiv gewesen war. Insofern waren die Nächte hier draußen nicht gerade von reichhaltigem Schlaf geprägt. Aber das war kein Problem für uns beide, wir konnten ja mittags eine Siesta einlegen. Und nachmittags. Und vormittags.

»Fein habts ihr es hier draußen«, sagte sie. »Wie lang bleibst denn noch?«

»Nimma lang«, antwortete ich und bemerkte, dass da ein Fünkchen Bedauern in meiner Tonlage zu vernehmen war. »Die Unruhestifter wurden gefasst, und somit wurden Bella und ich ein bisserl unserer maritimen Existenzgrundlage hier draußen im Ruster Schärengarten beraubt.«

»Ein bisserl Abwechslung würde Bella und dir aber wahrscheinlich ganz guttun. Hier auf dem Wasser ist’s für sie wohl doch recht eintönig, oder?«

Natürlich, die massiv große Spielgemeinschaft mit anderen Hunden gab es hier draußen nicht für Bella. Aber die neuesten Hundenews konnte sie bei unserem täglichen Ausflug zum Festland erschnüffeln. Und ganz allgemein schien sie hier keinen unglücklichen Eindruck zu machen. Bis halt auf diese unwürdige Hundetoilette in Form eines kleinen Fleckens Kunstrasen mit darunter befindlicher Urinlade, die ich vor Beginn unseres Hüttenabenteuers im Ruster Lagerhaus erstanden hatte. Die auf dem Kunstrasen vorhandene Imitation eines Hydranten hatte Bella innerhalb kürzester Zeit als Zeichen des Protests umgeworfen.

Nach der Ankunft der Taxiprucknerin hatte Bella es sich wieder im Halbschatten gemütlich gemacht und beobachtete die beiden Ganter, die jeden Moment wieder aneinandergeraten würden. Ich weiß nicht, ob auch Bella es bemerkt hatte, aber in den Worten der Prucknerin hatte etwas Irritierendes gelegen. Es wirkte fast so, als ob sie uns den Abschied schmackhaft machen wollte.

»Ich hab nämlich ein bisserl ein Anliegen«, fuhr sie fort.

Ah ja. Ein bisserl ein Anliegen also.

»Heute startet die MS Maximilian zu ihrer großen Seereise. Du hast vielleicht davon gehört.« Hatte ich in der Tat. Der Neusiedler See sollte Schauplatz einer phantastischen Rundreise im Kreuzfahrtstyle werden. Das war die Tage zuvor im Eisenstädter Express zu lesen gewesen. Hatten sich die bisherigen Fahrten eher auf Fähr-, Charter- oder Ausflugstouren beschränkt, sollte nun erstmals ein Schiff über mehrere Tage die wichtigsten Orte am See abfahren. In jedem Ort wurden Landgänge angeboten, genächtigt wurde jeweils an Bord. Für die Reise war extra ein hochmodernes Binnenkreuzfahrtschiff mit besonders niedrigem Tiefgang angeschafft worden, das nicht nur eine Aussichtsterrasse, einen Speisesaal und allerlei Freizeitschnickschnack beherbergte, sondern auch Kabinen zur Übernachtung. Um das ganze Unterfangen zu bewerben, veranstaltete die Reederei eine Jungfernfahrt mit Celebritys und solchen, die sich dafür hielten. Zusätzlich hatte der Express ein Gewinnspiel veranstaltet, bei dem Leser Tickets für diese einmalige Schiffsreise gewinnen konnten. Das musste dann wohl jener Kahn gewesen sein, der kurz zuvor durch die Ruster Bucht in Richtung Anlegestelle geschippert war.

»War ja nicht zu überhören«, antwortete ich.

»Jedenfalls ist’s so, dass die Reise in einer Stunde losgehen soll. Meine Mutter ist auch an Bord, weil sie bei irgendeinem Preisausschreiben gewonnen hat. Gott weiß, warum ausgerechnet sie ausgewählt wurde. Aber es ist nun mal so.«

Ich schenkte ihr eines meiner »Mhmms« und fragte sie, warum sie mir das alles erzählte.

»Weil ich dich bitten wollt mitzufahren.«

Haha, der war gut, der Joke. »Was soll ich denn auf diesem Schiff?«, fragte ich sie, nachdem ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte. Sie fand das irgendwie nicht so zum Lachen. »Braucht deine Mutter eine Pflegekraft?«

»Nein«, sagte sie ganz im Ernst. »Ihre Pflegerin aus dem Heim darf mitkommen, sonst hätte sie ja nicht mitfahren können.«

»Also?«

»Damit die Kreuzfahrt stattfinden kann, muss ein Sicherheitsbeamter an Bord sein. Der eigentlich geplante Mann hat aber gestern irgendeinen Virus aufg’rissen und hängt seit der Nacht überm Häusl. Der fällt also aus … und da dachte ich …«

»… dass der Nikolaus Lauda schon nichts Besseres zu tun haben und mitfahren wird?« Ich lachte erneut. »Warum in aller Welt sollte ich das tun? Da würde ich mir wohl lieber von einem Storch ein Auge auspicken lassen.«

»Störche machen das nicht«, konterte sie trocken. »Du würdest mir damit einfach einen großen Gefallen tun. Meine Mutter freut sich so auf die Reise. Und das wären doch vielleicht auch für dich ein paar feine Tage. Du würdest ein bisserl in der Gegend herumkommen. Wo warst denn die letzten Monate schon groß, seitdem du in Rust bist? Würd dir guttun.«

Ich erinnerte mich dunkel an einen Ausflug mit dem Limbeck Herbert im vergangenen November. Er hatte mich auf dem Weg nach Parndorf mit seinem Jeep fast ins Jenseits befördert. Bei einem meiner letzten Besuche in Eisenstadt war auf mich geschossen worden. In Donnerskirchen war ich nur knapp den beiden deutschen Häschern entkommen, die mir Mafiapate Vito Violino auf den Hals gehetzt hatte. Fasste man diese Ausflüge zusammen, kam ich zu dem Ergebnis, dass es durchaus Sinn machte, mich nicht groß aus Rust rauszubewegen. Zumal man ja auch nie wusste, ob Vito nicht doch noch mal ein paar Mitglieder seines Clans auf den Weg schicken würde, um ein paar alte Rechnungen inklusive Zins und Zinseszinsen zu begleichen. Außerdem war da damals dieser Vorfall im Gasthaus Quell gewesen, der mich meinen Job beim Wiener Landeskriminalamt gekostet hatte. Seither plagte mich eine gewisse Aversion gegen Prominente.

»Ich muss eigentlich nicht groß die Gegend erkunden«, stellte ich daher mit felsenfester Überzeugung in der Stimme fest.

»Aber da ist noch was«, schien sie sich durch meine felsige Stimme nicht von ihrem Vorhaben abbringen zu lassen.

Bella sah zu den beiden Gänserichen, die sich nun wieder ineinander verkeilten. Vielleicht suchte sie aber auch nur ihr nicht vorhandenes Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. So genau war das nicht zu erkennen. Dabei spiegelte sich im Neusiedler See nichts im Wasser. Das war hier kein kristallklarer Alpensee. Was auch immer sie da also gerade neben mir tat, ich hoffte, sie würde mir und ihr und eigentlich auch der Prucknerin eine spontane See-Rettungsaktion ersparen und nicht hineinspringen.

»Ich verliere eine Menge Geld, wenn die Kreuzfahrt abgesagt werden muss«, stotterte es aus ihr heraus. Dabei fuhr sie sich verlegen durch die lockigen Haare. Machte sie jetzt einen auf schüchternes Mädchen, um an meinen Beschützerinstinkt zu appellieren? Das hatte sie doch gar nicht nötig. »Mein Taxiservice ist für die sechs Landgänge gebucht. Wenn die Kreuzfahrt nicht stattfinden kann, gibt es keine Landgänge. Keine Landgänge, kein Umsatz.«

»Aber so eine Kreuzfahrt fällt doch nicht ins Wasser, nur weil kein Security mit an Bord ist«, entgegnete ich.

»Diese schon«, erklärte die Taxiprucknerin. »Die Prominenten weigern sich, an Bord zu gehen, wenn nicht für ihre Sicherheit gesorgt ist.«

»Sind etwa Justin Bieber und Helene Fischer hier, oder wer macht sich da so ins Hemd?«

Es irritierte mich irgendwie, dass mir ausgerechnet diese beiden VIPs als Erstes eingefallen waren. Aber die Prucknerin schien das nicht zu verstören, also war es wohl nicht weiter schlimm.

»Wer auch immer da mitfährt, Fakt ist, dass es keine Kreuzfahrt geben wird, wenn kein Sicherheitsmensch an Bord ist.«

»Und der Plünder hat dich vorgeschickt, mich das zu fragen, weil er weiß, dass du und ich gut miteinander sind?«

»Das klingt aus deinem Mund ja fast nach einer Romanze«, antwortete sie und setzte so einen Ätschibätschi-Gesichtsausdruck auf. Das schüchterne Mädchen hatte sich aus dem Staub gemacht, und die Taxiprucknerin war wieder ganz sie selbst. »Du solltest wissen, dass ich mich von niemandem vorschicken lasse«, erklärte sie daraufhin. Wusste ich natürlich tatsächlich. Also eigentlich wusste ich das, irgendwie. »Ich habe g’hört, dass der Security ausgefallen ist, und dann habe ich angeboten, dass ich dich frage.«

»Kann sich der Poidl nicht Urlaub nehmen und mitfahren? Ich wüsste beim besten Willen nicht, warum ich auch nur einen Fuß auf ein Schiff von Maximilian Plünder setzen sollte. Auch wenn es mir natürlich leidtun würde, wenn du um deine Bezahlung für die Ausflüge gebracht werden würdest.«

Und das würde es wirklich, ich war ja kein Unmensch.

»Du bist mir noch was schuldig«, sagte sie jetzt, und irgendwas in ihrer Stimme hatte sich verändert. Das klang jetzt ein bisschen cooler, abgebrühter.

»Was genau?«, fragte ich verwundert, während Bella ihren Kopf weiter in Richtung Wasser senkte. Mach jetzt bloß keinen Scheiß, sagte ich in Gedanken zu ihr. Ich hatte wahrlich keine Lust, hier vor der Prucknerin einen auf Baywatch zu machen. Zumal ich weder mit einer roten Rettungsboje noch mit Mitch Buchannons Sixpack dienen konnte.

»Du bist mir noch was für deinen Kuss vom letzten November schuldig.«

Eh klar. Das war ihre Trumpfkarte. Und dass sie dieses Blatt in den vergangenen Monaten schon des Öfteren gespielt hatte, änderte nichts daran, dass ich nach wie vor kein besseres Blatt auf der Hand hatte.

»Dann fahr ich halt mit«, erklärte ich wie ein trotziges Kindergartenkind. »Aber ich werde sicher keinen Spaß an Bord haben«, schob ich noch hinterher. Als ob das irgendwie von Belang wäre.

Und in genau diesem Moment, kein Witz, schoss aus dem Wasser ein Trumm von einem Wels, schnappte sich mit seinem riesigen Maul einen der beiden Ganter und zog ihn unter Wasser. Die beiden gefiederten Viecher waren komplett mit sich selbst beschäftigt gewesen und hatten die eigentliche Gefahr aus den Augen gelassen. So kann’s gehen im Leben. Wirklich überraschend an der Szenerie fand ich aber die Reaktion von Bella. Als wenn sie so was jeden Tag sehen würde, rührte sie sich keinen Millimeter. Sie sah dem todbringenden Treiben ganz cool zu. Als ob sie geahnt hätte, was da gleich passieren würde.

»Aber Bella kommt mit aufs Schiff«, erklärte ich der Prucknerin. Und so geschah es auch.

Servus, Piko!

Nachdem ich die Schilfhütte verschlossen und alle Luken dicht gemacht hatte, setzte die Prucknerin Bella, mich und das Hundeklo auf das andere Ufer über. Da die MS Maximilian im kleinen Hafenbecken vor dem Restaurant Katamaran ziemlich viel Platz beanspruchte, legten wir mit unserer Zille im hinteren Bereich des Hafens an. Was wir von unserem Hüttenaufenthalt an Bord nicht brauchen konnten, verstauten wir im Kofferraum der eierschalenfarbenen Familienkutsche der Prucknerin. Diesem entnahm ich auch eine prall gefüllte Reisetasche. »Ich hab dir ein paar Sachen im Bahnhofsheiserl zusammengepackt«, erklärte die Taxiprucknerin, so als ob es das Normalste der Welt wäre, in ein fremdes Haus einzusteigen und Urlaubsgepäck zusammenzuklauben für jemanden, der noch nicht mal was von seinem Glück wusste. Aber tja.

Und dann mischten wir uns unters feiernde Volk. Es herrschte Volksfeststimmung. Die Blasmusik spielte auf, Luftballons stiegen empor, und sowohl das Café des Seehotels als auch der Katamaran waren mit Girlanden in den schwarz-weiß-grünen Farben der Reederei Plünder geschmückt. Weiter hinten, bei den Tischchen des Seehotels, stand einsam und verlassen Alfred Dachs und hielt ein Schild in die Höhe, auf dem mit krakeliger Handschrift »Gegen die Kommerzialisierung unseres Sees« geschrieben stand. Er war sich und seiner gesellschaftskritischen Tradition also treu geblieben. Erst im Vorjahr hatte der Ruster eine Bürgerinitiative gegen die ungarischen Hotelpläne von Maximilian Plünder ins Leben gerufen und schließlich Erfolg damit gehabt. Auch wenn er diesen Erfolg im Rückblick vielleicht etwas ambivalent einschätzte, war doch seine Frau Carlotta ausgerechnet in jenem Steinbruch ums Leben gekommen, aus dem der Kalkstein für den Hotelbau hätte stammen sollen.

Bella blieb ganz dicht bei mir, ihr war der laute Trubel ein bisserl zu viel. Ich konnte sie gut verstehen. Die angestammten Bewohnerinnen und Bewohner der ansonsten geruhsam vor sich hin lebenden Hafenanlage – Enten, Gänse und Schwäne – hatten ebenfalls Reißaus genommen. Von den Störchen, für die die Freistadt Rust bekannt war, hatte sich gleich erst gar keiner eingefunden.

Der plötzlich aufbrandende Applaus lenkte unsere Aufmerksamkeit in Richtung Parkplatz. Ich drehte mich um und sah, wie aus einem Kleinbus eine Handvoll Menschen ausstieg und sich sogleich daran machte, an die wartende Menge vorgedruckte Autogrammkarten zu verteilen sowie für Selfies zu posieren. Ich wusste nicht, ob das die von der Prucknerin erwähnten Prominenten waren oder doch nur die Gewinner des Preisausschreibens, denn keine von den Nasen sagte mir etwas. Welch Überraschung. Vielleicht wäre es von Vorteil gewesen, in den letzten Jahren mehr Trashformate im Fernsehen zu verfolgen, bei denen vermeintliche Prominente durch den Dschungel gejagt, auf Bauernhöfe verschleppt oder auf Südseeinseln ausgesetzt wurden.

»Ah, da ist auch die Mamschki«, rief die Taxiprucknerin und verschwand in der Menge. Der maritime Almprominentenauftrieb schritt voran, als mich eine mir unbekannte Person auf einmal von der Seite anquatschte.

»Das wird eine tolle Fahrt, ich freu mich schon seit Wochen auf den heutigen Tag. Sind Sie auch mit von der Partie?«

Der Kerl sah noch unscheinbarer aus als die Prominenten, also tippte ich darauf, dass es sich bei ihm um einen der Gewinner der Verlosung im Eisenstädter Express handelte.

»Ja«, antwortete ich. Den Zusatz, dass das ganz sicher keine tolle Fahrt werden würde, ersparte ich mir an dieser Stelle. »Sie sind einer der Gewinner vom Preisausschreiben?« Auch wenn ich noch keinen Vertrag als Security für die Rundfahrt unterschrieben hatte, konnte es ja nicht schaden, mir die Teilnehmer schon mal ein bisschen näher anzuschauen.

»Nein, ich bin einer der Stars«, sagte er mit glänzenden Augen.

Ich sah zu der Promikarawane hinüber, die sich langsam von dem Kleinbus durch die Menge zum Landungssteg des Schiffes vorschob. Menschen baten um Autogramme, Schaulustige machten Selfies, und ältere Damen rangelten sich unter Einsatz ihrer Ellbogen um die Plätze in der ersten Reihe hinter dem Absperrband, um ihren Stars ganz nah sein zu können. Zwei Polizisten, darunter der Poidl, hielten ein wachsames Auge auf die gesamte Szenerie. Aber der Kerl neben mir? Da stand niemand, um nach einem Autogramm zu fragen, da wollte niemand ein Selfie. Und die beiden Kiberer schienen sich auch nicht gerade brennend für ihn zu interessieren. Ich blickte wieder zu meinem Nebenmann.

»Und warum kommen Sie dann nicht mit den anderen Prominenten da drüben an?«

»Ich wollte mich vorher noch ein bisserl umschauen und unter die Leute mischen, Stimmungen einfangen, Emotionen spüren«, antwortete er. »Ich bin Schriftsteller, vielleicht haben Sie ja meinen Debütkrimi ›Auf der Alm, da gibt’s koan Mord‹ gelesen? Ist im Vorjahr erschienen und ging ab wie eine Rakete. In der Kategorie Almkrimis war ich bei Amazon sogar für einige Wochen in den Top 100.« Eher unwahrscheinlich, dass mir dieses literarische Juwel in die Finger gekommen war. »Aktuell arbeite ich gerade an einem Thriller. Ich nutze die Rundfahrt quasi als Recherche, müssen Sie wissen.«

Musste ich das tatsächlich wissen? Offenbar schon.

»Ein Thriller, der auf einem Schiff spielt?« Mir kam unweigerlich der Film »Speed 2« mit Sandra Bullock in den Sinn. Darin sollte ein entführtes Schiff mit einem Öltanker zur Kollision gebracht werden, was die Helden des Films – wer hätte damit gerechnet? – in allerletzter Sekunde verhindern. Öltanker waren, soweit ich wusste, eher die Ausnahme auf dem Neusiedler See. Wie beruhigend.

»Ja, das wird ein riesiges Spektakel. Es gibt auch schon Gespräche mit einer Filmproduktionsfirma.«

»Aha«, sagte ich.

»Schau, Mamschki, das ist der Nikolaus. Von dem hab ich dir schon ganz viel erzählt«, hörte ich auf einmal eine mir vertraute Stimme sagen. Kurz darauf blickte ich in die braunen Augen der Taxiprucknerin. Sie schob eine alte Frau im Rollstuhl vor sich her.

»Grüß Sie, Stanislaus«, sagte die alte Dame und streckte mir die Hand entgegen. Sie war deutlich kleiner als die Prucknerin; eine von der Sorte, deren weiße Haare so einen seltsamen bläulichen Farbton aufwiesen. Wie machten die alten Leute das nur? Und vor allem, warum? Ihren Kopf hielt sie mir leicht gebeugt entgegen, das Rückgrat hatte offensichtlich Probleme, sich senkrecht auszurichten. Ein Schicksal, das vielen Menschen im Alter blühte und manchen Leuten wie dem Plünder auch schon früher. »Was hast mir noch gleich erzählt über ihn?«, fragte sie anschließend ihre Tochter. »Ist des der Kapitän?«

»Aber nein«, sagte die Prucknerin eilig, »der Niko schaut darauf, dass bei der Reise nix passiert.«

»Nix passiert? Gibt’s keine Reise?«, fragte die Dame.

»Dass nix passiert, kein Hoppala oder so«, fügte die Prucknerin hinzu.

»Ah so, dann ist’s ja gut«, reagierte die Mamschki sichtlich erleichtert. »Servus, Piko!«, fuhr sie fort und schüttelte mir erneut die Hand.

»Komm, Mama«, befreite die Prucknerin uns schließlich aus dieser seltsamen Situation. »Ich bring dich schon mal aufs Schiff. Die Jennie ist auch schon an Bord und verstaut dein Gepäck. Und der Weinkaiser kommt sicher auch gleich, ich hab ihn schon g’sehn.« Sie schob ihre Mutter weiter auf den Anleger, beide verschwanden in sehr gemächlicher Geschwindigkeit über die Gangway im festlich geschmückten Schiff.

»Stimmt das? Sie sind für die Sicherheit an Bord verantwortlich?«, fragte mich der Autor, kaum dass die beiden Damen verschwunden waren.

»So in der Art«, antwortete ich. Er kramte einen kleinen Notizblock aus der Innentasche seiner Jacke und begann, eifrig zu schreiben.

Die Prominenten, vier an der Zahl, hatten derweil den kleinen Anlegesteg erreicht. Hinter ihnen wurde ein rot-weißes Absperrband gezogen, sodass die nachströmende Masse ihnen nicht auf den Anleger folgen konnte. Von den Terrassen des Katamaran-Restaurants blickten die Schaulustigen gebannt herüber. Sie sahen nun einen Mann aus dem Inneren des Schiffes auf den Anleger heraustreten. Feierlich gekleidet, weißer Anzug, marineblaue Krawatte und Schuhe. Auf seinem Kopf trug der kleine Mann eine große blau-weiße Kapitänsmütze.

»Was macht der denn hier?«, brach es aus mir heraus.

»Das ist der Inhaber der Reederei«, fühlte sich der Autor neben mir offensichtlich angesprochen. »Maximilian Plünder.«

»Ich weiß, wer das ist«, antwortete ich barsch. »Das war eine rhetorische Frage.«

Plünder positionierte sich hinter einem eilig herbeigeschafften Rednerpult und stellte sich auf einen ebenso eilig herbeigeschafften Schemel, der von einem Anzugträger hinter dem Pult platziert worden war.

»Meine verehrten Damen und Herren, liebe Menscha aus Rust und aus der ganzen Welt«, begann er seine Ansprache gewohnt bescheiden.

Und sofort nervte er mich kolossal. Was folgte, war ein halbstündiges Feuerwerk der Redekunst, in dem er die Idee – seine Idee –, die Konzeption – seine Konzeption – sowie die Umsetzung – seine Umsetzung – dieser Kreuzfahrt abfeierte. Er verwies auf die schiffsbauerische Glanzleistung, ein Hotelschiff mit derart geringem – und somit Neusiedler-See-tauglichem – Tiefgang zu entwerfen, und kündigte wöchentliche Fahrten an, die ab sofort für einen nicht ganz schlanken Preis bei seiner Reederei buchbar waren. »Die MS Maximilian wird zum Traumschiff des Neusiedler Sees«, schloss der Depp seine Rede. Es folgten Fotos, großes Halali der Blasmusikkapelle und schließlich das Durchschneiden eines goldenen Bandes, vorgenommen durch Maximilian Plünder, einen der dauergrinsenden Prominenten sowie Josef, der mir wohlbekannten Bürgermeisterin der Freistadt Rust. Weil es lange Zeit mehr Josefs als Frauen in österreichischen Bürgermeisterämtern gegeben hatte, war sie mir im Vorjahr als Josef vorgestellt worden. Sollte so sein, es war nicht an mir, eigentümliche Gepflogenheiten zu hinterfragen, und sofern es für Josef okay war, sollte es mich nicht weiter kümmern.

Und jetzt fiel mir auch ein, wer die Grinsekatze neben Plünder und Josef war. Der Hauptdarsteller von dieser Weinkaiserserie, die in Rust gedreht wurde. Ha, war ich beim Promi-Raten doch nicht ganz so schlecht aufgestellt.

»Sollten Sie nicht auf der anderen Seite des Bandes sein?«, hakte ich nach Beendigung des feierlichen Aktes bei dem nach wie vor namenlosen Autor nach. »Also dort, wo auch die anderen, nun ja, Prominenten stehen?«

»Ach nein, ich errege nicht so gerne Aufmerksamkeit«, erklärte er hastig.

Ah ja.

Wer dagegen gar kein Problem damit hatte, Aufmerksamkeit zu erregen, waren drei Burschen, die abseits der feierlichen Szenerie ihren Spaß damit zu haben schienen, ein kleines Mädel zu ärgern. Neben dem Eingang zum Hotel am See bildeten sie einen Kreis und schubsten das Mädchen reihum zwischen sich her. War das nicht die kleine Nicole Karner, die in Downtown Rust gegenüber vom Spritzenhaus wohnte? Ich ließ den Bestsellerautor an Ort und Stelle stehen und schnappte mir Bella.

»Habts ihr nix Besseres zu tun, als das Mädchen zu ärgern?«

Die drei Burschen hielten inne, Nicole nutzte die willkommene Ablenkung, schlüpfte zwischen zwei der Burschen hindurch und verschwand im Trubel der Schiffsfeierlichkeiten. Wenn mich nicht alles täuschte, waren das die drei Pickelgesichter, denen ich im vergangenen Jahr schon mal einen Tritt in den Hintern verpasst hatte, als sie Nicole in Eisenstadt geärgert hatten. Bella begann zu knurren.

»Das ist der Wahnsinnige aus Eisenstadt«, sagte einer der drei Halbstarken. Hatte ich mich also nicht geirrt. »Und jetzt hat er auch noch einen wahnsinnigen Hund dabei. Lasst uns abhauen!« Im Gegensatz zum Vorjahr hatte es an diesem Tag keine weiteren Überredungskünste gebraucht, um sie loszuwerden.

»Lassts gefälligst das Mädel in Ruhe«, rief ich ihnen hinterher. Bella unterstrich unser Anliegen mit einem lauten Bellen. Ich wusste nicht, ob die drei unseren gut gemeinten Ratschlag auf ihrem Spurt zum Parkplatz noch vernommen hatten. Sie sprangen in einen runtergerockten beigefarbenen Renault Twingo und brausten davon. Durften die wirklich schon Auto fahren?

Als der offizielle Akt vorbei war, drängelte sich die Prucknerin aus dem Bauch des Schiffes hinaus ins Freie. Plünder unterhielt sich gestenreich mit dem Weinkaiser. Der nicht so gern im Mittelpunkt stehende Autor war spurlos verschwunden. Die Schiffscrew nutzte das nun verwaiste Rednerpult zur Registrierung der weiteren Gäste. Der Schemel, der noch kurz zuvor Maximilian Plünder zur körperlichen Er- und persönlichen Überhöhung gedient hatte, war längst von einem seiner jungen Anzugträger in der nicht weit entfernt geparkten dunklen Limousine verstaut worden.

»Deine Sachen sind auch schon an Bord«, sagte die Prucknerin.

»Mhmm«, antwortete ich.

»Ach, komm schon, das wird sicher lustig. Und wir sehen uns jeden Tag. Morgen, beim ersten Landgang in Mörbisch, bin ich doch auch schon mit von der Partie.«

Die Prucknerin jeden Tag zu sehen, war tatsächlich ein praktikables Trostpflaster.

»Also fahren wir heute den einen Kilometer nach Mörbisch und ankern dann dort im Hafen?«, fragte ich mürrisch.

»Ja, wobei das schon ein bisserl mehr ist als ein Kilometer.«

»Sicher nicht mehr als zwei«, entgegnete das trotzige Kindergartenkind in mir.

»Für Geografieunterricht hab ich gerade keinen Sinn, Niko. Ihr übernachtets dann auf jeden Fall vor Mörbisch auf dem Schiff. Nach dem dortigen Landgang geht es weiter nach Illmitz. Von dort dann am folgenden Tag nach Podersdorf und immer so weiter. Das wird gut, wirst sehen.«

Mhmm.

»Deine Frau Mama ist aber nimma so ganz fit, oder?«, wechselte ich das Thema.

»Sie ist einundsiebzig, da muss man auch nimma ganz fit sein«, antwortete die Taxiprucknerin. »Heute setzt ihr wohl der ganze Trubel ein bisserl zu, normalerweise ist sie geistig nicht so neben der Spur. Körperlich baut sie aber schon etwas ab, deshalb hat sie zur Sicherheit den Rollstuhl dabei, und darum ist auch die Pflegerin mit an Bord.«

»Die Jennie, die du vorher erwähnt hast. Ist das die Tochter vom Bankdirektor Schumich?«

Ich hatte sie bereits kurz nach meiner Ankunft in Rust im vergangenen November kennengelernt. Das Faszinierende an der jungen Frau war, dass sie so rein gar nichts von einer Bankdirektorentochter an sich hatte.

»Ja, na schau, kennst noch jemanden an Bord. Ist doch fein«, sammelte die Prucknerin weitere Argumente für meinen Bootstrip.

»Hättest du mir erzählt, dass der Plünder heute mit von der Partie ist, hätte ich übrigens abgelehnt. Nur fürs Protokoll. Ich hoffe nicht, dass der immer an Bord ist.«

»Geh na, der hat sich nur die feierliche Verabschiedung heut nicht nehmen lassen. Glaubst, der verbringt mehrere Tage mit Normalsterblichen auf einem Schiff?« Rhetorische Frage, schon klar. »Außerdem, so schlimm ist er jetzt auch wieder nicht. Und du kennst ihn doch eh schon, und er hat dir damals im Herbst auch nix getan.«

Die Prucknerin wusste nicht, was ich über den Plünder alias Iceman wusste. Denn dann wüsste sie auch, dass es nicht darum ging, was er mir antun hätte können. Sondern darum, was er der Mama von der Luise angetan hat.

»Wir sehen uns morgen in Mörbisch«, erklärte ich und ließ die Prucknerin stehen. Nicht die feine Ruster Art, ich weiß. Ging in der Situation aber nicht anders.

Auf dem Schiff und an Land herrschte emsiges Treiben. Ungefähr so stellte ich mir auch das Auslaufen der Titanic vor mehr als hundert Jahren vor, nur halt ein paar Nummern größer. Einer der Stewards, vom Glanz und Auftreten her alles andere als der Zwillingsbruder von Sascha Hehn, hatte das Pult über die kleine Gangway an Bord geschoben und an Deck verstaut. Seine blonde Kollegin war voll und ganz damit beschäftigt, die Passagiere in die Kabinen und in die restlichen Räumlichkeiten an Bord einzuweisen. Ein guter Zeitpunkt für mich also, um gemeinsam mit Bella einen Rundgang zur ersten Orientierung zu starten.

Die MS Maximilian wirkte im Vergleich mit richtigen Kreuzfahrtschiffen natürlich wie eine Nussschale. Trotzdem verfügte das Schiff über drei Ebenen: Ober-, Zwischen- und Unterdeck. Auf dem Unterdeck befanden sich die Kabinen der Holzklasse, der Schlafraum der beiden einzigen Crewmitglieder, zwei Lagerräume sowie die Kajüte des Kapitäns. Über eine schmale vergoldete Stiege gelangte man aufs Zwischendeck, auf dem man auch landete, wenn man das Schiff über die Gangway betrat. Auch hier waren Passagierkabinen untergebracht, jedoch waren diese etwas luxuriöser und geräumiger ausgestattet. Nach den Kabinen folgte ein großzügiger Restaurant- und Eventbereich, den sich mehrere Tische und eine kleine Bühne teilten. Dort fand ich einen Programmfolder, der neben den geplanten Landgängen auch die Abendunterhaltung anpries. Für den heutigen Tag waren lediglich die Begrüßung sowie ein Kennenlernabend angesagt. Das reichte aber schon, um mir die Lust daran zu nehmen, mich mit den weiteren Veranstaltungen auseinanderzusetzen.

Die einzige Freifläche auf dem Schiff folgte im vorderen Bereich des Zwischendecks. Auf besagtem Außendeck standen einige Tische sowie dazugehörige Sessel aus Metall. Alles schön mit Schrauben auf den frisch gebohnerten Holzplanken des Bodens fixiert, damit bei stärkerem Seegang nichts durcheinanderkam. Hier war genug Platz für eine kleine Cocktailparty. Ein Swimmingpool, wie man ihn von Kreuzfahrtschiffen kannte, ging sich aber natürlich nicht aus. Maximal die Möwen, die auf der Reling hockten und auf Futter warteten und mich nun aufmerksam musterten, hätten ein Bad in einer der Lacken nehmen können, die vom Putzkommando auf dem Boden hinterlassen worden waren. Nicht ungefährlich eigentlich, so aus Sicherheitssicht.

Ich stellte mich an den Anfang des Schiffes. Keine Ahnung, ob diese Position unter Seebärinnen und Seebären eine bestimmte Bezeichnung hatte. Vorderbug, Bugspitze, Bugsierung – mit Schiffen kannte ich mich ungefähr genauso gut aus wie mit Wein, also gar nicht. Ich stand da also rum und überlegte, ob ich einen auf Leonardo DiCaprio machen sollte. Und gerade als ich den Gedanken mangels Bellas Eignung als Kate Winslet über Bord werfen wollte, fiel mir etwas Glitzerndes ins Auge. Das war nicht die Sonne, die sich im Seewasser spiegelte, sondern eine Art Galionsfigur. Und von hier oben sah das Ding doch tatsächlich aus wie ein vergoldetes Abbild von Maximilian Plünder. Auweia. Eine genauere Inspektion wurde durch die näher rückenden Möwen unterbunden. Anscheinend besetzte ich mit meiner Anwesenheit ihren Aussichtsposten. Bella bezog Abwehrstellung gegen einen potenziellen Angriff, was dem weißen Federvieh herzlich egal war.

»Hunde sind an Bord nicht erlaubt!«, schrie eine sopranige Männerstimme, wie sie ein Mitglied der Wiener Sängerknaben nicht besser hinbekommen hätte. Die Vögel nahmen Reißaus. Werden schon gewusst haben, warum.

Der Steward, der nicht wie »Traumschiff«-Kapitän Sascha Hehn aussah, musterte uns in seiner feschen weißen Uniform mit strengem Blick. Das heißt, eigentlich war ich der Einzige, der streng gemustert wurde. Bella schien für das Vergehen nicht verantwortlich gemacht zu werden.

»Wir haben eine Sondererlaubnis«, setzte ich zur Verteidigung an. »Von Herrn Plünder persönlich.«

»Ach, und das soll ich glauben? Da könnt ja jeder kommen«, sagte er, während er sich uns näherte. Er schien wirklich den Stimmbruch ausgelassen zu haben. Wenn Männer in einer solch hohen Stimmlage versuchten, Autorität auszustrahlen, wirkte das mitunter unfreiwillig komisch. Bella und mir fiel es daher etwas schwer, ihn ernst zu nehmen.

»Kommt aber nicht jeder. Es kommen nur meine Kollegin und ich«, antwortete ich und warf einen Blick zu Bella, damit er checkte, dass nicht eine der Möwen damit gemeint war. »Wir sind für die Sicherheit hier auf dem Schiff verantwortlich, und Herrn Plünder war es ein großes Anliegen, dass meine Kollegin mit dabei ist.«

Je näher er kam, desto intensiver vernahm ich einen Duft, der mich kaum begeistern konnte. Erinnerte stark an Aftershaves, in deren Produktnamen sich Wörter wie »Arctic« oder »Polar« fanden. Dieser viel zu intensive und herbe Geruch von was weiß ich, der eine besonders coole, toughe Note verbreiten sollte. Meist bei Männern, die alles andere als cool oder tough waren. Da bildete dieser Kerl mit seiner sopranigen Fiepsistimme keine Ausnahme.

»Wie heißen Sie?«, fragte er, nun ein bisschen kleinlauter.

»Lauda, Nikolaus Lauda.«

Wieder dieser verwunderte Blick, wenn Leute erstmals meinen Namen hören. Gott, wie mir das auf die Nerven ging. Dann blätterte er auf seinem Klemmbrett herum und schien nicht fündig zu werden. »Ich habe hier einen Thomas Skoff als Sicherheitsmann stehen. Das sind dann wohl nicht Sie.«

»Nein, das ist der Kollege, der kurzzeitig verhindert war.« Ich hatte keine Ahnung, ob das wirklich der unpässlich gewordene Sicherheitsmensch war, den die Prucknerin erwähnt hatte, also hielt ich mich eher vage. »Ich wurde quasi auf kurzem Dienstweg von Daniela Pruckner aktiviert.«

»Ach, von der Daniela!«, stellte er erleichtert fest. »Dann wird das schon seine Richtigkeit haben.« Es schien, als ob die Taxiprucknerin unter der Crew mehr Autorität genoss als der Chef der ganzen Reederei. »Ich kläre die Angelegenheit mit Ihrem Hund nur schnell beim Kapitän ab und zeige Ihnen im Anschluss Ihre Kabine auf dem Unterdeck. Warten Sie bitte einen Augenblick, wir haben das Einschiffen bald abgeschlossen.«

Ich sah zu Bella, Bella sah zu mir. Diese unglaublich treuen Murmelaugen. Wie konnte ein Hund nur einen solch durchdringenden Blick draufhaben? Wie sie da saß und mich ansah. Oder kämpfte sie gerade nur dagegen an, im Sitzen einzuschlafen? In solchen Situationen überkam mich jedes Mal wieder das schlechte Gewissen wegen dieses einen Moments im vergangenen November, als ich Bella im Hof des Bahnhofsheiserls zurückgelassen und mich auf den Weg gemacht hatte. Und immer wenn diese Gedanken in mein Hirn schossen, musste ich den Blick von Bella abwenden. Da konnte ich sie nicht mehr anschauen, denn dann spiegelte sich in ihren Augen viel zu sehr und viel zu deutlich dieser Moment, in dem ich sie im Stich gelassen hatte.

Bella und ich wurden gleichermaßen aus unseren Gedanken gerissen, als das Schiffshorn das baldige Ablegen ankündigte. Kurz darauf erfolgte der nächste Auftritt des Stewards.

»Bitte kommen Sie mit mir, es geht alles in Ordnung. Auch mit Ihrer … ähm … Kollegin.«

Bella und ich folgten ihm durch das Restaurant und über die goldene Stiege hinunter auf das Unterdeck. Hätten wir auch mit verbundenen Augen geschafft, dank seines Aftershaves einfach immer der Nase nach. »Hier ist Ihr Reich, Kabine sechs«, verkündete er mit der Feierlichkeit eines Projektentwicklers bei der Schlüsselübergabe fürs neue Eigenheim. Ich befürchtete das Schlimmste, trat näher, wurde dabei jedoch von Bella überholt, die sich an mir vorbei ins Innere drängelte. Da hatte es wohl jemand eilig. Die Kabinentür war gefühlt halb so breit wie mein Oberkörper, ich musste meinen Torso schräg stellen, damit ich überhaupt eine Chance hatte, in mein neues Reich zu gelangen.

Die Kabine bestand aus einem Wandverbau, in dem sich ein Kleiderkasten, ein Schreibtisch, eine Toilette und eine Dusche befanden. In der Mitte lud auf circa zwei Quadratmetern ein roter Teppich zum embryonalen Verweilen auf dem Fußboden ein. Aber immerhin, dank eines Bullauges wurde das ganze Elend in helles Tageslicht getaucht. Es gab Innenbordkabinen auf großen Kreuzfahrtdampfern, die nicht mal das vorweisen konnten. Gegenüber vom Wandverbau stand das Bett, in dem selbst ein Minimann wie Maximilian Plünder es schwer gehabt hätte, sich richtig auszustrecken. Es würde aber eh keine Rolle spielen, ob ich dort ausreichend Platz zum Schlafen vorfinden würde oder nicht, denn Bella war bereits damit beschäftigt, die plüschige Decke in eine ihr genehme Position zu verwurschteln. Und um auch wirklich allen Beteiligten klarzumachen, dass das Bett fortan ihr Reich war, pupste sie einmal laut und deutlich. Über ihrem Bett rundeten Regalbretter und ein großformatiges Foto der Plünder’schen Unternehmenszentrale in Parndorf das Bild ab.

»Wenn Sie etwas brauchen, finden Sie die Crew auf dem Zwischendeck oder in der Messe auf dem Oberdeck«, sagte der Seemann und machte sich aus dem Staub. Und ja, ich brauchte etwas. Zum Beispiel einen Automaten, der mich auf eine für diese Kabine taugliche Größe schrumpfen würde.

Plötzlich verspürten wir einen Ruck. Die MS Maximilian schien sich in Bewegung setzen zu wollen, noch waren wir aber am Anleger. Ich schaute aus dem runden Fenster, das mir einen großzügigen Blick nach draußen erlaubte. Von hier aus würde sich weit draußen auf dem See sicher eine schöne Möglichkeit ergeben, um Sonnenauf- und Sonnenuntergänge zu genießen. Auf dem Boden sitzend, mit einem Bier in der Hand und der vor sich hin pupsenden Bella in meinem Bett. In diesem Moment aber, als wir uns noch am Anleger befanden und vom See noch nichts zu sehen war, presste plötzlich ein Kind seine Nase an die Scheibe und erschreckte mich dadurch fast zu Tode. Der Bub hielt sich anschließend vor Lachen den Bauch, und ich überlegte, ob es sich bei dem Fenster wohl um schusssicheres Glas handelte. Bis mir einfiel, dass ich ja keine Waffe dabeihatte.

Das Schiff setzte sich unter Begleitung eines Brummens tatsächlich in Bewegung. Die Ruster Bucht war nicht sehr breit und wohl auch nicht für ein Wendemanöver eines ausgewachsenen Seedampfers ausgelegt. Also schob der mir noch unbekannte Kapitän mit dem Schiff gekonnt zurück. Alle Achtung! Wir hörten die dumpfen Klänge der Blasmusikkapelle, die zur Verabschiedung noch mal kräftig aufspielte. Auf dem schmalen Weg zwischen Liegewiese und Kiesstrand, sonst an Sommertagen den Gästen des Seebades vorbehalten, liefen Kinder parallel zu uns und winkten immer wieder hektisch herüber. Die Badenden und auch einige auf der Wiese verteilte Sonnenanbeter beäugten die Szenerie interessiert. Wieder dachte ich an das Auslaufen der Titanic, damals in Southampton, Liverpool oder von wo auch immer sie zu ihrer ersten und zugleich letzten Reise aufgebrochen war. Allein die Tatsache, dass das Oberdeck der MS Maximilian nach wie vor im Trockenen wäre, falls wir nach der Begegnung mit einem Eisberg auf den ein bis zwei Meter tiefen Grund des Neusiedler Sees hinabsinken würden, gab mir aber ein sichereres Gefühl.

Wir glitten sanft hinaus, und schließlich wurde die Bucht auf Höhe der Sturmwarnanlage breit genug, sodass der Kapitän das Schiff wenden konnte. Ich warf einen letzten Blick auf die gemütliche Schilfhütte auf der anderen Seite der schmalen Seeenge, in der Bella und ich die letzten Tage verbracht hatten. Was war das – trotz der Gelsen – für eine schöne Zeit gewesen, so in der Rückschau. Gegenüber stand auf dem Steg, der hinter der Segelschule ein paar Meter in den See ragte, eine alte Frau. Schwarzer, breiter Hut. Sie blickte zu uns. Ob freundlich oder griesgrämig, war aus der Entfernung nicht auszumachen. Sie schien aber definitiv extra für diesen Moment hier rausgekommen zu sein. Als Abschiedsgruß machte sie die Hals-durchschneiden-Geste, so wie es früher die Zaungäste bei Hinrichtungen gemacht hatten, wenn der Delinquent vor dem pöbelnden Mob zur Köpfung geführt wurde. Ein freundliches Winken mit einem weißen Taschentuch hätte es auch getan, eigentlich.

Was ist in deinem Leben eigentlich schiefgegangen?

»Abendessen im Festsaal!«, rief sehr viel später eine weibliche Stimme auf dem Gang.

Das klang irgendwie nicht sehr einladend oder höflich. Hätte ich für diese Schifffahrt gezahlt, hätte ich der Dame ihr »Abendessen im Festsaal« um die Ohren geschlagen. Hatte ich aber nicht, also war es mir egal. Ich überlegte, ob ich Bella mitschleppen oder ihr lieber etwas von ebendort mitbringen sollte. Die Prucknerin hatte zwar an Anziehsachen sowie Zahnbürstl und Co. gedacht, nicht jedoch an Hundefutter. Dafür hatte sie Matze eingepackt, den kleinen gelb-blauen Totenschädel, den mir Alfred Dachs im Vorjahr bei meinem vermeintlichen Abschied aus Rust in die Hand gedrückt hatte. In Erinnerung an meine bevorzugte Frittenbude in Essen hatte ich das Ding nach deren Besitzer benannt und eigentlich in den Untiefen der verschiedenen Schubladensysteme des Bahnhofsheiserls verstaut. Keine Ahnung, wie die Prucknerin dadrangekommen war. Und warum sie geglaubt hatte, ich bräuchte das Ding hier an Bord der MS Maximilian.

Ich scheuchte Bella vom Bett, und kurz darauf befanden wir uns im Gang. Dort trafen wir auf vier weitere Personen. Zwei in Form von bunten Pop-Art-Porträts an den Wänden, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Maximilian Plünder aufwiesen. Die beiden Bilder waren mir zuvor gar nicht aufgefallen, was nicht für ihre Qualität sprach. Neben den beiden Warhols waren außer Bella und mir auch zwei echte Menschen auf dem Flur, die ebenfalls aus ihren Kabinen gekrochen waren. Ein Mann in meinem Alter, also nicht mehr ganz frisch, aber auch noch nicht nahe am Tod. Und, zu meiner Überraschung, der Starautor, der mich in Rust vor dem Einschiffen angequatscht hatte.

»Gehören Sie nicht zu den Prominenten auf eines der Promidecks?«, fragte ich ihn auf dem Weg in den Festsaal, was bloß ein Synonym für den Salon im Zwischendeck war. Langsam fand ich Gefallen daran, ihn ein bisschen damit aufzuziehen, dass er offenbar doch nicht so prominent war.

»Eigentlich schon«, sagte er, »aber ich habe meine Kabine mit einer älteren Dame und ihrer Pflegerin getauscht. Für die beiden wäre es hier unten schon sehr eng geworden.«

Wenn dem tatsächlich so war, hatte er gerade Pluspunkte bei mir gesammelt. Der andere Mann hatte anstelle einer Brille so einen lustigen Zwicker auf seiner Nase, den man zuletzt wohl zu Zeiten des Ersten Weltkriegs getragen hatte. Dazu passten sein altertümlicher Trachtenjanker und sein Hinkebein. Wohl eine Weltkriegsverletzung. Er stellte sich nicht vor, beließ es bei einem unaufgeregten »Hallo« und ging uns voran in Richtung Salon, Pardon, Festsaal.

Dort wurden wir von einem dezenten Kammerorchester in Empfang genommen, das seine musikalische Anmut aus den blechern klingenden Lautsprechern verströmte. Durch die Panoramafenster eröffnete sich ein herrlicher Blick auf die Abendstimmung über Rust und Mörbisch sowie die dahinterliegenden Hügel, über denen sich die Sonne langsam orange färbte. Wir hatten uns geografisch vielleicht gerade mal einen halben Kilometer in Richtung Mörbisch bewegt. Den Rest der Zeit hatte der Kapitän damit verbracht, das Schiff im Schneckentempo in einem großen Kreis über den See wieder auf seine ursprüngliche Position zwischen Rust und Mörbisch zu navigieren. Vielleicht, um den Passagieren das Gefühl einer Seereise zu vermitteln, man wusste es nicht.

Im Salon waren zwei große runde Tische aufgestellt worden, die nicht nur festlich mit blitzblank poliertem Geschirr und Besteck gedeckt worden waren, sondern auf denen auch Kerzen für eine angenehme Atmosphäre sorgten. In Gedanken sah ich schon Bella eines der weißen Tischtücher runterreißen, wodurch sich der ganze Saal in eine Flammenhölle verwandeln würde. Seit ich oberster Securityheinzi dieses Seeunternehmens war, entwickelte sich wohl so langsam ein Spürsinn für maritime Gefahrensituationen.

Auf den Tischen waren Kärtchen verteilt worden, die den Gästen dabei helfen sollten, ihre Sitzplätze zu finden. Ich checkte schnell die Namen meiner Sitznachbarn. Eleonora Pruckner auf der einen Seite, ein Elmar Tinhof auf der anderen. Auf ebenjener platzierte sich der vermeintliche Starautor, mit dem ich gemeinsam in den Salon gekommen war. Der getreue Weltkriegssoldat hatte sich wiederum neben ihm niedergelassen. Ich hockte mich auf jenen Platz, der dem eigentlich für diese Reise gebuchten Sicherheitsmann zugedacht worden war: Thomas Skoff. Nach und nach gesellten sich zwei weitere Personen zu uns. Mutter und Tochter, wie sich bei der kleinen Vorstellrunde herausstellte. Tochter Birgit Borbely, bestes Teenageralter, zeigte sich von Bellas Anwesenheit nur mäßig erfreut, Mutter Elisabeth schien meine vierbeinige Begleiterin eher egal zu sein. Umgekehrt galt das genauso. Bella nahm weder Notiz von der wie ein bunter Papagei angezogenen und im Gesicht angemalten Frau Mama noch von ihrer hamsterbäckigen Tochter. Diese Wangen faszinierten mich, und nur zu gern hätte ich da mal reingekniffen. Aber na ja. Wäre wohl nicht so gut angekommen. Ich schätzte die Tochter auf vierzehn oder fünfzehn Jahre. Da das Servicepersonal keine Anstalten gemacht hatte, Bella an einem imaginären Hundetisch platzieren zu wollen, und da obendrein auch Birgit Borbely bei den Erwachsenen sitzen durfte, ließ ich Bella neben mir auf dem Boden liegen. Mit ihren Murmelaugen machte sie zwar deutlich, dass dieser Platz eines edlen Hundes, wie sie einer war, natürlich nicht annähernd würdig war, ich gab ihr aber mit einem kurzen Blick meiner Schwurbelaugen zu verstehen, dass ich da leider machtlos war. Thema erledigt.

Die Gäste der Holzklasse waren offensichtlich zuerst in den Saal beordert worden, damit sie den Prominenten einen großen Empfang bereiten konnten. Denn kurz darauf setzten allgemeines Geplänkel und Unruhe ein. Der Platz der alten Prucknerin war nach wie vor unbesetzt, der Stuhl zu ihrer Rechten war noch frei. Also nahm ich an, dass auch Jennie bei uns am Tisch sitzen würde. Falls die beiden denn Lust und Zeit fanden, an diesem Abend im Salon bei uns vorbeizuschauen.

»Sie sind also der Herr Skoff? Freut mich«, sagte der Autor neben mir und hielt mir seine Flosse entgegen. Ich sah auf das Namenskärtchen vor mir, dessen Schriftzug nach wie vor auf den eigentlich für diesen Trip vorgesehenen Securityheinzi hinwies.

»Nein, der Herr Skoff war kurzzeitig verhindert«, erklärte ich, entfernte das Schild und steckte es in meine Hosentasche. »Lauda, Nikolaus Lauda«, stellte ich mich vor.

Und dann wurde es einigermaßen grotesk. Die Kammermusik verstummte, und »Gonna Fly Now«, die Titelmelodie aus dem allerersten »Rocky«-Streifen, setzte ein. Über dem Eingang zum Salon bewegten sich zwei bunte Scheinwerfer, die den Saal in rotes und blaues Licht tauchten. Wir starrten gebannt auf den Eingangsbereich, durch den kurz zuvor noch das gemeine Volk eingetreten war. Ohne »Rocky«-Musik und ohne Lichtorgel. Dort erschien eine junge Frau mit ewig langen, ziemlich künstlich wirkenden roten Haaren. Die beiden im Raum verteilten Crewmitglieder, also die »Abendessen im Festsaal« krakeelende Frau und der Kerl mit der sängerknabigen Sopranstimme, fingen mehr oder weniger spontan an zu klatschen. Der Autor und meine anderen Tischnachbarn stimmten ein.

Diese Inszenierung wäre vielleicht für eine gut besuchte Konzerthalle passend gewesen, aber doch bitte nicht für die paar Leutchen im Salon, Pardon, Festsaal, der MS Maximilian. Bella und ich boykottierten also die Showeinlage. Es war immer von Vorteil, meine treue Gefährtin dabeizuhaben. Wäre ich der Einzige gewesen, der nicht geklatscht hätte, wäre ich mir wohl sonderbar oder schäbig vorgekommen. Mit Bella an meiner Seite fühlte ich mich dagegen gesellschaftlich nicht so an den Rand gedrängt. Die rothaarige Frau, die einen kurz zuvor in ein Fass voll violettem Glitzer getauchten Hosenanzug trug, machte komische Grimassen und formte Mittel- und Zeigefinger ihrer rechten Hand zu einem Victoryzeichen, das sie uns entgegenstreckte. Erst jetzt bemerkte ich, dass das Teenagergirlie an unserem Tisch hektisch Fotos mit ihrem Smartphone machte. »Heißen Sie bitte herzlich Sandra Schwarzkopf an Bord der MS Maximilian willkommen«, dröhnte es aus den Lautsprechern.

»Sie hat voll viel fame auf TikTok«, hörte ich Birgit zu ihrer Mutter schreien. Trotzdem hatte Mutter Elisabeth aufgrund der lauten Musik sichtlich Probleme zu verstehen, was ihre Tochter ihr soeben mitgeteilt hatte.

»Stellen Sie sich vor, in genau diesem Moment würden zwei Maskierte das Schiff überfallen und Sandra Schwarzkopf vor allen Passagieren hier im Salon enthaupten. Einfach so, ohne Vorwarnung. Den blutigen Kopf würden sie auf dem Teller eines Passagiers ablegen und dann einfach verschwinden. Wäre das nicht atemberaubend?«, flüsterte mir der Autor ins Ohr, nachdem er mich mit dem Ellbogen neckend angestoßen hatte.

»Was ist in deinem Leben eigentlich schiefgegangen?«, fragte ich ihn.

»Ich mein doch nur. Für den Plot meines Schiff-Thrillers«, sagte er mit nicht weniger Leuchten in seinen Augen als zuvor.

»Solange ich auf dem Schiff für die Sicherheit zuständig bin, wird hier niemand enthauptet. Nicht einmal in Gedanken. Haben wir uns verstanden?«

Ich strafte ihn mit Missachtung und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen auf dem Shipwalk. Sandra Schwarzkopf hatte, unbeschadet und inklusive Kopf, mittlerweile am Promitisch Platz genommen. Der Applaus war verebbt, und auch Birgit Borbely hatte aufgehört, dauernd Fotos zu machen. Das erneut einsetzende Klatschen der beiden Schiffsstewards sowie die wieder lauter werdende »Rocky«-Hymne signalisierten uns kurz darauf, dass der nächste Prominente bereit für seinen Auftritt war. Es erschien ein Mann im Smoking, der etwas schüchterner den Shipwalk entlanglief, als es zuvor Sandra Schwarzkopf getan hatte. Dem fehlte die Erfahrung für solche Auftritte, ganz klar. »Heißen Sie bitte recht herzlich Sebastian Gsertz an Bord der MS Maximilian willkommen«, erfolgte die Vorstellung erneut über die Lautsprecher. Dieses Mal hielt sich der Jubel der jungen Celebrity-Jägerin an unserem Tisch in Grenzen.

»Der war mal Stürmer beim SV Mattersburg«, schrie mir der Autor ins Ohr, und in Gedanken ließ er wohl gerade den Protagonisten seines Thrillers dem Ex-Fußballer mit einer Machete den Kopf absäbeln.

»Und wo ist der Bus mit den Leuten, die das interessiert?«, revanchierte ich mich ebenso schreiend. Daraufhin hielt er sich mit der Hand das rechte Ohr zu und verzog sein Gesicht. Spätestens jetzt war allen am Tisch klar, dass wir beide in diesem Schifffahrtsleben keine Freunde mehr werden würden.

Gsertz, der recht dynamisch und wie ein fescher Rasenhase daherkam, setzte sich neben Sandra Schwarzkopf, die das ganze Schauspiel ihrerseits mit dem Smartphone zu dokumentieren wusste. Auch wenn unser Tisch sicherlich nicht im Mittelpunkt ihres Interesses war, wendete ich meinen Kopf von ihr ab, um nicht allzu häufig mit meinem Gesicht auf ihrem Display aufzutauchen. Mit ein bisschen Pech folgte ihr auf Instagram oder TikTok ein Mitglied aus Vito Violinos Mafiaclan und erkannte mich darauf.

Die Aufmerksamkeit richtete sich schließlich erneut auf den Eingangsbereich, wo jeden Augenblick der nächste Superpromi auftauchen würde. Mich interessierte dagegen eher, wo die Mamschki von der Prucknerin mit ihrer Pflegerin geblieben war. Hatten sie es überhaupt tatsächlich an Bord geschafft?

Es wiederholte sich das mittlerweile etwas ausgelutschte Prozedere. Die Musik wurde lauter, das Geklatsche intensiver, das nächste Gesicht erschien. Dieses Mal wieder eine Frau, vielleicht um die dreißig. Knapper Rock, weißes Top, Zahnpastalächeln, und ihr Jäckchen schien in denselben Glitzertopf gefallen zu sein wie zuvor auch schon der Hosenanzug von Sandra Schwarzkopf. Ihre Locken waren dagegen die reinste Pracht. Vielleicht ein Haarmodel? »Heißen Sie bitte recht herzlich Bli Bla Blub an Bord der MS Maximilian willkommen«, sprach ich synchron mit, während der Lautsprecher sein Standardsatzerl aufsagte. Dadurch verpasste ich natürlich den richtigen Namen des Starlets, aber den würd ich im Lauf des Abends schon noch rausfinden. Birgit kannte den Namen der jungen Frau dagegen ziemlich sicher, denn sie aktivierte wieder ihre Smartphone-Kamera sowie ihr hysterisches Gekreische.

Als auch dieser Stargast am Prominententisch Platz genommen hatte, war klar, dass jetzt nur noch ein großer Auftritt folgen konnte. Offensichtlich war man im Organisationsteam der Meinung, dass der Weinkaiser alle bisherigen Prominenten mühelos in den Schatten stellen würde. So nach dem Motto »Das Beste heben wir uns für den Schluss auf«. Und dann war es offenbar so weit. Die beiden Crewmitglieder forderten die Anwesenden dazu auf, sich zu erheben. Die »Rocky«-Musik wurde noch mal lauter aufgedreht, und der männliche Steward platzierte in aller gebotenen Hektik je eine Konfettikanone an beiden Seiten neben dem Eingang zum Salon.